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Imad Mustafa

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Beschreibung

Der Islam in Deutschland unterliegt einer diskursiven Dynamik, die muslimisches Leben immer wieder als problematischen Gegenspieler westlicher Kultur und Zivilisation entwirft. Die Politik ist davon nicht ausgenommen: Bedrohungsszenarien, Kulturängste und Ausgrenzungen sind sowohl in Parteien als auch bei Bundestagsabgeordneten zu finden. Imad Mustafa spürt anhand von Parteiprogrammen und Debatten auf Bundes- und Landesebene seit 2015 der Konstruktion dichotomer Differenzordnungen nach. Damit stellt er nicht nur die dominierenden Deutungsmuster im Parteiensystem hinsichtlich Islam und Muslim*innen heraus, sondern zeigt auch Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Parteien auf.

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Imad Mustafa

»Der Islam gehört (nicht) zu Deutschland«

Islam und antimuslimischer Rassismus in Parteiensystem und BundestagUnter Mitarbeit von Bailey Ojiodu-Ambrose und Manal Laabich

Die Studie wurde im Auftrag des Unabhängigen Expert*innenkreises Muslimfeindlichkeit (UEM) durchgeführt.

Die Studie wurde gefördert durch das Bundesministerium des Inneren und für Heimat.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 Lizenz (BY). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für beliebige Zwecke, auch kommerziell.https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenangabe) wie z.B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber.

Erschienen 2023 im transcript Verlag, Bielefeld © Imad Mustafa

Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld

Korrektorat: Luna Steinmüller

Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar

https://doi.org/10.14361/9783839467565

Print-ISBN: 978-3-8376-6756-1

PDF-ISBN: 978-3-8394-6756-5

EPUB-ISBN: 978-3-7328-6756-1

Buchreihen-ISSN: 2702-9050

Buchreihen-eISSN: 2702-9069

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.

Inhalt

 

Vorwort

1.Einleitung

1.1Literaturschau

1.2Viele Begriffe, ein Phänomen? Islamfeindlichkeit, Islamophobie und antimuslimischer Rassismus

2.Der antimuslimische Rassismus und seine dominanten Dimensionen: Bedrohung, Ausgrenzung, Kulturalisierung

2.1Bedrohungsszenarien: Die feindlichen Anderen?

2.2Ausgrenzungen: Die inneren Anderen?

2.3Kulturangst: Die fremden Anderen?

3.Rassismuskritische Diskursanalyse

3.1Materialauswahl und Vorgehen

4.Der Islam im deutschen Parteiensystem

4.1Der Islam in Parteidokumenten

4.2Synoptische Analyse der Programme

4.3Der Islam im Bundestag

4.4Synoptische Analyse der Bundestagsdebatten

5.Fazit

Dokumentation: »Der Islam gehört (nicht) zu Deutschland«

A1.Parteiprogramme

A2.Öffentlicher Diskurs

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Vorwort

Vom amtierenden Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier hört man, dass er die 2010 vom früheren Bundespräsidenten Christian Wulff geprägte Zugehörigkeitsformel »Der Islam gehört zu Deutschland« nicht mehr für zeitgemäß hält. Wulff hatte die auch von Wolfgang Schäuble und Angela Merkel benutzte Formulierung als Reaktion auf die Sarrazin-Debatte bekräftigt. Sein Nachfolger Joachim Gauck vermied das Bekenntnis zum deutschen Islam und sprach lieber davon, »Muslime« seien Teil des deutschen Staates. Seitdem haben sich abgeschwächte Sprechvarianten wie »Muslim*innen sind Teil der deutschen Gesellschaft« in deutschen politischen Führungsämtern durchgesetzt. »Der Islam gehört zu Deutschland« ist aus der Mode gekommen.

Nun gibt es durchaus Gründe, die Zeitgemäßheit der Islam-Formel in Frage zu stellen. Nicht nur gibt es sehr viele andere Anspruchsgruppen zum Beispiel im Kontext von LGBTQI+, die sich ebenfalls eine symbolische politische Integration und Inschutznahme wünschen, so dass der Parolenkatalog für die Politik rasch endlos werden könnte. Auch kann man sich fragen, ob »gehört zu« nicht purer Kulturalismus ist, denn in einer offenen Gesellschaft besitzt niemand ein Interpretationsmonopol für derartige Setzungen. Der multikulturelle Nationalismus ist gut gemeint. Der integrationistische Hund beißt sich aber irgendwie in den liberal-demokratischen Schwanz.

Dennoch kann man der Absetzbewegung der deutschen Politik, die sich nicht mehr klar zum Islam als Teil von Deutschland bekennen möchte, auch kritisch begegnen. Der Kampf um diese Formel ist längst zu einem kulturkämpferischen Code geworden, an dessen Grenzen viele – nicht nur Muslim*innen selbst – abzulesen versuchen, ob es der deutsche Staat mit dem Kampf gegen Muslimfeindlichkeit ernst meint. Und das mit gutem Grund. Wenn empirisch nachgewiesen ist, dass die Mehrheit derjenigen, die sich in Deutschland durchaus gegen Rassismus und für Toleranz aussprechen, wiederum muslimfeindliche Einstellungen aufweisen,1 dann bleibt die allgemeine Rede von der neuen »Zuwanderungsgesellschaft« oder dem erfreulichen »Migrationshintergrund« wirkungslos. Sie trifft nicht den Kern des antimuslimischen Rassismus in diesem Land, in dem jeder zweite Mensch muslimfeindliche Einstellungen besitzt, weil derartige Überzeugungen bis tief in die Mitte der bürgerlichen Gesellschaft hinein als salonfähig gelten.2 Der Islam wird hier nicht als Religion betrachtet, der gegenüber man Toleranz walten lassen muss, sondern als eine gefährliche und mit der »westlichen« Zivilisation unverträgliche Ideologie. Diese – man muss es so nennen – pauschale, uninformierte und am Ende rassistische Haltung ist der Brückendiskurs zwischen einem großen Teil der gesellschaftlichen Mitte und der rechtspopulistischen und in Teilen rechtsextremistischen Alternative für Deutschland (AfD), deren Parteiprogramme vor Varianten der Aussage »Der Islam gehört nicht zu Deutschland« nur so wimmeln. Die verfassungsfeindlichen Kräfte in unserem Land halten derartige Aussagen also für durchaus zeitgemäß.

Deswegen ist die Frage so bedeutsam, die Imad Mustafa in seinem Buch stellt, ob die politische Elite in Deutschland Muslim*innen nicht doch viel eindeutiger vor Vorurteilen, Beschimpfungen und tätlichen Angriffen schützen muss, die sie in diesem Land täglich erleben. Wenn die Weigerung vom Islam als Teil Deutschlands zu sprechen als ein Zugehörigkeitsvorbehalt interpretiert werden kann, dann ist dies Wasser auf die Mühlen des Rechtsextremismus, der sich durch demokratische Institutionen geradezu ermächtigt fühlen dürfte.

Ist die »Brandmauer« gegenüber der AfD, von der alle anderen Parteien immer gerne sprechen, auf eine gewisse Art im subtilen Alltagshandeln der Politik längst zusammengebrochen? Ist es dem reaktionären Zeitgeist gelungen, den symbolischen politischen Aufbruch, der ursprünglich interessanterweise vom konservativen Lager ausging (Schäuble, Wulff, Merkel), zu stoppen? Schaffen es autoritäre Populisten und Extremisten einer immer kleiner werdenden weißen Bevölkerungsschicht, sich die kulturelle Hegemonie gegen alle Gesetzmäßigkeiten der Verfassung und der wachsenden Multikulturalität der Gesellschaft für einige weitere Jahre zu sichern?

Mustafa zeigt in seinem Werk, wie die meisten politischen Parteien in Deutschland sehr wohl ein langsam wachsendes Bewusstsein für die Probleme von Muslimfeindlichkeit entwickeln. Er weist nach, wie in einigen Sternstunden des deutschen Bundestages der AfD Paroli geboten worden ist und wie deutsche Politiker*innen sich in couragierter Form vor Minderheiten gestellt haben – dafür gebührt der Politik hierzulande durchaus einmal Applaus! Die AfD hat es keineswegs geschafft, den Diskurs der deutschen politischen Klasse beliebig nach rechts zu verschieben. Die deutsche politische Kultur ist bislang auch anders als die anderer europäischer Staaten stark genug, Verfassungsfeinde wie die AfD, die unter anderem die Religionsfreiheit von Muslim*innen einschränken wollen und deren Verbot offen diskutiert wird,3 von Regierungsverantwortung fernzuhalten.

Unterhalb dieser scheinbaren Wehrhaftigkeit der Demokratie droht allerdings ein Vakuum zu entstehen, weil weder auf der Ebene der Symbolpolitik noch in anderen Feldern des Regierungshandelns Muslimfeindlichkeit wirklich bekämpft wird. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht 2022 finden sich nur wenige Hinweise auf Islam- bzw. Muslimfeindlichkeit – dem extremistischen Islamismus aber wird ein ganzes Kapitel gewidmet. Die mangelnde Sensibilität gegenüber antimuslimischem Rassismus findet sich in allen Ecken des politischen Systems. Ein großer Teil deutscher Polizist*innen hegt muslimfeindliche Anschauungen: ein Drittel befürchtet, dass Deutschland ein muslimisches Land werde; die Mehrheit möchte nicht in muslimisch geprägten Stadtteilen leben.4 Das liegt durchaus im Trend der allgemeinen Bevölkerungsstatistik, ist aber eben auch nicht besser. Von »Bürger*innen in Uniform« müsste man eigentlich ein differenzierteres Weltbild erwarten können, Schulungen und Milieuvernetzung müssten verbessert werden, die Sicherheits- wie auch andere Behörden von innen reformiert. Gerade Migrant*innen aus der Türkei, Westasien oder Afrika sind von Racial Profiling betroffen. Muslimfeindliche Straftaten wiederum werden vielfach gar nicht als solche erkannt. Die NSU-Morde und Hanau haben gezeigt, dass der Staat nicht so antirassistisch-wehrhaft ist, wie man sich dies wünscht und oft eher Teil des Problems als der Lösung ist. Der Deutsche Bundestag ist seinerseits bislang allenfalls bereit, die Zumutungen der AfD verbal zurückzuweisen – echte gesetzgeberische Reformprozesse leitet er in vielen Bereichen nicht ein.

Passivität und Reformverweigerung von Institutionen gelten heute in der Rassismustheorie zu Recht als Teil eines institutionellen bzw. strukturellen Rassismus. Diskriminierende Denk- und Handlungsroutinen (von durchaus schwer arbeitenden Staatsbeamt*innen!) nicht zu durchbrechen, ist ein Versäumnis, das ebenso schwer wiegt wie offener Rassismus. Die Liste der politischen Versäumnisse in Deutschland aber ist lang und wird immer länger. Es bleibt nur zu hoffen, dass der Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit (UEM) des Bundesinnenministeriums von 2023 Anlass zu einem grundlegenden Überdenken der strukturellen Muslimfeindlichkeit sein wird.

Mustafa hat zum Entstehen des UEM-Berichts durch ein brillantes Gutachten zu Parteiprogrammen und Bundestagesdebatten, das die Grundlage für das hier vorgelegte Buch gewesen ist, ganz wesentlich beigetragen. Sein Verdienst ist es, dass erstmals seit dem Einzug der AfD in den Bundestag ein umfassender Überblick über das politische Denken im Innenraum der Legislative entstanden ist, das Fortschritte sowie Stagnationstendenzen und Rückschritte im Bereich der politischen Ideologien und Diskurse konkret empirisch nachweist. Seine Arbeit sollte daher die allergrößte Beachtung erfahren.

Kai HafezErfurt, den 2. Juli 2023

1Kai Hafez/Sabrina Schmidt (2015), Die Wahrnehmung des Islams in Deutschland. Religionsmonitor – verstehen was verbindet, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, S. 27-32.

2UEM (2023), Muslimfeindlichkeit – eine deutsche Bilanz, Berlin: Bundesministerium des Inneren und für Heimat, S. 43ff.

3Hendrik Cremer (2023), Warum die AfD verboten werden könnte. Empfehlungen an Staat und Politik, Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte.

4UEM (2023), S. 231ff.

1. Einleitung

Als das Bundesministerium des Inneren unter der Führung von Horst Seehofer (CSU) im September 2020 bekanntgab, nach dem Vorbild des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus und der unabhängigen Kommission Antiziganismus nun auch einen Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit zu berufen, war die Überraschung groß. Die Ankündigung kam deshalb überraschend, weil der Bundesminister des Inneren als konservativer Politiker in Fragen der Einwanderung und des Islams galt. Kurz nach seiner Ernennung zum Innenminister im Kabinett Merkel IV, verneinte er in einem Interview mit der Bild-Zeitung die Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland und betonte zugleich, Deutschland dürfe »aus falscher Rücksichtnahme« nicht »landestypische Traditionen« aufgeben (Zeit online 2018a). Zugleich kündigte er an, eine neue Islamkonferenz einzuberufen, »um über Integrationsprobleme von Muslimen zu diskutieren« (ebd.).

Vier Jahre später, im Frühjahr 2022, erklärte die neu ernannte Innenministerin der Ampel-Koalition, Nancy Faeser (SPD), die als entschlossene Kämpferin gegen den Rechtsextremismus im Land gilt, dass der Islam »natürlich zu Deutschland« gehöre. Sie wolle Deutschland zu einem »guten Integrationsland« machen, die Arbeitsmigration erleichtern und warnte im gleichen Atemzug vor dem »Islamismus«1 und einer Terrorgefahr im Inland (Zeit online 2022).

In diesen zwei höchst unterschiedlichen Positionierungen finden sich viele typische Elemente wieder, die den politischen Diskurs seit Jahren prägen: Pauschale Aussagen über Muslim*innen, die verknüpft werden mit den Themen Integration, Migration, Terror, Arbeit/Leistungsbereitschaft und Islamismus. Die Warnung, Deutschland sei zu nachgiebig gegenüber Wertorientierungen, die nicht dem christlich-jüdischen Abendland entsprächen, es schaffe sich durch seine Kompromissbereitschaft sozusagen selbst ab, ist insbesondere aus rechtspopulistischen Kreisen bekannt, wird aber zunehmend auch von Teilen des politischen Mainstreams öffentlich artikuliert. Die dichotome Positionierung hinsichtlich der Un/Zugehörigkeit des Islams und Muslim*innen2 zu Deutschland ist ein seit vielen Jahren bekanntes Narrativ des Islamdiskurses, die die Konfliktlinien innerhalb des politischen Systems offenlegt.

Mit Naika Foroutan gesprochen, kann man diese Konfliktlinie in einer sich wandelnden (postmigrantischen) Gesellschaft als Spannungsverhältnis zwischen »Pluralitätsaffinen« und »Pluralitätsverweiger*innen« bezeichnen (Foroutan/Piening 2018: 21). Dieses Verhältnis ist nichts dem politischen Establishment Inhärentes oder Exklusives, sondern eine Fortsetzung gesellschaftlicher Bruchlinien und Konflikte. Antimuslimische Abwehrhaltungen speisen sich aus einem sehr alten Fundus historisch tradierter Topoi (vgl. Attia 2007). Ereignisse wie der 11. September, die sogenannte Silvesternacht von Köln, der Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt, die Fluchtmigration arabischer, muslimischer und als solcher markierter Menschen sowie andere (Medien-)Ereignisse sind nicht der Beginn des öffentlichen Sprechens über Islam und Muslim*innen in Deutschland, das Sprechen nicht die Widerspiegelung bloßer Einstellungen und Ressentiments, die sich aufgrund krisenhafter Ereignisse und Frustrationen verstärkt offenbaren, sondern diese Ereignisse fungieren als Aktualisierungsinstanzen von im kulturellen Gedächtnis der Gesellschaft verankerten Imaginationen und antimuslimischen Wissensbeständen über dieorientalischen Anderen, die Muslim*innen, den Islam.

Die auf diese Wissensbestände sich gründende, diskursiv konstruierte, dichotomisierende Differenzordnung spiegelt sich in unterschiedlichen Teildiskursen und einer Verschiebung von Sinnzuschreibungen wider: Die Problematisierung von Migration und ihre Kopplung mit Islam (Halm 2008; Spielhaus 2018), der Sicherheitsdiskurs, der sich verschiedener Bedrohungsszenarien bedient, wie islamistischen Terrorismus sowie sogenannte Clankriminalitätder Anderen (Attia u.a. 2021), die »Kulturangst« (Bade 2014) vor Überfremdung, Islamisierung und der Normalisierung islamischen Lebens sowie islamischer Werte und Normen in Deutschland im Bereich der politischen Kultur. Die stark essentialisierende und kulturalisierende Wahrnehmung und Diskursivierung verschleiert die soziale und politische Struktur dieser Phänomene und führt alles auf die als inhärent unterstellten Eigenschaften von Muslim*innen zurück.

Bemerkenswert an antimuslimischen Topoi in Politik und Gesellschaft ist darüber hinaus der Umstand, dass sie in den letzten Jahren eine sehr starke Aufwertung und Normalisierung erfahren haben. Was im Gewand angeblich legitimer Islamkritik daherkommt, ist häufig antimuslimisch konnotiert (Schneiders 2009; 2012; Bade 2014). Autor*innen aus dem akademischen wie nicht-akademischen Bereich wie Prof. Mouhanad Khorchide, Hamed Abdel Samad, Necla Kelek, Seyran Ates, Prof. Susanne Schröter, Ahmad Mansour, Prof. Ruud Koopmans, tagesschau-Sprecher Constantin Schreiber und viele andere wirken in unterschiedlicher Weise an der Fortschreibung dieser Bilder und der Aufrechterhaltung einer hegemonialen Ordnung mit, die Muslim*innen und deren Zugehörigkeit zu Deutschland einer Konditionalität unterwirft, die sich an von der »Dominanzgesellschaft« aufgestellten Kriterien messen lassen muss und demzufolge auch paternalistisch entzogen werden kann, wenn sie denn gewährt wird (Rommelspacher 1995). Paradigmatisch bleiben in diesem Zusammenhang der Fall Mesut Özil und der öffentliche Umgang damit.

Es ist anzunehmen, dass es auch in der Politik zu solchen diskursiven Mustern des Ausschlusses und der Ausgrenzung kommt – ganz ähnlich, wie das in den Bereichen Gesellschaft und Medien der Fall ist. Während die Forschung zwischen latenten und manifesten (impliziten und expliziten) Formen antimuslimischer Bilder und Sprechweisen unterscheidet, ist mit Halm und Fritzsche zunächst thesenhaft festzustellen, dass es im politisch-parlamentarischen Raum im Gegensatz zu Mediendiskursen oder lebensweltlichen Kontexten eher zu latenten Formen der Islamfeindlichkeit und des antimuslimischen Rassismus kommt (Fritzsche 2016: 10; Halm 2008).

Um diese Formen von Islamfeindlichkeit zu analysieren, sollen parteipolitische Positionen über Muslim*innen und Islam systematisiert und entlang der genannten diskursiven Dimensionen Sicherheitsdiskurs, Integrationsdiskurs und der Un/Zugehörigkeitsdiskurs untersucht werden. In der Literatur gibt es bisher nur kleinere Untersuchungen zum offiziellen Diskurs bzw. solche, deren Untersuchungszeitraum z.T. viele Jahre in der Vergangenheit liegt (Kap. 1.1.3).

Die Analyse wird dabei von den folgenden zentralen Forschungsfragen angeleitet: Was ist im politischen Raum Deutschlands über den Islam und Muslim*innen sagbar? Welche antimuslimischen Wissensbestände werden durch Aussagen de/thematisiert, un/sichtbar gemacht und somit für ir/relevant befunden? Welche Argumente und Strategien werden diskursiv (ein-)gesetzt, um eine hegemoniale Perspektive auf die Anderen zu erzeugen und aufrechtzuerhalten? Geschieht dies in offener Weise, werden Aussagen moderiert/intensiviert? Welche Unterschiede lassen sich im politischen Spektrum feststellen?

Die Analyse beruht auf der Auswertung von Bundestagsdebatten und Wahlprogrammen der im Bundestag vertretenen Parteien seit 2015 bis 2021. In diese Zeit fallen wichtige Meilensteine der Islamdebatte in Deutschland sowie Katalysatoren derselben wie z.B. der Aufstieg und Fall von Da´esh/ISIS, Terroranschläge in Europa und Deutschland, die Debatte um Asyl und Fluchtmigration 2015/2016, die Entstehung und Etablierung der AfD im parlamentarischen Raum sowie der ihr vorausgehenden Bewegung Pegida etc.

1.1 Literaturschau

Die sozialwissenschaftliche Forschung über Islam und Muslim*innen in Deutschland hat in den letzten Jahren deutlich an Dynamik gewonnen. Viele Studien über gesellschaftliche Diskurse, mediale Repräsentationen sowie der rechtlichen Anerkennung des Islams stehen nur wenigen Studien gegenüber, die die Position des Islams und Diskurse über Muslim*innen im politischen System Deutschlands, namentlich in den Parteien und im Bundestag, systematisch analysieren.

Abseits der Frage nach den Ursachen für diesen Mangel soll in diesem Abschnitt ein vergleichender Überblick über den aktuellen Forschungsstand durchgeführt werden, um so die Notwendigkeit einer diskursanalytisch informierten Studie über das Forschungsfeld Islam und antimuslimischer Rassismus im politischen System Deutschlands darzulegen, die verschiedenen Teildiskurse, die in der öffentlichen Sphäre und im politischen System ineinander übergehen, in ihrer Struktur, ihren Inhalten sowie in ihrer gesellschaftlichen Bedingt- und Verwobenheit analysiert. Da der Bestand an Literatur mittlerweile sehr umfangreich ist und die vorliegende Literaturschau nicht uferlos werden soll, beschränkt sie sich vorwiegend auf einschlägige Studien und Analysen, die im Zeitraum von 2010-2021 veröffentlicht wurden.

Neben vielen Sammelwerken, die Islamfeindlichkeit oder antimuslimischen Rassismus aus verschiedenen Perspektiven und in unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilsystemen behandeln (Kassis/Ucar 2019; Benz/Pfeiffer 2011; Schneiders 2009; Attia/Popal 2018; Attia u.a. 2014), sollen an dieser Stelle vorrangig diejenigen beleuchtet werden, die jeweils auf die gesellschaftlichen Domänen Medien, Politik und Gesellschaft fokussieren.

1.1.1 Gesellschaft

Die gesellschaftliche Stellung von Muslim*innen ist gut untersucht und noch immer geprägt von einer ablehnenden Haltung, die bis weit in die Mitte der Gesellschaft hineinreicht. Die neueste Studie legte das DeZIM in Form des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors im Frühjahr 2022 vor (Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung 2022). Darin werden rassistische Einstellungsmuster gegenüber verschiedenen sozialen Gruppen u.a. Muslim*innen, repräsentativ erfasst und untersucht. Neben Studien, die einzelne gesellschaftlich weit verbreitete Diskurs-Phänomene wie die Kopftuchdebatte (Berghahn/Rostock 2009; Amir-Moazami 2007; Jäger/Jäger 2007; Berghahn 2020), die gesellschaftliche Integrationsdebatte (El-Mafaalani 2018; Spielhaus 2013; 2018; Halm/Sauer 2017) oder etwa die Debatten um den Karikaturenstreit (Jäger 2009; Ata 2011) in den Blick nehmen, stechen im Bereich der gesellschaftlichen Wahrnehmungen und Repräsentationen von Islam und Muslim*innen in Deutschland gewiss Ergebnisse und Veröffentlichungen der Forschungsgruppe um Heitmeyer (2002-2010), die Ergebnisse der Mitte-Studien der Universität Leipzig (2002-2018) und der Friedrich-Ebert-Stiftung (2006-2018)3 hinsichtlich ablehnender Einstellungen gegenüber Muslim*innen sowie die Ergebnisse des Religionsmonitors von Hafez/Schmidt (2015) hervor.4

Sabrina Schmidt legt in ihrer innovativen Studie zu kommunikativem Alltagsrassismus dar, wie sich antimuslimische Wissensbestände in lebensweltlichen Diskurspraxen materialisieren (2022). Anhand einer vergleichenden empirischen Untersuchung in den Metropolregionen Rhein-Ruhr und Chicagoland (USA) untersucht Schmidt entlang rassismuskritischer, diskursanalytischer und wissenssoziologischer Theorien und Annahmen subjektive Handlungs- und Sprechweisen von Personen, die über kein gefestigtes antimuslimisches Weltbild verfügen. In der Analyse zeigten sich verschiedene Dimensionen antimuslimischer Diskurspraxen, die sich kategorial in hegemoniale, polarisierte, dilemmatische und widerständige Aneignungsformen antimuslimischer Deutungsmuster unterscheiden lassen.

In der Mitte-Studie von 2020/21 wird deutlich (Zick/Küpper 2021: 237), dass die Mehrheit rassistische Abwertungen ablehnt, aber muslimisch markierte Menschen häufig mit Vorurteilen und Ablehnung konfrontiert sind (21,3 %, weitere 22,2 % geben »teils, teils« an). Der Zustimmungsanteil liegt hier ähnlich hoch wie der Ablehnungsanteil von antimuslimischen Vorurteilen; »Antipathie« gegenüber Muslim*innen fällt besonders hoch aus (21,5 %) (ebd.: 187). Ähnlich hoch ist der Anteil derjenigen, die der Aussage zustimmten, dass der Islam die deutsche Gesellschaft unterwandern würde (Islamisierung, Überfremdung) (ebd.: 237). Ein Narrativ, das in rechtspopulistischen Kreisen en vogue ist, breitet sich also in der Mitte aus. Zudem konnten die Autor*innen deutliche Zusammenhänge zwischen Islam-Verschwörungsanhängern und antidemokratischen Widerstandsaufrufen gegen die herrschende Politik feststellen.

Die Leipziger Mitte-Studie von 2016 nimmt die »historische Situation« seit dem Sommer 2014 (Fluchtmigration, Pegida-Mobilisierung) in den Fokus und konstatiert ein erhebliches Erstarken rechtsextremer Mobilisierung, Pegida als Diskursereignis sei bei Vielen auf fruchtbaren Boden gefallen (Brähler u.a. 2016: 63). Die Islamfeindlichkeit habe seit 2014 stark zugenommen (ebd.: 49). Jede*r Zweite gab an, sich wie Fremde im eigenen Land zu fühlen, mehr als 40 Prozent wollten Muslim*innen die Zuwanderung nach Deutschland untersagen, so die Autor*innen der Studie (ebd.: 49).

Die Sonderauswertung Islam des Religionsmonitors der Bertelsmann Stiftung spürt der Frage nach, wer sich vom Islam bedroht fühle, und ob es sich hier um ein flächendeckendes Phänomen handele (Hafez/Schmidt 2015). Die Autor*innen kommen zum Ergebnis, dass Islamfeindlichkeit als grundlegende Wahrnehmung des Islams in der Bevölkerung bezeichnet werden könne. Mehr noch: Islamfeindlichkeit sei salonfähig und biete rechtspopulistischen Akteuren einen fruchtbaren Nährboden, der Islam als Religion werde als unvereinbar mit demWesten betrachtet (ebd.: 64ff.). In

In ihren Arbeiten zur postmigrantischen Gesellschaft formuliert die Berliner Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan die Erkenntnis, dass die deutsche Identitätsfrage zunehmend (v.a. seit 2015) mit der Frage der Migration und »mittelbar mit dem Islam gekoppelt und negativ aufgeladen« sei (2019: 12ff.). Der Begriff der Migration sei eine »Chiffre«, die andere gesellschaftliche Konfliktfelder wie Klasse, Schicht, soziale Ungleichheit, Sexismus, Gender, Rassismus verschleiere, und die aber zugleich mit dem Thema Migration immer wieder in Verbindung gebracht würden (Foroutan/Piening 2018: 20).

Bereits in ihrer Studie zu »Muslimbildern in Deutschland« von 2012, weist Naika Foroutan auf den exkludierenden Charakter sogenannter Integrationsdebatten nach Erscheinen von Thilo Sarrazins Buch »Deutschland schafft sich ab!« hin: Demnach würden Islam und Muslim*innen in Deutschland in Folge dieses Diskurses als inkompatibel erscheinen. Zugehörigkeit würde abgesprochen werden, Argumentationen um Islamisierung und Unterwanderung, Frauenunterdrückung, Terror, Kriminalität und Gefährdung dominieren (Foroutan 2012: 7). In ihrer Kontrastierung der Wahrnehmung des Islams mit empirischen Daten kommt Foroutan zum Schluss: »Das stark defizitär geprägte öffentliche Bild von Muslim*innen deckt sich nicht mit dem Sachstand der tatsächlich messbaren Integrationserfolge […]« (ebd.: 55).

Constantin Wagner untersucht in seiner Studie die sozialen Funktionen des Islam-Diskurses in Deutschland und geht dabei v.a. auf Schulbücher ein (Wagner 2011). Er bedient sich der kritischen Diskursanalyse, um zu zeigen, wie Sinnzuschreibungen und Bedeutungen konstruiert werden, deren Ziel Muslim*innen und der Islam in Deutschland sind. Es zeigt sich, dass kulturalisierende, ethnisierende Deutungsmuster in Schulbüchern überwögen, diese aber tief in der Gesellschaft verankert seien, und dass das Thema Migration unter dem Stichwort Islam/Muslim*innen verhandelt werde. Zudem zeigte sich in der Untersuchung, so Wagner, dass der Islam als Europas Gegenentwurf fungiere und »in nahezu allen Fällen als Konfliktstoff und Problem« erscheint (ebd.: 82).

Eine aktuelle Studie zu gesellschaftlichen Sicherheitsdiskursen zeigt in einer Umkehrung der Perspektive, wie sich diese auf Muslim*innen und als solche Markierte auswirkt (Attia u.a. 2021). Die Befragten sprechen von einem Klima der Verdächtigung und Grenzziehung, welches sich auch auf die Communities selbst auswirke, weil man sich einem konstruierten Spektrum von guten und bösen Muslim*innen zu positionieren gezwungen sehe. Darüber hinaus seien die Befragten bemüht, die Konstruktion des muslimischen Subjekts nicht vollkommen aus der Hand zu geben. Klassische Formen der Stereotypisierung, die aus anderen Studien bekannt sind, werden von Betroffenen dieser Anrufungen und Markierungen bestätigt und zurückgewiesen: Kriminalisierung, Exklusion, Essentialisierung, Paternalisierung.

1.1.2 Medien

Islambilder in (Online-)Medien gelten als gut untersucht. Ab 2010 gab es vermehrt Analysen, die sich um das epochale Ereignis des sogenannten Arabischen Frühlings als Medienereignis drehten und dabei einen Fokus auf den Islam bzw. seine Rolle bei den gesellschaftlichen und politischen Transformationen legten. Im von Kai Hafez herausgegebenen Sammelband (2014) werden etwa die Auswirkungen dieses Ereignisses auf die deutsche Islamberichterstattung analysiert. Qualitative und quantitative Untersuchungen stehen nebeneinander. Exemplarisch sei hier auf die Teilstudie von Behroz u.a. (2014) verwiesen, die sich mit deutschen Printmedien und dem Islambild in Zusammenhang mit den Revolutionen in Tunesien und Ägypten auseinandersetzt. Es habe zwar anfänglich positive Berichterstattung gegeben, die Ereignisse in den Ländern Westasiens und Nordafrikas seien jedoch vorwiegend und zunehmend an westlichen Standards und Demokratievorstellungen gemessen worden. Islamische Stereotype verbunden mit Islamkritik hätten sich oft zu einem archaischen Bild des Islams zusammengefügt.

Brinkmann kommt in seiner Studie zur »deutschen Islamberichterstattung vor, während und nach der Arabischen Revolution« (2015) zu ähnlichen Ergebnissen wie der Sammelband von Hafez: Anfangs spiegelte sich die positive Entwicklung des sogenannten Arabischen Frühlings in der Medienberichterstattung wider. Im Folgejahr der Untersuchung, also nach dem Ende der unmittelbaren Aufstände und einer zusehends sich verschlechternden politischen Lage für die Demokratiebewegungen, stieg in der Berichterstattung sowohl die Bedeutung des Islams als auch seine negative Bewertung. Der Autor kommt zum Schluss, dass die zahlreichen positiven Effekte des Arabischen Frühlings auf das Islambild ein Jahr nach dem Medienereignis wieder zurückgingen.

Eine kürzlich abgeschlossene, bisher nur als Abstract veröffentlichte, Studie des DeZIM blickt auf Dimensionen der Politisierung von Rassismus in der deutschen Medienöffentlichkeit zwischen 2000 und 2020 (Steinhilper u.a. 2021). Die Autor*innen kommen zum Ergebnis, dass die thematische Auseinandersetzung im Phänomenbereich Medien und Rassismus im Untersuchungszeitraum von fünf großen Ereignissen geprägt war. Drei dieser Großereignisse, die Anschläge auf New York und Washington im September 2001, die Selbstenttarnung der rechtsterroristischen Gruppe NSU 2011 sowie der sogenannte lange Sommer der Migration 2015, haben Menschen muslimischen Glaubens im Zentrum. Die Aufmerksamkeitsschübe für Rassismus haben insbesondere seit 2011 dazu geführt, dass die Debatten »insgesamt konfliktiver« geworden seien (ebd.).

Weitere, nicht-ereigniszentrierte, Studien und Beiträge zu (Online-)Medien und Islam legen u.a. Karis (2013), El-Menouar (2019), Hafez (2009), Hafez/Schmidt (2020b), Frindte/Dietrich (2017), Häberle 2020, Shooman 2012 und Schiffer 2009 vor.

1.1.3 Politik

Nur wenige Studien gibt es zum Verhältnis von Staat, Muslim*innen, deren Repräsentation im politischen System sowie diskursiven Formationen darin. Zu nennen sind hier kürzere Arbeiten zur DIK, wie zum Beispiel Levent Tezcans Studie (2012) oder auch die kritischen Arbeiten von Hernandez Aguilar zum gleichen Thema (2018; 2019). Eine umfangreiche Studie zur DIK liefert Bayat (2015). Anhand der Berichterstattung darüber analysiert die Autorin, wie sich dies auf Repräsentationen von Muslim*innen in Medien ausgewirkt hat. Sie führt eine Diskursanalyse ausgewählter Medien durch und kombiniert dies mit Interviewaussagen von Teilnehmer*innen der DIK. Sie kommt zum Ergebnis, dass insbesondere der Printmediendiskurs sich stereotypisierender, dichotomisierender Bilder in der ersten DIK-Phase bedient habe, während in der DIK II-Phase insgesamt ein abnehmendes Medieninteresse bei gleichzeitiger Abnahme negativer Konnotationen in der Darstellung festzustellen seien (ebd.: 290f.).

Eine systematische Analyse zu Islam-Positionen deutscher Parteien liefert Malte Dreß in seiner Studie zur »deutsche[n] Islamdebatte« (1961-2013) (Dreß 2018). Er untersucht, welche islampolitischen Positionen, Entwicklungsprozesse und Konfliktlinien in den deutschen Parteien zu finden sind. Im Vordergrund steht dabei die Frage nach integrationspolitischen Herausforderungen insbesondere im Zusammenhang mit muslimischen Zuwander*innen. Seine Studie zeichnet sich allerdings durch eine recht sture Fixierung auf das Integrationsparadigma aus, welches als Grundlage für weitere islampolitische Empfehlungen bzw. Strategien fungiert. »Muslimische Zuwanderer« erscheinen in dieser Perspektive wieder als Objekte und Ziele der (Islam-)Politik, ihre Religion als Stolperstein für die Integration in den »kulturell-identifikativen Bereich« (ebd.: 502). Damit fällt er hinter Forschungen von Naika Foroutan, Erol Yildiz (Yildiz/Hill 2018; 2015) oder Kai Hafez zurück (Hafez 2013b), die das Integrationsparadigma insbesondere in seiner (leit-)kulturell-identifikativen Dimension zugunsten des Konzepts der postmigrantischen Gesellschaft bzw. anerkennungstheoretischer Dimensionen in einer liberalen Gesellschaft hinter sich lassen.

Insbesondere die Studie von Hafez, die die verschiedenen gesellschaftlichen Teilsysteme untersucht, kommt zum Ergebnis, dass die Anerkennung des Islams und damit ein Schritt in Richtung einer egalitären postmigrantischen Gesellschaft im politischen System Deutschlands schneller voranschreitet als im zivilgesellschaftlichen Bereich – bei allen noch zu überwindenden Hürden auf dem Weg zu einer vollständigen rechtlichen wie kulturellen Anerkennung. Denn: Der klassische Liberalismus, so K. Hafez, würde Gruppendifferenzen zu stark einebnen und bestehende Ungerechtigkeiten leugnen (Hafez 2013b: 31). Die staatliche Islampolitik zeichne sich durch eine Ambivalenz aus, die zwischen liberalen Freiheitsidealen und ordnungspolitischer Steuerung ebenjener Freiheiten schwanke (ebd.: 55). Die Frage der (kulturellen) Hegemonie in der Demokratie bzw. Repräsentation und der damit verbundenen Politik für religiöse Minderheiten seien zentral auf dem Weg hin zu mehr Anerkennung (ebd.: 55ff.).

Nora Fritzsche stellt in ihrer Analyse migrationspolitischer Debatten des Deutschen Bundestags (1994-2014) fest, dass im parlamentarischen Raum die »Werte- und Kulturorientiertheit von Integrationsforderungen zwischen 1994 und 2010« zugenommen habe: »Aus Forderungen nach Arbeitsmarktintegration und Sprachkenntnissen« wurde die Forderung nach »Verfassungstreue, der Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte und Kultur, der uneingeschränkten Akzeptanz der deutschen Rechtsordnung und Wertevorstellungen sowie der Gleichberechtigung der Geschlechter« (Fritzsche 2016: 75). Ihre Analyse arbeitet eine »zunehmende Fixierung auf den Islam als Differenzkategorie« heraus und schlussfolgert, dass sich die Grenzen des Sagbaren im parlamentarischen Diskurs in den letzten Jahren deutlich erweitert haben (ebd.: 48).

Auch Ferdinand Mirbach stellt die Integration von Muslim*innen in den Mittelpunkt seiner Studie über die deutschen Parteien und den Islam (Mirbach 2008). Er geht dabei auf Programmatik, Organisation und Personal ein. Differenziert zeigt er die Unterschiede in den jeweiligen Parteidiskursen auf und unterscheidet zwischen einer eher restriktiven, leitkulturell orientierten Auffassung von Integration bei der CDU/CSU (Die AfD gab es noch nicht) und einer eher multikulturell orientierten Auffassung bei SPD, GRÜNEN und Linkspartei, die sich entsprechend in Parteiprogrammen widerspiegelt. Doch im Gegensatz zu Dreß legt er eine distanziertere Haltung zu kulturell-identifikativen Dimensionen von Integration an den Tag und orientiert sich mit seinem Integrationsbegriff an Josef Essers Arbeiten zu Sozialintegration (ebd.: 22ff.).

Petra Klugs Studie untersucht den Diskurs zu Muslim*innen anhand von Bundestagsdebatten vor und nach dem 11. September (2000-2006), um so Verschiebungen in der Wahrnehmung des Islams zu erfassen (2010). Zu diesem Zweck führt sie in einer Vollerhebung die Themenanlässe der Debatten durch, die sich mit dem Islam beschäftigen. Vertiefend führt Klug eine qualitative Diskursanalyse durch, die diskursive Muster aufdecken soll, die auf eine typische Verknüpfung des Islams mit spezifischen Problemen hinweisen. Dabei zeigt sich, dass im Bundestag zwar sowohl Positionen artikuliert wurden, die einen vorgeblichen Kampf der Kulturen abgestritten haben als auch solche, die eindringlich vor den Gefahren des Islamismus gewarnt haben bei gleichzeitiger Verwahrung gegen den Vorwurf der Islamophobie oder des Rassismus; allerdings zeichneten sich viele Debattenbeiträge durch eine Verknüpfung von Migrationsfragen mit der Terrorbekämpfung aus und leisteten so einer Kulturalisierung des Integrationsbegriffes Vorschub. Die Assoziierung der Migrationsfrage mit dem Islam sei rassistisch, weil es Menschen pauschal homogenisiere und z.T. auch Menschen mit dem Label Islam versehen würde, die sich gar nicht damit identifizierten, schlussfolgert Klug.

Dieser »kulturalistische Fehlschluss« finde sich aber genauso auf der anderen Seite des politischen Spektrums: es sei genauso rassistisch, Religionskritik im Namen der Bekämpfung des Rassismus pauschal zurückzuweisen. Schließlich gebe es im Islam viele Defizite im Bereich der Menschenrechte (Frauenunterdrückung, Homosexuellenrechte etc.). Folglich kritisiert Klug, dass die deutsche Integrationspolitik nach 9/11 mehr ein Zugeständnis an die muslimischen Gemeinschaften sei, denn einer wirklichen sozialintegrativen Politik entspreche (Klug 2011: 8). Mit dieser gewiss ambivalenten Haltung nimmt Klug eine Position ein, die zwischen einer affirmativen Verwendung des sozial-strukturell gewendeten Integrationsparadigmas und einer starken Kritik an der deutschen Islampolitik nach den Anschlägen des 11. September changiert.

Der Zusammenhang zwischen Mobilisierungserfolgen rechtspopulistischer Parteien aufgrund der tiefen gesellschaftlichen Verankerung von Islamfeindlichkeit gilt in der politischen Einstellungsforschung mittlerweile als fest etabliert (vgl. etwa: Öztürk/Pickel 2021; Diefenbach/Scheve 2019).

Des Weiteren gibt es – nicht zuletzt seit Entstehung der Bewegung PEGIDA und der rechtspopulistischen AfD – eine Reihe von Arbeiten zu Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und Islam (Attia u.a. 2014; Diefenbach/Scheve 2019; Häusler 2008; Pickel 2015; Ansari/Hafez 2012). Mobilisierungserfolge rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen aufgrund tief verankerter antimuslimischer Orientierungen und Einstellungen in der Bevölkerung haben insbesondere die Arbeiten von Gert Pickel nachweisen können (Öztürk/Pickel 2021). Was die Zentralität der Islamfeindlichkeit in Verbindung mit dem völkischen Nationalismus in der Ideologie der AfD und ihre Bedeutung für die Mobilisierungsfähigkeit der Partei über das rechtsnationale Spektrum hinaus angeht, besteht allerdings Bedarf für weitere Forschungen (vgl. zu diesem Themenkomplex: Attia 2018; Kellershohn 2020).

Vorläufig und thesenhaft lässt sich festhalten, dass die Entstehung der AfD zu einer Diskursverschiebung nach rechts und einer Erweiterung des Raums des öffentlich Sagbaren geführt hat und dies insbesondere von Parteien sowie Parteimitgliedern rechts der Mitte, aber vereinzelt auch von verschiedenen Parteien und Parteimitgliedern links der Mitte (z.B. Boris Palmer, Heinz Buschkowsky, Sarah Wagenknecht, Oskar Lafontaine) ausgenutzt wird, um sich antiislamisch zu positionieren5 (vgl. auch Schiebel 2019). M.a.W. die Auffassung, wonach ein (rechtskonservativer) Bruch mit einer eher kosmopolitisch ausgerichteten politischen Kultur nur innerhalb der AfD oder Teilen der CDU/CSU sich vollzieht, muss überprüft werden. Es liegt nahe zu vermuten, dass sich diese Konfliktlinie quer durch alle Parteien zieht und auch innerhalb der Parteien unterschiedliche Positionierungen vorherrschen.

Weitere, eher kurze, Beiträge zur Positionierung politischer Parteien liefern Farid Hafez (2012), Kneip/Henkes (2009) sowie Shakush (2009). Der Beitrag von F. Hafez analysiert Bundestagsdebatten zwischen 2009-2011. Dabei wird der bundespolitische Diskurs aller Fraktionen (CDU/CSU, SPD, FDP, DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) analysiert. Er geht dabei sowohl quantitativ als auch qualitativ (diskursanalytisch) vor. Im Ergebnis zeigt sich, dass islamophobe Positionen fast nur bei der CDU/CSU-Fraktion zu finden seien. Die anderen Parteien enthalten sich solcher Qualifizierungen, wobei die SPD sogar eine ins europäische Wir inkludierende Position auf Bundesebene formuliere. Bei der Linken steht eher ein Gegendiskurs (anti-Islamfeindlichkeit) im Zentrum, während DIE GRÜNEN sich ähnlich wie die SPD verhielten. Ambivalente Positionen seien bei der FDP zu finden, die sich einerseits islamophob äußere, sich andererseits aber beim Thema Islam/Muslim*innen eher zurückhalte.

Sascha Kneip und Christian Henkes untersuchen anhand der »Kopftuchdebatte« die Plenardebatten deutscher Landtage nach dem BVfG-Urteil (2003) im »Fall Ludin« (2009). Sie gehen dabei auf religions- und integrationspolitische Leitbilder der Parteien ein und analysieren, ob es Unterschiede in den parteipolitischen und/oder länderspezifischen Argumentationen gab. Im Fall der CDU/CSU und der FDP kommen sie zur gleichen Schlussfolgerung wie F. Hafez. Die SPD erscheint in ihrer Positionierung »extrem uneinheitlich« – abhängig von ihrer jeweiligen Rolle als Regierungs- oder Oppositionspartei sowie den jeweiligen Koalitionspartnern (ebd.: 267ff.). Die untersuchten GRÜNEN-Landtagsfraktionen haben sich hingegen kohärenter verhalten und geschlossen Kopftuchverbotsanträge abgelehnt (ebd.: 266).

Mohammed Shakush (2009) schließlich liefert eine kleine Betrachtung, wie sich CDU und CSU hinsichtlich des Islams positionieren (2009). Er untersucht dies anhand der Felder Moscheebau, Kopftuchdebatte, Programmatik, Statements und dem sog. Gesinnungstest, der eine Zeit lang Einstellungen zu Liberalismus und Demokratie im Vorfeld einer Einbürgerung in Baden-Württemberg geprüft hat.

Studien, die aktuelle Entwicklungen (ab 2015) auf Bundes- und Landesebene in den Blick nehmen, insbesondere nach Entstehung der AfD und ihrem erneuten Einzug in den Bundestag sowie ihre Etablierung in allen Landesparlamenten haben insbesondere Gert und Susanne Pickel vorgelegt. In den Forschungsfeldern der Einstellungsforschung und politischen Kultur leisten sie wichtige Beiträge an der Schnittstelle von Politik und Gesellschaft; insbesondere Zusammenhänge von Religion, Demokratie, Affekt und Polarisierung stehen im Mittelpunkt ihres Interesses (Pickel u.a. 2021; Pickel u.a. 2020; Pickel 2019; Pickel/Pickel 2018b; Pickel/Pickel 2018a; Pickel 2018; Pickel/Yendell 2016).

Aus der Literaturschau ergibt sich folglich die Notwendigkeit einer umfassenden qualitativen Untersuchung der Standpunkte politischer Parteien hinsichtlich Islam, Muslim*innen und als solchen Markierten, die die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre als Kontext der Analyse mitberücksichtigt. Aus diesem Grunde wird die vorliegende Studie auf den Zeitraum ab 2015 fokussieren und dabei die Positionierungen von allen im Bundestag vertretenen Parteien einer Analyse unterziehen.

1.2 Viele Begriffe, ein Phänomen? Islamfeindlichkeit, Islamophobie und antimuslimischer Rassismus

Die Forschung unterscheidet zwischen den Begriffen antimuslimischer Rassismus, Islamfeindlichkeit und Islamophobie, um die Abwertungen, Ausgrenzungen und menschenfeindlichen Topoi zu beschreiben, mit denen Muslim*innen und als solche Markierte adressiert werden.6 Während diese Begriffe je unterschiedliche Schwerpunkte in der Beschreibung und Analyse der Konstruktion von Islam und Muslim*innen setzen, eint sie dennoch das Bemühen, dass sie auf eine Überformung sozialer und politischer Phänomene durch reduktionistische Zuschreibungen über Muslim*innen und ihre Religion fokussieren. Die Begriffe schließen sich gegenseitig nicht aus, sie sind vielmehr Abbild der Multidimensionalität des Diskurses, welchen sie beschreiben. Muslim*innen werden durch Diskurse (über-)islamisiert, einer Perspektive unterworfen, die dem literarischen Fundamentalismus berüchtigter Gruppen wie al-Qaida oder ISIS/Da´esh in nur wenigen Dingen nachsteht.

Während der Begriff der Islamophobie in der internationalen (englischsprachigen) Forschung sehr gängig ist und praktisch synonym mit Rassismus verwendet wird, wird er im deutschsprachigen Raum in erster Linie von den Wissenschaftlern Farid Hafez und Wilhelm Heitmeyer verwendet (vgl. dazu auch Attia/Keskinkılıç 2016: 169ff; Hafez 2016; Heitmeyer 2002-2010). In der von Heitmeyer geleiteten Forschungsgruppe zu »Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit« und der von ihr herausgegebenen Publikation »Deutsche Zustände« (2002–2010), wird Islamophobie definiert als »die Ablehnung und Angst vor Muslimen, ihrer Kultur sowie ihren öffentlichen, politischen und religiösen Aktivitäten« (Heitmeyer 2008: 19). Interessant ist in Heitmeyers Klassifikation, dass er Islamophobie, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit getrennt analysiert und dabei zwischen eher kulturalisierenden (Fremdenfeindlichkeit), sozialpsychologischen (Rassismus) und eben affektiven Formen bei der Islamophobie unterscheidet. Die Betonung einer quasi-pathologischen Perspektive auf Muslim*innen wird nochmals durch die Verwendung der Begriffe »Mentalitäten« und »Syndrom« verstärkt (ebd.: 19). Mit Blick auf Menschen, die von einer islamischen Verschwörung gegen das homogen konstruierte, nationale deutsche Wir ausgehen, mag diese Einordnung zwar stimmen. Dennoch ist diese begriffliche Engführung zu kritisieren, weil es im Ergebnis zu einer Verharmlosung antimuslimischer Ressentiments, einer impliziten Verschiebung des Fokus auf die Täter*innen antimuslimischer Handlungs- und Sprechweisen sowie einer Verschleierung struktureller Faktoren beiträgt.

Der Begriff der Islamfeindlichkeit wird von Kai Hafez als »Ideologie der Intoleranz, der liberale Einflüsse gegenüberstehen« beschrieben. Es sei »kein allumfassende[s] Phänomen« (Hafez 2013b: 10). Der Begriff hebt – ähnlich wie der Feindbild-Begriff – im Gegensatz zur Islamophobie also darauf ab, dass es sich um feindliche Einstellungen gegenüber Muslim*innen als Kollektiv handelt. Die kollektive Dimension hebt ihn somit von eher individualisierenden Begriffen wie etwa Muslimfeindlichkeit ab. Zudem geht man bei der beurteilten gegnerischen Gruppe von feindlichen Handlungen und Absichten aus (Weller 2002: 49; Hippler 2002; Schulze 1991)7.

Das Konzept der Islamfeindlichkeit hat gegenüber demjenigen der Islamophobie den Vorteil, dass es nicht nur auf Affekte und Einstellungen abhebt, sondern auch konkrete Absichten und Handlungsweisen sowie Feindbilder bei den Sender*innen erfassen kann, etwa islamfeindliche (Wahl-)Kampagnen, die Instrumentalisierung politischer Feindbilder oder auch Agitation auf rechten Internetseiten wie pi-news (Pfahl-Traughber 2019). Demoskopen können auf der Einstellungsebene mit diesem Begriff operieren und anhand großer Erhebungen Tendenzen und Entwicklungen in der Gesellschaft analysieren. Der Verbleib des Begriffs auf der Einstellungsebene greift allerdings etwas zu kurz, weil auch hier historisch-politische Zusammenhänge und die Genese gesamtgesellschaftlicher Imaginationen über Muslim*innen und Islam nicht hinreichend erklärt werden, wie es der Begriff des antimuslimischen Rassismus tut.

Iman Attia hat den Begriff antimuslimischer Rassismus in Deutschland etabliert und viel für seine theoretische Spezifizierung geleistet (Attia 2015; Attia/Popal 2018; Attia/Keskinkılıç 2016; Attia 2007; 2018). Attia versteht (antimuslimischen) Rassismus als hegemoniale gesellschaftliche Erscheinungsform. Ihr Begriff des antimuslimischen Rassismus´ ist umfassender als Islamfeindlichkeit und Islamophobie, da er sich nicht nur auf Affekte und Einstellungen bezieht, sondern auch die Gewordenheit antimuslimischer Bilder einbezieht sowie gesellschaftliche Machtverhältnisse und Kontexte verdeutlicht. Damit hebt er sich von Theorien und Begriffen ab, die Rassismus als Phänomen des rechten bzw. rechtsextremen Randes erklären und nur feindliche, ausgrenzende, offen diskriminierende Aussagen als solchen benennen (Attia 2018: 96).

Vielmehr zeichnet er sich durch die Identifizierung »subtilere[r] Formen der Diskriminierung in Gestalt freundlich erscheinender, gleichwohl machtvoller Grenzziehungen zwischen »uns« und den »den Anderen«, die mit sozialen Positionierungen einhergehen […]« aus (Attia 2018: 96). Dies ist insbesondere mit Blick auf die in dieser Studie getroffene Unterscheidung zwischen latenten und manifesten Formen antimuslimischer Sprechweisen wichtig.

Die in zeitgenössischen antimuslimischen Diskursen sich vollziehende Rassialisierung verläuft nicht entlang biologistischer Merkmale (wiewohl manche antimuslimische Zuschreibung sich auch biologistischer Klischees bedienen kann), sondern entlang kulturalistischer Zuschreibungen, die sich auf die Religion beziehen, im Laufe der diskursiven Konstruktion eines monolithischenIslams aber die Form einer quasi biologischen Konstante annehmen (Attia 2015: 20f; Keskinkılıç 2019; vgl. grundlegend Said 1978). Kurz: »Aus Rasse wurde zuerst ethnische Zugehörigkeit, dann Kultur.« (Al-Azmeh 1996: 19) Kultur wird im Rassismus zu einem Terminus der dichotomen Ausschließung, zu einem Signal für vermeintlich unüberwindbare Grenzen und exklusive Zugehörigkeit zugleich.

Muslim*innen und Islam werden distinkte, von uns abweichende, angeblich unveränderliche Verhaltens- und Charaktereigenschaften zugewiesen (Essentialisierung), sie werden als gleich vorgestellt (Homogenisierung) sowie als das dichotomisch Anderewestlich-christlicher Zivilisation konstruiert (Veranderung) und abgewertet (Hierarchisierung) (Keskinkılıç 2019). (Antimuslimischer) Rassismus tritt nicht nur in verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen (Politik, Medien, Kultur etc.) als diskursives, vermeintliche Wahrheiten über die Anderen erzeugendes, soziales Verhältnis in Erscheinung, sondern er hat zugleich eine materielle Funktion: Die Sicherung existierender Privilegien einer weißen »Dominanzgesellschaft« gegenüber nicht-weißen Menschen (Rommelspacher 1995). Er fungiert damit als ideologischer Überbau innerhalb ungleicher Herrschaftsverhältnisse, in denen den rassialisierten Anderen die Rolle der politischen, ökonomischen, sozialen sowie kulturellen Inferiorität zugewiesen wird.

Die vorliegende Studie wird sich aufgrund seiner analytischen Tiefe vorwiegend des Begriffs antimuslimischer Rassismus bedienen. Er ist besser in der Lage, Diskursverschränkungen disparater Topoi, die zunächst wenig mit Muslim*innen zu tun haben, zu erfassen und zu erklären. Der Begriff Islamfeindlichkeit bleibt dennoch wichtig. Die Ebene der Einstellungen und der sozialpsychologischen Dimension von Feindbildern und ihrer Funktionalisierung für politische Zwecke ist gerade für die vorliegende Studie von immenser Bedeutung.

Zuletzt sei darauf hingewiesen, dass der Begriff des antimuslimischen Rassismus im politischen System Deutschlands durchaus bekannt und zugleich Gegenstand kontroverser Debatten ist. So wurde in einer von der Linkspartei initiierten Bundestagsdebatte zu antimuslimischem Rassismus im Januar 2021 von einem Parlamentarier der CDU unterstellt, dass es sich dabei um einen »konstruierten Rassismusbegriff« handele, »der aus dem postkolonialen Spektrum stammt und quasi Rassismus ohne Rassen kreiert« (Deutscher Bundestag 2021e: 25724). Ein Parteikollege ging weiter und behauptete, antimuslimischen Rassismus gebe es nicht und wer mit dem Begriff arbeite, mache sich »zum willigen Werkzeug von Islamisten« bzw. die Thematisierung von antimuslimischem Rassismus habe lediglich das Ziel sogenannte legitime Islamkritik zu diskreditieren. Diese kurze Episode aus dem Bundestag verdeutlicht die Dringlichkeit einer präzisen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Begriffen und aktuellen politischen Positionen, die Narrative und Diskurse in ihrem Kontext analysiert.

1Kursivierungen zeigen in dieser Arbeiteine Distanzierung des Autors von bestimmten Phrasen und Ausdrücken an und nicht eine Betonung. Dies soll die sonst gängigen Anführungszeichen zum Anzeigen einer Distanzierung ersetzen und Verwechslungen mit Zitaten vermeiden.

2In diesen Diskursen werden Menschen häufig unter die Kategorie »muslimisch« subsumiert, obwohl sie sich selbst nicht als muslimisch identifizieren. Im Folgenden soll aber meistens auf umständliche Formulierungen wie »Muslim*innen und als solche Markierte« zugunsten der Lesbarkeit verzichtet werden.

3Die Mitte Studien wurden ab 2002 von den Forschergruppen um Oliver Decker und Elmar Brähler (Universität Leipzig) durchgeführt, ab 2006 in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung. Seit 2014 führen die Universität Leipzig und die FES eigene Studien durch (FES-Mitte Studien und Leipziger Autoritarismus Studie), wobei die FES-Mitte-Studien seit 2014 vom Forscherteam um Andreas Zick und Beate Küpper durchgeführt werden.

4Es gilt zu beachten, dass die Gruppen um Heitmeyer, FES-Mitte sowie Leipziger Autoritarismus-Studien Islamfeindlichkeit nicht in den Mittelpunkt ihrer Analysen stellen, sondern als eine Form von Ressentiments bzw. gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit behandeln und analysieren.

5Damit soll aber nicht gesagt werden, dass ohne die Anwesenheit der AfD im Bundestag und in den Landesparlamenten antiislamische Einwürfe nicht existieren würden; vielmehr geht es darum, die Rolle der AfD als Katalysator dieses Diskurses für die Öffentlichkeitskommunikation politischer Akteur*innen aus der Mitte zu beschreiben, der vorher zwar auch schon da war, aber eher an den Rändern des politischen Spektrums so offensiv, öffentlich und selbstbewusst stattfand, vgl. dazu auch: Decker/Brähler (2020: 21f.).

6Daneben gibt es noch weitere Begriffe und Konzepte wie Orientalismus oder auch Islamkritik, Muslimfeindlichkeit etc. Da sich die Begriffsdiskussion in erster Linie aber um eine Zuspitzung breit verhandelter Konzepte bemüht, um eine brauchbare Systematik für die Studie zu entwickeln, sollen lediglich die drei Begriffe erörtert werden, die in der Forschung dominieren; vgl. zu einer grundlegenden Kritik des Begriffes der Islamkritik Attia (2010). Orientalismus verstehe ich hingegen als Konzept, als kulturelles Phänomen, welches durch die spezifische Perspektive, die es auf den Orient und Muslim*innen etabliert, zu einem Instrument der Macht und der Herrschaft wird. Es ist in diesem Sinne kein Konzept, welches man den hier diskutierten Begriffen gegenüberstellt, sondern es ist ihre Voraussetzung und Teil davon.

7Insbesondere in den 1990er Jahren waren die kritische Islamwissenschaft aber auch Teile der Politikwissenschaft darum bemüht, die zunehmende öffentliche und politische Islamfeindschaft unter dem Label Feindbild Islam zu analysieren.

2. Der antimuslimische Rassismus und seine dominanten Dimensionen: Bedrohung, Ausgrenzung, Kulturalisierung

2.1 Bedrohungsszenarien: Diefeindlichen Anderen?

Die Versicherheitlichung des Diskurses über Muslim*innen und Islam in Deutschland ist eines der hervorstechenden Merkmale im parlamentarisch-politischen Raum. Darunter soll eine Fokussierung auf Sicherheits- und Verteidigungsaspekte verstanden werden, die europäisch-westliche Interessen in den Mittelpunkt rückt und in den Politikfeldern Inneres und Außen Muslim*innen und Islam als gefährliche Gegenspieler*innen konstruiert, so dass ein Feindbild Islam für politische Zwecke instrumentalisiert werden kann (Attia u.a. 2021; Ruf 2014; 2002; Selk 2012; Boehmer/Morton 2011; Neal 2011; Mamdani 2005).

Was sich seit dem Ende der Blockkonfrontation auf internationaler Ebene langsam manifestierte1, beschleunigte sich nach den Anschlägen des 11. September: Eine zunehmend feindliche Haltung gegenüber Islam und Muslim*innen (Schulze 1991; Mustafa 2016; 2021; Ruf 2014; Fekete 2004). Begriffe wie Islamismus, islamistischer Terrorismus oder islamischer Extremismus wurden zu Synonymen für existentielle Bedrohungslagen des Westens, der war on terror der westlichen Gemeinschaft als Verteidigungs- und Zivilisierungskrieg (Demokratie, Freiheit) konstruiert (Mustafa 2021; 2016; Schoenes 2011; Alnasseri 2004; US Diplomatic Mission to Germany 2001).

Innen- und außenpolitische Maßnahmen werden mit der Gefahr des Islamismus und dessen notwendiger Eindämmung durch Präventionsarbeit begründet, wie etwa die Ausweitung der Befugnisse der Sicherheitsbehörden, insbesondere der Verfassungsschutzämter, seit 2001. Allein zwischen 2001 und 2009 gab es in der BRD 31 Gesetzesänderungen und Gesetzesverschärfungen, die mit einer Terrorgefahr durch Islamisten begründet wurden (Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag 2009: 6ff.). Es zeigt sich darüber hinaus, dass im parlamentarischen Raum der Begriff des Terrorismus überwiegend mit islamisch markierten Personen und Gruppen verknüpft wird. So führt eine Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags mit dem Titel Terrorismus: Definitionen, Rechtsgrundlagen und Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung fast nur sogenannte islamistische Anschläge gegen westliche Einrichtungen im Ausland oder Anschläge im Westen als »wichtig« auf. Anschläge von den gleichen Organisationen wie etwa Da´esh/ISIS in Syrien oder Irak werden nicht erwähnt (ebd.: 5f.). Es ist auffällig, wie der Begriff des Terrorismus in den letzten 20 Jahren vermehrt mit außereuropäischer, speziell islamisch konnotierter Gewalt verknüpft wurde und wird und von politischen Entscheidungsträger*innen immer wieder als das gefährliche Andere der europäischen und deutschen Ordnung konstruiert wird (vgl.: Qasem/Marquardt 2022: 21).

Der männliche Muslim wird als barbarischer Antagonist des Westens mit seinen Idealen von Freiheit und Demokratie konstruiert, der im Prinzip nur zu unterwerfen sei, unzähmbar bleibe. Die Konstruktion einer äußeren Gefahr und die damit verbundene Abwertung des feindlichen Anderen dienen zugleich der Legitimation der eigenen Herrschaft und Interessen sowie der Ermächtigung des nationalen Wir (Ruf 2014: 22ff.).

Begriffe wie Schläfer oder aktuell Gefährder werdenvorwiegend für islamisch markierte Männer eingesetzt und setzen das Bild des bedrohlich Fremden auf einer impliziten Ebene fort (Attia u.a. 2021: 18). Anders als die sehr plastische Begriffsschöpfung islamistischer Terrorismus suggerieren sie eine diffuse Gefahr für das nationale Wir von innen, eine Unterwanderung durch gefährliche und bedrohliche Menschen, die nur so tun, als ob sie die westliche Lebensweise bejahten. In diesem Zusammenhang wurde die Muslimbruderschaft und ihr nahestehende Moscheegemeinden sowie Organisationen von verschiedenen Richtungen beschuldigt, eine hidden agenda in Deutschland und Europa zu verfolgen, der zufolge sie heimlich demokratische Institutionen unterwandere und als Katalysator für den bewaffneten Jihad fungiere (Khorchide 2020; Heinisch 2019). Diese Verschwörungstheorien erinnern in ihrer Struktur an antisemitische Verschwörungstheorien vom Weltjudentum, welches betrüge, täusche und illoyal sei (Keskinkılıç 2016; Shooman 2012; Benz 2009).

Interessant bleibt, dass der Begriff des Gefährders der Polizeiarbeit entstammt und nicht einmal legal definiert ist – ganz so wie der Begriff des Islamismus, des legalistischen Islams oder des politischen Islams (Hunold/Raudszus 2021). Der Begriff findet »insbesondere bei der Bekämpfung des Terrorismus Anwendung« (Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag 2017: 3). Das BKA definiert Gefährder als Personen, »bei [denen] bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a der Strafprozessordnung (StPO), begehen« (ebd.: 3). Zwar ist die Polizeidefinition frei formuliert, so dass auch Rechtsextremisten darunter gefasst werden können. In der Polizeipraxis wird der Begriff jedoch weit überwiegend für muslimisch markierte Menschen verwendet, die im Verdacht stehen, extremistische Bestrebungen zu verfolgen. Dies spiegelt sich in Zahlen wider: Das BKA listet 679 Menschen aus dem islamistischen Spektrum auf und lediglich 46 Gefährder aus dem rechtsextremen Spektrum (Stand: 1.11.2019) (Hunold/Raudszus 2021). Sie können als Gefährder eingestuft werden »auch wenn keine beweiskräftigen Tatsachen für eine zukünftige Straftat vorliegen« (ebd.). Diese präventive Form der Strafverfolgung ist, auch wenn sie legal ist, auf einer normativen Ebene höchst fragwürdig, weil sie zur Stigmatisierung einer gesamten Bevölkerungsgruppe beiträgt. Islam und Islamismus sind diskursiv so eng verknüpft, dass sie häufig als ein und dasselbe erscheinen.

Gerade im Hinblick auf die starke Zunahme rechtsextremistischer Tendenzen und schwerwiegender extremistischer Vorfälle der letzten Jahre allein in Sicherheitsbehörden (rechtsextremistische Verdachtsfälle in Polizeien und Bundeswehr, NSU 2.0) ist der einseitige Fokus auf Muslim*innen nur durch eine ideologische Fixierung der Sicherheitsbehörden auf Muslim*innen zu erklären (Mediendienst Integration 2021). Umgekehrt gilt: Rechtsextremismus als gesamtgesellschaftliches Problem wurde lange als Sicherheitsproblem unterschätzt – das Behördenversagen im Falle der rechtsterroristischen Mordserie des NSU-Komplexes ist nur ein Beispiel von Vielen.2

Dieselbe Fixierung findet sich auch im parlamentarischen Raum wieder. Die Süddeutsche Zeitung berichtete Ende Januar 2021, dass Unionspolitiker nun »Islamisten das Handwerk legen wollen« und dafür ein Moscheeregister planen. Zustände wie in Frankreich seien zu verhindern, nach österreichischem Vorbild sollte auch ein Expertenkreis zum »politischen Islamismus« eingerichtet werden, der »aktuelle und sich wandelnde Erscheinungen des politischen Islamismus aus wissenschaftlicher Perspektive« erforschen und Handlungsempfehlungen aussprechen solle, damit »sicherheitsbehördliche Maßnahmen um gesellschaftspolitische und wissenschaftliche Ansätze« ergänzt werden können (BMI 2021; Ali 2021; CDU/CSU Fraktion 2021). Diese Episode, auf die noch näher einzugehen sein wird (Kap. 4.1.2.1 und 4.3.2.2), kann durchaus als symptomatisch für den Umgang der Politik mit Islam und Muslim*innen bezeichnet werden.

Die Versicherheitlichung des Diskurses über Islam und Muslim*innen findet ihren Niederschlag auch in »entgrenzten Bildungs-, Präventions- und Deradikalisierungsprogrammen« sowie Studien, die von staatlichen Institutionen wie der Bundeszentrale für politische Bildung oder der Stiftung Wissenschaft und Politik in Auftrag gegeben wurden (Bundesprogramm Demokratie leben! 2022; Bossong u.a. 2022; Bundeszentrale für politische Bildung 2020; Frindte u.a. 2011; Hafez/Qasem 2020). Während im Rahmen des Bundesprogramms »Demokratie leben!« auch Projekte gefördert werden, die den Kampf gegen antimuslimischen Rassismus zum Ziel haben (Maimonides 2021), so reproduziert die Stoßrichtung des Programms antimuslimische Narrative vom einzuhegenden, potenziell feindlichen Anderen, den es zu demokratisieren gelte. Muslim*innen und als solche Markierte erscheinen hier noch immer als Objekte der Politik, die unter den Vorzeichen der internen Demokratieförderung und Deradikalisierung einem Kontrollregime unterworfen werden.

Darüber hinaus gibt es seit Jahren starke Verbindungen zwischen akademischer Arbeit, dem Sicherheitsapparat und Think Tanks. Als augenfälligstes Beispiel ist hier der neu aufgestellte Think Tank des Bundesamts für Verfassungsschutz Zentrum für Analyse und Forschung (ZAF) zu nennen. Laut Selbstauskunft liegt die Zielstellung des ZAF darin, »die Analysekompetenzen des Verfassungsschutzes zu stärken«. […] »Dazu steht das ZAF im ständigen Austausch mit einer Vielzahl wissenschaftlicher Akteure, wie Universitäten und anderen (außeruniversitären) Forschungseinrichtungen.« (Bundesamt für Verfassungsschutz 2023) Es ist evident, dass eine solch enge Verzahnung von Sicherheitsapparat und Forschung problematisch ist und zu systematisch verzerrten Ergebnissen führen kann, wenn bereits die Fragestellung von Sicherheitsinteressen vorgegeben ist.

Auch in zahlreichen Buchpublikationen und Studien der letzten Jahre lässt sich eine Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Sicherheitsbehörden beobachten, in deren Zentrum (potenzielle) Sicherheitsgefahren durch sich islamisch legitimierende kollektive Akteure für Deutschland/Europa im Zentrum stehen (vgl. exemplarisch: Said/Fouad 2014; Steinberg 2014; 2018). Die Übergänge zwischen freier Forschung und sicherheitspolitischer Praxis gestalten sich zum Teil fließend. Es ist fraglich, inwieweit die Freiheit und Unabhängigkeit der Wissenschaft in diesem Kontext noch gewahrt ist, oder ob sie sich hier nicht zum Erfüllungsgehilfen politischer Interessen macht.

Es bleibt hochproblematisch, wenn sich die Wissenschaft auf eine Sicherheitsperspektive festlegt und muslimisches Leben in Deutschland von dieser Warte analysiert. Dies verstärkt und reproduziert bestehende antimuslimische Narrative und Konstrukte über einen bedrohlichen Islam. Der Fokus auf Religion und Sicherheitsinteressen durch die Politik bei gewiss vorhandenen Fehlentwicklungen und gewaltbereitem Fundamentalismus in der deutsch-muslimischen Community (und darüber hinaus) verstellt den Blick auf soziale und politische Ursachen und wirkt als Verstärker vorhandener Entfremdungstendenzen zwischen deutschen Muslim*innen, als solchen Markierten und staatlichen Institutionen.

Weiter verstärkt wird dieser Trend, wenn insbesondere während der Hochphase von Da´esh/ISIS aus dem politischen Raum Terrordistanzierungsforderungen pauschal an in Deutschland lebende Muslim*innen und als solche Markierte gerichtet werden. Damit werden sie nicht nur in die Nähe von Gewalt und Terrorismus gerückt, sondern es wird auch ihre Loyalität zur rechtsstaatlichen Ordnung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit in Frage gestellt und sie außerhalb eines liberal-demokratischen Konsenses verortet, der das Gewaltverbot gegen Zivilist*innen als europäische Errungenschaft deklariert.

2.2 Ausgrenzungen: Die inneren Anderen?

Das Integrationsparadigma gilt in weiten Kreisen der Politik bis heute als Richtschnur für Entscheidungen. Dabei spielen kulturelle Aspekte in den diskursiven Verknüpfungen von Migration, Islam und Integration meist eine große Rolle (Wissenschaft im Dialog 2016; Foroutan 2012: 10). Doch zunächst gilt es, festzuhalten und analytisch zu trennen: Politisch und wissenschaftlich dominieren in der Regel individuenzentrierte Konzeptionen von Integration, die Fragen nach der Erhöhung der Teilhabechancen, der Sozialintegration von migrierten Menschen in verschiedenen Teilbereichen der Einwanderungsgesellschaft stellen und deren Lösung sie dem Individuum durch einseitige Anpassung zuweisen (Esser 2001; 1980). Esser beschreibt in seiner breit rezipierten Theorie vier Dimensionen eines linearen Assimilationsprozesses des Individuums, um sich in der Aufnahmegesellschaft zu integrieren: kognitive (Sprache, Wissen), kulturelle, strukturelle (Arbeitsmarkt, Bildungssektor), soziale (interethnische soziale Beziehungen) und identifikative (Werte, Normen) Assimilation (Esser 2001: 17ff.). Er selbst bestreitet, dass sein Konzept problematisch sei: »Das Assimilationskonzept, verstanden als die sich vollziehende nachhaltige Sozialintegration der Migranten und Minderheiten in die jeweilige Aufnahmegesellschaft, ist nach wie vor durchaus keine unrealistische oder den Migranten irgendwie als Zumutung aufgezwungene Vorstellung.« (Ebd.: 24)

Assimilation sei demnach möglich, wenn die »individuellen Migranten« darauf abzielten und wenn sie keine »attraktivere ethnische Alternative« hätten, wie »etwa die Sozialintegration in die ethnische Gemeinde« (Esser 2001: 25). Sein Konzept, das den umstrittenen Begriff der Assimilation durch denjenigen der Integration ersetzt, beeinflusste maßgeblich die deutsche Integrationspolitik. Gesellschaftlich hegemoniale Vorstellungen von Integration und den inneren Anderen