Hundertundeine Nacht - Christoph Spielberg - E-Book

Hundertundeine Nacht E-Book

Christoph Spielberg

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Beschreibung

Berlin im Frühjahr 2003: Wird George W. Bush den Irak angreifen? Verfügt Saddam Hussein tatsächlich über Massenvernichtungswaffen? Muss sich auch Deutschland auf Vergeltungsanschläge mit diesen Waffen vorbereiten? Was den Klinikarzt Dr. Felix Hoffmann in dieser Situation noch mehr umtreibt, ist das Schicksal seiner Freundin Celine, die mit einer humanitären Hilfslieferung in den Nordirak gefahren war – und dort verschwunden ist: Sie sei bei der Durchführung eines Bombenattentats umgekommen. Das passt absolut nicht zu seiner pazifistischen Freundin! Private Kanäle im Irak stützen diese Behauptung allerdings, und das Auswärtige Amt mauert bei weiteren Nachfragen ebenso wie die irakische Botschaft. Wem kann Felix trauen? Dem plötzlich aufgetauchten Gastarzt aus dem Irak? Dem Industriellen Sommer mit seinen exzellenten internationalen Verbindungen? Den kurdischen Exilgruppen? Und warum interessiert sich plötzlich der mächtige CIA für einen unbedeutenden Krankenhausarzt, will sogar einen zweiten Hilfstransport unterstützen? Felix Hoffmann muss erkennen, dass er mitten in Berlin zum Spielball unterschiedlichster Interessengruppen und Geheimdienste ist, die zwar wenig zimperlich in der Wahl ihrer Mittel, zum Glück aber weder omnipotent noch besonders intelligent sind. Wie in "die russische Spende", "der vierte Tag" und "denn wer zuletzt stirbt" erzählt Spielberg spannend, kenntnisreich und witzig, mit ironischen Seitenhieben auf seine Arztkollegen und den deutschen Medizinbetrieb. Eine fesselnde und unterhaltsame Lektüre, beschliche den Leser nicht das beängstigende Gefühl, dass es sich um einen Tatsachenbericht handeln könnte. Pressestimmen zu "Hundertundeine Nacht" Saarbrücker Zeitung "Krimi der Woche" (birn): Christoph Spielberg...hat einen Politthriller ersten Ranges geschrieben. Allan Turner in Eclipsed: Mit diesem Roman hat Spielberg einen Level erreicht, der ihn mit solchen Größen wie zum Beispiel Frederick Forsyth auf eine Stufe stellt! P.S. Zürich: Eine süffige Geschichte ists, zum Hineinziehen in einem Zug! Magazin Irgendwo in Deutschland: Spielberg erzählt in "Hundertundeine Nacht" eine ausgeklügelte und spannungsreiche Agentengeschichte. Es scheint ein Stück aus dem Tollhaus zu sein, nur irgendwie absolut glaubwürdig und so gar nicht zusammenfabuliert. Lesen! Krimizeit: Wie schon in seinen vorigen Romanen schafft es Christoph Spielberg auch diesmal wieder, aktuelle Themen in eine amüsante, kurzweilige Krimihandlung zu packen.

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Inhaltsverzeichnis

In der Dr. Hoffmann Reihe bisher erschienen:

Memo

NSA-interne Kommunikation:

1

2

3

Stückgutfrachter MS "Virgin of the Sea"

4

5

6

Berlin office, progress report (ref. III-77-1414)

7

8

9

10

11

Stückgutfrachter MS "Virgin of the Sea"

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14

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16

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Bundesamt für Verfassungsschutz

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20

21

Bundesamt für Verfassungsschutz

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27

Berlin office

Bundesamt für Verfassungsschutz

Bundesamt für Verfassungsschutz

Bundesamt für Verfassungsschutz

28

29

30

31

32

Bundesamt für Verfassungsschutz

Bundesamt für Verfassungsschutz

Bundesamt für Verfassungsschutz

33

34

From: Headquarters, Langley, Va.

35

36

Position 08o50'Süd / 13o15'Ost, Luanda (Angola)

37

38

Bundesamt für Verfassungsschutz

Bundesamt für Verfassungsschutz

39

Operation Enduring Freedom – Horn of Africa (OEF-HOA)

40

Bundesamt für Verfassungsschutz

41

42

From: Office of Special Operations, The Pentagon

43

Eilmeldung: US-Präsident Bush befiehlt Angriff auf den Irak

Anmerkungen und Danksagung des Autors

Liebe Leserin, lieber Leser,

Impressum

In der Dr. Hoffmann Reihe bisher erschienen:

Die Russische Spende

Denn wer zuletzt stirbt

Hundertundeine Nacht

Der vierte Tag

Man stirbt nur dreimal

Wiederbelebung

Wunderheilungen und andere unerwünschte Nebenwirkungen

Ein vergiftetes Erbe

Außerhalb der Dr. Hoffmann Reihe:

Der Ein-Euro Schnüffler

Personen und Handlung sind frei erfunden

© Christoph Spielberg

Erstveröffentlichung: Piperverlag, München 2003

Memo

Von: Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland, StS von Schmöllendorf

An: Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Amman, Königreich Jordanien, Referat Irak, Geschäftsträger a.i. LR Drebner.

Betreff: Ihr nächster Gesprächstermin im Außenministerium der Republik Irak

1. Betreff Absage Besuch Wirtschaftsdelegation: Auch wenn der geplante Besuch einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation aus der BRD wegen der aktuellen Lage und aus Rücksicht auf die USA vorerst abgesagt werden muss, ist BRD unverändert an wirtschaftlichen Kontakten zur Republik Irak und deren Intensivierung interessiert. Dies muss insbesondere gegenüber den Technokraten und örtlichen Fabrikleitern, von denen anzunehmen ist, dass sie auch nach einem evtl. Regimewechsel unsere Gesprächspartner bleiben, unmissverständlich zum Ausdruck gebracht werden. Hermes-Bürgschaften ebenfalls mit Rücksicht auf USA z.Zt. nicht möglich, Lösungsmöglichkeiten in Zusammenarbeit mit deutschen Großbanken in Arbeit.

2. Betreff deutsche Staatsbürgerin Celine Ulrike Bergkamp: Es ist gegenüber den irakischen Behörden mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass Frau Bergkamp nicht im Auftrag der BRD in die Republik Irak gereist ist, Aufenthalt und Aktivitäten Frau Bergkamp im Irak rein privater Natur. Es liegt nicht im Interesse der BRD, dass der Fall Bergkamp die Beziehungen BRD/Irak belastet.

3. Betreff Kurdenproblematik: Die BRD betrachtet Verhältnis der Regierung Irak zur irakisch-kurdischen Bevölkerung als interne Angelegenheit der Republik Irak. Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten entspricht nicht der Politik der BRD. Duldung oder Asyl von Kurden aus dem Irak in der BRD erfolgt aus humanitären, nicht politischen Gründen. Noch einmal darauf hinweisen, dass Regierung der BRD auf Berichterstattung in deutscher Presse keinen Einfluss hat.

4. Die Position der Regierung der BRD zu den US-amerikanischen Drohungen gegenüber der Republik Irak ist bekannt.

NSA-interne Kommunikation:

(Der hier vorliegende Ausdruck dieser abgehörten Nachricht ist mit dem Stempelaufdruck "Secret Spoke" einer der niedrigen Geheimhaltungsklassen für NSA-Dokumente zugeordnet.)

From:

NSA Bad Aibling, Germany

To:

NSA Headquarters, Fort Meade, Maryland

Report 22-49876-451

Source: ECHELON

Technique: MEMEX

Original language: Arabic

Von:

Ministerium für auswärtige Angelegenheiten der Republik Irak, Bagdad

An:

Nasif Hamdai, Geschäftsträger, Botschaft der Republik Irak, Berlin, Deutschland.

Betreff: Frachtsendung aus Damaskus. Flughafen Berlin-Tegel, Flug LH 1600 aus Frankfurt, Eintreffen Mittwoch, 17:05 Uhr (Ortszeit).

Aufgabe: Feststellung, ob Sendung eintrifft. Wer Sendung entgegennimmt. Verbleib der Sendung. Bericht unverzüglich.

Analyse / Bewertung NSA: folgt

1

Als Celine endlich aus Bagdad zurückkam, waren wir hundertundeinen Tag getrennt gewesen. Und hundertundeine Nacht. Nicht, dass wir sonst all diese Nächte zusammen verbracht hätten, dazu waren wir schon zu lange ein Paar. Aber hundertundein Tage bedeuteten vierzehn Samstage, an denen wir nicht das Wochenende mit einem Frühstück zu zweit eingeleitet hatten, und vierzehn Sonntagabende ohne den Spaß des gemeinsamen Kochens. In diesen hundertundein Tagen war aus anfänglichen guten Wünschen banges Warten geworden, seit zwei Wochen schließlich schreckliche Gewissheit. Deshalb war mir Celines Rückkehr aus dem Irak jetzt irgendwie gleichgültig. Natürlich fuhr ich trotzdem zum Flughafen.

Flug LH 1600 aus Frankfurt landete um 17 Uhr 11 mit sechs Minuten Verspätung auf der Landebahn 08. Ein kurzer Kippler nach rechts, vom Autopiloten sofort ausgeglichen, dann wirbelte die kleine Wolke aus Gummi und Staub auf, als das Fahrwerk Bodenkontakt bekam. Wenn nicht selbst an Bord, halte auch ich Fliegen für die sicherste Sache der Welt, und Celine war ohnehin immer gerne geflogen.

Celines Eltern standen am Gate 12 und starrten auf das Flugfeld – eine kleine Frau, die sich an ihrer Handtasche festhielt, daneben der Vater, Augen geradeaus, in fast militärisch stoischer Haltung. Kaum zu glauben, dass die beiden gerade gut zehn Jahre älter als ich waren! Ich hatte sie nur kurz gegrüßt und mich dann abseits gehalten. Schließlich war es ihre Tochter, die nach fast einem halben Jahr endlich zurückkehrte, schon vor Tagen waren sie nach Berlin gekommen und hatten hier gewartet. Während die Maschine jetzt langsam ausrollte, tauchte ein offiziell wirkender Mann bei den Eltern auf, schien ihnen etwas zu erklären und nahm sie dann mit, fort aus meinem Blickfeld.

Ich hatte mich zu Celines Empfang nicht besonders herausgeputzt, mein legerer Aufzug würde Celine genauso wenig stören wie die fehlenden Blumen. Eher könnten die Leute vom Bundesgrenzschutz irritiert sein, junge Männer, kaum der Pubertät entwachsen. Mit ihren schussbereiten Maschinenpistolen bevölkerten sie das gesamte Terminal, musterten mich misstrauisch nach der unter meinem Wintermantel versteckten Handgranate oder Boden-Luft-Rakete. Mit den täglich schärferen Tönen aus Washington und dem jüngsten al-Qaida-Drohvideo war die Situation auf dem Flughafen merklich angespannt, die Sicherheitsvorkehrungen noch einmal verstärkt worden.

Während die ersten eiligen Passagiere aus Frankfurt, die Geschäftsleute mit ihren Aktentaschen und dem Parkticket vom Morgen, schon zum Parkdeck eilten, beobachtete ich, wie eine Ebene tiefer das Gepäck über ein Förderband aus dem Bauch der Maschine kam. Koffer natürlich, ein paar Kinderwagen, dazwischen ein Surfbrett und zum Schluss zwei Paar Ski. Dann wurde das Förderband weggeschafft, ein Gabelstapler nahm seinen Platz ein und fuhr die Hebearme auf die Höhe der Gepäckklappe aus. Vorsichtig platzierten die Transportarbeiter den Zinksarg, ebenso vorsichtig ließ ihn der Mann im Gabelstapler hinunter. Jetzt sah ich auch Celines Eltern wieder, stumm standen sie dort unten neben dem großen Flugzeug, etwas hinter ihnen der Mann, der sie eben im Empfangsbereich abgeholt hatte.

Der Gabelstapler setzte behutsam zurück, beschrieb eine kleine Kurve und verschwand mit seiner Last unter dem Terminal. Mit schweren Schritten folgten ihm die beiden so schnell gealterten Leute. Ihre Tochter war heimgekehrt.

Im Flughafen Berlin-Tegel wird die Luftfracht direkt unter dem Passagierterminal abgefertigt. Wahrscheinlich öffnete der Zoll gerade den Sarg, zur Kontrolle, dass keine Drogen oder Giftgasampullen auf diesem Weg nach Deutschland eingeschleust würden. Die Zeiten von Särgen als Transportmittel für derlei Dinge sind zwar lange vorbei, aber vielleicht rechnet unser Zoll mit ein paar Nostalgikern unter Bagdads Drogenbaronen.

Ich ging zu meinem Wagen und ließ Celines Eltern allein mit ihrem Schmerz. Sie hatten deutlich gemacht, dass der Empfang des Sarges ihre Sache war, Doktor Hoffmann dabei unerwünscht. Wahrscheinlich gaben sie mir die Schuld an Celines Ausflug nach Bagdad und an seinem tödlichen Ausgang. Zu Unrecht, die ganze Sache war allein Celines Idee gewesen. Aber das war nun egal.

Ich kannte diese Leute ohnehin kaum. Einmal hatte ich Celine ins elterliche Reihenhaus in Hamburg-Bergedorf begleitet, zu einem Weihnachtsfest, das in einem Riesenkrach zwischen Eltern und Tochter endete.

"Und warum heiratet dich dieser Doktor dann nicht?" war es zu mir nach oben gedrungen, wo ich gerade das Präsent für Celine in ökologisch absolut inakzeptables goldenes Geschenkpapier einwickelte. "Du musst sehen, dass du endlich mal dein Leben ordnest."

Das kam von Leuten, deren Lebenshöhepunkt darin bestand, dass Gudrun Ensslin angeblich einmal bei ihnen übernachtet hatte!

"Dieser Doktor heiratet mich genauso wenig, wie ich diesen Doktor heiraten werde!"

Auf Wunsch von Celine packten wir noch vor dem Frühstück unsere Sachen und verschwanden zurück nach Berlin.

Nur noch ein weiteres Mal traf ich die beiden, vor zwei Jahren, bei der Beerdigung von Celines Lieblingsonkel Kurt – oder Fritz.

Auf dem Parkplatz des Flughafen Tegel spendierte ich dem Automaten die gewünschten drei Euro, winkte der Überwachungskamera freundlich zu und sortierte mich auf die Stadtautobahn. Die Klinik würde mich heute nicht mehr sehen. Ich würde mir zu Hause einen schönen Mozart auflegen, etwas Heiteres. Vielleicht die Violinkonzerte oder Così fan tutte. Trauer ist schon traurig genug.

2

Es wurde nichts mit Mozart und mir. Kaum hatte ich aus meiner ständig wachsenden Kollektion von Fernbedienungen die für den CD-Spieler gefunden, nachdem erst das Radio mich angebrüllt und dann der Fernseher losgegangen war, standen zwei ordentlich gekleidete Herren vor der Tür. Ob sie mich wohl ein paar Minuten sprechen könnten? Ich erklärte ihnen, dass ich mein Fernsehprogramm jede Woche kostenlos bei Tchibo mitnähme, für Zeitungen oder Zeitschriften keine Zeit und auf Spenden oder eine neue Religion keine Lust hätte.

"Und bei der GEZ habe ich mich schon vor einem Jahr angemeldet!" ergänzte ich.

"Wir sind nicht von der GEZ. Wir hätten Ihnen gerne ein paar Fragen zu Frau Celine Bergkamp gestellt, wenn Sie nichts dagegen haben."

Dabei hielt mir jeder eine Plastikkarte mit seinem Konterfei unter die Nase, aber das machte mich erst recht misstrauisch. Denn eigentlich war ich an diesem Abend nicht unfroh über irgendeinen Besuch und hätte die beiden wahrscheinlich einfach eingelassen, hätten sie nicht so bedeutungsvoll mit ihren Plastikkarten gewedelt.

"Wen kann ich anrufen, wo kann man mir Ihre Legitimation bestätigen?"

"Kein Problem. Wählen Sie 226 570, und fragen Sie nach dem Diensthabenden. Dort wird man uns legitimieren."

Ich bin im Grunde ziemlich gutgläubig, vielleicht hing meine Reaktion mit Celine und dem Sarg zusammen.

"Mir wäre es lieber, sie gäben mir den Namen ihrer Behörde. Dann suche ich mir die Nummer selbst aus dem Telefonbuch heraus."

Nach einigem Blättern fand ich es: Bundesamt für Verfassungsschutz, Außenstelle Berlin, Mauerstraße 34-38, 10117 Berlin. Telefon 226 570 stimmte. Irgendwie fand ich es auch wieder tröstlich, in einem Staat zu leben, dessen Geheimdienst im Telefonbuch steht. Ich nahm mir vor, demnächst zu schauen, ob die Leute auch eine Homepage betrieben, zum Beispiel mit den Fotos aller Mitarbeiter, oder wenigstens das Foto des "Mitarbeiters des Monats". Jedenfalls wurde mir unter der Telefonnummer 226 570 versichert, dass die Herren Jablonske und Waldeck in offiziellem Auftrag kämen und die Bundesrepublik Deutschland meine Kooperation zu schätzen wisse.

Mir gegenüber hatte diese Bundesrepublik Deutschland bei meinen Nachforschungen zu Celines Verschwinden keine übermäßige Kooperation gezeigt, aber ich war interessiert, was die Herren aus der Mauerstraße 34-38 wollten oder mir mitzuteilen hätten.

Sie standen noch immer im Hausflur, direkt vor meinem Türaufkleber mit den zwei dicknasigen Polizisten und der Aufschrift: "Wir müssen leider draußen bleiben." Den hatte Celine dort einmal angeklebt, und nach meinen Erfahrungen mit Hauptkommissar Czernowske letztes Jahr war er da geblieben.

Endlich eingelassen, schauten sich Jablonske und Waldeck mit mehr als professioneller Neugier um. Ich kannte das schon, mein Hauswart hatte es einmal so ausgedrückt: "Ist doch interessant, mal zu sehen, wie ein Arzt so wohnt" - und war sicher ebenso enttäuscht gewesen wie jetzt die Herren vom Verfassungsschutz. Was stellen sich die Leute vor? Einen heimlichen OP in der Küche? Einen Sack voll Drogen in jeder Ecke? Vergoldete Wasserhähne?

Jablonske zog erst einmal ein Papiertaschentuch hervor, schnaubte sich ausführlich und murmelte entschuldigend "Stirnhöhlen", vielleicht in Erwartung eines kostenlosen ärztlichen Wundertipps. Vergebens.

Kollege Waldeck begann mit der Befragung.

"Können Sie uns Ihr Verhältnis zu Frau Bergkamp beschreiben?"

Eine berechtigte Frage, schien mir, wollten die beiden abwägen, wie viel von ihren Informationen sie mit mir teilen würden. Allerdings, woher wusste der Verfassungsschutz überhaupt von unserer Beziehung? Meine entsprechende Frage wurde nicht direkt beantwortet, aber schließlich war ich in den Wochen nach Celines letztem Anruf, direkt von der Grenze zwischen der Türkei und dem kurdischen Irak, häufig genug im Auswärtigen Amt vorstellig geworden. Immer hatte mich derselbe freundliche Legationsrat empfangen, immer mit demselben Bescheid, dass er tue, was in seiner Macht stehe, aber...

"Celine Bergkamp und ich waren Freunde."

"Und wie gute Freunde, bitte?"

"Sehr gute Freunde. Enge Freunde. Seit Jahren."

"Aber sie wohnten nicht zusammen?"

"Nein. Doch Sie wissen sicher, dass Celine gleich gegenüber wohnt – gewohnt hat."

"Aber trotzdem enge Freunde, ich verstehe." Offensichtlich nicht, wie seine nächste Frage zeigte.

"Und warum waren sie nicht verheiratet?"

Hatten Celines Eltern mir die beiden geschickt? Ich musste schmunzeln. Celines Eltern wurden beim Verfassungsschutz sicher immer noch als potentielle Staatsfeinde geführt, obgleich aus ihrem angekündigten langen Marsch durch die Institutionen ein flotter Marsch in die Bürgerlichkeit geworden war. Wahrscheinlich deshalb ging es jetzt mit Politik weiter, nachdem ich ihre letzte Frage unbeantwortet gelassen hatte.

"Sagen Sie, Doktor Hoffmann, teilen Sie die politischen Ansichten von Frau Bergkamp?"

Celines politische Ansichten waren einem täglichen Wechsel unterworfen und zumindest ebenso verworren und widersprüchlich wie meine Vorstellungen zu den ersten zehn Millisekunden nach dem Urknall oder der Frage, wie ein Reißverschluss tatsächlich funktioniert.

"Sie kennen Frau Bergkamps politische Ansichten?"

Jablonske war weiter mit seiner Sommergrippe beschäftigt, Waldeck fuhr fort.

"Nach unseren Informationen soll sich Frau Bergkamp sehr aktiv in verschiedenen oppositionellen Gruppen betätigt haben."

Für den Moment schluckte ich meinen aufkommenden Ärger hinunter.

"Celine Bergkamp hat sich immer für Gerechtigkeit und Menschenrechte eingesetzt, für die Chancengleichheit aller. Sie war recht aktiv in ProAsyl – ist das in Ihren Augen ein gefährlicher Verein? Verstößt jemand, der sich für die Rechte von Asylanten einsetzt, gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland?"

"Na ja, immerhin gibt es Fotos von Frau Bergkamp auf verschiedenen Anti-Globalisierungsdemonstrationen. Auch von solchen, die in erheblicher Gewalt gegen die Polizei mündeten."

"Celine nahm immer Partei für die Schwächeren, die Benachteiligten. Für sie bedeutete Globalisierung die Fortsetzung unseres westlichen Kolonialismus auf hohem Niveau. Das macht sie in meinen Augen noch längst nicht zu einer Bombenlegerin in Bagdad."

Waldeck blieb unbeirrt.

"Sie selbst, Herr Doktor Hoffmann, waren über lange Jahre Assistentensprecher in Ihrer Klinik, richtig?"

Langsam nahm die Sache Konturen an. Den beiden vom Verfassungsschutz ging es nicht um Celines Schicksal im Irak, oder gar, mich darüber zu informieren. Sie waren hier am Aufspüren und Ausheben einer Terrorzelle! Ich erhob mich.

"Entschuldigen Sie meine Naivität. Für einen Moment war ich tatsächlich davon ausgegangen, dass Sie mir etwas zum Tod von Frau Bergkamp mitteilen könnten. Wenn das nicht der Fall ist, haben Sie heute Abend sicher noch wichtige Aufgaben, von denen ich Sie nicht abhalten will."

Waldeck sprang auf, Gesicht hochrot, wollte etwas sagen. Wahrscheinlich etwas wie, dass er auch anders könne oder dass ich mich nicht zu sicher fühlen solle. Der ohnehin verschnupfte Kollege Jablonske hingegen blieb sitzen, schnaubte erneut laut und ausführlich, inspizierte das Ergebnis im Taschentuch und räusperte sich.

"Herr Doktor Hoffmann. Wir vom Verfassungsschutz sind manchmal etwas betriebsblind und stellen dann Fragen, die missverstanden werden können."

Eine deutliche Kritik am Kollegen Waldeck, Jablonske hatte mich leicht auf seine Seite bekommen.

"Ich schlage vor, wir beginnen unser Gespräch einfach von vorne. Wir sind an der Aufklärung des Schicksals von Frau Bergkamp genauso interessiert wie Sie, das können Sie mir glauben. Aber dazu brauchen wir ein paar Hintergrundinformationen. Zum Beispiel, wie es überhaupt zu diesem Hilfstransport von Frau Bergkamp in das irakische Kurdistan kam, wer ihr dabei geholfen hat. Wären Sie bereit, uns dazu ein paar Auskünfte zu geben?"

Wahrscheinlich handelte es sich nur um das alte Spiel guter Kommissar und böser Kommissar, aber ich ging darauf ein. Eventuell würden die beiden schließlich doch noch mit etwas Wissenswertem herausrücken. Also setzte ich mich wieder. Waldeck auch.

"Ich habe es bereits erklärt. Celine hat sich immer für Benachteiligte eingesetzt. Besonders engen Kontakt hatte sie zuletzt zu den kurdischen Asylanten bei uns, dadurch hat sie viel über die Situation im Irak erfahren. Unter anderem, wie wenig die Bevölkerung vom UN-Programm 'Brot für Öl' profitiert. Das meiste von diesem Geld geht in weitere Paläste für Saddam Hussein, der Rest an befreundete Familien. Mag sein, dass zum Schluss sogar ein paar Cent für die Bevölkerung übrigbleiben. Die dreizehn Prozent jedenfalls, die Saddam davon den Kurden abgeben muss, reichen dort hinten und vorne nicht. Die würden ohne den Ölschmuggel in die Türkei verhungern! So kam die Idee auf, Medikamente zu sammeln, bei uns in der Klinik und bei niedergelassenen Kollegen, die kostenlosen Ärztemuster zum Beispiel. Das war der Anfang. Später kamen ausrangierte OP-Instrumente dazu, schließlich unsere ausgemusterte Röntgenanlage. Zusätzlich haben wir fleißig Geldspenden eingeworben."

Ich sah keinen Grund zu erwähnen, dass uns die vorschriftsmäßige Entsorgung der alten Röntgenanlage in Deutschland einige Hunderttausend Euro gekostet hätte.

"Aber dies hätten Sie doch alles einer erfahrenen Hilfsorganisation wie dem Roten Kreuz übergeben können. Die machen so etwas schließlich andauernd."

"Da war Celine strikt dagegen. Selbst wenn alles korrekt läuft, argumentierte sie, versickert bei diesen Organisationen zu viel in der Verwaltung. Zusätzlich verdienen bei dieser Methode eine Menge Leute an abgelaufenen Lebensmittelkonserven oder ausrangierten Bundeswehrzelten. Der Rest verschwindet schließlich vor Ort."

"Trotzdem, so einen Transport quer durch Europa zu organisieren und ihn dann noch selbst anzuführen ..."

"Das hat auch mir überhaupt nicht gefallen, aber hierzu hatte Celine ebenfalls eine dezidierte Auffassung. Sie meinte, die großen Hilfsorganisationen würden häufig dieselben Leute beauftragen, die sonst die illegalen Waffentransporte durchführen oder Drogen durch die Gegend karren. Sie kennen Frau Bergkamp nicht. Als sie sich zu Fahrstunden für den LKW-Führerschein angemeldet hatte, war klar, dass sie die Sache durchziehen und niemand sie davon würde abhalten können."

"Aber ich habe Bilder gesehen, dass zum Beispiel das Rote Kreuz solche Konvois auch selber durchführt."

"Und die Funktionäre dieser humanitären Organisationen überwachen dann vor Ort alles weitere vom Barhocker aus, Zutritt für örtliche Bevölkerung tabu."

Ich wusste natürlich, dass ich nicht ganz fair war, dass es Hunderte von Helfern gibt, die vor Ort direkt in diesen Flüchtlingscamps arbeiten. Ich sprach von den Funktionären. Diese Leute hatte ich letztes Jahr auf einer Ärztetagung in Nairobi erlebt, bei der natürlich auch wir Mediziner in einem entsprechenden Luxusschuppen residiert hatten.

"Und woher kamen die Lastwagen für den eigenen Konvoi?"

Schmunzelnd erinnerte ich mich an die sogenannten Transportmittel, die Celine und Heiner ursprünglich vorgesehen hatten: ausgediente Transporter von der Paketpost, von irgendwelchen Freunden zu Wohnwagen oder rollenden Imbissbuden umgebaut.

"Wie weit, meint ihr, kommt ihr mit diesen Rostlauben?"

"Hast du was Besseres?"

"Lass mal überlegen."

So kam ich auf Herrn Sommer.

"Wir sind auch an die Industrie wegen Spenden herangetreten, Pharmafirmen, Firmen für medizinische Geräte, unsere Zulieferer eben. Zu der Zeit hatte die Klinik gerade den Auftrag für eine Neuinstallation der Gasversorgung in der Chirurgie zu vergeben, neue Leitungen und Pumpen für Sauerstoff, Druckluft, Narkosegase und so weiter. Natürlich war das kein offizielles Junktim, aber die Firma Sommer, eine der führenden Firmen auf dem Gebiet in Deutschland, hat den Auftrag bekommen – und uns zwei ihrer Firmenlastwagen kostenlos überlassen. Dazu hat Herr Sommer noch eine komplette Trinkwasseraufbereitungsanlage für Kurdistan spendiert! Die haben wir diesmal allerdings nur zur Hälfte mitbekommen, der Rest wartet auf die nächste Fuhre."

Vielleicht war es mein Schmunzeln, jedenfalls fand es Kollege Waldeck an der Zeit, sich wieder in die Vernehmung einzuschalten.

"Ein Menschenfreund, dieser Herr Sommer, was?"

"Das weiß ich nicht. Jedenfalls ein guter Geschäftsmann. Darüber hinaus war ihm bekannt, dass die Klinik in naher Zukunft eine neue Abwasseraufbereitung braucht. So etwas macht seine Firma auch."

"Wer hat den anderen LKW gefahren?"

Keine gute Frage, was mich persönlich betraf.

"Ein Freund von Celine aus der ProAsyl-Gruppe."

Freund Heiner eben, den Celine zunehmend häufig als Autorität zitiert hatte, wenn wir verschiedener Meinung waren. Freund Heiner war spurlos im Irak verschwunden, nicht einmal ein Sarg bisher.

Waldeck, dem bei dem Begriff "Asyl" oder "ProAsyl" jeweils ein leichtes Zucken der Unterlippe das Gesicht kurz entstellte, kehrte wieder den "bösen Bullen" heraus.

"Doktor Hoffmann, Sie tischen uns hier die herzzerreißende Geschichte von den selbstlosen Helfern auf, die hier alles stehen und liegen lassen, ihren Beruf, ihre Freunde, nur um sich selbst mit ein paar LKWs auf den Weg quer durch Europa zu machen mit ein paar Sachen, die andere weit effizienter dort hätten hinbringen können. Meinen Sie, wir sind wirklich so einfältig, Ihnen dieses Märchen abzunehmen?"

Einen Moment betrachtete ich die Welt durch die Augen von Herrn Waldeck: eine Welt, in der niemand seinen Urlaub als Krankenpfleger in den Slums von Kalkutta verbringt oder als Sozialhelfer in Lima, in der kein Ingenieur allein für ein Dankeschön Wasserleitungen in Afrika baut. Eine traurige Welt. War Waldeck mit dieser Weltsicht geboren? War sie Einstellungsvoraussetzung beim Bundesamt für Verfassungsschutz? Oder war dieser Defätismus erst mit dem Dienst für die BRD gekommen, handelte es sich um eine anerkannte Berufskrankheit? Auf jeden Fall hatte er nie Celine getroffen, nie ihre manchmal etwas naive, aber immer optimistische Hilfsbereitschaft erlebt.

Dann sah ich mir seinen Kollegen genauer an. Seine Augen hatten etwas Abgeklärtes, mit einem Stich ins Bedauern. Ein netter Onkel, der abends den Nichten und Neffen Gute-Nacht-Geschichten vorliest. Bedeutete diese Abgeklärtheit, dass er alles Leid dieser Welt schon gesehen, alle Lügen schon gehört hatte, nichts ihn mehr erschüttern konnte? Würde er mich auch, mit dem gleichen Ausdruck ewigen Bedauerns, umbringen, wenn man es ihm befiele? Aber wahrscheinlich stellte ich mir die Arbeit beim Verfassungsschutz viel zu dramatisch vor. Diese Leute töten wahrscheinlich nur in Romanen oder im Film. In der Wirklichkeit wälzen sie, wenn sie nicht gerade einen Hochverdächtigen wie mich befragen, vorwiegend Akten, tippen mit ungeschickten Fingern Vernehmungsprotokolle in dreifacher Ausfertigung, legen "Vorgänge" an oder versuchen, ein paar Restauranttermine mit der Familie in die Spesenabrechnung einzuarbeiten.

Waldeck wiederholte seine Frage, für wie naiv ich sie halte, mit einer solchen Geschichte zu kommen.

"Was genau stört Sie an meinem Bericht?"

"Herr Doktor Hoffmann, ich will Ihnen und Ihrer Freundin mal die gute Absicht unterstellen, wenigstens am Anfang. Kann ja sein. Aber auch wir vom Verfassungsschutz kennen uns ein wenig aus mit den Verhältnissen in Osteuropa und im Nahen Osten. Sie wollen uns doch nicht erzählen, dass Frau Bergkamp ohne ausgesprochen gute Kontakte zu den entsprechenden Kreisen dort Lastwagen voll mit wertvollen Medikamenten und medizinischen Instrumenten unbeschadet durch die Gegend fährt und tatsächlich sowohl mit den Lastwagen wie auch mit der kompletten Fracht bis in das irakische Kurdistan kommt. Also, alles was recht ist!"

Tatsächlich war die Fracht in Kurdistan nicht mehr ganz komplett, und was Waldecks Bedenken hinsichtlich Transporten durch Osteuropa betraf, waren sie wahrscheinlich eine korrekte Beschreibung der Realität. Aber wieder kannte er Celine nicht. Am besten hatte mir ihr E-Mail-Bericht von der bulgarischen Grenze gefallen, wo man sie nur gegen Abgabe mindestens der Hälfte der mitgeführten Sachen durchlassen wollte. Nach einer Nacht mit fünf Flaschen Slibovicz und unzähligen Runden Poker hatten sich die Schlagbäume gehoben. Aber, noch einmal: Man muss Celine kennen, um diese Geschichte zu glauben. Für mich hätte sich auch nach fünf Kisten Slibovicz die Grenze nicht geöffnet, sicher auch nicht für meine beiden Freunde vom Verfassungsschutz. Aber Einzelheiten gingen die beiden nichts an, ihnen gegenüber beließ ich es bei dem Hinweis auf Frau Bergkamps "ungewöhnliche Durchsetzungskraft".

Waldeck war nicht überzeugt, ganz und gar nicht, dafür umso mehr von seiner eigenen Theorie.

"Ich will Ihnen sagen, wie man so einen Transport da unten durchbekommt. Sie haben es vorhin selbst erwähnt: mit Drogen zum Beispiel. Für ein paar Kilo ist in einem Lastwagen immer Platz. Natürlich nur um der guten Sache willen."

Seit wann kümmerte sich der Verfassungsschutz um Drogen? Soweit ich wusste, waren Drogen das neue Hobby des Bundesnachrichtendienstes, nachdem ihm die kommunistischen Spione ausgegangen waren. Vielleicht aber war genau das auch der Grund für ihre absurde Unterstellung.

"Da habe ich wohl in der Schule nicht richtig aufgepasst. Heutzutage werden also Drogen von hier in den Irak geschmuggelt?"

Jablonske versuchte, seinem Kollegen zu helfen.

"Sie machen sich keine Vorstellungen, was auf dieser Strecke alles versucht wird. Aber wir sprechen natürlich von dem umgekehrten Weg."

Waldeck nahm die Vorlage an.

"Wir meinen, der ganze private Hilfskonvoi für die armen Kurden im Irak könnte nur ein Vorwand gewesen sein, Drogen auf dem Rückweg mitzubringen. Sie wissen doch: keine Leerfahrten! Oder, bei gutwilliger Interpretation, um den nächsten Hilfskonvoi zu finanzieren."

"Ich verstehe. Im Irak gab es dann Streit um den Preis, da hat Frau Bergkamp eine Bombe geworfen und sich aus Ärger gleich selbst mit in die Luft gesprengt, ist logisch, vollkommen klar. Wie sonst soll es gewesen sein!"

Ich konnte das Geschniefe von Jablonske nicht weiter mit ansehen und holte ihm eine Rolle "Wisch-und-Weg" aus der Küche. Mir brachte ich eine Flasche Bier mit. Das gab den beiden Zeit, eine neue Theorie aus dem Hut zu zaubern.

"Drogen sind ja nicht das einzige, was auf dieser Strecke gerne transportiert wird. Zum Beispiel ist auch eine Ladung Sempex aus der Tschechei immer ein willkommenes Mitbringsel."

Klar, macht man in der Medizin auch: Kommt man mit einer bestimmten Annahme nicht weiter, ordnet man Symptome und Laborergebnisse neu, versucht es mit einer anderen Diagnose. Die beiden stocherten ganz offensichtlich im Nebel, wobei sie jetzt der Wahrheit etwas näher kamen.

Zwar hatte niemand versucht, Celine diesen praktischen Sempex-Sprengstoff unterwegs anzudrehen, tatsächlich aber rund dreihundert Kilometer hinter Ankara vier Kisten "humanitäre Hilfe für unsere kurdischen Freunde von Ansar al-Islam", säuberlich mit dem roten Halbmond bemalt und randvoll mit Handgranaten. Celine und Heiner hatten die Kisten sofort wieder abladen lassen.

"Haben Sie sonst noch etwas im Angebot? Biowaffen für Saddam Hussein aus unserem Kliniklabor? Pest- oder Anthraxerreger? Giftgas?"

Noch einmal versuchte es Jablonske auf die Tour gütiger Onkel, während er mein Bücherregal studierte. Was erwartet er dort? Erbauungsliteratur wie "Die BombenbastlerIn, ein Schnellkurs für Frau/Mann" oder "Wir bauen Mollis in der Kindergruppe"?

"Herr Doktor Hoffmann. Sicher ging es Ihrer Freundin in erster Linie um die humanitäre Hilfe. Was immer dann geschehen ist, es tut uns schrecklich leid. Wir wollen es nur aufklären."

Waldeck versuchte zu unterstützen.

"Vielleicht sollten wir Sie daran erinnern, dass mit dem Antiterrorpaket auch die Kronzeugenregelung reaktiviert worden ist? Keine vollkommene Straffreiheit, das geht leider nicht, wir sind nicht in Amerika. Aber das Strafmaß am untersten Anschlag, und die Anklage ebenso."

Beide strahlten mich an wie Weihnachtsmänner, die einen Jungen, der es eigentlich nicht wirklich verdient hatte, in ihren aufgeschnürten Weihnachtsmannrucksack schauen ließen.

"Was mein Kollege meint", sekundierte Jablonske, "ist zum Beispiel, dass aus Mord Körperverletzung oder Tötung auf Verlangen wird, oder aus schwerem Raub ein einfacher Ladendiebstahl."

"Aber ich habe niemanden ermordet, und auch in keinem Laden was geklaut, in letzter Zeit zumindest nicht."

Ich hielt ein bisschen Unwissenheit für angebracht. Paragraph 211 Mord, Paragraph 212 Totschlag, Paragraph 224 schwere Körperverletzung – die beiden hatten sicher keine Vorstellung, wie genau sich ein Arzt heutzutage mit dem Strafgesetzbuch auskennen muss, um zumindest einen Teil seiner Arbeitszeit außerhalb von Gefängnismauern zu verbringen.

"Ich meinte das als Bespiele", entgegnete Jablonske indigniert und warf mir einen ziemlich verärgerten Blick zu. "Ist Ihnen zufällig das Strafmaß für die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bekannt?"

Mir wurde klar, wir würden doch keine Freunde werden.

Demonstrativ holte ich mir ein zweites Bier, die sehnsuchtsvollen Blicke der beiden waren mir schon bei meinem ersten nicht entgangen. Genüsslich ließ ich den Kronkorken ploppen und nahm einen kräftigen Schluck.

"Sie haben vorhin angedeutet, Ihnen wären die politischen Ansichten meiner Freundin Celine bekannt. Dann müssten Sie auch wissen, dass es in diesen Ansichten nur eine wirkliche Konstante gab: ihr absoluter Pazifismus, ihre bedingungslose Ablehnung jeder Gewalt, gleich zu welchem Ziel. Nie also würde Celine Sprengstoff oder Waffen in den Irak geschmuggelt haben, und erst recht nicht eine Bombe in den Straßen von Bagdad, wie die Behörden dort als Erklärung für ihren Tod behaupten. Und wie, nur mal als kleiner Denkanstoß, ist Frau Bergkamp überhaupt nach Bagdad gekommen? Sie wollte zu den Kurden, in den Norden. Also machen Sie verdammt noch mal endlich Ihre Arbeit. Finden Sie heraus, was dort wirklich geschehen ist, warum meine Freundin, eine deutsche Staatsbürgerin, sterben musste. Und als ersten Schritt vergessen Sie die haarsträubenden Theorien, die Sie mir aufgetischt haben."

Jablonske nickte dem Kollegen Waldeck zu, der mir seine Visitenkarte über den Tisch schob.

"Hier erreichen Sie uns jederzeit, wenn Ihnen noch etwas Hilfreiches einfällt, Doktor Hoffmann."

Als Arzt ohne Ansehen der Person immer zum Helfen verpflichtet, gab ich Jablonske meine Rolle Haushaltstücher mit auf den Weg. Er bedankte sich und kam dann, fast schon auf dem Flur, mit einer eigenartigen Frage.

"Haben Sie eigentlich nach dem Bombenattentat noch einmal von Ihrer Freundin gehört?"

Ich konnte nur den Kopf schütteln, die beiden schoben endlich ab. Sicher würden sie in der nächsten Kneipe eine Bierpause einlegen.

3

Empfand ich genug Trauer um den Tod von Celine? Ich meinte ja, doch wie soll man sich je der Worte für seine Gefühle sicher sein? Nie wird man wissen, was der andere tatsächlich fühlt, wenn er von Trauer spricht, von Liebe, von Schmerz. Jedenfalls empfand ich einen enormen Verlust, eine Leere, eine Art Amputation.

Bis zur Realität von Celines Sarg auf dem Gabelstapler hatte ich ihren Tod nicht wirklich akzeptiert, immer noch an ein furchtbares Missverständnis geglaubt, auf eine Verwechslung oder eine irakische Propagandakampagne gehofft. Aber nun begann ich zu begreifen, dass Celine nie mehr über meine blöden Scherze lachen würde, wir nie wieder gemeinsam kochen, in Büros einbrechen oder Mülltonnen nach Indizien durchwühlen würden. Vielleicht würde die Amputationswunde tatsächlich eines Tages nicht mehr so furchtbar schmerzen, obgleich ich mir das im Augenblick nicht vorstellen konnte.

Womit die Leere füllen? Nichts scheint mir unsinniger als ein "Trauerurlaub", nie war ich so froh über meine Arbeit an der Klinik, wo die Patienten jederzeit einen einwandfrei funktionierenden Doktor ohne private Probleme erwarten. Deshalb war ich dankbar, als ich am nächsten Morgen zum immerwährenden Kampf gegen Pest und Tod und die Widersinnigkeiten unseres Gesundheitssystems in unserer Humana-Klinik einlief, dass sie überhaupt noch existierte.

Erst letztes Jahr schien ihr Schicksal unwiderruflich, ihre Schließung ausgemacht, denn irgendwie müssten die Gelder eingespart werden, die dem Berliner Haushalt durch die Immobiliengeschäfte der landeseigenen Bankgesellschaft verloren gegangen waren, und es wäre irgendwie schäbig gewesen, das sah jedermann ein, die verantwortlichen Manager oder die Profiteure dieser Geschäfte zu bitten, bei der Wiederbeschaffung der über zwanzig Milliarden Euro behilflich zu sein. Dann schon lieber eine weitere Klinik schließen! Kein Problem, riefen die anderen Berliner Krankenhäuser unisono, differenziert nur in der Lautstärke, selbstverständlich könnten sie Patienten und sonstige Aufgaben einer abgewickelten Humana-Klinik übernehmen!

Unsere Rettung kam in Gestalt der Vital-Kliniken GmbH & Co KG, die dem Berliner Senat die Humana-Klinik und alle anderen städtischen Krankenhäuser für einen Euro pro Klinik abkauften. Damit habe er zig Millionen an Unterhalts- und Personalkosten vom Hals, argumentierte der Senat. Meiner Meinung nach hatten die Vital-Kliniken schon allein über die Grundstückswerte ein gutes Geschäft gemacht. Was mir recht war, solange es meinen Arbeitsplatz sicherte, und so dachte auch der Rest der Belegschaft.

So war die Humana-Klinik unter den Fittichen der Vital-Leute gerade auf dem Rückweg zu einem ganz normal strukturierten Krankenhaus, mit Chefärzten, Oberärzten und endlich wieder Klarheit, wer wem in den Hintern treten durfte. Für die Innere Abteilung allerdings, in der und für die zu arbeiten ich seit nun über zehn Jahren die Ehre hatte, lief die Bewerbungsfrist für die Chefarztposition noch. Aktuell wurde der Posten von Professor Kleinweg, internistischer Chefarzt der ebenfalls zur Vital-Gruppe gehörenden Waldklinik, kommissarisch mitbetreut, was allerdings lediglich seinen Gastauftritt jeden Donnerstag bedeutete, damit unsere Patienten nicht ihrer wöchentlichen "großen Chefarztvisite" verlustig gingen. Um die täglichen medizinischen Probleme in der Inneren Abteilung durfte sich derweil der dienstälteste Internist kümmern: Ich, Doktor Felix Hoffmann.

Und es gab heute tatsächlich wieder eine Menge zu kümmern und zu entscheiden. Beim Patienten Krauskopf die Frage nach einer letzten Runde Antibiotika oder ob sich die Chirurgen endlich über seine infizierte Niere hermachen durften. Bei Herrn Schlups ging es um Schrittmacher ja oder nein, und bei Frau Zachels war der Grundsatzstreit zu schlichten, ob sie primär unsere internistische Patientin wäre (wegen ihrer Angina pectoris) oder den Gynäkologen gehöre (wegen ihrer blutenden Uterusmyome).

Selbstverständlich entschied ich zu unseren Gunsten und damit, wie mir schien, zu Gunsten von Frau Zachels, mit dem leicht nachvollziehbaren Argument, dass es leichter sei, täglich drei Stockwerke hinunter zu stiefeln (die Gynäkologen zu uns) als drei Stockwerke aufwärts (einer von uns zu den Gynäkologen). Die Kollegen von der Frauenheilkunde waren dermaßen verdutzt über diese streng medizinische Begründung, dass ihnen nicht einmal der Fehler in meiner Energiebilanz auffiel.

Jedenfalls wurde es über das Entscheiden, Entscheidungen verschieben oder falsche Entscheidungen zu revidieren Mittag, ehe ich endlich Beate traf.

"Hallo, Felix!"

Beate nahm mich in die Arme.

Schwer zu sagen, wer Celine nähergestanden hatte, ihre langjährige Freundin Beate, nun schon seit einigen Jahren Verwaltungsleiterin der Humana-Klinik, oder ich. Wahrscheinlich kann man das nicht vergleichen, vermutlich gab es eine Beate-Celine und eine Felix-Celine mit einer großen gemeinsamen Schnittmenge, aber eben doch auch mit Dingen, die nur Beate über Celine wusste oder nur ich.

Geplant war natürlich, gemeinsam am Flughafen Celines Sarg zu erwarten. Aber dann hatten Vital-Leute kurzfristig eine Konferenz ihrer Verwaltungsleiter einberufen. Ein Termin, den Beate weder aufschieben noch absagen konnte, wollte sie nicht ihre Existenz aufs Spiel setzen. Denn schnell hätte sich die Versammlung geeinigt, welche der Vital-Kliniken eine Kürzung der Mittel vertragen und auf eine eigene Verwaltung verzichten könnte.

"Wie war's auf dem Flughafen?"

"Celines Eltern haben alles geregelt. Sie sahen um Jahre gealtert aus."

"Wundert dich das? Es muss schrecklich sein, das eigene Kind zu begraben. Können wir etwas für die beiden tun?"

"Ich weiß nicht. Sie mochten mich noch nie besonders, jetzt haben sie sich total abgeschottet. Vielleicht sprichst du mit ihnen. Wir müssen die Beerdigung klären, was mit Celines Wohnung geschieht, all solche Sachen."

Beate machte sich eine Notiz, sie war schon immer gut organisiert und in dieser Hinsicht ganz anders als Celine. Jedenfalls, so ging das zwischen Beate und mir zurzeit, sobald wir über Celine sprachen. Beide unsicher, was wir dem anderen zumuten konnten, oder uns selbst, beschränkten wir uns weitgehend auf technische Fragen. Oder wechselten das Thema.

"Was gab es auf der Konferenz?"

"Das Übliche. Zu hohe Kosten. Zu hohe Behandlungskosten pro Patient, zu hohe Behandlungskosten pro Arzt, zu hohe Kosten überhaupt."

Ich konnte mir die Runde lebhaft vorstellen. Der Oberverwaltungsdirektor aller Vital-Kliniken, Herr Hirt, der sich "Vorsitzender der Geschäftsführung" nennt, ist ein Fan von Statistiken und deren grafischer Aufbereitung. Und natürlich ein König bei der Suche nach Einsparpotentialen.

"Aber das ist leicht, Beate. Einfach mehr Ärzte einstellen, schon gehen die Behandlungskosten pro Arzt runter. Und als Nebeneffekt machen wir weniger Überstunden."

Beate lächelte nur schwach, während sie vorsichtig einen dicken Aktenordner aus dem kunstvoll geschichteten Stapel auf ihrem Schreibtisch hervorzog.

"Im Moment konzentriert sich Hirt auf die Reha-Kliniken von Vital, wir sind etwas aus der Schusslinie. Aber das kann sich jeder Zeit ändern. Darüber hinaus ging es um ein neues Thema, das die Gesundheits- und Innenverwaltung beim Senat von Berlin gefunden hatte: Katastrophenschutz." Beate deutete auf den Aktenordner. "Ist unsere Klinik überhaupt und wenn ja ausreichend gegen Anschläge gesichert? Könnten Patienten als Geiseln genommen werden? Wie leicht können gefährliche chemische oder infektiöse Materialen aus unserem Labor entwendet werden?"

Die Sorge schien nicht ganz unberechtigt. Im Moment jedenfalls war unsere Klinik weniger streng überwacht als ein Mittelklassehotel, hier konnte jeder ein- und ausgehen, dem gerade der Sinn danach stand. Erst neulich hatte ein mit meiner Diagnose – "keine erkennbare körperliche Erkrankung" – unzufriedener Patient auf der Station eine Stinkbombe geworfen. Irgendwie war der Tag abzusehen, wo auch diese Art von Leuten aufrüsten würde. Und ich wusste zwar nicht, ob man mit den Isotopen aus unserer nuklearmedizinischen Abteilung eine Atombombe basteln konnte, sah aber erhebliche Probleme, ließe zum Beispiel eine radikale Tierschutzorganisation die Bakterien und Viren aus den Brutschränken in der Mikrobiologie frei.

Es war klar, dass Beate mir nicht zum Zeitvertreib von den Sorgen der Innenverwaltung erzählte, und ich überlegte schon, an welchen Assistenzarzt ich die Unterlagen weiterreichen würde, als sie noch einen zweiten Aktenordner aus dem Stapel fischte, was allerdings zu seinem Kollaps führte. Während wir uns gemeinsam um eine Wiederherstellung der vorbestehenden relativen Ordnung bemühten, berichtete Beate weiter.

"Die Ängste unserer Stadtregierung gehen weiter: Sind die Krankenhäuser in Berlin überhaupt auf eine allgemeine Katastrophensituation vorbereitet? Haben wir genug Blutkonserven, Medikamente, Reservebetten? Klappt unser Alarmsystem? Können wir große Bereiche der Klinik isolieren? Dieser Ordner ist voll solcher Fragen."

Wie erwartet schob sie mir beide Aktenordner entgegen.

"Kannst du dich darum kümmern? Ich habe mal durchgeblättert, ist viel medizinischer Kram, den ich nicht verstehe. Natürlich, wenn du im Moment ..."

"Kein Problem. Im Gegenteil. Ich bin dankbar für jede Ablenkung."

Und, wie gesagt, im Notfall konnte ich die Ordner immer noch an einen fleißigen jungen Kollegen weitergeben.

"Ich danke dir. Die vom Senat haben uns sogar ihren neu ernannten Koordinator, mit dem wir zusammenarbeiten sollen, auf die Konferenz geschickt. So ein Fuzzi vom medizinischen Dienst der Krankenkassen, ein Doktor Zentis. Ein furchtbarer Schwätzer!"

"Doktor Zentis?"

"Ja, ich glaube, so heißt er. Steht auch irgendwo in den Akten. Der Kerl hat zu jedem und allem eine Meinung, präsentiert prompt Zahlen, die sich für mich frei erfunden anhören. Aber alle sonst hingen an seinen Lippen, als verkünde er das Evangelium. Du kennst den Typ."

Ich kannte nicht nur den Typ, ich kannte sogar den Prototypen, das fleischgewordene Baumuster aller Schaumschläger und Intriganten: Ich kannte den guten Doktor Zentis höchstpersönlich. Beate konnte das nicht wissen, sie war erst nach seiner Entlassung zu uns gekommen. Damals hatte Professor Kindel dem Assistenzarzt Zentis noch die Voraussetzungen zum Facharzt bescheinigt, obgleich er die nie erfüllt hatte, nur um ihn loszuwerden. Später hatte Zentis die Klinik mit Anzeigen wegen angeblicher Behandlungsfehler überzogen und sogar behauptet, wir hätten ihm nach dem Leben getrachtet. Die wirklichen Behandlungsfehler – nämlich seine – hatte er allerdings nicht erwähnt. "Furchtbarer Schwätzer" war eine treffende, aber extrem untertriebene Beschreibung.

"Na, dann viel Spaß!"

Ich stand auf und klemmte mir die beiden Ordner unter den Arm. Wann würde es uns wieder möglich sein, wirklich über Celine zu sprechen? Wann würde ich nicht mehr jede Extra-Arbeit willkommen heißen, um nicht an anderes zu denken? Plötzlich fürchtete ich mich vor dem kommenden freien Wochenende, obgleich erst Dienstag war.

"Beate – willst du nicht nächsten Sonntag zum Essen kommen?"

Beate kannte das Wochenendritual des Singlepaars Celine-Felix: Samstag gemeinsames Frühstück, Sonntagabend gemeinsames Genießen von Felix' Kochkünsten.

"Einzige Bedingung: Du darfst dich nicht beim Kochen einmischen!"

"Ich koche nicht so schlecht wie Celine!"

Das war auch kaum möglich.

"Also abgemacht. Du bringst den Wein mit."

Auf dem Rückweg zur Inneren Abteilung schaute ich kurz bei den Chirurgen vorbei, um sie zu informieren, dass sie die Niere von Herrn Krauskopf vorerst nicht bekommen würden.

"Es gibt ein neues Aminoglykosid, das wir noch probieren wollen."

Erstaunlicherweise kein Protest, im Gegenteil.

"Ist uns recht, im Moment kommt uns jede abgesagte OP gelegen. Guck dir an, wie es hier aussieht – und die wollten vor zwei Wochen fertig sein!"

Im Hintergrund, am Übergang zum OP-Trakt, wurden offensichtlich gerade erst frisch verputzte Wände wieder aufgestemmt, neu gelegte Leitungen herausgerissen.

"Die Leute der Firma Sommer haben es tatsächlich fertiggebracht, das Lachgas an die Druckluftleitungen anzuschließen, und wenn du destilliertes Wasser haben willst, bekommst du es auch – aber kochend heiß! Deshalb teilen wir uns noch immer den alten OP mit den Gynäkologen und den Traumatologen. Also halt deine Antibiotika warm."

Das konnte sich sowohl auf die Niere von Herrn Krauskopf beziehen wie auf die Infektionen, die nach Meinung der Chirurgen bei gleichzeitiger Nutzung des OPs ausgerechnet mit den Kollegen von der Gynäkologie unvermeidlich waren.

"Kein Fehler unserer Firma. Das liegt an den vollkommen veralteten Plänen, die wir von Ihrer Klinik bekommen haben."

Ungefragt hatte sich Herr Sobotka zu uns gesellt, verantwortlicher Bauleiter der Firma Sommer und steter Vertreter von deren Interessen. Seine Firma hatte den Auftrag zur Neuinstallation der Pumpen und Leitungen in unserer Klinik nicht nur bekommen, weil sie einer der größten Hersteller von Anlagen zur Herstellung und Nutzung von medizinischen und technischen Gasen ist, sondern weil sie darüber hinaus auch deren Installation durch eigene Mitarbeiter anbietet.

Natürlich hatte auch die Unterstützung von Celines Hilfstransport durch Herrn Sommer bei der Auftragserteilung geholfen. Aber hätte ich damals schon den Bauleiter Sobotka gekannt, hätte ich wahrscheinlich trotzdem mein Veto eingelegt. Er war sich seiner Statur und deren einschüchternder Wirkung wohl bewusst. Ohne dies zu sagen, hatte er uns deutlich gemacht, dass wir eventuelle Zahlungskürzungen wegen Terminüberschreitungen gar nicht erst erwägen sollten. Diesem Mann wollte ich wirklich nie in einer einsamen Gasse begegnen.

Zurück in meinem Zimmer, rief ich den großen Unternehmer Sommer an und bekam ihn tatsächlich nach einiger Zeit ans Telefon. Zwar war die Humana-Klinik inzwischen Eigentum von Vital und die Firma Sommer nun deren Geschäftspartner, aber da ich mich damals für die Firma Sommer eingesetzt hatte, fühlte ich mich weiter verantwortlich.

"Ich weiß nicht, ob die Verzögerungen mit veralteten Bauplänen der Klinik zu tun haben oder nicht, Doktor Hoffmann, jedenfalls werde ich mich sofort persönlich darum kümmern. Aber, noch viel wichtiger: Es tut mir schrecklich leid, die Sache mit Frau Bergkamp. Hätte ich doch bloß nicht unsere Lastwagen zur Verfügung gestellt, dann wäre das alles nicht passiert."

"Herr Sommer, Celine wäre auf jeden Fall mit den Sachen nach Kurdistan gekommen, mit Ihren Lastwagen oder auf Mauleseln. Sie trifft keine Schuld."

Außerdem hatte ich Schwierigkeiten mit der Vorstellung, dass der ziemlich hartgesottene Industrielle Sommer allzu sehr unter dieser Schuld leiden sollte. Der Klartext schien mir eher, dass er die geschäftlichen Beziehungen zur Humana-Klinik dadurch nicht gestört hoffte oder so etwas, immerhin war der Auftrag für die neue Abwasseraufbereitung noch nicht vergeben.

Ich hatte ihm einen Moment nicht zugehört, bekam gerade noch mit:

"... ich sonst etwas für Sie tun kann?"

Tatsächlich, das konnte er, fiel mir ein.

"Mit Ihren guten Kontakten in den Nahen Osten, Herr Sommer, könnten Sie mir einen Termin bei einem wichtigen Menschen in der irakischen Botschaft machen?"

Bei allem, was ich den Jungs vom Verfassungsschutz erzählt oder besser nicht erzählt hatte, das war wahr: Nie wäre ausgerechnet Celine mit einer Bombe herum gelaufen, weder in Bagdad noch sonstwo auf der Welt. Herauszubekommen, was wirklich passiert war, auch das würde ein Weg sein, mit dieser Leere fertig zu werden.

---ENDE DER LESEPROBE---