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Vom ersten Moment an hassen sich die chaotische Cecily Rodriguez und der überkorrekte John Delaney leidenschaftlich. Sich nie wiederzusehen steht bei beiden ganz oben auf der Tagesordnung, nur zu dumm, dass Sanctuary Point ein kleines Kaff in der Weite Montanas ist. Als dann Johns Familie auf der Ranch auftaucht und ganz eigene Vorstellungen von ihrer zukünftigen Schwägerin und Schwiegertochter haben, ist das Chaos perfekt … Band 2 der Delaney-Reihe. Jeder Roman ist in sich abgeschlossen!
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Veröffentlichungsjahr: 2025
© 2018 Ivy Paul
Lektorat: Vivian Hall, Linda Mignani
© Coverdesign: VercoDesign, Unna
In diesem Buch sind sämtliche Personen frei erfunden. Dieses eBook darf weder auszugsweise oder vollständig ohne die ausdrückliche Genehmigung der Autorin weitergegeben werden.
Ich verzaubere jedes Lebewesen. Das gilt sowohl für Frauen als auch für Rinder. Doch dann treffe ich auf die ungezähmte Cecily. Mit ihrem Temperament wirbelt sie alles durcheinander und hinterlässt bei jedem Schritt Chaos in meinen Leben und meinem Herzen. Ich hasse sie.
John Delaney! Allein sein Name lässt meine Haare zu Berge stehen. Ich will nicht an ihn denken, will seine Lippen nicht auf meinen spüren. Doch warum macht es mich rasend, dass er die fiese Shailene umschwirrt und nicht mich?
Teil 2 der Delaney-Reihe
John
Ich lege ein Steak auf den überdimensionalen Grillwagen, den ich eigens für mein alljährliches Barbecue ausgeliehen habe. Das Sommerfest auf der Poughkeepsie Ranch, ist neben dem Weihnachtsessen im Dezember, das Highlight des Jahres. Meine Arbeiter sind mitverantwortlich für meinen Erfolg und so zolle ich ihnen Anerkennung und bedanke mich für die tagtägliche Plackerei.
Das Lachen von ein paar Saisonarbeitern, die biertrinkend vor der Scheune herumlümmeln, bringt mich zum Lächeln. Sie amüsieren sich hervorragend und mir wird warm ums Herz. Einer von ihnen trommelt gekonnt auf einem Fass herum. Zwei Rotznasen, ein Mädchen und ein Junge, beobachten ihn hingerissen. Die Kleine wippt im Takt des Geklappers. Das ist wider Erwarten niedlich. Bisher hatte ich kaum Umgang mit Kindern und bin offen gestanden auch nicht scharf darauf. Ich wüsste gar nicht, wie ich mit ihnen umgehen soll. Eine Gruppe von Kälbern entspricht mehr meinem Geschmack. Trotzdem mutet die gesamte Szenerie idyllisch an. Wie aus einem Werbespot. Aber das wahre Leben findet weder im Fernsehen noch auf den Seiten eines Hochglanzmagazins statt. Eine innere Stimme flüstert mir zu, dass die Ruhe keineswegs von Dauer sein wird. Etwas wird passieren und mein geruhsames Dasein auf der Ranch durcheinanderwirbeln. Instinktiv spüre ich, dass dies nicht mit dem angekündigten Besuch meiner Eltern zusammenhängt.
Für einen Moment übertüncht der Geruch nach gebratenem Fleisch den des Heus und der Kräuter aus dem Garten. Ich hebe den Kopf und beobachte die Frauen, die schwatzend an der langen Tafel Salatschüsseln und Brotkörbe auf dem Tisch verteilen. Alle sind entspannt und finden Gefallen am Barbecue.
Ezekiel Hornsby, mein Vorarbeiter, tritt neben mich. Er kratzt sich zufrieden den sorgfältig gestutzten grauen Bart. „Hast dich gut gemacht als Rancher.“
Ich unterdrücke ein Lächeln und wende die Fleischscheiben auf dem Rost. „Nur durch deine Hilfe!“
Ezekiel trinkt einen kräftigen Schluck des Biers. „Ich meine es ernst. Du darfst dir darauf was einbilden, John. Als du vor fünf Jahren auf der Ranch aufgetaucht bist, hielt ich dich für einen Yankee übelster Art, mit den nagelneuen Cowboystiefeln, der Designerjeans und dem Stetson. Hast nicht nur mich mit deinem Enthusiasmus und Fleiß beeindruckt, ehrlich. Von dir kann sich so mancher Cowboy eine Scheibe abschneiden.“
Ein wenig verlegen und mit einem Achselzucken quittier ich das Lob. „Ihr habt mir schnell sämtliche Flausen ausgetrieben. Ich hatte keine Ahnung vom echten Leben auf einer Ranch, als ich die Poughkeepsie gekauft habe.“
„Du bringst eiserne Disziplin mit. Damit erarbeitet man sich unseren Respekt. Du packst mit an, kehrst nicht den Boss raus, und hörst auf Ratschläge. Hier draußen verachten wir Schaumschläger und Faulenzer.“
Das ist mir durchaus bewusst. Ich starre auf meine Hände, die kein bisschen mehr an die des einstigen Bürohengstes erinnern. Blauäugig habe ich mich in diesen Wunschtraum gestürzt. Ohne Ezekiels Hilfe und die der anderen Arbeiter, hätte ich im Anfangsjahr in Montana grandios versagt. Heute kann ich stolz behaupten, dass mein Besitz eine der größten Rinderfarmen in der Gegend rund um die Kleinstadt Sanctuary Point ist und mir ein gutes Einkommen sichert. Fairerweise muss ich zugeben, dass alle Rancher im Umkreis recht erfolgreich sind. Schließlich ist das Land wie geschaffen für die Viehzucht.
Die Fliegengittertür öffnet sich mit sachtem Knarren. Felicia Rodriguez, meine Haushälterin, kommt mit einer gigantischen Schüssel Krautsalat heraus und trägt sie zum Büfett.
„Um Himmelswillen, da drin könnte man einen Säugling baden!“ Ezekiels stahlblaue Augen leuchten auf, aber nicht wegen des Salats. Er ist verrückt nach Felicia, doch sie lässt ihn in schöner Regelmäßigkeit abblitzen.
Er schlägt mir so hart auf die Schulter, als wollte er sie mir zertrümmern. Ich versuche es zu überspielen, aber er durchschaut mich und lacht. Dann wackelt er mit den Augenbrauen. „Ich werde ihr mal zur Hand gehen.“ Damit trottet er in Richtung Felicia davon. Es ist amüsant, die zwei zu beobachten. Vor allem, da sie unermüdlich vorgibt, ihn nicht leiden zu können. Ich würde den beiden das Liebesglück von Herzen gönnen. Im Moment stehen sie beisammen und diskutieren laut genug, dass ich es hören kann. „Männer wie dich, brauche ich ungefähr so nötig wie eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt!“ Felicia fährt sich aufgebracht durch ihre schwarzen Haare, die daraufhin in die Luft ragen wie die Borsten eines Igels.
Ezekiel lacht. „Ah, meine glutäugige Dearie, dann treffe ich tatsächlich einen Nerv bei dir?“
Sie gibt einen verärgerten Laut von sich und schlägt ihm mit dem Salatlöffel auf den Handrücken. Schwungvoll dreht sie sich um, stapft ins Haus und er folgt ihr wie ein brünstiger Bär.
Als die zwei nach einer ganzen Weile zurückkehren, wirken sie erhitzt, obwohl die Klimaanlage drinnen auf angenehme Temperaturen eingestellt ist. Anscheinend musste der Zahnarzt etwas nachbohren. Zufrieden grinsend, trägt er einen Weidenkorb mit Felicias selbst gebackenem Brot und wirkt jetzt wie ein Kater, der von der Sahne genascht hat. Sie dagegen, versucht betont gelassen auszusehen.
Tagelang hat sie alles für die Barbecue-Party vorbereitet, hat geschnippelt, geraspelt, gekocht und geknetet. Mein Vorschlag, dafür jemanden zu ihrer Unterstützung aus dem Ort zu engagieren, wurde von ihr unwirsch abgelehnt. Sie ist die beste Haushälterin, die ich mir vorstellen kann. Ihre Guacamole ist sensationell und das Rezept für ihre Grillwürzmischung ist es wert, einen Krieg anzuzetteln. Aber sie übertreibt es mit dem Ehrgeiz. Ich will nicht, dass mir eine solche Perle wegen eines Burn-outs kündigt. Sie ist für mich unersetzbar geworden.
Patch, neben Ezekiel einer der Cowboys, die ich vom Vorbesitzer übernommen habe, kommt zu mir herüber. Er schiebt sich den Stetson in den Nacken und mustert hungrig das Grillgut. „Täusche ich mich, oder ist das endlich durch?“
Ich nehme die Steaks und Würstchen vom Rost und lege sie kopfschüttelnd auf die bereitstehende Platte. „Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der so verfressen ist wie du!“ Auf einem Nebentisch stehen Teller, Besteck und verschiedene Soßen bereit. Ich deute dorthin. „Greif zu und lass es dir schmecken!“ Ich stoße einen schrillen Pfiff aus. „Hey Leute, das Fleisch ist fertig!“
Begeistert stapelt sich Patch eine Riesenportion auf seinen Teller und isst bereits andächtig, noch ehe die anderen Gäste das Büffet erreichen. Ich habe einen Riesenhunger, doch muss mich etwas gedulden. Erst als der Letzte bedient wurde, greife ich selbst zu. Ich zwänge mich zwischen Patch und Conor, einen der Saisonarbeiter. Sein hochgeschlossenes Hemd verdeckt die Tattoos, die ich vor einer Weile zufällig gesehen habe. Die grusligen Motive deuten auf einen Knastaufenthalt hin, oder dass er einer Gang angehört hat. Er schweigt sich darüber aus und ich löchere ihn nicht. Alles, was mich interessiert, ist, dass er niemals wegen der vielen Arbeit murrt und kräftig mit anpackt. Deshalb werde ich ihm eine Festanstellung anbieten. Ich lasse den Blick über die anderen schweifen. Felicia erzählt von ihrer jüngsten Nichte Cecily, die ihr wohl besonders am Herzen liegt. Sie betont gerne, wie fleißig und freundlich das Mädchen ist. Sie hat des Öfteren versucht, sie nach Montana zu locken. Verständlicherweise weigert sie sich bislang. Sie lebt mitten in Austin und würde sich im betulichen Sanctuary Point mit Sicherheit zu Tode langweilen.
Mir hingegen kann es gar nicht ruhig genug sein. Mehr als alles andere schätze ich sowohl das friedliche Leben als auch die Stille der weiten Landschaft Montanas. Mit vier Geschwistern, und dem ständigen Kommen und Gehen ihrer Freunde, hat es in unserem Elternhaus nie Ruhe und Einsamkeit gegeben, von der Möglichkeit, eines Rückzugsortes ganz zu schweigen. Wir Jungs haben uns die Zimmer geteilt, ich mit Matthew, Lucas mit Marcus. Nur Piper, das Nesthäkchen, genoss als einziges Mädchen, den Luxus eines Einzelzimmers.
Wir Delaneys sind ein liebenswerter, chaotischer Haufen, vielleicht sind wir sogar ein wenig verrückt. Wenn ich nur an Piper denke, die ihre große Liebe in einem angeblichen Penner gefunden hat. Sie hat ein Weihnachtswunder erlebt, obwohl sie uns ein Lügenmärchen auftischen wollte. Matthew dagegen, pflegt eine besondere Beziehung zu seinem 1967er Chevy Impala und meine Mutter spielt bevorzugt Amor. Nichtsdestotrotz vergöttere ich meine Familie und würde für jeden Einzelnen, im Winter barfuß von Montana nach New York rennen. Das heißt nicht, dass ich es bedauere, so weit weg von Sherwood Hills zu leben. Doch heute wallt inmitten all meiner Gäste die Einsamkeit wie eine dicke schwarze Wolke in mir hoch. Zum wiederholten Mal in letzter Zeit wünsche ich mir eine Frau an meiner Seite. Die Furcht, noch in Jahren ohne Partnerin zu sein, bedrückt mich und versetzt mich in eine rastlose und melancholische Stimmung.
Das näherkommende Motorentuckern einer Ducati dringt an meine Ohren. Das kann nur Spencer sein, den ich samt seiner Schwester Vivien eingeladen habe. Ich laufe ihnen entgegen. Mein Blick fällt auf Conor, der beim Klang des Motorrads sichtlich erstarrt, um sich dann angespannt mit seinem Sitznachbarn zu unterhalten. Obwohl ich dieses Verhalten seltsam finde, verschwende ich keinen weiteren Gedanken daran.
Spencer parkt sein heiß geliebtes Motorrad neben meinen Dodge Ram und Felicias Duftrosen. Als er von seinem Bike steigt, wird mir wieder einmal bewusst, wie groß und muskulös er ist. Er könnte mit jedem professionellen Bodybuilder konkurrieren.
„Der Hercules von Sanctuary Point“, empfange ich ihn.
Den Blick, den er mir nach dieser Bemerkung zuwirft, ist so finster wie die Hölle schwarz. Ich verkneife mir das Grinsen.
„Du sollst mich nicht so nennen. Hüpf ich etwa in einem Röckchen herum wie ein verfickter Trojaner?“
„Grieche, mein Freund. Und sie tragen Tuniken und Togen. Es täte dir gut, ab und zu ein Buch zur Hand zu nehmen.“
„Ich bevorzuge Filme.“
Wir begrüßen uns mit einem Aneinanderschlagen der Fäuste.
„Du hast es also tatsächlich geschafft zu kommen. Wo hast du deine Schwester gelassen?“
„Vivien kommt nach. Ich hoffe, es ist okay, dass sie ihre neue Freundin Shailene mitbringt?“
„Klar. Eure Freunde sind auch meine Freunde.“ Ich zucke mit den Achseln. „Was macht die Bar?“, frage ich ihn, als wir stehen bleiben und das fröhliche Treiben beobachten.
Nachdem er nach Sanctuary Point gekommen ist, um den heruntergekommenen Pub seines Onkels zu übernehmen, hat er das versiffte Etablissement auf Vordermann gebracht. Mittlerweile ist das Dead End ein beliebter Treff der Stadtbewohner.
„Alles bestens. Wenn du hin und wieder einmal vorbeikommen würdest, wüsstest du das.“
„Ich hatte einiges zu tun. Eine Ranch schläft nie.“ Das trifft irgendwie auch auf mich zeitweise zu. Manchmal möchte ich mich in die Wildnis zurückziehen, um nichts und niemanden sehen und hören zu müssen.
Felicia tritt zu uns, um Spencer zu begrüßen. Er strahlt sie an, dass sich die Grübchen in seinen Wangen vertiefen. „Felicia, wann erhören Sie mich endlich und brennen mit mir durch? Eine so bezaubernde Frau wie Sie, sollte nicht in der Einöde verkümmern.“
Sie wird rot und kichert. So geht es den meisten Ladys in Gegenwart meines Freundes. Spätestens, wenn er sie anlächelt, hat er sie in der Hand. Sie droht ihm mit schelmisch erhobenem Zeigefinger: „Mr. Hodgkins, Sie sind ein Süßholzraspler!“ Amüsiert verschwindet sie zu den anderen Gästen an den Tischen.
Spencer wartet einen Moment, ehe er mir seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt. „Übrigens … Viviens Freundin Shailene wird dir gefallen. Sie wohnt erst seit Kurzem im Ort.“ Er grinst. „Ehrlich, sie ist der Wahnsinn! Nett, bodenständig und bildschön obendrein.“
Ungehalten kneife ich die Augen zusammen. „Das klingt, als wolltest du mich verkuppeln. So was mag ich genauso gern wie eine Lobotomie ohne Betäubung! Du wirst es nicht glauben, aber ich bin in der Lage, mir selbstständig eine Frau zu suchen.“ Seine Lobeshymnen kann sich Spencer sparen. Wenn ich etwas mehr hasse als Blind Dates, dann sind das wohlmeinende Versuche anderer mir eine Freundin zu vermitteln. Meine Mom versucht das ständig und das endet regelmäßig im Desaster. Alle glauben zu wissen, welche Frau zu mir passt. Mir selbst trauen sie die richtige Wahl wohl nicht zu.
„Du redest hoffentlich nicht von Katalogbräuten“, meint Spencer ernst.
„Arsch!“ Ich zögere einen Moment. „Warum versuchst du nicht dein Glück bei ihr?“
Er hebt abwehrend die Hände. „Sie hat ein Kind. Du weißt, Frauen mit Anhang sind für mich tabu. Die wollen keine schnelle Nummer oder kurze Affären. Bei denen punktet man, indem man ihnen Sicherheit bietet und dazu bin ich nicht bereit. Du wirst dich doch ein wenig um Shailene kümmern, wenn sie da ist?“
Die scheint ja ein heißer Feger zu sein. Wahrscheinlich hat seine Schwester ihn dazu angestiftet. Ich ziehe meine Augenbrauen hoch, um den Anflug meines Interesses für diese Shailene zu verbergen, und verdrehe gespielt genervt die Augen. „Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als den Babysitter für eine von Viviens Freundinnen zu spielen.“
Er schlägt mir lachend auf die Schulter. „Du bist vielleicht ein Komiker. Ich verspreche dir, du wirst ihr nicht von der Seite weichen, sobald du sie gesehen hast. Und bestimmt fährt sie auf grünäugige Cowboys wie dich ab!“
Ich habe haselnussbraune Augen, aber es würde mich viel mehr verstören, wenn ein Kerl so genau hingucken würde. „Willst du ein Bier?“ Ich wechsle das Thema, und als er nickt, schlendern wir rüber zur Scheune, wo ein riesiger Partykühlschrank mit Getränken bereitsteht.
Wir stoßen mit den Flaschen an, lehnen uns an die Wand und trinken einen Schluck. Schweigend starren wir auf die Landschaft. Das heißt, ich mache das, Spencer sieht irgendeiner jungen Frau in Hotpants hinterher.
Während ich die entspannte Atmosphäre genieße, lasse ich im Geiste die letzten Jahre Revue passieren. Ich habe in Montana einen adäquaten Ersatz für meine Familie gefunden. Spencer ist auf jeden Fall mindestens so nervig wie mein Bruder Matthew.
Mein Kumpel wirft einen Blick auf seine Armbanduhr, während ein paar Freunde aus Sanctuary Point zu uns herüberkommen.
„Hey, du Einsiedlerkrebs, wann lässt du dich wieder beim Bowling blicken?“ Chuck schlägt mir jovial auf die Schulter.
„Nächste Woche bin ich dabei.“ Ich trinke einen großen Schluck. „Habe ich irgendwelche Neuigkeiten verpasst?“
„Meine Frau ist endlich schwanger“, verkündet Chuck stolz.
Ich hebe meine Flasche und proste ihm zu. „Herzlichen Glückwunsch.“
Percy grinst dreckig. „Man muss wissen, wie man mit der Kanone umgeht, dann klappt es auch mit der Familienplanung.“ Er wackelt anzüglich mit seinen Augenbrauen.
Chuck verschränkt selbstgefällig die Arme vor der Brust. „Das, was du Kanone nennst, ist bei manchen eher ein Luftgewehr.“
„Hört, hört, der allwissende Chuck hat gesprochen.“
„Nennt mich Gott“, erwidert dieser glucksend.
Ich bin so auf den Schlagabtausch der zwei konzentriert, dass ich den Sportwagen, der auf der Wiese bei den anderen Autos parkt, erst bemerke, als Spencer mich anrempelt und hinüberzeigt. „Da sind sie ja endlich!“
Er macht sich auf den Weg zu ihnen. Ich folge ihm und mir bleibt vor Staunen der Mund offenstehen. Aus der Beifahrerseite steigt die süßeste Frau aus, die mir je vor Augen getreten ist. Ein blonder Rauschgoldengel in Bluse, hautenger Jeans und Cowboystiefeln. Spencer hat nicht zu viel versprochen. Sie ist der absolute Wahnsinn! Er stößt mich verstohlen an und grinst triumphierend. Ich würdige ihn keines Blickes, sondern fixiere Shailene und bin baff, dass seine Lobgesänge der Wahrheit entsprechen. Insgeheim habe ich damit gerechnet, dass sie nicht ansatzweise so toll ist, wie er behauptet hat.
In der Zwischenzeit ist auch seine Schwester Vivien ausgestiegen und grinst uns an. Sie ist hochgewachsen, mit Beinen bis zum Hals, wie es sich für ein Ex-Model gehört. Seit ein paar Jahren arbeitet sie als Eventmanagerin. Als sie in meine Richtung blickt, bekommt ihr Lächeln eine süffisante Note.
Die beiden erreichen uns und ich bin nicht in der Lage meine Augen von diesem Engel abzuwenden.
„Shailene, darf ich dir John vorstellen?“ Spencer deutet auf mich.
Scheu schlägt sie für einen Moment die Lider nieder, ehe sie mich anlächelt. „Hallo John.“ Die Stimme ist genauso wie die ganze Frau: Sweet, sexy und zugleich schüchtern.
Ich bin fasziniert. „Hallo, nett dich kennenzulernen, Shailene.“
„Wie sieht´s aus, vielleicht kannst du sie mit den anderen bekanntmachen?“ Spencer nickt mir auffordernd zu.
Mein Freund ist ein gerissener Teufel, aber unter diesen Umständen lass ich es ihm durchgehen. Ich lege Shailene kurz meine Hand auf den Rücken. „Komm, ich führe dich ein wenig herum.“
Sie nickt zustimmend. „Lebst du schon lange hier?“ Sie wirft ihr Haar nach hinten und mustert mich freundlich, aber reserviert.
„Seit etwa fünf Jahren, ich habe die Poughkeepsie Ranch dem früheren Eigentümer abgekauft.“
Neugier leuchtet in ihren Augen auf. Sie blickt sich bewundernd um. „Bestimmt hast du dich sofort in die Ranch verliebt. Die ist ja riesig!“
„Um ehrlich zu sein, war das Anwesen so heruntergekommen, dass ich es für einen Spottpreis erhalten habe. Der Rinderbestand war deutlich dezimiert, aber inzwischen hat die Ranch ihre alte Pracht zurückgewonnen.“
Zögerlich hakt sie sich bei mir unter. Mir wird warm und ich schlucke, während ich ihr Profil bewundere.
„Du hast offensichtlich fantastische Arbeit geleistet. Darauf kannst du dir etwas einbilden. Allein die Umgebung ist absolut traumhaft! Diese Natur und die Weite, man möchte sich darin verlieren.“ Ihr Lob lässt mich gefühlt ein paar Zoll wachsen. „Meine Eltern besitzen eine Rinderzucht in Idaho“, fügt sie hinzu.
Kann sie noch perfekter werden? Eine Ranchertochter weiß genau, wie das Leben auf dem Land aussieht und sie wird die Realität nie mit einer romantisierten Disney-Traumwelt verwechseln. Sollte sich zwischen uns tatsächlich etwas entwickeln, bleiben uns beiden Enttäuschungen erspart, wenn der Alltag das Ruder ergreift. Neugierig mustere ich sie. „Was hat dich von Idaho nach Montana verschlagen?“
Sie zuckt mit den Achseln. „Ich habe ein paar Jahre in Seattle gelebt. Nun haben wir ein kleines Häuschen im Ort geerbt …“
„Spencer hat erzählt, dass du mit deinem Kind nach Sanctuary Point gezogen bist.“
„Meine Tochter, sie heißt Milli.“ Nachdenklich betrachtet sie ihre Hände. Sie sind ein schöner Anblick, mit der makellosen Haut, den schlanken Fingern und lackierten, ovalen Nägeln. Durch die Berührung auf meinem Unterarm weiß ich, dass sie sich weich und warm anfühlen. Sie streicht sich mit der freien Hand das Haar hinters Ohr. Eine Brise ihres sehr süßen Parfüms kitzelt meine Nase.
„Wie alt ist deine Tochter?“
„Sie ist acht. Im Moment passt meine Nachbarin Ruth auf sie auf.“ Sie klingt liebevoll.
„Und was ist mit Millis Vater?“
Schlagartig wirkt sie unterkühlt. „Wir haben uns kurz bevor Milli in die Primary School kam, getrennt.“
Der Ex ist offenbar ein schwieriges Thema.
Wir stehen mittlerweile vor den Tischen und ich stelle sie den anderen vor. „Leute, das hier ist Shailene.“ Sofort drehen sich uns die meisten Gäste zu und grüßen sie. Ich deute auf einen freien Sitzplatz. Sie lässt sich graziös auf der Bank nieder und blickt zu mir auf.
Ich setze mich ihr gegenüber und sie lächelt mir zu. Sie räuspert sich. „Tolles Barbecue.“
In diesem Moment wünsche ich mir ein bisschen mehr Mühelosigkeit im Umgang mit Frauen. Meine Brüder Matthew und Marcus flirten immer mit einer Selbstverständlichkeit, die in mir jedes Mal Neid auslöst. Bevor meine Einsilbigkeit peinlich werden kann, rettet mich eine der Frauen, die mit einem der Saisonarbeiter liiert ist. Sie kommt auf uns zu und berührt Shailene an der Schulter. „Shailene? Du bist auch hier?“
„Margot. Wie schön, dich zu treffen!“ Sie strahlt die andere an.
„Ihr beide kennt euch?“ Margot nickt und ich deute vage auf die freien Plätze. „Komm, setz dich zu uns.“
Zögernd blickt sie mich an. „Ich weiß nicht, störe ich auch nicht?“
„Keineswegs.“
Margot lässt sich neben Shailene nieder. Sie hebt den Kopf und blickt sich um, wahrscheinlich hält sie Ausschau nach ihrem Freund.
„Woher kennt ihr euch?“ Froh, ein unverfängliches Gesprächsthema gefunden zu haben, lege ich meine Arme entspannt auf den Tisch.
„Über Vivien“, antworten beide wie aus einem Mund.
Sie lachen darüber und ich fühle mich ein wenig fehl am Platz. Mir fällt auf, dass Margot mich und Shailene neugierig mustert, auch wenn sie versucht es zu verbergen.
An der Scheune entsteht Unruhe, die ich jedoch nicht weiter beachte, erst als man meinen Namen ruft. „John? Kannst du mal kommen?“ Einer der Arbeiter winkt mir zu.
„Ich lass euch beide allein. Scheint, als gibt es dort hinten ein Problem, bei dem man meine Anwesenheit benötigt.“
Vermutlich bilde ich es mir nur ein, aber ich finde, Shailene wirkt enttäuscht. Dennoch strahlt sie mich an. „Vielleicht haben wir nachher Gelegenheit, unsere Unterhaltung fortzusetzen?“ Ihre Wangen röten sich und sie blinzelt verlegen.
Mein Herz klopft ein wenig schneller, als ihr Blick auf den meinen trifft. „Das würde mich freuen.“
Als ich davongehe und auf die Gruppe Saisonarbeiter zusteuere, spüre ich, wie mich die beiden Frauen beobachten und kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen.
Cecily
Beim Umdrehen pickst mich eine Sofafeder in die Hüfte und katapultiert mein schlaftrunkenes Ich erbarmungslos in den Wachzustand.
Ein paar Minuten gönne ich mir, um mich zum Aufstehen zu motivieren, und wie jeden Morgen hoffe ich, nur geträumt zu haben und nicht tatsächlich im übelsten Viertel Austins zu hausen.
Dann treibt mich das schrille Gekeife unserer Nachbarin rüde aus dem Bett, weil sie sich im Vorgarten wieder mal mit den unzähligen Katzen der verrückten alten Ms. Florez vom Ende der Straße anlegt.
Wie meist schwebt der Geruch nach Bohnerwachs und Lavendel im Raum. Im Lauf der Jahre hat er sich vermutlich in Polster, Teppich und Tapeten gefressen. Das Gluckern und Stöhnen der Wasserleitungen verrät, dass meine Halbschwester Gabrielle das Bad blockiert. Stöhnend lege ich mir ein Kopfkissen über das Gesicht, um kurz darauf aus meiner Schlafstatt zu kriechen und mich in die Küche zu schleppen. Ich schalte die Kaffeemaschine ein und während ich warte, dass der Kaffee durchläuft, blicke ich deprimiert auf die uralten, verschrammten Küchenschränke. Eine der Türen hängt seit Ewigkeiten schief. Egal, wie oft man versucht, sie festzuschrauben, sie widersetzt sich hartnäckig jeglichen Bemühungen. Das schmutzige Geschirr der letzten beiden Tage stapelt sich im Becken und ich fange an, es zu spülen. Oft fehlt uns die Zeit zwischen Doppelschichten und Extrajobs, um die Hausarbeit zu erledigen. Ich koche in einem Fast Food Restaurant und putze in einem Bürogebäude. Gabrielle arbeitet in einer Fabrik auf der anderen Seite der Stadt. Wenn wir nach Hause kommen, sind wir meist zu erledigt, um mehr zu tun, als uns auf das Sofa zu werfen. Es ist nicht das Leben, das wir uns als Kinder erträumt haben, aber wenigstens sind wir zusammen.
Ich schaffe es, sämtliche Teller, Tassen, Gläser und das Besteck zu reinigen, ehe ich höre, dass Gabrielle das Bad verlässt.
„Schlechte Neuigkeiten“, ruft sie aus ihrem winzigen Schlafzimmer. „Das Warmwasser ist ausgefallen.“
Deprimiert seufze ich. Das ist nun schon das dritte Mal in diesem Monat. Vielleicht sollte ich mich damit aufmuntern, dass wir uns auf diese Weise den Kaffee einsparen können, denn besser als Koffein weckt kaltes Duschen die Lebensgeister. Aber ich bin einfach nur müde und melancholisch. Wenn ich als Teenager nicht so unbelehrbar gewesen wäre, würde mein Leben heute vielleicht anders aussehen. Doch ich habe zu Schulzeiten geglaubt, Besseres zu tun zu haben, als mich hinter die Bücher zu klemmen. Auf der Highschool habe ich eine wilde Party nach der anderen gefeiert, ehe mir klargeworden ist, wie wichtig gute Schulnoten sind. Da war der sprichwörtliche Zug bereits abgefahren. Jetzt sitze ich da mit einem miserablen Abschluss und einer Mutter, die mir gepflegt einen Arschtritt verpasst und mich aus dem Haus gejagt hat, damit ich ihr nicht länger auf der Tasche liege und ein schlechtes Vorbild für die drei Kinder ihres neuen Mannes bin, der mich ohnehin nicht ausstehen kann.
Ich habe meine Lektion gelernt, bin erwachsen geworden und schufte wie eine Irre, um ein eigenständiges Auskommen zu haben. Darauf bin ich sehr stolz und auch wenn mich Mom fallengelassen hat, auf meine Schwester kann ich mich verlassen. Außerdem haben wir Felicia, unsere Tante, die über eine Herzenswärme verfügt, die ich mir von meiner Erzeugerin wenigstens in Ansätzen gewünscht hätte.
Hoffnungsfroh steige ich unter die Dusche, doch mehr als ein lauwarmer Strahl lässt sich den Rohren nicht entlocken. Stattdessen versuche ich, mich am Luxus eines intensiv duftenden Stücks Lavendelseife zu erfreuen. Mit zackigen Bewegungen schäume ich mich ein und lasse im Anschluss das Wasser über Kopf und Körper prasseln. Die Temperatur ist selbst bei der texanischen Hitze eine Zumutung. Ich beiße die Zähne zusammen und spüle meine taillenlangen Haare gründlich aus. Zum wiederholten Mal denke ich darüber nach, mir die Mähne abschneiden zu lassen. Die Idee hält genauso lang an, wie es dauert, mich in das sonnengewärmte Badetuch einzuwickeln. Ich schlüpfe in meine Unterwäsche und steige anschließend in abgeschnittene Jeans und ein T-Shirt. Barfuß laufe ich in die Küche, gieße mir Kaffee ein und gehe in den Wohnraum, um dort am Tisch den bitteren Wachmacher genüsslich zu trinken. Später, bei Uncle Sammys werde ich einen Happen essen. Vor Ewigkeiten haben meine Schwester und ich eine Vereinbarung getroffen: Die Zubereitung von Speisen obliegt allein mir, sofern es über das Erwärmen von Fertiggerichten hinausgeht, weil Gabriele eine miserable Köchin ist.
Kochen ist meine Passion. Ich liebe es, in der Küche zu stehen, zu kneten, zu schnippeln und zu dünsten. Nicht nur das Sinnliche der Nahrungszubereitung genieße ich, auch das Brodeln und Dampfen aus den Töpfen, während die köstlichsten Gerüche die Räume durchziehen, schenkt mir Glücksmomente. Aber am befriedigendsten ist es, alle um den Tisch herum zu vereinen und zu sehen, dass sie es sich gut gehen lassen.
Diese Begeisterung fürs Kochen und Bewirten hat mein früherer Job im kleinen Restaurant von Mrs. Ransom geweckt. Am Anfang war ich dort als Putzkraft angestellt und später habe ich in der Küche gearbeitet. Leider ist sie nach Miami gezogen und hat ihr Lokal geschlossen. Aber seit dieser Zeit lässt mich mein großer Traum nicht mehr los: Irgendwann mein eigenes Restaurant oder Café zu besitzen. Dafür spare ich jeden Cent, den ich erübrigen kann. Nach Mrs. Ransom habe ich in einigen Speiselokalen gejobbt, bis ich eine Festanstellung bei Uncle Sammy angeboten bekam. Außerdem sind Gabrielle und ich in dieses Haus gezogen, das zwar in der schlechtesten Gegend der Stadt liegt, aber günstig ist und sich in der Mitte unserer Arbeitsstellen befindet. Wir wollten nach Jahren der Trennung zusammenwohnen und die verlorene Zeit wettmachen.
Kaffee schlürfend kommt Gabrielle aus der Küche. Sie schmeißt sich aufs Sofa, sodass die altersschwachen Federn krachen und knirschen. Ihre Hand tastet nach der Fernbedienung des TV-Geräts. „Ich hab miserabel geschlafen“, verkündet sie und schaltet den Flachbildschirm ein. Sie blickt zu mir, während im Hintergrund irgendeine Morning Show mit einem übertrieben gut gelaunten Moderator läuft. „Es gibt was, dass ich mit dir besprechen möchte.“
Das hört sich verdächtig an. Ich argwöhne schon eine geraume Weile, dass sie etwas vor mir verheimlicht. „Warum habe ich das Gefühl, dass mir das nicht gefallen wird?“
Gabrielle, die mir angeblich so ähnlichsieht wie ein Zwilling, beißt sich auf die Lippen und starrt in ihren Kaffee.
„Modelst du etwa wieder?“
Gabrielle ist von Zuhause ausgerissen, um Model zu werden, das Einzige, das ihr damals eingefallen ist, um der Tristesse unseres Elternhauses zu entfliehen. Sie hat ein paar Engagements als Fotomodel erhalten, doch der Preis ist hoch gewesen. Die Welt der Schönen und des Rampenlichts hat verdammt hässliche und rabenschwarze Seiten. Leider musste sie das auf die harte Tour lernen. Ich fühle, wie sich mir vor Sorge die Nackenhaare aufstellen. Bis Gabrielle in schallendes Gelächter ausbricht. „Wo denkst du hin? Auf keinen Fall!“
Ich bin so erleichtert, dass ich erst jetzt merke, wie sehr ich mich angespannt habe.
„Also gut, dann kann es kaum schlimm sein. Raus mit der Sprache!“
Ihre Bambiaugen funkeln vorfreudig. „Ich habe mich auf einen Job in dieser Klinik beworben. Für eine Ausbildung als Krankenschwester.“
Nachdenklich trinke ich einen Schluck. „Diese Spezialklinik für junge Mädchen und Frauen?“
Sie nickt so heftig, dass ihre kurzen Haare fliegen. „Sie würden mich nehmen.“
Ich schreie begeistert auf und nachdem ich die Tasse auf dem Wohnzimmertisch abgestellt habe, stürze ich mich auf sie, sodass sie kichernd nach hinten aufs Sofa kippt. So liegen wir lachend und johlend da, bis sie mich von sich schiebt.
„Das ist fantastisch! Du wolltest schon lange einen sozialen Beruf ergreifen!“
Gabrielles Miene fällt in sich zusammen. „Die Klinik ist in Kalifornien. Ich kann dort ins Schwesternwohnheim ziehen.“
Fassungslos lasse ich mich tiefer in die Polster sinken. Das bedeutet, Gabrielle geht fort. Ich schlucke meine Trauer und Enttäuschung hinunter und umarme meine Halbschwester. Sie soll nicht wissen, wie sehr mir das zusetzt. Das wäre unfair. Obwohl sich jetzt alles ändert und ich im Moment nicht weiß, wie es für mich weiter geht, freue ich mich wahnsinnig für sie.
„Du wirst das auf jeden Fall machen!“
„Und was ist mit dir?“
Ich hole tief Luft. Ja, was wird aus mir? Alles, was mich in Austin hält, sind Gabrielle, die Gewohnheit und der sichere Arbeitsplatz, der am Anfang nur als Übergangslösung bis zum nächsten, besseren Job gedacht gewesen war.
„Wie wäre es mit Tante Felicia?“ Sie legt den Kopf schief. „Sie will dich schon ewig überreden nach Montana zu kommen. Warum machst du es nicht? Schließlich ist sie nicht mehr die Jüngste.“
„Sie ist erst ein bisschen über fünfzig und nicht kurz vorm Abnippeln“, sage ich vorwurfsvoll.
Gabrielle grinst. „Du solltest zu ihr gehen!“
„Was? Nach Montana?“
Unsere Tante arbeitet als Haushälterin auf der Ranch eines Junggesellen. Regelmäßig schwärmt sie uns von ihrem Boss, dem riesigen Anwesen und der Idylle vor, die das Leben auf dem Land mit sich bringt.
„Klar!“ Gabrielle zuckt mit den Schultern. „Oder du ziehst mit mir nach Kalifornien. Aber wieso solltest du das tun?“
„Willst du mich etwa loswerden? Warum soll ich nicht mit dir kommen?“
„Weil du meine kleine Schwester und nicht meine Leibwächterin oder Babysitterin bist. Es wird Zeit, dass du dich um dich selber kümmerst. Schmeiß den Job bei Sammy hin und zieh nach Montana. Tante Felicia präsentiert dir dort alles auf dem Silbertablett. Es wäre wirklich dumm, das nicht anzunehmen!“ Sie klingt erschreckend vernünftig.
„Und wenn das nur Gerede war? In jedem Ort gibt es Arbeitskräfte und ausgerechnet ich als Fremde ohne besondere Qualifikationen werde es schwer haben.“ Ich ziere mich und weiß nicht einmal genau warum.
Gabrielle lächelt mich aufmunternd an. „Das trifft aber so gut wie überall zu. Du hattest ohnehin vor, die Stelle zu wechseln.“
„Aber wer sagt, dass meine Chancen in Sanctuary Point tatsächlich so gut sind, wie Tante Felicia behauptet?“
„Ruf sie an und frag nach!“ Sie deutet mit dem Kopf auf mein Smartphone. Als ich zögere, drückt sie es mir mit Nachdruck in die Hand.
„Wenn du Pech hast, komme ich mit dir nach Kalifornien. Das hast du dann davon!“ Meine Drohung lässt sie grinsen.
Ein Hupen ertönt vorm Haus. „Hoppla, das ist meine Kollegin! Ich bin spät dran.“ Gabrielle springt auf, greift sich den Schlüssel vom Sideboard neben der Tür und verschwindet mit einem knappen Abschied.
Seufzend starre ich auf das Handy in meiner Hand. Bleibe ich arbeitslos, muss ich ans Ersparte gehen. Das täte weh.
Da ich die Antworten all dieser Fragen nicht auf dem Display finden werde, gebe ich mir einen Ruck und wähle Felicias Nummer.
Bereits beim zweiten Klingeln hebt sie ab. „Cecily, Liebes“, zwitschert sie in den Hörer. „Schön, dass du dich meldest. Geht’s dir gut?“
„Ja schon. Aber … War dein Angebot, mich bei einem Umzug zu unterstützen, ernst gemeint?“
„Selbstverständlich!“, schmettert sie mir inbrünstig entgegen.
Bei dieser entschlossenen Antwort verflüchtigt sich meine Besorgnis ein Stück weit. Ich hole Luft und verkünde: „Dann setz dich lieber: Könnte sein, dass ich bald einen Flug zu dir buche.“
Einen Moment ist es in der Leitung totenstill und Bedenken und Enttäuschung schnüren mir förmlich die Kehle zu.
„Das ist wunderbar, Cecily! Du bist auf der Poughkeepsie Ranch herzlich willkommen!“
Schlagartig kullern die Zweifel von meiner Brust. „Na ja“, wiegle ich ab. „Ich bleibe nur, bis ich im Ort einen Job und eine Unterkunft gefunden habe. Es gibt doch freie Stellen in Sanctuary Point?“
„Du findest beides, davon bin ich überzeugt!“
„Du klingst so absolut sicher. Warum?“
„Weil ich dich kenne, und weiß, wie gerne du kochst. Außerdem habe ich kürzlich mit Mrs. Trapp, der Besitzerin eines Lokals im Ort gesprochen, und bin überzeugt davon, dass du beste Aussichten hast eingestellt zu werden.“
Gegen eine derart flammende Gewissheit fällt mir nichts mehr ein und letztendlich erfahre ich erst, ob es wirklich stimmt, wenn ich mich darauf einlasse. Und wie heißt es so schön? Wer kneift, den fressen die Würmer.
„Der Entschluss hierherzukommen, ist der beste deines Lebens. Ich verspreche dir, du wirst in keiner Fast Food Bude kochen.“ Felicia lacht. „So etwas gibt es in Sanctuary Point nämlich gar nicht.“ Man könnte glauben, sie preise mir das Paradies an. Ich sehe direkt vor mir, wie Tante Felicia in Träumen schwelgt. Ich hoffe, sie hat Recht. Gabrielle und ich wissen zur Genüge, dass Veränderungen nicht nur Gutes mit sich bringen …
„Ich melde mich, sobald ich in Erfahrung gebracht habe, ob und wann ich nach Montana kommen kann.“ Langsam wird es Zeit für mich ebenfalls zur Arbeit zu fahren.
„Tu das, Liebes! Und mach dir keine Sorgen, du bist hier willkommen!“
Wir verabschieden uns und ihre Worte klingen noch in meinem Ohr, als ich zwei Stunden später an meinem Arbeitsplatz stehe und in die sprudelnde Fetttunke starre. Das Öl spritzt und zischt, als ich die Pattys vom Großmarkt hineinwerfe.
Obwohl ich Haarnetz und Haube trage, fühle ich, wie die Ausdünstungen von meinem Haar aufgesogen werden und sich als Film über die Haut legen, genauso wie auf die Küchengeräte, den Boden und die Wandfliesen.
„Ich hasse Frittieren.“ Das Geständnis bleibt seitens der Fleischscheiben unkommentiert. Im Restaurant von Mrs. Ransom hat es keine Fritteuse gegeben. Erfreulicherweise.
Ein Ortswechsel täte mir gut. Doch ausgerechnet in die Einsamkeit Montanas? Soll ich das wirklich durchziehen? Andererseits, was hält mich bei Sammy՚s und in Austin, sobald Gabrielle erst mal weg ist? Wenn ich heute kündige, bin ich Ende der Woche frei, und einen Ersatz findet Sammy sicher sofort.
Von Anfang an habe ich damit geliebäugelt, mir meinen Traum in einer Kleinstadt zu erfüllen. Dort gehen die Leute genauso gern zum Essen wie in Großstädten.
Während ich die Burgerscheiben aus der Fritteuse fische, verliere ich mich in Wunschvorstellungen über mein eigenes Lokal. Die Gäste erhalten nur das Beste: Entspannte Atmosphäre und selbst gemachte Gerichte, die ich aus frischen, hochwertigen Zutaten zubereite.
Ich werfe meinem Kollegen Morty einen Blick zu. Der Küchengehilfe wühlt mit beiden Händen im Krautsalat aus dem Großgebinde, der sich den Zusatz `hausgemacht´ auf der Speisekarte nur verdient, weil er ihn nachwürzt.
Schmerzhaft werde ich aus meinen Tagträumereien gerissen, als mir heißes Fett auf die Haut spritzt. Fluchend und mit Tränen in den Augen, reiße ich den Arm zurück und hetze an das Waschbecken, wo ich kühles Wasser über die Verbrennung laufen lasse.
Das ist der letzte Tropfen, der meine Entscheidung festigt. Warum warten? Ob und wann ich in der Lage sein werde, ein Restaurant zu eröffnen, steht ohnehin in den Sternen. Der Gedanke, allein hier in Texas festzustecken, tut fast so weh wie die Verbrennung.
Plötzlich spüre ich eine Energie, die ich schon verloren geglaubt habe. Nachdem meine Kollegin zur Ablösung auftaucht, kann ich gar nicht schnell genug in die winzige Umkleide für die Angestellten des Diners verschwinden. Ich wechsle in aller Eile die Kleider, mache mich auf die Suche nach Sammy, dem Chef des Fast Food Tempels, und entdecke ihn hinter der Theke.
„Sammy, können wir kurz miteinander reden?“ Gedrungen und rund wie er ist, erinnert er an eine menschliche Kanonenkugel. Schweiß glänzt auf seinem kahlen Schädel. Er zieht ein großes, rotes Taschentuch aus der Jacke, mit dem er sich über die Glatze wischt. „Cecily, was liegt dir auf dem Herzen?“
„Ich kündige.“ Kurz wird mir schwindlig von der eigenen Courage. Übelkeit steigt mir bis in die Kehle hinauf und mir wird bewusst, dass mir eine große Veränderung bevorsteht. Ein kleines Stimmchen in meinem Kopf beruhigt mich. Ein Schritt nach dem anderen, erst muss ich die Kündigung bei Sammy hinter mich bringen.
„Das kommt ein bisschen überraschend.“ Ratlos starrt er mich an. „Woran liegt´s? Hast dich nie beschwert. Nicht wie der Nörgelonkel da hinten.“ Er deutet mit einer knappen Bewegung zur Küche hin.
Morty, der grad an der Durchreiche steht, streckt seinen Kopf vor. Er sieht aus wie eine Schildkröte, die sich aus ihrem Panzer schiebt. „Was ist mit mir?“
Sammy wedelt mit der Hand. „Nichts! Zurück an die Arbeit! Ich führe vertrauliche Personalgespräche.“
Maulend verschwindet Morty. Man hört es klappern und krachen. Ich lenke meine Aufmerksamkeit wieder auf Sammy. „Ich brauch einfach einen Tapetenwechsel.“
Er mustert mich und nickt. „Manchmal ist das so. Und wohin zieht es dich? Hast du etwas, wo du unterkommen kannst? Wohnung, Job?“
Ich zucke mit den Schultern. „Ich habe eine Tante in Montana. Also probiere ich dort mein Glück.“
„Recht kalt da.“ Er geht an die Kasse und öffnet die Lade. Geldscheine rascheln. Dann hält er mir ein Bündel entgegen. Es ist mehr als der ausstehende Lohn. „Das ist zu viel.“ Der gesunde Menschenverstand sagt mir, dass ich mir einen Bonus verdient habe, schließlich schufte ich hart für meinen Lebensunterhalt, doch der Anstand will mich zur Bescheidenheit zügeln und nur annehmen, was mir laut Arbeitsvertrag zusteht.
Sammy greift nach dem Quittungsblock und starrt mich strafend an. „Nimm es. Ich dulde keinen Widerspruch!“
Was bleibt mir anderes übrig, als das Geld in die Hosentasche zu stopfen und die Quittung darüber zu unterschreiben?
„Du kommst noch bis Ende der Woche?“
Ich reiche Sammy Block und Kugelschreiber. „Auf jeden Fall!“
Dankbar nickt er. Er ist keiner von der gefühlsduseligen Sorte. Andererseits sind das Männer ohnehin selten, aber wie jeder gute Chef weiß er fleißige, zuverlässige Angestellte zu schätzen.
Mit diesem Gedanken, dass ich ein berufliches Kapitel in meinem Leben abschließe, steige ich wenig später in meinen Wagen. Die Papiertüte mit dem Essen lege ich auf den Beifahrersitz und der würzige Geruch von gebratenem Rindfleisch und Cheddar durchdringt den Innenraum des Autos. Beim Starten des Motors gibt der Wagen wahrhaft bemitleidenswerte Geräusche von sich. Die Karre braucht dringend eine Überholung. Das Problem hat sich allerdings erledigt. Die anderthalbtausend Meilen zu Tante Felicia packt die Schrottmühle sowieso nicht mehr, genauso wenig wie den Weg nach Kalifornien.
Als ich ohne Zwischenfall unser Haus erreiche, atme ich erleichtert aus. Wie immer parke ich vor dem Wohnzimmerfenster. Diesmal bleibe ich einen Moment hinter dem Steuer sitzen und starre auf die verwitterte Fassade. Ich wusste, dass wir hier nicht ewig wohnen würden, und dennoch ist es mein Zuhause. Das Gurgeln der Wasserrohre, das Zischen der Klimaanlage und Gabrielles Sommerdrinks, die sie uns gemixt hat, wenn die Air Condition mal wieder ausgefallen ist … all das werde ich schrecklich vermissen. Am meisten wird mir Gabrielle fehlen. Ich blinzle die aufsteigende Traurigkeit fort und versuche optimistisch zu sein. Es wird alles fabelhaft werden. Für uns beide. Statt mich noch länger im Abschiedsschmerz zu suhlen, steige ich aus, gehe rein und lasse die Tüte mit dem Essen auf dem Sofatisch zurück. Gabrielle finde ich in der Küche.
„Schlimmen Tag gehabt?“ Sie blickt kurz zu mir, weil sie mit dem Kochlöffelstiel im Müllschlucker rumstochert. Wahrscheinlich ist er verstopft.
„Ich hab gekündigt.“
„Bravo!“ Erneut blickt sie über die Schulter zu mir. Grinsend legt sie den Kochlöffel beiseite, ehe sie sich vollends zu mir umdreht. „Das sind großartige Neuigkeiten!“
Ich muss über ihren Enthusiasmus lächeln. „Du hast sicher recht, und es fühlt sich richtig an. Mit Tante Felicia habe ich schon telefoniert, sie hält Wort.“
Sie kommt zu mir und umarmt mich. „Du wirst sehen, das ist genau das, was wir beide nötig haben! Wir haben uns viel zu lang mit den Lebensumständen hier abgefunden. Es ist Zeit weiterzuziehen.“
Ich runzle die Stirn. „Woher nimmst du nur deinen Optimismus?“
„Den hab ich von dir.“ Sie löst sich aus unserer Umarmung und grinst mich verschmitzt an. „Weißt du noch, was du damals im Krankenhaus zu mir gesagt hast?“
„Keine Macht den Drogen?“, schlage ich vor.
Gabrielle lacht. „Nein, viel profaner: Ich glaube, mich zu erinnern, dass du mir erklärt hast, tote Pferde reitet man nicht mehr.“
„Stimmt, das hab ich wohl erwähnt.“ Plötzlich wird mir klar, dass trotz der ganzen Bedenken meine Vorfreude überwiegt. Gabrielle liegt absolut richtig: Wir müssen weiterziehen. Und nur weil uns viele tausend Kilometer trennen, heißt das nicht, dass wir aufhören eine Familie zu sein.
Mit stoischer Gelassenheit holt sie vom Wandbord zwei Gläser herunter, die sie mir in die Hand drückt.
„Komm, darauf stoßen wir an.“ Aus dem Kühlschrank zieht sie eine Flasche Schampus heraus. „Das ist ein Grund zu feiern!“
Wir gehen ins Wohnzimmer, wo sich Gabrielle auf das Sofa sinken lässt. Wir prosten uns zu und trinken. Ich fühle mich heiter und leicht und lasse mich von Gabrielles Euphorie anstecken. „Ich prophezeie es dir, Cily: Jetzt kriegen wir, was wir uns beide sehnlichst wünschen!“
Ich plumpse in den Sessel und lande prompt an der abgenutztesten Stelle. Es quietscht gotterbärmlich. Während ich eine bequemere Sitzposition suche, schiebe ich Gabrielle den in Papier eingewickelten Burger rüber. Ich weiß, dass sie die am liebsten mag. „Die Schwesternausbildung ist wirklich das, was du willst?“
Sie nickt. „Das und nichts anderes. Und ich will es genau in dieser Klinik. Als ich die Bewerbungsunterlagen hingeschickt habe, habe ich mir keine Chancen ausgerechnet. Deswegen habe ich dir nichts davon erzählt.“ Entschuldigend blickt sie mich an.
Verständnisvoll blinzle ich. Ich bin diejenige von uns, die erst handelt und dann denkt. Bei Gabrielle ist das genau andersherum.
„Ich bin stolz auf dich!“ Ich seufze und trinke einen Schluck. Die Kohlensäureperlen prickeln auf der Zunge und auf ihrem Weg die Speiseröhre hinab in den Magen. Ich mustere meiner Halbschwester. Sie leert ihr Glas und macht sich über den Burger her. „Das wird mir fehlen.“ Traurig zuckt sie mit den Schultern.
„Mir auch.“ Trotz der Vorfreude überkommt uns nun Melancholie. Wir sehen einander an und sie wirft mir einen eingewickelten Taco zu. „Iss, du brauchst Energie, schließlich hast du eine lange Reise vor dir.“
„Ich buche frühestens fürs Wochenende!“
„Das ist schneller da, als du denkst. Du buchst am besten sofort einen Flug nach Montana.“
Ich richte mich auf, greife nach meinem Smartphone und werfe Gabrielle einen Blick zu. „Letzte Chance, ich kann Montana immer noch absagen und mit dir nach Kalifornien gehen.“
Sie verdreht die Augen und lacht. „Wag es nicht!“
John
Shailene geht mir seit unserer ersten Begegnung nicht mehr aus dem Kopf. Es stört mich keineswegs, dass sie ein Kind aus einer früheren Beziehung hat und ich würde sie gern näher kennenlernen. Zwar sind wir uns ein paar Mal beim Einkaufen begegnet, doch mehr als ein kurzes Gespräch war unmöglich. Ich kann doch keine Frau um ein Date bitten, die an der einen Hand ihre Tochter hält und unterm anderen Arm Klopapier spazieren trägt. So etwas ist niveaulos.
Als ich sie nun auf der gegenüberliegenden Straßenseite entdecke, während ich in meinem Dodge Ram auf Felicia warte, beobachte ich sie hingerissen. Eben stoppt sie, um sich zu ihrer Tochter herunterzubeugen und an deren Jacke zu zupfen. Das Mädchen sieht aus wie eine brünette Miniaturausgabe von Shailene. Ihre winzige Hand schiebt sich in die ihrer Mutter, dann hüpft sie über den Gehsteig, dass die Locken springen. Shailene hat auf eine Jacke verzichtet, trägt eine locker fließende Bluse, die bis auf ihre Oberschenkel reicht, sowie eine schwarze Hose, die sich wie eine zweite Haut um ihre Schenkel schmiegt und Stiefel mit Absatz. Bisher habe ich sie nur auf dem Barbecue in Jeans gesehen. Sie legt offenbar Wert auf schicke Kleidung. Vielleicht arbeitet sie in einem Büro oder an einer Rezeption.
Ich registriere, dass die Autotür geöffnet wird und Felicia auf dem Beifahrersitz Platz nimmt, doch meine Aufmerksamkeit klebt wie hypnotisiert an Shailene.
„Ich bin fertig.“ Meine Haushälterin klingt belustigt und unterdrückt ein Lachen. Peinlich berührt löse ich den Blick und starte den Motor.
Felicia sieht rüber zur Hauptstraße. „Ist das nicht die Freundin von Ms. Hodgkins?“
„Stimmt, das ist Shailene Masters.“ Ich konzentriere mich auf die Fahrbahn vor mir.
Felicia schweigt so lange, dass ich im ersten Moment verwirrt bin, als sie plötzlich sagt: „Das Herz einer Mutter erobert man am einfachsten, indem man das Kind für sich gewinnt.“
Stirnrunzelnd starre ich zu ihr hinüber. Sie hält die Griffe der Handtasche umklammert und blickt scheinbar desinteressiert auf die Straße hinaus. „Bin ich so leicht zu durchschauen?“
Sie lächelt amüsiert. „Du trägst deine Gefühle offen zur Schau, mein lieber John. Wenn du mir diesen Ratschlag erlaubst: Warte nicht zu lange, ehe du die junge Frau nach einer Verabredung fragst.“
Da ich wenig Lust verspüre, mit meiner Haushälterin Beziehungsthemen zu diskutieren, beschließe ich, das Thema zu wechseln. „Wann kommt deine Nichte Celia an?“
„Ihr Name ist Cecily. Sie wird morgen Nachmittag auf der Ranch eintreffen. Ich bin dir unendlich dankbar, dass du ihr erlaubst bei mir zu wohnen, bis sie eine eigene Bleibe gefunden hat. Man wird kaum merken, dass sie da ist. Du wirst sehen, sie ist ausgesprochen freundlich.“
„Das glaube ich sofort. Außerdem ist meine Hilfe selbstverständlich. Sie gehört zu deiner Familie.“
„Es ist trotzdem großzügig von dir“, beharrt sie und ich schmunzle. Als ob ich ihr je etwas abschlagen würde! Die Anwesenheit von Felicias Nichte wird das ruhige Leben auf der Ranch sicher nicht beeinträchtigen und bestimmt wird sie sich zügig eine eigene Unterkunft im Ort suchen. Außerdem freut sich Felicia wahnsinnig auf sie.
„Hat deine Nichte einen Job in Aussicht?“
„Sie kann sich jederzeit bei Mrs. Trapp vorstellen …“
Ich unterbreche Felicia. „Das ist die Besitzerin des Cafés, nicht wahr?“
„Genau. Ihr gehört das Sweetums. Cecily würde es lieben, dort zu arbeiten. Sie ist eine hervorragende Köchin!“
Meine Neugier auf die Nichte beginnt sich zu regen. „Das liegt wohl in der Familie.“
Geschmeichelt lacht Felicia. „Vielleicht“, sagt sie bescheiden.
„Kennt sie das Leben in einer Kleinstadt?“
„Herrje, nein, meine Cecily war immer schon eine Großstadtpflanze.“
Meine Gedanken wandern zurück zu Shailene. Ich besitze ihre Telefonnummer, weil sie sich für eins der Babykätzchen unserer Hofkatze Bubbles interessiert, um sie ihrer Tochter zu schenken. Ich erwärme mich immer mehr für die Idee, sie anzurufen und bei dieser Gelegenheit nach einer Verabredung zu fragen. Kurz darauf parke ich den Dodge Ram vor dem Haus. Während ich Felicia beim Hereintragen der Einkäufe helfe, hieven zwei meiner Männer das Futter von der Ladefläche und schleppen die Säcke in die Scheune.
Später schnappe ich mir das Telefon und verziehe mich ins Arbeitszimmer. Die Mittagssonne fällt herein und offenbart schonungslos die vom Vorbesitzer verursachten Kaffeeränder auf dem dunklen Schreibtisch, die sich ins Holz gefressen haben und jeglichem Versuch Felicias, sie zu beseitigen, widerstehen. Ich lege die Futtermittelrechnungen der vorigen Woche darüber und wende mich ab. Auf dem Kaminsims steht ein Foto meiner Familie, das letztes Weihnachten im Freien aufgenommen worden ist. Pipers Gesicht wetteifert farblich mit dem Schnee, so bleich ist sie, ihr Mann William strahlt im Gegensatz dazu pure Freude aus. Kein Wunder, er hat zum Zeitpunkt der Aufnahme auch nicht an Schwangerschaftsübelkeit gelitten. Neben den beiden lehnt mein Bruder Matthew mit dem Rücken an einem Baumstamm und trägt seinen, für ihn typischen, spöttisch-selbstbewussten Gesichtsausdruck zur Schau. Er hat garantiert schon mehr Frauen abgeschleppt als James Bond und würde sich über meine Zurückhaltung bei den Frauen kaputtlachen. Das motiviert mich, Shailenes Nummer zu wählen.
Sie nimmt beim vierten Klingeln ab. „Hallo Shailene, ich bin՚s John. Ich dachte, ich melde mich mal wegen der Katzenbabys. Bist du noch interessiert?“
„John! So eine Überraschung.“
Ihre Stimme wird gefühlt eine Oktave heller. „Ich freu mich, dass du anrufst und ja, ich bin noch interessiert, aber momentan ist es schlecht. Ich habe morgen einen wichtigen Anwaltstermin und Millis Babysitterin ist krank.“ Sie seufzt. „Weil wir neu in der Stadt sind, kenne ich kaum jemandem, dem ich sie anvertrauen würde …“ Sie klingt verzweifelt und frustriert zugleich. „Tut mir leid, vielleicht meldest du dich in ein paar Tagen?“
Was für ein Mann wäre ich, wenn ich eine Frau in Nöten im Stich ließe? Noch dazu diejenige, die ich näher kennenlernen möchte und deren Tochter mich idealerweise ebenfalls mögen sollte. Somit liefert mir das Schicksal die perfekte Möglichkeit, um die Sympathien von Shailene und Milli zu gewinnen.
Mit Kindern habe ich bislang zwar wenig bis nichts zu tun gehabt, aber wie schwer kann es sein, ein Mädchen zu bespaßen? Meine Schwester Piper saß früher gern mit der Nase in einem Buch herum. Später hat sie sich vor den Fernseher gesetzt und ständig irgendwelche Musikkanäle angeschaut.
„Wenn du mir genug vertraust, und es für dein Mädchen in Ordnung ist, kannst du sie gern zu mir auf die Ranch bringen. Ich denke, wir zwei könnten miteinander auskommen.“ Noch während ich diesen Vorschlag mache, höre ich im Kopf meine Brüder lachen, weil sie sich darüber amüsieren, dass ich nicht einfach direkt nach einem Date frage.
Shailene schweigt. Kein Wunder, wir kennen uns kaum. Dass ich ihre Tochter beaufsichtige, verlangt ihr sicher viel ab. „Ist das dein Ernst?“
„Selbstverständlich! Ich wäre auch nicht allein, meine Haushälterin ist ebenfalls im Haus.“
„Okay“, stimmt sie nach kurzem Zögern zu.
Ich bin ein wenig überrumpelt. „Wirklich?“
„Du wirkst auf mich nicht so, als würdest du kleine Mädchen misshandeln. Außerdem bist du ein Freund von Viviens Bruder. Also, ja, wenn es für dich in Ordnung ist, bringe ich Milli morgen früh zu dir.“
„Prima! Bei welchem Anwalt bist du?“
Jetzt, wo die Frage nach einem Babysitter für sie geklärt ist, klingt sie deutlich entspannter. „Bei Kruger, Munzing & Son. Drüben in Preacherstown.“
Im selben Moment wird mir die Bedeutung ihrer Worte bewusst. Warum sie nicht den Anwalt in Sanctuary Point genommen hat, ist mir ein Rätsel, denn Preacherstown liegt achtzig Meilen entfernt. „Um wie viel Uhr wirst du mit Milli auf der Ranch sein?“
„Etwa um neun Uhr. Im Anschluss an den Termin mache ich mich sofort auf den Rückweg.“
Die Erkenntnis, dass ich statt mit zwei, höchstens drei Stunden nun eher mit fünf Stunden Beaufsichtigung rechnen muss, lässt mich schlucken. Ob ich mir da nicht zu viel zutraue?
Ich zwinge mich, optimistisch zu bleiben, was den waghalsigen Plan, als Babysitter zu fungieren, betrifft.
***
Handyklingeln reißt mich aus dem Schlaf.
Ich taste schlaftrunken nach meinem Smartphone.
„Was՚n los“, nuschle ich und höre trotz meiner Benommenheit die Stallgeräusche im Hintergrund. Das Rascheln vom Stroh, Quietschen und Scharren, das Muhen der Rinder und besonders das Schreien eines weiblichen Rindes. Sofort bin ich hellwach und setze mich auf.
„Boss, kannst du kommen? Tika kriegt ihr Kälbchen.“ Conor klingt gelassen, einer der Gründe, aus dem ich ihn eingestellt habe. Ich mag Menschen, die die Ruhe bewahren können.
Ich springe aus dem Bett. „Ich bin gleich da.“ Das Handy auf die Matratze fallen lassend, ziehe ich mir Jeans und Hoodie über und eile in den Rinderstall. Tika ist ein Zuchtrind mit einem beeindruckenden Stammbaum, die teuerste Kuh, die ich jemals gekauft habe und es ist ihre erste Geburt. Daher will ich auf jeden Fall dabei sein und habe meine Männer dementsprechend instruiert.
Conor erwartet mich in der Abkalbbox. Hier kann Tika in Ruhe gebären. Sie liegt bereits auf der Seite.
„Wie sieht´s aus?“
Conor zuckt mit den Schultern. „Scheint eine friedliche Geburt zu werden.“
Beruhigend tätschle ich Tika und rede sanft auf sie ein. Hin und wieder werfe ich Conor einen Blick zu.
„Deine erste Entbindung?“
„Mit Pferden hab ich Erfahrung. So ein großer Unterschied ist das nicht. Geburt ist Geburt.“ Conors Haare hängen ihm wild ins Gesicht und im trüben Licht der Stalllampe wirken seine Augen rabenschwarz.
Er behält Recht. Es ist eine ruhige, komplikationslose Entbindung. Mit der letzten Kontraktion flutscht das Kälbchen aus seiner Mutter. Ich musste es nicht einmal unterstützen, indem ich es an den staksigen Beinchen herausziehe.