Der dreizehnte Stern - Margaretha Kopeinig - E-Book

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Margaretha Kopeinig

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Beschreibung

1994 ist ein entscheidendes Jahr für Österreich: Wird das Land EU-Mitglied oder nicht? Was sich in den Beitrittsverhandlungen abspielt, ist aufregend wie ein Polit-Krimi, die anschließende Phase bis zur Volksabstimmung eine spannende Zeit. Zwanzig Jahre danach beschreibt die Europa-Journalistin Margaretha Kopeinig die Annäherung Österreichs an die EU und lässt die wichtigsten Akteure von damals zu Wort kommen. Am 1. Jänner 1995 ist es so weit: Österreich wird EU-Mitglied. Der Beitritt zählt - nach dem Staatsvertrag 1955 - zum politisch wie ökonomisch wichtigsten Ereignis der österreichischen Zeitgeschichte und zur mutigsten Entscheidung der Zweiten Republik. Die Fakten sind bekannt, doch was verbarg sich hinter den jahrelangen Vorbereitungen, welche Fallen wurden gestellt, welche Hürden mussten genommen werden und wie war Österreich vorbereitet? Und nicht zuletzt: Was hat der EU-Beitritt Österreich gebracht und wo steht das Land heute? Die im zweiten Teil enthaltenen Gespräche mit den damaligen Protagonisten, in denen bisher völlig Unbekanntes ausgesprochen wird, sind ein unersetzliches Zeitzeugnis: Interviews mit Franz Vranitzky, Erhard Busek, Brigitte Ederer, Ferdinand Lacina, Franz Fischler, Wolfgang Schüssel und Robert Denis del Picchia.

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Margaretha Kopeinig

DER DREIZEHNTE STERN

Wie Österreich in die EU kam

Margaretha Kopeinig

DER DREIZEHNTE STERN

Wie Österreich in die EU kam

Czernin Verlag, Wien

Produziert mit Unterstützung der Stadt Wien MA 7/ Kultur – Wissenschafts- und Forschungsförderung

Kopeinig, Margaretha: Der dreizehnte Stern. Wie Österreich in die EU kam / Margaretha Kopeinig Wien: Czernin Verlag 2014 ISBN: 978-3-7076-0498-6

© 2014 Czernin Verlags GmbH, Wien Coverfoto: Franz Baldauf Umschlaggestaltung: sensomatic Lektorat: Sabine Edith Braun Produktion: www.nakadake.at ISBN E-book: 978-3-7076-0498-6 ISBN Print: 978-3-7076-0497-9

Alle Rechte vorbehalten, auch das der auszugsweisen Wiedergabe in Print- oder elektronischen Medien

VORWORT

Das europäische Einigungswerk, begonnen mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl im Jahr 1951 und fortgesetzt bis zur Europäischen Union mit nunmehr 28 Mitgliedstaaten, rühmt sich zu Recht als die größte und bedeutendste Friedensinitiative in der Geschichte unseres Kontinents. Verbreitet wird dabei der Katastrophe des im Jahr 1945 zu Ende gebrachten Kriegs gedacht und die Vermeidung eines bisweilen nicht für unmöglich erachteten dritten Weltkriegs ins Treffen geführt.

Bei aller Würdigung des europa- und weltpolitischen Stellenwerts der Verträge von Rom und ihrer über die Jahrzehnte reichenden Weiterentwicklung darf nicht ignoriert werden, dass dieses Buch in einer Zeit das Licht der Öffentlichkeit erblickt, die auch vom Nachdenken über die Ursachen, über den Verlauf und über die Folgen des Ersten Weltkriegs geprägt ist.

Außerordentlich treffend schreibt dazu Jens Jessen1 am Beispiel unseres einstigen Nachbarstaats: »Die blutige Auflösung Jugoslawiens zeigte, was unter der brüchigen Nachkriegsordnung von 1945 lag: die ebenso brüchige Nachkriegsordnung von 1918.« Jessen verweist auf die aus den Friedensschlüssen erfließenden demütigenden Grenzziehungen, die letztendlich Proteste und Revanchegelüste ohne Ende nach sich zogen und ab 1939 die nächste Katastrophe ausbrechen ließen. John Maynard Keynes erwartete von der Zerschlagung der Vielvölkerstaaten Österreich-Ungarn, Russland und Türkei vor allem eines: »Die Entstehung habgieriger, eifersüchtiger, unreifer und wirtschaftlich unselbstständiger Nationalstaaten.«

1Die ZEIT, 3, Jänner 2014.

Sehen wir von den ehemaligen Jugoslawen ab, haben die im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts lebenden Generationen nur in Person der sogenannten Altvorderen eigene Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und die mühsame Nachkriegszeit, und somit an »den Krieg«.

Tatendurstige Junge, leistungsgeforderte und -bewusste Mittdreißiger, Vierziger, Fünfziger und noch lang nicht zum »alten Eisen« eingereiht Wollende darüber hinaus erfreuen sich des Friedens, fordern aber – selbstverständlich und berechtigterweise – darüber hinausgehende Visionen, um eben den Auswüchsen der von Keynes so befürchteten unreifen und habgierigen Nationalstaaten nicht ausgeliefert zu werden.

Das europäische Einigungswerk, das – wie eingangs beschrieben – in den Jahren sehr bald nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs initiiert wurde, bedeutet in Wirklichkeit einen nur in Jahrzehnten zu messenden Strukturwandel des Alten Kontinents. Dass dieser Wandel zum Besseren seine Fortsetzung erfährt, liegt an niemand anderem als an den Europäern selber.

Nach den nicht wegzuleugnenden bisherigen Fortschritten bei der Gewinnung des gemeinsamen Nutzens in vielen Bereichen steht nun die Aufgabe an, das Gemeinschaftswerk zu vertiefen und widerstandsfähiger zu machen gegen die Zweifel an ihm und vor allem gegen die schädlichen nationalstaatlich aufgeheizten Parolen der Desintegration, der perspektivenlosen Kleinstaaterei und der xenophobischen Untergrabung unserer Zukunft.

So manches ist an diesem europäischen Integrationsmodell zu korrigieren – wie alles in der Politik von Zeit zu Zeit neu zu denken, neu zu gestalten ist. Nicht um den grundsätzlichen Wert zu ändern oder gar über Bord zu werfen. Nein, um ihn an den modernen Gegebenheiten nachzuschärfen und damit erneut zukunftstauglich zu machen.

Denkt man an die gigantischen Wettbewerbe der Kulturen, der Religionen, der Ökonomien, der Politiken weltweit – mit all ihren humanitär und sozial verwerflichen Auswüchsen –, liegt die Vertiefung und Verfeinerung unseres europäischen Gemeinschaftswerks noch viel näher, als das vielen von uns vielleicht bewusst ist.

Margaretha Kopeinig beschreibt im vorliegenden Buch den österreichischen Weg aus einer nach dem Zweiten Weltkrieg gut bewältigten Vergangenheit in eine »neue Gegenwart«. Diesen Weg kann man wohl als ein »typisch« österreichisches Gesamt(kunst)werk sehen, in welchem die großen Linien und das verzwickte Kleingedruckte einander quantitativ gegenüberstehen, das Kleingedruckte eben aber nur klein ist.

Der Autorin ist ein Buch gelungen, welches die Werdung der Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union politisch höchst aussagekräftig nachzeichnet, sie selber aber auch als begeisterte, politisch rational denkende Europäerin ausweist.

Franz VranitzkyWien, 2014

EINLEITUNG

»Wir sind Europäer. Österreicher bleiben wir«

Plakat aus dem Jahr 1994 zur EU-Volksabstimmung

Der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union hat etwas Spannendes: Die Große Koalition aus SPÖ und ÖVP setzt mit ihrer Entscheidung vom Sommer 1989, den EU-Beitrittsantrag zu stellen, einen großen Schritt jenseits der Routine. Die Regierung zeigt Mut und will Österreich fest in Europa verankern.

Der Hintergrund ist ein außerordentlicher: Die EU ist im Begriff, den größten Binnenmarkt der Welt sowie die Wirtschafts- und Währungsunion aufzubauen. Österreich befindet sich in einer Umstrukturierungs- und Privatisierungsphase seiner großen verstaatlichten Unternehmen. Im Osten Europas ist der Zusammenbruch des kommunistischen Systems spürbar und mit den Flüchtlingsströmen auch deutlich sichtbar. In dieser Situation zeigt die politische Elite des Landes Wahrnehmungsfähigkeit, Fantasie und Verantwortungsbereitschaft. Heldentum ist nicht nötig, nur das Bewusstsein der Regierenden für eine bessere Zukunft Österreichs.

Bundeskanzler Franz Vranitzky und Außenminister Alois Mock, die Spitze der Koalition, sind vom EU-Beitritt überzeugt und auch davon, diesen Beschluss per Referendum den Wählern vorzulegen. Sie verschleiern weder ihre Entscheidung noch später den gesamten Prozess der Beitrittsverhandlungen. Vor allem der Bundeskanzler ist gegenüber seiner anfänglich europa-skeptischen Partei um Transparenz bemüht – ebenso wie gegenüber der Bevölkerung. Er überzeugt die Funktionäre der SPÖ und die widerspenstige Parteibasis und bringt ihnen das europäische Projekt sowie die Notwendigkeit eines Beitritts seriös und glaubwürdig näher. Sein Trumpf ist eine ausgewogene Argumentation, die auf Studien und Fakten basiert. Stets zieht er in seiner Kommunikationsstrategie auch die Interessenvertretungen mit ein.

In der Öffentlichkeit ist bislang kaum bekannt, dass die Initiative, den Beitrittsantrag zu stellen, zuallererst nicht von »Monsieur l’Europe«, wie Alois Mock gerne bezeichnet wird, gekommen ist, sondern von damaligen ÖVP-Landeshauptleuten. Eine wichtige Rolle dabei spielten der Vorarlberger Martin Purtscher und der Steirer Josef Krainer.

Die historische Leistung von SPÖ und ÖVP besteht darin, Österreich gemeinsam in die Europäische Union geführt zu haben. Sie setzen dabei nicht auf »business as usual«, auf kurzsichtiges Gerangel über Kleinigkeiten hinter verschlossenen Türen, sondern geben die Antwort auf die neue Architektur Europas und die Globalisierung. Vranitzky und Mock konfrontieren die Bürger, die Sozialpartner-Organisationen und die Vertreter von NGOs mit wichtigen europäischen Fragen und schenken ihnen reinen Wein ein. Sie sind bereit, einen unvermeidlich polarisierenden Streit mit der Opposition und den Gegnern der EU offensiv zu führen. Sie verschweigen keine Vor- und Nachteile, sondern stellen die langfristigen Interessen Österreichs in den Vordergrund. Die Antwort auf die neuen Gegebenheiten durch das Ende des Kalten Krieges und den Aufbruch in eine neue Phase der Globalisierung war eben nicht »tranquillistisches Herumwursteln«2, sondern perspektivisches, normatives Handeln. Die Große Koalition hat Debatte und Beitrittsfahrplan bestimmt, anstatt sich bestimmen zu lassen.

2Jürgen Habermas, zit.n. Der Spiegel 32/2013.

Das vorliegende Buch zeigt auf, wie Österreich der EU beigetreten ist und welche politischen und ökonomischen Hürden genommen werden mussten. Es skizziert den Zeitraum zwischen 1987, als das Ziel der EU-Mitgliedschaft im Regierungsprogramm der Großen Koalition festgeschrieben wurde, bis zur effektiven Mitgliedschaft Anfang 1995. Ein ganz wesentlicher Bestandteil – ich würde sagen – die Essenz des Buches, sind die Interviews mit den wichtigsten Akteuren von damals, die nun, zwei Jahrzehnte später, erstmals bereit waren, offen über die Beitrittsbemühungen sowie über innen- und außenpolitische Probleme Auskunft zu geben. Die Gespräche mit Franz Vranitzky, Erhard Busek, Ferdinand Lacina, Brigitte Ederer, Franz Fischler, und Wolfgang Schüssel sind mehr als Zeitzeugen-Berichte. Erstmals geben die Spitzenpolitiker Einblick, was sich hinter den Kulissen in Wien, Brüssel und in den Kabinetten anderer wichtiger EU-Länder abgespielt hat. Der Wert des Buches liegt in der Bedeutung des Inhalts dieser Interviews, der Dank gilt den Gesprächspartnern.

Das Buch ist keine wissenschaftliche Abhandlung, es basiert auf Interviews, Medienberichten sowie schriftlichen Aufzeichnungen der Autorin, die diese als Korrespondentin für die Tageszeitung KURIER während der Beitrittsverhandlungen in Brüssel gesammelt hat. In die Beschreibung und Bewertung des Integrationsprozesses fließen jahrelange Erfahrungen als Europa-Redakteurin des KURIER ein.

Mythen und Legendenbildung

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen ergibt sich im Nachhinein die Sichtweise, dass der Verhandlungsmarathon in Brüssel mit den drei schlaflosen Nächten Ende Februar/Anfang März 1994 medial hochgespielt und heroisiert wurde: »In peinlicher Weise erinnern die Berichte an das traditionelle Sozialpartner-Schnapsen bei Kollektivvertragsverhandlungen, bei denen um Mitternacht Würstel mit Senf serviert werden«, kommentierte Hans Rauscher im KURIER launisch das Geschehen.3 Zur Symbolik und den Ritualen gehörte auch der Vergleich großer Ereignisse: Die Staatsvertragsverhandlungen in Moskau im März/April 1955 brachten die Befreiung. Die Verhandlungen im Februar/März 1994 in Brüssel brachten den Beitritt. Diese beiden zentralen politischen Errungenschaften der Zweiten Republik führten zur Legenden- und Mythenbildung. Mock wurde zum Helden von Brüssel. Krankheitsbedingt musste er jedoch die Verhandlungsführung in der entscheidenden Phase Finanzminister Ferdinand Lacina überlassen, der sie auch zu Ende führte. Von Wien aus steuerte in kritischen Phasen Bundeskanzler Franz Vranitzky das Geschehen, seine Telefonate mit dem französischen Staatspräsidenten François Mitterand brachten die verfahrenen Brüsseler Verhandlungen wieder auf Schiene und verhalfen zum entscheidenden Durchbruch. Die ÖVP baute auf die ausgezeichneten Kontakte von Außenminister Mock und Wirtschaftsminister Wolfgang Schüssel zum deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl.

3KURIER, 7. März 1994.

Dass die Beitrittsverhandlungen von allen Medien konsequent und kritisch begleitet wurden, muss nicht eigens erwähnt werden. Das Nachrichtenmagazin profil verfolgte das Verhandlungsfinale mit einer großen Portion Häme. »Österreichs erster großer Auftritt in Europa lief so ab, wie dieses Land politisch und gesellschaftlich wirklich funktioniert – Provinz pur, begrenzt eurofit«, heißt es im Blatt sarkastisch.4 »Noch einmal begab sich eine pensionsreife Sozialpartnerschaft auf Abenteuerurlaub, begleitet von dickschädeligen Bauern, rotbackigen Wirtschaftskämmerern, aufgeblasenen Diplomaten, blassen beamteten Kofferträgern und drei Landeshauptleuten sowie Ministern als Polit-Adabeis. Vielleicht zwei Dutzend Profis wussten wirklich, worum es ging. Rund 90 Damen und Herren umfasste die österreichische Abordnung, ›die Japaner Europas kommen‹, wie hochrangige EU-Beamte witzelten.«5

4Profil, 7. März 1994.

5Ebd.

Man kann heute selbstbewusst sagen, dass Österreich trotz ätzender Kritik, trotz Feilschens, Taktierens und Abtauschens ein sehr gutes Ergebnis zustande gebracht hat. Das Erreichte ist nicht das »kleine Wunder« von Brüssel, sondern entspricht der politischen Realität, der Einsicht in die künftige Architektur Europas und der globalen Dimension, die maßgebliche österreichische Politiker und Verhandlungsführer rechtzeitig verstanden und umgesetzt haben.

Um den Beitrittsprozess in seiner Gesamtheit zu erfassen, muss man die geopolitischen Interessen Deutschlands und die Ängste Frankreichs vor einem »deutschen Block« erwähnen. Der deutsche Außenminister Klaus Kinkel brachte es am Ende der Verhandlungen auf den Punkt: »Wir wollen die Nord-Erweiterung, weil sie die derzeitige Südlastigkeit der Union ausbalanciert.« Das war die deutsche Art zu denken. Diese Einstellung wurde beim Nachbarn Frankreich und bei den mediterranen Ländern mit Argwohn aufgenommen. Österreich bekam die Befürchtung Frankreichs vor einem übermächtigen deutschen Block bei den Beitrittsgesprächen zu spüren. Die Angst der Franzosen richtete sich aber auch auf künftige Pläne, hinter denen in erster Linie Deutschland vermutet wurde. Als Nächstes sollte die Ost-Erweiterung angegangen werden, auch das sorgte bei den südeuropäischen Staaten für Missstimmung – aus Angst, die ost- und südosteuropäischen Länder würden zuallererst Beihilfenempfänger der EU. Österreich mit seiner Mitteleuropa-Politik wurde als Türöffner und Brückenkopf zu diesen Ländern gesehen.

Frankreich sperrte sich am längsten gegen die EU-Aufnahme Österreichs. Es fürchtete, seine zentrale Rolle in der EU zu verlieren und zusehen zu müssen, wie sich Deutschland in Europa breitmacht. Diese Befürchtung floss nach dem Verhandlungsmarathon in viele Presse-Kommentare in Paris ein: Nicht die EU, sondern Österreicher und Skandinavier hätten »die Konditionen diktiert«, und seien dabei auf eine »vorbehaltlose Unterstützung Deutschlands gestoßen«. Es ist evident, Frankreich musste zusehen, wie sich das Gravitationszentrum der Europäischen Union in Richtung Norden und Osten verlagerte. Die erweiterungskritische französische Presse widmete den machtpolitischen Veränderungen breiten Raum und bedauerte, dass »der französische Hahn, nicht mehr so laut wie bisher krähen wird«.

Für Österreich war die Erfahrung, zwischen die zwei großen EU-Länder zu geraten, eine Lektion in europäischer Machtpolitik. Der Beitrittsprozess war der Beginn eines Qualifikationslaufes, eines langen Lernprozesses. Professionalität und Expertise mussten gegen Provinzialität und umständliche Verhandlungsführung getauscht werden. Ein Beispiel für eine solche linkische Verhandlungsführung war das endlose Feilschen um Milch- und Zuckerquoten sowie um Ökopunkte für Lkw-Fahrten durch Österreich – und die in diesem Zusammenhang nicht immer korrekt erfolgte Weitergabe von Daten an EU-Partner. Nicht umsonst empfahl der damalige britische Vizepräsident der EU-Kommission, Sir Leon Brittan, nach dem »exzellenten EU-Referendum« den Österreichern eines: sich rasch an »die Brüsseler Spielregeln zu gewöhnen. Österreich soll es bleiben lassen, Tricks anzuwenden«6, sagte er nach der Volksabstimmung gegenüber der Autorin.

6KURIER, 14. Juni 1994.

Generation Europa

Für alle, die bei der EU-Wahl 2014 das erste Mal stimmberechtigt sind, gehört die EU von Geburt an zur Lebensrealität, für die Älteren ist das nicht selbstverständlich, sie kennen noch die strategisch sensible Lage am Eisernen Vorhang, als die Neutralität noch von großer Bedeutung war.

In den 1980er-Jahren dreht sich jedoch der Wind: Österreichs Politik konzentriert sich auf Europa, und die Mitgliedschaft in der Europäischen Union wird zum zentralen politischen Thema. Mit einer beispiellosen Informations- und Öffentlichkeitskampagne werden die Österreicher auf die EU und auf die Volksabstimmung über den Beitrittsvertrag vorbereitet. Die Koalitionsregierung aus SPÖ und ÖVP versucht mit einer intensiven Pro-EU-Information die Bevölkerung für die EU zu gewinnen. Die SPÖ wirbt mit mehr Mitsprachemöglichkeiten auf europäischer Ebene, mehr Chancen für die Jugend, mit neuen Arbeitsplätzen und versichert die Beibehaltung der Neutralität. Für die ÖVP stehen vor allem wirtschaftspolitische Motive im Vordergrund. Unter den Oppositionsparteien sprechen sich FPÖ, Grüne und KPÖ klar gegen einen Beitritt aus, einzig das Liberale Forum (LIF) ist dafür. Nach dem positiven Ausgang der Volksabstimmung gibt es bei den Grünen jedoch sofort pro-europäische Wendehälse. In der FPÖ kam der fundamentale Positionswechsel schon früher: Lange Zeit waren Freiheitliche die Vorkämpfer für den Beitritt zu EU und NATO, dann erfolgte eine Rolle rückwärts, in der die FPÖ bis heute verharrt. Im Vorfeld der Volksabstimmung setzen die Rechtspopulisten auf den österreichischen Provinzialismus und auf falsche Behauptungen. Sie machen gegen einen vermeintlichen Identitätsverlust Österreichs mobil und plakatieren »Österreich zuerst« und »NEIN zu grenzenloser Kriminalität«.

Für alle pro-europäischen Kräfte in Österreich sollte das Mahnung und Auftrag sein, noch mehr für die europäische Idee und das europäischen Projekt zu tun. Der Ausweg und die Zukunft für uns kann nicht die Isolation in Nationalismus, sondern nur das Bewusstsein und Handeln für Europa und seine internationale Verflechtung sein. Diesem Ziel fühle auch ich mich als Journalistin, als Europäerin und als Österreicherin verantwortlich und verpflichtet.

Margaretha KopeinigWien, im Jänner 2014

Aus Gründen der Lesbarkeit wurde im Text auf das Binnen-I und die durchgehende Verwendung der weiblichen und männlichen Formen verzichtet. Die jeweils gewählte Form schließt immer das andere Geschlecht mit ein. Um die Einheitlichkeit des Textes zu gewährleisten, wurde außerdem die Rechtschreibung der zitierten Pressemeldungen und Zeitungsberichte angeglichen.

WIE ÖSTERREICH EU-MITGLIED WIRD

1.Der Weg Österreichs nach Brüssel entsteht im Gehen

So alt wie Österreichs immerwährende Neutralität sind auch die Überlegungen, Ideen und Pläne der Politik, Österreich, das Land am Eisernen Vorhang, in einem westlichen Bündnis zu verankern. Verhandlungen über ein Assoziationsabkommen mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) Anfang der 1960er-Jahre scheitern, Österreich wird Mitglied der Europäischen Freihandelszone (EFTA).7 Mitte der 1980er-Jahre, konkret vor der Großen Koalition unter Bundeskanzler Franz Vranitzky ab 1987, gewinnt die Diskussion an Dynamik, das EFTA-Mitglied Österreich enger an die Europäischen Gemeinschaften8 zu binden. Es gibt Konzepte, Forderungen und Initiativen, schließlich existiert Österreich ja nicht abgeschottet zwischen den Blöcken.

7Die EFTA (European Free Trade Association) wird am 4. Januar 1960 in Stockholm gegründet, das Übereinkommen tritt am 3. Mai 1960 in Kraft. Zielsetzung: die Förderung von Wachstum und Wohlstand der Mitgliedstaaten sowie die Vertiefung des Handels und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den westeuropäischen Ländern, aber auch der Welt insgesamt. Gleichzeitig sollte die EFTA ein Gegengewicht zu den Europäischen Gemeinschaften (EG) bilden. Die EFTA stellt eine in ihrem Anwendungsbereich begrenzte Freihandelszone zwischen ihren Mitgliedern ohne weitere politische Zielsetzungen dar. Gründungsmitglieder sind Dänemark, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, die Schweiz und das Vereinigte Königreich. Es folgen Finnland (assoziiertes Mitglied 1961, Vollmitglied 1986), Island (1970) und Liechtenstein (1991). Nach dem Übertritt Großbritanniens und weiterer EFTA-Gründungsmitglieder zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1973 verliert die EFTA zunehmend an Bedeutung. Seit 1995 gehören ihr nur noch Norwegen, Liechtenstein, die Schweiz und Island an, das 2009 zwar einen Antrag auf Aufnahme in die Europäische Union gestellt, diesen mittlerweile aber wieder auf Eis gelegt hat.

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