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Pflichterfüllung geht Jake Harper über alles. Doch dass der unsterbliche Abenteurer für eine wichtige Informantin den Aufpasser zu spielen hat, geht ihm gewaltig gegen den Strich. Denn Melody Matušek ist zwar höllisch sexy, aber auch ein Teufelsbraten und vertraut keinem, am allerwenigsten dem besten Agenten des MI5. Damit wird der Auftrag zur Bewährungsprobe. Als der Waffenhändler Pelka Melody aufspürt, muss Jake den Göttern beweisen, dass sich Liebe und Kampf nicht gegenseitig ausschließen. Abschlussband der "Forever Eternity"-Trilogie. Überarbeitet und neu lektoriert. Ursprünglich erst bei einem Verlag, dann im SP unter dem Titel "Aphrodites Söhne - Unsterbliche Leidenschaft" veröffentlicht Dieser Roman wurde bereits einmal bei einem Verlag veröffentlicht
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Veiled Faith
Ivy Paul
Romantasy
© 2020 Ivy Paul, alle Rechte vorbehalten
© Cover by Ivy Paul.
© Bildnachweise: depositphoto
© Vektorgrafik: Bigstockfoto.com,
In diesem Buch sind sämtliche Personen frei erfunden. Dieses eBook darf weder auszugsweise oder vollständig ohne die ausdrückliche Genehmigung der Autorin weitergegeben werden.
Pflichterfüllung geht Jake Harper über alles. Doch dass der unsterbliche Abenteurer für eine wichtige Informantin den Aufpasser zu spielen hat, geht ihm gewaltig gegen den Strich.
Denn Melody Matušek ist zwar höllisch sexy, aber auch ein Teufelsbraten und vertraut keinem, am allerwenigsten dem besten Agenten des MI5. Damit wird der Auftrag zur Bewährungsprobe.
Als der Waffenhändler Pelka Melody aufspürt, muss Jake den Göttern beweisen, dass sich Liebe und Kampf nicht gegenseitig ausschließen.
Abschlussband
Der Roman erschien 2014 bei einem Verlag und später im SP unter dem Titel »Aphrodites Söhne – Unsterbliche Leidenschaft«.
Stille und Ewigkeit umgaben Ares, als er in dem Nichts schwebte. Dies war der Ort, an den er sich zurückzog, wenn er ungestört seinen Gedanken nachhängen wollte.
Sterne wurden geboren und Sterne starben, während er dort zu meditieren versuchte. Doch er schaffte es nicht, sich zu konzentrieren. Zu stark brodelte die Wut in ihm. Dies war ein weiterer Grund, diesen abgelegenen Ort aufzusuchen, denn die Raserei eines Gottes erwies sich immer als zerstörerisch. Sie entfesselte Weltkriege, verursachte Naturkatastrophen und vernichtete ganze Kontinente und Kulturen.
Die Ursache für seine Missstimmung war denkbar einleuchtend: Aphrodite hatte ihn mehrmals geschlagen, als es galt, herauszufinden, ob einem Mann der Krieg oder die Liebe wichtiger sein mochte.
Manchmal gewann man, bei anderen Gelegenheiten verlor man, das war der Kreislauf der Existenz und dies war ihm bewusst. Dennoch war er wegen dieser Sache bis aufs Äußerste gereizt.
Er konnte die hämischen Blicke seiner Söhne Deimos und Phobos beständig in seinem Nacken fühlen, seit sie Wind von der Wette bekommen hatten. Schlimmer war nur das liebliche Lächeln seiner Tochter Harmonia, sobald sie ihm begegnete. Er wollte nicht besänftigt werden. Das ertrug er nicht. Er wollte toben und wüten.
Beim Barte Zeus, er war der Kriegsgott, wenn er nicht aggressiv sein durfte, wem stand dann dieses Recht zu?
All seine Hoffnung ruhte nun auf dem letzten Kandidaten: Jake Harper, cool wie James Bond und was sein Verlangen nach Frauen betraf, fast so zölibatär wie Artemis, Ares՚ jungfräuliche Schwester.
Er hatte Jake sorgsam ausgewählt. Ihm kam keiner gleich. Abenteuer waren sein Sex, der Sieg in einem Gefecht sein Orgasmus. Manchmal suchte Jake Sex wie jeder Mann. Ansonsten zeigte er für Frauen so viel Interesse wie ein Wissenschaftler für seine Laborratten. Dass machte ihn für Ares sympathisch. Amouröse Gefühle zerstörten das kriegerische Klima.
Ares ließ sich von der Explosionswucht eines Sterns zurück in Richtung Erde treiben.
Er kontrollierte den Zeitstrom, um den richtigen Ausgang zu erwischen, und stieg 2014 aus.
Bronx, 1920
Sergio Mattioli und sein Schlägertrupp hatten ihm vor seiner Haustür aufgelauert und hätten ihn dort fertig gemacht, wenn er nicht geflohen wäre.
Mittlerweile hatten sie ihn durch die halbe Bronx gejagt. Jakes Füße flogen über den Straßenbelag. So spät in der Nacht waren keine Menschen mehr unterwegs. Somit gab es keine Augenzeugen, wenn seine Verfolger ihn erwischen würden, und auch niemanden, der ihn retten könnte. Aber das war unnötig, Die Gangster konnten Jake nichts zuleide tun. Mutigen Samaritern, die ihn beschützen wollten, hingegen schon.
Der Asphalt glänzte regennass und in den Pfützen spiegelten sich Vollmond und Straßenlaternen. Nebel stieg aus den Abflussschächten empor. Stinkender, wabernder Dunst, der die Geräusche gluckernder Abwässer ebenso dämpfte wie das Fiepen hungriger Ratten und das Brüllen des legendären Krokodils in der Kanalisation. Luigi, der Sohn seines Kollegen, liebte die grusligen Storys darüber, die Jake Harper ihm zu erzählen wusste.
Jake fühlte Erschöpfung und Schwindel. Seine Nase war gebrochen, er schien zu bluten wie ein abgestochenes Schwein und sah vermutlich auch so aus.
Schweißperlen rollten über sein Gesicht, tropften ihm von Kinn, Nasenspitze und Schläfen. Sobald er tief einatmete, brannte seine Lunge. Unter seinen Achseln klebte das Hemd, und wenn er sich nicht täuschte, war sein Jackett zerrissen, während seine Lederschuhe vom Wasser ruiniert waren.
Er ächzte, als er den Wagen des Paten, für den Sergio Mattioli arbeitete, um die Kurve fahren sah.
Völlig am Ende blickte er sich um. Sie hatten ihn gehetzt wie ein wildes Tier und waren dabei, ihn einzukreisen. ein Entkommen nicht mehr möglich. Besser Jake beendete das Spielen mit den Mafiaschlägern und lockte sie in einen Hinterhof, bevor Unschuldige zwischen die Fronten gerieten. Sein Hemd war ohnehin ruiniert, jetzt konnte er sich niederschießen lassen, das war nun auch egal.
Jake rannte in die Seitengasse, die sich neben ihm auftat. Er reduzierte sein Tempo und nutzte die wenigen Sekunden, ehe seine Verfolger ihn endgültig in die Enge getrieben hatten, um zu verschnaufen.
Sergio Mattioli, ein Kerl mit einer Visage wie ein Preisboxer und einer Leidenschaft für billiges Rasierwasser und aufdringlich stinkender Haarpomade, stapfte mit fiesem Grinsen auf ihn zu.
»Jackie, Jackie, Jackie, warum läufst du vor uns davon?«
»Vermutlich liegt mir was an meinem Gesicht und ich will nicht mit einer polierten Fresse wie deiner herumlaufen«, schlug er vor.
Das Eau de Cologne des Mafioso raubte ihm für einen Moment den Atem und der Geruch verstärkte sich, als Sergios Faust auf ihn zusauste. Der Hieb explodierte an seinem Kinn, und Jake biss sich versehentlich die Unterlippe und Zunge auf. Er spie einen Mund voll Blut auf Sergios blank gewienerte Slipper und erntete dafür von Maurizio Tartelle, dem neusten Mitglied der Familie, einen Hieb in den Magen und zwei harte Schläge in die Nierengegend.
Der Schmerz zwang ihn auf die Knie, er keuchte, rang nach Luft und kämpfte gegen die Tränen an, die ihm aus den Augen quollen. Seine Nase lief, seine Lippe brannte und seine Zunge musste um das Doppelte angeschwollen sein.
Eine Autotür knallte, und Schritte kamen auf ihn zu. Jake hob seinen Kopf und starrte auf Schlangenlederstiefel, das Markenzeichen von Sandro Giacovelli, genannt die Schlange, dem Paten der Bronx und Waffenschieber erster Güte.
Natürlich, wenn er jemandem auf den Schlips trat, dann gleich den ganz großen Fischen.
»Wen präsentiert uns die Gosse denn hier? Wenn das mal nicht Jake Harper, der redlichste Bulle des Departements ist.«
Jake presste die Hand auf seinen Magen und zwang sich aufzustehen. Er musterte den Gangster mit schief gelegtem Kopf. Am Rande registrierte er, wie die Schlägergarde des Paten Maschinengewehre aus dem Kofferraum holten.
Das war´s. Seine Klamotten konnte er im Anschluss nicht einmal mehr der Heilsarmee spenden.
»Sandro Giacovelli, der Furunkel am Arsch eines jeden Bullen. Welche Nutte hat dich aus ihrem Bett gejagt, dass du mir deine Aufwartung machst?«
Der Pate kniff die Augen zusammen und winkte seinen Gorillas zu. »Du störst meine Geschäfte und das kann ich nicht zulassen.« Er trat zurück und sah zu, wie die Killer mit den Maschinengewehren auf Jake feuerten.
Die ersten Treffer spürte er mit glasklarer Deutlichkeit, fühlte, wie sein Fleisch zerfetzt wurde, Adern platzten und brennender Schmerz in seinem Leib explodierte. Blut sprudelte aus den zahlreichen Schusswunden, Pein und perforierte Organe, die ihren Dienst aufgaben, ließen ihn vornüberkippen. Er sah noch den vollen Mond wie eine Laterne am Himmel hängen, dann verkleinerte und verfinsterte sich sein Blickfeld. Er rutschte in die wohlbekannte, schwarze Nicht-Existenz.
Als er wieder zu sich kam, war sein Körper so eisig, dass es schmerzte und das Kribbeln und Jucken, das seine Haut überzog, hätten ihn wahnsinnig werden lassen können, wenn er nicht daran gewöhnt gewesen wäre. Die lähmende Kälte ließ allmählich nach, ebenso wie das unangenehme Prickeln auf seiner Haut. Die Wärme floss in seine Glieder zurück. Durch die Wimpern hindurch sah er, dass sich der Mafiapate über ihn beugte. In seinem Hosenbund steckte ein Revolver.
Jake zögerte nur einen Moment, dann entriss er Sandro Giacovelli die Waffe, pumpte das halbe Magazin in den Gangster, packte den Sterbenden, um ihn als Schutzwall zu benutzen, und schoss erneut. Zielloses Feuern war nicht Jakes Methode. Er zielte genau und traf, während die Kugeln der Mafiosi nur im Körper ihres Bosses landeten.
Erst als die Verbrecher auf der Erde lagen, die starren Augen gegen den Himmel oder auf den Asphalt gerichtet und ihr Blut Rinnsale auf dem Boden zeichnete, ließ Jake den Leichnam Sandro Giacovellis fallen.
»Ich hasse solches Pack wie dich. Waffenhändler sind Profiteure der Gewalt und des Todes und die niederste Stufe der Evolution!«
Er kickte den Leichnam mit dem Fuß zur Seite, stapfte zum Auto des Mafiapaten und stieg ein.
***
Karibik, 1943
Die Sonne brannte grell am Himmel und die Wellen des saphirblauen Meeres klatschten an den Sandstrand der jamaikanischen Bucht.
Jake griff mit dem Zeigefinger unter seinen Hemdkragen und zog daran. Feuchte Haut und ebensolcher Stoff umschlossen den Finger. Er verfluchte sich, sich korrekt mit schwarzem Anzug, Hemd und Krawatte gekleidet zu haben. Die Farbigen, die sich vor dem Hotel getummelt hatten, hatten zu Recht feixend zu ihm hinübergeblickt.
Mit britischer Nonchalance ließ er schon bald auch den irritierten Blick Mrs Flemings über sich ergehen. Nichtsdestotrotz erklärte sie ihm den Weg vom Haus hinunter zur Bucht, wo er ihren Mann Ian, den Berater für den Nachrichtendienst, antreffen würde.
Tatsächlich entdeckte er unter einigen Palmen einen Herrn im besten Alter. Dieser saß dort im Schatten, las ein Buch und griff wiederholt zu einem Whiskyglas, in dem in einer honiggelben Flüssigkeit Eiswürfel schwammen. Jake lief über den weißen Sand hinüber zu Mr Fleming, der zwar so tat, als bemerke er ihn nicht, aber immer wieder zu ihm blickte.
Dieser Mann war keinesfalls nur ein Schreibtischtäter, sondern wusste genau, wie er Jake abwehrte, sollte es nötig sein.
Der Sand quoll scheinbar durch alle Ritzen, Löcher und sonstige Öffnungen in seine Halbschuhe. Zu laufen, ohne dass er seine Slipper verlor, da sich der Sand sie erfolgreich in die Tiefe zog, erwies sich als Höchstleistung. Und weil Jake wusste, dass der Berater ihn beobachtete, wollte er sich nicht die Blöße geben, auf Knien seine Schuhe auszuschütteln.
Endlich erreichte er Mr Fleming, und der durchdringende Blick, mit dem dieser Jake fixierte, überzeugte ihn davon, dass sein Gegenüber jemand war, dessen Gefährlichkeit darin lag, harmlos zu erscheinen.
»Das Amt für strategische Dienste schickt mich.«
Mr Fleming hob fragend die Augenbraue und musterte Jake von unten bis oben. »Die Attentatspläne auf Hitler?« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Im Moment interessiert mich Ihr Name. Wer sind Sie?«
Jake zupfte sein Jackett zurecht. »Mein Name ist Harper, Jake Harper. Ich wurde vom Geheimdienst Ihrer Majestät damit beauftragt, Sie aufzusuchen.«
2014, ein Strand am Mittelmeer
Blaues Wasser, schaumgekrönte Wellen, eine weiße Jacht draußen auf dem Meer und ein Sandstrand wie aus einem Werbeprospekt. Die Hotelanlagen in dieser Gegend waren klein, fein und teuer. Nach zwei Jahren im Undercover-Einsatz genoss Jake Harper nicht nur seinen wohlverdienten Urlaub, sondern auch endlich wieder er selbst sein zu dürfen. Die Sonne brannte auf seiner Haut und wärmte ihn bis auf die Knochen. Diese trockene Hitze war nicht mit dem feucht-tropischen Klima seines Geburtslandes Indien zu vergleichen. Er rieb sich über das Gesicht. Wehmut schlich sich in sein Herz. Obwohl es so lange zurücklag, hörte er in seinen Träumen manchmal noch die Stimme seines indischen Kindermädchens.
Wie lange war es her, seit er im Angesicht des Todes vor den Toren der Garnison von Kanpur, dem indischen Kriegsgott Karttikeya begegnet war? Mehrere Menschenleben lag das zurück, und er hatte seinem Gott in der Zeit, die seither verstrichen war, gut und gerne gedient.
Regelmäßig tauchte er für einige Jahre unter, um sich im Anschluss unter falscher Identität und an einem entfernten Ort ein neues Leben aufzubauen. Allerdings wurde das zunehmend schwieriger. Egal ob als Geheimagent, Soldat oder in der Sicherheitsbranche, die Anwärter wurden streng überprüft. Diesen Berufen nachzugehen, würde in Zukunft kompliziert werden, denn eines war und würde immer gleich bleiben: Er konnte nicht ohne den Nervenkitzel und den Job im Dienst von Recht und Ordnung existieren. Wenn ihm nicht in irgendeiner Weise das Adrenalin durch die Adern rauschte, wurde er unleidlich.
Er liebte sein Leben und die Art, wie er es verbrachte. Welche Abenteuer mochte es in Zukunft für ihn bereithalten? Die Welt war sein Spielplatz und die Gefahr sein Lebenselixier. Niemals könnte er sich ein ruhiges Dasein in einer betulichen Kleinstadt vorstellen. Ganz sicher würde er binnen weniger Tage durchdrehen. Ein Mann wie er brauchte Action und Risiko.
Er hasste Langeweile. Ob das seiner Unsterblichkeit geschuldet war oder der Tatsache, seit frühster Jugend an Abwechslung gewöhnt zu sein, wusste er nicht. Er hatte noch nie zur Selbstreflexion geneigt. Er war mit sich im Reinen und es fühlte sich verdammt gut an.
Deshalb war er in die Dienste des MI6 getreten. Der britische Auslandsgeheimdienst versprach all das, was Jake suchte: Nervenkitzel, Abenteuer und die Aussicht, nie stillzustehen zu müssen, ein erfolgreicher Agent im Außeneinsatz musste stets agil sein, sowohl körperlich als auch geistig und psychisch. Natürlich waren seine Talente - nicht aber seine Unsterblichkeit - bald auch den Vorgesetzten aufgefallen und so teilte man ihn einer Spezialabteilung des MI6 zu: dem SSB. Die Abteilung war so geheim, dass nur Angehörige des MI6 mit der höchsten Sicherheitsstufe davon wussten.
Ein Schatten fiel auf ihn. Jake achtete nicht weiter darauf, der Strand war belebt und bestimmt verschwand derjenige gleich wieder. Nach einer Weile räusperte sich eine Frau und Jake sah widerwillig blinzelnd auf die Verursacherin.
Genervt setzte er sich auf, während seine Kollegin Estelle DiMaggio bewegungslos auf ihn hinunterstarrte. Ihre Anwesenheit verhieß nichts Gutes. Mr Big, der Chef des SSB, dem Jake und Estelle unterstanden, neigte nicht dazu, seinem besten Agenten Kollegen auf einen Höflichkeitsbesuch vorbeizuschicken. Dies war vielmehr Mr Bigs Art, ihm mitzuteilen, dass seine Dienste benötigt wurden. Das bedeutete, dass es sich um etwas äußerst Wichtiges handelte. Dennoch zog Jake es vor, so zu tun, als wüsste er nicht, was seine Kollegin hierhergeführt haben mochte.
»Estelle, verflucht! Verschwinde, ich habe Urlaub und obendrein stehst du mir in der Sonne!«
»Der Boss schickt mich«, erklärte sie stoisch.
Vom Meer fegten das Kreischen einer Möwe und das Rauschen der Wellen herüber.
Jake hob fragend die Augenbrauen, worauf Estelle ihm eine Akte auf die Brust segeln ließ.
»Anthony Pelka.«
Jake stöhnte und griff nach den Papieren, ohne in die Unterlagen zu schauen. »Der Waffenhändler?« Der Kerl war seine persönliche Herausforderung. Glitschig wie ein Aal hatte er sich bislang aus allen Schwierigkeiten herauswinden können. Nie hatte man ihm seine Schiebereien nachweisen können. Das SSB, das auf internationaler Ebene oft mit dem MI6 zusammenarbeitete, und national mit dem MI5, war Pelka seit Jahren auf den Fersen, ohne jemals handfeste Beweise gegen ihn in die Finger bekommen zu haben. Der Waffenhändler erwies sich als die härteste Nuss, die man sich denken konnte. Ihn zu Fall zu bringen, wäre ein Bravourstück.
»Der MI5 hat uns Informationen beschaffen können. Wir schleusen dich auf einer Party bei Pelka ein. Du musst dich an George Tutin, Pelkas rechte Hand, ranschmeißen.«
Jake öffnete die Akte und blätterte darin, bis er ein Foto von Tutin entdeckte. Er prägte sich dessen Aussehen ein, dann sah er Estelle an, die ihn grinsend anstarrte. Sie schien sich prächtig über irgendetwas zu amüsieren. »Warum übernimmst du das nicht? Verführ´ ihn und horch´ ihn aus. Das sollte funktionieren.«
Estelles Grinsen verbreiterte sich. »Das ist diesmal dein Part. Der gute George Tutin ist schwul.«
Jake blinzelte und verkniff sich jegliche Reaktion. Stattdessen musterte er das Foto erneut. »Nun gut. Mit Männern kenne ich mich aus«, meinte er trocken. »Aber weshalb soll ich diesen Part übernehmen?«
Das unterdrückte Kichern in den Worten seiner sonst so gefühlsreduzierten Kollegin gefiel Jake kein bisschen. Immerhin ließ sie sich zu einer Antwort herab. »Offenbar hat ein Vögelchen dem Boss gezwitschert, du seist, nun ja, vom anderen Ufer. Denk mal an die Sache mit Natasha Kernikowa. Jeder andere Kerl wäre wie Wachs in ihren Händen gewesen, aber nicht der berüchtigte Jake Harper.« Estelle feixte.
»Ich bin nicht schwul.« Mehr gab es nicht zu sagen. Wenige Worte zu verlieren, erleichterte so manches und wahrte sein Geheimnis besser als alles andere.
»Sieh es als Herausforderung«, begann Estelle. »Du wirst dich richtig anstrengen müssen, um die psychopathische Schwuchtel zu bezirzen. Obendrein ist er laut den Informationen des MI5 sehr wählerisch, was seine Liebschaften angeht.«
Nachdem sein Urlaub nun beendet war, konnte er auch sofort an die Arbeit gehen. Er stand auf und faltete das Badetuch zusammen, das er auf der Liege ausgebreitet hatte, ehe er sich aufrichtete.
Estelle, obwohl ungewöhnlich groß für eine Frau, musste zu ihm aufblicken. Ein Umstand, der ihr nicht behagte, wie Jake durchaus bemerkte. Sie streckte sich und hob ihr Kinn. Sie war ein Ass in ihrem Job, eiskalt und intelligent, aber sie hatte wohl ein Problem mit großen Männern, auch wenn sie es recht gut verbarg.
»Dann lass uns an die Arbeit gehen!«, entgegnete er gönnerhaft, zupfte seine Badeshorts zurecht und strich sich mit dem kleinen Finger geziert über die Augenbrauen.
»Komm, wir gehen auf mein Hotelzimmer«, schlug er vor.
»Oh, gleich so forsch? Wer hätte gedacht, dass du so ein Tiger bist.«
Jake zog die Augenbraue hoch. »Ich bin schwul.«
Zwei Tage später hatte Jake das Hotel am Mittelmeerstrand gegen ein Nobelhotel an der Themse getauscht.
Das Londoner Wetter hatte sich entschieden, den Meteorologen der Insel zum Trotz, mit Sonnenschein aufzuwarten. Auf der Themse glitten Schiffe entlang, irgendwo läutete eine Glocke und als Jake sich vorbeugte, konnte er The Eye sehen.
»Hast du dir alles gemerkt?«, riss ihn Estelle aus seiner Versunkenheit.
Er drehte sich um und musterte sie. »Die Zimmermädchen-Uniform steht dir ausgezeichnet.«
Sie schnaubte. »Lenk nicht ab, lass uns über den Job reden«, sagte sie.
Bereits auf dem Rückflug hatte er sich mit seiner Tarnung vertraut gemacht. »Mein Name für diese Mission ist Gopal Hari und bin ein in den USA lebender Fotograf. Eingeladen wurde ich von meiner britischen Kontaktperson Lady Ayles.«
Estelle nickte und legte ihm einige Gegenstände auf den Tisch: eine Kette mit einem Medaillon, das die griechische Liebesgöttin darzustellen schien, einen protzigen Siegelring, der von der Aufmachung her zur Kette passte, sowie eine Armbanduhr.
»Marge hat sich selbst übertroffen. Du solltest ihr bei Gelegenheit danken«, meinte Estelle nebenbei.
Jake starrte zweifelnd auf die Objekte. »Das zweite Standbein als Schmuckdesignerin sollte sie schnell vergessen.«
»Seit wann so eitel?«, spöttelte Estelle.
»Seit ich schwul bin. Wir Homosexuelle achten auf unser Erscheinungsbild.«
Sie hielt ihm die Kette feixend entgegen. »Im Anhänger ist eine Minikamera verborgen, mit der du alles, was wichtig und interessant sein könnte, fotografieren wirst. Das Innere des Rings enthält ein starkes und schnell wirkendes Schlafmittel. Eine nette Nebenwirkung des Pulvers ist ein Filmriss. George Tutin wird sich nach dem Aufwachen nicht mehr erinnern, was genau vorgefallen ist. Sorg also dafür, dass du keine Spuren hinterlässt. Wenigstens keine, die hinter deiner Tarnung mehr vermuten lassen als einen One-Night-Stand. Setz Georgie-Boy außer Gefecht und schau dich in seinen Privaträumen um!« Sie zeigte Jake, wie man das Geheimfach mit dem Schlafpulver öffnete, ehe Jake den Ring an seinen Finger steckte. Er schüttelte seine Hand geziert, was bei seiner Größe lächerlich wirkte.
Er seufzte. »Der Job ist eine Herausforderung.«
Die riesige Empfangshalle des Pelka-Towers, dem Firmensitz des international tätigen Financiers Anthony Pelka verströmte die Aura von Macht und Reichtum. Edle Marmorböden, Glas und Stahl vereint mit teurem Tropenholz sollten diesen Eindruck unterstreichen und weckten in Jake aus unerfindlichen Gründen Widerwillen.
Er starrte auf die riesige Eisskulptur vor sich und erinnerte sich an eine pompöse VIP-Party in Sydney, auf der er kürzlich als Kellner auftrat, um der Geheimagentin einer befreundeten Nation bei einer geheimen Operation Rückendeckung zu geben.
Eine kräftige Hand legte sich auf seine Hüfte, und kurz darauf wehte ihm heißer Atem in den Gehörgang. Einst hatte ihm ein Thug das Ohr halb abgesäbelt und dieses Gefühl war angenehmer gewesen, als jetzt betatscht zu werden. Jake hätte nicht erwartet, dass es ihn so viel Überwindung kosten würde, selbst harmlose Berührungen über sich ergehen zu lassen.
Er ignorierte Georges Annäherung und tat, als ließe er seinen Blick reichlich gelangweilt über das Büfett schweifen.
Für die Party waren weiße Bistrotische in dem Saal verteilt worden. Da sich mittlerweile tintenschwarze Nacht durch die Glaswände ergoss, hatte man unzählige Scheinwerfer aufgestellt, die unter anderem die Treppe grell funkeln ließen, sodass Jake sich nach einer Sonnenbrille sehnte.
Überall tummelten sich elegante, reiche und berühmte Gäste. Jake entdeckte den Innenminister und seine Frau, vertieft in ein Gespräch mit einem engen Vertrauten Putins. In einer nicht ganz so lauschigen Ecke vergnügte sich eine bekannte Schauspielerin mit einem Playboy.
Jake überlegte, wie er George Tutin nach oben locken konnte, ohne dass es dessen Misstrauen weckte, als ihm die Elfe auffiel.
Natürlich war sie kein Fabelwesen, sondern eine zartgliedrige Frau in einem grünen Gewand, das ihren Körper wie zarte Spinnweben umwehte. Passend zu dem luftigen Stoff bewegte sie sich graziös wie eine Tänzerin oder Akrobatin. Die sinnliche Art, wie ihre Finger über den Handlauf der Treppe glitten, rief jähe Lust in Jake hervor, die sich prompt in einer schmerzhaften Erektion äußerte.
Er sah in ihr Gesicht, in der stillen Hoffnung, darin eine stark geschminkte, viel zu alte Frau zu entdecken, doch er blickte in fein geschnittene Züge mit blitzenden Augen und vollen Lippen, die sie im Moment wütend schürzte. Sie trat auf den Marmorboden und schüttelte ihre taillenlangen, blonden Haare. Jakes Blick glitt an ihrem Körper herab und nun bemerkte er, dass sie barfuß war.
Sie war hinreißend. Atemberaubend. Sexy. Und exotisch.
Leidenschaftliches Verlangen erfasste Jake, wie er es in den bald zweihundert Jahren seiner Unsterblichkeit noch nie erlebt hatte. Er wollte sie. Es verlangte ihn danach, zu ihr zu gehen, mit ihr zu flirten und ihr dabei tief in die Augen zu sehen. Ihn erhitzte der Gedanke, sie zu berühren, ihre nackte Haut zu streicheln, ihre grazile Taille zu umfassen und sie eng an seinen Körper zu ziehen.
Wäre sein Hirn nicht so blutleer gewesen, hätte er überlegt, ob er sich der Triebbefriedigung zu lange entzogen hatte.
»Anthonys Liebchen«, raunte George Tutin an seinem Ohr und riss Jake aus seinem erotischen Taumel. Innerlich zuckte er zusammen. Noch nie war er derart pflichtvergessen gewesen. Wie gut, dass das niemand seiner Kollegen mitbekommen hatte. Hoffte er wenigstens
Durch Georges Kommentar verlor er sofort jegliches Interesse an der Frau. Ob das an der Info lag, dass die Schönheit an den Widerling Pelka vergeben war, oder weil er sich wieder an George und seinen Auftrag erinnerte, konnte Jake nicht genau sagen. Er konzentrierte sich auf sein Zielobjekt und war froh, dass dieser den Bann, den die zornige Elfe über ihn geworfen hatte, gebrochen hatte, bevor er sich zu etwas hätte hinreißen lassen, dass seine Mission gefährden würde.
Jake straffte sich, setzte ein sinnliches Lächeln auf und drehte sich zu George um.
»Die Party ödet mich an«, meinte er mit schleppendem Tonfall.
Die blassen Augen seines Gegenübers leuchteten auf. Sein Blick glitt bewundernd über Jakes Körper, natürlich missverstand er den Wunsch, sich zurückziehen zu wollen.
Schon immer hatten sexuelles Verlangen und ein Lockvogel als beliebtes Mittel gedient, Zielpersonen für Geheimdienstoperationen auszuspionieren. Dass Jake dieser undankbare Aspekt zugefallen war, machte ihn nur umso entschlossener, den Plan auszuführen.
Außerdem war Anthony Pelka ein Krebsgeschwür für jeden humanistisch und friedliebend denkenden Menschen. Egal ob Guerilla, Terrorist oder Diktator, man munkelte, bei jedem größeren Waffendeal der Welt habe Pelka seine Finger im Spiel. Doch mit Beziehungen in höchste Regierungskreise, hinterhältig und hochintelligent, hatte er sich bisher jeder Falle entwunden und dank mehrerer Mittelsmänner war bisher nie zu beweisen gewesen, dass er der Kopf eines Waffenschieber-Imperiums war. Sollten die Hinweise des MI5 jedoch zutreffend sein, war der gute George Tutin und die Dokumente, die er in seinem Besitz hatte, der Schlüssel zum Untergang Pelkas.
Angeblich bewahrte die rechte Hand des Waffenschiebers Informationen über künftige Waffenlieferungen, die Kunden und deren Geldtransfers auf. Sollte es Jake gelingen, diese Beweise in die Finger zu kriegen, wäre Anthony Pelka binnen Stunden auf Nimmerwiedersehen im Knast verschwunden, und nicht einmal die fähigsten Anwälte hätten eine Chance, ihn dort rauszuboxen. Ganz zu schweigen von seinen Freunden und Gönnern in der Regierung, die bislang ihre schützenden Hände über ihn hielten.
Wenn es nach Jake Harper ginge, säße der Waffenhändler nicht nur im Hochsicherheitstrakt eines gewöhnlichen Gefängnisses ein, sondern würde gut verschnürt auf direktem Wege nach Guantanamo geschickt werden.
Er schob diese Was-wäre-wenn-Gedanken weit von sich, lächelte gewinnend und folgte George nach oben.
»Wohin gehen wir?«, fragte er und hob interessiert die Augenbrauen.
»Lass dich überraschen. Wir ziehen uns an einen bedeutend angenehmeren Ort zurück.« Georges hochgewachsene, schlanke Gestalt unter den locker sitzenden Kleidern ließ nicht ahnen, dass er regelmäßig Gewichte stemmte, und seine freundliche, joviale Art verbarg gekonnt seinen skrupellosen Charakter. Während Jake ihm die Stufen in den zweiten Stock hinauf folgte, bemerkte er fasziniert gewisse Bewegungen und Gesten, die Georges sexuelle Orientierung durchaus verrieten. Die Menschen waren in der Tat komplexe Wesen und nicht immer leicht zu durchschauen, doch es war nicht unmöglich, wenn man sich nur die Zeit nahm und die Personen seiner Umgebung genau beobachtete.
George Tutin führte Jake durch einen elegant anmutenden Flur mit perlweißem Wandanstrich und hellgrauem Teppichboden, der jedes Geräusch zu schlucken schien. Strategisch platziert hingen abstrakte Gemälde, und alle Türen waren geschlossen, sodass Jake keinen Blick in die dahinterliegenden Räume werfen konnte.
»Die Etage des Führungspersonals der Firma«, erklärte George und drehte seinen Kopf, um Jake zu mustern.
»Darfst du dich auf diesem Stockwerk aufhalten?«, fragte er in jenem schleppenden Tonfall, den er sich für die Rolle als schwuler Fotograf in den letzten Tagen antrainiert hatte.
Am Ende des Ganges, hinter Georges Rücken, nahm er eine Bewegung wahr und sah etwas Grünes davonhuschen. Dies schien auch Georges Aufmerksamkeit zu erregen. Noch ehe er reagieren konnte, griff Jake den Mann um die Hüften und zog ihn an sich. Ihm wehte Georges würzig-holziges Eau de Toilette in die Nase, vermutlich eine teure Marke. Unter dem Hemd spannten sich deutlich fühlbare Muskeln, leicht gewölbt, aber hart wie Stein. Jake wusste, welche Griffe er hätte anwenden müssen, um ihn sofort auszuschalten. Jahrhundertealte Reflexe zu unterdrücken war schwer, doch er schaffte es, seine Berührung wie eine Umarmung wirken zu lassen und nicht wie den Versuch, sein Gegenüber zu überwältigen. Später würde auf den Überwachungskameras nur zu sehen sein, wie Tutin mit seinem One-Night-Stand herummachte und wenn Jake seine Sache gut erledigte, würde niemals herauskommen, dass er vertrauliche Informationen gestohlen hatte.
Er tat, als inhalierte er das Parfüm seines Gegners und murmelte: »Du riechst köstlich.«
»Déclaration von Cartier«, kam es wie aus der Pistole geschossen aus Georges Mund.
Jake lachte verführerisch, so hoffte er wenigstens. Dabei starrte er zu der Tür hinüber, an der er die vorüberhuschende Gestalt entdeckt hatte, und erkannte die zornige Elfe, die verstohlen aus dem Zimmer schlüpfte.
George hob alarmiert seinen Kopf. Sein Instinkt sagte Jake, dass die elfenhafte Frau nicht verraten werden durfte, und wenn es nur deshalb war, dass Jakes Tarnung nicht aufflog. Was interessierte es ihn, dass sie sich heimlich in den Büros herumtrieb?
Jake drängte George an die Wand und beugte sich über ihn. Wäre er eine Frau gewesen, hätte er ihn nun geküsst, doch der männliche Körper, so durchtrainiert und attraktiv er auch sein mochte, törnte Jake kein bisschen an und solange es vermeidbar war, würde er sich vor mehr als harmlosen Berührungen drücken.
»Wo ist denn nun dein Rückzugsort?« Er warf einen bedeutungsvollen Blick hinauf zu einer Überwachungskamera, die in der entgegengesetzten Richtung angebracht war, und lenkte so Georges Aufmerksamkeit dorthin, fort von der Elfe.
Als Jake diese aus den Augenwinkeln um die Ecke verschwinden sah, trieb er die Scharade auf die Spitze, indem er mit den Fingerknöcheln über Tutins Wange strich.
Der grinste und hob überrascht die Augenbrauen. »Du lässt nichts anbrennen. Das gefällt mir!« Er legte seinen Arm um Jakes Schulter und führte ihn in sein Büro.
Am Ende des Flurs sperrte Pelkas Handlanger eine Tür auf und öffnete sie einladend.
Jake trat in die Mitte des Raumes und blinzelte geblendet, als die Deckenlichter aufflammten. Riesige Fensterfronten präsentierten die nächtliche Metropole Londons mit ihren Lichtern, den Häuserschluchten und den schwarzgrünen Flecken, die sich bei Tageslicht als Parks entpuppen würden.
Der Blickfang des Büros war ein schwarzer Schreibtisch ohne Schnörkel und Rundungen.
Hinter sich hörte er ein Klirren und ein ploppendes Geräusch. Alarmiert drehte er sich um.
»Du trinkst hoffentlich Champagner?« George reichte ihm das edle Glas.
Jake nahm das spritzige, zartgelbe Getränk entgegen und sie stießen an. Während sie tranken, sah George Jake tief in die Augen.
Nach diesem Abend würde er nie wieder einen Schwulen mimen. Das war ihm eindeutig zu anstrengend.
Vor einigen Jahren hatte er undercover in der Rockerszene spioniert, das war im Vergleich ein Klacks gewesen. Er prostete seinem homosexuellen Verehrer erneut zu.
Interessiert sah er sich um, und während er dies so unverhohlen tat, nutzte er die Gelegenheit, den Tresor zu suchen. Natürlich stand der nicht offen herum.
Es wurde Zeit, George das Schlafmittel einzuflößen.
»Hast du Musik?«, erkundigte er sich in jenem gelangweilten Ton, den er für seine Rolle passend hielt.
George leerte sein Glas und stellte es auf dem Servierwagen ab.
»Natürlich, Süßer«, meinte er selbstbewusst und öffnete eine Schwebetür neben einem hohen Regal. Hinter der Tür versteckte sich kein Einbauschrank wie vermutet, sondern ein Schlafzimmer.
Jake hielt sich nicht mit einer Betrachtung des Raumes auf, schüttete das Betäubungsmittel in das Glas und goss eilig Champagner auf, während leise Jazzmusik durch das Büro schwebte.
Georges Hand legte sich auf seine Schulter und Jake reichte dem anderen mit einem Lächeln das Getränk.
»Auf einen denkwürdigen Abend!« Er zwinkerte George zu und leerte den Alkohol in einem Zug.
Gierig stürzte George sein Glas bis zum letzten Tropfen hinunter, und Jake nahm es ihm ab. Er stellte es auf den Schreibtisch und streckte dem anderen die Hand entgegen.
»Lass uns tanzen!«
George schlang seine Arme um Jake, und sie tanzten zu den schmachtenden Klängen einer samtigen Männerstimme. Nach einer Weile wurde der Körper Georges schlaff und hing wie ein nasser Zementsack an Jake. Zufrieden hievte er den Bewusstlosen auf dessen Bett, zerwühlte die Kissen, knöpfte Georges Hemd auf und öffnete nach kurzem Zögern auch die Hose des Mannes.
Jake zerrte am Hosenbund, sodass es wirkte, als sei er während des Liebesspiels eingeschlafen. Im besten Falle glaubte George Tutin dies sogar selbst.
Er tätschelte dem schnarchenden Mann gönnerhaft die Wange. »Nimm´s mir nicht übel, aber ich steh einfach nicht auf dich.«
Jake wandte sich dem Büro zu. Rasch und effizient durchforstete er die Unterlagen, die Schränke und den Schreibtisch. Den Minitresor, der dort versteckt war, konnte er in der Kürze der Zeit nicht öffnen. Dafür fotografierte er einige Telefonnummern von der Arbeitsunterlage ab, kopierte die Daten von George Tutins Smartphone und jene, die sich auf dem zweiten Handy befanden, das er in einer Schreibtischschublade fand.
Nach weniger als einer Stunde hatte er alles erledigt. Ehe er die Tür öffnete, zerwühlte er in seinem Haar und knöpfte sein Hemd ein Stück weit auf, dann verließ er Tutins Räume.
Während er mit dem Lächeln eines satten Wolfes den Flur entlangschritt, schloss er sein Oberteil wieder. Für den Securitymann an den Überwachungskameras würde es wirken, als sei da ein Mann nach einem kurzen, aber leidenschaftlichen Tete-a-Tete aus dem Büro getreten.
Er ging die Stufen hinunter, ohne ernstzunehmende Aufmerksamkeit zu erregen. Bis zu dem Moment, als er den Saal mit jener selbstverständlichen Lässigkeit durchquerte, die einem Mann wie ihm zustand.
Jemand starrte ihn an.
Hitze kroch sein Rückgrat empor, zentrierte sich in seinem Nacken und fraß sich unter seine Haut. Er spürte nervöse Erregung, all seine Sinne spannten sich an, bereit der Situation gemäß zu reagieren.
Er blickte sich um, als geschehe dies beiläufig, dann griff er sich einen Champagnerkelch vom Tablett einer Serviererin. Er nippte daran und durchforschte den Saal nach seinem Beobachter. Es gelang ihm nicht, herauszufinden, wer ihn da so intensiv fixierte.
Verärgert, beunruhigt und gleichzeitig angespannt stellte er das Glas fort, holte seinen Trenchcoat aus der Garderobe und verließ die Party.
Am Eingang prangte ein stilvolles Schild aus Messing, das behauptete, hier befände sich eine Import- und Export-Handelsgesellschaft. Zufällige Eintretende hätten keinen Grund, daran zu zweifeln. Erst der Versuch, die Lifte oder das Treppenhaus zu betreten, würde offenbaren, dass hier höhere Sicherheitsmaßnahmen herrschten, als angemessen waren.
Gewohnt selbstbewusst benutzte Jake die Drehtür und wandte sich nach rechts, vorbei an der Rezeption, an der eine Concierge scharf jeden in Augenschein nahm, der an ihr vorbeilief, und dank ihres fotografischen Gedächtnisses wusste, ob die Person unbefugt eingetreten war.
»Guten Tag Mr Harper!«
Jake drehte sich um und wartete, bis ihn der Bürohengst erreichte, der das Foyer des Hauptquartiers des SSB eiligen Schrittes durchquerte.
Der Schnösel kam vor Jake zum Stehen. »Mr Big erwartet Sie, Sir.« Er erinnerte ihn ein wenig an Clark Gable, und obwohl er Jake gefühlt bis gerade an den Bauchnabel reichte, strahlte er diese gewisse Nonchalance aus, die es Jake schwer machte, ihn nicht zu respektieren.
Er nickte knapp und ging zu den Aufzügen. Die Türen teilten sich leise zischend, und Minuten später trat Jake auf den Gang im zweiten Stock hinaus. Ein üppiger, süßer Rosenduft hing in der Luft.
Vor der Tür zum Vorzimmer schien der Geruch stärker zu werden. Jake besaß eine Schwäche für auffällige Gerüche, starke Aromen und knallige Farben. Diese Vorlieben schrieb er seiner Herkunft und seiner sterblichen Existenz in Indien zu. Dort war alles intensiver gewesen. Prächtiger, erbärmlicher. Wundervoller.
Er schüttelte den Gedanken ab und straffte sich. Mit einem tiefen Einatmen öffnete er die Tür und betrat das Sekretariat.
Als er hereinkam, hoben sich zwei Köpfe: Morrissey, die rechte Hand seines Vorgesetzten, saß wie gewohnt am Schreibtisch, und fixierte ihn, ehe er ihm grüßend zunickte. Und dann befand sich ein Mädchen im Raum, das trotz ihres Minirocks breitbeinig auf einem der Besucherstühle lümmelte und die Schenkel noch weiter grätschte, als sie Jakes Blick bemerkte. Vermutlich sollte es ihn ablenken, aber er registrierte dennoch, dass ihre Gesichtszüge für den Bruchteil eines Augenblicks entgleisten.
Sie kaute Kaugummi und zog ihn ungeniert wie einen Faden aus dem Mund, wickelte ihn um ihren Zeigefinger, nur um die Lippen darüberzustülpen. Dabei beobachtete sie Jake lauernd aus grünen Iriden.
Der Rosenduft umhüllte ihn und für einen Moment summte es in seinen Ohren. Ihm wurde schwindlig. Unwiderstehlich angezogen wie vom Ruf einer Sirene drängte es ihn dem Mädchen entgegen, obwohl ihn das ordinäre Benehmen und ihr Outfit abstießen. Mit Mühe gelang es ihm, den Bann abzuschütteln, und musterte sie mit neutralem Blick.
Sie musste eine Nutte aus dem East End sein. Eine Kindfrau, die Kapital daraus schlug, unschuldig dreinblickende Augen und einen schmalen, mädchenhaften Körper zu besitzen, der wirkte, als könne ihn das feste Zupacken eines Mannes zerbrechen. Wahrscheinlich war sie gelenkig wie eine Schlange und so verdorben wie eine Hafennutte des neunzehnten Jahrhunderts. Die jähe Begierde, die Jake bei dieser Vorstellung durchzuckte, war ebenso heftig wie ungewohnt, sodass er ein weiteres Mal seine ganze Willenskraft aufbringen musste, um seine körperlichen Bedürfnisse zu unterdrücken.
Ihre dunkelbraunen Haare waren zu Rattenschwänzen geflochten, und Jakes scharfer Blick registrierte, dass die Haarspitzen die Nippel unter dem hauchdünnen Stoff ihres bauchfreien Tops streiften. Vermutlich verbarg sich unter der dicken Schicht Make-up ein hübsches Gesicht, doch im Moment war sie schreiend bunt angemalt. Sie verzog den dunkelrot zugekleisterten Mund zu einem spöttischen Lächeln, beugte sich vor, zog ihre Overkneestrümpfe hoch und zupfte deren Sitz zurecht.
Jake wandte sich schaudernd ab und fragte sich, wer sie sein mochte, dass man ihr eine solche Bedeutung beimaß, um sie zum Leiter des Dienstes vorzulassen.
Statt weiter sinnlose Gedanken an die Unbekannte zu vergeuden, schenkte er seine Aufmerksamkeit dem Sekretär seines Bosses.
»Mr Big erwartet Sie bereits, Mr Harper«, erklärte Morrissey salbungsvoll, warf einen arroganten Blick auf die wartende East-End-Lolita und zeigte sein Missfallen durch ein Schniefen.
Jake nickte, klopfte an die Tür des Geheimdienstchefs und betrat auf dessen zackig gerufenes »Herein!« das Büro.
Zu Jakes Überraschung befand sich Mr Big in Gesellschaft eines groß gewachsenen Mannes des MI5, dessen kahler Schädel wie eine polierte Marmorkugel glänzte.
Der Glatzkopf erhob sich und reichte ihm die Hand zum Gruß. Sein Händedruck war fest und warm, und er fixierte Jake forschend.
»Ich bin Jonathan Carmichael vom MI5.« Er löste kopfnickend den Griff und setzte sich.
Mr Big deutete auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch und wartete, bis Jake Platz genommen hatte.
»Es geht um den Fall Anthony Pelka, Mr Harper. Die Informationen, die Sie beschaffen konnten, haben wir ausgewertet, aber leider nichts Neues geschweige denn Brauchbares erfahren.«
Jake unterdrückte einen Fluch. Also war sein Einsatz nutzlos gewesen. An dieses Fischen im Trüben würde er sich nie gewöhnen können. Man verwandte Wochen manchmal Jahre, um Beweise zu finden, mit dem man die Halunken aus dem Verkehr ziehen konnte und oft genug entkamen sie dennoch ihrer gerechten Strafe.
»Aber wir konnten einen Whistleblower für uns gewinnen.« Mr Big legte die Fingerspitzen seiner Hände aneinander, so dass sie ein Dreieck bildeten.
Jake horchte überrascht auf. Informanten aus dem Umfeld der Verbrecher erwiesen sich als perfekte Helfer. Im Gegensatz zu Kronzeugen, die sich oft durch ihre Aussagen gegen Komplizen Straffreiheit oder mildere Urteile erkauften, hatten sich Whistleblower meist keiner krimineller Vergehen schuldig gemacht. Sie handelten aus Anstand und moralischen Beweggründen heraus. Und das nicht selten unter Gefahren für ihr eigenes und das Leben ihrer Liebsten. Sie brachten gewissenlose illegale Machenschaften an die Öffentlichkeit oder zeigten diese bei den Behörden an.
Noch nie hatte Jake verstehen können, dass man ehrliche, mutige Whistleblower wie Nestbeschmutzer und Verräter behandelte. Sie gar für schlimmer hielt als die übelsten Schurken, die man wiederum als Kronzeugen hofierte, als wären sie Anwärter auf den anstehenden Friedensnobelpreis.
Seine Einstellung, die er seit eh und je offen artikuliert hatte, war Mr Big hinreichend bekannt.
»Hervorragend!« Jake nickte den beiden Männern zu.
»Eine Frau, um genau zu sein.« Mr Big lehnte sich zurück. Er verschränkte die Finger und musterte Jake forschend.
Irritiert rutschte er ein Stück auf seinem Stuhl nach vorn. Eine Vorahnung stieg in ihm hoch. Mr Big hatte ihn nicht gerufen, nur um ihn darüber zu informieren, dass jemand nützlichere Informationen beschafft hatte als er. Dafür hätte das übliche Memo ausgereicht. Der abwägende Blick seines Chefs tat sein Übriges, um Jake ahnen zu lassen, dass das Ganze auf etwas völlig anderes hinauslaufen sollte. »Sir?«
»Ihr neuer Auftrag wird die Whistleblowerin sein.«
Er war ein Soldat, ein Kämpfer an vorderster Front, einer, der sich ins Gefecht stürzte, die Gefahr verlachte und Adrenalin inhalierte. Seine Vorgesetzten wussten das und nutzten seine Talente zu gern. Und doch hatte Mr Big dieses Mal offenbar etwas anderes mit ihm im Sinn. Warum? Und vor allem, was?
»Wir brauchen jemanden, der die junge Dame im Auge behält und gleichzeitig kampferprobt ist. Dieser Fall ist eindeutig zu wichtig, als dass auch nur eine Kleinigkeit schiefgehen darf. Bislang war Anthony Pelka nichts nachzuweisen. Die Informantin hat uns heute Geschäftskorrespondenz zwischen Pelka und dem Anführer eines Terrornetzwerkes überlassen, damit könnten wir beide aus dem Verkehr ziehen. Allein diese Information ist bereits von unschätzbarem Wert.«
»Bei allem Respekt, Sir, wäre es bei meiner Erfahrung und Fähigkeiten nicht sinnvoller, mich auf die Männer anzusetzen?«
Mr Big zog eine Augenbraue hoch. »Die Entscheidung steht fest. Um Pelka und den Terroristen kümmern sich andere Agenten. Die Whistleblowerin übergibt uns im Austausch für ihren Schutz weitere vertrauliche Unterlagen. Falls die Frau die Wahrheit sagt, können wir dadurch Pelkas gesamtes Netzwerk hochgehen lassen, sämtliche Lieferanten, Käufer, die Vertriebswege. Buchstäblich alles und jeden, der je mit ihm zu tun hatte oder in jüngster Vergangenheit Beziehungen zu ihm aufgenommen hat.«
Argwöhnisch hörte er seinem Chef zu und warf dem anderen Mann immer wieder Blicke zu, um zu überprüfen, ob er auf diese Weise erahnen konnte, was der plötzliche Wechsel seines Aufgabengebiets zu bedeuten hatte.
»Die Informantin hat also Bedingungen an die Aushändigung der Beweise geknüpft?« Er hoffte, dass er nichts mit all dem zu tun haben würde.
Mr Carmichael räusperte sich. »Die junge Dame ist zutiefst misstrauisch. Offenbar scheint sie zu fürchten, wir würden sie im sprichwörtlichen Sinne den Wölfen zum Fraß vorwerfen, sobald wir sämtliche Dokumente in unserem Besitz haben.«
Nicht zu Unrecht, wie Jake leider wusste. Es wäre nicht das erste Mal, dass Informanten als Kollateralschäden betrachtet wurden. Er entspannte sich. Vermutlich sollte er den Lockvogel spielen, Pelkas Männer ablenken und dafür sorgen, dass die Zeugin in Sicherheit sein würde. Wenigstens in geringem Umfang.
»Aus diesem Grund ist es von äußerster Wichtigkeit, dass die junge Dame nicht nur beschützt wird, sondern auch, dass sie uns vertraut. Dazu ist niemand geeigneter als Sie, Mr Harper.« Mr Big wirkte ernst und entschlossen.
»Entschuldigung, was soll das bedeuten?« Er hatte gedacht, zu wissen, was sein Auftrag sein sollte, aber allmählich wusste er weniger als in dem Moment, als er das Büro betreten hatte.
»Sie werden mit dem Schutz unserer Whistleblowerin betraut.«
Die Bombe hätte nicht effektvoller hochgehen können. Jake holte tief Luft und unterdrückte ein aufgebrachtes Knurren. Ärger pochte in seinen Schläfen. Seine Schultern verspannten sich und er ballte die Fäuste.
Sein Chef reckte das Kinn gebieterisch vor, als ahne er Jakes Reaktion, und fixierte ihn warnend.
»Das ist doch ein Witz!« Er sprang auf und sah auf Mr Big hinunter, der sich nicht erhob, sondern nur streng auf den Stuhl deutete: »Setzen Sie sich, Agent Harper. Die junge Dame ist nicht gewillt, uns die Beweise ohne Gegenleistung zukommen zu lassen, sie verlangt Schutz und gegebenenfalls eine neue Identität. Wir brauchen jemanden, der die Bewachung der Informantin gewährleistet und sie obendrein davon überzeugt, dass sie uns vertrauen kann. Sie, Harper, sind der richtige Mann für diesen Job!« Mr Big schnaubte. »Genau genommen sind Sie der Einzige. Sie wissen, dass das SSB nur über eine kleine Gruppe Agenten verfügt, die die Qualifikationen besitzen, Informanten und Zeugen zu beschützen. Aufgrund des schwierigen Charakters unserer Whistleblowerin brauchen wir überdies jemanden, der sich von ihr nicht an der Nase herumführen lässt. Zugleich muss diese Person ihr Vertrauen gewinnen. Und Sie, Jake, sind dazu in der Lage. Ich will, dass dieser Fall abgeschlossen werden kann und ich erlaube nicht, dass dies dem SSB aus den Händen genommen wird.« Mr Bigs Augen waren grau wie Granit und wirkten ebenso hart.
Zähneknirschend setzte sich Jake. »Mr Big, ich bin kein Babysitter. Ich bin Ihr Spezialist an der Front, für die Unterwanderung krimineller Vereinigungen und Ähnliches, Personenschutz liegt mir nicht!«
Sein Chef musterte ihn reglos. »Es ist bereits alles in die Wege geleitet, Mr Harper. Außerdem fällt dieser Auftrag sehr wohl in Ihr Ressort. Sie werden zusammen mit der jungen Dame als frisch verheiratetes Ehepaar im südenglischen Avonbridge unterkommen. Es ist alles vorbereitet. Morrissey hat die Akten. Informieren Sie sich über die Einzelheiten und brechen Sie umgehend auf.«
Schlagartig wurde ihm klar, was es mit dem Girlie im Vorzimmer auf sich hatte. Sie war die ominöse Whistleblowerin.
Ein Fausthieb in den Magen hätte nicht unangenehmer sein können wie die Erkenntnis, dass er die nächsten Tage, Wochen oder gar Monate an sie gefesselt sein würde. Hoffentlich waren ihre Beweise so wertvoll für das SSB, wie sie es darstellte.
Jake schob den Stuhl schwungvoll nach hinten, drängte seinen Ärger zurück, als er sich vorbeugte, seine Hände auf die Schreibtischplatte stützte und so Mr Big direkt in die Augen sah.
Dieser ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Mr Harper, es ist alles gesagt. Gehen Sie.«
Jake zögerte, erkannte nach wie vor die harte Entschlossenheit in seinem Vorgesetzten und fügte sich dessen Wünschen. Jedoch nicht, ohne die Tür mit sachtem Knall hinter sich ins Schloss fallen zu lassen, um ihm wenigstens so ein letztes Mal seinen Unwillen zu zeigen.
Der Sekretär blickte kurz hoch, als Jake eintrat und kramte dann geflissentlich im Stapel auf seinem Schreibtisch.
Er stapfte auf Morrissey zu, ohne auf das Mädchen zu achten, das mit Ohrhörern da saß und sich im Takt eines für Jake unhörbaren Songs bewegte.
Der Sekretär reichte ihm wortlos eine Akte. Er schlug sie auf und las die Einzelheiten.
Jake Harper war ein Dozent an der Universität Oxford und nahm die Eheschließung zum Anlass, ein Sabbatical einzulegen. In Avonbridge wollte er versuchen, einen Roman über die Zeit der britischen Kolonialzeit in Indien zu verfassen.
Seine Ehefrau Melody hatte er auf dem Campus kennengelernt, wo sie als Sekretärin gearbeitet hatte.
Beide wollten in dem südenglischen Dorf überdies ihr Leben neu sortieren und über ihre Familienplanung nachdenken.
Jake schlug die Mappe zu und knallte sie auf den Tisch, sodass Morrissey und erstaunlicherweise sogar die Musik konsumierende Lolita aufblickten. Eine solide Backgroundstory. Damit konnte er arbeiten. Mit seinem Schützling dürfte es weniger einfach werden. Bei ihrem Anblick wollte ihm beim besten Willen nicht einleuchten, wie sie eine ehemalige Sekretärin mimen sollte. So wie sie aussah, konnte sie vermutlich nicht einmal lesen, geschweige denn eine Ausbildung gleich welcher Art abschließen.
»Sind Sie Melody?«
***
Als ihr Bodyguard sich abwandte, um die Autotür zu öffnen, ließ Melody ihr Smartphone in den Spalt zwischen Tür und Sitz fallen. Sie räusperte sich, um eventuelle Geräusche zu übertönen. Erst dann rutschte sie hinüber und stieg aus. Ihre Nervosität zu überspielen war einfacher, als vorzugeben, ihre Tasche sei federleicht. Sie streifte sich den Trageriemen über die Schulter und starrte auf den Eingang des Kaufhauses. Hier ging sie am Liebsten shoppen. Von Zahnseide bis hin zu Werkzeug gab es auf den verschiedenen Etagen einfach alles, außerdem wusste sie, dass es Kundentoiletten gab.
Sie machte sich weder die Mühe, die Männer in ihrem Schlepptau zu informieren, noch achtete sie darauf, ob sie ihr folgten. Keiner von ihnen würde es wagen, sie aus den Augen zu lassen. Andernfalls würde Anthony sie zur Rechenschaft ziehen.
Er wird dich töten, höhnte eine Stimme.
Und deswegen musste sie fort von ihm.
Ihr wurde übel und in ihren Ohren rauschte es. Ihr Herz raste sosehr, dass ihr der Schweiß ausbrach.
Sie hatte alles genaustens geplant, dieser Fluchtversuch würde und durfte nicht schiefgehen. Weil sie nicht glaubte, es ohne Unterstützung zu schaffen, warf sie eine der kleinen Pillen ein, die ihr schon früher über den Tag geholfen hatten. Allein das Wissen, dass ihre Angst sofort weichen würde, half ihr.
Sie sah sich zu ihren Aufpassern um, die weniger dazu da waren sie zu beschützen als dafür, sie an einer erneuten Flucht zu hindern.
Die Toiletten lagen im vierten Stock und sie ging zielstrebig dorthin.
Die Bodyguards warteten vor der Tür. Im Vorraum saß eine Frau und nickte ihr freundlich zu. Melody reichte ihr ein paar Münzen und verschwand in einer Kabine.
Aus ihrer Tasche zog sie die Burka, die sie sich extra für diesen Zweck gekauft hatte, doch als erstes legte sie all ihren Schmuck ab, sogar ihr Bauchnabel-Piercing musste dran glauben. Achselzuckend warf sie den Goldschmuck in den Mülleimer. Sie hatte den tropfenförmigen Anhänger gemocht, aber sie konnte nicht ausschließen, dass er von Anthony manipuliert worden war und ein GPS-Signal aussandte.
Nach ihrem letzten Fluchtversuch hatte sie entdecken müssen, dass er sogar in ihren Kleidern Sender hatte einnähen lassen. Dieses Mal würde er sie nicht auf diese Weise ausfindig machen.
Die Kappe, unter der sie ihr Haar verborgen hatte, stopfte sie in die Plastiktüte, in der sie den Müll des Haarfärbemittels und die langen blonden Strähnen aus dem Haus geschmuggelt hatte. Dafür, dass sie nur eine Nagelschere zur Verfügung gehabt hatte, war sie mit dem Ergebnis durchaus zufrieden. Endlich war ihr Haar wieder naturrot und lockig. Wegen Anthony hatte sie es hellblond und lang tragen müssen. Außerdem bestand er darauf, dass sie es mit einem Glätteisen behandelte, damit es nicht so wild und ungepflegt aussah, wie er behauptete.
Sie wuschelte sich durch die Frisur und fuhr dann fort, sich auszuziehen, und stopfte alles in die Tasche, sogar ihre Unterwäsche. Am Ende trug sie nur noch Sneakers und die Burka. In die Rocktasche schob sie ihr Bargeld. Das einzige, das sie nach Verlassen des Shoppingtempels neben ihren Sneakern am Leib tragen wollte, waren einige Papiere, die sie unordentlich faltete, und dazustopfte, sie waren zugleich ihre Lebensversicherung und Eintrittskarte in die Freiheit. Ihre Henkeltasche verbarg sie in einer edlen Papiertasche, in die die Verkäuferinnen des Kaufhauses die die hier erstandenen Waren packten.
Ihre Finger verkrampften sich um die Kordeln. Sie holte tief Luft und trat aus der Kabine.
Entschlossen durchquerte sie den Vorraum und die Toilette und ging an den Bodyguards vorbei, als seien sie ihr unbekannt. Das war der leichteste Part ihrer Flucht. Froh, sich unter ihrer Verschleierung verstecken zu können, schluckte sie ihre Angst hinunter und betrat den Lift. Während dieser nach unten glitt, wurde ihr klar, dass sie ihre Schuhe dringend loswerden musste. Nichts war einfacher, als in ihnen einen GPS-Sender zu verbergen. Sie wollte nicht wegen einer einzigen Nachlässigkeit Gefahr laufen, wieder geschnappt zu werden.
Daraufhin kaufte sie sich im Erdgeschoss ein paar Flipflops und tauschte sie gegen die Sneakers, noch ehe sie das Geschäft verließ. Am Gehsteig stand ein Lieferwagen mit offener Heckklappe, einen der Schuhe warf sie dort hinein, den zweiten schleuderte sie auf einen LKW, der eben an der Ampel anfuhr. Dann hetzte sie die Straße hinunter und bog um die nächste Ecke und stopfte ihre Tasche in die Mülltonne. Ihr Herzschlag dröhnte so laut und heftig, dass sie fürchtete, jeden Moment umzukippen. Doch sie schaffte es bis zur Haltestelle zu laufen, an der bereits ein Bus stoppte. Sie kaufte sich ein Ticket zur Endhaltestelle, ohne zu wissen, wo diese liegen mochte. Als sie sich auf einen Platz sinken ließ, sah sie einen ihrer Aufpasser aus dem Kaufhaus stürmen. Panik stieg in ihr auf, doch als er suchend und scheinbar ziellos umherblickte, erlaubte sie sich Erleichterung.
Der erste Schritt war geschafft.
Melody starrte auf die Uhr an der Wand über der Tür. Während sie wartete, schlichen die goldenen Zeiger auf dem beigefarbenen Ziffernblatt im Schneckentempo dahin. Sie hatte die Vertiefungen in der Eichentäfelung gezählt und die Ordner im offenen Regal. Dann hatte sie die Anzahl der Handgriffe des distinguierten Sekretärs mit den Ritzen und den Aktenordnern addiert und anschließend durch willkürliche Zahlen geteilt. Das lenkte sie ab.
Über eine Stunde hockte sie schon herum, ohne dass etwas geschah. Als sie beim SSB angekommen war, hatte man kurz mit ihr geredet und dann aufgefordert, Platz zu nehmen.
Ihre Gedanken wanderten zu ihrem gelungenen Fluchtversuch. Inzwischen musste ihren Bodyguards klar geworden sein, dass sie ihnen entwischt war. Wieder einmal.
Die Vorstellung, dass Anthonys Stiefellecker ihren Sneakers durch die Stadt hinterherjagen würden, erheiterte sie.
Sie würde alles tun, um zu verhindern, dass Anthony sie wiederfand. Am liebsten hätte sie Großbritannien verlassen, aber sie fürchtete, er fände unter Garantie Mittel und Wege, sie dann erst recht aufzustöbern. Außerdem hatte sie keinen Ausweis bei sich und hätte illegal ausreisen müssen. Wie sie das bewerkstelligen müsste, wusste sie jedoch nicht und ihr fehlte der Elan für derartige Recherchen.
Sie hielt an ihrem Plan fest: Dafür zu sorgen, dass Anthony alles verlor, das ihm etwas bedeutete. Einschließlich seiner Freiheit.
Den Schlüssel, um dies zu erreichen, hatte er ihr unwissentlich selbst zugespielt. Sie war nach wie vor erstaunt, dass er so unvorsichtig gewesen war und den Geheimcode für seinen Tresor nicht geändert hatte. Sie hatte lange gebraucht, um sich zu dem Diebstahl durchzuringen, und eine gefühlte Ewigkeit, um ihn auszuführen. Dass es so einfach gewesen war, erfüllte sie mit Fassungslosigkeit.
Ihre Flucht hatte sie strategisch vorbereitet. Sie konnte sich das triumphierende Grinsen nicht verkneifen. Monatelang hatte sie sich alles bis ins Kleinste durchdacht. Als sie überzeugt war, dass es klappen könnte, nahm sie all ihren Mut zusammen, um zum MI5 Kontakt aufzunehmen. Erst hielt man sie für eine Aufschneiderin, doch als sie einige Beweise vorlegen konnte, schenkte man ihr Gehör.
Und nun saß sie hier und wartete darauf, was man für sie plante. Wieder einmal bestimmten Männer über ihr Leben. Allein die Vorstellung verabscheute sie, aber es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich zu fügen.
Sie starrte aus dem Fenster und betrachtete ihre Reflexion. Die Burka hatte sie recht bald nach dem Verlassen des Busses abgelegt. Sie war in den nächstbesten Shop gegangen, der billige Kleidung verkaufte und hatte sich mit den Klamotten eingedeckt, die sie im Moment trug. Ihr hatte der Gedanke gefallen, sich komplett zu verwandeln, so dass sie auf dem Weg hierher obendrein eine Perücke erstanden hatte. Die neue Frisur hätte ausgereicht, aber sie dachte an später. Wenn sie ihr neues Leben antrat, würde sie dies mit dem rotlockigen Haar tun, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte.
Sie lehnte sich zurück, als die Tür geöffnet wurde und ein hünenhafter Mann eintrat.
Melody straffte sich und setzte sich breitbeinig hin. Ihre Provokation klappte, er starrte sie schockiert an.
Sollte ein Geheimagent nicht psychisch gefestigt sein? Er glotzte sie jedenfalls an, als kollabiere er jeden Augenblick, dabei wirkte er äußerlich wie die Mischung aus einem Gemälde von da Vinci und dem Prototyp für die Figur des James Bond persönlich.
Seine olivgetönte Haut ließ auf einen kurz zurückliegenden Aufenthalt in einer sonnenverwöhnten Region schließen, der muskulöse, große Körperwuchs hingegen auf Wikingervorfahren. Vielleicht lag sie mit beidem nicht verkehrt. Auf jeden Fall aber trug er einen perfekt sitzenden schwarzen Einreiher mit Hose und rahmengenähte Lederschuhe. Der Gürtel stammte vermutlich aus derselben Werkstatt.
Blinzelnd musste sie zweimal hinsehen, ehe ihr einfiel, weshalb er ihr bekannt vorkam. Er war Gast auf einer der Partys im Pelka-Tower gewesen. Es war auch unmöglich, ihn nicht zu bemerken. So groß und breitschultrig, wie er war, stach er allein dadurch aus der Menge hervor. Sein markantes Profil hatte etwas bestrickend Männliches an sich. Zugleich strahlte er Ruhe und Selbstbeherrschung aus, sodass man sich ihm nur zu gern anvertrauen wollte. Und dann seine Augen: blau und hell wie Türkise, in denen sich das Licht einfing. Ein Blick dort hinein konnte einer Frau das Gefühl vermitteln, in einem gefährlichen, erotischen Abenteuer zu landen, falls man sich zu lange darin verlor.
