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Nur weil der Würfel vom Tisch fällt, ist das Spiel nicht verloren. Mysteriöse Geschehnisse in der virtuellen Welt von "Heirs of the Phoenix" stellen Lena vor neue und unerwartete Hindernisse. Sie kämpft nicht nur um ihr Überleben im Spiel, sondern sucht verzweifelt einen Weg zurück in die Realität. Dafür muss die geborene Einzelkämpferin die Führung einer Kolonie von Urwesen übernehmen, die einer dunklen Bedrohung gegenüberstehen. Professor Frankl sucht in San Francisco einen Neuanfang, besessen von dem Drang endlich seinen Sohn wiederzusehen und ihn in sein abgelegenes Labor in der Antarktis zu bringen. Widerwillig folgt ihm der Hacker Sascha, der alle Gamer in Heirs of the Phoenix festsetzen soll. Denn für Frankls grandiose Vision darf niemand das Spiel verlassen. Ist Lenas Kampf schon aussichtslos, bevor er überhaupt begonnen hat? Kann sie zur Anführerin aufsteigen und die Kolonie der Erbauer zu neuer Größe führen? Eine atemberaubende Jagd in die Tiefen des Spiels entbrennt. Mit Band II der "Heirs of the Phoenix"-Serie erlebst du die Fortsetzung einer außergewöhnlichen PvE-LitRPG- und GameLit-Story. Die Heirs-of-the-Phoenix-Saga im Überblick: 1. Der Fluch des schwarzen Phönix 2. Der Fluch der Erbauer 3. Der Fluch der Quanten 4. Der Fluch der Macht 5. Der Fluch des Schicksals
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Heirs of the Phoenix
Buch Zwei
// 1. Auflage 2023 (1.1.0)
// Copyright © 2023 Lew Marschall
// All rights reserved.
// Website: lewmarschall.com
// Lektorat: Cara Rogaschewski (wortverzierer.de)
// Korrektorat: Klaudia Szabo (wortverzierer.de)
// Coverillustration: Jeff Brown (https://www.jeffbrowngraphics.com/)
// Illustration Candidas Ursuppe: Patrick Pissang
// Testleser: Janine, Melanie, Christopher, Stefan
// ISBN E-Book: 978-3-910747-04-3
// ISBN Paperback: 978-3-910747-05-0
// ISBN Hardcover: 978-3-910747-06-7
// Buch erschienen bei: ZEMP Golden Goose GmbH, Salachweg 18a, 86807 Buchloe, Bayern
// Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
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Triggerwarnungen nehmen auf Menschen mit traumatischen Erfahrungen Rücksicht. Aus subjektiver Sicht können diese Trigger von Bedeutung sein oder nicht, unabhängig davon, in welchem Kontext oder Medium sie sich finden. Auch fiktive Texte, wie dieser Roman, können triggern. Wir weisen deshalb an dieser Stelle auf Trigger im vorliegenden Buch hin.
Die Geschichte konfrontiert dich mit Sexualität, Waffengewalt, Entführung, Amoklauf, Behinderung und Psychophaten.
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Lieben Dank im Voraus! Für ein gutes Karma.
Den Wissenschaftlern, die alles tun, um unseren Planeten zu retten und zu oft dafür belächelt werden.
Zusammenfassung Band I
I. Einzeller
1. Lena: Ursuppe
2. Frankl: Zoll
3. Lena: Symbiotisches Paar
4. Frankl: Schuppen
5. Lena: Erzfeind
6. Frankl: Lebenssinn
7. Tiffani: Schildkröte
8. Lena: Besoffen
9. Frankl: Ausflug
10. Tiffani: Sturm
11. Frankl: Feuerlöscher
II. Mehrzeller
12. Lena: Virenschleuder
13. Frankl: Sorry, I’m an idiot!
14. Lena: Stur
15. Tim: Koma
16. Frankl: Missverständnis
17. Lena: Ruf
18. Frankl: Pleased to meet you!
19. Lena: Korallenbleiche
20. Frankl: Holländer-Moppel
21. Lena: Struktur
22. Frankl: Toni
23. Lena: Parallelwelten
24. Frankl: Sauna
25. Lena: Lichtmangel
III. Organismus
26. Frankl: Unschuld
27. Lena: Mykologin
28. Frankl: Panzertape
29. Lena: Verwaltung
30. Conan: Hochzeitstagsessen
31. Frankl: Knochen
32. Lena: Geheimnis
33. Frankl: Getrommel
34. Lena: Vorax
Leseprobe: Band III – Der Fluch der Quanten
Nachwort des Autors
Bücher von Lew Marschall
Um mich für den zweiten Band zu inspirieren, habe ich mich in Heirs of the Phoenix eingeloggt und bin durch Zappels zerstörten Begleiter-Shop getapst. Was für ein Chaos hatte ich da angerichtet? Zutargoshs Feuerregen hatte alles verkohlt. Zum Glück hatte die Game-Engine die Leichen schon entfernt.
Ein Knacken hinter mir schreckte mich auf.
Lena trat heran, Wut im Blick. »Na dufte, ich dachte, dieser Unfug wäre vorbei.«
Ich hob beide Hände zur Abwehr. »T-tut mir leid.«
Mit verschränkten Armen verzog Lena das Gesicht. »Wenn es dir leidtäte, hättest du gar nicht weitergeschrieben.«
Ich schluckte. »Aber es gibt vielleicht einen Weg, wie du doch noch einmal leben kannst.«
Sie winkte ab. »Wozu? Damit ich Katzenklos von Freunden saubermachen muss?«
»Ach Quatsch, aber du willst doch Sascha und Frankl nicht ungeschoren davonkommen lassen?«
»Stimmt.« Lena kratzte sich am Schopf. »Was ist noch mal genau passiert?«
»Na ja. Dein Mitbewohner war heiß auf dich, hat dich entführt und in Heirs of the Phoenix gesteckt. Professor Frankl hat ihm mit einem Medikament namens ZIP das Gedächtnis genommen.«
»Aha.«
»Auf der Suche nach einem Ausweg hast du dich als Stallmagd, Wache der Königin, Oberste Wache des Kaisers und sogar Bossmonster durchgeschlagen. Du hast Quests erledigt und dich mit einer Schildkröte und den Stockmännchen angefreundet.«
»Klar.«
»Du hast einen Barden geheiratet. Ihr hattet ein Kind. Das hat die Heilige Königin getötet.«
»Wie bitte?«
»Keine Sorge. Du bist zwar ausgerastet, aber hattest einen Plan. Dein Drachenfreund hat die Königin plattgemacht.«
»Haha! Das klingt gut.«
»Nur halb. Leider ist dein Charakter gestorben, als du nach dem Sieg über die Königin aufgestiegen bist.«
»Ja und? Ist doch nur ein Spiel.«
»In deinem Fall leider nicht. Weil für NSCs keine Schutzmechanismen eingebaut waren, wurde dein Quantenbewusstsein gelöscht.«
Lena schüttelte angewidert den Kopf. »Das ist krank.«
»Sorry.« Mir stieg Hitze in Stirn und Wangen. »Ich weiß.«
Verwirrt schaute Lena sich um. »Wieso kann ich mit dir sprechen?«
»Das erklärt das neue Buch.«
»Du bist …«
»Schon gut, ich weiß. Danke, Lena.«
»Bitte, Lew.« Lena schaute mich ernst an.
»Würdest du jetzt?«, fragte ich.
»Das ist das letzte Buch!«, forderte sie. »Du holst mich aus dem Spiel.«
Ich räusperte mich. »Ähm. Ja … versprochen.«
Lena verschwand durch ein Portal.
Eine traurige Melodie schwebte durch die Luft und kitzelte mein Gehör. Ich drehte mich zu der Ruine von Zappels Hütte um. Da drüben am Brunnen saß Sascha.
»Du hast mich in eine widerliche Sache reingezogen«, sagte er über seine Harfenmusik hinweg.
»Hi, Sascha. Das warst du schon selbst.«
»Was habe ich denn falsch gemacht? Nur weil ich sie geliebt habe?«
Plötzlich tauchte Antonio Frankl auf. »Geliebt? Das ist eine Freakshow. Wenn du nicht diesen genialen Gensimulator erfunden hättest, hätte ich dich eingewiesen.«
»Professor?« Sascha zog die Augenbrauen hoch. Mit einem anklagenden Blick zu mir fragte er: »Wann erklärst du ihm, wie mein Spiel eigentlich aufgebaut ist?«
»Mach es selbst. Deine Bühne«, sagte ich.
Frankl war schneller. »Das Ding generiert in Höchstgeschwindigkeit Permutationen von Gensequenzen. Was gibt’s daran zu verstehen?«
»Siehst du? Er erkennt meine Genialität nicht einmal.« Sascha griff in den Sand und ließ die Körnchen von der Handfläche rieseln. »Die Abstraktionsebene von Heirs of the Phoenix ist ein Teilchen. Ein Quantencomputer ist so mächtig, dass alles, was darin passiert, auf der Berechnung von Spin und Verschränkung beruht.«
Der Professor nickte anerkennend. »Heißt das, im Spiel tummeln sich Zellen?«
»Moleküle, Zellen und alles, was das Dasein ausmacht. Die Bausteine des Lebens sind nichts weiter als mathematische Funktionen. Lena hat mich zu dieser Idee inspiriert.«
»Die schon wieder.« Nervös tippelte der Professor mit der Fußspitze. »Na gut. Können wir dann? Ich muss die Welt von einer Krankheit befreien.«
Sascha seufzte und nickte. Beide sprangen in den Brunnen.
Ich hörte Schritte, die näher kamen.
Schnaufend stürmte Tim in Zappels Shop. Er stützte sich auf seine Knie. »Wo ist sie?«
»Du bist zu spät«, sagte ich.
»Der Frankl hat auf mich geschossen. Mann, warum tust du mir das an?«
»Ich kann nicht anders. Und den Lesern gefällt es.«
»Achso, und demnächst rennen Zombies durch die Szenen?«
Ich starrte ihn nur an.
Schließlich winkte er ab. »Sag mir, wo ich sie finde.«
Ich lächelte. »Bist du sicher, dass du das wissen willst?«
Stufenaufstieg! Du erreichst Level 21.
[Oberste Wache des Kaisers] stirbt an Altersschwäche.
Spielbare Nachkommen stehen nicht zur Auswahl.
Danke, dass du Heirs of the Phoenix gespielt hast.
# * # * #
Debug: Inventar enthält unlöschbare Artefakte: [Harfe (legendär), Krückstock (einzigartig)]
Debug: Ausführung der Funktion: deleteCharacter(Character<Char> player) zurückgestellt.
[Lena] benutzt [Harfe].
Debug: Verschlinge Unsterblichkeitsartefakt [Harfe].
Debug: Stoppe Löschung des Spiegelbewusstseins.
Status: 2%. 98% gelöscht.
[Lena] benutzt [Krückstock].
Debug: Initiiere Neustart.
Debug: Charakter nicht lebensfähig. Injiziere Bewusstsein in einfache Lebensform [Symbiotischer Erbauer].
# * # * #
Das Kreischen einer Metallsäge riss mich aus dem Schlaf. Als ich die Augen öffnete, verstummte es und ich war allein. Ich blickte auf den unscharfen, lila-roten Horizont, der sich auf und ab bewegte, als trügen mich schwerelos die Wellen des Meeres. Alle Grenzen undeutlich wie auf einem Gebilde von Picasso. Blaue, braune und rote Flecken bluteten ineinander. Ich wollte mir die Augen reiben, doch ich fühlte meine Arme nicht. Die Unschärfe blieb.
Ich schnüffelte. Nichts. Auch kein Geräusch war zu hören. Ich wollte meine Lippen befeuchten, doch auch meine Zunge fehlte. Sollte mich nicht Panik überkommen? Wo blieben nur die bekannten Gefühle, die mir Bauch und Brust verengten?
Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf die Umgebung.
Nicht weit vor mir waberte ein dunkelblauer Fleck wie eine verschmierte Pfütze. Vielleicht konnte ich die erreichen? Ich strengte mich an und stellte mir vor, wie ich mich darauf zubewegte. Meine Beine spürte ich nicht, genauso wenig wie alle anderen Körperteile.
Ich blieb, wo ich war. Nur ein sanftes Auf und Ab spielte mit mir.
Jetzt kroch doch Unwohlsein in meinen Bauch, obwohl ich mir sicher war, dass ich keinen Körper hatte. Wie hieß ich und wie kam ich hierher? Ich dachte angestrengt nach, während ich in das Farbchaos vor mir starrte. Zuletzt war ich in einem Spiel gefangen gewesen. Irgendetwas war schiefgegangen. Ich hatte einen Endboss getötet und war dabei gestorben.
Gab es eine Konsole? Ich wischte mental über mein Sichtfeld, als würde ich zwei Finger am Rand eines Tablets nach unten ziehen.
Initiiere [Symbiotischer Erbauer].
LE: 2/2
XP: 0/10
Level: 0
Organellen:
keine
Resistenzen:
Temperatur: 0
Salz: 0
Toxin: 0
Physisch: 0
Mutation: 0
Nachteile:
keine
Bitte gib deinen Namen an:
[]
Na dufte. Ich war immer noch im Spiel. Was in aller Welt stellte ein Symbiotischer Erbauer dar? Leider konnte ich mich so wenig betrachten wie die Umgebung um mich herum.
Mein Charakterbogen zeigte sowohl Level als auch Erfahrungspunkte an. Das kam mir bekannt vor. Die geringe Lebensenergie machte mir Sorgen. Was passierte, wenn ich hier starb? Augenscheinlich konnte das recht umgehend passieren bei nur zwei Punkten.
Der Eintrag Organellen klang interessant. Aus irgendeinem Grund konnte ich damit etwas anfangen. Organellen führten wichtige Zellfunktionen aus.
Eine Vermutung formte sich. Wenn ich mir in diesem Zusammenhang die gelisteten Resistenzen anschaute – Temperatur, Salz, Toxin, Physisch und Mutation –, konnte ich nur eine Art Wesen sein. Aber war es möglich, dass ein Spiel die molekulare Ebene des Lebens simulierte?
Ich überprüfte, ob es ein Menü gab. Ein Logout-Button wäre mir lieber, als mich weiter mit den Einzelheiten des Spiels zu beschäftigen. Irgendetwas sagte mir, dass ich schon eine Weile nach einem Weg hier hinaus suchte. Hatte ich deswegen den Kampf gegen den Endboss aufgenommen?
Mein einzig möglicher nächster Schritt bestand aber darin, mir einen Namen zu geben.
Bitte gib deinen Namen an:
[Lena]
Keine Ahnung, wie ich darauf gekommen war, doch es fühlte sich richtig an. Hieß ich wirklich so oder war dieser Name ein verlorenes Fragment von etwas Größerem?
Willkommen, [Lena].
Worauf willst du dich spezialisieren?
1. [Ressourcenabbau]
2. [Kommunikation]
3. [Fortpflanzung]
4. [Verteidigung]
Das Spiel verlangte gleich zu Beginn eine wichtige Entscheidung. Ich hatte keine Ahnung, welche Auswirkungen die Spezialisierungen hatten. Es half wohl nichts, als sie einzeln durchzugehen. Ich klickte Punkt eins an.
Ressourcenabbau:
Symbiotische Erbauer (SE) mit der Spezialisierung Ressourcenabbau fördern alle wichtigen Rohstoffe aus Ursuppen, Gaswolken oder sogar Vulkanen. Sie bauen die effektivsten Photosynthesefabriken und versorgen damit die Gemeinschaft der Symbiotischen Erbauer. Ihr Metier sind Wasser, Zucker, Lipide, Nukleotide und Photonen.
Zusätzlich erhalten sie besondere Resistenzen gegenüber Salzen und Giften, um auch schwer erschließbare Quellen zu bewirtschaften.
Erfahrene Ressourcenabbauer erhalten Zugang zu erweiterten Gebäuden wie einer Algenfarm, die besondere Rohstoffe freischalten.
Gebäude: Photosynthesefabrik; Lipidmine; Photonenfalle; Nukleotidmischer; Wasserspeicher
Resistenzen: Toxin: +5; Salz: +5
Interessant. Eine wichtige Komponente dieses Spiels beinhaltete also das Sammeln von Grundbausteinen des Lebens. Photonen, also Lichtpartikel, oder Nukleotide, aus denen DNA und RNA aufgebaut waren.
Ich klickte auf Punkt zwei.
Kommunikation:
Symbiotische Erbauer (SE) mit der Spezialisierung Kommunikation sichern die effektive Zusammenarbeit der Gemeinschaft. Sie haben eine größere Auswahl an Ausdrucksweisen und erhöhen gezielt die Koordination einzelner Gruppen und damit die Kohäsion des Organismus. Nur durch sie erlangt die Gemeinschaft Zugriff auf weiterentwickelte Gebäude, die einzelne SE nicht bewerkstelligen können.
Gebäude: Allianzgebäude; Ressourcensilo; Marktplatz
Resistenzen: Temperatur +5; Toxin +5
Das klang anstrengend. Gruppen, Allianzen und Ressourcenverteilung waren definitiv nicht mein Ding.
Fortpflanzung:
Symbiotische Erbauer (SE) mit der Spezialisierung Fortpflanzung sorgen für eine reibungslose und gesunde Zellteilung. Erfahrene Erbauer in diesem Bereich können Gendefekte reduzieren oder gewollt kleine positive Veränderung ins Erbgut einfügen.
Diese Spezialisierung schaltet auf höheren Leveln besondere Fähigkeiten frei, die einen strategischen Vorteil bieten.
Gebäude: Zellteiler; Mutationsschild
Resistenzen: Mutation +10
Mich überrollte die vage Erinnerung an ein Kribbeln im Bauch. Hätte ich einen Mund, würde ich wohl lächeln, denn diese Spezialisierung gefiel mir sehr.
Ich klickte auf die letzte Beschreibung.
Verteidigung:
Symbiotische Erbauer (SE) mit der Spezialisierung Verteidigung entwickeln besonders resistente Membranen und widerstandsfähige Oberflächen. Sie verteidigen Gemeinschaften, indem sie Schutzvorrichtungen in Ursuppen errichten, Verteidigungsorganellen bauen und Frühwarnsysteme installieren.
Gebäude: Zellwand; Chemischer Detektor; Bewegungsdetektor; Giftzelle; Schildvirionen
Resistenzen: Physisch +10
Wogegen galt es denn, sich zu verteidigen? Die Beschreibung des Spiels ließ hier einiges ungesagt.
Jede der Spezialisierungen klang sinnvoll, doch ich konnte nur eine wählen. Obwohl mich die Fortpflanzung reizte, wäre es wohl am sinnvollsten, wenn ich mich vorerst mit genügend Ressourcen absicherte, um zu sehen, wohin ich mich entwickeln konnte.
Ich wählte Ressourcenabbau aus.
Erstellung Symbiotischer Erbauer (Ressourcenabbau) abgeschlossen.
[Lena] erhält 10 XP.
Neue Stufe erreicht: 1.
Na, das klang doch gut. Ich warf einen Blick auf den Charakterbogen.
Name: Lena
Spezialisierung: Ressourcenabbau
LE: 2/2
XP: 10/20
Level: 1
Organellen:
keine
Resistenzen:
Temperatur: 0
Salz: 5
Toxin: 5
Physisch: 0
Mutation: 0
Nachteile:
keine
Ich schob meinen Charakterbogen zur Seite und sah nun tatsächlich weitere Optionen in meinem Sichtfeld. Am oberen rechten Rand erschien der Button Erweiterungen. Ich klickte drauf und eine Liste von Optionen erschien.
Erweiterungen:
1. Organellen bilden
2. Chemikalien brauen [fehlende Voraussetzungen]
Wie cool war das denn! Ich klickte auf den ersten Eintrag.
Organellen bilden:
> Angriff (benötigt Level 4)
> Fortbewegung
> Wahrnehmung
> Kommunikation
Interessant. Ich konnte mir also durch Upgrades neue Funktionen verpassen. Die Angriffsfähigkeiten waren noch inaktiv. Dafür musste ich noch etwas leveln. Ich klickte darauf, um mehr zu erfahren.
Inaktiv. Angriffsfähigkeiten werden nur für erfahrene SE freigeschaltet. Sie erlauben die Ausprägung von Organellen zum Angriff mit Gift, Enzymen und Elektroschocks durch Erweiterungen der Zellwand.
Gut, das klang gefährlich und spannend. Aber wie würde ich die Erfahrung erhalten, wenn ich doch gar nicht kämpfen konnte? Warum blieb die Spielbeschreibung so vage?
Ich klickte auf Fortbewegung.
Fortbewegung:
> Geißel: [fehlende Voraussetzungen]
> Flimmerhärchen: 1 Wasser, 3 Zucker, 5 Lipide, 2 Nukleotide [ausbilden]
Hier kam ich tatsächlich weiter. Sollte ich mich mit Flimmerhärchen ausstatten? Aber hatte ich überhaupt Rohstoffe zur Verfügung? Ich checkte mein Sichtfeld. Tatsächlich. Oben mittig fand ich eine Übersicht.
Ressourcen [Lena]:
Wasser: 5 | Zucker: 5 | Lipide: 5 | Nukleotide: 5 | Photonen: 0 | Enzyme: 0
Zumindest hatte mich das Spiel nicht blank starten lassen. Aber bevor ich die Rohstoffe für irgendetwas ausgab, wollte ich alle Optionen prüfen. Also wählte ich Wahrnehmung aus.
Wahrnehmung:
> Photorezeptoren: [vorhanden]
> Optische Erweiterungen: [fehlende Voraussetzungen]
> Sensorischen Antennen: 5 Wasser, 10 Zucker, 10 Lipide, 30 Nukleotide [fehlende Ressourcen]
> Erweitertes Neuronales Netz: [fehlende Voraussetzungen]
Die verschwommene Wahrnehmung von Farben war damit erklärt, denn ich besaß einen Photorezeptor, der wohl zur Grundausstattung gehörte. Es gab neben dem interessant klingenden Neuronalen Netz auch optische Erweiterungen. Etwas klarer sehen zu können, wäre toll, aber ich durfte es nicht ausbauen.
Was wohl unter fehlenden Voraussetzungen zu verstehen war?
Ich klickte Kommunikation an. Dort war eine zusätzliche Möglichkeit, meine Fähigkeiten zu erweitern.
Kommunikation:
> Chemische Kommunikation: 4 Wasser, 4 Zucker, 4 Lipide, 4 Nukleotide [ausbilden]
> Biolumineszente Kommunikation: [fehlende Voraussetzungen]
> Gruppenkommunikation: [fehlende Voraussetzungen]
Das Spiel gönnte mir zwar eine kleine Rohstoff-Starthilfe, aber großzügig war das nicht zu nennen, wenn ich mir die Kosten für die coolen Erweiterungen anschaute. Außer Photonen und Enzymen hatte ich alles zur Verfügung, um entweder Flimmerhärchen oder Chemische Kommunikation auszubilden.
Ich wollte mich bewegen können. Am selben Ort festzuhängen, nervte und wäre vermutlich mein Ende. Vielleicht konnte ich den pfützenartigen Fleck da vor mir erreichen. Ich klickte also auf den Menüpunkt Organellen bilden und Fortbewegung. Dann wählte ich die Flimmerhärchen aus.
[Lena] entwickelt [Flimmerhärchen] (1%).
Ich entließ die notwendigen Nukleotide. Das waren Molekülstrukturen, die wie merkwürdig verbogene Ameisen anmuteten. Sie verbanden sich zu einem RNA-Strang, der veranlasste, ein Enzym zu erzeugen. Dieser Vorgang kam mir so unglaublich bekannt vor.
[Lena] entwickelt [Flimmerhärchen] (53%).
Als das Enzym in meinem Inneren produziert worden war, machte es sich daran, den notwendigen Zucker, die Lipide und das Wasser in eine Armada kleiner Härchen zu verwandeln, die sich von innen durch meine Zellwand bohrten. Nachdem ein langer Faden in die Umgebung ragte, verwuchs das andere Ende mit mir.
[Lena] entwickelt [Flimmerhärchen] (100%).
Ausbildung abgeschlossen.
Ressourcen [Lena]:
Wasser: 4 | Zucker: 2 | Lipide: 0 | Nukleotide: 3 | Photonen: 0 | Enzyme: 0
Wie kleine Fahnen wehten meine neuen Flimmerhärchen. Und tatsächlich bewegte ich mich nicht mehr nur auf und ab, sondern auch langsam vorwärts. Zumindest in jene Richtung, die ich als Vorwärts definierte.
Meine Geschwindigkeit entsprach jedoch einem Schiffbrüchigen, der versuchte, auf einer Planke den Atlantik zu durchqueren. Wie auf Wellen schwappte ich auf und ab. Jeder Zentimeter Fortschritt ein Gefecht gegen unsichtbare Naturgewalten.
Konnte ich denn gar nichts weiter tun? Ich klickte meine Erweiterungsmöglichkeiten durch. Dort war nichts Neues erschienen und meine Rohstoffe erlaubten kein weiteres Upgrade. Wie sollte ich denn überhaupt an Photonen kommen? Ganz zu schweigen von Nukleotiden oder Enzymen.
Schließlich schob mich etwas voran, so als trüge mich eine große Welle. Ich konzentrierte mich auf die Pfütze als mein Ziel und peitschte meine Flimmerhärchen mental an, schneller zu kraulen. Die Welt waberte in Lila und Braun an mir vorbei, bis ich die dunkelblaue Fläche erreichte.
[Lena] entdeckt [Candidas Ursuppe].
[Lena] erhält 5 XP durch [Erkundung].
Punkte zum nächsten Level: 15/20.
[Lena] hat keine Sensorischen Antennen ausgebildet, um die Ursuppe auf Temperatur, Toxizität oder Salzgehalt zu testen.
Willst du trotzdem in die Ursuppe tauchen?
[Ja/Nein]
Klasse. Ich konnte die Antennen nicht bauen, weil ich die Voraussetzungen nicht erfüllte. Aber da ich einige Resistenzen bei der Charaktererstellung erworben hatte, konnte ich das Risiko wohl eingehen. Andererseits konnte ich natürlich weitere Ursuppen suchen und mehr Erfahrungspunkte sammeln. Aber dafür fehlte mir gerade die Geduld. Mit einer Geißel, die mich voranschieben würde, wäre das eine Überlegung wert. Dieses Upgrade lag aber nicht in Reichweite.
Also wählte ich Ja aus.
[Lena] siedelt in [Candidas Ursuppe] an.
[Lena] erhält 10 XP durch [Besiedlung].
Neue Stufe erreicht: 2.
Punkte zum nächsten Level: 25/40.
Umgebung:
Temperatur: 35.4°C
Strahlung: 0,1 mSv
Salzgehalt: 160 mmol/L
Toxizität: 7 mg/L
CO2: 35 mmHg
O2: 80%
Druck: 120/80 mmHg
Zucker: 100 mg/dL
Lipidkonzentration: 23%
Jäger: unbekannt
Wegen einer Ursuppen-Toxizität von 7 und deiner geringeren Resistenz von 5 wird der Rohstoffabbau um 20% reduziert.
Dass ich die Spezialisierung Ressourcenabbau gewählt hatte, gab mir jetzt ein gutes Gefühl. Mal sehen, was ich der Ursuppe so abtrotzen konnte. In meinem Blickfeld hatte ich jetzt auf der rechten Seite auch Zugriff auf ein Gebäudemenü. Ich wählte es aus.
Gebäude:
> Photosynthesefabrik: [fehlende Voraussetzungen]
> Lipidmine: [fehlende Voraussetzungen]
> Photonenfalle: [fehlende Voraussetzungen]
> Nukleotidmischer: [fehlende Voraussetzungen]
> Wasserspeicher: [fehlende Voraussetzungen]
Dass ich überhaupt nichts davon bauen konnte, kam überraschend und das Spiel gab mir keinen Hinweis darauf, was mir fehlte. Wütend klickte ich durch die Menüs, als ich bei Organellen bilden einen neuen Eintrag fand.
Organellen bilden:
> Angriff (benötigt Level 4)
> Fortbewegung
> Wahrnehmung
> Kommunikation
> Selbstversorgung
Neugierig wählte ich Selbstversorgung aus.
Selbstversorgung:
> Filtervakuolen (Standard): [vorhanden]
> Semipermeable Membran (Spezialisierung des Ressourcenabbauers): [ausbilden]
> Lichtfänger (Spezialisierung des Ressourcenabbauers): [fehlende Voraussetzungen]
> Symbiotischer Raub (Spezialisierung des Ressourcenabbauers): [fehlende Voraussetzungen]
Ich zögerte keinen Moment, um die Semipermeable Membran auszubilden. Schließlich erhielt ich sie kostenfrei. Das darauffolgende gummiartige Knautschen bildete ich mir vermutlich ein, als ich zusah, wie sich meine Zellwand bog und in die Länge zog.
Zum Glück war der Salzgehalt der Ursuppe niedrig, denn das hätte ansonsten die Osmose reduziert. Woher wusste ich so was nur?
Selbstversorgung gestartet. Ressourcenabbau um 20% reduziert:
Wasser: 5/Stunde
Zucker: 1/Stunde
Lipide: 2/Stunde
Nukleotide: 2/Stunde
Photonen: 0/Stunde
Enzyme: 0,1/Stunde
Ressourcen [Lena]:
Wasser: 4 | Zucker: 2 | Lipide: 0 | Nukleotide: 3 | Photonen: 0 | Enzyme: 0
Ich beschloss, als nächstes die Chemische Kommunikation zu erforschen. Dafür musste ich zwar zwei Stunden auf die Ressourcen warten, aber vielleicht war da draußen mehr, als ich wahrnahm. Meine neue Organelle würde es mir hoffentlich mitteilen.
Obwohl ich keinen Körper hatte, empfand ich Müdigkeit. Ich schloss mental die Augen, um etwas zu entspannen, und startete die Selbstversorgung.
* * *
Eine Vibration weckte mich.
[Lena] erhält 10 XP durch [Ressourcenabbau].
Punkte zum nächsten Level: 35/40.
Wenn ich die Höhe der XP-Belohnungen verglich, präferierte das Spiel wohl den Rohstoffabbau. Ob das an meiner Spezialisierung lag?
Am oberen Rand studierte ich meine verfügbaren Rohstoffe.
Ressourcen [Lena]:
Wasser: 14 | Zucker: 4 | Lipide: 4 | Nukleotide: 7 | Photonen: 0 | Enzyme: 0,2
Na bitte, es wuchs. Das sollte reichen, um meine Kommunikationsorganelle auszubilden. Obwohl ich gern aus diesem Spiel verschwinden würde, konnte ich einen gewissen Spaß an der Materie nicht von der Hand weisen. Ich war mir sicher, dass das etwas mit meiner Vergangenheit zu tun hatte.
Ich klickte mich durch Organellen bilden und den Unterpunkt Kommunikation. Dort gab ich den Auftrag für die neue Erweiterung.
[Lena] entwickelt [Chemische Kommunikation] (1%).
Wie schon bei den Flimmerhärchen verbanden sich die Nukleotide zu einer RNA, die ein spezifisches Enzym erzeugte.
[Lena] entwickelt [Chemische Kommunikation] (44%).
Dieses verwandelte den Zucker und die Lipide in einen Beutel, der auf der Innenseite meiner Zellwand angebracht wurde.
[Lena] entwickelt [Chemische Kommunikation] (71%).
Vor dem Beutel entstand ein kurzer Rüssel. Es wirkte wie ein Luftballon, mit dem ich den Beutelinhalt nach außen pressen konnte. Daneben wippte eine gabelförmige Antenne.
[Lena] entwickelt [Chemische Kommunikation] (99%).
Schließlich füllte sich der Beutel mit saurer Flüssigkeit.
[Lena] entwickelt [Chemische Kommunikation] (100%).
Ausbildung abgeschlossen.
Ressourcen [Lena]:
Wasser: 10 | Zucker: 0 | Lipide: 0 | Nukleotide: 3 | Photonen: 0 | Enzyme: 0,2
Und jetzt? Ich kratzte mir ratlos das nicht vorhandene Kinn. Sollte ich einfach etwas sagen?
»Hallo?«, versuchte ich es vorsichtig.
Verwundert sah ich, wie sich der Luftballon zusammenzog und etwas von der Flüssigkeit blubbernd durch den Rüssel nach außen trat. Ich hatte eben kommuniziert! In dem Fall, dass ich einen Mund anstatt einer Zellwand zur Verfügung hätte, hätte ich breit gegrinst und die Augenbrauen gehoben. So blieb es bei der Vorstellung. Was mir aber trotzdem eine gewisse Befriedigung schenkte.
»Ich bin Lena, ist da jemand?«, blubberte ich, als sich mein Kommunikationsballon wieder mit Flüssigkeit gefüllt hatte. Diesmal zuckte er häufiger, ohne dass ich ein Muster erkannte. Ich vermutete, dass unterschiedliche Worte durch verschiedene Mengen von Flüssigkeiten dargestellt wurden. Aber wer sollte schon in meiner Ursuppe sein? Ein Dinosaurier? Ob ich meinen kleinen Charakter zu einem entwickeln konnte?
Ich wünschte, ich könnte etwas sehen. Der unscharfe Blick auf die Umgebung verwirrte mich sehr und verstärkte meine Unsicherheit.
Plötzlich zitterte die kleine Gabel neben meinem Kommunikationsrüssel.
»Hilfe!«, rief jemand.
Ich trieb meine Flimmerhärchen an, um mich umzuschauen. Ein anderes Wesen in der Nähe brauchte Hilfe. Mein runder Körper pulsierter vor Aufregung, wechselte die Farbe von grellem Weiß zu leuchtendem Blau.
Okay, ich drehte mich, doch man hätte auch einem Kohlrabi beim Wachsen zuschauen können, so langsam ging das vonstatten. Ich strengte alle mentalen Muskeln an. Die Flimmerhärchen gaben ihr Bestes, was aber nichts zum Ergebnis beitrug.
Da hatte ich eine Idee. Vielleicht konnte ich meinen Kommunikationsballon auch als Antrieb nutzen.
Also schrie ich: »Halte durch! Ich komme!« Der Schwall Flüssigkeit, den mein Ausruf in die Umgebung abließ, stieß mich vorwärts und ich drehte mich schneller. Von Kohlrabi- zu Schneckentempo.
Schließlich rückten zwei Objekte in mein Blickfeld. Eines rund und hell wie ich. Das andere kantig, dunkel und dreimal so groß.
Ich befahl meinen Flimmerhärchen, auf die beiden zuzusteuern. Als ich näher schwappte, erkannte ich unscharf Tentakel, mit denen das eckige das runde Ding gefangen hielt. Das Bild von einem Riesenkraken, der einen Wal angriff, erschien in meinem Kopf.
»Vorsicht. Parasit«, empfing meine Kommunikationsgabel die Worte des hellen, runden Gesellen.
Ein Parasit? Das klang unangenehm.
Noch bevor ich etwas tun konnte, angelte ein schwarzer Tentakel nach mir.
Antonio Frankl humpelte am Montagmorgen um sieben Uhr aus der Boeing 747 in den Aufgang zum Terminal des Flughafens San Francisco. Seine einundfünfzig Jahre alten Kniegelenke knacksten. Das war neu. Genau wie ein unbestimmtes Drücken hinten am Oberschenkel, das bis hinauf in den Rücken zog. Großartig, hatte er jetzt Ischias-Schmerzen bekommen?
Nach vierzehn Stunden Flugzeit von München nach San Francisco machte sein Körper dicht. Die viel zu kleinen Sitze der Economy Class waren früher kein Problem gewesen. Auch, weil er eigentlich nur Business Class geflogen war. Aber für diese Flucht- und Rettungsmission – eine, die die Welt verändern würde – schien ihm die Holzklasse angemessener.
Antonio verabscheute Flugzeuge. Beinahe hätte er wie seine Frau hinzugefügt, aber das wäre gelogen.
Zusätzlich piesackte Aufregung seinen Unterleib, jetzt da er Tiffani wieder so nah war. Sie hatten seit dem Abend am Strand nicht mehr miteinander gesprochen.
Direkt neben Antonio hatte Sascha gesessen.
»Soll ich dich stützen, Professor?«, fragte er, als er nach dem Ausstieg aufholte und links von Antonio auftauchte. Seinem jungen Körper hatten die Foltersitze nichts anhaben können.
Antonio riss den Ellbogen von Saschas helfender Hand weg und blickte ihn grimmig an. »Geht schon. Bin doch keine neunzig. Und wir siezen uns!«
Sascha zog die Mundwinkel nach unten und schüttelte den Kopf. Schweigend marschierten sie nebeneinanderher, bis sie mit den anderen Passagieren in einen zentralen Flur abbogen. Alle beeilten sich, um beim Zoll ganz vorn zu stehen. Rollkoffer klackerten durch die langen Gänge. An den Wänden hingen Poster, die auf die bevorstehende Kontrolle – andere nannten es Verhör – durch den amerikanischen Zoll aufmerksam machten: Schön in der Reihe anstellen, den ausgefüllten Zettel und den Pass bereithalten, ruhig bleiben und Geduld zeigen. Und sobald man vor dem Schalter des Officers stand, höflich bleiben und die Wahrheit sagen.
Antonio kannte das Prozedere nur zu gut, und dennoch fühlte es sich jedes Mal wie Seelenröntgen an. Einmal war er in Moskau gelandet und er hätte schwören können, die gleiche graue Schwere der Autorität dort gespürt zu haben. Vielleicht waren sich die beiden Staaten gar nicht so unähnlich?
Je näher Antonio und Sascha der Warteschlange kamen, desto mehr Poster hingen an der Wand, auch mal keck abgewechselt mit Events in der Stadt. Eines deutete auf die CRISPR-Konferenz in zwei Tagen hin.
Antonio zwickte zusätzlich zu den Knien auch das Gewissen. Lena. Sie hatte lange für ihn gearbeitet und das Notwendigste abgeliefert. Schade, dass es so enden musste. Aber der Synthese des Heilmittels durfte niemand in die Quere kommen.
Sascha stupste Antonio an und deutete mit einem Nicken auf das CRISPR-Event-Poster.
»Kein Wort darüber«, befahl Antonio.
»Ich wollte Ihnen nur viel Erfolg wünschen.«
»Sind Sie verrückt? Ich werde dort nicht auftauchen.«
Sascha zog die Augenbrauen zusammen. »Was machen Sie dann?«
»Ruhig, Mann!« Am liebsten hätte Antonio ihm eine gescheuert. Sascha würde sie noch auffliegen lassen. Erst mussten sie durch den Zoll, dann konnten sie alles im Detail besprechen.
Mit beleidigtem Unterton sagte Sascha: »Zum Glück trennen sich unsere Wege dort hinter den Türen.«
Wie jetzt? Wo wollte Sascha denn hin? Antonio brauchte ihn, damit sein Plan funktionierte. Allein würde er die Spieler in Heirs of the Phoenix nicht einsperren können. Er mimte den Gleichgültigen, starrte in die Ferne und zuckte mit den Schultern. »Schade. Dabei hätte ich Ihre Fertigkeiten gut gebrauchen können.«
»Das klang während des Flugs noch ganz anders.«
Was Antonio gesagt hatte, meinte er auch immer noch. Wenn Saschas verquere Liebesfantasien gegenüber Lena nicht gewesen wären, wären sie jetzt nicht in dieser Lage. Kopfschüttelnd dachte Antonio daran, wie er Sascha mit heruntergelassener Hose vor dem VR-Pod erwischt hatte.
Nur die Heilige Königin hatte sterben sollen, aber nicht Lena. Eine AI konnte man nicht einfach durch Programmierung entfernen, es war Sascha nicht gelungen. Doch durch seine pubertäre Idee mit der Liebesquest war alles außer Kontrolle geraten. Nicht einmal das Baby hatten sie retten können, obwohl es die Entdeckung des Heilmittels massiv hätte beschleunigen können. Hätte, hätte, Fahrradkette, hatte Antonios Vater immer gesagt. Nur beim Tod seiner Schwester hatte er andere Worte gefunden.
»In diesem Fall habe ich wohl einen Fehler gemacht.« Antonio suchte Saschas Blick. Sascha musste verstehen, dass die Leichen von Lena und dem dicken Holländer auf sein Konto gingen. Seine Freakshow hatte alles zerstört, was Antonio mühsam aufgebaut hatte.
»Aha. Verzeihen Sie eigentlich Fehler genauso schnell, wie Sie es von mir erwarten?«, fragte Sascha.
Antonio winkte ab. In diese billige Falle würde er nicht tappen.
Die Männer erreichten das Ende der Warteschlange, die in ein Labyrinth von Absperrbändern führte. Irgendwo da vorn würden sie an einem der Schalter ausgespuckt werden. Dann hieß es schauspielern, um den Minotaurus zu besiegen.
Aber das würde noch dauern, denn nur einer von sechs Schaltern war besetzt und wegen Antonios Humpelei standen sie ganz hinten in der Schlange. Vor ihnen tummelten sich bereits die dreihundert Mitreisenden, die ungeduldig von einem Fuß auf den anderen traten. Teleskopgriffe ratterten nervös. Ein Kind donnerte mit der Stirn gegen eine Säule der Absperrung. Es roch nach Meister Proper, Linoleum und Pferdebalsam.
»Na, das kann ja dauern«, sagte eine ältere Dame, die sich zu Antonio umdrehte und genervt schaute. »Diese Amerikaner machen es einem nicht leicht, sie zu mögen.«
»Psst.« Antonio zischte durch die Zähne. »Das sollten Sie nicht so laut sagen.« Verstand denn niemand, dass hier alles aufgezeichnet und überwacht wurde?
»Ach, die sprechen nur Englisch. Keiner von denen hat was mit Fremdsprachen am Hut.«
Stimmt, denn es gab ja auch keine KI-Übersetzer. Antonio verdrehte die Augen.
Im Gegensatz zu ihm lächelte Sascha. »Sehr mutig. Sie erinnern mich an meine Vermieterin.«
»Ich hoffe, nur im besten Sinne.«
»Im allerbesten, gnädige Frau. Sie hat mich immer freundlich daran erinnert, das Treppenhaus zu wischen.«
Mit wackelndem Zeigefinger wurde die Alte ernst. »Unsere Generation macht sich große Sorgen um die Ihre, junger Mann. Keiner will mehr für seinen Erfolg arbeiten, eine Beziehung muss aufwandslos funktionieren, ansonsten wird der Partner ausgetauscht, und Verantwortung übernimmt überhaupt niemand. Hauptsache, alles ist leicht wie mit ihren Ebbs oder wie das heißt.«
Antonio hob verwundert eine Augenbraue. Freundeten sich die beiden gerade an? Stand Sascha auch auf zeternde alte Schachteln?
»Sie haben recht«, sagte Sascha. »Und dann noch diese Computerspiele. Keiner geht mehr raus und trifft echte Menschen. Dadurch sind viele meiner Freunde psychisch gestört. Kein Witz.« Sascha blickte der Dame in ihre wässrigen Augen, die tief in faltigen Höhlen zuckten.
Sie presste die Lippen zusammen und nickte heftig. Die Reihe der Wartenden rückte weiter, was die Alte aber nicht mitbekam. »Ich mag Sie. Wie heißen Sie, mein Junge?«
Gerade wollte Antonio die Alte darauf hinweisen, weiterzugehen, da schrillten alle Alarmglocken. Warum wollte die wissen, wie er hieß?
»Sa…«
»Das ist mein Neffe, Samuel«, unterbrach ihn Antonio. »Ach, und bitte rücken Sie doch auf.«
Die Dame schmatzte mit ihrem Gebiss, ergriff ihren Koffer und wackelte mit steifer Hüfte voran.
Mit der Schulter stieß Antonio Sascha an und zischte ihm zu: »Wurde dein Quellcode nicht letztens einem Smoke-Test unterzogen?«
Sascha verzog nur die Mundwinkel, dann rückten auch sie auf.
Als sie die Dame erreichten, drehte die sich mit neugierigem Gesicht um. »Womit verdienen Sie sich denn Ihr Geld? Sicherlich suchen Sie nach lukrativen Geschäften in diesem Land?«
Antonio lächelte mild und beugte sich zu der Dame hinunter. Ihr dicker grüner Mantel roch muffig und von ihrer Wange ragte ein geknicktes schwarzes Haar ab. »Tut mir leid, gnädige Dame. Aber ich habe etwas Wichtiges mit meinem Neffen zu besprechen. Würden Sie uns entschuldigen?«
Der stechende Blick aus den kleinen Augen zuckte zwischen Antonio und Sascha hin und her. Die Alte schnaubte und wandte sich ab.
Eine Sache interessierte Antonio. »Wo wollen Sie denn hin?«
Sascha kratzte sich am Kopf. »Buenos Aires. Da gibt es eine Gaming-Szene, die mein … äh … Ihr Spiel verherrlicht. Ein bisschen zocken, ein paar Cocktails und den ganzen Mist vergessen.«
»So einfach ist es nicht. Wir müssen die Bugs im Spiel fixen.«
»Ach, das können auch die anderen Entwickler. Dafür brauchen Sie mich nicht.«
»Wichtige Bugs.« Außerdem arbeitete niemand mehr für ihn. Sie waren nach dem Vorfall in München abgehauen. Genauso wie die wenigen Spieler, die mal in die Nachrichten schauten.
Sascha musterte Antonio, der seufzte. »Es ist Ihr Spiel, ich habe damit nichts mehr am Hut.«
Antonio tippte mit dem Zeigefinger auf Saschas Brust. »Aber der Visionär sind nur Sie.«
»Nein, das ist vorbei. Die letzten Features, die ich entwickelt habe, gingen voll in die Hose. Bedenken Sie nur, welchen Ärger die Versager-Klasse gemacht hat.«
»Ihre Chance, aus den Fehlern zu lernen.«
»Kein Interesse.«
»Sie können nicht einfach Nein sagen.«
»Und Sie können nicht einfach Fehlfunktionen abschießen, haben es aber trotzdem gemacht.«
Mit geweiteten Augen blickte Antonio sich wild um. »Geht’s noch?« Wie konnte der Idiot lautstark über eine Schießerei reden? Zum Glück schien sie niemand beobachtet zu haben. Nicht mal die Alte.
»Hören Sie, Professor. Ich bin nicht mehr zu haben.«
Antonios Ohren glühten heiß vor Wut und seine Halsschlagader pulsierte merklich. Er hasste es, dass er Sascha brauchte. Aber im Dreck würde er nicht vor ihm kriechen. Der Junge sollte froh sein, dass er den Dicken ausgeschaltet hatte, bevor der sich zu einer echten Gefahr entwickelt hatte.
Antonio versuchte es weiter in Saschas Sprache. »Noch ist der Hot-Patch nicht ausgeliefert. Es wäre gut, wenn wir ein paar Tage daran zusammenarbeiten. Wer weiß, ob es in der Live-Umgebung ungeahnte Seiteneffekte gibt.«
»Mir egal. Sie haben mir während des Flugs sehr deutlich gemacht, was Sie von mir halten.« Sascha drängte sich einen Schritt vor Antonio und stellte seinen Rollkoffer wie eine Mauer hinter sich. Der Teleskopgriff ragte auf wie ein unüberwindbarer Elektrozaun.
Antonio grub seine Fingernägel tief in die Handflächen und biss sich auf die Unterlippe. Dieser dumme Junge verstand einfach nicht, dass sie beide in Gefahr schwebten. Was machte er denn jetzt? Mit großen Augen starrte er zu Sascha, als der sich zur Alten vorbeugte. »Entschuldigen Sie, dass der Herr eben so unhöflich zu Ihnen war.«
Sie lächelte. »Keine Sorge, ein Grantler eben. Wissen Sie, das hat etwas mit Selbstliebe zu tun.«
Sascha nickte. »Ich bin manchmal auch fies zu mir.«
Antonio schüttelte den Kopf über so viel Dummheit. Er wünschte sich Kopfhörer, die er jedoch nie besessen hatte. So musste er dem stupiden Gelaber zwischen der Alten und Sascha folgen. Offensichtlich verstanden die sich großartig.
Selbstliebe … Was für ein Gewäsch!
Zum Glück waren mittlerweile fünf Schalter mit Grenzpolizisten besetzt und die Schlange verkürzte sich. Nach endlosen Gesprächen über Empathie bis hin zur Law of Attraction winkte ein Officer die Alte endlich zur Passkontrolle.
»Es hat mich sehr gefreut, Herr Immerswall«, sagte sie und wackelte zu dem Polizisten.
Antonio stieß Sascha in den Rücken. »Haben Sie etwa Ihren Namen genannt?«
Sascha zuckte mit den Schultern. »Und wenn schon. Steht doch eh in meinem Pass.«
So viel Blauäugigkeit in einem Menschen vereint war für Antonio unerträglich. Eine heiße Blase der Wut blähte sich in seiner Brust auf, die er mit einem Schrei entließ. »Vollidiot!«
Sascha drehte sich daraufhin um und schubste ihn, sodass er über seinen Koffer stolperte, verzweifelt mit den Armen ruderte, hinfiel und die Absperrung mit sich riss.
»Das kommt davon, wenn man sich so aufspielt«, rief die ältere Dame vom Schalter herüber.
Sascha wandte sich von ihm ab.
Antonio rappelte sich auf und versuchte, die Absperrbänder wieder zu richten. Jetzt hatte er erreicht, was er vermeiden wollte: die volle Aufmerksamkeit des amerikanischen Zolls. Mit zitternden Händen versuchte er, das Ende des Bandes in eine Säule einzuspannen, doch er fand den Mechanismus nicht. Surrend schnellte das Band zurück.
Antonio schaute nur auf den Boden und versuchte, unauffällig die Unordnung zu beseitigen. Wieder fummelte er am Verschluss, bis ihn eine kräftige Hand am Arm packte.
»Hey there. Follow me.«
Antonio richtete den Zeigefinger auf seine Brust und schaute mit großen Augen den Polizisten vor sich an. Der trug eine Pistole und Pfefferspray am Gürtel. Der Schnauzbart wippte über kaugummikauenden Lippen auf und ab, während der Mann auffordernd nickte.
»Sure.« Antonio verbeugte sich und zeigte auf Sascha. »What about him? He hit me.« Auf keinen Fall wollte er ihn ungeschoren davonkommen lassen.
Der Polizist zog die Augenbrauen zusammen, klopfte Sascha auf die Schulter und sagte: »You too. Follow me.«
Saschas Augen schimmerten wässrig. Seine bucklige Haltung strahlte Verzweiflung aus.
Antonio wettete, dass er sich gerade vor Angst in die Hose machte.
Der Officer führte die beiden an einem Schalter vorbei und öffnete dahinter eine Tür, die unsichtbar in die Wand eingelassen war.
Wenig später fand sich Antonio in einem Verhörraum wieder. Ein einfacher Tisch mit vier Stühlen, getaucht in blassgelbes Neonlicht. Das Licht sah aus, wie eine unreife Banana schmeckte. Quietschig.
»Sit down and shut up«, sagte der Polizist, deutete auf die Stühle und stolzierte aus dem Raum. Die Tür knallte zu. Sie waren allein.
Na danke. Antonio riss den Stuhl unter dem Tisch hervor und ließ sich darauf fallen. Das hatte noch gefehlt, dass der Zoll sie verhörte. Diese Räume waren gefürchtet, selbst wenn man sich komplett unschuldig wähnte. Denn wenn die Amerikaner etwas Mieses über einen finden wollten, dann fanden sie etwas!
Dabei musste er unbedingt in die USA einreisen. Würden sie ihn wegschicken, wäre alles Bisherige umsonst gewesen. Es war buchstäblich die letzte Hoffnung, sein Projekt nach Saschas erfolgreicher Sabotage doch noch auf die Reihe zu bekommen.
Anstatt sich hinzusetzen, lehnte Sascha mit der Schulter an der Wand, die Arme überkreuzt. Warum konnte der Idiot nicht einfach mal machen, was man ihm sagte?
»Setz dich«, flüsterte Antonio und richtete seinen Blick auf einen der freien Stühle.
Sascha ignorierte die Aufforderung, reckte sein Kinn in die Höhe und beobachtete die Decke.
Das würde lustig werden. Wann kam wohl der Officer wieder? Wie viele Stunden würde der Zoll sie erst mal schmoren lassen? Wahrscheinlich war das die erste Bestrafung für den Vandalismus.
Antonio fuhr mit der Handfläche über den Plastiktisch vor ihm. Welche hartgesottenen Verbrecher daran wohl schon ihre Unschuld beteuert hatten? Aber er hatte sich keines Verbrechens schuldig gemacht.
Dieser Holländer hatte einem höheren Ziel im Weg gestanden. Ihn abzuschießen, war kein Verbrechen gewesen. Der Dicke würde auch sicher niemandem fehlen. Außerdem hatten die Deppen von der Münchner Polizei niemals einen Zusammenhang zwischen Antonio und der Hütte im Münchner Wäldchen herstellen können.
Sein Blick fiel auf Sascha. Aber bei ihm war das nicht schwierig. Sicherlich klebten in der Hütte überall seine Fingerabdrücke. Lena war seine Mitbewohnerin gewesen und der Dicke ein Zocker seines Spiels. Die Verbindungen waren glasklar zu erkennen. Doch jetzt hing Antonio mit drin. Denn es war offensichtlich, dass Sascha und er sich kannten.
Sascha spielte eine wichtige Rolle in seinem Plan. Er musste ihn überzeugen, mit nach Inuvik zu fahren. Zuerst galt es, aus diesem Raum zu entkommen und in die USA einzureisen. Dort würde es zwar noch einmal knifflig werden, aber das hier war der kritische Moment. Danach würden sie weit in den Norden Kanadas flüchten. Dort stand sein neues Labor: das Ziel einer jahrelangen Reise.
Gelangweilt malte er Kreise mit dem Nagel seines Zeigefingers. Da entdeckte er einen Spruch, der in den Tisch eingeritzt worden war: If you read this, you are cursed. An der Kante stand in Kuliblau: Sorry, I’m an idiot.
Die Nase rümpfend kramte er in seiner Jackentasche. »Wollen Sie ein Bonbon, Sascha?«
»Sparen Sie sich das für die Bullen.«
Antonio wickelte das Bonbon aus dem knisternden Papier und steckte es sich in den Mund. Dabei klackte es hörbar gegen seine Schneidezähne. »Müffeln Sie ruhig weiter wie ein Untoter. Wir müssen zusammenhalten, damit das Spiel ein Erfolg wird.«
Als hätten diese Worte ihm alle Knochen aus dem Leib entfernt, sackte Sascha in die Hocke, wobei er sein Gesicht hinter den Handflächen versteckte. »Ich kann nicht mehr.« Er schluchzte so heftig, dass der ganze Kerl zuckte.
Jetzt bekam er auch noch eine Panikattacke. Mit wem hatte sich Antonio da eingelassen? Die Jugend von heute hielt nichts mehr aus. Wenn er nicht gleich aufhörte zu flennen, hätten die Polizisten nicht mehr viel zu tun und ihre Taten würden auffliegen wie Hochzeitstauben. Tiffani hatte unbedingt welche haben wollen.
Antonio schaute einige Herzschläge lang zur Tür. Als sich nichts rührte, ging er zu Sascha und hockte sich neben ihn. »Wir müssen das hier durchstehen. Die lassen uns warten, um uns zu zermürben.«
»Ich werde alles beichten. Dann ist es vorbei.«
Antonios Wangen brannten. Das konnte dieser Bastard nicht tun! Es ging nicht um ihn, es ging nicht einmal um Antonio. Wer dachte Sascha, wer er war? Ein Perverser, der ein paar clevere Codezeilen geschrieben hatte.
Vorsichtig legte Antonio die Hand auf Saschas Schulter. »Hören Sie. Wir sind hier, um auf der CRISPR-Konferenz Ihre Gensimulation vorzustellen. Verstanden?«
Sascha schüttelte sich unter einem Weinkrampf und verschluckte die Antwort.
Hilflos blickte sich Antonio um. Er konnte nichts tun, um Sascha zu beruhigen. »Kommen Sie, setzen Sie sich doch erst mal.« Mit einem Arm half er ihm auf und führte ihn zu einem Stuhl. Dann fand er ein weiteres Bonbon, packte es aus und schob es Sascha in den Mund. »Hier, das beruhigt.«
Antonio stand hinter Sascha und betrachtete das braune Haar. Es ähnelte dem seines Sohnes sehr. Wie er Benedikt vermisste.
Kurz darauf erwischte sich Antonio dabei, wie er über Saschas Kopf streichelte. Die Wut ebbte ab zu Traurigkeit, die jedoch umso mächtiger in seinen Augen stand. Schließlich rollte ihm eine Träne über die Wange, die er schnell wegwischte. Er war kein Weichei. Schwäche brachte ihn nicht weiter, denn die Situation interessierte es nicht, wenn er flennte.
Schließlich blickte Sascha auf und lächelte, seine Tränen waren versiegt. Er schniefte. »Geht schon wieder.«
Antonio räusperte sich und zog die Hand zurück an den Körper. Mit einem kurzen Nicken und gesenktem Kopf setzte er sich auf seinen Stuhl. Im Bauch zwickte es unangenehm. Die Streicheleinheiten gegenüber Sascha waren ihm peinlich.
»Bereit … für den Bosskampf?«, fragte Antonio.
Sascha zog die Nase hoch und nickte.
Beide starrten auf die Tür, doch es geschah weiterhin nichts.
Antonio tippte mit der Fußspitze auf den Linoleumboden, an dem seine Sohle leicht haften blieb. So entstand ein merkwürdiger Beat aus einem Tippen und einem Ratschen.
Bald trommelte Sascha mit der Handfläche auf den Tisch, sodass sich die Rhythmen verbanden.
Die beiden Männer grinsten einander schließlich an und wippten zum Sound ihres improvisierten Stücks. Mit diesem verschmitzten Gesichtsausdruck sah Sascha seinem Sohn unglaublich ähnlich. Bald, Benedikt, bald.
Kümmerte sich Antonio deswegen um Sascha? Nein, er brauchte ihn, um das Spiel am Laufen zu halten und damit keiner der Spieler entkam. Sonst interessierte er ihn nicht. Die quantenfähige Software, die Sascha entwickelt hatte, war schwer zu meistern und gelinde gesagt ein Geniestreich.
»Hören Sie«, sagte Sascha. »Mein …«
Das Türschloss wurde geräuschvoll von außen gequält.
Antonio und Sascha richteten sich ruckartig auf, als ein in T-Shirt und Jeans gekleideter Mann eintrat. Er mochte um die fünfzig Jahre alt sein, Dreitagebart, schlank. Der Mann zeigte ihnen eine Marke der US Border Protection. »Snyder mein Name. Welcome to San Francisco, guys. Also, was sollte der Aufstand, Mr. Frankl und Mr. Immerswall?«
Antonio und Sascha blickten einander an, unschlüssig, wer zuerst antworten sollte. Mit einer Geste bedeutete Antonio schließlich, dass er das übernahm.
»Nice to meet you. Entschuldigen Sie unser Verhalten, Officer Snyder. Wir hatten einen langen Flug und eine endlose Zeit in der Warteschlange hinter uns.«
»Ja, tut mir leid. Meine Nerven lagen blank«, sagte Sascha.
Der Officer musterte die beiden unter zusammengezogenen Augenbrauen. »Was ging Ihnen denn so auf die Nerven?«
Sascha lehnte sich im Stuhl zurück, schielte zu Antonio und wieder zu Snyder. »Na, dass er mich beschimpft hat.«
Antonio wurde heiß und kalt. Wollte Sascha alles auffliegen lassen?
Mit schiefgelegtem Kopf schaute Snyder zu Antonio. »Warum haben Sie Mr. Immerswall beschimpft, Mr. Frankl?«
Weil er seinen Namen einer Wildfremden anvertraut hatte, obwohl er als Verbrecher flüchtete und notwendig für seinen Plan war. »Wissen Sie, wir entwickeln Software. Beim letzten Update hat er vergessen, ein wichtiges Feature hochzuladen.«
Snyder rümpfte die Nase. »Das ist kein Grund, jemanden zu beleidigen, Mr. Frankl.«
»Leider doch.« Antonio schaute traurig zu Boden. »Mein Sohn liegt wegen eines tödlichen Gendefekts in der Klinik von San Francisco. Herr Immerswall hat eine Software programmiert, die ein Heilmittel berechnen kann. Für mich zählt jede Stunde. Und nun haben wir wertvolle Zeit und ich die Kontrolle verloren.«
Sascha starrte Antonio an.
Der Polizist blickte zwischen beiden Männern hin und her. »Stimmt das, Mr. Immerswall?«
Sascha schob sein Bonbon von einer Ecke im Mund in die andere. »Ja, Herr Snyder.«
Antonio fühlte die Tränen unter seinen Augenlidern. Nicht nur, dass er auf einmal in Sascha seinen Sohn erkannte, nun musste er all seine Beweggründe offenlegen. Er wollte nicht, dass jemand seine Schwäche kannte. Nicht die Polizei, nicht Sascha.
»Also sind Sie sein Boss?«, fragte der Polizist an Antonio gerichtet.
»Meine Firma Mammut-Gen Games hat Herrn Immerswalls Software aufgekauft. Er begleitet mich als Berater, bis wir alle Bestandteile genau verstanden haben.«
»Und was machen Sie beide hier?«
»Zuerst besuche ich meinen Sohn im Krankenhaus. Dann sprechen wir auf der CRISPR-Konferenz über unsere Fortschritte, Mr. Snyder.«
Snyder wischte sich über Mund und Nase. »Zeigen Sie mir Ihre Pässe.«
Während Antonio seinen über den Tisch schob, fragte er: »Haben Sie Kinder, Officer Snyder?«
Der Polizist schaute ihm in die Augen, ohne das Gesicht zu verziehen. Da schimmerte etwas.
Antonio spürte seinen Puls sogar bis in die Augäpfel schlagen. Er nahm allen Mut zusammen. »Sind Ihre Kinder gesund?«
Snyder räusperte sich und sagte: »Katzenschrei-Syndrom.«
Mitfühlend nickte Antonio, wobei er tief ein- und ausatmete. »Mit unserer Software werden wir bald in der Lage sein, die fehlenden Teile von Chromosom 5 zu replizieren. Wir erlösen die Kinder und ihre Eltern von den Qualen.«
Snyder öffnete Antonios Pass und blätterte ihn langsam durch. Dann schob er ihn über den Tisch zurück.
Sascha reichte seinen hinüber.
Wie bei einem Daumenkino ließ Snyder die Seiten rauschen, bevor er ihn zurückgab. Ohne ein weiteres Wort stand der Officer auf und spazierte zur Tür. Dort blieb er einen Moment stehen, griff in die Tasche am Hintern und zog eine Karte hervor. Snyder machte kehrt und reichte sie Antonio. »Rufen Sie mich an, wenn Sie ein Heilmittel haben.«
Im Gegenzug überreichte Antonio auch seine Karte. »Natürlich, Mr. Snyder.« Er jubelte innerlich, als sie ihre Visitenkarten austauschten. »Sie wissen nicht zufällig, wo wir einen ausgedienten Krankenwagen erwerben können?«
Um mich herum bedrohten mich die unerforschte Ursuppe sowie die schwarzen Tentakel des riesigen Dreiecks.
Warnung: [Lena] nähert sich [Parasitärer Räuber].
Als Symbiotischer Erbauer solltest du dich von diesen Jägern fernhalten, denn sie leben von den XP, die du erzeugst.
Panisch befahl ich den Flimmerhärchen, in die entgegengesetzte Richtung zu wallen. Der schwarze Fangarm des Räubers näherte sich und tastete meine Außenseite ab. Dort, wo er mich berührte, blieb nur kahle Zellwand. Ein paar Flimmerhärchen fielen aus und trieben steif wie Äste in der Ursuppe.
Die vormals eingeschlagene Richtung konnte ich nicht mehr ändern und so trieb ich weiter auf den eckigen, dunklen Jäger zu. Direkt in dessen Fangarme.
»Hilfe, er saugt mich auf«, rief die hellblaue Ellipse. Sie umgab eine flirrende Außenhülle und aus ihr ragte eine Geißel, die sich wie ein Propeller drehte. Der Angegriffene wollte sich dem Widerhaken der Fangarme entziehen. Doch er hing fest wie ein Stück Blech in einem Schraubstock.
Wie dumm war ich, dass ich dem Hilferuf gefolgt war? Einem Verdurstenden konnte ich nicht helfen, wenn ich selbst kein Wasser hatte. Alles, was ich geschafft hatte, war, mich selbst in Gefahr zu bringen.
Es kam, wie es kommen musste: Der Fangarm des Räubers saugte sich an meinem Leib fest.
[Parasitärer Räuber] saugt 3 XP mit [Tentakel] bei [Lena].
Punkte zum nächsten Level: 32/40.
Die Berührung entzog mir Erfahrungspunkte, anstatt Schaden anzurichten. Es könnte schlimmer sein, schließlich hatte ich nur zwei Lebenspunkte und tänzelte ständig am Abgrund des Todes. Ob ich überhaupt respawnen konnte, wusste ich nicht, aber mir fehlte der Mut, es herauszufinden.
»Was sollen wir tun?«, fragte ich meinen Leidensgenossen, indem ich Flüssigkeit aus meinem Rüssel pustete.
»Symbiotisches Paar!«
Was?
Schon eine Weile blinkte ein neuer Eintrag Gruppe in meinem Sichtfeld. Ich wählte ihn mental aus.
Gruppe:
> Symbiotisches Paar: 8 Wasser, 2 Nukleotide [formen]
Tatsächlich. Da war dieser Eintrag und alles, was ich benötigte, hatte ich vorrätig.
[Parasitärer Räuber] saugt 3 XP mit [Tentakel] bei [Lena].
Punkte zum nächsten Level: 29/40.
Der Fangarm bedeckte schon ein Drittel meiner Außenwand. Bald würde er sich über den Rüssel und die Sensorengabel legen. Was das bedeutete, konnte ich nur erahnen.
Angetrieben von der Angst vor dem Tentakel, klickte ich auf den Link zum Formen des Symbiotischen Paars.
[Lena] entwickelt [Symbiotisches Paar] (2%).
Die Nukleotide tanzten in meinem Inneren umeinander und setzten sich zu einer RNA zusammen. Diese nutzte meine Zellwand als Anker, die sich daraufhin pulsierend aufblähte, um schließlich in die Ursuppe zu wachsen. Wie der Fühler einer Schnecke tastete sich die Beule voran. Sie streckte und verschlankte sich. Ich lenkte die Antenne hinüber zu meinem Leidensgenossen. Hilfe nahte. Oder was auch immer ich da tat.
Inzwischen umschlang mich der Tentakel des Parasiten fast vollständig.
[Parasitärer Räuber] saugt 3 XP mit [Tentakel] bei [Lena].
Punkte zum nächsten Level: 26/40.
Nur noch ein bisschen, dann wäre das Symbiotische Paar fertiggestellt. Als der Auswuchs das hellblaue Wesen endlich berührte, blitzte es vor meinem inneren Auge. Wie betäubt wartete ich, bis ich wieder etwas sehen konnte.
[Lena] entwickelt [Symbiotisches Paar] (100%).
Als [Symbiotisches Paar] erhalten [Lena] und [Harmonix] neue Fähigkeiten.
[Lena] erhält [Optische Erweiterung (Linse)] von [Harmonix].
Anstatt der verschmierten Ansicht schärfte sich mein Blick und das Flirren verschwand. Harmonix hatte die Herzform eines Buchenblatts und leuchtete in sattem Grün. Vollkommen eindeutig stellte er eine Zelle dar, mit der ich mich über einen Schlauch verbunden hatte.
Wie Doctor Octopus in Spider-Man hatte der Räuber seine vier Fangarme um uns gelegt und die sichelförmigen Enden in unsere Zellwand gerammt. Aus seiner dunkellila Bauchplatte ragte ein Stachel.
Ich gruselte mich vor dem Parasitären Räuber, weil er wie der Schatten geformt war, der sich nachts in meinem Schlafraum unter dem Fenster gebildet hatte. Noch dazu sah die Situation für Harmonix schmerzhaft aus.
»Danke, dass du mir hilfst, Lena«, sagte er tapfer.
Ich wusste, wie er hieß und dass er ein Symbiotischer Erbauer war. Interessant. Über die Zellbrücke konnten wir auch ohne Chemikalien kommunizieren. Hoffnung stieg in mir auf. Mit dieser Verbindung mussten wir den Räuber doch vertreiben können. Gemeinsam waren wir stark.
»Was sollen wir tun?«, fragte ich.
»Wir brauchen einen Elektroschock, um Siphonex loszuwerden. Mit Zucker und Photonen von dir können wir es schaffen.«
Siphonex hieß der Räuber also.
Ich schielte auf die Rohstoffanzeige am oberen Rand meines Sichtfeldes.
Ressourcen [Lena]:
Wasser: 2 | Zucker: 0 | Lipide: 0 | Nukleotide: 1 | Photonen: 0 | Enzyme: 0,2
Pleite war gar kein Ausdruck. »Hast du noch andere Ideen?«
»Siphonex hat mich gleich leergesaugt. Ich kann nicht mehr viel tun.«
[Parasitärer Räuber (Siphonex)] saugt 3 XP mit [Tentakel] bei [Lena].
Punkte zum nächsten Level: 23/40.
»Da bist du nicht allein.«
Verzweifelt öffnete ich das Menü Organellen bilden. Vielleicht hatte ich etwas übersehen.
Organellen bilden:
> Angriff (benötigt Level 4)
> Verteidigung
> Fortbewegung
> Wahrnehmung
> Kommunikation
> Selbstversorgung
Die Angriffsfähigkeiten waren leider noch immer inaktiv, dafür erschien der Punkt Verteidigung.
Verteidigung:
> Toxin: 1 Wasser, 1 Nukleotide [ausstoßen]
> Zucken: 2 Wasser, 2 Nukleotide [fehlende Ressourcen]
> Elektroschock: 1 Zucker, 1 Photonen [fehlende Ressourcen]
> Schutzschild: 10 Wasser, 5 Zucker, 5 Lipide, 10 Nukleotide, 2 Photonen [fehlende Ressourcen]
»Hast du noch Nukleotide, Harmonix?«
[Harmonix] erlaubt [Lena] Zugriff auf:
Wasser: 23 | Zucker: 0 | Lipide: 1 | Nukleotide: 2 | Photonen: 1 | Enzyme: 1
»Kein Zucker?«, fragte ich unnötigerweise.
»Was auch immer du tust, beeil dich.«
Durch die Verbindung mit Harmonix und dank meiner neuen Sehkraft erkannte ich, dass Siphonex ihn mit drei seiner vier Tentakel umklammert hatte. Die Widerhaken am Ende der Fangarme hatten sich tief in Harmonix’ Zellwand gekrallt. Mein Gefühl sagte mir, dass es nicht unbedingt erstrebenswert war, von Siphonex vollkommen ausgesaugt zu werden.
Also Beeilung. Ich hatte drei Nukleotide. Wir konnten also Zucken und einmal Gift ausstoßen.
[Parasitärer Räuber] saugt 3 XP mit [Tentakel] bei [Lena].
Punkte zum nächsten Level: 20/20.
[Lena] verliert [Flimmerhärchen].
Mir fielen weitere Härchen aus. »Ich habe eine Idee«, sagte ich. »Kannst du dich noch bewegen?«
»Vielleicht steckt in meiner Geißel noch ein letzter Funken Leben.«
»Super, schmeiß sie an. Flieg volle Pulle auf den Räuber zu und steuer knapp an ihm vorbei.«
Nachdem wir die Symbiotische Brücke wie ein Seil gespannt hatten, positionierte sich Siphonex zwischen uns, um seine Tentakel effektiv einsetzen zu können. So hatte er auch mich besser im Griff.
Ich wollte das zu unserem Vorteil nutzen.
Tatsächlich propellerte Harmonix’ Geißel, was ihn auf den Räuber zukatapulierte. Da ich mich nicht bewegen konnte, spannte sich die Symbiotische Brücke. Wie ein Gummiseil dünnte sie aus. Im Grunde wollte ich den Räuber wie eine Bola umschlingen, wobei Harmonix und ich die Enden der Wurfwaffe mimten.
Harmonix schwamm knapp an unserem kantigen Peiniger vorbei, wodurch unser Gummiseil den Räuber berührte. Schließlich stellte Harmonix’ Geißel jegliche Zuckungen ein. Hinter ihm lag eine Spur ausgefallener Flimmerhärchen. Wenn wir uns nicht beeilten, zerfiel er in seine Bestandteile.
[Parasitärer Räuber (Siphonex)] saugt 3 XP mit [Tentakel] bei [Lena].
Punkte zum nächsten Level: 17/20.
Achtung. Stufe verringert: 1.
Function: ExecuteEmergencyReset(<Id> Lena);
Failure: [1%] der Bewusstseinspartitionen verloren.
Dafür wuchs der Räuber mit jedem bisschen unserer Erfahrungspunkte, womit er sich wie ein Verdurstender vollsaugte.