Der gute Mensch von Sezuan - Bertolt Brecht - E-Book

Der gute Mensch von Sezuan E-Book

Bertolt Brecht

0,0
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Drei Götter durchwandern die Welt auf der Suche nach einem guten Menschen. Sie wollen das Gerücht Lügen strafen, wonach die wirtschaftlichen Bedingungen auf Erden zu unerträglich seien, als dass die Menschen die Gebote der Götter zu befolgen vermöchten. Auf ihrer irdischen Inspektionsreise haben sie bislang vergeblich nach guten Menschen Ausschau gehalten ‒ bis sie in einem Armenviertel der chinesischen Provinz Sezuan der Prostituierten Shen Te begegnen. Sie schenken ihr Geld, doch ihre Nächstenliebe treibt Shen Te bald wieder in wirtschaftliche Not …

Brechts religions- und kapitalismuskritisches Stück, eine Parabel, zeigt am Einzelfall des Mädchens Shen Te das allgemeine Gesetz dieser Welt auf, dass es unmöglich ist, »gut zu sein und doch zu leben«.

Der Anhang enthält Bertolt Brechts frühe Stück-Entwürfe und weitere Texte von ihm zum Stück sowie eine Zeittafel zur Entstehungs- und frühen Aufführungsgeschichte.
Schön gestaltete, preiswerte Neuausgabe des zeitlos aktuellen Stücks Der gute Mensch von Sezuan.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 187

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Cover

Titel

Bertolt Brecht

Der gute Mensch von Sezuan

Musik von Paul Dessau

Text und Materialien

Suhrkamp

Impressum

Zur optimalen Darstellung dieses eBook wird empfohlen, in den Einstellungen Verlagsschrift auszuwählen.

Die Wiedergabe von Gestaltungselementen, Farbigkeit sowie von Trennungen und Seitenumbrüchen ist abhängig vom jeweiligen Lesegerät und kann vom Verlag nicht beeinflusst werden.

Um Fehlermeldungen auf den Lesegeräten zu vermeiden werden inaktive Hyperlinks deaktiviert.

NeuausgabeDer gute Mensch von Sezuan und Anhang: © 1955, Suhrkamp Verlag GmbH, Berlin/Bertolt-Brecht-Erben© dieser Zusammenstellung: Suhrkamp Verlag GmbH, Berlin, 2025Alle Rechte vorbehalten, insbesondere auch das der Aufführung durch professionelle Bühnen und Amateurtheater, der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags, der Speicherung in elektronischen Datensystemen, der Verfilmung und der Sendung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Abschnitte. Das Recht der Aufführung ist über die Suhrkamp Verlag GmbH zu erwerben: [email protected].

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2025

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 5501.

NeuausgabeDer gute Mensch von Sezuan und Anhang: © 1955, Suhrkamp Verlag GmbH, Berlin/Bertolt-Brecht-Erben© dieser Zusammenstellung: Suhrkamp Verlag GmbH, Berlin, 2025Alle Rechte vorbehalten, insbesondere auch das der Aufführung durch professionelle Bühnen und Amateurtheater, der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags, der Speicherung in elektronischenDatensystemen, der Verfilmung und der Sendung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Abschnitte. Das Recht der Aufführung ist über die Suhrkamp Verlag GmbH zu erwerben: [email protected].

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umschlaggestaltung und Illustration: Burkhard Neie, nach einem Foto von Konrad Reßler, Augsburg 1927

eISBN 978-3-518-78477-8

www.suhrkamp.de

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Cover

Titel

Impressum

Vorspiel Eine Straße in der Hauptstadt von Sezuan

1 Ein kleiner Tabakladen

2 Der Tabakladen

3 Abend im Stadtpark

4 Platz vor Shen Tes Tabakladen

5 Der Tabakladen

6 Nebenzimmer eines billigen Restaurants in der Vorstadt

7 Hof hinter Shen Tes Tabakladen

8 Shui Tas Tabakfabrik

9 Shen Tes Tabakladen

10 Gerichtslokal

Anhang

Frühe Stück-Entwürfe

»Fanny Kress« oder »Der Huren einziger Freund«

Die Ware Liebe

Die Ware Liebe (zwei Fassungen)

Texte zum Stück

Zeittafel zur Entstehungs- und frühen Aufführungsgeschichte

Informationen zum Buch

Der gute Mensch von Sezuan

Mitarbeiter: Margarete Steffin

»Der gute Mensch von Sezuan«, ein Parabelstück, 1938 in Dänemark begonnen, 1940 in Schweden fertiggestellt, ist der 27. Versuch. – Die Provinz Sezuan der Parabel, die für alle Orte stand, an denen Menschen von Menschen ausgebeutet werden, gehört heute nicht mehr zu diesen Orten. – Das Stück wurde bisher in Zürich und Frankfurt a. ‌M. aufgeführt. Die Bühnenbilder für die Aufführung in Frankfurt entwarf Teo Otto. Paul Dessau hat eine Musik dazu geschrieben.

Personen

Die drei Götter · Shen Te · Shui Ta · Yang Sun, ein stellungsloser Flieger · Frau Yang, seine Mutter · Wang, ein Wasserverkäufer · Der Barbier Shu Fu · Die Hausbesitzerin Mi Tzü · Die Witwe Shin · Die achtköpfige Familie · Der Schreiner Lin To · Der Teppichhändler und seine Frau · Der Polizist · Der Bonze · Der Arbeitslose · Der Kellner · Die Passanten des Vorspiels

Schauplatz: Die Hauptstadt von Sezuan, welche halb europäisiert ist

Vorspiel Eine Straße in der Hauptstadt von Sezuan

Es ist Abend. Wang, der Wasserverkäufer, stellt sich dem Publikum vor.

wang Ich bin Wasserverkäufer hier in der Hauptstadt von Sezuan. Mein Geschäft ist mühselig. Wenn es wenig Wasser gibt, muß ich weit danach laufen. Und gibt es viel, bin ich ohne Verdienst. Aber in unserer Provinz herrscht überhaupt große Armut. Es heißt allgemein, daß uns nur noch die Götter helfen können. Zu meiner unaussprechlichen Freude erfahre ich von einem Vieheinkäufer, der viel herumkommt, daß einige der höchsten Götter schon unterwegs sind und auch hier in Sezuan erwartet werden dürfen. Der Himmel soll sehr beunruhigt sein wegen der vielen Klagen, die zu ihm aufsteigen. Seit drei Tagen warte ich hier am Eingang der Stadt, besonders gegen Abend, damit ich sie als erster begrüßen kann. Später hätte ich ja dazu wohl kaum mehr Gelegenheit, sie werden von Hochgestellten umgeben sein und überhaupt stark überlaufen werden. Wenn ich sie nur erkenne! Sie müssen ja nicht zusammen kommen. Vielleicht kommen sie einzeln, damit sie nicht so auffallen. Die dort können es nicht sein, die kommen von der Arbeit. Er betrachtet vorübergehende Arbeiter. Ihre Schultern sind ganz eingedrückt vom Lastentragen. Der dort ist auch ganz unmöglich ein Gott, er hat Tinte an den Fingern. Das ist höchstens ein Büroangestellter in einer Zementfabrik. Nicht einmal diese Herren dort zwei Herren gehen vorüber kommen mir wie Götter vor, sie haben einen brutalen Ausdruck wie Leute, die viel prügeln, und das haben die Götter nicht nötig. Aber dort, diese drei! Mit denen sieht es schon ganz anders aus. Sie sind wohlgenährt, weisen kein Zeichen irgendeiner Beschäftigung auf und haben Staub auf den Schuhen, kommen also von weit her. Das sind sie! Verfügt über mich, Erleuchtete! Er wirft sich zu Boden.

der erste gotterfreut: Werden wir hier erwartet?

wanggibt ihnen zu trinken: Seit langem. Aber nur ich wußte, daß ihr kommt.

der erste gott Da benötigen wir also für heute Nacht ein Quartier. Weißt du eines?

wang Eines? Unzählige! Die Stadt steht zu euren Diensten, o Erleuchtete! Wo wünscht ihr zu wohnen?

Die Götter sehen einander vielsagend an.

der erste gott Nimm das nächste Haus, mein Sohn! Versuch es zunächst mit dem allernächsten!

wang Ich habe nur etwas Sorge, daß ich mir die Feindschaft der Mächtigen zuziehe, wenn ich einen von ihnen besonders bevorzuge.

der erste gott Da befehlen wir dir eben: nimm den nächsten!

wang Das ist der Herr Fo dort drüben! Geduldet euch einen Augenblick! Er läuft zu einem Haus und schlägt an die Tür. Sie wird geöffnet, aber man sieht, er wird abgewiesen. Er kommt zögernd zurück.

wang Das ist dumm. Der Herr Fo ist gerade nicht zu Hause und seine Dienerschaft wagt nichts ohne seinen Befehl zu tun, da er sehr streng ist. Er wird nicht wenig toben, wenn er erfährt, wen man ihm da abgewiesen hat, wie?

die götterlächelnd: Sicher.

wang Also noch einen Augenblick! Das Haus nebenan gehört der Witwe Su. Sie wird außer sich sein vor Freude. Er läuft hin, wird aber anscheinend auch dort abgewiesen.

wang Ich muß dort drüben nachfragen. Sie sagt, sie hat nur ein kleines Zimmerchen, das nicht instand gesetzt ist. Ich wende mich sofort an Herrn Tscheng.

der zweite gott Aber ein kleines Zimmer genügt uns. Sag, wir kommen.

wang Auch wenn es nicht aufgeräumt ist? Vielleicht wimmelt es von Spinnen.

der zweite gott Das macht nichts. Wo Spinnen sind, gibt's wenig Fliegen.

der dritte gottfreundlich zu Wang: Geh zu Herrn Tscheng oder sonstwohin, mein Sohn, ich ekle mich vor Spinnen doch ein wenig.

Wang klopft wieder wo an und wird eingelassen.

stimme aus dem hause Verschone uns mit deinen Göttern! Wir haben andere Sorgen!

wangzurück zu den Göttern: Herr Tscheng ist außer sich, er hat das ganze Haus voll Verwandtschaft und wagt nicht, euch unter die Augen zu treten, Erleuchtete. Unter uns, ich glaube, es sind böse Menschen darunter, die er euch nicht zeigen will. Er hat zu große Furcht vor eurem Urteil. Das ist es.

der dritte gott Sind wir denn so fürchterlich?

wang Nur gegen die bösen Menschen, nicht wahr? Man weiß doch, daß die Provinz Kwan seit Jahrzehnten von Überschwemmungen heimgesucht wird.

der zweite gott So? Und warum das?

wang Nun, weil dort keine Gottesfurcht herrscht.

der zweite gott Unsinn! Weil sie den Staudamm verfallen ließen.

der erste gott Ssst! Zu Wang: Hoffst du noch, mein Sohn?

wang Wie kannst du so etwas fragen? Ich brauche nur ein Haus weiter zu gehen und kann mir ein Quartier für euch aussuchen. Alle Finger leckt man sich danach, euch zu bewirten. Unglückliche Zufälle, ihr versteht. Ich laufe! Er geht zögernd weg und bleibt unschlüssig in der Straße stehen.

der zweite gott Was habe ich gesagt?

der dritte gott Es können immer noch Zufälle sein.

der zweite gott Zufälle in Schun, Zufälle in Kwan und Zufälle in Sezuan! Es gibt keinen Gottesfürchtigen mehr, das ist die nackte Wahrheit, der ihr nicht ins Gesicht schauen wollt. Unsere Mission ist gescheitert, gebt es euch zu!

der erste gott Wir können immer noch gute Menschen finden, jeden Augenblick. Wir dürfen es uns nicht zu leicht machen.

der dritte gott In dem Beschluß hieß es: die Welt kann bleiben, wie sie ist, wenn genügend gute Menschen gefunden werden, die ein menschenwürdiges Dasein leben können. Der Wasserverkäufer selber ist ein solcher Mensch, wenn mich nicht alles täuscht. Er tritt zu Wang, der immer noch unschlüssig dasteht.

der zweite gott Es täuscht ihn alles. Als der Wassermensch uns aus seinem Maßbecher zu trinken gab, sah ich was. Dies ist der Becher. Er zeigt ihn dem ersten Gott.

der erste gott Er hat zwei Böden.

der zweite gott Ein Betrüger!

der erste gott Schön, er fällt weg. Aber was ist das schon, wenn einer angefault ist! Wir werden schon genug finden, die den Bedingungen genügen. Wir müssen einen finden! Seit zweitausend Jahren geht dieses Geschrei, es gehe nicht weiter mit der Welt, so wie sie ist. Niemand auf ihr könne gut bleiben. Wir müssen jetzt endlich Leute namhaft machen, die in der Lage sind, unsere Gebote zu halten.

der dritte gottzu Wang: Vielleicht ist es zu schwierig, Obdach zu finden?

wang Nicht für euch! Wo denkt ihr hin? Die Schuld, daß nicht gleich eines da ist, liegt an mir, der schlecht sucht.

der dritte gott Das bestimmt nicht. Er geht zurück.

wang Sie merken es schon. Er spricht einen Herrn an. Werter Herr, entschuldigen Sie, daß ich Sie anspreche, aber drei der höchsten Götter, von deren bevorstehender Ankunft ganz Sezuan schon seit Jahren spricht, sind nun wirklich eingetroffen und benötigen ein Quartier. Gehen Sie nicht weiter! Überzeugen Sie sich selber! Ein Blick genügt! Greifen Sie um Gottes willen zu! Es ist eine einmalige Gelegenheit! Bitten Sie die Götter zuerst unter Ihr Dach, bevor sie Ihnen jemand wegschnappt, sie werden zusagen.

Der Herr ist weitergegangen.

wangwendet sich an einen anderen: Lieber Herr, Sie haben gehört, was los ist. Haben Sie vielleicht ein Quartier? Es müssen keine Palastzimmer sein. Die Gesinnung ist wichtiger.

der herr Wie soll ich wissen, was deine Götter für Götter sind? Wer weiß, wen man da unter sein Dach bekommt.

Er geht in einen Tabakladen. Wang läuft zurück zu den dreien.

wang Ich habe schon einen Herren, der bestimmt zusagt. Er sieht seinen Becher auf dem Boden stehen, sieht verwirrt nach den Göttern, nimmt ihn an sich und läuft wieder zurück.

der erste gott Das klingt nicht ermutigend.

wangals der Mann wieder aus dem Laden herauskommt: Wie ist es also mit der Unterkunft?

der mann Woher weißt du, daß ich nicht selber im Gasthof wohne?

der erste gott Er findet nichts. Dieses Sezuan können wir auch streichen.

wang Es sind drei der Hauptgötter! Wirklich! Ihre Standbilder in den Tempeln sind sehr gut getroffen. Wenn Sie schnell hingehen und sie einladen, werden sie vielleicht zusagen.

der mannlacht: Das müssen schöne Gauner sein, die du da wo unterbringen willst. Ab.

wangschimpft ihm nach: Du schieläugiger Schieber! Hast du keine Gottesfurcht? Ihr werdet in siedendem Pech braten für eure Gleichgültigkeit! Die Götter scheißen auf euch! Aber ihr werdet es noch bereuen! Bis ins vierte Glied werdet ihr daran abzuzahlen haben! Ihr habt ganz Sezuan mit Schmach bedeckt! Pause. Jetzt bleibt nur noch die Prostituierte Shen Te, die kann nicht nein sagen.

Er ruft »Shen Te«. Oben im Fenster schaut Shen Te heraus.

wang Sie sind da, ich kann kein Obdach für sie finden. Kannst du sie nicht aufnehmen für eine Nacht?

shen te Ich glaube nicht, Wang. Ich erwarte einen Freier. Aber wie kann denn das sein, daß du für sie kein Obdach findest?!

wang Das kann ich jetzt nicht sagen. Ganz Sezuan ist ein einziger Dreckhaufen.

shen te Ich müßte, wenn er kommt, mich versteckt halten. Dann ginge er vielleicht wieder weg. Er will mich noch ausführen.

wang Können wir nicht inzwischen schon hinauf?

shen te Aber ihr dürft nicht laut reden. Kann man mit ihnen offen sprechen?

wang Nein! Sie dürfen von deinem Gewerbe nichts erfahren! Wir warten lieber unten. Aber du gehst nicht weg mit ihm?

shen te Es geht mir nicht gut, und wenn ich bis morgen früh meine Miete nicht zusammen habe, werde ich hinausgeworfen.

wang In solch einem Augenblick darf man nicht rechnen.

shen te Ich weiß nicht, der Magen knurrt leider auch, wenn der Kaiser Geburtstag hat. Aber gut, ich will sie aufnehmen. Man sieht sie das Licht löschen.

der erste gott Ich glaube, es ist aussichtslos.

Sie treten zu Wang.

wangerschrickt, als er sie hinter sich stehen sieht: Das Quartier ist beschafft. Er trocknet sich den Schweiß ab.

die götter Ja? Dann wollen wir hingehen.

wang Es hat nicht solche Eile. Laßt euch ruhig Zeit. Das Zimmer wird noch in Ordnung gebracht.

der dritte gott So wollen wir uns hierhersetzen und warten.

wang Aber es ist viel zuviel Verkehr hier, fürchte ich. Vielleicht gehen wir dort hinüber.

der zweite gott Wir sehen uns gern Menschen an. Gerade dazu sind wir hier.

wang Nur: es zieht.

der dritte gott Ist es dir hier angenehm?

Sie setzen sich auf eine Haustreppe. Wang setzt sich etwas abseits auf den Boden.

wangmit einem Anlauf: Ihr wohnt bei einem alleinstehenden Mädchen. Sie ist der beste Mensch von Sezuan.

der dritte gott Das ist schön.

wangzum Publikum: Als ich vorhin den Becher aufhob, sahen sie mich so eigentümlich an. Sollten sie etwas gemerkt haben? Ich wage ihnen nicht mehr in die Augen zu blicken.

der dritte gott Du bist sehr erschöpft.

wang Ein wenig. Vom Laufen.

der erste gott Haben es die Leute hier sehr schwer?

wang Die guten schon.

der erste gotternst: Du auch?

wang Ich weiß, was ihr meint. Ich bin nicht gut. Aber ich habe es auch nicht leicht.

Inzwischen ist ein Herr vor dem Haus Shen Tes erschienen und hat mehrmals gepfiffen. Wang ist jedesmal zusammengezuckt.

der dritte gottleise zu Wang: Ich glaube, jetzt ist er weggegangen.

wangverwirrt: Jawohl.

Er steht auf und läuft auf den Platz, sein Traggerät zurücklassend. Aber es hat sich bereits folgendes ereignet: Der wartende Mann ist weggegangen und Shen Te, aus der Tür tretend und leise »Wang« rufend, ist, Wang suchend, die Straße hinuntergegangen. Als nun Wang leise »Shen Te« ruft, bekommt er keine Antwort.

wang Sie hat mich im Stich gelassen. Sie ist weggegangen, um ihre Miete zusammenzubekommen, und ich habe kein Quartier für die Erleuchteten. Sie sind müde und warten. Ich kann ihnen nicht noch einmal kommen mit: Es ist nichts! Mein eigener Unterschlupf, ein Kanalrohr, kommt nicht in Frage. Auch würden die Götter bestimmt nicht bei einem Menschen wohnen wollen, dessen betrügerische Geschäfte sie durchschaut haben. Ich gehe nicht zurück, um nichts in der Welt. Aber mein Traggerät liegt dort. Was machen? Ich wage nicht, es zu holen. Ich will weggehen von der Hauptstadt und mich irgendwo verbergen vor ihren Augen, da es mir nicht gelungen ist, für sie etwas zu tun, die ich verehre.

Er stürzt fort.

Kaum ist er fort, kommt Shen Te zurück, sucht auf der anderen Seite und sieht die Götter.

shen te Seid ihr die Erleuchteten? Mein Name ist Shen Te. Ich würde mich freuen, wenn ihr mit meiner Kammer vorliebnehmen wolltet.

der dritte gott Aber wo ist denn der Wasserverkäufer hin?

shen te Ich muß ihn verfehlt haben.

der erste gott Er muß gemeint haben, du kämst nicht, und da hat er sich nicht mehr zu uns getraut.

der dritte gottnimmt das Traggerät auf: Wir wollen es bei dir einstellen. Er braucht es.

Sie gehen, von Shen Te geführt, ins Haus.

Es wird dunkel und wieder hell. In der Morgendämmerung treten die Götter wieder aus der Tür, geführt von Shen Te, die ihnen mit einer Lampe leuchtet. Sie verabschieden sich.

der erste gott Liebe Shen Te, wir danken dir für deine Gastlichkeit. Wir werden nicht vergessen, daß du es warst, die uns aufgenommen hat. Und gib dem Wasserverkäufer sein Gerät zurück und sage ihm, daß wir auch ihm danken, weil er uns einen guten Menschen gezeigt hat.

shen te Ich bin nicht gut. Ich muß euch ein Geständnis machen: Als Wang mich für euch um Obdach anging, schwankte ich.

der erste gott Schwanken macht nichts, wenn man nur siegt. Wisse, daß du uns mehr gabst als ein Nachtquartier. Vielen, darunter sogar einigen von uns Göttern, sind Zweifel aufgestiegen, ob es überhaupt noch gute Menschen gibt. Hauptsächlich um dies festzustellen, haben wir unsere Reise angetreten. Freudig setzen wir sie jetzt fort, da wir einen schon gefunden haben. Auf Wiedersehen!

shen te Halt, Erleuchtete, ich bin gar nicht sicher, daß ich gut bin. Ich möchte es wohl sein, nur, wie soll ich meine Miete bezahlen? So will ich es euch denn gestehen: ich verkaufe mich, um leben zu können, aber selbst damit kann ich mich nicht durchbringen, da es so viele gibt, die dies tun müssen. Ich bin zu allem bereit, aber wer ist das nicht? Freilich würde ich glücklich sein, die Gebote halten zu können der Kindesliebe und der Wahrhaftigkeit. Nicht begehren meines Nächsten Haus, wäre mir eine Freude, und einem Mann anhängen in Treue, wäre mir angenehm. Auch ich möchte aus keinem meinen Nutzen ziehen und den Hilflosen nicht berauben. Aber wie soll ich dies alles? Selbst wenn ich einige Gebote nicht halte, kann ich kaum durchkommen.

der erste gott Dies alles, Shen Te, sind nichts als die Zweifel eines guten Menschen.

der dritte gott Leb wohl, Shen Te! Grüße mir auch den Wasserträger recht herzlich. Er war uns ein guter Freund.

der zweite gott Ich fürchte, es ist ihm schlecht bekommen.

der dritte gott Laß es dir gut gehn!

der erste gott Vor allem sei gut, Shen Te! Leb wohl!

Sie wenden sich zum Gehen. Sie winken schon.

shen teangstvoll: Aber ich bin meiner nicht sicher, Erleuchtete. Wie soll ich gut sein, wo alles so teuer ist?

der zweite gott Da können wir leider nichts tun. In das Wirtschaftliche können wir uns nicht mischen.

der dritte gott Halt! Wartet einen Augenblick! Wenn sie etwas mehr hätte, könnte sie es vielleicht eher schaffen.

der zweite gott Wir können ihr nichts geben. Das könnten wir oben nicht verantworten.

der erste gott Warum nicht?

Sie stecken die Köpfe zusammen und diskutieren aufgeregt.

der erste gottzu Shen Te, verlegen: Wir hören, du hast deine Miete nicht zusammen. Wir sind keine armen Leute und bezahlen natürlich unser Nachtlager! Hier! Er gibt ihr Geld. Sprich aber zu niemand darüber, daß wir bezahlten. Es könnte mißdeutet werden.

der zweite gott Sehr.

der dritte gott Nein, das ist erlaubt. Wir können ihr ruhig unser Nachtlager bezahlen. In dem Beschluß stand kein Wort dagegen. Also auf Wiedersehen!

Die Götter schnell ab.

1 Ein kleiner Tabakladen

Der Laden ist noch nicht ganz eingerichtet und noch nicht eröffnet.

shen tezum Publikum: Drei Tage ist es her, seit die Götter weggezogen sind. Sie sagten, sie wollten mir ihr Nachtlager bezahlen. Und als ich sah, was sie mir gegeben hatten, sah ich, daß es über tausend Silberdollar waren. – Ich habe mir mit dem Geld einen Tabakladen gekauft. Gestern bin ich hier eingezogen, und ich hoffe, jetzt viel Gutes tun zu können. Da ist zum Beispiel die Frau Shin, die frühere Besitzerin des Ladens. Schon gestern kam sie und bat mich um Reis für ihre Kinder. Auch heute sehe ich sie wieder über den Platz kommen mit ihrem Topf.

Herein die Shin. Die Frauen verbeugen sich voreinander.

shen te Guten Tag, Frau Shin.

die shin Guten Tag, Fräulein Shen Te. Wie gefällt es Ihnen in Ihrem neuen Heim?

shen te Gut. Wie haben Ihre Kinder die Nacht zugebracht?

die shin Ach, in einem fremden Haus, wenn man diese Baracke ein Haus nennen darf. Das Kleinste hustet schon.

shen te Das ist schlimm.

die shin Sie wissen ja gar nicht, was schlimm ist, Ihnen geht es gut. Aber Sie werden noch allerhand Erfahrungen machen hier in dieser Bude. Dies ist ein Elendsviertel.

shen te Mittags kommen doch, wie Sie mir sagten, die Arbeiter aus der Zementfabrik?

die shin Aber sonst kauft kein Mensch, nicht einmal die Nachbarschaft.

shen te Davon sagten Sie mir nichts, als Sie mir den Laden verkauften.

die shin Machen Sie mir nur nicht jetzt auch noch Vorwürfe! Zuerst rauben Sie mir und meinen Kindern das Heim und dann heißt es eine Bude und Elendsviertel. Das ist der Gipfel. Sie weint.

shen teschnell: Ich hole Ihnen gleich den Reis.

die shin Ich wollte Sie auch bitten, mir etwas Geld zu leihen.

shen tewährend sie ihr den Reis in den Topf schüttet: Das kann ich nicht. Ich habe doch noch nichts verkauft.

die shin Ich brauche es aber. Von was soll ich leben? Sie haben mir alles weggenommen. Jetzt drehen Sie mir die Gurgel zu. Ich werde Ihnen meine Kinder vor die Schwelle setzen, Sie Halsabschneiderin! Sie reißt ihr den Topf aus den Händen.

shen te Seien Sie nicht so zornig! Sie schütten noch den Reis aus!

Herein ein ältliches Paar und ein schäbig gekleideter Mensch.

die frau Ach, meine liebe Shen Te, wir haben gehört, daß es dir jetzt so gut geht. Du bist ja eine Geschäftsfrau geworden! Denk dir, wir sind eben ohne Bleibe! Unser Tabakladen ist eingegangen. Wir haben uns gefragt, ob wir nicht bei dir für eine Nacht unterkommen können. Du kennst meinen Neffen? Er ist mitgekommen, er trennt sich nie von uns.

der neffesich umschauend: Hübscher Laden!

die shin Was sind denn das für welche?

shen te Als ich vom Land in die Stadt kam, waren sie meine ersten Wirtsleute. Zum Publikum: Als mein bißchen Geld ausging, hatten sie mich auf die Straße gesetzt. Sie fürchten vielleicht, daß ich jetzt nein sage. Sie sind arm.

Sie sind ohne Obdach.

Sie sind ohne Freunde.

Sie brauchen jemand. Wie könnte man da nein sagen?

Freundlich zu den Ankömmlingen: Seid willkommen! Ich will euch gern Obdach geben. Allerdings habe ich nur ein kleines Kämmerchen hinter dem Laden.

der mann Das genügt uns. Mach dir keine Sorge. Während Shen Te Tee bringt.