Der blaue Helm - Günter Görlich - E-Book

Der blaue Helm E-Book

Günter Görlich

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Beschreibung

Im Mittelpunkt dieses für Kinder ab 8 Jahren geschriebenen Buches steht Mirko. Mirko hat einen großen Wunsch. Er möchte gern einen solchen Helm haben, wie ihn die Männer vom Bohrtrupp tragen. Der Junge lässt sich erklären, was die Männer dort tun: „Was macht ihr hier?“, fragte der Junge. „Brunnen bohren“, sagte Charlie. „Hier sollen doch Häuser hinkommen, ganz hohe.“ „Kommen auch. Brunnen entwässern das Gelände, und hohe Häuser brauchen tiefe und feste Fundamente, verstehst du?“ Einer von ihnen ist ein großer, junger Mann, der langes, blondes Haar trägt und einen rötlichen, wirren Bart hat. Die anderen nennen ihn Charlie. Das hat Mirko schon herausgefunden. Und er weiß auch, dass ihm Der blaue Helm gehört. Wenn Charlie seinen blauen Helm aufsetzt, sieht er recht abenteuerlich aus. Der Junge bewunderte den jungen Mann – der Wunsch, den blauen Helm zu besitzen, wurde stärker und stärker. Doch es scheint aussichtslos, in den Besitz dieser besonderen Kopfbedeckung zu kommen, auf deren Farbhaut nicht ein einziger Kratzer zu entdecken ist. Das Vorhängeschloss am Bauwagen war groß und stabil, und Charlie schloss jeden Tag nach Arbeitsschluss sorgsam den Schlüssel sogar zweimal herum. Da bietet sich auf einmal eine Gelegenheit. Mirko ist am Bauwagen – und Der blaue Helm zum Greifen nahe. Er braucht nur zuzupacken. Eben noch hatte er etwas gezögert und gedacht, was wohl Charlie machen wird? Der Mann wird bald zurückkommen und den Verlust entdecken. Er braucht doch den Helm, alle tragen Helme, das muss bei dieser Arbeit sein. Doch auf einmal ist der Wunsch stärker als alle Vernunft: Und er zögert nicht mehr, streckt die Hände aus, presst den Helm an sich, rennt den Hügel hinauf, hört, wie der Motor des Baggers aufheult, und wagt nicht, sich umzusehen. Jagt den Hügel wieder abwärts, in einen verlassenen Garten hinein, den die Raupe noch nicht weggedrückt hat. Im hetzenden Lauf überlegt der Junge, wo er seine Beute verstecken kann. Die verlassene Laube des Gartens kommt nicht in Frage, hier sind dauernd größere Mädchen und Jungen zu treffen. Bleibt also nur der Keller. Mirko stellt sich vor, wie alle staunen, wenn er den blauen Helm aufsetzt. Doch da weiß er noch nicht, dass er Charlie nicht nur den blauen Helm gestohlen hat, den er vielleicht durch einen knallroten ersetzen kann, sondern auch ein wichtiges Notizbuch. Was soll er jetzt tun? Bevor er jedoch etwas klären kann, muss er aber erstmal Charlie wiederfinden. Denn auf der alten Baustelle ist der nicht mehr.

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Impressum

Günter Görlich

Der blaue Helm

978-3-96521-693-8 (E-Book)

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

Das Buch erschien erstmals 1976 in Der Kinderbuchverlag Berlin.

© 2022 EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de

Für Leser von 8 Jahren an

1

Auf einmal ist für den Jungen die große Gelegenheit gekommen. Der blaue Helm könnte ihm gehören.

Der Junge muss nur aufstehen von der zerrissenen Matratze und zum Bauwagen hinüberrennen. Dort liegt auf einer Holzbank der blaue Helm, fällt auf mit seinem Glanz in der Reihe zerschrammter Helme, deren Farbe gewiss einmal weiß gewesen war.

Die Männer, denen die Schutzhelme gehören, gehen rasch auf einen Bagger zu, der einsam inmitten des weiten Baugeländes steht. Es muss irgendetwas passiert sein – von dort hat jemand gerufen.

Unter den schweren Schritten der Männer wirbelt Staub auf. Rissig und ausgetrocknet ist der Boden. Im Junimonat hat es nicht einmal geregnet. Die Männer sprachen darüber, der Junge hat es gehört. Sie waren besorgt, sie befürchteten, der Grundwasserspiegel könne gesunken sein. Das Bohren würde dann erschwert werden.

Einer widersprach, ein großer, junger Mann, er trägt langes, blondes Haar und hat einen rötlichen, wirren Bart.

„Leute, im Frühjahr ist doch viel von oben heruntergekommen, hat uns gar nicht gepasst, den ganzen Mai über, erinnert euch mal.“

Diesen Rotbart nennen die anderen Charlie. Und ihm gehört der blaue Helm. Wenn er den aufsetzt, sieht er recht abenteuerlich aus.

Der Junge bewunderte den jungen Mann – der Wunsch, den blauen Helm zu besitzen, wurde stärker und stärker.

Das blieb aber ein Wunsch, über den der Junge nachdenken konnte, ohne rot zu werden. Das Vorhängeschloss am Bauwagen war groß und stabil, und Charlie schloss jeden Tag nach Arbeitsschluss sorgsam den Schlüssel sogar zweimal herum.

Der Junge hatte es genau beobachtet.

Der blaue Helm ist sicher verwahrt im Bauwagen.

Einmal schlich der Junge, als die Männer gegangen waren, zum Bauwagen, schob die Holzbank heran und spähte durch das kleine Fenster in das Innere des Bauwagens.

Den blauen Helm konnte er nicht entdecken.

Dafür aber Frauenbilder an den Wänden, ausgeschnitten aus Zeitschriften, sehr bunte Bilder, Frauenköpfe, aber auch Frauen, die gar nichts anhatten. Das interessierte den Jungen nicht, er suchte den blauen Helm. Doch der lag irgendwo im Bauwagen versteckt und war durch das Fenster nicht zu sehen.

Und das Vorhängeschloss vereitelte sowieso von vornherein alle Pläne.

Das war vor zwei Tagen am Abend gewesen.

Heute aber leuchtet der Helm zum Greifen nahe in der Sonne.

Der Junge steht von der Matratze auf, schüttelt Sand und dürres Gras von seinem Hemd, zieht die Turnhose hoch, und seine braunen, mageren Beine setzen sich in Bewegung. Sie laufen den Hügel hinab, überspringen einen Eisenträger, der noch vor wenigen Monaten das Dach einer Schrebergartenlaube stützte, bis die Planierraupen kamen und die Kleingartenanlage „Heimatfrieden“ wegschoben.

Der Junge stolpert über eine sperrige Kiste, die er nicht bemerkt hat, weil er seinem Ziel so nahe ist, den blauen Helm fast in der Hand hält. Wie kann er in diesem Augenblick auf eine halbverfaulte Kiste achten. Doch der Junge ist gelenkig und fällt nicht hin.

Mit einem Sprung ist er am Bauwagen, streckt die Hände aus nach dem begehrten Helm – und zögert.

Auch aus dieser Nähe kann der Junge keinen Kratzer auf der Farbhaut des Helmes entdecken. Ob Charlie täglich seinen Helm so blank reibt?

Wenn er jetzt den Helm nimmt?

Und was wird Charlie machen? Der Mann wird bald zurückkommen und den Verlust entdecken. Er braucht doch den Helm, alle tragen Helme, das muss bei dieser Arbeit sein.

Bald wird wieder aus dem dreibeinigen Bohrbock die Stahlhülse niedersausen, in die Erde hinein, Schlamm herausholen, und das Bohrloch wird tiefer und tiefer. Der Junge hat das in den letzten Tagen genau beobachtet. Noch klingen ihm Charlies Kommandos in den Ohren: „Nun los, Männer. Und jetzt. Nicht müde werden, Leute, nicht müde werden.“

Die Männer schwitzten und schimpften. Und sie lachten auch.

Einmal trieb die Neugier den Jungen sehr nahe zur Baustelle heran, er wollte alles genau sehen.

Einer der Männer rief: „He du, hau ab. Soll dir was passieren?“

Charlie hatte den Jungen beiseite geführt, sanft geschoben, und doch spürte der Junge die Kraft in Charlies Armen.

„Hier kannst du bleiben. Näher ran gibt’s nicht. Verstanden?“

„Was macht ihr hier?“, fragte der Junge.

„Brunnen bohren“, sagte Charlie.

„Hier sollen doch Häuser hinkommen, ganz hohe.“

„Kommen auch. Brunnen entwässern das Gelände, und hohe Häuser brauchen tiefe und feste Fundamente, verstehst du?“

Der Junge nickte. Charlie schob den blauen Helm nach hinten, wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, ein dunkler Strich blieb zurück.

„Früher war’s schöner hier, wie?“, sagte Charlie.

„Warum?“, fragte der Junge.

„Na, alles grün und viele Gärten.“

„Mir ist das egal“, sagte der Junge, „aber meiner Mutter gefällt’s nicht. Nun haben wir eine Steinwüste vor der Nase, sagt sie.“

„In ein paar Jahren ist wieder alles grün“, tröstete der Mann. „Hier soll auch eine Schwimmhalle gebaut werden.“

„Ist das wahr?“, rief der Junge.

„Ehrenwort.“

„Mama schwimmt gern“, sagte der Junge.

„Na siehst du.“

Der Junge blickte zum Helm, den der Mann wieder in die Stirn geschoben hatte.

„Du hast es gut, du hast Ferien“, sagte Charlie noch, klopfte dem Jungen leicht auf die Schulter und ging rasch zur Winde zurück. Der Elektromotor lief auf vollen Touren, er musste sich anstrengen, die schlammgefüllte Hülse aus dem Bohrloch zu ziehen.

Der Junge war wieder auf seinen Erdhügel gestiegen, den man wahrscheinlich vergessen hatte abzufahren.

Das war gestern gewesen, und weil er immerzu Charlie beobachtet hatte, kam ihm auch der blaue Helm nicht aus den Augen.

Jetzt steht er vor der Bank, der Helm liegt zum Greifen nahe, der Junge braucht nur zuzupacken.

Und er zögert nicht mehr, streckt die Hände aus, presst den Helm an sich, rennt den Hügel hinauf, hört, wie der Motor des Baggers aufheult, und wagt nicht, sich umzusehen. Jagt den Hügel wieder abwärts, in einen verlassenen Garten hinein, den die Raupe noch nicht weggedrückt hat. Im hetzenden Lauf überlegt der Junge, wo er seine Beute verstecken kann. Die verlassene Laube des Gartens kommt nicht in Frage, hier sind dauernd größere Mädchen und Jungen zu treffen. Bleibt also nur der Keller.

Der Junge nähert sich dem Haus, in dem er wohnt, er zwingt sich, ruhig zu gehen, zieht das Hemd aus und wickelt damit den Helm ein.

Der Junge hat Glück, vor der Haustür lungert niemand herum. Die meisten Kinder sind schon weggefahren, und morgen verreist er auch mit Vater und Mutter.

Vorsichtig huscht der Junge in den Keller, tastet sich in der Dunkelheit vorwärts und findet ein Versteck, das ihm ganz sicher erscheint. Dort wird niemand herumstöbern.

Er drückt eine Latte zur Seite, legt den Helm vorsichtig hinter eine Kiste und schiebt die Latte wieder in die richtige Lage. Der Junge friert im kühlen Keller, er steigt hoch, setzt sich auf die Stufen vor der Haustür und wärmt sich in der Sonne. Von fern hört er das scheppernde Geräusch des Baggers, zu dem Charlie und seine Männer vorhin gegangen sind.

Dem Jungen kommt das wie eine Ewigkeit vor. Ob Charlie den Verlust des blauen Helmes schon bemerkt hat?

Und der Junge denkt: Jetzt gehört mir der Helm. Wie werden alle staunen, wenn ich den aufsetze. Wer hat schon so was?

Er presst seinen Rücken an die Hauswand und spürt angenehm die Sonnenwärme. Unter dem Klingelkasten sitzt er, an dem die Namensschilder der Familien angebracht sind. Auf einem Schild steht Reinhardt Schneider. Das ist sein Vater. Die Mutter heißt Marion.

Einmal hat er den Vater gefragt, warum auf dem Schild nicht Marion und Reinhardt Schneider stünde, das wäre doch richtiger.

Der Vater hatte nachgedacht und gesagt: „Hast eigentlich recht. Doch die Platte ist zu klein, am besten wäre, ich machte ein neues Schild, bloß Schneider.“

Doch noch immer steht Reinhardt Schneider über dem Klingelknopf.

Der Junge heißt Mirko. Wie die Eltern auf diesen Namen gekommen sind, weiß er nicht, er hat sie nie danach gefragt.

Mirko wartet auf die Eltern, die pünktlich kommen wollen, denn morgen fahren die Schneiders für eine Woche nach Althof.

Althof ist sehr schön. Ein Dorf, vom Wald fast eingeschlossen, und ein See dazu. Und Herr Pomanz, bei dem sie jedes Jahr in zwei Kammern unter dem Dach mit Blick auf Wald und See wohnen, hat sich im vergangenen Jahr ein Shetlandpony angeschafft.

Mirko kann reiten, sooft er will, hat Herr Pomanz geschrieben.

Den blauen Helm wird er nach Althof nicht mitnehmen. –

Der Junge steht auf, zieht sich das Hemd über, die Sonne wärmt nicht mehr.

Der Helm liegt im Keller. Er wird verstauben, den strahlenden Glanz verlieren, Flecke werden sich auf dem Lack ausbreiten.

Was hatte der Junge sich alles vorgestellt, als er den Helm noch nicht besaß. Er sah sich auf seinem Fahrrad in rasendem Tempo über die Straße flitzen, den Helm tief in die Stirn gedrückt. Ein Sturz mit diesem Helm würde halb so schlimm werden.

Als Ritter stand der Junge hoch oben auf den Zinnen einer Burg, ließ sein Schwert kreisen, und der blaue Helm funkelte in der Sonne. Die Gegner trauten sich nicht heran, sogar der starke Alex nicht.

Wird alles nicht sein, denkt der Junge, der blaue Helm bleibt im Keller. Beim Radfahren rutscht er sowieso bloß auf die Nase. Und in der Hitze einer Schlacht kümmert sich niemand um einen Helm, man will den Feind verdreschen.

Mit einem Satz verschwindet der Junge im Hausflur.

Er hat einen Mann mit einem roten Bart gesehen. Ist der nicht aus den verlassenen Gärten gekommen?

Langsam geht der Mann die Straße entlang. Ja, es ist Charlie, der wahrscheinlich seinen Helm sucht.

Warum kommt er gerade hier vorbei? Er muss durch die Gärten gegangen sein, hat vielleicht auch in der Laube nachgesehen.

Das Herz des Jungen schlägt sehr laut. Für einen Augenblick hat er Furcht, Charlie könne es hören.

Aber in einer Woche ist alles anders, denkt der Junge trotzig, Charlie hat den Helm längst vergessen und sich einen neuen geholt, vielleicht einen knallroten. Der muss auch gut aussehen. Und ich kann mich über meinen blauen Helm freuen, hole ihn einfach raus aus dem Kellerversteck.

Der Junge vernimmt ein Motorengeräusch, das er sehr gut kennt, denn der Auspuff an Vaters Auto ist nicht ganz in Ordnung. Auf den Parkplatz biegt ein kleines graues Auto ein.