Den Schatz bewacht der Menschenfresser - Lukas Wolfgang Börner - E-Book

Den Schatz bewacht der Menschenfresser E-Book

Lukas Wolfgang Börner

0,0

Beschreibung

Hier sollte eigentlich eine Inhaltszusammenfassung stehen. Also quasi unsere Schatzsuche in kurzen Worten. Dass ich und Cleo ein altes römisches Pergament gefunden haben, zum Beispiel. Und dass wir heimlich nach Italien gefahren sind, um unter entsetzlichen Gefahren und psychischen Höllenqualen den Schatz zu suchen. Aber ich weiß gar nicht, ob ich Lust habe, das Ganze nochmal (!!) herzubeten. Und dann soll ich auch noch drüber nachdenken, was da besonders wichtig war und was man getrost weglassen kann. Da hab ich doch echt keine Ahnung davon. Ich erinnere mich an einen ausgezeichneten Steckerlfisch, den ich unterwegs gegessen habe. Und an ein paar schöne Tage mit einem italienischen Mädchen - aber da zerreißt mir Cleo das Papier, wenn ich schon wieder von ihr anfange. Er meint ohnehin, dass es keinen Sinn macht, immer dasselbe zu erzählen. Er sagt, ich solle die paar Zeilen hier nutzen, um ein Kochrezept niederzuschreiben, das teilweise auf seinem Mist gewachsen ist. Es heißt "Cleos Püreebazis". Er ist mächtig stolz auf seine Püreebazis, dabei handelt es sich eigentlich nur um ein ganz normales Bratwurst-Sauerkraut-Kartoffelbrei-Gericht. Nur dass das Sauerkraut mit Gänseschmalz angebraten und der Kartoffelbrei mit ausgelassenen Speckwürfelchen verfeinert wird. Das kann ich euch nur empfehlen, das schmeckt endlecker. Cleo ist, wie er sagt, gezwungen, immer wieder neue Kochrezepte zu erfinden, weil er als Vegetarier ja nur eine begrenzte Auswahl an Speisen hat. Das kommt uns allen zugute. Hochachtungsvoll Hugo

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 361

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



© 2021 Lukas Wolfgang Börner

2. Auflage

Autor: Lukas Wolfgang Börner

Umschlaggestaltung: Sabrina Börner

[email protected]

www.boerner-literatur.de

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40–44, 22359 Hamburg

ISBN:

978-3-347-21789-8 (Hardcover)

 

978-3-347-21790-4 (e-Book)

Lukas Wolfgang Börner

Den Schatz bewachtder Menschenfresser

Die Beichte

Liebe Mama, lieber Papa, liebe Großeltern,

ich weiß gerade gar nicht, wie ich mich fühlen soll. Ob ich jetzt als Angeklagter vor meinen vielen Richtern sitze oder ob ich vielmehr ein Held bin, der von seinem allerkühnsten Abenteuer erzählt. Ich sehe in euren Augen alles Mögliche, vielleicht bilde ich’s mir auch nur ein. Ist das wirklich Strenge in deinem Gesicht, Papa? Oder doch heimlicher Stolz?

Und ist da nicht irgendwo in deinen Sorgenfalten, Oma Inge, auch ein mildes Lächeln für deinen Enkel? Den Wagemutigsten aller Enkel?

Ich möchte euch alles erzählen, jedes einzelne Detail, die Kurzversion kennt ihr ja ohnehin schon.

Auch dich, mein lieber Leser, will ich in das größte Abenteuer meines Lebens entführen. Das geschieht aber im Geheimen. Denn ich möchte meinen Eltern und Großeltern zwar die Wahrheit erzählen, das bin ich ihnen wohl schuldig, aber ich kann natürlich nicht alle, also wirklich alle Details erzählen. Ich bin doch nicht blöd. Manche Dinge, die man mit seinen Freunden anstellt, sind nicht für Ohren bestimmt, aus deren Innern bereits graue Haarbüschel wuchern. Erwachsene kann man mögen, man kann zu ihnen aufschauen und man kann mit ihnen tolle Dinge unternehmen. Aber es sind und bleiben halt Erwachsene. Sie können viele Dinge, die wir Kinder gerne tun, gar nicht verstehen. Dass man in der Nase bohrt, zum Beispiel. Oder dass man ein tiefes inneres Verlangen danach hat, ein rohes Ei in die Hand zu nehmen und zu zerquetschen. Oder dass man in eine Wasserpfütze tappen muss, damit es rings herum spritzt und tröpfelt und alle Leute „Pfui!“ oder „Kruzitürken!“ rufen. Oder dass man Mädchen, die in der Schule vor einem sitzen, in einem unbeobachteten Moment am Pferdeschwanz zupfen muss.

Nein, das verstehen sie nicht. Sie sind alt und denken den ganzen Tag nur daran, was sie arbeiten könnten und ob sie nicht noch etwas erledigen könnten und dass die Wohnung staubgesaugt werden müsste und dass die langweiligen Pflanzen auf dem langweiligen Balkon hochgebunden werden sollten. Sie sitzen vor dem Fernseher und schauen sich Nachrichten an. Nachrichten!!

Da heißt es dann: „Guten Abend, meine Damen und Herren, die politische Lage scheint in siebenfacher Differenz zum Haushalt hinter dem Energiekraftwerk zu stehen. Was sagt die Option zu dieser Einschätzung?“ Lauter solcher Quatsch!

Und das tun Erwachsene freiwillig! Und weil das alleine noch nicht fad genug ist, lesen sie auch noch Zeitung. Da steht dann dasselbe nochmal drin, aber damit es noch langweiliger wird, gibt es fast keine Bilder dazu.

Du wirst mir Recht geben, lieber Leser, dass man mit solchen Menschen, wie es Erwachsene sind, nur sehr wenig Gemeinsamkeiten haben kann. Außerdem bedeutet, etwas wegzulassen, ja nicht unbedingt, dass man lügt. Denn lügen darf man bei Erwachsenen nie. Da muss man höllisch aufpassen! Das gibt Ärger, wenn man beim Lügen ertappt wird!

Dabei sind die Erwachsenen ja selber schuld, dass man lügen muss, weil man für die Wahrheit ja meistens nur angemeckert wird. Wenn man zum Beispiel eine schlechte Note mit nach Hause bringt und man wird gefragt, warum diese Note so verreckt schlecht ist, kann man doch nicht antworten, dass man im Unterricht nicht aufgepasst, seine Hausaufgaben nicht gemacht und dazu auch nicht gelernt hat. Da würde einen doch ein schreckliches Donnerwetter erwarten!

Da muss man selbstverständlich weinen und sagen, dass man versucht hätte, alles zu verstehen, aber offensichtlich zu dumm sei. Und da sind sie dann alle da und trösten dich und sagen, dass du ein ganz kluger kleiner Mann seist und dass so etwas schon mal passieren könne. Manchmal nimmt dich die Mama dann bei der Hand und geht mit dir zur nahen Gelateria, damit du dich vom Schock erholen kannst.

Ja, das müsste man nicht tun. Aber wie gesagt: Es wird einem ja keine Wahl gelassen.

Um euch alles begreiflich machen zu können, möchte ich an den Morgen im vorletzten Frühling erinnern. Weißt du’s noch, Papa? Wo wir am Gröbenbach gesessen sind und geangelt haben? Wir haben ja gar nichts gefangen, aber du hattest damals etwas gesagt, was ich nicht mehr vergessen konnte.

Der Bach macht dort, in der Nähe vom großen Sumpf einige scharfe Kurven. Er schlängelt und windet sich, ganz genauso, wie es die Regenwürmer tun, wenn man sie auf den Haken spießt. Ich weiß noch, wie du mir erklärt hast, dass die Bäche und Flüsse dieser Welt im Laufe ihres Daseins immer kurvenreicher werden, weil das Wasser mit voller Kraft gegen den äußeren Rand der Kurve donnert, während der innere Rand nur sanft gestreift wird. Deshalb bröckelt mit der Zeit die Erde am äußeren Ufer ab und die Kurve wird schärfer.

Du hattest damals etwas gesagt, ich kann es nicht genau wiederholen, aber es war ungefähr so: Du hattest den natürlichen Lauf der Welt mit dem Lauf der Welt von Menschenhand verglichen. Du hattest gesagt, dass die Natur immer verschlungen und verschnörkelt und deshalbimmer schön ist. Und im Gegensatz dazu würden die Menschen nur auf ding setzen, auf … ding, ähm, halt darauf, dass alles möglichst geldsparend ist und darum sind die Straßen immer kerzengerade. Selbst die Flüsse werden begradigt. Und das ist immer hässlich.

So ungefähr war’s. Und die Moral von der Geschicht‘ war, dass Menschen immer alles hässlich machen, weil sie sich zu weit von der Natur entfernt haben. Und das ist deshalb so, weil sich immer alles rentieren muss. Weil nichts gemacht wird, ohne dass es einen Nutzen bringt.

Ich habe das gar nicht vergessen können. Ich habe seit diesem Angeltag immer und überall die Menschen beobachtet und bin dahintergekommen, dass sich wirklich überall alles rentieren muss. Auch in der Schule. Man muss Mathe lernen, weil man sonst schlechte Noten bekommt. Man muss gute Noten haben, weil man sonst sitzenbleibt. Man muss in die nächste Klasse kommen, weil man sonst von der Schule fliegt. Man muss an der Schule bleiben, weil man sonst kein Abitur bekommt. Man muss ein Abitur bekommen, um studieren zu können. Man muss studieren, weil man sonst später nicht viel Geld verdienen kann. Man muss aber viel Geld verdienen, weil man sonst Hunger und Durst leiden muss und nur ganz selten in Urlaub fahren kann.

Ist das nicht auch in gewisser Weise ein begradigter Weg? Ich sehe da gar keine Kurven oder Schnörkel!

Jetzt schaut ihr mich alle so bewundernd an, weil ich so schlau bin und mir so großartige Gedanken mache, aber es ist ja bloß der Gedanke von dir, Papa, den ich weitergedacht habe. Auf jeden Fall ist in mir im Lauf der Zeit der Wunsch nach einem Abenteuer herangereift, einem echten Abenteuer, weg von dem normalen Alltag, weg von dem blöden Gebüffel, dem Auswendiglernen-und-wieder-Vergessen, weit weg von alldem!

Ich erzähle das alles nur, weil ich mir sicher bin, dass ich ohne diesen tiefen Wunsch den Zettel mit dem Rätsel gleich weggeschmissen hätte. Oder ich hätte ihn euch gegeben oder dem Herrn Sägesteck zum Übersetzen oder so. Aber als ich die geheime Botschaft fand, kochte alle Abenteuerlust wieder in mir auf, ich bekam Fieber vor Anspannung und fühlte mich doch so schrecklich wohl!

Nun wende ich mich wieder an dich, lieber Leser. Du merkst schon, dass ich mit Absicht ein bissel geschleimt habe. Mein Papa ist gleich zwei Zentimeter in die Höhe gewachsen vor Stolz auf seine Weisheit, die mich auf solch schlaue Gedanken gebracht hat. Ich hielt es für nötig, die Schuld ein wenig von mir weg auf meinen Papa zu schieben, aber so, dass er sich nicht darüber ärgert, sondern im Gegenteil ganz froh darüber ist. Und warum auch nicht? Im Grunde war es ja die Wahrheit.

Mir ist eingefallen, dass ich mich dir noch gar nicht vorgestellt habe. Das hätte ich beinahe vergessen. Und ich kann das ja nicht in meine Beichte vor meinen Eltern und Großeltern einfließen lassen, das wäre ja lächerlich. Wenn ich plötzlich mitten in meiner Erzählung innehalten und sagen würde: „Ich heiße Hugo Ramsauer und bin zwölf Jahre alt. Mein Lieblingsessen ist Reiberdatschi und meine Lieblingsfarbe NATO-Oliv. Nur für den Fall, dass ihr das vergessen habt.“ Da würde meine Mama mir den Puls fühlen und dann die Männer in Weiß holen, die mich in die Gummizelle stopfen. Da sind alle Wände aus Gummi, so wie in einer Hüpfburg. Klingt eigentlich ganz spaßig, wenn man genauer drüber nachdenkt …

Eigentlich hätte ich mich sowieso nicht vorstellen müssen, denn mein Name wird eh in den nächsten Monaten in der Zeitung stehen. Und alle werden rufen: „Hugo Ramsauer war’s! Unser Hugo Ramsauer!“

Aber du bist ja keine müde Mutter und auch kein fader Vater, du liest ja gar keine Zeitung, sondern lieber spannende Bücher über Schatzinseln und Seeungeheuer. Oder du schaust Filme mit King Kong oder Dinosauriern oder einem Tiger, mit dem man in einem Boot zusammengepfercht über den Ozean schippert. Das ist alles viel besser, als zu erfahren, ob der Aktiendachs mit oder ohne Gewehr versunken ist.

*

Wer ich bin

Also, mein Name ist Hugo Ramsauer. Eigentlich heiße ich Hugo Emmanuel Heinrich Otto-Karl Ramsauer, nach meinen Vorfahren. Aber das musst du dir nicht alles merken. Den Nachnamen habe ich von meiner Mama, die schon seit Generationen Ramsauer heißt. Mein Papa heißt Anders, weil der sich ums Verrecken nicht von seinem Mädchennamen trennen wollte.

Also ich meine, er heißt auch anders als ich, meine Mama und meine Schwester, aber er heißt außerdem wirklich „Anders“ mit Nachnamen. Aber weil dieser Name so blöd ist und immer zu Missverständnissen führt, haben meine Eltern entschieden, uns Kinder Ramsauer zu nennen. Das heißt wiederum, dass ich niemals in folgende Situation kommen werde:

Lehrer: Wie spricht man deinen Nachnamen richtig aus, Hugo?

Hugo: Anders.

Lehrer: Ja, aber wie?

Hugo: Anders.

Ich trage nachts eine Zahnspange und habe schwarze Haare. Für mein Alter bin ich ziemlich groß, schon fast so groß wie meine Mama. Das liegt auch daran, dass ich erst mit sieben Jahren eingeschult wurde und nicht schon mit sechs wie mein bester Freund Cleo, der eigentlich Johann Reuther heißt. Er hatte sich uns am Anfang der fünften Klasse als Cleopatra vorgestellt, weil er fand, dass dieser Name nur so vor männlicher Urgewalt strotze. Da hatte unser Lehrer einen Lachanfall bekommen und uns erklärt, dass Cleopatra aber eine Frau, eine Pharaonin aus Ägypten gewesen wäre. Da errötete Cleo und wir lagen auf unseren Bänken vor Lachen.

In der Pause hatte uns Cleo aber erklärt, er habe sichere Belege dafür, dass es schon vor der Zeit der Pharaonen einen männlichen, vollbärtigen Cleopatra gegeben habe, der immer in seiner Mittagspause durch den Dschungel getrampelt sei, um Schlangen und Säbelzahntiger mit bloßen Händen zu erwürgen. „Mit den Säbeln hat er dann so viele Mammuts kaltgemacht, dass sie gleich ausgestorben sind. Cleopatra selbst war aber Vegetarier. Er aß nur Heidelbeeren und tötete die Tiere nur zum Training!“ Das war so cool, dass uns allen der Atem wegblieb.

Also konnte Cleo seinen Namen behalten, ohne dass sich jemand noch darüber lustig machte. Er selbst ist Vegetarier, genau wie sein bärtiger Namensvetter. Zumindest behauptet er stur, er sei Vegetarier. Auch wenn ich seine persönlich festgelegten Regeln zum Vegetarismus etwas fraglich finde. Zum Beispiel isst Cleo die Haut von Hendln und Chicken Wings ohne schlechtes Gewissen, weil er sagt, dass Haut ja kein Fleisch sei. „Dann dürften Vegetarier auch keine Milch und keinen Pudding essen, denn da ist ja auch Haut drauf!“

Das leuchtet ein. Was ich persönlich aber nicht nachvollziehen kann, ist, dass mein Freund regelmäßig Wurst isst. Er behauptet, dass niemand genau wisse, was in so einer Wurst drin sei. „Ich bin doch nicht bescheuert und verzichte mein ganzes Leben auf Wurst und dann sagt mir irgendein dahergelaufener Wissenschaftler kurz vorm Tod, dass da gar kein Fleisch drin ist!“

Den Vegetarismus hat Cleo ursprünglich von seinem seligen Hund, einem Husky, abgeschaut. „Der hat nur Knochen gefressen und Knochen sind kein Fleisch. Also war er ja auch Vegetarier!“ Überhaupt ist sein Hund, den vor fünf Jahren angeblich die Maul- und Klauenseuche dahingerafft hat, sein großes Vorbild. Er hätte dem kleinen Baby-Cleo zum Beispiel das Laufen beigebracht. Außerdem wäre Cleo auf dem Hund immer in den Kindergarten geritten, sagt er. „Da habe ich einfach einen Knochen an der Angel vor seine Schnauze gehalten und mich mit der anderen Hand an seinen Schlappohren festgehalten.“

Seltsam, dabei haben Huskys gar keine Schlappohren.

Heute hat Cleo kein vierbeiniges Haustier mehr, nur noch ein Aquarium. Ich habe ein Terrarium und da ist eine modergrüne Schildkröte drin, die ich nach dem Tod meines Großonkels geerbt habe. Sie heißt Sancho Panzer und ist selbst so alt, dass sie manchmal tagelang in ihrem Panzer verschwindet und erst wieder herauskommt, wenn man mehrmals höflich anklopft. Meine ständige Angst ist, dass sie dort irgendwann mal zum Sterben verschwindet, ich sie dann nach Tagen hochnehme und mir plötzlich ein blankes Schildkrötenskelett entgegenfällt.

Cleo hatte bis neulich noch viele Fische in seinem Süßwasseraquarium gehabt: Barben, Neons und Welse. Dann wollte er ihnen etwas Gutes tun und hat lebendige Minikrebse als Futter für sie gekauft. Du weißt schon, lieber Leser, das sind diese Krebse, die man auch selber züchten kann – die gibt’s in der Zoohandlung in kleinen Wassertüten zu kaufen. Cleo hatte gleich zehn solche Tüten gekauft, damit seine Fische sich richtig sattessen könnten. Was er aber nicht bedacht hat, war, dass die Minikrebse ja im Salzwasser leben. Er hat also zehn Tüten Salzwasser in sein Aquarium gekippt, worauf alle Fische sofort gestorben sind. Die Krebse wiederum vermehrten sich ungezügelt und fraßen nach ein paar Tagen die toten Fische auf. Cleo hat sich seitdem an seine neuen Haustiere gewöhnt und kauft nun regelmäßig Fischfilet für seine hungrigen Krebse.

Wie dem auch sei, ich wollte ja eigentlich was von mir erzählen und nicht von Cleo. Dass ich groß bin, habe ich ja schon gesagt. Auch dass ich schwarze Haare habe. Hm … was könnte ich denn noch erzählen? Was ich für Kleider anhabe?

Die sind immer unterschiedlich. Meine Kleider, meine ich. Das ist auch gut so.

Das war aber nicht immer so. Als ich ans Gymnasium gekommen bin, hat meine Mama gesagt, Zitat: „Du bist jetzt langsam alt genug, um deine Kleidung selbst herauszusuchen.“ Zitat-Ende. Zuvor hatte sie mir jeden Morgen die Kleider zum Anziehen aufs Bett gelegt, aber mit Beginn der fünften Klasse hat sie damit aufgehört.

Das war hart. Denn ich hatte mir davor nie Gedanken darüber machen müssen, welche Farben wohl zusammenpassen und welche sich beißen. Und ich wollte natürlich nicht, dass sich die Farben beißen. Also trug ich nur noch Komplementärfarben. Das sind die Farben, die am wenigsten miteinander zu tun haben. Die können sich nicht beißen, denn nur Farben, die einander ähnlich sind, beißen sich.

Rot und Grün zum Beispiel sind Komplementärfarben. Violett und Gelb auch. Und auch Blau und Orange. Doch genau dieses Blau-und-Orange war mein Verhängnis. Denn ich besitze ja nur blaue Jeans als Hosen, was heißt, dass ich nur orangerote Oberteile tragen konnte. Orangerote Pullis im Winter und orangerote T-Shirts im Sommer. Und das, obwohl ich die Farbe Orange verabscheue! Ich liebe ja NATO-Oliv, wie es die Soldaten tragen. Aber da hätte ich ja eine hellrote Hose gebraucht und die hatte ich nicht.

Das Dümmste an alldem war, dass die Mama dachte, dass Orange meine neue Lieblingsfarbe wäre, weil ich ja alle Tage wie eine Mandarine herumlief. Zu meinem Geburtstag bekam ich schließlich einen neuen Schulranzen in …

Na, was denkst du?

In Orange!

Da habe ich vor lauter Unglück weinen müssen und erklärt, dass ich die Farbe hasse und nur nicht wüsste, welche Farben sich nicht beißen. Zum Schluss ging alles gut aus. Mama tauschte den Ranzen um, gegen einen, der blau war (NATO-Oliv mögen meine Eltern nicht). Außerdem legt sie mir seitdem meine Kleider wieder aufs Bett. Ich ziehe sie an und freue mich, dass die orangeblauen Zeiten endlich vorbei sind.

Hier habe ich ein Blatt. Es ist Pergament, sonst hätte die Zeit das Blatt aufgefressen und nichts als einen mumienhaften verwitterten Klumpen zurückgelassen. Dieses Blatt habe ich in der alten Amphore gefunden. Der Hals war verstopft und ihr dachtet sicher, dass man den Korkenniemals lösen könnte, ohne die Amphore zu beschädigen. Mir ist es aber gelungen. Mit Wasser, Kraft und Geduld habe ich den Korken herausziehen können, um schließlich festzustellen, dass es gar kein Korken war, sondern ein schwarzer Stopfen, der früher vielleicht einmal Stoff gewesen war. Von einer Jacke, einem Hemd oder einem Schiffssegel vielleicht. Er war deshalb so fest in den Amphorenhals hineingesteckt worden, um sicherzugehen, dass das Innere auf gar keinen Fall beschädigt wird. Ich hatte schon früher überlegt, welches Rätsel diese Amphore beherbergt, und hatte dann halt irgendwann einfach das Verlangen, in das Innere zu schauen. Darum, ihr Lieben, habe ich mir so viel Mühe gegeben, den Stopfen herauszuziehen. Und ich fand dieses Blatt hier.

Leider musste ich auch hier ein wenig schwindeln. Denn ich hatte natürlich nie ein Verlangen danach gehabt, irgendeinem Rätsel, dass ich in der alten Flasche vermutete, auf die Schliche zu kommen. Ehrlich gesagt habe ich mich bis vor kurzem nicht ansatzweise für Geschichte und die alten Zeiten interessiert. Wenn ich nur verstaubte Bilder von Rittern und Römern und den anderen Kriegern sah oder diese weißen Marmorgebäude mit den Säulen, die Kolosseum heißen, dann gähnte ich und träumte mich vorsichtshalber auf und davon. Sehr zum Ärger meiner Eltern übrigens, die sich beide für solche alten Zeiten interessieren. In unserem Badezimmer, zum Beispiel, steht eine kleine Statue von einer Kriegsgöttin. Athene heißt die. Die hat außer einem Helm überhaupt nix an und wenn man allein im Bad ist, kann man ihr mit einem spitzen Zeigefinger auf die Brustwarze drücken.

Egal, auf jeden Fall wollte mein Papa, dass ich nicht zuerst Englisch, sondern Latein lerne, weil Latein, wie er sagte, die Mutter aller wichtigen Sprachen sei und wenn ich mal Naturforscher werden wolle, brauche ich Latein, denn die Tiere und Pflanzen würden dort nur mit lateinischen Namen angesprochen. Ein paar habe ich schon gelernt: Salamandra salamandra heißt der Feuersalamander. Und der Uhu heißt Bubo bubo.

Ja, Naturforscher, das ist ein schöner Beruf. Das macht Spaß, das ist lebendig und bunt. Geschichte ist tot und grau. Oder im Fall der Römer weiß.

Ich werde eines Tages der größte Naturforscher sein seit Charles Darwin. Ich werde durch die Meere segeln und der erste Mensch sein, der einen gigantischen Riesenkalmar einfängt und in den Zoo bringt. Der ist bisher noch fast nicht erforscht worden. Keiner weiß, wie groß der werden kann, aber man weiß, dass tief unten im Ozean Pottwale gegen Riesenkalmare kämpfen. Und manche von den Riesenkalmaren sind so riesengroß, dass sie ohne Mühe die Pottwale zerfleischen, aber das weiß bisher noch niemand. Denn Kalmare brauchen keine Luft wie Wale und kommen deshalb nie an die Wasseroberfläche. Wenn die in der Tiefsee sterben, sinken sie auf den Meeresgrund, wo ihre gigantischen Kadaver von Krabben aufgefressen werden. Diese Tiefseekrabben sind ganz schwarz und haben leuchtende Augen. Im Gegensatz zu den Krabben im Flachwasser haben sie nicht acht Beine und zwei Scheren, sondern insgesamt zehn Scheren. Sonst könnten sie nie die gewaltigen toten Körper in mundgerechte Teile schneiden.

Du siehst, mein lieber Lesefreund, dass ich ganz und total in meiner Naturforscherzukunft aufgehe. Es gibt ja noch so viel zu entdecken!

Das glaubst du nicht? Du denkst, die Welt wäre doch schon bis zuletzt erforscht und da gibt es von der Tiefsee abgesehen nichts mehr, was man noch entdecken könnte? Haha! Ich wusste, dass du das denkst. Das denken nämlich alle. Und genau das ist der Grund, warum es so viel zu entdecken gibt. Denn die Welt verändert sich ständig, genauso die Tiere und die Pflanzen. Was vor hundert Jahren erforscht wurde, muss heute nicht mehr stimmen. Aber weil jeder denkt, dass alles schon erforscht ist, erforscht niemand mehr etwas und die Welt erblüht in neuen Geheimnissen. Aber ich möchte gar nicht um den heißen Brei herumreden, ich möchte dir einen ganz konkreten Beweis für meine Behauptung liefern:

Die Gelbbauchunke, auch Bombina variegata, gilt in Deutschland als beinahe ausgestorben. Das heißt, man müsste sie ähnlich selten zu Gesicht bekommen wie etwa einen Braunbären oder einen Wolf. Tatsächlich aber kenne ich nicht weniger als siebenunddreißig Stellen in der näheren Umgebung, wo es Gelbbauchunken in Hülle und Fülle gibt. Da staunst du, was? Und weißt du auch, warum? Weil früher Gelbbauchunken in großen Teichen gelebt haben – Teiche, die ständig von Naturfreunden kontrolliert werden. Die sitzen dann am Teichrand mit einer Strichliste und haken die Tiere ab, die auftauchen. Grünfrosch. Haken. Ringelnatter. Haken. Gelbbauchunke? Kein Haken. Wasserläufer. Haken. Sumpfmeise. Haken. Gelbbauchunke? Kein Haken. Und so weiter. Und irgendwann werfen sich die Naturfreunde ins Gras und flennen wie die Waschweiber, weil sie ihre Unken so schmerzlich vermissen.

Aber die sind nur umgezogen. Sie leben jetzt nur und ausschließlich in kleinen Pfützen im Wald. Manche von diesen Pfützen sind nichts als winzig kleine Fahrspurrinnen mit vielleicht einem Liter Dreckwasser drin. Mehr nicht. Aber wer geht schon in den Wald und guckt in die Pfützen?

Du siehst, es gibt viel zu entdecken. Ich habe schon einige große Entdeckungen gemacht. Aber keine war so über alle Maßen großartig, wie die, von der ich meiner Familie und dir gleich erzählen werde.

Wo war ich eigentlich stehengeblieben?

Ach ja, ich wollte dir erzählen, dass ich mich nicht für Geschichte interessiere. Denn Geschichte ist ja total langweilig. Deshalb hätte ich auch nie in die alte Amphore reingeschaut, um irgendetwas über die Menschen vor über tausend Jahren zu erfahren. Den Stopfen hatte ich mit Cleo zusammen herausgefischt, nur um ein gutes Versteck für unsere Bildchen-Sammlung zu haben. Das darfst du, mein lieber Leser, aber niemandem weitererzählen, das muss geheim bleiben!

Einmal im Monat schmeißt meine Mama einen Versandhauskatalog weg, wo alle möglichen Waren drin sind, aber hauptsächlich Kleidung. Diesen Moment passe ich genau ab. Wenn meine Eltern nicht da sind oder die Nachrichten anschauen, schleiche ich mich mit einer Schere bewaffnet in den Keller, wo der Papiermüll ist. Ich nehme den Katalog in die Hand – er ist dick und schwer, aber meine Hände zittern nicht deswegen, sondern vor Aufregung. Auf den letzten Seiten ist ein Inhaltsverzeichnis. Drei Buchstaben interessieren mich da. B, D und R. B wie Büstenhalter, D wie Duschvorhang und R wie Reizwäsche. Wenn ich diese drei Worte lese, steigt die Spannung noch einmal. Ich blättere nach den angegebenen Seiten und schneide unter Hochspannung die Seiten aus, wo nackte Busen zu sehen sind. Cleo macht daheim dasselbe, sobald er einen Versandhauskatalog in die Hände kriegt.

Lange Zeit wussten wir nicht, wo wir die Bilder verstecken sollten, die wir so fieberhaft unter allen Gefahren zusammengetragen hatten. Und da war mir die alte Amphore eingefallen, die als langweilige Dekoration bei uns im Hausgang steht.

*

Die Schatzkarte I

Ich weiß noch, dass es ein ekelhafter Wintertag war, als ich und Cleo die Botschaft aus der Amphore fischten. Es lag überhaupt kein Schnee, denn es hatte letzten Winter, wie ihr wisst, kaum geschneit. Trotzdem war es klirrend kalt auf den Straßen. Man fror, sobald man das Haus verließ und schwitzte, sobald man eine S-Bahn, einen Laden oder die Schule betrat. Wo Menschen waren, hörte man es überall husten und röcheln, niesen und räuspern. In der Schule fiel einem das Denken schwer, denn die ganze Rübe war voller Rotz.

Das Schlimmste an dieser Eiseskälte aber waren die Abgase von den Autos, weil die sich gar nicht in Luft auflösten, sondern genau auf Kopfhöhe hängenblieben, wo man sie mit vollen Zügen einatmen musste.

Von euch war keiner daheim, es war ja erst drei Uhr nachmittags. Die Faschingsferien standen vor der Tür, der einzige Hoffnungsschimmer in dieser trostlosen Zeit. Ich und Cleo lümmelten auf der Couch herum und redeten darüber, wie blöd alles war und was wir alles nicht machen konnten. Schlittenfahren zum Beispiel ging nicht. Computerspielen ging auch nicht, wegen eurem hundsgemeinen Passwort! Auf Schach hatte ich keine Lust, weil wie gesagt mein Gehirn in einem flauschigen Erkältungskissen schlief und keine Anstrengung ertragen konnte.

Wie auch immer: Irgendwann lösten wir also den Stopfen aus der Amphore und entdeckten dieses zusammengerollte Pergament hier. Es sah noch ganz gut aus, gar nicht so, wie man sich ein altes Blatt vorstellen würde. Ihr kennt ja diese Schatzkarten, die man selber malt, anschließend mit Kaffee bepinselt, damit sie recht vergilbt ausschauen, und dann die Ränder mit einem Zündholz oder einem Feuerzeug ansengt. So und nur so, dachten wir damals, sehen alte Schatzkarten aus.

Unser Pergament aber sah aus, als wäre es erst gestern beschrieben worden. Die Ränder waren glatt, die Schrift nicht verschwommen oder verwischt, ja, nicht einmal ausgeblichen. Das Einzige, was uns klarmachte, dass wir in den Besitz einer uralten Aufzeichnung gekommen sein mussten, waren die Buchstaben selber, die ohne Zweifel anders gezeichnet sind als heute, zum Beispiel mit kleinen Häkchen und Strichelchen versehen. Und natürlich die Worte. Denn es war kein deutscher Text zu lesen, sondern ein „irres Kauderwelsch“, wie Cleo es treffend ausdrückte.

Ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, wie aufgeregt wir über unseren Fund waren, den wir so überraschend gemacht hatten. Cleo hüpfte nervös von einem Fuß auf den anderen und ich konnte überhaupt nicht mehr reden, ohne dass meine Stimme erbebte. Aus heutiger Sicht finde ich unsere große Aufregung mehr als eigenartig, denn wie gesagt: Das Pergament sah ja gar nicht nach einer Schatzkarte aus. Es wirkte viel mehr wie ein unbedeutendes kleines Schriftstück, vielleicht eine Beschreibung der künstlerischen Arbeit des Amphorenbauers oder eine Art alter Garantieschein, um die Amphore bei Unzufriedenheit umtauschen zu können. Es ist mir völlig unerklärlich, warum wir, sobald wir den Zettel sahen, etwas Großartiges dahinter vermuteten. Ja, wir hielten es von Anfang an für eine geheime Botschaft, die man nach allen Regeln der Kunst entschlüsseln musste, um am Ende dafür reich belohnt zu werden. Vielleicht könnte man das mit dem Wort Instinkt beschreiben. Vielleicht gibt es auch gar kein Wort dafür.

Ach übrigens: Cleos Leidenschaft ist das Erfinden von Wörtern, die es noch gar nicht gibt. Er behauptet, dass es viele Dinge oder Gefühle oder Eigenschaften gibt, wofür keine Wörter vorhanden sind. Aber weil man nur über Dinge reden kann, für die es Wörter gibt, falle das keinem Menschen auf.

Zum Beispiel hat er ein Wort erfunden, das heißt Karfrunsch. Mit Karfrunsch ist der Zustand gemeint, dass man in ganz vielen Gesichtern immer wieder ein bestimmtes Gesicht erkennt.

„Wenn man zum Beispiel die Schule schwänzt und stattdessen durch die Innenstadt schlendert,“ erklärte mir mein Freund, „dann kann es passieren, dass man aus Angst, vom Lehrer erwischt zu werden, in jedem Menschen das Lehrergesicht sieht.“

Ich kenne das. Im Advent erkenne ich regelmäßig in jedem bärtigen Mann den Nikolaus und erschrecke mich fast zu Tode. Karfrunsch heißt das also. Ein weiteres sehr nützliches Wort, das Cleo erfunden hat, heißt interissen. Interissen ist ein Verb, das sich aus interessieren und dissen zusammensetzt. Ein unangenehmes Verhalten, das immer im Beisein anderer stattfindet. Es gibt Menschen, die mögen einen nicht besonders, heucheln aber Interesse, und zwar so, dass man durch boshafte Fragen und Bemerkungen vor den anderen dumm dasteht. Da wird man zum Beispiel gefragt: „Und, tust du dich immer noch so schwer in Mathe?“ Oder: „Was ist denn da los? Zwölf Uhr Mittag und du bist schon auf den Beinen?“ Oder: „Isst du unterdessen Gemüse?“ Und wenn man auf die letzte Frage mit „ja“ antwortet, folgt ein: „Ich muss dich enttäuschen. Pizza ist kein Gemüse.“

Solche blöden Fragen und Antworten werden einem nie um die Ohren geworfen, wenn man mit dem Fragesteller allein ist. Und das ist besonders ätzend, weil es ja das Publikum ist, was die Unverschämtheit mit seinem Grinsen und Sprudern perfekt macht.

Ach so, das Wort sprudern kennst du ja auch noch nicht. Das ist mein persönliches Lieblingswort aus dem Cleo-Duden. Es setzt sich aus dem Wort kudern (also lachen) und sprudeln zusammen. Gemeint ist dieser amüsierte Schnaufer durch die Nase, der sich anhört wie eine Mineralwasserflasche, die man das erste Mal aufdreht.

Apropos Flasche: Zurück zum Thema!

Schaut her und staunt! Das hier ist das Kauderwelsch-Pergament, unsere persönliche Flaschenpost:

CARE·AMICE·QVI·EAM·EPISTVLAM·INVENISTI

QVAM·INSIDIOSI·DI·IMMORTALIS·SINT·IMPRIMIS·

NEPTVNVS·A·GENV·VSQVE·AD·LVNAM·FERE·VENI·NVNC·

IN·SCOPVLO·SEDEO·EXSPECTOQ̅ V̅ ·MORTEM·QVAMQVAM·

A·BONIS·PVLCHRIS·CIRCVMDATVM·SVM·QVAERE·ME·VBI·

NVMQVAM·NAVES·NAVIGANT·AVESQ̅ V̅ ·UNDAE·NIDIFICANT·

GAZAM·MEAM·PARTICIPABO·CVM·TIBI·SI·ME·SALVABIS

CN·PISCATOR

„Oh Mann, das ist ja gar kein Kauderwelsch,“ sagte Cleo plötzlich, nachdem er jedes Wort genau studiert hatte, „das ist Latein!“

Ich nickte. Bei dem Wort AMICE hatte es auch bei mir Klick gemacht. Das ist der Vokativ für amicus und das bedeutet Freund. Soviel Latein hatten wir in dem halben Jahr schon gelernt.

„Aber schau mal,“ erwiderte ich dann, „da sind Wörter drin, die haben gar keine Vokale. NVNC zum Beispiel. Das ist doch kein Latein. Lateinische Wörter kann man doch immer aussprechen. Wie zum Beispiel beim lateinischen Namen für Uhu. Der heißt …“

„Dann kann es ja nur Finnisch sein,“ unterbrach mich mein Freund, „denn die Finnen haben viele Wörter ganz ohne Vokale. Die sagen frtzschbppp plmstrtrz zur Ananas!“

„Wachsen in Finnland überhaupt Ananas?“

„Natürlich. Die Ananas wächst ausschließlich in Finnland. Das ist ihre Heimat.“

„Ach was!“

„Freilich. Ist dir noch nie aufgefallen, dass die wie kleine Palmen aussehen? Das liegt daran, dass es kleine Palmen sind. Weil es aber dort oben so saukalt ist, können die Palmen nicht groß werden, sie bleiben klein und werden innen ganz süß.“

„Ich weiß ja nicht.“

„Daher kommt ja die Redensart, dass etwas Kleines süß ist. Das ist der Beweis.“

Manchmal wundere ich mich echt darüber, was Cleo alles weiß. Er sollte Wissenschaftler werden. Sprachwissenschaftler vielleicht. Mit Wörtern und Redensarten hat er’s ja. Andererseits wäre es schade darum, denn er hat ja auch ein sehr gutes Allgemeinwissen. Ob man auch Allgemeinwissenswissenschaftler werden kann?

Sein tatsächlicher Berufswunsch ist so sonderbar wie genial. Er sagt, er möchte später einmal Ecken verkaufen.

„Ecken?“, habe ich dümmlich gefragt.

„Jawohl, Ecken!“, hat er geantwortet. Dann erklärte er mir, dass Ecken die einzigen Dinge wären, die sich vermehren, wenn man sie entfernt. Ich verstand das nicht. Da nahm er ein Blatt Papier in die Hand – einen von den kleinen Notizzetteln, die immer neben unserem Telefon liegen. Er zeigte mir die vier Ecken, wartete geduldig, bis ich alles genau nachgeprüft hatte, und schnitt dann mit einer Schere ein Eckchen ab. Dann zeigte er mir das angeschnittene Papier und ich zählte … fünf Ecken. Und das eine Eckchen, das auf den Boden geschwebt war, hatte plötzlich drei Ecken!

„Genial!“, rief ich.

„Und wenn man bei einem Würfel eine Ecke wegsägen würde, hätte man sogar zwei Ecken mehr am Würfel. Und die weggesägte eine Ecke hätte plötzlich sage und schreibe vier Ecken! Also wären es insgesamt fünf Ecken mehr!“

„Super!“

„Das Beste daran ist, dass ja auch jeder Mensch ständig Ecken braucht“, erklärte Cleo weiter und hielt dabei den Zeigefinger vor seine Nase. „Jedes Haus braucht Ecken, jedes Schulheft braucht Ecken! Bauklötze sind ohne Ecken von Kugeln gar nicht mehr zu unterscheiden. Um was soll meine Oma bei einem Um-die-Ecke-Rätsel herumdenken ohne Ecken? Und was, Hugo, was wäre eine Sitzecke ohne Ecke?“

„Ein bloßer Sitz, sonst nichts!“

Manchmal ärgere ich mich, dass ich mich nur mit Tieren gut auskenne. Sonst lässt mein Wissen nämlich zu wünschen übrig. Wenn ich irgendetwas gefragt werde, was nicht zufällig was mit Tieren zu tun hat, weiß ich keine Antwort. Da bin ich manchmal so begriffsstützig, dass ich mich wundere, wie ich es ans Gymnasium habe schaffen können. Und dabei bin ich ja gar kein soo schlechter Schüler.

Beispielsweise hatte mich an einem Januarnachmittag ein Passant gefragt, wie spät es denn sei. Da habe ich höflich auf meine Armbanduhr geguckt, die ich zu Weihnachten bekommen hatte und die meine erste nicht digitale Armbanduhr war, also eine mit drei Zeigern. Dementsprechend ungeübt war ich noch beim Ablesen der Zeit und habe natürlich prompt den dicken Zeiger mit dem langen Zeiger verwechselt. „26 Uhr 17!“, antwortete ich gewissenhaft. Der Mensch sah erst bestürzt drein, dann runzelte er die Stirn, dann wurde er wütend und wollte mir die Ohren langziehen. Ich konnte gerade noch ins Gebüsch fliehen.

Ein anderes Mal hatte mich ein Touri aus dem Auto gefragt, wo er hinfahren solle. Er wollte zu einer Kunstausstellung, die in Pasing ist. Da habe ich mir gleich Mühe gegeben und ihm den Ort auf einen Zettel geschrieben. Ich wollte es ganz korrekt machen und habe sogar München-Pasing hingeschrieben. Zumindest fast. Ich wollte München-Pasing schreiben, habe aber irgendwie geschusselt oder vom letzten Fußballspiel geträumt oder ich weiß auch nicht. Auf jeden Fall schrieb ich aus Versehen Mönchen-Gladbach auf den Zettel. Der Touri gab’s ins Navi ein und erschrak. Doch auch er fing sich recht schnell wieder und glaubte wohl, wie der Passant, ich wollte ihn reinlegen. Ich konnte mich gerade noch auf mein Radl retten und Reißaus nehmen, bevor er mich packen konnte.

Ja, ich weiß auch nicht, was mit mir nicht stimmt. Ich kriege manchmal Sachen nicht hin, die können Kindergartenkinder schon. Stell dir vor, lieber Leser, ich tu mich schwer beim Schuhbändelzubinden! Als kleineres Kind wollte ich immer Schuhe mit Klettverschluss haben, heute brauche ich solche Schuhe, weil ich in die größte Verlegenheit gerate, sobald sich ein Schuhband löst. Leider sind die Turnschuhe beim Sportunterricht richtige Schuhe ohne Klettverschluss. Einmal, als wir joggen mussten, sind mir da die Schuhbändel aufgegangen und der Lehrer rief, ich solle sie zumachen, sonst würde ich noch drüberstolpern. Das ist natürlich Blödsinn, man stolpert nie über offene Schuhbändel, aber peinlich war es, als ich innehielt, mich hinunterbeugte und sage und schreibe zehn Minuten brauchte, bis ich den Knoten richtig hinbekam. Bei den Klassenkameraden fiel das Gott sei Dank nicht auf – die mussten ja alle joggen –, aber mein Lehrer glaubte, ich wollte nur Zeit schinden, um nicht joggen zu müssen. Er konnte aber bloß schimpfen, weil man als Lehrer ja nicht prügeln darf.

Übrigens: Man merkt schon ungefähr fünf Minuten vorher, dass die Schuhbändel aufgehen werden. Da wird der Schuh plötzlich weiter um den Fuß, der Knoten ist aber noch verknotet. Diesen Zustand hat Cleo Kafrunsch genannt.

„War das nicht schon das Wort für die vielen Lehrergesichter?“, habe ich ihn gefragt.

„Ich glaube manchmal, ich rede mit einem Affen!“, hat Cleo gemotzt. „Karfrunsch hieß das! Karrrrrfrunsch! Das neue Wort heißt aber Kafrunsch. Wenn das dein Gehirn überfordert, dann muss ich mich in Zukunft halt rülpsend mit dir verständigen!“

Manchmal frage ich mich, warum ich mit dem Kerl überhaupt rumhänge.

*

Die Schatzkarte II

„Weißt du, warum es aber doch Latein sein könnte?“, begann ich, nachdem ich eine Weile über Ananaspalmen an finnischen Stränden nachgedacht hatte. „Da steht immer ein V hinter dem Q, siehst du’s? Q steht niemals alleine.“

„Du meinst, mit dem V ist ein U gemeint?“

Wir setzten uns wieder ins Wohnzimmer auf die Couch. Oder sagen wir lieber: Die Sitzecke. Dann nahmen wir einen Zettel in die Hand und schrieben den Text mit Bleistift ab, wobei wir aber die Vs durch Us ersetzten. Außerdem ließen wir die dummen Punkte weg. Das Ganze sah dann folgendermaßen aus:

CARE AMICE QUI EAM EPISTULAM INUENISTI

QUAM INSIDIOSI DI IMMORTALIS SINT IMPRIMIS NEPTUNUS A GENU USQUE AD LUNAM FERE UENI NUNC IN SCOPULO SEDEO EXSPECTO MORTEM QUAMQUAM A BONIS PULCHRIS CIRCUMDATUM SUM QUAERE ME UBI NUMQUAM NAUES NAUIGANT AUES UNDAE NIDIFICANT GAZAM MEAM PARTICIPABO CUM TIBI SI ME SALUABIS

CN PISCATOR

Jetzt tauchten plötzlich mehr Wörter auf, die wir kannten. CUM, SUM, NUNC, QUAM und so weiter. Jetzt konnte es keinen Zweifel mehr geben, dass es sich wirklich um einen lateinischen Text handelte und nicht um einen finnischen.

„Mich würde ja wirklich interessieren, wie alt das Pergament ist“, sagte Cleo, nachdem wir eine Weile unbeholfen auf den Zettel geglotzt hatten. „Wenn wir wissen, was da drinsteht, wissen wir das sicher auch. Vielleicht geben wir’s einfach mal dem Sägesteck.“

„Spinnst du? Und wenn das jetzt wirklich eine Schatzkarte ist? Oder wenn da eine großartige neue Errungenschaft aufgeschrieben ist? Ein neues Wort für eine Eigenschaft, an die niemals jemand denkt, obwohl sie jeder Mensch besitzt. Vielleicht für das flaue Gefühl im Magen beim Anblick von gutaussehenden Fußballspielern.“

„Bitte??“ Ich glaubte, mich verhört zu haben.

„Auf jeden Fall sollten wir den Text selber übersetzen. Nur, um auf Nummer sicher zu gehen.“

Herr Sägesteck ist unser Lateinlehrer.

Jeden Morgen stürmt er in die Klasse, die Tür fällt krachend ins Schloss, alle Schüler springen auf. Der Sägesteck sagt: „Salvete discipuli!“ Und wir antworten: „Salve magister!“ Dann werden die Vokabeln abgefragt. Drei Schüler, je fünf Vokabeln.

Null Fehler: 1.

Ein Fehler: 2.

Zwei Fehler: 3.

Drei Fehler: 4.

Vier Fehler: 5.

Fünf Fehler: 6.

So einfach ist die Welt bei Herrn Sägesteck. Nach fünf Minuten sind drei Noten verteilt. Wer nicht gelernt hat, kriegt einen Sechser, wer gelernt hat, einen Einser.

So grausam das klingt, so entspannt ist dieses System aber auch. Man muss ja bloß vor jeder Stunde fünfzehn Vokabeln lernen und das ist ja wirklich kein Problem. Latein ist sowieso eine sehr schöne Sprache. Man kann die Worte leicht aussprechen, ganz im Gegensatz zum Französischen, wo man Portmonee sagt und Portemonnaie schreibt – so was Hirnverbranntes! Und Englisch ist nicht weniger bescheuert. Da haben die Wörter oft eine ganz falsche Bedeutung. Sandwich heißt übersetzt zum Beispiel Sandhexe. Und Harry Potter heißt behaarter Töpfer. Außerdem lassen die Engländer immer die Endungen weg – auch wenn das noch so dämlich klingt. Die sagen zum Beispiel Rhythm statt Rhythmus. Und Organism statt Organismus. Ich frage mich, ob Apfelmus bei denen dann Apfelm heißt …

Da lob ich mir doch Latein!

Da kennt man einige Wörter schon, andere sind leicht zu merken, wie mater und pater. Ok, man muss einmal die Fälle verstanden haben: Den Nominativ und den Genitiv, den Dativ und den Akkusativ, den Vokativ und den Ablativ. Das ist das einzig Schwere. Aber wenn man das verstanden hat, muss man nur noch seine fünfzehn Vokabeln auswendig lernen.

Genau eine halbe Stunde, nachdem wir das Pergament, die Schatzkarte, gefunden hatten, zogen wir das Felix A aus meinem Schulranzen und begannen mit der Übersetzung. Auf den hinteren Seiten stehen alle Vokabeln, die wir bis zum Ende der fünften Klasse gelernt haben müssen. Wir blätterten und blätterten, radierten die lateinischen Wörter, die wir fanden, weg und schrieben die deutschen Wörter dafür auf den Zettel.

Und Folgendes kam dabei heraus.

lieb Freund QUI EAM Brief INUENISTI

wie INSIDIOSI DI unsterblich sie sind vor allem NEPTUNUS von Geschlecht?? bis zu LUNAM beinahe UENI nun in SCOPULO ich sitze EXSPECTOQ̅U̅ MORTEM obwohl von Güter schöne umgeben ich bin QUAERE mich wo niemals NAUES NAUIGANT AUESQ̅U̅ die Wellen NIDIFICANT GAZAM mein PARTICIPABO mit dir wenn mich SALUABIS

CN PISCATOR

Wir lachten herzlich über diesen Schnickschnack.

„Quaere mich, wo niemals Naues nauigant!“, rief Cleo und wischte sich die Nase mit dem Pulloverärmel.

„Mit dir, wenn du mich saluabis!“, keuchte ich. „Großartig! Was für ein unersetzbarer Fund!“

„Aber Spaß beiseite,“ unterbrach Cleo die Fröhlichkeit mit einem erschreckend ernsten Gesichtsausdruck, „es ist wirklich eine Schatzkarte.“

„Das?“, kicherte ich. „Das soll eine Schatzkarte sein?! Das ist ein schlechter Aprilscherz! Das hätte uns eigentlich gleich auffallen müssen, wenn sich der Schreiber Pisskater nennt!“ Ich grölte vor Lachen.

„Piscator heißt er“, antwortete Cleo, ohne eine Miene zu verziehen. „Außerdem steht da, dass er von lauter schönen Gütern umgeben ist, oder nicht? Und dann sehe ich noch das Wort: Unsterblich!“

Es dauerte noch eine Weile, bis ich mich aufraffen konnte, das Papier ernst zu nehmen, aber Cleo hatte natürlich völlig Recht. Der Teil, den wir schon übersetzen konnten, deutete zweifelsfrei auf einen Schatz hin, wie wir es am Anfang schon vermutet hatten. In welcher Verbindung aber die Unsterblichkeit damit stehen sollte, konnte ich mir gar nicht vorstellen. War der Schatz vielleicht die Unsterblichkeit? Aber man kann doch nicht zwischen lauter schönen Unsterblichkeiten sitzen, wie? „Neptunus habe ich doch auch schon mal gehört“, sagte ich schließlich und legte meine Stirn in Falten, damit Cleo sehen konnte, wie ernst ich das Thema jetzt nahm.

„Neptunus, Neptunus, Neptunus“, flüsterte Cleo. Es klang wie eine Beschwörung. Seine Augen hielt er fest geschlossen, während er offensichtlich scharf nachdachte. Aber dann riss er sie so unverhofft und weit auf, dass ich zusammenfuhr. „Ich hab’s! Ich hab’s! Wir sind so blöd! Wir sind so dämlich!“

„Ich bin nicht blöd“, erwiderte ich, aber er beachtete mich gar nicht.

„Neptunus!“, rief er und starrte mich an, die offenen Handflächen so nach vorne haltend, als würde er einen unsichtbaren Medizinball vor sich hertragen. Dann noch etwas ungeduldiger: „Neptunus …!?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Das ist doch ein Gewürz, Mensch! Das kommt auf jede Pizza drauf“, rief er. „Das wird immer dann verwendet, wenn etwas italienisch schmecken soll! Capito?“

„Meinst du Oregano?“, fragte ich.

„Ore…“, begann Cleo und alle Begeisterung schwand aus seinem Gesicht, „Oregano … ach ja, so ein Rotz! Hab ich verwechselt.“

„Wenn wir ins Internet kämen, wäre alles nicht so schwer. Da könnten wir alle Wörter nachschauen, die uns fehlen.“

„Dieses hundsverreckte Passwort!“

*

Fundbüro und Kommasetzung

In den folgenden Tagen widmeten wir uns voll und ganz der Übersetzung der Schatzkarte. Wir fanden bald heraus, dass wir nicht alle Vs einfach durch Us hätten ersetzen dürfen. NAUIGANT und NAUES zum Beispiel sind keine lateinischen Wörter. Es muss NAVIGANT und NAVES heißen, also übersetzt: Sie segeln und Schiffe. Offensichtlich kannte der Schreiber der Schatzkarte kein U und verwendete deshalb das V für V und U. UV-Licht hätte bei ihm also VV-LVX geheißen.

Immer freitags darf ich eine halbe Stunde ins Internet. Cleo darf häufiger, allerdings nur unter Aufsicht. Und das ging ja überhaupt nicht. Seine Mutter hätte doch sofort Verdacht geschöpft, wenn Cleo da irgendwelche lateinischen Wörter nachgeschlagen hätte. Da hätte sie sicher vermutet, dass irgendwo eine geheimnisvolle Schatzkarte aufgetaucht sei und hätte am Ende seinen Vater angerufen oder meinen Eltern davon erzählt. Und was hätten die dann gemacht, diese vier Herrschaften? Natürlich das, was alle Eltern machen: Sie hätten die Karte ins Fundbüro gebracht. Denn Eltern bringen alles ins Fundbüro.

Einmal, ein einziges Mal in meinem Leben habe ich einen Geldbeutel gefunden, der war so dick wie ein doppelter Hamburger Royal und mit insgesamt hundertzweiundsechzig Euro und siebenundsiebzig Cent belegt. Ich freute mich wie ein Schneekönig über diesen glücklichen Schicksalsschlag und überlegte laut beim Abendessen – es hatte Tagliatelle und Jägerschnitzel gegeben, das weiß ich noch –, was ich mir alles Schönes von meinem Mörderfund kaufen wollte. Ich wollte vor meiner kleinen Schwester und meinen Eltern ein bissel protzen, bereute es aber gleich. Woher, warum, wie und wann, wurde plötzlich gefragt. Ich erzählte, dass ich einen Geldbeutel gefunden hätte und jetzt ein gemachter Mann sei. Nein und auf gar keinen Fall und ins Fundbüro, wurde gesagt. Und als ich mich laut darüber beschwerte, wurde ich auch noch geschimpft.

„Stell dir mal vor, es wäre dein Geldbeutel und du hättest ihn verloren!“, rief Papa.

„Dann würdest du dich auch freuen, wenn den dir jemand wiedergeben würde“, ergänzte Mama.

„Ällabätsch!!“, konterte Bärbel.

Und dann liefen sie gleich los und brachten den vollen Geldbeutel ins Fundbüro. Nach zwei Tagen hatte der Verlierer seinen Geldbeutel zurück und ich bekam läppische dreißig Euro Finderlohn.

„Das fühlt sich doch viel besser an, was?“, freute sich Papa.

„Jetzt hast du was Gutes getan und ein Geld noch obendrein gekriegt“, ergänzte Mama.

„Bäh!“, machte Bärbel und streckte mir die Zunge raus. Das ganze Mädel ist ein Depp.

„Diese Schatzkarte wird niemand ins Fundbüro bringen!!“, rief ich aus und ballte die Fäuste.

„Lieber Hugo“, seufzte mein Deutschlehrer Herr Eichner, „würdest du die Güte haben, meinen Unterricht nicht mit deinem jähen Gebrüll zu unterbrechen?“

Ich hatte ganz vergessen, dass es ja Mittwochvormittag war und ich im Unterricht saß. Einige Mitschüler lachten, andere schauten gefährlich neugierig drein.