Der hungrige Planet - Paul Collier - E-Book
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Der hungrige Planet E-Book

Paul Collier

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Beschreibung

Unbequeme Thesen, die für eine intensive Debatte sorgen

Wir leben auf einem hungrigen Planeten – hungrig nach Rohstoffen für ein ständiges Wirtschaftswachstum und hungrig nach Nahrungsmitteln für die wachsende Weltbevölkerung. Klimaerwärmung und Raubbau an der Natur zerstören unsere Lebensgrundlagen. In diesem Buch fragt Paul Collier nach dem vermeintlich unüberbrückbaren Widerspruch zwischen Ökologie und Ökonomie und zeigt, wie wir den Hunger nach Wachstum stillen können, ohne unseren Planeten auszuplündern. Unter unserem verschwenderischen Umgang mit Rohstoffen leiden vor allem die Entwicklungsländer, die von Umweltzerstörung, Nahrungsmittelkrisen und Klimawandel besonders stark betroffen sind. Wie können wir den ärmsten Ländern helfen, die ständig wachsende Weltbevölkerung versorgen und unsere Lebensgrundlagen dennoch schützen? Paul Collier zeigt, wie wir unsere ökologischen und ökonomischen Interessen in Einklang bringen können. Denn nur wenn wir die Nutzung der natürlichen Ressourcen regulieren und uns Innovationen nicht verschließen, werden die Länder der untersten Milliarde der Armut entkommen und auch in den Industrieländern Wohlstand und Umwelt bewahrt.

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Seitenzahl: 343

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Paul Collier

Der hungrige Planet

WIE KÖNNEN WIR WOHLSTAND MEHREN, OHNE DIE ERDE AUSZUPLÜNDERN

Aus dem Englischen von Martin Richter

Siedler

Die englische Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel »The Plundered Planet. How To Reconcile Prosperity With Nature« bei Allen Lane, London. Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Mai 2011Copyright © Paul Collier 2010

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011

by Siedler Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbHUmschlaggestaltung: Rothfos + Gabler, Hamburg

Satz: Ditta Ahmadi, Berlin

ISBN 978-3-641-28504-3V001www.siedler-verlag.de

Für Stephanie (zwei Jahre) und Alexander (vier Jahre), die die natürlichen Ressourcen und Verbindlichkeiten erben werden, die wir ihnen hinterlassen, und die schon einiges über natürliche Unordnung wissen.

Inhalt

Vorwort

TEIL I Die Ethik der Natur

KAPITEL 1 Armut und Plünderung

KAPITEL 2 Hat die Natur einen Preis?

TEIL II Natur als Ressource

KAPITEL 3 Ein Fluch der Natur? Die politische Seite natürlicher Ressourcen

KAPITEL 4 Die Entdeckung natürlicher Ressourcen

KAPITEL 5 Die Aneignung natürlicher Ressourcen

KAPITEL 6 Der Verkauf des Familiensilbers

KAPITEL 7 Investieren in Investitionen

TEIL III Die Natur als Fabrik

KAPITEL 8 Ist Fisch eine natürliche Ressource?

KAPITEL 9 Natürliche Verbindlichkeiten

TEIL IV Die missverstandene Natur

KAPITEL 10 Natur und Hunger

TEIL V Natürliche Ordnung

KAPITEL 11 Die Wiederherstellung der natürlichen Ordnung

Anhang

Literaturhinweise

Register

Vorwort

ICH WUCHS AUF, BEVOR WIR NATUR entdeckten. Heute ist weithin anerkannt, dass wir mit der Natur schlecht umgehen. Das Thema wird in Blogs und auf Kongressen diskutiert, und »Umweltwissenschaften« sind zu einem wichtigen Teil der Lehrpläne geworden. Als ich zur Schule ging, hieß das Fach noch »Naturkunde«, und wir schliefen die meiste Zeit. Während andere sich in ihrem Studium mit Umweltproblemen beschäftigten, entdeckte ich die Tragödie globaler Armut und gescheiterter Lebensläufe. Die Chancen, die sich mir eröffneten, hatten meine Eltern nicht. In der weltweiten Armut erkannte ich denselben Mangel an Chancen im größeren Maßstab.

Umweltschutz wirkte damals wie der Luxus von Menschen, die ihren Wohlstand für gottgegeben hielten. Die Wiederherstellung des natürlichen Gleichgewichts und die Bekämpfung der globalen Armut sind jedoch zu den beiden entscheidenden Herausforderungen unserer Zeit geworden. Beide Ziele haben ihre Verfechter, die sich oft feindlich gegenüberstehen. Manche Umweltschützer in der entwickelten Welt sehen es mit Argwohn, dass der Wohlstand sich weltweit verbreitet, und sagen, das Wirtschaftswachstum werde den Planeten zerstören. Umgekehrt betrachten in den ärmeren Ländern der Welt – der untersten Milliarde – viele Menschen den Umweltschutz mit Argwohn und deuten ihn als Versuch der reicheren Länder, ihnen den Wohlstand vorzuenthalten. Auch ich habe inzwischen, mit Verspätung, die Bedeutung der Natur erkannt. Dieses Buch spiegelt meinen Versuch wider, das Ziel des globalen Wohlstands mit einer ethischen Haltung gegenüber der Natur zu verbinden. Der Ökonom Nicholas Stern sagt zu Recht, dass diese beiden Ziele einander bedingen. Wenn wir weiterhin zulassen, dass das natürliche Gleichgewicht unserer Umwelt zerstört wird, verhindert das die Beseitigung der globalen Armut. Wenn aber ein Teil der Welt weiterhin marginalisiert wird, wird das die Zusammenarbeit verhindern, von der die Wiederherstellung des natürlichen Gleichgewichts auf unserem Planeten abhängt. Und die beiden Ziele sind durch etwas noch Wichtigeres verbunden als die Gefahr dieses doppelten Scheiterns. Die Natur ist das wichtigste Gut der ärmsten Länder; wenn man verantwortungsvoll mit ihr umgeht, wird sie den Aufstieg dieser Länder zum Wohlstand befördern. Doch das Streben nach Wohlstand erhöht die Gefahr, dass die Natur ausgeplündert wird. Das natürliche Gleichgewicht – der verantwortungsvolle Umgang mit der Natur – kann Wohlstand bringen, aber Wohlstand allein kann kein natürliches Gleichgewicht herstellen.

Die Spannung zwischen Wohlstand und Plünderung liegt inzwischen offen zutage. Die reißende Nachfrage nach Rohstoffen hat die Preise von Rohstoffen und Nahrungsmitteln in beispiellose Höhen getrieben. Erst eine globale Finanzkrise hat sie wieder etwas gesenkt. Umgekehrt hat der Preisanstieg einen neuen Wettlauf um Afrika eröffnet und Kapital auf den Kontinent gepumpt. China, der Gigant unter den Schwellenländern, betritt ohne den historischen Ballast des Kolonialismus die Weltbühne; tatsächlich haben viele Länder der untersten Milliarde China lange Zeit als Verbündeten angesehen. Doch aus Sicht der reichen Länder ist Chinas Engagement in Afrika nicht nur eine unerwünschte Konkurrenz. Sie droht auch internationale Bemühungen, nach Jahrzehnten der Korruption und Ausbeutung den Umgang mit Rohstoffindustrien zu reformieren, zu untergraben. Der chinesische Präsident hat Afrika mit der Botschaft »Wir stellen keine unbequemen Fragen« bereist. Wird China also die unterste Milliarde endlich von den zähen Überresten des Kolonialismus befreien oder diese Länder in eine dunkle Vergangenheit zurückstoßen?

Während die Schwellenländer im Ausland Ressourcen aufkaufen, stoßen ihre Industrien im Inland CO₂ aus. Über die nächsten 20 Jahre will China jedes Jahr mehr Kraftwerke bauen als England insgesamt besitzt. Das CO₂ droht den Planeten zu überhitzen. Doch die Bedrohung ist auch zur Einnahmequelle geworden. Durch den im Kyoto-Protokoll festgelegten Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (Clean Development Mechanism, CDM) erhalten chinesische Firmen Geld dafür, dass sie nicht noch mehr CO₂ ausstoßen – ein Mechanismus, der an Schutzgeldzahlungen erinnert. Aus Sicht der Schwellenländer ist die verspätete Sorge der reichen Gesellschaften wegen der Verschmutzung aber Heuchelei. Sie machen nur das, was die reichen Länder schon lange tun. Wenn die reichen Länder wollen, dass sie sich anders verhalten, müssen die reichen Länder die Kosten tragen.

Die zunehmende Knappheit natürlicher Ressourcen und der Klimawandel haben in reichen Gesellschaften eine Weltuntergangsstimmung erzeugt. Das ist Musik in den Ohren der Romantiker, die glauben, wir müssten unser Verhältnis zur Natur radikal verändern und den Konsum zurückfahren. Der globale industrielle Kapitalismus ist endlich am Ende und erstickt an seinen eigenen Widersprüchen. Von Prinz Charles bis zu Demonstranten auf den Straßen propagieren sie eine Zukunft, in der die Menschheit wieder im Einklang mit der Natur lebt. Der Lebensstil der Zukunft wird organisch, ganzheitlich, autark, lokal und überschaubar sein. Wir sollen nicht nur unser Leben völlig ändern, wir sollen auch unsere Schuld bekennen, indem wir den Rest der Welt dafür entschädigen, dass wir die Natur geplündert und den Planeten überhitzt haben.

Die Gegenposition zu den Romantikern ist eine ignorante Vogel- Strauß-Haltung. Wenn es einen Kampf um Ressourcen geben wird, so wird es vor allem darum gehen, ihn zu gewinnen. Wer bei den Ländern der untersten Milliarde auf gute Regierungsführung pocht, überlässt den Chinesen das Feld. Die Einschränkung unseres CO₂-Ausstoßes bedroht unseren Lebensstil unnötig. Vielleicht verschlechtert sich das Klima ja gar nicht, und die Zukunft kann ohnehin für sich selbst sorgen. Beide, Romantiker und Ignoranten, haben zur Hälfte recht.

Die Romantiker haben darin recht, dass unser Umgang mit der Natur sehr schlecht ist und unsere Praktiken nicht zu rechtfertigen sind. Ihre Gegner haben darin recht, dass viel von dem, was über die Natur gesagt wird, lächerlich frömmelnd ist und die reichen Länder als Bösewichte und den Rest der Welt als ihre Opfer darstellt. Solche Selbstgeißelung ist unnötig und kontraproduktiv, denn sie macht Gesellschaften, die unverzichtbare Partner bei Lösungen des Problems sein werden, zu passiven Empfängern unserer Großzügigkeit.

Doch beide Gruppen haben auch zur Hälfte unrecht. Beide können uns ins Unglück führen, wenn auch auf verschiedenen Wegen. Unter Leitung der Romantiker würde die Welt verhungern, unter Leitung der Ignoranten würde sie verdorren. Die Romantiker sind eine ernste Bedrohung für die globale Landwirtschaft. Die Ignoranten sind Komplizen bei der Plünderung unserer natürlichen Ressourcen. Die Entscheidungen, die wir jetzt fällen, müssen jedoch auf dem Verantwortungsgefühl gegenüber den Armen wie auch gegenüber der Zukunft beruhen, nicht auf purem Eigeninteresse. Kurz gesagt, Der hungrige Planet ist für Menschen geschrieben, die weder von frommem Ekel für die moderne Welt erfüllt, noch moralisch abgestumpft sind. Diese Menschen reagieren zunehmend ungeduldig auf die Flut an Moralpredigten über unsere Pflicht, die Natur in dem Zustand zu erhalten, in dem wir sie vorgefunden haben, sie erkennen aber auch, dass ein unbekümmertes Ignorieren der Natur große Risiken birgt.

Die Natur ist wichtig, und wir gehen schlecht mit ihr um. Das trifft die Bewohner der ärmsten Länder am stärksten. Für sie bietet die Ausgangslage zugleich eine Chance und eine Bedrohung von gewaltigem Ausmaß. Mein Thema ist nicht, wie die Natur als Wert an sich bewahrt werden kann, sondern wie sie dazu dienen kann, Gesellschaften aus der Armut zu führen, ohne allen anderen übergroße Lasten aufzubürden. Mein Leitstern für das, was vernünftigerweise von uns erwartet werden kann, ist jene gesunde Mischung aus Mitgefühl und Eigeninteresse, mit der wohl die meisten von uns versuchen, ihr Leben zu führen.

Die Chance, die die Natur den Ländern der untersten Milliarde bietet, liegt im enormen Wert ihrer natürlichen Ressourcen. Während des Rohstoffbooms der Jahre 2005 bis 2008 wurde auf dem Gebiet der ärmsten Länder der Erde allein Öl im Wert von rund einer Billion Dollar gefördert. Das Sprudeln des neuen Geldes hätte die Transformation dieser Länder finanzieren können. Einen ähnlichen, aber schwächeren Boom hatte es bereits in den siebziger Jahren gegeben. Wie inzwischen viele schmerzhaft erkannt haben, wurde damals eine Chance vertan: Die Einkünfte aus natürlichen Ressourcen wurden geplündert, teils durch ausländische Firmen, teils durch korrupte Politiker und auch durch öffentliche Kurzsichtigkeit. Mitunter nahm die Plünderung zerstörerische Ausmaße an und verwandelte die Chance in eine Katastrophe. Wie ich zeigen werde, ist selbst der Boom der Jahre 2005 bis 2008 nur ein Bruchteil der Einkünfte, die man mit Rohstoffen erzielen könnte. Die zentrale Frage ist, ob sich genug geändert hat, damit diese Mittel nicht verschwendet werden.

Der Rohstoffboom von 2005 bis 2008 war zwar eine gewaltige Chance, aber auch ein zweischneidiges Schwert, denn der Preisanstieg bei den Grundnahrungsmitteln traf die verletzlichsten Menschen auf der Welt. Slumbewohner in den großen Küstenstädten kauften ihre Lebensmittel zu Preisen, die vom Weltmarkt bestimmt wurden. Schon vor dem Preisanstieg waren solche Haushalte kaum über die Runden gekommen, weil sie die Hälfte ihrer Einkünfte für Lebensmittel ausgaben. Im Lauf der Jahrhunderte ist von hungrigen Slumbewohner immer wieder politischer Protest ausgegangen. Wenn die Preise stiegen, wurden Hauptstädte von Unruhen erschüttert und manchmal Regierungen gestürzt, wie zum Beispiel in Haiti. Der globalen Landwirtschaft war es nicht gelungen, mit der weltweiten Nachfrage Schritt zu halten.

Der Klimawandel verschärft die Nahrungsmittelknappheit noch. Für die unterste Milliarde ist die Erderwärmung kein langsamer Vorgang, sie bekommen die Folgen der Überhitzung als erste zu spüren. Das Klima in diesen Ländern ist jetzt schon zu heiß, und die meisten Modelle sagen voraus, dass es sich schneller und drastischer verschlechtert als in anderen Regionen. In Afrika, wo sich die meisten Länder der untersten Milliarde befinden, erwärmt sich das Klima bereits jetzt. Diese Länder sind doppelt gefährdet: Sie spüren nicht nur den Klimawandel am heftigsten, ihre agrarischen Volkswirtschaften sind auch stärker vom Klima abhängig als die von Industrie und Dienstleistungen geprägten Volkswirtschaften der reicheren Länder.

Doch dies eröffnet den Ländern der untersten Milliarde auch eine potenzielle Chance. Der Klimawandel wird von der unkontrollierten Zunahme einer natürlichen Verbindlichkeit angetrieben: Kohlendioxid. Wegen ihrer Armut stoßen die armen Länder wenig CO₂ aus, und als Teil eines globalen Deals könnten sie Emissionsrechte erwerben, die den früheren Emissionen der reichen Länder entsprechen. Der Verkauf von Emissionsrechten würde zu einem neuen natürlichen Vermögenswert.

Potenziell sind die Chancen weit größer als die Gefahren. Die Gefahren durch die Natur sind nicht unausweichlich, sie entstehen, weil viele natürliche Ressourcen der Plünderung besonders stark ausgesetzt sind. Plünderung ist ein ökonomisches Phänomen: Bei falschen Anreizen werden natürliche Ressourcen verschleudert und natürliche Verbindlichkeiten ohne nötige Vorsorge für die Zukunft angehäuft. Doch wenn man ökonomisches Handeln verstanden hat, kann man es verändern.

In einer idealen Welt würden sich die großen Forschungszentren, die sich der Probleme der untersten Milliarde widmen, auch in diesen Ländern befinden. Aber in einer idealen Welt gäbe es keine unterste Milliarde. Die Armut dieser Gesellschaften hat dazu geführt, dass ihre Universitäten ein Leben an den Rändern der internationalen Forschungslandschaft fristen, während ihre besten Köpfe von reicheren Institutionen in anderen Ländern abgeworben werden. Die ernsthafte Forschung über die ärmsten Gesellschaften und darüber, wie sich die Natur am besten zu ihrem Vorteil nutzen lässt, konzentriert sich deswegen in einigen wenigen Universitäten in Nordamerika und Europa.

Oxford ist eines dieser Zentren, das Wissenschaftler aus der ganzen Welt anzieht. Mein Team junger Forscher ist hierfür ein Beispiel, und dieses Buch basiert weitgehend auf ihrer Arbeit: Stefan Dercon stammt aus Belgien, Benedikt Goderis aus Holland, Anke Hoeffer aus Deutschland, Victor Davies aus Sierra Leone, Lisa Chauvet und Marguerite Duponchel aus Frankreich und Chris Adam, wie ich, aus England. Ein großer Teil der intellektuellen Arbeit wurde aber von meinem Kollegen Tony Venables geleistet; es gibt kaum eine Idee in diesem Buch, die wir nicht gemeinsam entwickelt oder diskutiert haben. Für die Ideen ist Tony zwar mitverantwortlich, für die Fehler bei der Ausführung aber ich allein. Ich habe versucht, diese Ideen aus der präzisen, aber schwer verständlichen Sprache der modernen Wirtschaftswissenschaft in eine Form zu übersetzen, die auch außerhalb des engen Zirkels an Fachleuten gelesen werden kann.

Um ein Buch zu schreiben, braucht man Ruhe. Die unerwartete Ankunft von Alex und Stephanie brachte eine frohe natürliche Unordnung in unser Leben. Innerhalb dieser Unordnung schuf meine Frau Pauline eine kleine Festung, in der Der hungrige Planet entstehen konnte. Sie ist Umwelthistorikerin, darum habe ich auch ihre Ideen geplündert. Tatsächlich könnte unsere Ehe eine Metapher für das größere Thema dieses Buches sein: wie Umweltschützer und Ökonomen von einem Bündnis profitieren können.

TEIL I Die Ethik der Natur

KAPITEL 2 Hat die Natur einen Preis?

DIE ZORNIGEN TRÄNEN EINES KINDES verlangen Aufmerksamkeit. Der achtjährige Daniel hat gerade vom brasilianischen Regenwald erfahren, und das hat seinen ersten Ausdruck politischer Entrüstung hervorgerufen. Sie richtet sich gegen mich, nicht als sein Vater, sondern als Repräsentant der Generation von Erwachsenen, die etwas Wertvolles zerstören, bevor er alt genug ist, um uns aufzuhalten. Zwischen zornigen Schluchzern ruft er: »Sag’s dem Präsidenten!« Da er mich einmal im Fernsehen gesehen hat, hat Daniel eine etwas übertriebene Vorstellung von meinen Einflussmöglichkeiten. Achtjährige sind im Allgemeinen kein Maßstab für vernünftiges Verhalten, und Daniel ist keine Ausnahme. Aber zufällig richtet sich sein Zorn an die richtige Adresse. Auf dem Schlachtfeld um natürliche Vermögenswerte haben Sohn und Vater ethisch klar Stellung bezogen.

Zunächst die linke Flanke. Ich stimme mit den Umweltschützern überein, dass die Natur etwas ganz Besonderes ist; in irgendeiner Form erkennen das die meisten von uns an. Aber warum ist die Natur etwas Besonderes? Mainstream-Umweltschützer wie Stewart Brand haben darauf eine Antwort. Die Natur ist besonders verletzlich, und das ist von Bedeutung, weil die Menschheit von ihr abhängig und daher ebenfalls verletzlich ist. Doch wie Brand sagt, tragen viele Umweltschützer ideologisches Gepäck mit sich herum, das sie abwerfen müssen. Romantische Umweltschützer können die Natur nicht mit dem profanen Geschäft der Wirtschaft in Einklang bringen, sie betrachten sie als ethisch höherwertig. In Anknüpfung an Baron d’Holbachs Diagnose der modernen Angst meinen sie, dass der Industriekapitalismus uns von der Natur entfernt hat, die er rasch zerstört. Man spürt das Unbehagen der Umweltschützer an der modernen Industriegesellschaft in ihrer Sprache, die voller Wörter ist wie »organisch« und »ganzheitlich«. Eine aktuelle Variante des Themas ist die renommierte Dimbleby-Lecture der BBC, die 2009 von Prinz Charles gehalten wurde.

Vielleicht muss der Mensch zu einer einfacheren, nichtindustriellen Lebensweise zurückkehren. Prinz Charles produziert Bio-Lebensmittel und hat ein Dorf namens Poundsbury im Stil des 18. Jahrhunderts gegründet – des letzten Zeitalters vor der Industrialisierung. Am extremen Ende der romantischen Umweltschützer ist die Diagnose noch radikaler: Die Menschheit selbst ist zum Feind des wahrhaft Guten geworden. Diese Gefühle spiegeln sich in einem Kult, der mit wohligem Grusel die Auslöschung der Menschheit erwartet. Denn erst dann kann die Natur sich wieder erholen. Geschichten über die Erde nach dem Ende der Menschheit finden ein großes Publikum. Der romantische Flügel der Umweltschützer scheint bereit zu sein, die Industriegesellschaft zu opfern, um die Natur zu erhalten; der extreme Flügel scheint bereit, die Menschheit zu opfern.

Wem gehört die Natur?

ICH BEZWEIFLE, DASS MEIN SOHN Daniel ein romantischer Umweltschützer ist. Die Quelle seines Zorns lässt sich nicht plausibel darauf zurückführen, dass er sich in der modernen Industriegesellschaft unwohl fühlt. Ich wünschte sogar, er fühlte sich etwas weniger wohl darin, denn ihre Bruchstücke sind über sein ganzes Zimmer verstreut. Natürlich machte er sich Sorgen um den Regenwald, weil er unersetzlich ist. Doch er war zornig, weil er das Gefühl hatte, dass seine Besitzrechte angegriffen wurden. Kinder haben ein deutliches Besitzempfinden; sie wissen, was ihnen gehört, und wollen es für gewöhnlich auch behalten. Aber warum hat Daniel das Gefühl, Rechte am brasilianischen Regenwald zu haben? Schließlich hat er ihn noch nie gesehen. Er erhebt keine Ansprüche dieser Art auf das neue Auto unseres Nachbarn, das er jeden Tag sieht und im Vergleich zu dem unser altgedientes Exemplar so unvorteilhaft aussieht. Der Grund liegt darin, dass der brasilianische Regenwald eine besondere Art von Vermögenswert ist: ein natürlicher Vermögenswert. Und das Besondere an natürlichen Vermögenswerten ist ihr Eigentumsstatus. Natürliche Vermögenswerte haben keine natürlichen Eigentümer. Diese These hat weitreichende Implikationen, etwa beim Nachdenken über den Klimawandel. Zuallererst rückt sie aber die Regierung ins Zentrum des Handelns.

Alle Eigentumsrechte an Vermögenswerten sind soziale Konstrukte, aber bei menschengemachten Vermögenswerten folgt das ursprüngliche Eigentumsrecht direkt aus ihrer Herstellung: die Firma, die das Auto baut, besitzt es auch, kann es mir aber verkaufen. Da alle Besitzrechte soziale Konstrukte sind, können wir natürlich die Eigentümerschaft begrenzen und tun das auch. Obwohl das Auto der Firma gehört, die es verkauft, führt sie einen Teil des Profits an die Regierung ab, wenn sie es mit Gewinn verkauft. Die Idee, dass die Schaffung eines Vermögenswerts Eigentumsrechte verleiht, ist ethisch wie praktisch sinnvoll. Ethisch, weil der Erzeuger Anstrengung und Kapital in die Schaffung des Vermögenswerts gesteckt hat, und praktisch, weil es keinen Anreiz zur Schaffung neuer Vermögenswerte gäbe, wenn sie sofort enteignet würden. Aus diesem Grund werden die ursprünglichen Eigentumsrechte des Erzeugers des Vermögenswerts fast vom ganzen politischen Spektrum akzeptiert, mit Ausnahme radikaler Kommunisten.

So viel zu menschengemachten Vermögenswerten. Natürliche Vermögenswerte sind etwas anderes. Per definitionem sind sie nicht von Menschen gemacht. Manche Menschen glauben, sie wurden von Gott gemacht, andere glauben, vom Zufall. In jedem Fall gibt ihre Entstehung keinen Hinweis darauf, wem sie gehören sollten. Wenn man sich erinnert, dass natürliche Substanzen erst durch technische Entdeckungen ihren Wert gewinnen, sollten dann die Erfinder dieser Technologie einen Anspruch auf die daraus entstehenden natürlichen Vermögenswerte haben? Sollte etwa die finnische Firma Nokia, die die ersten Handys entwickelte, die Rechte am afrikanischen Coltan besitzen? Sollten die Autofirmen das Öl der Welt besitzen? Das klingt nicht nach einer vernünftigen ethischen Forderung. Natürliche Vermögenswerte haben einfach keine natürlichen Eigentümer, daher können Gesellschaften die Rechte so vergeben, wie sie wollen. Der Prozess, durch den Eigentumsrechte an natürlichen Vermögenswerten erworben werden, hat wichtige ökonomische Implikationen für die Einkommensverteilung und für die Effizienz. Stellen wir uns eine Gesellschaft ohne Regierung vor. Keine Autorität wäre dazu in der Lage, Eigentumsrechte an natürlichen Vermögenswerten festzulegen und durchzusetzen.

In dieser Gesellschaft kommt es nur auf die physische Kontrolle über den Vermögenswert an. Das führt zu drei Problemen: ungleiche Verteilung, Einflussnahme (rent-seeking) und Unsicherheit. Ungleiche Verteilung entsteht zum Teil, weil die Starken gegenüber den Schwachen im Vorteil sind, sie wird aber vom Zufall noch verschärft: Manche Regionen sind wohlhabender als andere. Wenn wir uns vorstellen, dass die Bevölkerung sich in den beiden Kategorien Stärke und Glück unterscheidet, so werden sich die Starken und vom Glück Begünstigten überproportional viel von den natürlichen Vermögenswerten aneignen. »Rent-seeking«, das Anstreben von Renten, ist der Fachbegriff für Methoden der Besitzaneignung, einschließlich der Gewalt. Die ökonomischen Grundregeln besagen, dass der Wert natürlicher Ressourcen, die formal als unverdiente »Renten« bezeichnet werden, durch die Kosten ihres »Anstrebens« ausgeglichen wird, so dass ihr potenzieller sozialer Wert durch die entstehenden Kosten aufgefressen wird. Wenn es keine wirksamen Regeln gibt, wird zwangsläufig Unsicherheit herrschen, ob die aktuelle Kontrolle über einen natürlichen Vermögenswert aufrechterhalten werden kann. Wird die Kontrolle als nur vorübergehend angesehen, so besteht der private Anreiz, die Vermögenswerte so schnell wie möglich auszubeuten, auch wenn das höhere soziale Kosten erfordert als nötig. Aus diesem Grund werden natürliche Ressourcen, die leicht zu finden sind, rasch geplündert. Amerikaner wissen das nur zu gut. Als der Westen besiedelt wurde, wurden trotz niedriger Bevölkerungsdichte die riesigen Bisonherden so stark gejagt, dass sie fast ausstarben.

2008 sah ich ein anderes Beispiel für Plünderung, als ich in einem russischen Hubschrauber die Insel Hispaniola überflog. Columbus gab der Insel, die er vor Amerika zuerst erreichte, ihren Namen. Heute verläuft in ihrer Mitte die Grenze zwischen der Dominikanischen Republik und Haiti. Während die Dominikanische Republik gut regiert wurde, ist Haiti seit langem ein Synonym für schwache und korrupte Regierungspraxis. In ländlichen Gebieten ist die Regierung nur minimal präsent. Die Nordküste Haitis, über die ich flog, ist ein beliebtes Ziel für Kreuzfahrtschiffe, aber viele Touristen wissen nicht einmal, dass sie dort ankern; in den Prospekten wird die Insel immer noch Hispaniola genannt. Ich war dort, weil UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon mein Buch Die unterste Milliarde gelesen hatte. Da er erkannte, dass Haiti unter vielen der Probleme litt, die ich zu analysieren versucht hatte, schickte er mich in der Hoffnung dorthin, ich könnte nützlich sein. Haiti besaß einmal eine natürliche Ressource – seine Wälder. Aber die sind verschwunden. Während ich die Landschaft überflog, sah ich unter mir kahle Hügel. Kahle Hügel und noch mehr kahle Hügel, dann plötzlich Bäume, Bäume, Bäume. Der Hubschrauber hatte die Grenze zur Dominikanischen Republik überflogen. Auf der Seite Haitis sind noch zwei Prozent des Landes von Bäumen bedeckt, auf der Seite der Dominikanischen Republik sind es 37 Prozent. Hispaniola ist keine große Insel, und die Verteilung des Waldes lässt sich nicht auf ein unterschiedliches Klima zurückführen. Tatsächlich waren in den zwanziger Jahren über 60 Prozent Haitis von Bäumen bedeckt. Der entscheidende Unterschied lag in der Regierungsführung. Mangels gesicherter Eigentumsrechte waren die Bäume auf Haiti geplündert worden.

Bisons und Bäume sind gefährdet, weil sie gut sichtbar sind. Verborgene natürliche Vermögenswerte leiden unter dem Gegenteil: Sie werden ignoriert. Weil Entdeckungen nicht geschützt werden, gibt es keinen Anreiz für die Suche. Es ist effizienter, so lange zu warten, bis andere etwas finden, und ihnen die Kontrolle dann durch größere Stärke zu entreißen. Also bleiben diese Ressourcen unentdeckt. Da der Kontrollverlust über einen natürlichen Vermögenswert, den man gefunden hat, wahrscheinlich unangenehm sein wird, besteht sogar ein Anreiz zu ignorieren, was vorhanden sein könnte.

Wertvolle natürliche Ressourcen wie Öl und Metalle liegen bis zu ihrer Entdeckung unter der Erde. Man nennt sie auch unterirdische Vermögenswerte. Im Jahr 2000 stellte die Weltbank ein globales Verzeichnis dieser Bodenschätze zusammen. Für jedes Land trug sie die Entdeckungen zusammen, Mineral für Mineral. Angola beispielsweise hatte schon viele Millionen Barrel Öl auf seinem Territorium entdeckt. Die Weltbank multiplizierte dann die bekannten Reserven jedes Minerals mit seinem Weltmarktpreis und addierte sie, um die natürlichen Vermögenswerte jedes Landes zu bewerten. Zwangsläufig waren manche Länder dabei begünstigter als andere. Länder wie Brunei und Kuwait hatten gewaltige natürliche Ressourcen und sehr wenige Menschen; diese glücklichen Bürger sind natürliche Millionäre. Allgemein zeigt dieses Bild aber, dass natürliche Vermögenswerte auf der Welt offenbar sehr ungleich verteilt sind.