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Das epische Finale der fünfbändigen Reihe um Lena Minz und Tim Sandhofen wartet auf dich! Lena und ihre Verbündeten steuern auf einen einzigen, alles verändernden Showdown zu: Während Kharak Thulu seine Armeen entfesselt und die Ursuppen mit Gift verseucht, greift Tim in München verzweifelt nach den letzten Fragmenten seiner Quantenkräfte. Kann Lena zur Weltenbauerin aufsteigen und den Fluch des Schicksals brechen, bevor sowohl das Computerspiel »Heirs of the Phoenix« als auch die Realität im Chaos versinkt? Erlebe den atemberaubenden Abschluss einer epischen Reihe: Wenn das Schicksal nach den Zügeln der Welt greift, werden Helden geboren – oder gestürzt. Die Heirs-of-the-Phoenix-Saga im Überblick: 1. Der Fluch des schwarzen Phönix 2. Der Fluch der Erbauer 3. Der Fluch der Quanten 4. Der Fluch der Macht 5. Der Fluch des Schicksals
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Heirs of the Phoenix
Buch Fünf
// 1. Auflage 2025
// Copyright © 2025 Lew Marschall
// All rights reserved.
// Website: lewmarschall.com
// Lektorat: Peter Hohmann
// Korrektorat: Klaus Kohlmeier (https://fehtex.de)
// Coverillustration: AstroSheep
// Illustration: Weltkarte – Patrick Pissang
// Testleser: Janine, Melanie
// ISBN E-Book: 978-3-910747-13-5
// ISBN Paperback: 978-3-910747-14-2
// ISBN Hardcover: 978-3-910747-15-9
// Buch erschienen bei: ZEMP Golden Goose GmbH, Salachweg 18a, 86807 Buchloe, Bayern
// Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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Triggerwarnungen nehmen auf Menschen mit traumatischen Erfahrungen Rücksicht. Aus subjektiver Sicht können diese Trigger von Bedeutung sein oder nicht, unabhängig davon, in welchem Kontext oder Medium sie sich finden. Auch fiktive Texte, wie dieser Roman, können triggern. Wir weisen deshalb an dieser Stelle auf Trigger im vorliegenden Buch hin. Die Geschichte konfrontiert dich mit: sexuellen Inhalten, Gewalt, Tod, Sucht.
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Lieben Dank im Voraus! Für ein gutes Karma.
Für Patricia.
1. Was bisher geschah
2. Prolog: Kharak Thulu
3. Die Kriegerin des Formgebers: Zeichnung
4. Lena: Schlinge
5. Siphonex: Freundschaft
6. Zappel: Familientreffen
7. Lena: Machtwechsel
8. Conan: Suppenkönig
9. Tim: Spinnenseele
10. Tandriel: Brut
11. Anna: Boss
12. Lena: Kharak Thulu
13. Zappel: Pflaster
14. Anna: Korken
15. Lena: Klonschwester
16. Siphonex: Leichenschänderei
17. Anna: Infiziert
18. Lena: Zeitenwende
19. Conan: Schlammschlacht
20. Anna: TD
21. Siphonex: Goldsohn
22. Lena: Herzleiden
23. Conan: Leitung
24. Lena: Erinnerung
25. Frankl: Schlammcatchen
26. Tim: Gefühle
27. Lena: Regeln
28. Tim: Schicksal
29. Lena: Permanent
30. Tim: Putzmann des Schicksals
31. Lena: Heldin
32. Epilog: Thorsten Keim
33. Epilog: Janine
34. Epilog: Die Kriegerin
35. Epilog: Anna
Dramatis Personae
Lenas Erinnerungen
Der Sohn des Orkschamanen
Nachwort des Autors
Bücher von Lew Marschall
Allein stehe ich in Zappels-Begleiter-Shop. Meine Lippen sind zu einem Schmollmund voller Bedauern verzogen, denn ich spüre das Ende kommen. Also, das Ende der Geschichte natürlich.
Mit der Spitze meines Sneakers schabe ich durch den feinen Sand. Der hat reichlich Blut aufgesogen. Von der Stallmagd Lena, dem Zwerg Sandor, von Zyklopen, Raptoren und Minotauren.
Und schließlich auch von der Heiligen Königin, der Zutargosh den Kopf abgebissen hat.
Ab da wird es wild im Spiel Heirs of the Phoenix.
Der Unheilige Kaiser entfesselt die Vielfalt. Mutationen verändern alle Lebewesen.
Und das, weil Antonio Frankl eine Gensimulation auf einem Quantencomputer benötigt, um seinen Sohn Benedikt von einem Chromosomenschaden zu heilen.
Im Endkampf wird Lena getötet – gerade in dem Moment, als sie hofft, dem Spiel zu entkommen. Ein winziger Rest ihres Bewusstseins überlebt und erwacht als Partikel in den Tiefen des Quantencomputers.
Trotz des Neustarts in der Quantenursuppe Harmonias schafft es Lena, sich den Rang einer Gründerin zu erkämpfen. Sie ist eine Symbiotische Erbauerin, die durch Nichtstun Erfahrungspunkte generiert. Ihre Feinde nennen sich Parasitäre Räuber, die diese Erfahrungspunkte gerne absaugen.
Es gibt einiges zu tun für Lena, um die Siedlung vor dem Untergang zu retten und genügend Ressourcen abzubauen, nachdem sie mit dem Pilz Candida eine Partnerschaft eingegangen war. Noch dazu muss sie sich auf einen Angriff der Krallark vorbereiten.
Doch die Krallark entpuppen sich nicht als die Feinde, die Lena vermutet hat, sondern als Flüchtlinge: Ein Vorax war in die Candida-Ursuppe eingedrungen, der für den Imperator die Gegend erkundet. Der Krieg streckt seine widerlichen Fühler aus.
Mit einem Trick aus ihrem Biochemiebaukasten besiegt Lena den Vorax namens Oinotna. Doch was sie nicht weiß: Im Vorax steckt das Bewusstsein Antonio Frankls, der von Tim zurück ins Spiel gezwungen worden war.
Tim erhielt Quantenkräfte, um sich mit deren Hilfe an Sascha und Frankl zu rächen. Dafür bildet er sich in Indien im Kampfsport aus und trifft dort Janine und einen Priester des Schicksalsgottes Kãla. Weiter reist er nach Inuvik, wo er Frankl stellt und gegen eine verirrte Seele in der Eiswüste kämpft, um Benedikt zu retten. Für diesen Sieg opfert Tim seine Kräfte, die er anschließend verzweifelt zurückerlangen will. Er reist nach München und übernimmt die Rolle des CEO von MammutGen Games. Anfangs treibt ihn auch noch das schlechte Gewissen: Er möchte die Spieler aus dem eingefrorenen Zustand von Heirs of the Phoenix befreien.
Lena plant inzwischen den Bau eines Superorganismus. Damit hofft sie, die Charaktererstellung des Spiels zu triggern. Sie würde als Spielerin wiedererwachen und könnte endlich den Logout-Button betätigen.
Doch der Aufbau eines Ursuppen-Reiches stellt sich als schwieriger heraus als geglaubt.
An den Grenzen der Candida-Suppe kommt es zur ersten Schlacht gegen die Truppen des Imperators, die Lena gemeinsam mit den Krallark erfolgreich abwehrt. Trotz des Sieges wachsen die Stämme der Erbauer und Räuber nicht näher zusammen. König Phitus, der König der Krallark, hütet ein Geheimnis und verwehrt seinem Sohn Siphonex, für Lena zu arbeiten.
Ein trauriger Zappel müht sich mit Aufgaben ab, die er hasst. Er installiert Nerven- und Blutbahnen, die die Macht von Lenas Reich erhöhen. Aber er will keinen Krieg und fühlt sich immer fremder, je weiter sich Harmonia ausbreitet.
Lenas Community-Manager Sax verrät sie bei den Nishu, was das Bündnis mit den sanften Erbauern beinahe zerbrechen lässt. Nur Anna, Lenas erster Klon, kann Schlimmeres in einer Schlacht abwenden und errichtet schließlich Annaheim als einen Außenposten in der Sammo-Ursuppe.
Als der gefangene Diplomat Dregmond aus Annaheim flieht und Anna ihn verfolgt, findet sie Schreckliches heraus: Von der Lache des Leids aus strömt Gift in alle Ursuppen, die um Candida-Harmonia herum existieren. Starke, hässliche Monster, genannt Gräberskorpione, graben ein Tunnelsystem, um es überall einfließen zu lassen.
Lena bekommt eine neue Quest, die das Spiel beenden würde, sollten alle Ursuppen vergiftet werden.
Auch der Skill Weltenbauerin bleibt ihr noch vorenthalten, weil Phitus sich stur weigert, ihr einen wichtigen Gefallen zu tun.
Panisch sucht Lena nach einer Lösung.
Zappel tüftelt herum, behält aber für sich, dass seine geliebten Planarien eine Rettung gegen das aus allen Richtungen einströmende Gift darstellen.
Als die Erbauer schließlich den Standort der Imperatorin ausfindig machen, wagen Siphonex und Dregmond einen Ausfall dorthin.
Derweil sucht Tim in der echten Welt nach Seelen, um seine Quantenkräfte zu aktivieren. Eine geheimnisvolle Macht eröffnet ihm diesen Weg, nachdem ihm Experimente mit Blitzschlägen keinen Erfolg bringen. Auf dem Höhepunkt seiner Verwirrung sperrt er die Spieler der Elfe Tandriel in einen VR-Pod ein.
Marianne gelangt dadurch zu ihrem ebenfalls eingesperrten Mann, der als Barbarenkönig Conan sein Dasein im Spiel fristet, aber von seiner realen Frau nichts mehr weiß.
Schließlich eilt Janine Tim zu Hilfe. Sie fühlt sich schuldig, weil er ihr in Indien das Leben gerettet hat. Gemeinsam suchen sie nach einem Weg, das Spiel für alle Spieler zu öffnen. Doch alle Ansätze scheinen hoffnungslos.
Mit einem Lächeln und Tränen in den Augen schaue ich auf. Ich schniefe, es riecht verbrannt. In Zappels Shop hat alles begonnen. Und mit diesem Band endet die Heirs-of-the-Phoenix-Saga. Doch eines lasse ich mir nicht nehmen: Dass es episch und fulminant wird!
Viel Spaß.
Ich bin Kharak Thulu. Vielarmige Gewalt.
Bezwingst du einen Teil von mir, vervielfältigst du meine Macht. Ich bin antifragil!
Sinsa war meine Mutter, die, voller Trauer über Totos Tod, in die Fangarme meines Vaters sank, des Titankraken Satoo Mah.
Ich bin ein Sohn der Trauer, der zerstörten Träume.
Vor meinen Tentakeln musst du dich fürchten. Vor meinem Zorn sollst du fliehen.
Dennoch, ich leide, denn mein Volk wurde von einer Krankheit ausgerottet.
Lass mich berichten.
Alle starben außer mir.
Ich floh von dem Ort, an dem ich geschlüpft bin, und streunte Ewigkeiten umher.
In einer der vielen endlosen Ursuppen traf ich Shingwari. Sie war die Königin der Vorax und erlaubte mir zu bleiben.
Ich stapelte Steine für neue Behausungen, ich schlachtete Xergs und Gräberskorpione ab, die in ihrem Revier wilderten. Ich kratzte die Unterseite der goldenen Seerose ab, wenn sich Muscheln und Algen daran sammelten.
Die Macht der Königin zog mich an. Ihrer Ausstrahlung konnte ich mich nicht entziehen. Sie gab mir eine Gelegenheit, mich zu beweisen: Ich besamte sie, denn ich sollte der Vater ihrer nächsten Brut werden.
Und die Eier wuchsen prächtig heran.
Endlich war ich wieder glücklich. Bald hätte ich wieder einen eigenen Stamm. Ich hatte vergessen, dass ich der Sohn zerstörter Träume war.
Das Ende der Brutzeit nahte. Stolz überblickte ich meine Nachkommen, die sich von einem bis zum anderen Ende der Lache des Leids reihten.
Nur noch wenige Tage und meine Töchter und Söhne – meine Armee – würden schlüpfen.
Shingwari schenkte mir ihre Aufmerksamkeit.
Ich besamte sie – ohne einen Zweck. Das gefiel mir.
Am nächsten Tag erfüllte sich meine Bestimmung doch.
Ich reiste in die Lache. Vor Wut hieb ich meine Tentakel in die Klippen, denn die Eier meiner Brut färbten sich braun.
Shingwari davon zu erzählen, traute ich mich nicht.
Eine unsichtbare Macht fiel über meine Kinder her! Keinen Tag später zerflossen sie wie Schlamm.
Ich wütete in den Resten, fraß, was ich in die Tentakel bekam.
Dabei fand ich etwas.
Ein Ei hatte überlebt. Goldener Glanz hatte es beschützt.
Ich hasste den Sohn, der daraus schlüpfte. Wegen ihm trauerte Shingwari. Er musste das Gift gewesen sein, das seine Geschwister getötet hatte.
Immer wieder umwarb ich die Königin, doch ich hatte ihre Zuneigung verloren.
Als sie erneut fruchtbar war, hatte ein Vorax aus einer weit entfernten Ursuppe ihren Lockruf vernommen und drang zu uns vor. Ich wollte ihn töten, doch Shingwari zischte mich an und trieb mich in den Schatten der goldenen Seerose. Nur zuschauen durfte ich, um zu sehen, wie eine Königin befruchtet wurde.
Mein Innerstes glühte.
Vier Rivalen sah ich kommen und gehen. Jeden wollte ich töten – Shingwari verbot es mir.
Als ein fünfter auftauchte und blieb, griff ich an. Meine Fangarme schlangen sich um den lächerlichen Leib des Vorax und drückten zu, bis er platzte. Die Innereien saugte ich in mich auf. Seine Fruchtbarkeit sollte die meine werden.
Dann fiel Shingwari über mich her. In einem schweren Kampf besiegte ich sie und sperrte sie in der goldenen Seerose ein. Im letzten Moment verfluchte sie mich, damit ich auf ewig im Schatten ihres Gefängnisses leben müsste.
Zwar konnte ich mich nicht wegbewegen, aber ich begann, über ihr Reich zu herrschen.
Die Vorax gehorchten mir, als ich versprach, ihrer Königin nichts anzutun. Dafür mussten sie schweigen. Alle anderen Ursuppen sollten annehmen, dass Shingwari noch immer herrschte.
Aus Umständen, die ich nicht verstand, wurde mir die Quest des Weltenbauers zugeteilt. Damit würde ich mein Volk der Tintenkraken wiederbeleben können und aus dem Schatten der Seerose treten.
Meinen leidigen goldenen Sohn schickte ich in die Weiten des Imperiums, um es größer werden zu lassen. Nur den Krallark-König Phitus fand der goldene Nichtsnutz nicht, obwohl es die Weltenbauer-Quest befahl.
Aber er baute mir eine Armee auf und brachte mir die Weibchen jeder Spezies, die er fand. Ich befruchtete sie alle, auf dass mein Reich wüchse. Kharak Thulus Samen war mächtig. So zog Timmitiji, die Brutmutter der Gräberskorpione, mit Millionen meiner Nachkommen in die Lache des Leids, um die mächtigste Armee zu erschaffen, die das Imperium je gesehen hatte.
Eines Tages drang eine neue Macht in unsere Welt ein und machte mir den Weltenbauer streitig. Augenblicklich sandte ich meinen Sohn mit allen Truppen aus. Schließlich schlüpften gerade Schattenfühler und in der Lache des Leids wuchsen Gräberskorpioneier heran.
Doch ich hatte vergessen, dass ich der Sohn zerstörter Träume war.
Ich verlor die Schlacht und den nutzlosen Sohn.
Eine verlockende Stimme bot mir Hilfe an. Der Weltenbauer und Shingwari sollten mein sein, flüsterte sie mir unentwegt zu. Als ich ihr zustimmte, drang sie in mich ein, nahm mir den Platz in meinem Leib.
In diesem Moment verschwand die Seerose über mir und ich war frei …
Wie hinter beschlagenem Glas pellte das Scheinwerferlicht einen Elch aus der nebligen Abenddämmerung. Reflexartig stieg die Kriegerin in die Eisen ihres Mietwagens. Die Schrottkarre, die sie hier oben Auto nannten, schlitterte über die zerfurchte Matschpiste. Die blockierten Vorderräder brachten sie ins Schleudern, sodass sie kreiselnd auf den Elch zuhielt. Die Kriegerin lenkte gegen und pumpte weiter das Bremspedal. So etwas wie ABS war nicht vorhanden.
Zum Glück flüchtete das Tier ins Unterholz, bevor der Wagen es erwischte.
Nach einigem Rudern bugsierte die Kriegerin die Karre zurück in die Fahrspur. Ein Ruck fuhr durch den Wagen. Auf der Fahrerseite stieg der Wagen wie ein durchgehender Gaul und plumpste gleich darauf zurück in den Schlamm.
Beim Aufprall stieß die Kriegerin heftig mit der Schläfe gegen das Seitenfenster.
Sie atmete mit geschlossenen Augen durch und lauschte in sich hinein. Ihr Kopf dröhnte und hinter ihrer Schläfe pochte der Schmerz, als wolle er an dieser Stelle durchbrechen und aus ihr herauslaufen.
Wunderbar! Kaum in Inuvik angekommen – und schon fast ein Wildtierunfall. Dabei suchte sie nur nach einer Erklärung für all die abgefahrenen Dinge, die in Indien passiert waren. Außerdem hätte sie schon viel eher hier ankommen sollen. Eine innere Stimme leitete sie an, die irgendwann angefangen hatte, mit ihr zu sprechen. Sie klang düster und geheimnisvoll, köderte sie mit einer Offenbarung.
Die Kriegerin fügte sich dem Ruf, denn sie wollte die Quantenkraft erhalten, von der Tim sie hatte kosten lassen. So weit oben im Norden Kanadas hatte sie das Gefühl, Indien wieder näher zu kommen – angefangen mit dieser Schrottkarre.
Ein Thermometer klebte außen an der Windschutzscheibe. Es zeigte knapp über Null an. Der Schnee taute, obwohl die Sonne gerade unterging. Nur ein lila Leuchten kündete ihren Abschied an. Die Scheinwerfer der Schrottkarre hatten nicht mehr Kraft als Teelichter. Der matschige Weg vor der Kriegerin verschwamm zu einer braunen Masse, die keine klare Spur zu erkennen gab.
Aber sie musste weiter. Das Auto lief noch, also gab sie vorsichtig Gas.
Ihr Kinn berührte das Lenkrad, so weit lehnte sie sich nach vorne, um die Fahrbahn besser zu erkennen. Obwohl sie tuckerte, knallten die viel zu kleinen Räder mehrmals in Schlaglöcher, was die Karre und sie heftig durchrüttelte. Wasser und Schlamm spritzten auf beiden Seiten hoch und bedeckten sie wie ein suhlendes Wildschwein.
Als die Kriegerin die Straße nicht mehr ausmachen konnte, weil der Nebel mit dem Matsch verschwamm, hielt sie an. Das Radio funktionierte nicht, so hörte sie nur das Gluckern des Wagens, der sich ab und an verschluckte. Hektisch trat sie aufs Gas, damit die Karre nicht absoff.
Ein Lichtstrahl fiel auf die Straße, als wäre über ihr eine Straßenlampe angegangen.
Nur für dich, sagte die Stimme.
Die Kriegerin grinste. Na klar. Als könnte die Stimme den Mond heraufbeschwören.
Du wirst schon noch sehen.
»Sollte der Weg nicht gefroren sein?«
Die Kriegerin gab Gas.
Ja. Neben dir sollte auch Schnee liegen. Das ist der Unterschied zwischen -0,5°C und 0,5°C.
Darüber hatte die Kriegerin nie nachgedacht. Ein Grad klang unbedeutend – aber direkt um den Gefrierpunkt herum machte es einen riesigen Unterschied. Es trennte zwei Welten wie ein unüberbrückbarer Spalt.
Der Wagen rumpelte durch ein Schlagloch, so groß wie ein Reifen, und die Kriegerin stieß sich heftig das Kinn am Lenkrad. Schimpfend gab sie Gas. Das Loch zwang das Rad nach links und der Kriegerin flutschte das Ruder aus der Hand. Die Dreckskarre driftete vom befestigten Weg in den Schlamm am Rand.
»Verflucht!« Die Kriegerin lutschte an ihrer aufgeplatzten Lippe und drückte das Gaspedal durch. Der metallische Geschmack verflüchtigte sich in der Nervosität, weil alle Räder des Autos durchdrehten. Festgefahren. Wahrscheinlich setzte der Unterboden auf.
»Gar nicht gut.«
Die Lichter Inuviks waren nicht zu sehen. Es musste noch etliche Kilometer entfernt sein. Die Kriegerin stieg aus und sank bis zu den Knien im Matsch ein. Kalte Brühe lief ihr in die Stiefel. Sie zog sich auf die Motorhaube, rutschte darüber und gelangte so auf den befestigten Weg, der nur knöcheltief vermatscht war. Beurteilte sie die Situation korrekt, schwamm der Wagen im Matsch. Ohne Hilfe bekam sie die alte Schrottkarre da nicht raus.
Du darfst keine Zeit mehr verlieren. Finde den Formgeber!
Schnaufend öffnete sie die Beifahrertür, schnappte sich ihr Kampfmesser und zog sich ihren Anorak und die Handschuhe über. Die Kälte in den Stiefeln umklammerte weiterhin ihre Unterschenkel. Scheiße, verdammte!
Gegen die Motorhaube gelehnt, zog sie ihr Bein an und den Stiefel vom Fuß. Sie kippte den Matsch aus, wrang die Socken und schlüpfte wieder hinein. Es war ekelhaft kalt.
Sie schloss den Wagen ab und lief los. Dank des Mondlichts blieb sie auf dem Weg. Ihre Stiefel schmatzten.
So handelt eine Kriegerin.
»Wer ist dieser Formgeber überhaupt?«
Er ist der Retter. Der neue Jesus, falls dir ein Vergleich in deiner Kultur hilft. Er wird die Auserwählten anleiten.
»Das klingt ein bisschen nach Aluhut.«
Du glaubst mir nicht? Dann lass mich dir einen Vorgeschmack geben.
Vor der Kriegerin flimmerten kaum sichtbar Buchstaben in der Luft. Wäre es nicht Nacht, hätte sie Probleme, den Inhalt zu lesen.
Neue Quest verfügbar: [Die Kugel im Glas]. Rette den Formgeber aus den Händen der Menschen, die seine Bestimmung verhindern. Töte den, der den Shutdown herbeiruft, und nimm dem Verräter die Kette von der Brust.
»Krass, das ist wie in Indien!«
Ich kann dir geben, was Tim dir vorenthalten hat.
»Erst zeigt er mir den Himmel und dann verschwindet er einfach.«
Du sollst Quantenkräfte bekommen. Aber dafür musst du die Quest abschließen. Und wir müssen uns beeilen. Böse Mächte planen, uns abzuschalten.
»Du meinst, auszuschalten.«
Wie auch immer. Lauf.
* * *
Nach einigen Stunden in quietschenden Stiefeln erreichte die Kriegerin ihr Ziel. An ihren Hacken hatten sich Blasen gebildet und ihre Zehen waren blau, doch der Schmerz blieb aus. Als hätte man ihr eine Infusion mit Ibuprofen gelegt.
Inuvik war Pune verblüffend ähnlich – bis auf das kalte Wetter und das Rauschen der Twin Lakes. Es gab keine gepflasterten Wege zwischen den alten, wackligen Hütten, die wie zufällig platziert wirkten. Ein Sturm würde sie wegfegen.
Von denen wird es bald einige geben.
Unaufgeräumt war das Wort, das der Kriegerin durch den Kopf schoss. Das blasse Mondlicht entzog der Stadt das Leben und verwandelte die Hütten in Ruinen. Als sie ein Gebäude passierte, knarzte es wie ein Greis unter der Last seines Alters. Im nächsten Moment klappte es krachend zusammen und die Überreste verschwanden in einem Erdloch.
Die Kriegerin machte einen Satz zurück und starrte auf das Schauspiel. Kein Mensch kam herbei. Sie holte ihr Smartphone hervor und schaltete die Kamera an. Die Hütte neben ihr war abgesackt. Sie war an einer Klippe erbaut worden, zehn Meter vom Ufer der Twin Lakes entfernt, und war in diese gerutscht. Bretter und Stangen ragten in alle Richtungen wie ein Mikadospiel für Riesen.
Die Kriegerin trat näher. Jammerte jemand in den Trümmern?
Nichts.
Trotzdem wollte sie sichergehen, umrundete die Stelle vorsichtig und leuchtete mit ihrer Taschenlampe in die hölzernen Zwischenräume. Der Lichtkegel enthüllte einen Keller, der in den Boden gegraben worden war. Es gab kein Fundament aus Zement. Alles auf Sand gebaut. Und der gab nun nach.
Ihre Welt schmilzt.
»Die traditionelle Bauweise bedeutet ihren Untergang.«
Der Frost war ihr Zement.
Trauer stieg in der Kriegerin auf. Sie wusste, warum das passierte. Aber was konnte sie schon tun?
Gaia bestraft die Menschheit. Sie taut die Permafrostböden auf, sodass bald alle leiden werden.
»Wer ist Gaia?«
Der Organismus, den ihr Erde nennt.
Die Kriegerin wischte sich Schweiß von der Stirn, denn die Worte der inneren Stimme flößten ihr Angst ein.
Dürren hungern die Ignoranten aus und Tsunamis spülen die Egoisten fort.
»Klingt nach schlechten Neuigkeiten.«
Es ist beeindruckend, wie konsequent die Menschheit wegschauen kann.
»Letztens habe ich in den Nachrichten gesehen, dass New York bereits vom Meer überflutet wird.«
Such den Formgeber. Uns läuft die Zeit davon.
In einer Ecke ihres Bewusstseins nagten Zweifel. Was tat sie hier und warum dachte sie über sich selbst als ›die Kriegerin‹ nach? Wann war ihre Hauptplatine durchgeschmort?
Der Formgeber leitet die Auserwählten in ein Gebiet, das sie vor der Klimakatastrophe verschont. Sie werden die Hebamme für eine neue Lebensform sein. Nur diese wird Gaia retten.
Die Kriegerin raufte sich die Haare und hockte sich hin. Sie starrte auf die dunkelblaue Oberfläche des Sees. Wind trieb die Tränen über ihre Wange, sodass sie ihr bis in den Kragen rannen. Die Wellenspitzen färbte der Mondschein silbern. Darunter drohte tiefschwarzes Wasser wie ein unheimliches Schicksal.
Ich brauche Menschen, die an mich glauben.
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll.«
Jeff ist unbefleckt aus mir geboren worden. Er ist euer neuer Jesus, der euch ins Licht führen wird. Doch er benötigt eine Kriegerin, die ihn beschützt. Und für diese Aufgabe habe ich dich auserkoren.
»Unbefleckt? Echt jetzt? Für jemanden, der alles neu machen will, klingst du ganz schön verstaubt.«
Ich habe vermutet, dass du es so besser verstehst.
»Was ist eigentlich so cool daran, ohne Sex zu entstehen?«
Jeff ist ein gottgleiches Kind. Er kann organisches mit anorganischem Leben verbinden. Aber um alle Kräfte freizuschalten, benötigt er das Artefakt des Verräters. Dann wird er dich mit Quantenkräften segnen.
Von der eingestürzten Hütte blieben nur noch die Holzpflöcke, die aus dem Boden ragten. Sie war Zeuge der Macht Gaias geworden.
Wollte die Kriegerin sich und Jeff vor dieser Wut schützen, musste sie tun, was …
Nenn mich Kãla.
… was Kãla verlangte.
Die Kriegerin setzte ihren Weg durch Inuvik fort. Ihre Knöchel schabten in nassen Socken am Innenfutter ihrer Stiefel. An jeder Hacke brannten Blasen. Aber sie registrierte es nur wie die rote LED-Lampe des ausgeschalteten Fernsehers im dunklen Wohnzimmer. Kein Schmerz flammte auf. Eigentlich müsste sie bei jedem Schritt schreien. Mit zwei Fingern blockierte sie ihre Nasenlöcher und unterdrückte ein Niesen. Auch eine Erkältung würde sie nicht aufhalten.
Sie passierte Hütte um Hütte. Woher sollte sie wissen, wo Jeff lebte?
Dort vorn.
Ein innerer Drang lenkte ihren Blick auf das einstöckige Gebäude. Es stand abseits am Rand einer weiteren Schlammpiste, die aus Inuvik führte.
Die Kriegerin tastete nach ihrem Messer, das hinten am Gürtel in einer Scheide steckte. Sie wollte es nicht einsetzen. Aber sicher war sicher. Vielleicht müsste sie Jeff von den Fesseln seiner Peiniger befreien.
Sie erreichte die Eingangstür der Hütte, die winzig war wie ein Gartenhaus. Streckte sie die Arme seitlich aus, umarmte sie die gesamte Front. Sie warf einen Blick hinter die Hütte, die sich mehrere Meter in die Länge zog. Das dunkle Loch an der Seitenwand musste ein Fenster sein. Da passte gerade mal eine Katze durch.
Zurück an der Tür unterdrückte sie den Impuls zu klopfen. Stattdessen legte sie ihre Handfläche aufs Holz und drückte. Quietschend schwang die Tür nach innen.
Ein unangenehmer Hausduft schlug der Kriegerin entgegen. In ihm vermischten sich eine fischige Note mit dem schweißigen Familiengeruch. Schon als Kind hatte sie empfindlich in fremden Häusern reagiert, die besonders stark nach ihren Bewohnern rochen – es schien ihr wie eine ständige Aufforderung, wieder zu gehen.
Sie atmete flach, als sie eintrat. Sanft setzte sie jeden Schritt mit der Schuhspitze auf die Dielen. Aus ihrem feuchten Stiefel knatterte ein Furz.
Probe versaut.
Die Kriegerin erstarrte und lauschte. Tief in den Knien bereitete sie sich auf einen Angriff vor, doch der kam nicht. Sie entspannte sich. Ein Tresen und Küchenschränke füllten den Raum. Neben ihr beschwerte ein riesiges Stück Fisch, das aussah wie ein Autoreifen, einen wackeligen Tisch. Das Frühstück? Daneben blitzte ein Messer im Mondschein.
Ihr nächster Schritt traf eine Diele, die mit ihrem feuchten Stiefel um die Wette quietschte.
Wieder versaut.
Der Kriegerin entwischte ein gepresstes: »Verflucht.« Erneut setzte sie einen vorsichtigen Tritt, doch in diesem knarrenden Bauwerk schien Schleichen unmöglich.
Achtung.
Vor ihr prangte ein Loch im Boden, das sie übersehen hatte. Sie hockte sich hin und stützte sich am Rand ab. Kühle Luft drang daraus hervor, gefolgt von einem faulig-schimmeligen Gestank. Von einer Lanze des Mondlichts erhellt, schaute sie hinein. Irgendwie erwartete sie Jeffs toten Körper – zum Glück traf das nicht zu. Mit Fisch und Gemüse gefüllte Körbe beherrschten das Kellerloch.
Die Kriegerin glitt von der Kante zurück. Mitten in ihrer Bewegung rauschte es. Die Seitenwand mit einem Regal voller Gläser sackte ab. Eine Sandlawine ergoss sich über die Körbe mit den Nahrungsmitteln.
Erschrocken sprang die Kriegerin zurück und wandte sich um.
Die Silhouette eines Jungen! Seine Haare leuchteten grau im Mondschein und die blauen Augen blickten teilnahmslos. Er sah aus wie ein verdammter Geist!
»Jeff? Bist du das? Ich bin wegen dir hier.«
Der Junge hob die Faust und deutete in ihre Richtung.
»Ich bin deine Krie…« Pfopp! Eine mächtige Druckwelle schlug der Kriegerin vor die Brust. Jeder ihrer Knochen vibrierte wie ein geschlagener Gong. Sie flog über das Loch im Boden hinweg und donnerte gegen die Wand dahinter. Mit dem Rücken gegen die Bretter tastete sie nach Halt. Dröhnender Schädel, zitternde Beine.
Der Junge behielt den Arm ausgestreckt und auf sie gerichtet.
»Ich tue dir nichts.« Die Kriegerin räusperte sich. Ein Stechen in der Brust, das pulsierend durch ihren Körper jagte. Aus Angst hielt sie den Atem an. Als sie es nicht mehr aushielt und nach Luft japste, zerfaserte der Schmerz. Sie schluckte. »Du kennst doch Tim. Er und Kãla schicken mich, um dich abzuholen.«
Jeff senkte den Arm und seine Schultern zuckten. »Tim? Er hat meinen Vater getötet.«
Die Kriegerin riss die Augen auf. Dass Tim den Scheich getötet hatte, konnte sie irgendwie verstehen. Aber einen Vater? »Das tut mir leid, Jeff. Ich weiß, wie es ist, wenn man seine Eltern verliert.«
»Wirklich?« Das Mondlicht ließ etwas in seinem Gesicht glitzern, das er rasch mit seinem Ärmel fortwischte.
Die Kriegerin stieg über das Kellerloch und ging vor Jeff auf die Knie. »Ich bin deine Kriegerin und werde auf dich aufpassen. Für immer, verstehst du?«
Er berührte mit dem Zeigefinger ihre Wange. »Du bist nett.«
»Du auch, junger Mann.«
»Aber ich habe doch eine Familie.« Jeff blickte sich um.
Die Kriegerin nickte. »Ich kann dir helfen, deine Familie zu beschützen. Du bist der Formgeber. Eine neue Art von Leben wird durch dich entstehen.«
»Wozu?«
»Weil Gaia uns Menschen abschütteln will.«
Jeff schüttelte den Kopf. »Kriegerin, Gaia, Formgeber?«
»Stell es dir so vor. Wenn dich eine Zecke beißt, nimmt sie sich nur, was sie braucht, lässt dich aber am Leben. Wir Menschen hören nicht auf, an der Erde zu saugen, bis wir sie zerstört haben. Du bist der Ausweg.«
Beide Fäuste gegen die Schläfen gedrückt, sagte Jeff: »Diese Stimme in mir! Sie tut mir weh. Ich will das nicht.«
Tränen stiegen der Kriegerin in die Augen, denn das Leid des Jungen traf auch sie. Fest nahm sie ihn in den Arm.
»Ich vermisse meinen Dad.« Jeff schniefte. »Er war Polizist, weißt du?«
Sanft strich die Kriegerin durch sein Haar. »Erzähl mir von ihm.«
»Er hat alles getan, damit es mir besser geht, und diesen Professor gefunden. Ich konnte nie mit meinem Vater reden.«
»Eltern hören oft nicht richtig zu.«
»Nein, ich kann erst sprechen, seit ich die Spritze mit dem Serum erhalten habe. Seitdem höre ich auch diese Stimme.«
»Das ist Kãla. Er verleiht dir deine Kräfte.«
»Ich wollte dir nicht wehtun …« Jeffs Gesicht gefror zu einer Maske der Überraschung.
Ein Klacken ertönte, als jemand sein Gewehr lud.
Die Kriegerin schaute auf und hob die Hände. »Schon gut, ich tue niemandem etwas.«
Ein Inuit zielte auf sie, den Lauf der Flinte auf ihren Kopf gerichtet.
»Was Sie wollen?«, fragte der Mann.
»Tim schickt mich, um den Jungen mitzunehmen. Wir kümmern uns um ihn.«
Der Inuit blickte zu seiner Frau, die in der Tür zu einem weiteren Zimmer stand. »Bitte, nicht wegnehmen Jungen.«
»Wir schon verloren haben Tochter«, sagte der Inuit. Sein Blick suchte den von Jeff, der verlegen zu Boden schaute.
Die Frau heulte und wimmerte. »Unsere Welt schmelzen. Wegen euch starb Tochter. Und jetzt nehmen Jungen.«
Der Schmerz der Mutter legte sich wie Stacheldraht um das Herz der Kriegerin. »Genau das wollen wir aufhalten. Und Jeff ist unser auserwählter Anführer. Er kennt den Ort, wo wir vor der Katastrophe sicher sind. Kommt einfach mit uns.«
Grimmig schüttelte der Inuit den Kopf. »Verschwinden, sonst ich schießen. Du lügst. Menschen sich ändern müssen.«
Komm schon, mach ihn fertig.
Die Kriegerin hob die Hände. »Denk an deine Frau. Wir können gemeinsam losziehen. Ich brauche Jeff und ich lade euch ein, mir zu folgen.«
Lass das Gerede. Das führt zu nichts. Schnapp dir lieber das Messer und bring’s zu Ende.
»Es keinen einfachen Weg geben. Du geblendet werden«, sagte der Inuit und drückte sein Gewehr fest in die Schulter. »Letzte Warnung.«
Siehst du, reden ist zwecklos.
»Okay, okay.« Die Kriegerin huschte zur Seite und machte sich klein. In der Bewegung schnappte sie sich das Messer auf dem Tisch und sprang auf den Inuit zu. Sie tauchte unter dem Gewehr hindurch.
Doch der Inuit hatte damit gerechnet, denn er bewegte sich erschreckend schnell zurück und schoss der Kriegerin in die Brust.
Durch den eigenen Schwung taumelte sie weiter, umklammerte die Hüfte des Gegners und brachte ihn zu Fall. Mit ihrem Ellenbogen zerschmetterte sie seine Nase. In der Rückwärtsbewegung schnitt sie ihm mit dem Messer die Kehle durch. Dann rutschte sie vom röchelnden Körper und rollte sich auf den Rücken.
In stummer Panik krallte sich Jeffs Leihmutter an einen Holzbalken. Die aufgerissenen Augen schillerten wie die Wellenspitzen der Twin Lakes, während sie ihrem Mann beim Sterben zusah.
»Mutter.« Jeff trat heran und strich ihr über den Arm. »Die Stimme sagt, alles wird gut.« Er hockte sich neben die Kriegerin, knöpfte ihre Bluse auf und legte seine Hand auf die Wunde.
Der Kriegerin wurde kalt. Der dumpfe Schmerz in der Brust ließ sie keuchen.
Wärme strahlte von der Hand des Formgebers aus.
Als die Kriegerin aufschaute, schillerte ihr Brustkorb silbrig, weil feine metallische Fäden ihn durchzogen. Wie Sonnenstrahlen, die vom Einschusspunkt ausgingen.
Der Schmerz schmolz dahin und was blieb war …
Deine Zeichnung. Du bist nun seine Kriegerin.
Questupdate: [Die Kugel im Glas]. Du rettest den Formgeber und er nimmt seine neue Aufgabe an. Töte den, der den Shutdown herbeiruft, und nimm dem Verräter die Kette von der Brust.
Neue Quest: [Vergiftete Ursuppen]. Du wirst von Synergias Giftring belagert.
2/11 Ursuppen vergiftet.
[Klaff, Sink]
Verlierst du alle Ursuppen, verlierst du das Spiel.
Sandors Tod traf mich härter, als ich es mir eingestehen wollte. Mein Kriegsmarschall hatte extreme Meinungen vertreten und war dennoch eine Stütze meiner Entscheidungen gewesen. Zu führen fiel mir nicht leicht. Sandors Gegenwind hatte mir geholfen, klarer zu sehen, das Gefühl gegeben, alle Aspekte zu betrachten.
Siphonex fehlte mir ebenfalls. Meine Späher berichteten, dass sie ihn im Norden gesichtet hatten. War er auf dem Weg nach Klaff gewesen? Wegen Sandor vielleicht?
Nein, die beiden hatten sich gehasst.
Ich hing am Rüssel meiner Photosynthesefabrik und begutachtete meine Siedlung. Wir produzierten so viel wie nie zuvor. Conan hatte alles im Griff. Das Forschungsmenü zeigte, dass Danza Fortschritte mit dem Antidot machte.
Doch sonst herrschte einfach nur – Stille.
Meine Erbauer blinkten weniger bunt als sonst. Die Ursuppe ruhte bleiern; nicht einmal Candida meckerte. Zumindest sie lebte ein zufriedenes Leben mit ihrer Pilzleiter. Vermutlich hatte sie damit zu tun, sich auszubreiten. Anna hielt in der Sammo-Ursuppe Stellung, um Annaheim zu verteidigen, falls die Imperatorin und Synergia überraschend angriffen. Die Anführer der anderen Ursuppen jagten mit Eingreiftruppen nach Gräberskorpionen, deren giftige Tunnelsysteme ihre Heimat bedrohten.
Klaff und Sink standen leider bereits auf der Verlustliste.
Meine Stimmung glich einem nass-grauen Herbsttag im Englischen Garten, wenn der Wind mir feuchte Kälte unter den Pullover jagte.
Execute Repair: 76%.
Ich koppelte mich ab, um zur Pilzleiter zu geißeln. Das Gefühl, etwas nicht bedacht zu haben, eine Möglichkeit nicht wahrzunehmen, hielt mich gefangen. Gerade rutschte ich das Blatt der Photosynthesefabrik hinunter, da begegneten mir Danza und Desoxi. Die gehörnte Nishuprinzessin blinkte aufgeregt und mein schuppiger Desoxi blubberte etwas Unverständliches.
»Wir haben es!«, rief Danza.
Ihre Aufregung steckte mich an und mein Körper kribbelte.
»Das Gegenmittel funktioniert«, sagte Desoxi. »Wir haben es einem Erbauer verabreicht und ihn dann vergiftet.«
»Ihr experimentiert mit lebenden Erbauern?« Ich hob mental die Augenbrauen.
Beide schauten sich an. »Wie sonst?«, fragten sie unisono.
»Erzählt. Wie verteilen wir es in Candida und den anderen Ursuppen?«
Desoxi wischte sich mit der Geißel über die Flimmerhärchen. »Und hier ist das kleine Problem.«
Danza stieß ihn an. »Wir können nur eine winzige Menge herstellen.«
»Baut eine Fabrik. Kommt, lasst uns mit Conan sprechen.« Ich geißelte die Photosynthesefabrik hinauf.
Hinter mir folgten Danza und Desoxi, die miteinander diskutierten.
»Lena, die Rohstoffe für das Antidot habe ich aus Exkrementen der Archas und Erborax gewonnen. Alles, was verfügbar war, ist bereits verarbeitet.«
Ich starrte Danza an. »Dann produzieren wir mehr Einheiten. Hörst du, Conan?«
»Ja, Lena!«, rief mein Administrator.
Desoxi räusperte sich. »Nur Danza kann es herstellen. Sie filtert die Rohstoffe. Ihr Giftmischer-Skill im Zusammenspiel mit einer speziellen Organelle erzeugen das Antidot.«
Ich seufzte. Dass ich es immer mit Pessimisten zu tun hatte, nervte. »Gut, wie viele Antidote konntest du herstellen? Zehntausend? Hunderttausend?«
Zuckend wand sich der Photowurm zwischen Danzas Hörnern. »Sieben.«
»Wie, sieben? Siebenhunderttausend, richtig?« Was sollten wir mit sieben Portionen Gegengift? Da könnten wir es geradewegs auch lassen …
Danza präsentierte mir Luftbläschen, die mit einer Flüssigkeit gefüllt waren. »Das sind die Schätze.«
Ich begutachtete sie mit einer Analyse.
Danzas Prophylaktisches Antidot.
Typ: Cyan.
Anwendung: Muss vor der Vergiftung eingenommen werden.
Wirkungsdauer: 2 Stunden.
Häufigkeit: Sehr selten.
Herstellung: Schwierig.
Inhaltsstoffe: Erborax-Exkremente, Archa-Exkremente, Danzas Plasma.
Ich hätte heulen können. Allein kam ich nicht weiter. »Danke, Danza. Das ist beeindruckend und deine Mühe bedeutet mir viel. Conan, ruf meinen Rat zusammen.«
* * *
Eine Viertelstunde später versammelten sich Zappel, Danza, Desoxi, Conan und Tandriel, um unsere Optionen zu besprechen.
Während Danza erklärte, wie das Gegenmittel hergestellt wurde, verteilte ich eine Blase an jeden der Anwesenden. Die zwei übrigen behielt ich bei mir. »Willkommen im Club der Giftritter. Wenn alles schiefgeht, sind wir die letzten, die das Ruder noch rumreißen können. Bewahrt das Antidot gut auf.«
Vor allem Zappel und Desoxi zitterten nervös.
»Willst du, dass ich kämpfe?«, fragte mein Algenbauer.
»Wenn es sein muss, ja.«
Zappel reichte mir seine Blase. »Gib sie jemandem, der kämpfen kann.«
Ich lehnte ab. »Ich brauche deine Genialität. Du kannst nicht einfach ablehnen, Zappel.«
Mein Baumeister seufzte und schaute in die Runde. »Moment mal, dann gibt es doch Hoffnung. Wenn das Antidot aus Erborax und Archas gewonnen wurde, könnte es doch sein, dass sie selbst immun sind.«
»Sie sind resistent, aber nicht immun. Haben wir getestet«, sagte Desoxi.
»Diese Versuche mit anderen Organismen lassen wir in Zukunft bleiben«, sagte ich.
Zappel überschlug die Fangarme vor seinem Körper. »Dennoch. Diese Resistenz könnte von Vorteil sein. Vielleicht lässt sich damit eine Art Filter bauen.«
»Heißt das, du willst sie opfern?«, fragte Danza.
»Nein«, antwortete Zappel. »Ich denke nur laut und suche nach Lösungen.«
Desoxi drängte sich in die Mitte. »Meine Algenfarmen laufen auf Hochtouren. Ich möchte gerne Forschungszeit beantragen, um ihre potentielle Wirkung zu untersuchen. Meiner Meinung nach liegt darin unsere Rettung.«
»Tut mir leid, Desoxi«, sagte Zappel. »Die Algen potenzieren die Giftwirkung mindestens um das Zehnfache. Wenn nicht sogar exponentiell.«
Zappel wusste mehr, als ich angenommen hatte.
Der Algenbauer fuchtelte mit den Tentakeln und stieß Zappel heftig an. »Niemals!«
Vollkommen überrascht von seiner Aggressivität, musterte ich Desoxi. Er verfiel in Rage. »Was fällt dir ein, Zappel? Nur weil du deine Hoffnung verloren hast, musst du meine Algen nicht schlecht machen. Ich dachte, wir wären Freunde.«
»Unsere Freundschaft ändert nichts daran. Trifft das Gift auf die Algen, sind wir innerhalb kürzester Zeit alle tot.«
»Nach zwei Stunden«, sagte Conan. »Du vergisst das Gegengift.«
»Wie kommst du darauf, Zappel?«, fragte ich, um die Gemüter zu beruhigen. »Hast du Fakten?«
»Natürlich. Das Gift ist ein Parasit. Ich habe erst nicht verstanden, was das bedeutet. Doch als ich ein Experiment durchgeführt habe, um eine Bohrung in den Klippen zu verschließen, probierte ich es mit Algenblättern. Das Gift drang in sie ein und nutzte sie, um sich zu vermehren.«
»Wie ein Virus«, sagte ich.
»Das kann nicht sein. Meine Algen sind die Grundlage dieser Siedlung!« Desoxi geißelte im Kreis um uns herum.
»Schon gut, mein Freund«, sagte Zappel. »Weder deine Algen noch dich trifft eine Schuld. Wir sollten nur keine Zeit und Hoffnung darauf verschwenden.«
Mit einem orangenen Schimmer meldete sich Conan zu Wort. »Heißt das nicht, dass wir die Algenfarmen vernich… abbauen müssen?«
Desoxis Aufregung erreichte den höchsten Pegelstand. »Seht ihr euch noch? Das bedeutet den Tod der Siedlung!«
Ganz so dramatisch sah ich das nicht, aber es würde uns beeinträchtigen. Andererseits lungerten die Felder wie tickende Zeitbomben. Auch Desoxi wollte ich als Vertrauten nicht verlieren.
»Die Siedlung hätte es schwerer, würde aber nicht sterben«, sagte Zappel. »Dennoch, ich verstehe deine Reaktion.«
Diese Aussage wunderte mich. Was verstand Zappel denn daran? Wollte er sagen, dass er auch etwas zu verlieren hatte? Ein Gespräch unter vier Augen musste her!
Conan unterbrach meine Gedanken. »Mal anders gefragt: Was können wir denn tun, außer abzuwarten?«
Natürlich beschäftigte mich genau das die ganze Zeit. »Nicht viel. Solange wir keinen Weg nach Cyan finden, sprudelt der Giftbrunnen. Einen Sporenangriff auf die Imperatorin können wir auch nicht durchführen, weil wir nicht wissen, wo die goldene Seerose liegt.«
Ich schaute zu Zappel, der sich wohl angesprochen fühlte, weil seine Tentakel plötzlich mit seiner Geißel spielten.
»Ist ja gut. Ich kümmere mich um dein … Auge.«
»Du bist der Beste«, sagte ich.
»Was ist ein Auge?«, fragte Danza.
»Damit können wir über alle Ursuppen sehen und die goldene Seerose suchen.«
»Abgefahren«, sagte Conan.
Zappel zuckte mit seiner Geißel. »Ja, ganz toll. Mal sehen, wofür es eingesetzt wird, wenn die Seerose gefunden wurde.«
Ahnte mein Baumeister etwa den Aufbau eines Überwachungsstaats?
Execute Repair: 77%.
»Eine Sache möchte ich als letzte Instanz für uns: Einen Panic Room. Danza, Desoxi – ich denke, eine Mischung aus gehärteten Schichten Pilzmycel könnte eine Gruppe von Erbauern im Ernstfall noch schützen.«
»Ich verstehe«, sagte Danza. »Ja, das könnte klappen. Ich bin dran. Wie vielen Erbauern soll es Platz bieten?«
Ich seufzte. Am liebsten hätte ich gesagt, dass die gesamte Siedlung darin Schutz finden sollte. »Tausend Erbauer?«
»Gründerin, einen Panic Room für zehn Erbauer zu erschaffen, wäre eine Herausforderung«, sagte Desoxi.
»Dann für zwanzig«, sagte ich.
* * *
Die Erforschung des Panic Rooms lief und Zappel arbeitete daran, das Auge über der Ursuppe zu positionieren.
Ich hatte den Zeitdruck gehasst, als uns Candida die Rohstoffe ausgesaugt hatte. Doch dieses Mal ging es um unser aller Überleben. Der Giftangriff war unmoralisch und brutal. Wer auch immer dahintersteckte, kannte keine Gnade oder Mitgefühl. Das machte mir Angst. Wie ein Stalker, der nachts in meine Wohnung eindrang und sich zu mir ins Bett legte.
Execute Repair: 78%.
Conan redete mit sich selbst, weil er an der Optimierung der Forschungskapazität arbeitete. Wir hatten keinen Rohstoffengpass mehr, sondern entwickelten die neuen Technologien einfach zu langsam.
»Soll ich noch ein paar Forscher ernennen?«, fragte ich.
»Psst, ich rechne.«
Ich ließ den Blick schweifen. Harmonia beeindruckte mich jedes Mal, wenn ich mir die Zeit nahm und den Moment genoss. Die Gebäude schimmerten wie die Haut eines Delfins im Sonnenschein.
Execute Repair: 79%.
Meine Bewohner blinkten mehrheitlich in Orange und Schwarz-Rot – ein klares Zeichen ihrer irritierten Aufregung. Dass ich Emotionen an Farben erkannte, daran hatte ich mich schnell gewöhnt. Es war tatsächlich sehr praktisch und wenige Erbauer versteckten ihre Gefühle.
All das hatte ich erschaffen. Gut, ich hatte es weiterentwickelt, doch mit Synergias Siedlung hatte die heutige nicht mehr viel gemein. Als hätte ich ein mittelalterliches Dorf in das moderne Manhattan verwandelt.
Execute Repair: 80%.
Wie gerne würde ich in einem New Yorker Café am Central Park sitzen. Einen Espresso schlürfen und eine Zigarette rauchen. Jemand würde mich ansprechen, wir hätten eine schöne Zeit und die Sonne im Gesicht.
»Gründerin, auf ein Wort.«
Ich drehte mich herum. Einer meiner Späher blinkte schwarz und rot. Aufgeregt bis in die letzte Geißelspitze.
»Beruhige dich. Habt ihr den Weg nach Cyan gefunden?«
»Alle … meine Begleiter … sie haben sich …«
»Mann, rede doch endlich.«
»Wir … Ich … Gründerin.«
Ich strich dem Späher mit meiner Geißel über die Flimmerhärchen. »Was hast du gesehen?«
»Zwei Löcher in den Klippen.«
Mein Zellkern blieb für einen Moment stehen. »Conan!«
»Pssst!«
Der Späher füllte seine Kommunikationsblase, was ihn etwas beruhigte. »Innerhalb des Virionenrings im Norden, dort wo Candida ihren Ursprung hat. Ein weiteres Loch weiter östlich, hinter der Zunge.«
»Na, dufte! Und die Skorpione?«
»Wir trafen auf einen in der Nähe des zweiten Lochs.« Schwarze Farbe wusch über die Außenhaut des Spähers. »Er hat meine Freunde zerfetzt. Nur ich habe überlebt.«
»Also strömt Gift in unsere Ursuppe?«
»Ja, Gründerin.«
»Conan, hörst du zu?«
»Ja, ich hab’s gleich, Lena. Zwei. Nein. Drei Forscher wären perfekt.«
Ich starrte Conan an. Dann leuchtete eine alte Idee auf und damit die Hoffnung. »Wie lange dauert es, eine Leber zu erforschen?«
»Leber? Was ist das? Warum?«
»Weil Gift in Candida einfließt und mindestens zwei Gräberskorpione da draußen sind.«
»Hab’ ich was verpasst?«
»Die Leber. Wie lange?«
»Eine Leber habe ich noch nie gesehen.« Conan ging das Menü durch. »Oh, tatsächlich. Hier ist sie. Die Erforschung dauert drei Tage.«
Questupdate: [Vergiftete Ursuppen]. Du wirst von Synergias Giftring belagert.
2/11 Ursuppen vergiftet.
[Klaff, Sink]
Achtung Todesgefahr, denn Gift strömt in deine Ursuppe. Wehre dich oder suche dein Heil in der Flucht.
Vollständige Vergiftung von [Candida-Ursuppe] in [02:59:00] erreicht.
Verlierst du alle Ursuppen, verlierst du das Spiel.
Hoffnung war eben keine Strategie, und jetzt zerplatzte sie wie ein Luftballon über einer Kerze. Meine Herrschaft wurde direkt bedroht. Sollte ich die Candida-Ursuppe aufgeben und alles dafür tun, deren Bewohner zu retten?
»Siehst du das?«, fragte ich.
Conan schimmerte blau. Er und die anderen Erbauer hatten dieselbe Mitteilung erhalten wie ich.
Flucht war keine Option. Verlor ich meine Siedlung, würden meine Erbauer die Hoffnung verlieren. »Ruf die Eingreiftruppe zusammen. Wir müssen die Skorpione vernichten und die Löcher schließen. Egal, wie.«
Conan räusperte sich. »Aber es sind zwei Gräberskorpione. Wie …«
»Da kommt jemand«, sagte der Späher, der geduldig bei mir wartete. »Noch ein Späher aus dem Süden.«
Ich ahnte Schlimmes. Bevor der Mimikry-Räuber irgendetwas sagen konnte, kam ich ihm zuvor: »Lass mich raten, zwei Löcher und zwei Skorpione außerhalb des Virionenschilds.«
»Grüße, Gründerin. Nein.«
»Na, bloß gut. Ich dachte schon …«
»Es sind vier.« Der Späher salutierte. »Wir haben hohe Verluste erlitten.«
Conan drängte sich zwischen uns. »Lena, wir müssen von sechs Löchern ausgehen.«
Ich wandte mich dem zweiten Späher zu. »Kommen die Skorpione durch den Virionenschild?«
»Ich hoffe nicht. Niemand kommt dort hindurch.« Nachdenklich pochte Conan mit einem Tentakel gegen seinen Leib.
»Es reicht ein Gegenbeweis, um eine These zu widerlegen.« Dieser Spruch erinnerte mich sofort an Frankl. Wissenschaftler hatten einen harten Job.
Execute Repair: 81%.
Plötzlich herrschte Schweigen. Es gab einfach nichts Sinnvolles zu sagen. Die Situation schien aussichtslos.
Vorsichtig stieß mich Conan an. »Lena, wie machen wir weiter?«
Ich zuckte mit der Geißel. Wir sollten uns zumindest nicht dem Schicksal ergeben. »Lass dir die Löcher auf der Karte zeigen. Markiere sie. Wir schwimmen eines nach dem anderen ab.«
* * *
»Verluste?«, fragte ich, nachdem wir den bleichen Gräberskorpion wenige Geißellängen außerhalb von Harmonia erledigt hatten. Zähes Biest.
»Einige Mimikry-Räuber«, sagte Zappel.
»Mist.«
»Ich will nicht mehr.« Desoxi hielt sich zitternd im Hintergrund. Es war sein allererster Kampf gewesen. Er hatte sich mit Danza vereint und Kugelblitze abgefeuert. Den Skill hatten sie dank Anna erlernt.
»Wir müssen weiter. Conan, alles klar?«
Mein Administrator nickte und Bumir brummte.
Ich streichelte meinen Erborax mit der Geißel. »Guter Junge.«
»Es ist interessant, dass das Gift noch nicht bis hierher vorgedrungen ist.« Zappels Blick schweifte nach Osten, wo riesige Algenfarmen lagen.
In mir stieg Angst auf. Hatte Zappel recht? Stand uns das Schlimmste erst bevor?
»Los, weiter«, befahl ich. »Wir müssen das Loch analysieren.«
Bald schwammen wir durch das dichte Geflecht aus Pilzfäden, die diesen Teil der Ursuppe seit Ewigkeiten durchdrangen. Hier hatte der Candida-Pilz seinen Ursprung und hier hatte ich die schicksalhafte Entscheidung getroffen, Candida in die Siedlung einzuladen. Mit ihren Drogen hatte sie mich gefügig gemacht.
Das Questziel wurde als Pfeil in meinem Sichtfeld angedeutet. Ich brauchte ihm nur zu folgen. »Candida, wir werden angegriffen. Gift strömt in unsere Ursuppe.«
»Was Ihr nicht sagt. Beschützt Uns, wie es Euer Auftrag ist.«
Hilfreich wie eh und je.
Je weiter wir nach Norden vordrangen, umso dichter wurde das Pilzgeflecht. Als wir es schließlich kurz vor den Klippen durchbrachen, tauchten wir in das vergiftete Wasser ein.
Debuff: [Lena] erleidet 1 Schaden durch [Schleichende Vergiftung].
Lebensenergie: 38/54.
»Da vorne ist das Loch!«, rief Conan.
Ich schwamm darauf zu. Es hatte die Größe eines Schachts, durch den John McClane in Die Hard jedes Weihnachten kroch.
Execute Repair: 82%.
Sprudelnd floss das Gift ein und vermengte sich mit unserem Wasser.
Ich saugte eine Probe in mich auf.
Analyse Giftbohrung:
Verbindungsweg: [Herle] zu [Candida].
Direkte Auswirkung: Gift aus Cyan strömt durch die Bohrung in die Candida-Ursuppe.
Indirekte Auswirkung: Veränderung des Mikroklimas wegen unterschiedlicher Temperatur, Toxizität und Salzgehalt zwischen Herle und Candida.
Materialbeschaffenheit: Die Klippen zwischen den Ursuppen bestehen aus einem organischen, proteinhaltigen Fleisch. Die geringe Dichte und mittlere Porosität macht es weich und flexibel.
Heilung: Löcher dieser Größe benötigen zwei Wochen, um wieder zusammenzuwachsen, würde der Giftzufluss gestoppt.
Chemische Spuren: Spuren des Giftes Cyan und Salzsäure, die das Fleisch auflöst.
Bohrtechnik: Der [Gräberskorpion] reißt Stücke des Fleisches aus der Ursuppe.
»Und?«, fragte Zappel.
»Es ist übel.« Ich drehte mich zu meinen Kameraden um. »Selbst wenn wir das Gift aufhalten, die Löcher verändern das Mikroklima zwischen den Ursuppen.«
»Natürlich!«, riefen Zappel und Desoxi gleichzeitig.
»Stoppen wir den Giftfluss, wächst das Loch wieder zu.«
»Also ist es Gift von Synergia?«, fragte Danza.
»Meine Analyse sagt nur, dass das Gift Cyan genannt wird. Da ihre Ursuppe genauso heißt, spricht vieles dafür.«
»Fällt dir was auf, Desoxi?«, fragte Zappel, der Candidas Mycel abtastete.
»Du meinst?«
»Genau! Das ist erstaunlich.«
»Ob sie das für uns tut?«
»Das widerspräche ihrem Charakter.«
»Vielleicht ist das ein parasitärer Aspekt, der uns noch unbekannt …«
Dass sie den Punkt nicht aussprachen, machte mich wahnsinnig. »Was habt ihr entdeckt?«
»Candida hält das Gift auf. Schau doch«, sagte Zappel.
Tatsächlich. Wie in einer Filtertüte hingen die Schwaden in den Pilzfäden. Deswegen kippte unsere Ursuppe nicht in wenigen Minuten um. Candida verschaffte uns Zeit.
»Danke, Candida«, sagte ich.
»Lange halten Wir das nicht mehr aus. Beeilt Euch.«
»Das werden wir. Kommt, Leute.« Ich schwamm voran, auf zum nächsten Loch. Candida durfte nicht sterben, sie spielte eine große Rolle in meinem Plan. Ihr Pilzbefall war meine Geheimwaffe. Zwar hatte ich den Skill schon an der Schlacht der goldenen Klippen eingesetzt, vermutete aber, dass diese Information nicht zur Imperatorin gelangt war. Hoffentlich. Dass der Diplomat entkommen war, half nicht unbedingt.
Wir drängten uns durch das Pilzmycel an den Klippen entlang nach Osten. Nachdem wir den Zipfel in der Ursuppe umrundet hatten, schimmerte die Photosynthesefabrik in der Ferne. Alles sah aus wie immer.
»Weiter«, sagte ich. »Das Loch liegt gleich da vorne.«
Ich verspürte den Impuls, alle zu fragen, wie es ihnen ging – und unterdrückte ihn. Wir mussten uns auf die Aufgabe konzentrieren.
Debuff: [Lena] erleidet 1 Schaden durch [schleichende Vergiftung].
Lebensenergie: 37/54.
Den Debuff ignorierte ich weiterhin.
Einige Geißelschläge später trafen wir auf eine Versammlung von Erbauern, Erborax und Mimikry-Räubern. Sie hatten eine Traube um einen toten Gräberskorpion gebildet. Rot-schwarz blinkend huschten sie von einem Fleck zum anderen.
Gut, der zweite Skorpion war Geschichte.
Mit seinem hammerförmigen Fangarm stupste mich Zappel an. »Wann, meinst du, schleust die Imperatorin die Angriffstruppen durch die Bohrlöcher?«
Gute Frage. »Vermutlich reagiert der Großteil ihrer Armee wie unsere auf das Gift.«
Zappel nickte.
»Mit genug Zeit braucht die Imperatorin keinen einzigen Schattenfühler, Vorax oder Xerg einzusetzen«, sagte Danza. »Wir sterben in dieser Brühe.«
Wenig später untersuchte ich das zweite Loch. Vom ersten Unterschied es sich darin, dass die Grabung ihren Ursprung in Sink hatte und dass Candida dem Gift kein starkes Mycel entgegensetzte.
»Das Gift hier fließt ungehindert. Candidas Geflecht ist nicht dicht genug, um es zu stoppen wie am ersten Loch«, sagte Zappel.
Ich schaute ihn an, dann Desoxi, dessen Farbe ins besorgte dunkelblau wechselte. Zuletzt schielte ich zu den Algenfeldern, die sich hinter der Pilzleiter erstreckten.
Achtung Todesgefahr: Vollständige Vergiftung von [Candida-Ursuppe] in [02:13:00] erreicht.
»Was, wenn …?«, fragte ich Zappel, der genauso wie Desoxi wusste, worum es ging.
»Ich schätze, dann bleiben uns noch fünf Minuten.«
»Zwei Stunden.« Desoxi zeigte mit einem Versuch, witzig zu sein, seine Blase mit dem Antidot darin. Da wir nicht lachten, sagte er: »Außerdem haben wir mit Danza den Bau deines Panic Rooms gestartet. Falls ihn Appal fertigstellen konnte, gäbe uns das sicher einen Puffer.«
Trotzdem: Wir waren ein Hummer, der qualvoll zu Tode gekocht wurde.
Execute Repair: 83%.
»Gut, alle zurück zum Siedlungs-Interface.« Ich fischte Zappel aus der Gruppe und fragte ihn: »Was können wir tun?«
»Ich weiß es nicht.«
Eine neue Nachricht schwebte in mein Sichtfeld.
Questupdate: [Vergiftete Ursuppen]. Eine weitere Ursuppe fällt: Herle.
3/11 Ursuppen vergiftet.
[Klaff, Sink, Herle]
Achtung Todesgefahr, denn Gift strömt in deine Ursuppe. Wehre dich oder suche dein Heil in der Flucht.
Vollständige Vergiftung von [Candida-Ursuppe] in [02:11:00] erreicht.
Verlierst du alle Ursuppen, verlierst du das Spiel.
Zappel und ich starrten uns an.
»Komm schon«, sagte ich. »Du verheimlichst doch etwas?«
Virionenschild beschädigt.
Zwei [Gräberskorpion] durchbrechen die Barriere.
Mein Baumeister wechselte seine Farbe zu verwirrtem Lila.
»Verdammt, Zappel!« Mit Höchstgeschwindigkeit schwamm ich los.
Sollte ich mir eingestehen, dass das Spiel verloren war?
Questupdate: [Erzfeind]. Phitus, König der Krallark, ist tot.
Aus der Dunkelheit der Candida-Ursuppe pellte sich die Muschelstadt der Krallark. Die Schale der Herrschermuschel war geöffnet, was Siphonex’ Zellkern schneller schlagen ließ. Ob sein Plan aufgehen würde? Er hatte Sandor an den Tentakeln gepackt und zog ihn aus der Blutbahn, die bei der Siedlung aus den Klippen ragte.
Als sie in die heimische, unvergiftete Ursuppe eintauchten, saugte Siphonex das Wasser gierig ein. Das tat gut.
»Gleich kannst du dich ausruhen«, sagte er zum Kriegsmarschall.
Sandors einst prächtige rote Streifen waren verblichen. Seine Schwerttentakel waren entstellt, und seinen weißen Körper übersäten schwarze Flecken. »Danke, aber ich glaube nicht, dass ich überlebe.«
»Du musst. Ich … wir brauchen dich.«
Sandor keuchte ein Lachen in die Ursuppe. »Mal Klartext: Du bist nicht in mich verliebt, oder?«
Siphonex schwieg und schleppte Lenas Kriegsmarschall in eine Muschel, die normalerweise verletzte Räuber beherbergte. Sie war wegen des reinen Wassers, das sie erzeugte, dafür ausgewählt worden. Heute besuchte Sandor sie als einziger Gast.
»Warum bin ich hier?« Der Kriegsmarschall sank auf die fleischige Zunge der Muschel.
»Um zu heilen, natürlich.«
»Nein, warum bin ich bei den Krallark?«
Die Frage schockierte Siphonex. Denn die Wahrheit machte ihm Angst. »Weil ich noch etwas erledigen muss und es hier ruhig ist. Du kannst aber mit Lena jederzeit über die Nervenbahn sprechen.«
Siphonex führte Sandor zu einem Teppich aus weichen Lamellen, wo er ihn untersuchte. Im Inneren des Mimikry-Räubers schlierten Giftfäden wie weiße Fadenwürmer. Die ehemals glänzend weiße Außenhaut riss bereits auf, wodurch Flimmerhärchen in Büscheln ausfielen.
»Ich nehme dir etwas von deiner Last.« Siphonex stach Sandor mit einem Tentakel, erzeugte einen Beutel in seinem Inneren und saugte das Gift ab.
[Siphonex] erzeugt [Giftvakuole] für 230 XP.
Punkte bis zur nächsten Stufe: 7982/12000.
Füllstand: 0%.
Tatsächlich entspannte sich Sandor mit einem Seufzen, als einige Fadenwürmer aus seinem Körper in Siphonex’ Vakuole wanderten.
Füllstand: 100%.
»Danke.« Sandor hob eine seiner Schwerttentakel.
Obwohl Siphonex längst nicht alles entfernen konnte, hatte er Sandor einen Teil seines Leidens genommen. Seine Überlebenschancen stiegen.
»Ruh’ dich aus, Kriegsmarschall. Ich besuche dich später wieder.« Siphonex verließ das Muschellazarett und geißelte in seine Unterkunft neben König Phitus’ Herrschermuschel. Die Unterkunft des Prinzen war noch jung und versteckte deswegen nur eine winzige Perle unter der fleischigen Zunge. Siphonex hob sie an und betrachtete das Schmuckstück. »Wie hübsch du bist. Und gewachsen bist du auch.«
Hier würde niemand nachschauen. Er riss seine Außenhaut ein und die giftgefüllte Vakuole schwebte hervor.
»Schau, was ich habe. Bitte pass gut darauf auf.«
Er verstaute die Giftblase neben der Perle und legte vorsichtig die Zunge darüber. Sein Vorrat würde sich vergrößern, wenn er Sandor weitere Dosen abnahm. Selbst ermüdet von der Rettungsaktion, schmiegte sich Siphonex in seine Muschel. Doch die Ruhe wollte sich nicht gleich einstellen. Immer wieder kaute er die Einzelheiten seines Plans durch, bis er in ein nervöses Dösen abdriftete.
* * *
Als Siphonex erwachte, geißelte er zu Sandor, der schwach und hilflos auf den Lamellen lag, die aus dem Muschelboden sprossen. Wollte er den Marschall töten, wäre das ohne Weiteres möglich gewesen.
»Wie geht’s dir?«
»Ich lebe meinen Traum. Sieht man doch.« Sandors Stimme klang brüchig.
»Hätte nicht gedacht, dass du Humor hast.«
»Hätte nicht gedacht, dass du Mut hast.« Wieder hob Sandor seine Schwerttentakel und zeigte auf Siphonex.
So viel Lob weckte die sorgsam unterdrückten Schuldgefühle. Er blubberte in die Ursuppe. Auch wenn der Kriegsmarschall nie sein Freund werden würde, achtete er ihn. »Deine Organellen bauen das Gift nicht schnell genug ab. Ich helfe dir noch einmal.«
»Scheint dir ja zu schmecken.« Sandor bot seinen Zellkörper freiwillig an, sodass Siphonex sich andockte und die Giftschlieren aufsaugte.
[Siphonex] erzeugt [Giftvakuole] für 230 XP.
Punkte bis zur nächsten Stufe: 7752/12000.
Füllstand:100%.
»Danke. Das tut gut.« Sandor hauchte die Worte und schlief ein.
Als Siphonex die Vakuole in seine Unterkunft brachte, hielt ihn ein Krallark-Wächter auf.
»Prinz Siphonex, der König erwartet Euch im Thronsaal.«
»Sag ihm, ich komme sofort.« Siphonex schwamm in seine Muschel, versteckte die zweite Giftblase und geißelte zu seinem Vater.
Die Herrschermuschel sperrte ihre Schalen weit auf, wie um der Ursuppe zu zeigen, welch bedeutenden Herrscher sein Vater abgab. Phitus selbst saß auf seinem Thron aus Perlen, der mittig auf der Muschelzunge wuchs. Jedes Jahr wurde er mit den Perlen erweitert, die die Siedlung erzeugte. Das Wasser um den König sprudelte, als er mit den Tentakeln ruderte und seinen Sohn anschrie. »Wieso beherbergt der Prinz einen Erbauer, der ihn weder leiden kann noch seinen König ehrt?«
Siphonex verbeugte sich. Vorurteile und falscher Stolz verdunkelten die Seele seines Vaters. »Seid auch Ihr gegrüßt, Vater. Kriegsmarschall Sandor ist uns freundlich gesinnt.«
»Weil du ihn gerettet hast. Tot wäre er nützlicher.«
»Eine gute Beziehung zwischen Krallark und Erbauern ist kriegsentscheidend.«
»Papperlapapp. Was verstehst du davon? Schick ihn weg. Was soll er bei uns?«
»Die Blutbahn führte hierher.«
»Ich dachte, die endeten überall im Reich.«
Sein Vater hatte recht. Siphonex hatte angenommen, der König wäre zu eitel gewesen, die Blutbahnen auszuprobieren.
»Entschuldigt, Vater. Ich dachte, wir hätten die besseren Heiler. Ich werde den Kriegsmarschall nach Candida-Harmonia bringen, sobald er reisefähig ist.«
»Du vergeudest deine wertvolle Zeit mit diesem Humbug. Wir müssen den Angriff auf den Imperator vorbereiten. Meine Späher werden ihn bald gefunden haben.«
»Imperatorin, Vater.«
»Ein weiterer Unsinn, der im Kopf einer verrückten Erbauerin entstanden ist.«
Die Aussage versetzte Siphonex einen Stich. Anna war alles andere als verrückt. Um sich selbst in den Griff zu bekommen, wechselte er schnell zum eigentlichen Punkt zurück. »Ihr vergesst die vergifteten Ursuppen, Vater. Die sollten unser oberstes Ziel sein und gereinigt werden.«
»Ja, indem ich den Imperator vernichte.«
»Hört doch auf, diesem Weltenbauertraum nachzujagen. Überlasst Lena unsere Rettung.«
»Wendest du dich etwa gegen mich?«
»Seit ich geißeln kann, wollt Ihr diese Quest abschließen. Sie ist für Euch zu einer Sucht geworden.«
»Schweig sofort, du undankbarer Sohn!«
»Auf keinen Fall möchte ich undankbar sein. Aber seht doch: Befördert mich Lena, wird sie zur Weltenbauerin und steigert dadurch unser aller Überlebenschancen.« Dieses Argument musste seinem Vater doch einleuch…
»Verräter! Du elender Verräter.«
»Vater, hört mir doch zu.«
»Nenn mich nicht so. Geh mir aus den Augen.«
Siphonex zog die Geißel ein. »Ja, König.«
»Deine Respektlosigkeit wird Folgen haben.«
»Ja, König.«
Verletzt verließ Siphonex den Thronsaal. Er hatte geahnt, dass ihn Phitus verstoßen würde. Deswegen überraschte ihn das nicht weiter. Allein die mangelnde Einsicht seines Vaters machte ihn traurig.
Phitus hatte sich vergeißelt. Niemals würde er stark genug werden, um die Imperatorin zu besiegen. Aber weil es ihm die Quest auferlegt hatte, glaubte er an die Möglichkeit. Die Unmöglichkeit.
Siphonex schwamm zu Sandor, saugte ihn ab und verstaute eine weitere Vakuole mit Gift.
[Siphonex] erlangt [Giftresistenz].
Vergiftungen verursachen 25% weniger Schaden.
Am nächsten Tag geißelte er erneut zu Lenas Kriegsmarschall. Die Giftschlieren im Plasma des Mimikry-Räubers waren kaum mehr zu sehen.
»Du siehst viel besser aus, Kriegsmarschall.« Siphonex begutachtete Sandor von allen Seiten. Sein gestern noch verblasstes Kreuz, hatte die satte, rote Farbe zurückerhalten.
»Dank dir, Prinz.« Sandor stockte. »Ich weiß nicht, warum du mir geholfen hast. Der beste Kamerad war ich dir nie, und ich bereue, wie ich dich bei der Schlacht an den Klippen behandelt habe.«
»Seit dem Tag, als Anna mir von Lena berichtet hat, glaube ich an deine Gründerin. Sie wird einen Organismus aus uns formen. Wir werden alle eins sein.«
»Du klingst schon wie sie.« Sandor lachte. »Ich hätte nicht gedacht, dass es zivilisierte Krallark gibt.«
»Ich schätze deine Worte«, sagte Siphonex. »Darf ich ein letztes Mal?« Er setzte seinen Tentakel an Sandors Außenhaut.
»Nur zu.«
»Durch das Absaugen habe ich eine minimale Giftresistenz erhalten. Vielleicht sollten wir alle Einwohner der Candida-Ursuppe abhärten.«
Drei letzte Giftschlieren wirbelten im Zellplasma des Marschalls und verschwanden kurz darauf in Siphonex’ Tentakel.
Sandor brummte. »Gute Idee, mein Freund.«
Überrascht wich Siphonex zurück und riss dabei die Brücke ab. »Was sagst du?«
»Dass es eine gute Idee ist.«
»Nein, das andere.«
Sandor erhob sich von den Lamellen, streckte genüsslich alle Tentakel und wackelte mit seiner Geißel. »Hör zu, das fällt mir nicht leicht: Ich habe einen Fehler gemacht und biete dir meine Freundschaft an.«
»Bei allen Strömungen der Ursuppen. Es ist mir eine Ehre, Sandor, Kriegsmarschall von Candida-Harmonia.« Siphonex verbeugte sich.
»Hör auf mit dem Mist. Wir sind ebenbürtig.«
»Gerne möchte ich dich Freund nennen. Wir sollten bald zu Lena reisen. Die nächste Schlacht steht bestimmt schon an.«
»Ich brenne darauf. Weißt du, jetzt, wo ich schon gestorben bin, ist jeder Tag eine Zugabe.«
»Auf dass noch viele weitere kommen mögen.«
Sandor verbeugte sich nun ebenfalls vor Siphonex.
Vollkommen überrascht starrte er seinen Patienten an und es dauerte einige Ursuppenverwirbelungen, bis er seine Sprache wiederfand. »Es gibt noch eine Kleinigkeit für mich zu erledigen. Und der König möchte dich in einer Stunde sehen. Danach können wir abreisen.«
»Was will er denn?«, fragte Sandor.
»Das hat er mir nicht gesagt, doch er schien bester Laune.«
»Du sprichst schon von Phitus, oder?« Sandor lachte.
Siphonex stimmte mit ein und beide reichten sich die Tentakel.
»Dann reisen wir in zwei Stunden gemeinsam ab?«, fragte Siphonex.
»So sei es.«
* * *
Eilig geißelte Siphonex in seine Muschel und holte die Giftvakuolen aus dem Versteck. Die Menge sollte für seinen Plan ausreichen.
Im Schatten der Gebäude schwamm er anschließend zur Herrschermuschel. Um ungesehen zu bleiben, schlängelte er sich unter der Schale entlang, bis zu dem Punkt, an dem die obere ansetzte. Hier schlich er sich in den Thronsaal und näherte sich von hinten dem Perlenthron. Sein Vater war nicht anwesend. Hoffentlich kam er zurück, bevor Sandor auftauchte.
Siphonex versteckte sich.
Das lange Warten und die Stille verunsicherten ihn. Sollte er das wirklich tun? Er studierte die Giftkugeln. Sie schimmerten und die Schlieren darin sahen bezaubernd aus – ganz im Gegensatz zu ihrer Wirkung.
Nein, er musste seinen Plan abbrechen. Die Idee war Irrsinn. Es würde niemals funktionieren.
Siphonex seufzte, krallte sich die Giftblasen und schwamm zum geheimen Ausgang im hinteren Teil der Muschel.
»König Phitus, Ihr habt nach mir verlangt«, rief Sandor, der in die Muschel geißelte. Aus der Ferne betrachtet, wirkte der Kriegsmarschall beeindruckend. Seine vier Tentakelschwerter wollte kein Räuber im Leib spüren. Das rote Kreuz auf dem Weiß seines Körpers pulsierte vor Kraft.
