denn wer zuletzt stirbt - Christoph Spielberg - E-Book

denn wer zuletzt stirbt E-Book

Christoph Spielberg

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Beschreibung

Krankenhausmisere und Bettenabbau, humanes Sterben und Sterbehilfe – diese Themen verschwinden nicht aus den Schlagzeilen. Dr. Felix Hoffmann widmet sich dem Aufbau einer Nachsorgeabteilung für vorwiegend alte Menschen. Hier kümmert er sich auch um Herrn Winter – und holt ihn gerade noch ins Leben zurück, nachdem die Infusionspumpe ihren Dienst verweigerte. Sollte sein Patient umgebracht werden? Offensichtlich sind Leute am Werk, die nicht nur Erbschaften erwarten, sondern auch auf andere Weise veritable Profite aus dem Ableben alter Menschen schlagen. Bald gerät Dr.Hoffmann selbst ins Fadenkreuz der Verbrecher und plötzlich auch der Polizei. Fast moch schlimmer die Erfahrung, auch noch selbst zum Patienten in "seinem" Krankenhaus zu werden! Pressestimmen: NeueWestfälische: Ein ziemlicher Schocker, aber wie schon beim Debütroman (mit dem Glauser belohnt!) höchst lesenswert. Andrea Fischer im Tagesspiegel Berlin: Dr.Hoffman ermittelt also auch in unserer eigenen Sache. Und er macht es mit für deutsche Verhältnisse erstaunlicher Ironie und Lakonie... ÄrzteZeitung: ...ist beste Krimikost, die so gut verdaulich ist, dass es für den Leser eine Lust ist, die 250 Seiten am Stück zu verschlingen … der Autor schildert so authentisch, dass man am Ende meint, selbst dabeigewesen zu sein. AlanTepper in Eclipsed: Spielberg hat erneut einen schnellen, spannenden und sprachlich hervorragenden Roman vorgelegt....Wer demnächst einen Krimi lesen möchte, sollte sich dieses preisgünstige Taschenbuch zulegen. Dirk Jasper, familie-im-web dot de: Ein spannender und hoch authentischer Krankenhaus-Krimi eines Insiders. Katrin Brand, Westdeutscher Rundfunk: Spielbergs Krimis machen nicht nur Eingeweihten Spaß.

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Inhaltsverzeichnis

Von Christoph Spielberg bisher in der Dr. Hoffmann Reihe erschienen:

Prolog

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Danksagung

Liebe Leserin, lieber Leser,

Impressum

Von Christoph Spielberg bisher in der Dr. Hoffmann Reihe erschienen:

Die russische Spende

Denn wer zuletzt stirbt

Hundertundeine Nacht

Der vierte Tag

Man stirbt nur dreimal

Wiederbelebung

Wunderheilungen und andere unerwünschte Nebenwirkungen

Ein vergiftetes Erbe

Außerhalb der Dr. Hoffmann Reihe:

Der Ein-Euro Schnüffler

Copyright © Christoph Spielberg

Erstausgabe Piper Verlag München 2002

Alle Rechte vorbehalten.

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Prolog

Es war Punkt vierundzwanzig Uhr, exakt der Beginn des neuen Jahres, als die rote Kontrolllampe an seiner Infusionspumpe aufleuchtete. Er hatte nicht mehr damit gerechnet, das neue Jahr lebend zu erreichen, trotz Doktor Hoffmanns Versicherung, dass seine Zeit noch nicht gekommen sei und diese Infusion dafür sorgen würde. Ärzte müssen Hoffnung verbreiten, auch falsche, das gehört zu ihrem Job. Tatsächlich fühlte er sich auch schon besser mit diesem Medikament, das in steter Dosierung in seinen Körper gepumpt wurde.

Egal ob professioneller Optimismus oder qualifizierte medizinische Einschätzung, Doktor Hoffmann hatte recht behalten, er war lebendig im neuen Jahr angekommen. Unglaublich. Seit Weihnachten war es ihm verdammt schlecht gegangen, in der vergangenen Woche hatte Doktor Hoffmann jeden Tag öfter vorbeigeschaut, schon an sich ein schlechtes Zeichen, und bei jeder Visite ein besorgteres Gesicht gemacht. Soweit er es verstanden hatte, war das Problem nicht direkt sein verdammter Prostatakrebs, Folge seines Alters von immerhin zweiundachtzig Jahren und von zu oft verschobenen Besuchen beim Urologen, sondern es hing mit der Schwächung des Körpers durch die Chemotherapie zusammen. Irgendwelche Bakterien hatten die Chance ergriffen, sich in seiner Lunge festgesetzt und von dort aus seine Organe vergiftet. "Sepsis" hatte Doktor Hoffmann gemurmelt und mit einem Doktor Valenta von der Intensivstation das weitere Vorgehen diskutiert.

Dieser Doktor Valenta wollte ihn auf die Intensivstation übernehmen, aber Doktor Hoffmann hatte abgelehnt: Das sei ein zu großer Stress für seinen Patienten, die notwendigen Medikamente könne er auch hier bekommen. So war er an diese Infusionspumpe angeschlossen worden. Tatsächlich kümmerten sich die Schwestern sehr aufmerksam um ihn, sicher liebevoller als das abgestumpfte Personal auf der Intensivstation.

Aber nun leuchtete plötzlich dieses rote Lämpchen. Sollte er sich Sorgen machen? Sicher nicht. Irgendwo würde auf einem Monitor jetzt auch eine Kontrolllampe blinken, gleich würde jemand kommen und die Sache in Ordnung bringen. Falls überhaupt etwas in Ordnung zu bringen war. Er kannte sich aus mit plötzlich aufleuchtenden Kontrolllämpchen, schließlich hatte er fast fünfundzwanzig Jahre seines Lebens im Cockpit von Flugzeugen verbracht: Rote Lämpchen für ein angeblich klemmendes Fahrwerk, das tatsächlich komplett ausgefahren und eingerastet war. Rote Lämpchen für warm gelaufene Triebwerke, die vollkommen normal arbeiteten. Rote Lämpchen haben ein ausgeprägtes Eigenleben. Das sicherste Mittel war noch immer ein kräftiger Schlag auf die Armaturen gewesen, oder sie einfach zu ignorieren. Außerdem hatte erst vor kurzem eine Schwester seine Infusionspumpe überprüft. Um ihn nicht zu stören, hatte sie das Licht nicht eingeschaltet und eine von diesen Minitaschenlampen benutzt.

Er schaute erneut zur Uhr auf dem Nachttisch. Hatte die plötzlich auch einen Defekt? Jedenfalls konnte er die Minutenanzeige kaum erkennen. Auch schienen jetzt zwei Kontrolllämpchen zu leuchten. Es wurde wirklich langsam Zeit, dass sich jemand um die Sache kümmerte. Wie hatte er annehmen können, dass es auf dieser Station einen Zentralmonitor gäbe, auf dem auch eine Kontrolllampe blinkte? Er lag schließlich in der Abteilung für chronisch Kranke, da war sicher schon dieser Infusionsautomat ein Luxus! Und wahrscheinlich aus der Steinzeit der Medizin! Wo war nur der verdammte Rufknopf für die Schwestern? Sonst hing der immer direkt neben seiner rechten Hand, aber da war nichts. Irgendetwas lief ernstlich falsch.

Er versuchte zu rufen, brachte jedoch lediglich ein unartikuliertes Stöhnen heraus, unmöglich, dass ihn jemand hörte. Warum nur war er Privatpatient mit eigenem Zimmer, ohne einen Mitpatienten, der jetzt helfen könnte! Wahrscheinlich wäre die Intensivstation doch besser gewesen. Er versucht aufzustehen. Keine Chance, verdammte Schwäche!

Inzwischen blinkt ein ganzer Weihnachtsbaum von Lämpchen, langsam verliert er die Kontrolle über die Maschine. Links und rechts tauchen englische Spitfire auf, spucken ihm ihre MG-Salven entgegen, unter ihm ist ganz London von Brandherden erleuchtet. Was ist eigentlich mit dem Kopiloten? Schläft der? Unvorstellbar, der muss getroffen sein. Hat er überhaupt einen Kopiloten? Blödsinn, er ist doch Privatpatient im Einzelzimmer! Die Maschine geht in ein unkontrolliertes Trudeln über, verliert rasend an Höhe. Seine Hände am Steuerknüppel gehorchen ihm nicht, er muss sofort aussteigen. Aber das Kabinendach klemmt, und er ist zu schwach, es zu öffnen. Immer mehr englische Jäger beteiligen sich an der Jagd auf ihn, immer dichter rast seine Messerschmitt auf das brennende London zu. In wenigen Sekunden wird sein Körper zerquetscht, in tausend Stücke zerrissen, in brennendem Flugbenzin verbrannt sein. Hatte er eigentlich die Bomben ausgeklinkt?

Plötzlich erlöschen die eben noch nervös blinkenden Warnlämpchen. Das Flugzeug liegt wieder stabil auf Kurs, die Spitfires sind verschwunden. Friedliche Stille im Cockpit, Sonnenaufgang über dem Kanal, am Horizont grüßt schon die Küste der Normandie. Gleich dahinter kann er die Rehwiese erkennen, sein Lieblingsblick vom Wintergarten aus. Alles wird gut.

Herbert Winters Herz stellte seine Tätigkeit um 00:08 Uhr ein. Genau acht Minuten, nachdem die Infusionspumpe wegen einer Störung in den Sicherheitsmodus gewechselt war und dann abgeschaltet hatte.

1

Ich steckte mir eine neue Zigarette an, die dritte an diesem Abend. Meine Freundin Celine findet, ich spiele Russisch Roulette, wenn ich jeweils zu Silvester die Erinnerung an den Sieg über meine Willensschwäche und Suchtstruktur mit ein paar Zigaretten feiere. Doch bisher wenigstens haben die Silvesterzigaretten nicht zu einer erneuten Raucherkarriere geführt, vielleicht bin ich am Ende nicht ganz so willensschwach, wie Celine vermutet.

"Möchtest du auch noch eine?"

Im Schein meines Feuerzeuges konsultierte Schwester Renate, jung und hübsch wie immer, ihre Armbanduhr und schüttelte den Kopf. Es war kurz vor halb zwölf. Ein kalter Tropfen schlich sich aus ihrer roten Weihnachtsmann-Nase und kullerte langsam in Richtung ihres Kussmundes.

"Nein, danke. Ich glaube, ich gehe lieber rüber auf Station und helfe Käthe. Wer weiß, was deine Patienten heute Nacht anstellen. Zuletzt machen sie wieder Polonäse über alle Flure wie zu Weihnachten!"

"Meine Patienten können im Schnitt auf hundertzwanzig Silvesternächte zurückblicken und haben zur Feier des Tages einen kräftigen Punsch bekommen. Ich habe höchst persönlich noch eine Flasche Asbach Uralt aus meinen privaten Beständen hineingeschüttet. Die rühren sich bis morgen Mittag nicht, nicht die kleinste Muskelfaser."

Renate tippelte von einem Bein aufs andere – wegen der Kälte, schien mir damals.

"Ich weiß nicht. Ich gehe lieber Mal gucken. Käthe würde nie von selbst nach Hilfe rufen. Vielleicht bin ich noch pünktlich zum Anstoßen zurück. Falls nicht – schönes neues Jahr, Felix!"

Dass sie Käthe helfen wollte, war ausgesprochen nett von Renate, denn Renate hatte heute offiziell dienstfrei. Aber Käthe war seit Jahren ihre Freundin und würde mit ihrer Hilfe sicher schneller auf der Station fertig werden. Schwester Renate gab mir einen nicht nur freundschaftlichen Kuss und ließ mich, die Hände tief in den Taschen ihres schwarzen Wintermantels vergraben, mit einem ausdrucksvollen Schwung ihrer Hüften alleine vor dem ehemaligen Wirtschaftstrakt unserer Klinik stehen. Alleine stimmt nicht ganz – immerhin leistete mir noch Väterchen Frost Gesellschaft. Meine militanteren Nichtraucher-Kollegen wollten auch zu Silvester nicht vom Volkskiller Nr. 1, dem Passivrauchen, dahingerafft werden. Mein Hinweis, dass sich ohne den frühen Tod der aktiven Raucher ihre Rentenbeiträge mindestens verdoppeln würden, änderte ihre Haltung nicht.

Der Brauch, Silvester gemeinsam in der Klinik zu verbringen, hatte mit dem Jahreswechsel 1999/2000 begonnen. Angesteckt von der allgemeinen Hysterie, dass neben dem Weltuntergang auch der Ausfall unserer Stromversorgung, unserer Beatmungsgeräte, unserer Infusionspumpen und von tausend anderen lebenswichtigen Dingen, die abzusichern wir vielleicht übersehen hatten, drohte, war es seinerzeit zum Streit gekommen, wer vom Personal Silvester in der Klinik verbringen müsse. Und da wir uns nicht einigen konnten, beziehungsweise es schien, als beträfe das Problem potentiell sowieso fast jeden, hatte jemand vorgeschlagen, wir könnten doch einfach gemeinsam in der Klinik feiern und beobachten, wie am 1. Januar 2000 um null Uhr die Welt zusammenbricht.

Nichts dergleichen war geschehen, aber es wurde trotzdem ein lustiges Fest. Und da unser ehemaliger Wirtschaftstrakt nach dem Outsourcing von Wäscherei, Patienten- und Personalverpflegung ohnehin leerstand, hatten wir ihn mit dieser Nacht als großen Partykeller in Besitz genommen. Komplett mit Tischtennisplatte, Kickerspiel und einer Art Bar. Doktor Valenta von der Intensivstation hatte sogar einen ausgedienten Flipperautomaten organisiert und veranstaltet regelmäßige Turniere. Er besteht allerdings darauf, dass dabei um Geld gespielt wird – er ist uns im Flippern weit überlegen.

In der Winterluft um mich herum schwebte noch ein diskreter Duftrest von Schwester Renate, und ich hatte vorerst keine Lust, mich wieder unter die rauchfreie Silvestergemeinde zu mischen. Irgendein Raucher würde mir schon noch Gesellschaft leisten. Natürlich waren im Grund alle froh, dass sie nicht zu Hause für die obligatorische lustig ausgelassene Silvesterstimmung sorgen mussten, aber man kann andererseits zu Silvester kaum seine Kleinfamilie alleine zu Hause sitzen lassen.

Also ist unser Kliniksilvester keine um bunte Papierschlangen, selbst gemachte Salate und reichlich Alkohol erweiterte Personalversammlung, sondern eine Veranstaltung, an der die Familien unserer Mitarbeiter teilnehmen. Sie dürfen sich den ganzen Abend lustige Klinikgeschichten anhören und jedes Silvester aufs Neue entsetzt sein, wie anhaltend wir immer wieder über "die blödeste Fehldiagnose des Jahres" oder "die unnötigste OP des Jahres" lachen können und dass auch ein Arzt durchaus zwischen hübschen und weniger hübschen Patientinnen zu unterscheiden vermag.

In meinem Rücken ging die Tür auf, gedämpftes Lachen drang in die Nacht. Dann hielten mir warme Hände die Augen zu, und ein gut bekannter Körper schmiegte sich an mich.

"Endlich, Marlies, warum hast du mich so lange warten lassen? Oder bist du es, Siglinde?"

"Hat Sexy-Renate dir nicht gereicht?"

"Du weißt, wie sehr ich Liebe brauche. Ich rede nicht gerne davon, aber Celine ist frigide."

Ich bekam einen Tritt gegen das linke Schienbein.

"Der einzige, der hier kalt ist, bist du!"

Meine Freundin Celine nahm ihre Hände von meinen Augen, drückte meine Zigarette aus und gab mir einen Kuss. Aber nur einen kurzen.

"Ich kann es spüren – du hast Renate geküsst!"

Auch das rechte Schienbein bekam seinen Tritt. Wahrscheinlich hatte Celine es nicht gespürt, aber geschmeckt. Schwester Renate benutzt diese Lippenstifte mit Geschmack. Heute war es, glaube ich, Pfirsich-Maracuja gewesen.

"Das stimmt nicht. Ich habe sie nicht geküsst. Sie hat mich geküsst. Ich konnte mich nicht wehren, keine Chance. Ich bin das Opfer!"

Es mag ja stimmen, dass das Rauchen lebensverkürzend ist, aber in diesem Augenblick hat es mir das Leben gerettet – wieder öffnete sich die Tür, ein paar willensschwache Abhängige stolperten zu uns heraus in die Kälte. Und nie würde Celine unter Zeugen morden, dumm ist sie nicht.

"Die letzte für dieses Jahr", verkündete lallend ein aknepickeliger Teenager mit Flaumbart. Ich hatte ihn schon einmal gesehen, wusste indessen nicht, welchem oder welcher meiner Kollegen ich ihn zuordnen sollte. Aber Raucher sind gesellige Menschen, also zündete ich mir noch eine an.

Die letzte bis zum nächsten Silvester, hoffte ich.

2

Piep – piep – piep – piep – ich war noch nicht ganz damit durch, auch den mir zum großen Teil vollkommen fremden Angehörigen meiner Kollegen ein glückliches neues Jahr zu wünschen, als mein Notrufempfänger Alarm gab. Er zeigte die Station C4 als Auslöser des Alarms an. Meine Station. Schwester Käthe und Schwester Renate brauchten Hilfe. Unsere neuen Empfänger sind ziemlich schlau: Auf ihrem Display erscheint nicht nur die Station, sondern auch das Zimmer, in dem Hilfe gebraucht wird.

Als ich es nach einem Spurt über das vereiste Klinikgelände leicht hustend in das Zimmer des Privatpatienten Winter geschafft hatte, sah ich Schwester Käthe voll in Aktion. Sie hatte Winter das Brett vom Kopfende unter den leblosen Körper geschoben, hockte mit gespreizten Beinen auf seinen Oberschenkeln und bearbeitete rhythmisch sein Brustbein. Fast hätte man es für ein etwas derbes Liebesspiel zwischen einer Krankenschwester kurz vor ihrer Pensionierung und einem richtig alten Mann halten können.

Schnell war Winter intubiert, dann tauschten wir ohne ein Wort die Rollen, ich übernahm die Herzmassage, während sich Käthe um ein bisschen Luft für Winters schlaffe Lungenflügel kümmerte. Schwester Käthe und ich sind ein eingespieltes Team, wenn es um Wiederbelebung geht.

Man kann natürlich fragen, ob es besonders sinnvoll ist, einen Zweiundachtzigjährigen zu reanimieren. Das muss man aber, wenn überhaupt, vorher. Käthe hatte schon begonnen und brauchte einfach Hilfe, die Dinge gewinnen dann eine Eigendynamik. Du kniest auf dem Toten, schuftest dich fast selbst zu Tode, aber es gibt nur eine Idee: Es muss klappen! Plötzlich ist es wirklich so, wie sich der Patient den Arzt immer vorstellt: Der Tod ist dein ganz persönlicher Feind. Du – Stoß – wirst – Stoß – mir – Stoß – nicht – Stoß – abkratzen – Stoß – wäre – Stoß – ja – Stoß – noch – Stoß – schöner – Stoß – nun – Stoß – mach – Stoß – endlich – Stoß – mit – Stoß – du – Stoß – Pfeife! Eine gut durchgeführte Herzmassage hat tatsächlich etwas von einem aggressiven Beischlaf, auch der Rhythmus ist ziemlich der gleiche. Und, unglaublich, wir hatten Erfolg! Nach endlosen zehn Minuten begann der gute Winter wieder selbst ein bisschen zu atmen. Käthe merkte es als erste.

"Ich glaube, wir haben ihn."

Diskret und noch nicht ganz regelmäßig hob und senkte sich Winters Brustkorb.

"Na, klar haben wir ihn, Käthe. Sie waren Spitze, wie immer. Außerdem, wir müssten Erfolg haben. Ich habe ihm noch den kommenden Frühling versprochen, als Minimum."

Ob sie besonders sinnvoll war oder nicht, eine erfolgreiche Wiederbelebung schafft eine tiefe Befriedigung unter den Beteiligten. Auch Schwester Käthe strahlte über ihr verschwitztes Gesicht.

"Dann hoffe ich, dass es ein schöner Frühling wird dieses Jahr."

Es lässt sich ganz gut zu zweit reanimieren, aber mit einem Dritten geht es noch besser. Der kann zum Beispiel Medikamente anreichen oder telefonieren.

"Wo ist eigentlich Renate?" fragte ich Käthe.

Käthe hob die Schultern.

"Keine Ahnung. Vorhin war sie noch hier."

"Dann müssen wir den Guten alleine für den Transport auf die Intensivstation fertig machen. Sie können schon mal drüben anrufen, dass wir bald kommen."

Dass hier etwas falsch gelaufen war und Winter nicht wirklich eines natürlichen Todes gestorben wäre, fiel mir erst auf, als wir uns jetzt bemühten, unseren Erfolg wenigstens bis zum Erreichen der Intensivstation zu stabilisieren. Denn die Tatsache, dass Winter wieder selbst atmete, hieß noch lange nicht, dass er es in fünf Minuten auch noch tun würde. Sein Blutdruck war noch ziemlich im Keller, sein Puls flach und unregelmäßig. Vom Altbau C4, jetzt unsere Abteilung für chronisch Kranke, bis rüber in den mittlerweile auch vierzig Jahre alten "Neubau" würden wir zehn Minuten brauchen. Dabei würden wir zweimal in einem Fahrstuhl eingeschlossen sein und den Rest der Zeit mit der Trage über den Innenhof schippern, und weder ein enger Fahrstuhl noch ein Innenhof bei sieben Grad minus sind ideale Orte für eine erneute Wiederbelebung. Also hatte Käthe schon einen schönen Pharmacocktail gemixt – ein bisschen Dopamin, ein bisschen Verapamil, ein wenig Kalium, damit sollte der gute Herr Winter bis zur Intensivstation auskommen.

"Welche Stufe wollen Sie, Doktor?"

Als erfahrene Schwester hatte Käthe die Medikamente selbst zusammengestellt, sie wollte von mir nur noch wissen, mit welcher Geschwindigkeit die elektrische Infusionspumpe den Überlebensmix in Winters Körper drücken sollte.

"Erst einmal volle Kanne, Stufe 3."

Sicher ist sicher. Klick – nichts tat sich. Auch wiederholtes Knipsen am On/Off-Schalter erweckte die Infusionspumpe nicht zum Leben. Allerdings hatten es inzwischen sowohl Käthe wie auch ich so oft probiert, dass wir nicht wussten, ob am Beginn unserer Bemühungen der Schalter auf "on" oder "off" gestanden hatte.

"Hatten Sie die Pumpe vorhin abgestellt?"

Käthe überlegte.

"Keine Ahnung, Doktor. Ich glaube nicht. Ich meine, ich bin hereingekommen, habe gesehen, dass es ein Problem gibt, und habe angefangen."

"Hatte es denn Fehlfunktionsalarm gegeben?"

"Nein – jedenfalls habe ich ihn nicht gehört. Ich war ins Zimmer gekommen, um Winter ein schönes neues Jahr zu wünschen."

Winters Herz konnte nicht lange stillgestanden haben, sonst hätten wir es nicht geschafft. Wie lange er tatsächlich weg gewesen war, würde sich in ein paar Stunden oder Tagen herausstellen. Erst dann würden wir wissen, ob wir nur seinen Kreislauf wiederbelebt hatten oder, hoffentlich, auch sein Hirn.

"Wissen Sie noch, wann Sie zuletzt nach Winter gesehen hatten?"

"So gegen halb elf, da war alles in Ordnung. Er wäre wieder gegen halb zwölf dran gewesen, aber da hatte Renate schon nach ihm geschaut."

Richtig. Renate hatte mir gesagt, sie wolle Käthe helfen, bevor sie verschwunden war. So weit, so gut. Nur – wo war Schwester Renate jetzt? Genügend Lärm hatten wir sicher gemacht in der letzten Viertel Stunde. Aber jetzt hatten wir andere Probleme. Käthe besorgte eine neue Infusionspumpe, während ich zur Sicherheit die Intubation noch einmal auf richtige Lage überprüfte, schließlich wollten wir auf unserer Partie über das Klinikgelände seine Lunge und nicht seinen Magen beatmen.

Zu guter Letzt haben wir ihn lebend auf der Intensivstation abgegeben, alles Weitere war nun deren Bier.

Ich begleitete Schwester Käthe zurück zum Altbau. Aus dem Wirtschaftstrakt klang die Musik jetzt ziemlich laut über das Gelände, man hatte sich warm getanzt und die Fenster geöffnet. Doch die Partygemeinde würde noch eine Weile auf einen Tanz ins neue Jahr mit Doktor Felix Hoffmann verzichten müssen, ich wollte zurück in Winters Zimmer. Celine würde mich nur nerven, mit ihr zu tanzen, und bei meinen Tanzkünsten ist mir jede Ausrede recht. Wie zum Beispiel die Frage, warum Winters Infusionspumpe plötzlich ihre Arbeit eingestellt hatte.

Diese Pumpen sind einfach aufgebaut, meine Suche dauerte nicht lange. Einmal mehr machte sich meine Vergangenheit als oft gescholtener Zerleger mechanischer Wecker und anerkannter Reparateur streikender Toaster oder elektrischer Zahnbürsten bezahlt. Die Pumpe war vollkommen in Ordnung: Der Schalter funktionierte einwandfrei, der Druckkolben war nicht festgefahren, die Kontakte waren sauber. Es war einfach nur die Sicherung durchgebrannt. Unglaublich, Winter wäre uns fast wegen der Fehlfunktion eines Zehn-Cent-Artikels gestorben! Frohes neues Jahr!

3

Neujahrsmorgen, kein Dienst in der Klinik – eine ideale Gelegenheit zum Ausschlafen, sollte man meinen. Doch die Kinder in der Nachbarschaft hatten schon lange ausgeschlafen und durchkämmten die Gegend nach Blindgängern unter den Feuerwerkskörpern von heute Nacht, leider durchaus erfolgreich. Immer, wenn ich fast wieder eingeschlafen war, knallte es irgendwo in der Nähe. Schließlich fasste auch ich einen Vorsatz für das neue Jahr: Ich würde mir endlich eine neue Wohnung suchen!

Celine schien vollkommen unbeeindruckt von den an Heftigkeit zunehmenden Artilleriegefechten direkt vor meiner Haustür. Mit provozierend regelmäßigen Atemzügen lag sie träumend neben mir, wie immer auf dem Bauch. Ich glaube, weil sie ihre Nase zu groß findet. Was natürlich absolut blödsinnig ist. Celine hat keine Stupsnase, stimmt, sondern eine Nase mit Charakter, wie man so sagt, für mich der Unterschied zwischen einer auswechselbaren Cover-Schönheit und meiner scharfsinnigen, attraktiven und zu jeder Unternehmung aufgelegten Celine. Eine ihrer Zehen lugte frech unter der Bettdecke hervor und erkundigte sich in gespielter Anteilnahme, warum ich nicht auch noch etwas schliefe.

Gegen halb zehn war ich der Unterhaltung mit dieser Zehe leid und entschied, dass Celine jetzt lange genug geschlafen hätte. Mit vorsichtigen Bissen ins Ohrläppchen holte ich sie zurück ins Leben. Langsam kam meine Gefährtin zu sich, blinzelte und rümpfte die Nase.

"I gitt! Du riechst wie ein voller Aschenbecher, in den jemand sein abgestandenes Bier geschüttet hat!" Sie drehte sich von mir weg und sprach mit ihrem Kissen. "Du musst mindestens eine ganze Stange Zigaretten mit Sexy-Renate geraucht haben, mal abgesehen davon, was ihr sonst noch getrieben habt."

Kaum anzunehmen, dass sich Celine mit dem neuen Jahr zu einem eifersüchtigen Nörgelpaket gewandelt hatte. Es ging nicht um Eifersucht, Beziehungsdrama oder ähnlichen Mumpitz, sondern um etwas wirklich Wichtiges: Würde es ihr gelingen, mich rechtzeitig ins Unrecht zu setzen, wäre die Frage des Tages entschieden, nämlich, wer als erster das warme Bett verlassen, die Kaffeemaschine anschmeißen und die gefrorenen Brötchen aufbacken müsste.

"Du bist ungerecht, meine Liebe. Es war schrecklich kalt da draußen. Irgendwie müssten Renate und ich uns doch warm halten!"

Ich trollte mich in die Küche. Im Grunde genommen hatte sich Celine gestern Abend sicher lieber ungestört mit ihrer Freundin Beate unterhalten als mit meinen Tanzkünsten. Seit Beate nach der Sache mit der "russischen Spende" den Posten der Verwaltungsdirektorin unserer Klinik übernommen hatte, sahen die beiden sich nur noch selten.

Während frischer Kaffee und backende Brötchen meine Küche in diesen unvergleichlichen Sonntag-Morgen-Duft tauchten, erkundigte ich mich nach Winter. Ich bekam Doktor Valenta an den Apparat, unseren altgedienten Fährmann auf der Barke zwischen gerade noch am Leben und noch nicht ganz tot sein, und wie zu erwarten, war Valenta sauer. Nicht nur, weil er im Gegensatz zu mir auch den Rest der Nacht in der Klinik verbracht hatte, mehr noch, weil er mit meinem Vorgehen im Fall Winter nicht einverstanden war.

"Du hast Glück gehabt, Felix. Besser, dein Patient hat Glück gehabt. Jedenfalls hat er bisher keine großen Probleme gemacht. Wir werden ihn nachher von der Beatmung nehmen und schauen, ob er dann was zu sagen hat."

Valenta machte eine Pause, ich wusste, es würde noch etwas kommen.

"Aber, selbst wenn dein Herr Winter jemals wieder mehr als 'alle meine Entchen' herausbringen sollte, ist der Fall vielleicht eine gute Gelegenheit, dass du deine Einstellung zur Intensivstation überdenkst, Felix."

Für Valenta war die Sache klar – Winter hätte schon vor drei Tagen auf seine Intensivstation gehört. Eigentlich hatte sich Winter nach der Chemotherapie recht gut erholt und lag nur noch zur besseren Einstellung seines Zuckers bei meinen Chronikern. Gegen Weihnachten hatten wir auch den ziemlich im Griff, die Entlassung stand unmittelbar an. Sogar die Hauspflege und der fahrbare Mittagstisch waren organisiert, eine ziemliche Leistung zwischen den Feiertagen.

Ausgerechnet da hatte er sich, wohl doch noch als Folge der Chemotherapie, aber vielleicht auch bei der berühmten Patientenpolonäse am Heiligen Abend, einen bösen Infekt eingefangen. Zuerst sah es so aus, als würden unsere Antibiotika ihren Job erfüllen, doch dann stiegen die Temperaturen wieder an, der Zucker erst recht, und sein Blutdruck kräpelte irgendwo zwischen sechzig und siebzig herum: Langsam aber sicher rutschte uns der Patient in eine Sepsis.

Herbert Winter war zwar Jahrgang 1919, aber noch vollkommen klar im Kopf. Er schrieb an einem Buch über den Luftkampf um England im Zweiten Weltkrieg, hatte weiterhin Freude am Leben, ein Abonnement für die Philharmonie und bis zur Chemotherapie nie eine Karte verfallen lassen. Deshalb hatten wir, Arzt und Patient gemeinsam, beschlossen, der Sache noch eine Chance zu geben. Winter bekam durchaus eine Intensivtherapie, mit Infusionspumpe und allem an Medikamenten, was gut und teuer (und manchmal sogar hilfreich) ist, aber nicht auf der Intensivstation, sondern in seinem Zimmer.

Da in seinem Fall der Aufwand an Technik überschaubar war, wollte ich ihm die Gesellschaft von maschinell beatmeten Dreiviertelleichen und die aufbauende Unterhaltung mit ein paar Wiederbelebungen pro Tag in den Nachbarbetten ersparen. Ich war in ähnlichen Fällen wiederholt so verfahren, immer mit deutlicher Kritik von Heinz Valenta, obgleich ein ähnlicher Zwischenfall mit der nicht mehr ganz modernen Technik auf unserer Station bisher nie vorgekommen war.

"Es war nur eine durchgebrannte Sicherung, Heinz!"

"Und genau davon rede ich, Felix. Sicherungen können durchbrennen. Auch bei uns auf der Intensivstation. Der Unterschied ist nur, wir merken es sofort. Was deinen Patienten betrifft, kann es gut sein, dass wir zurzeit ein totes Hirn beatmen."

Frohes neues Jahr!

"Ich glaube nicht, dass er so lange weg war, dafür haben wir ihn zu schnell zurückbekommen. Schwester Renate hatte erst kurz vorher nach ihm geschaut."

Am anderen Ende der Leitung entstand eine kurze Pause.

"Schwester Renate?"

"Ja. Wir passen auch ein bisschen auf unsere Patienten auf."

Irgendetwas schien Valenta zu stören. Damals dachte ich, es wäre nur die Verärgerung, dass ich ihm meine Patienten immer zu spät auf die Intensivstation verlege. Jedenfalls war er plötzlich sehr kurz angebunden.

"Wie gesagt. Nachher versuchen wir ihn von der Beatmung abzunehmen. Dann werden wir ja sehen."

Er legte auf.

Ich gab Winter gute Chancen: Während meines Telefonats waren weder die Brötchen verbrannt noch der Kaffee über den Filter gelaufen. Ein gutes Omen. Eingedenk ihrer bösen Aschenbecherbemerkung gurgelte ich kräftig mit Celines Mundwasser, packte das Frühstück auf ein Tablett und hoffte, Celine in gnädigerer Stimmung anzutreffen. Trotz der Kritik von Valenta war mir immer noch nach einem schönen Neujahrsmorgenbeischlaf. Und mit meinem Einsatz in der Küche hatte ich ihn mir auch verdient, schien mir.

Celine hatte kein Problem damit, sich von meinem Tablett zu bedienen. Zu der erwarteten Belohnung jedoch führte das nicht.

"Ich habe schreckliche Kopfschmerzen. Was mixt ihr da eigentlich zusammen für eure Feste?"

Nun war ich doch ein wenig sauer.

"Was immer es ist – bei Renate jedenfalls hat es phantastisch gewirkt."

Was man nicht so alles sagt, um ein paar lächerliche Punkte zu machen! Und welche Ironie: In einigen Monaten würde mir dieser Satz in Renates Wohnung wieder einfallen, und, wie recht ich gehabt hatte.

4

Eines war aus Erfahrung klar – mit Celine war bis zum frühen Nachmittag nichts anzufangen. Wollte ich nicht ausgerechnet den Neujahrstag mit einem Streit verschönern, ginge ich ihr vorerst am besten aus dem Weg. Also machte ich mich auf die Socken und besorgte die Neujahrszeitung. Es gab mir das gute Gefühl, zu sehen, dass auch andere Leute in der vergangenen Nacht arbeiten mussten.

Über der Lektüre von Meldungen, die ich schon aus dem Fernsehen kannte, und dem unerfreulichen Blick auf den Stand meiner Aktien im Börsenteil wurde es Mittag. Celine war nur kurz aufgetaucht, um gleich wieder mit Reiseteil und Feuilleton in meinem Schlafzimmer zu verschwinden, wahrscheinlich schlief sie schon wieder. Und auch mich überkam diese plötzliche Müdigkeit vom Nichtstun, die weitaus bleierner ist als die Müdigkeit von zu viel Arbeit. Innerhalb von Sekunden war ich auf der Couch eingeschlafen.

Dank meiner Wohnlage nicht für lange: Die Kinder aus der Umgebung hatten sich nach dem Mittagessen zu einer zweiten Runde Blindgängersuche aufgemacht. Und ihre Eltern hatten beschlossen, dass jetzt eine gute Zeit war, die in der Silvesternacht reichlich angefallenen Flaschen in den Glassammelcontainer zu entsorgen.

Celine, da war ich sicher, konnte dies alles nicht stören, ich hingegen saß wieder senkrecht auf meiner Couch. Aber hatte ich nicht ohnehin heute Morgen den Entschluss gefasst, endlich aktiv nach einer neuen Wohnung zu suchen? Schließlich war mein letzter Wohnplatzwechsel über fünfzehn Jahre her. Damals war ich vom Medizinalassistenten zum Vollassistenten aufgestiegen, von zwanzig Quadratmetern Studentenwohnheim zu meinen heutigen fünfundsechzig Quadratmetern Mietwohnung und einrichtungsmäßig von Jaffa zu Ikea.

Seitdem hatte sich an meinem Wohnumfeld nichts wesentlich geändert, sieht man davon ab, dass ich meiner Matratze, die ursprünglich auf dem Boden lag, vor einiger Zeit zur Belohnung für treue Dienste und schöne Stunden mit einem schicken Bettgestell belohnt habe.

Ich machte mir frischen Kaffee und studierte die Immobilienanzeigen. Unter "Vermietungen" fand sich nichts Überzeugendes, zumindest, wenn ich "verkehrsgünstige Lage" richtig mit anhaltendem Hupen und quietschenden Bremsen übersetzte und "kinderfreundlich" mit ständigem Streit um Förmchen und Eimerchen direkt unter meinem Fenster. Doch eine Wohnung kaufen? Das stand im Widerspruch zu meiner Mentalität, nur nicht festlegen, und leider auch zu meiner Finanzlage. Trotzdem, die Anzeige hörte sich nicht schlecht an: drei Zimmer, hundertfünfzehn Quadratmeter, sonnig, Terrasse nach Südwesten, absolut ruhige Lage in Nikolassee. Eilverkauf, deshalb preisgünstig.

Ja, das Objekt sei wirklich ein Schnäppchen, versicherte mir der Makler, dessen Handynummer ich gewählt hatte. Und es wäre wirklich ein Eilverkauf. Wenn ich wolle, könnten wir uns in einer halben Stunde in der Wohnung treffen. Warum nicht – ich sagte zu. Celine schlief immer noch oder schon wieder, der Reiseteil lag wild um das Bett herum verstreut, das Feuilleton wohl zum Schutz gegen das Tageslicht auf dem Gesicht. Ich zog die Decke diskret über ihren appetitlichen Po und ließ sie schlafen.

"Hey, ich bin Manfred Marske, nennen Sie mich Fred."

Der Makler war mir auf Anhieb unsympathisch, die Wohnung hingegen sofort sympathisch. Trotz des trüben Januartages waren die Räume lichtdurchflutet und gut geschnitten, Badezimmer und Küche technisch auf aktuellem Stand, das gesamte Objekt machte einen sehr gepflegten Eindruck. Sogar die in der Annonce erwähnte Terrasse war nicht nur Abstellplatz für einen eingeklappten Liegestuhl. Einen Teil der Terrasse hatte man zu einem Wintergarten ausgebaut, der Blick ging auf einen wunderschönen Garten, von nirgends war Verkehr oder Kindergekreische zu hören. Zeit für meine Fangfrage.

"Gefällt mir, die Wohnung, gefällt mir wirklich. Das Problem könnte meine Tochter sein, zehn Jahre. Gibt es Kinder im Haus, mögliche Spielgefährten?"

Makler Manfred Fred Marske hatte eine Klippe zu umschiffen.

"Na, ja, soweit ich weiß, hier im Haus, nicht direkt ..."

Er zählte die drei weiteren Parteien auf, zwei ältere Ehepaare und eine alleinstehende Dame, alle ohne Kinder im Haus. Wunderbar.

"Und Sie sehen ja den Garten, der ist eigentlich nicht primär als Spielplatz angelegt. Aber, da kann man sich bestimmt einigen mit den anderen Bewohnern. Und – Freunde und Freundinnen findet Ihre Tochter doch sicher in der Schule ..."

Schön, auch diesen Test hatte die Wohnung bestanden. Das konnte Fred nicht wissen, er legte noch nach.

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass die anderen Bewohner etwas gegen ein Federballnetz oder einen Basketballkorb im Garten einzuwenden hätten ..."

Die anderen Bewohner vielleicht nicht. Aber der Makler wollte endlich weg von meiner angeblichen Tochter und zog mich wieder in die Wohnräume.

"Sie müssen sich das Objekt natürlich mit Ihren eigenen Möbeln vorstellen. Allerdings, wenn Ihnen das eine oder andere Stück gefällt, können Sie sich sicher mit der Verkäuferin einigen."

Makler Manfred schien in einer Welt voller Harmonie zu leben – ich würde den Garten unter dem Applaus meiner Mitbewohnern zu einem Fußballfeld umgestalten, mich über ein paar Möbel mit der Verkäuferin einigen. War dieser Makler noch nie auf einem geplatzten Scheck oder einer frisierten Bankbürgschaft sitzen geblieben?

Tatsächlich war die Wohnung noch fast vollständig möbliert, durchaus anspruchsvoll und solide, nur ein paar Stücke waren wohl schon weggeschafft worden. Den letzten großen Möbelkauf hatte die Verkäuferin offensichtlich Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre gemacht. Und wo war sie jetzt? Im Altersheim? Tot? Es ging mich nichts an, und Makler Fred kam von selbst nicht darauf zu sprechen. Einige der Möbel gefielen mir wirklich, vielleicht würde ich sie übernehmen. Falls ich die Wohnung überhaupt kaufen würde beziehungsweise mir leisten könnte.

"Na, ja, es ist natürlich auch eine Sache des Preises."

Fred war sofort in vertrautem Fahrwasser.

"Ich sagte Ihnen schon am Telefon, es ist ein Eilverkauf. Deshalb der äußerst günstige Preis. Sie können mit diesem Objekt absolut keinen Fehler machen. Ich würde mit einer Wertsteigerung von mindestens zehn Prozent im Jahr rechnen. Bei dieser Lage! Das ist eine Geldanlage, weitaus sicherer als Aktien, das kann ich Ihnen garantieren!"

Da hatte er recht, aber genau das war mein Problem: Hätte mein Aktienpaket wenigstens das Kursniveau gehalten, auf dem Kollege Valenta mich seinerzeit zum Einstieg an der Börse überredet hatte, besäße ich fast die zwanzig Prozent Eigenkapital, ohne die es wohl kaum Sinn haben würde, bei meiner Bank wegen einer Eigentumswohnung vorzusprechen. Damals standen Aktien wirklich gut, das letzte Allzeit-Hoch. Und genau zu diesem Allzeit-Hoch hatte ich meine Aktien gekauft.

Wir verblieben damit, dass ich bei meiner Bank nachfragen würde, vielleicht hätte man dort mehr Vertrauen in die Zukunft meines Aktienpakets als ich. Schließlich hatte man es mir ja in Hinblick auf sein enormes Wertsteigerungspotential verkauft. Aber ich bemerkte lieber noch, dass ich eventuell auch an einer Mietwohnung interessiert sei.

"Keine gute Lösung, aber auch kein Problem", antwortete Fred deutlich weniger enthusiastisch als bisher. "Ich versichere Ihnen, wie auch immer, wir finden die ideale Wohnung für Sie. Kommen Sie einfach morgen Abend in meinem Büro vorbei, dann sehen wir uns ein paar Objekte in meiner Angebotsmappe an."

Fred stieg in einen überdimensionierten Geländewagen, Typ einmal Sahara und zurück, ich war zu Fuß. Das gab ihm keine Gelegenheit, meine Finanzkraft abzuschätzen. Wäre ich mit meinem inzwischen sechzehn Jahre alten Golf vorgefahren, hätte er wahrscheinlich das Treffen für morgen auf der Stelle abgesagt.

Zu Hause hatte Celine mir eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen. Sie habe noch Migräne und schliefe sich in ihrer Wohnung aus, am Abend würde es ihr sicher wieder gutgehen. Falls ich Lust hätte, solle ich mich melden.

Lust habe ich fast immer. Vorher aber erkundigte ich mich auf der Intensivstation nach dem aktuellen Stand bei meinem Patienten Winter und bekam den diensthabenden Doktor an den Apparat. Wie erwartet, war Doktor Valenta inzwischen nicht mehr in der Klinik. Das hatte ich abgewartet, denn falls die Sache nicht gut ausgegangen war, hatte ich momentan keine Lust, mich ihm gegenüber zu rechtfertigen.

"Alles im grünen Bereich, Felix. Wir haben ihn ab von der Beatmung, er schnauft ordentlich und unterhält uns prächtig. Im Moment fliegt er gerade einen Sturzangriff auf den Buckingham-Palast. Kannst du seine Luftbremsen hören?"

Ich war froh. Winter war noch durch den Wind, aber das war normal. Er würde es schaffen. Also hatte ich ein gutes Gefühl, als ich am Abend zu Celine ging. Und wurde tatsächlich voll entschädigt für meine Frustration heute morgen. Alles andere wäre auch verwunderlich gewesen, denn Celine ist den kostenlosen Freuden des Lebens mindestens ebenso zugetan wie ich.

5

Nichts Aufregendes in der Klinik am nächsten Tag. Herbert Winter lag immer noch auf der Intensivstation, flog aber nur noch zeitweise in seinem Stuka über London. Die anderen Patienten meiner Station für chronisch Kranke waren weniger dramatisch in das neue Jahr gekommen, zum Teil, ohne dass sie es gemerkt hätten, oder, ohne dass das Datum eine größere Rolle gespielt hatte. Bis auf die Frage, ob dies nun der letzte erlebte Jahreswechsel gewesen wäre.

Meine Station C4 umfasst knapp sechzig Betten und nimmt den gesamten Altbau ein. Sie ist das Ergebnis langer Verhandlungen mit dem Senat von Berlin über den Abbau von Krankenhausbetten, ein seit Jahren anhaltendes Dauerdrama, das zur Schließung ganzer Kliniken geführt hat. Durch einen Vorschlag von mir und dank dem Verhandlungsgeschick unserer Verwaltungsdirektorin Beate war die Klinik letztlich mit einem blauen Auge davongekommen: Von den dreihundertfünfundzwanzig Akutbetten der Humana-Klinik konnte Beate immerhin zweihundertzehn retten und sechzig – selbstverständlich bei erheblich gesenktem Tagessatz – als Betten für chronisch Kranke erhalten.

Natürlich waren alle Kollegen froh über die geretteten Betten und beglückwünschten mich zu meiner tollen Idee, aber keiner war allzu heiß darauf, die neu geschaffene geriatrische Abteilung zu übernehmen – eine Pflegestation für alte Menschen hört sich kaum nach einer Expressfahrkarte zum Medizin-Nobelpreis an. Und ehe ich mir das Gejammer meiner Kollegen anhören wollte, "warum ausgerechnet ich" und "wie soll ich auf der Geriatrie je meinen Facharzt bekommen?", blieb der Job wenigstens vorerst an mir hängen, da ich die Facharztanerkennung lange in der Tasche habe und der Verantwortliche für die Dienstpläne und die ärztliche Stationsbesetzung bin. Unausgesprochen fanden die Kollegen diese Lösung auch ganz richtig, denn, wie gesagt, war das mit der Chronikerstation doch sowieso Hoffmanns Idee gewesen. Manchmal bestraft die Geschichte eben auch den, der zuerst kommt.

Die ärztlichen Herausforderungen auf einer geriatrischen Abteilung sind begrenzt, andererseits hat die Arbeit mit den alten Menschen auch ihre Vorteile. Unter anderem geht es weniger hektisch zu, man kann besser über seine Zeit verfügen als auf den Akutstationen. So hatte ich zum Beispiel kein Problem, meine Verabredung mit dem Immobilienmakler Fred einzuhalten. Auf meinem Schreibtisch lag zwar ein Memo von Verwaltungsdirektorin Beate, dass sie mich zu sprechen wünsche, aber ich hatte eine ziemlich gute Vorstellung, was sie bereden wollte. Deshalb war mir im Moment mein Neujahrsprojekt "Verbesserung der Wohnsituation Doktor Hoffmann" wichtiger.

Makler Fred residierte in der Knesebeckstraße, einer inzwischen wieder ziemlich eleganten Seitenstraße des Kurfürstendamms. Sein Büro gefiel mir nicht besonders, auf Neubauformat reduzierte Hepplewhite-Imitate sollten eine Seriosität vermitteln, die durch seine Rolex ohnehin konterkariert wurde. Ich gab ihm eine Kurzzusammenfassung meines Telefonats mit der Bank, die sich leider trotz des in ihrer Werbung verbreiteten Optimismus hinsichtlich der Zukunft auf dem Aktienmarkt im Allgemeinen und ihrer Fonds im Besonderen nicht in der Lage sah, mein Aktiendepot entsprechend dieser Einschätzung zu kreditieren. Immerhin, Fred bewahrte eine freundliche Miene.

"Natürlich fahren Sie mit Eigentum langfristig immer besser. Aber ohne Frage finden wir auch ein schönes Mietobjekt für Sie, bis sich der Aktienmarkt wieder erholt hat. Und bestimmt etwas, das zugleich den Wünschen Ihrer Tochter entgegenkommt, mit Spielplatz und anderen Kindern im Haus."

So etwas nennt man wohl ein Eigentor! Musste meine gestern erst geborene Tochter in naher Zukunft einem tödlichen Unfall zum Opfer fallen? Oder würde ich sie nur an ein Schweizer Internat verbannen?

Hinsichtlich seiner Hoffnungen für den Aktienmarkt war ich nicht so sicher, da schien mir aktuell sogar die Prognose meiner Patienten günstiger. Immerhin aber hatte sich Makler Fred vorerst mit der Aussicht auf zwei Monatsmieten Vermittlungsprovision abgefunden.

"Der Markt für Mietobjekte ist zurzeit ganz günstig, speziell für etwas größere Objekte. Sie wissen selbst, was in Berlin alles für die Leute aus Bonn gebaut wurde, wie verrückt. Und nun stellt sich heraus, dass unsere Staatsdiener lieber ihr Wüstenrot-Häuschen mit Blick über den Rhein behalten und hier in einem Einzimmerappartement hausen, oder gleich bei ihrer Sekretärin, und wöchentlich auf unsere Kosten hin und her geflogen werden. Unsere Di-Do Beamten! So eine Arbeitszeit wünsche ich mir auch!"

Na, klar, ich bin auch neidisch auf Leute, die nur Dienstag, Mittwoch und Donnerstag arbeiten müssen. Aber wenn ich dadurch zu einer ruhig gelegenen Wohnung komme, sollte mir das im Moment recht sein. Makler Fred bat mich, einen Fragebogen auszufüllen: Meine Wünsche bezüglich Wohnungsgröße und Wohnungsumfeld, was ich dafür monatlich ausgeben könnte, mein Beruf, mein Gehalt.

"Sie sind also Arzt!"

Arzt fand er gut, verhieß das doch wenigstens für die Zukunft die Chance auf sechs Prozent Verkaufsprovision.

"Niedergelassen oder noch in der Klinik?"

"Ich arbeite an der Humana-Klinik."

Hatte Fred in der Humana-Klinik schlechte Erfahrungen als Patient gemacht? Einen Angehörigen verloren? Er machte keine entsprechende Bemerkung, aber irgendwie schien seine Haltung mir gegenüber verändert. Anders als angekündigt, legte er mir keine Angebote vor, keine Fotos, keine Adressen. Plötzlich hatte er es eilig, murmelte etwas von einem wichtigen Termin, den er fast vergessen hätte, und dass er sich melden würde, sobald er etwas Passendes für mich gefunden hätte. Wahrscheinlich arbeitete er lieber mit niedergelassenen Ärzten, einer in der Regel deutlich finanzkräftigeren Klientel als wir an der Klinik.

Am nächsten Vormittag rief ich nach der Visite im Büro unserer Verwaltungsleiterin an. Beate ließ mir mitteilen, ich könne gleich kommen.

Dienstliche Besprechungen mit Beate sind eine etwas zwiespältige Sache. Beate ist die beste Freundin von Celine, und seit unseren gemeinsamen Aktivitäten in Sachen "russische Spende" sind wir auch direkt befreundet. Aber in der Klinik ist sie, wenigstens in verwaltungstechnischen Angelegenheiten, meine Vorgesetzte. Es ist ihr Job, die Interessen der Klinik wahrzunehmen. Wobei die Interessen der Klinik nicht immer den Interessen der Ärzte entsprechen, oder denen der Patienten.

"Habe ich dir eigentlich schon ein frohes neues Jahr gewünscht?"

Beate erhob sich hinter ihrem Schreibtisch und dirigierte mich in die "gemütliche Ecke" ihres überdimensionierten Büros.

"Weiß nicht mehr genau – bei mir wurde es ja kurz nach Mitternacht etwas hektisch. Jedenfalls dankeschön, und dir auch ein frohes neues Jahr."

"Und – irgendwelche guten Vorsätze?"

"Ich suche mir eine neue Wohnung."

"Na, endlich! Wie groß denn?"

Beate blickte mich unschuldig an, doch ich hatte ihre Frage verstanden.

"Nein, Celine und ich werden auch in Zukunft nicht zusammen wohnen – dafür liegt uns beiden zu viel an unserer Beziehung."

Tatsächlich befinden sich die Wohnungen von Celine und mir in derselben Straße und liegen fast unmittelbar einander gegenüber. So wohnen wir faktisch nicht weiter auseinander als manche Leute in einer größeren Villa, jedoch in dem Gefühl wechselseitiger Unabhängigkeit. Und es ist einfach netter, Celine zu besuchen, als in einer gemeinsamen Wohnung über ihre herumliegenden Klamotten zu stolpern.

Ich schaute mich in Beates Büro um. Es gab deutliche Veränderungen, seitdem hier nicht mehr Doktor Bredow beziehungsweise Professor Dohmke residierten, jedenfalls glaube ich nicht, dass das Büro der Verwaltungsleitung vorher jemals afrikanische Kunst gesehen hatte. Von den Wänden und aus den Regalen blickten nun holzgeschnitzte Masken mehr oder weniger drohend auf den Besucher, und auf dem mächtigen Schreibtisch tanzte eng umschlungen ein gut genährtes afrikanisches Pärchen.

---ENDE DER LESEPROBE---