Der Keller der Sünde | Erotischer Roman - Claire D. Anderson - E-Book

Der Keller der Sünde | Erotischer Roman E-Book

Claire D. Anderson

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Beschreibung

Dieses E-Book entspricht 160 Taschenbuchseiten ... Drogen und dunkle Sexgeheimnisse sind Teile der Vergangenheit von Audrey und Jacob. Als sie wegen einer Erbschaftsangelegenheit nach Jahren wieder in ihre Heimatstadt zurückkehren, brechen all die sündigen Erinnerungen über sie herein, die sie tief in ihrem Inneren vergraben hatten. Im Keller der Lust boten sie sich damals nackt und willig zahlenden Gästen an und lebten ihre Geilheit hemmungslos aus. Hin und her gerissen zwischen Sehnsucht und Ablehnung kommen sich Audrey und Jacob wieder näher. Finden sie einen Weg, ihre Gelüste und Träume zu leben und dabei ihre Vergangenheit ein für alle Mal hinter sich zu lassen? Diese Ausgabe ist vollständig, unzensiert und enthält keine gekürzten erotischen Szenen.

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Seitenzahl: 225

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Impressum:

Der Keller der Sünde | Erotischer Roman

von Claire D. Anderson

 

Claire D. Anderson arbeitet als freie Übersetzerin, Lektorin und Autorin. Sie hat mehrere Jahre im Ausland gelebt, unter anderem in Malta, Südfrankreich und Spanien. Ihr kreativer Rückzugsort ist ein Strandhaus nahe Valencia, in dem sie mit ihrem Mann die Wintermonate verbringt. Regelmäßig unternimmt sie mehrwöchige Reisen in die ganze Welt, die sie für ihre Romane inspirieren. Claire hat unter anderem bereits ein Reisetagebuch über ihre Zeit in Malta und den ersten Teil einer Fantasy-Trilogie veröffentlicht.

 

Lektorat: Marie Gerlich

 

 

Originalausgabe

© 2024 by blue panther books, Hamburg

 

All rights reserved

 

Cover: © demian1975 @ 123RF.com

Umschlaggestaltung: MT Design

 

ISBN 9783756170432

www.blue-panther-books.de

Prolog

»Audrey ist wieder da.«

Es schien, als ginge ein Flüstern durch die ganze Stadt Colante, ein Raunen, das von der sanften Meeresbrise des Mittelmeers ins Landesinnere getragen wurde; fast konnte man sehen, wie die Menschen ihre Köpfe hoben und den stummen Ruf vernahmen: »Audrey ist wieder da.«

Es war noch früh am Morgen, viel zu früh eigentlich, als Audrey nach über drei Jahren zum ersten Mal wieder heimischen Boden unter den Füßen spürte. Das Flugzeug hatte den Schwall Passagiere am Rande der Rollbahn ausgespuckt, alles drängte und schubste auf wackeligen Beinen und mit verschlafenen Gesichtern in Richtung Bus, der die Gruppe aus Urlaubern, Heimkehrern und Geschäftsleuten aus Übersee in die Ankunftshalle hinüberkarrte. Das ewige Warten, so knapp vor dem Ziel noch die Langsamkeit und die Trägheit des frühen Freitagmorgens ertragen zu müssen, all das schien der ganzen Szenerie in den Knochen zu stecken. Audrey war auch nicht wacher als die anderen, lehnte den Kopf an die Fensterscheibe, drückte sich die wie üblich zerzausten, schwarzen Haare platt, die ihr Gesicht bis zum Kinn umrahmten, und schloss noch einmal die Augen.

Tief hatte sie die warme Meeresluft eingeatmet, das Aroma von Blüten und Kerosin und Salz und Zeitlosigkeit. Wie in einem Traum war sie ausgestiegen; taub innen und außen, fühllos ihre Hände, ihre Füße, ihr Herz, war sie die Treppen hinuntergegangen – und plötzlich, überraschend und mit dem Gedanken viel zu früh stand sie auf dem Asphalt. Viel zu früh, nach Hause zu kommen aus Amerika? Viel zu früh am Morgen? Viel zu früh auf dem Boden der Heimat gelandet?

In resignierender Stille durchlief Audrey die Stationen ihrer Ankunft – raus aus dem Bus, durch die Passkontrolle, hinüber zur Gepäckausgabe … irgendwo mittendrin verlor sie das Zeitgefühl. Sie wusste, draußen wurde sie erwartet, jemand war gekommen, mit dem Schlüssel zu ihrer Wohnung. Audrey hatte ein schlechtes Gewissen, denn sie wollte eigentlich nur allein sein, und fürchtete sich davor, in irgendein vertrautes Gesicht blicken zu müssen. Aber das war unumgänglich. Dies war nur eine weitere Station auf ihrem Weg nach Hause. Nach Hause?

Was war schon zu Hause, wenn die Eltern seit über drei Jahren tot waren, der Bruder sein Studium abgebrochen hatte und sich nun mit halb legalen Geschäften durchschlug – zumindest, soweit sie wusste – und man zumeist gar nicht genau sagen konnte, wo er steckte? Was war schon zu Hause, wenn man selbst vor drei Jahren Reißaus genommen hatte, hinübergeflüchtet war, um langsam zu heilen, umsorgt und beschützt von Tante Marie und ihrem Mann, nachdem man plötzlich, über Nacht, alles an Verantwortung hatte übernehmen müssen, was das Leben nur darbot, ungefragt, einfach so?

Und während Audrey noch einmal tief durchatmete, um endlich durch die Milchglastüren zu treten, die die Gepäckausgabe von der Ankunftshalle trennten, löste sich ihr Herz mit einem schmerzhaften Reißen von Amerika, von Luke, der sie verlassen hatte, von ihren Verwandten in Übersee, von allem, was diese Zeit mit sich gebracht hatte, und sie dachte an die Worte, die sie ihr mit auf den Weg gegeben hatten:

»Sei mit deinem Herzen immer dort, wo du bist!«

Die Türen öffneten sich lautlos. Audrey hob den Blick und begann, in der wartenden Menge nach einem bekannten Gesicht zu suchen.

***

Zugleich begann mitten im Stadtzentrum von Colante der Tag für Jacob.

Polternd stürzte er die abgetretenen Stufen der winzigen Wohnung über dem Café »Sea Side« hinunter, in der er nach langen, durchgearbeiteten oder durchgefeierten Nächten manchmal schlief – mal mit, mal ohne weibliche Begleitung. Fast so schwankend wie Audrey am Flughafen kam er am Ende der Treppe zu stehen und ließ den Blick langsam über das sich ihm darbietende Bild wandern:

Er hatte es nicht mehr geschafft, gemeinsam mit Evan, seinem besten Freund, Mitinhaber und Koch im Café, das ganze Chaos der letzten Nacht zu beseitigen. Das Café hatte er vor zwei Jahren als gemütliche Frühstückslocation eröffnet, aber nach und nach hatte sich das Hauptgeschäft auf den Nachmittag verlagert und schließlich gab es ein ganz eigenes Publikum, das ab acht Uhr abends die Lokalität stürmte, die Bar belagerte, auf den gemütlichen Lehnstühlen und in den bunten, gepolsterten Sofas Platz nahm, nach Cocktails und kurzen Drinks verlangte und schließlich kaum je vor dem Morgengrauen vor die Tür zu kriegen war.

Jacobs Tage waren lang, besonders wenn jemand aus der Belegschaft im Urlaub war. Aber wenn alles wie am Schnürchen lief, dann machte er sich aus dem Staub, entkam seinem Lieblingsort in Colante und machte sich selbst auf die Reise, meist in attraktiver, weiblicher Begleitung oder mit einer ganzen Gruppe von Freunden.

Nur heute nicht. Denn sein vor ihm ausgebreitetes geräumiges Café bot folgendes Bild: Auf den Vintage-Holztischen stapelten sich Gläser und halb volle Snack-Schüsseln; die bunten, flickenbezogenen Sessel standen kreuz und quer im Raum verteilt, in den Ecken der Couches waren zusammengeknüllte Servietten zu finden, eines der Buntgläser an einem hofseitigen Sprossenfenster war gebrochen und über dem Ganzen lag ein suppig-rauchiger Geruch. Jacob war mit ein paar Schritten seiner langen Beine an der Tür und riss sie weit auf, wodurch das winzige Glockenspiel darüber wie wild zu bimmeln begann. Dann hastete er zurück in die andere Richtung, zur Tür, die in den Hinterhof hinausführte (wobei »Hinterhof« maßlos untertrieben war – es war ein wunderschöner kleiner Garten, umrahmt von einem Säulengang und viel Licht), und öffnete diese ebenfalls weit, dann die Fenster, jedes einzelne … schon besser.

Einmal durchatmen. Er streckte sich, dehnte die Muskeln, reckte die Hände nach oben, wobei sich die langen, wohlgeformten Finger der Decke entgegenspreizten, dann strubbelte er sich durch das schwarze, kurze Haar, fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht, öffnete die dunklen Augen und drehte sich mit einem Schwung in Richtung Bar. Kaffee. Das war am dringendsten. Hinter der Theke gab es noch Muffins vom Vortag. Die Lieferung des Tages würde erst in einer Stunde kommen, und bis dahin war Evan sicher schon auf den Beinen. Mit einem eleganten Schwung setzte sich Jacob auf den Tresen, schaute hinaus auf das beginnende Markttreiben auf der »Old Box«, dem rechteckigen Platz und alten Zentrum von Colante, und ließ sich sein Frühstück schmecken.

Allmählich wurde die Luft besser und seine Lebensgeister erwachten. Jacob war bereit für den Tag. Den groben Dreck hatte er bald weggeräumt, die Putzfrau käme sowieso gleich und würde den Rest erledigen. Draußen mussten noch die Tische arrangiert und gedeckt werden, die Sonnenschirme aufgespannt und die üblichen Grüße mit den Standbesitzern gewechselt werden.

Jacob liebte seinen Job. Er liebte sein ganzes Leben. Er fühlte eine Sonne in sich selbst scheinen und er konnte es in den Gesichtern der Menschen sehen, wenn sie all das spiegelten. Er liebte die körperliche Arbeit, die langen Abende, die traumlosen Nächte, aber auch die Morgenstimmung danach, wenn er in Ruhe auf die letzte Nacht zurückblicken konnte, während er ihre Spuren beseitigte, den Innenhof und den Vorplatz zusammenräumte und alles auf Kurs für den anbrechenden Tag brachte.

Jacob war in Colante kein Unbekannter. Er war ein Mitglied der Familie de Vries – einer der drei angesehensten und einflussreichsten Familien der Stadt, was ihre Mitglieder jedoch nicht davon abhielt, fürchterliche Streitereien untereinander vom Zaun zu brechen. Jacob war ein Nachzügler, seine älteren Geschwister Tanija und Tom waren schon längst auf und davon gewesen, als er begonnen hatte, die Welt zu erkunden. Von ihnen sah er wenig. Und als er mit einundzwanzig das Erbe seiner Eltern, das am Ende des langen Streites schließlich aufgeteilt worden war, ausbezahlt bekam, wollte er es besser machen – und das Geld erlaubte ihm jede Freiheit, die er sich nur wünschen konnte.

So investierte er zunächst in seine Bildung – er studierte ein paar Semester Design – und dann in neue Orte, doch immer in sein eigenes Leben. Aber weil er noch nie hatte ruhig sitzen können, hatte er gemeinsam mit Evan die Chance ergriffen und das »Sea Side« eröffnet. Da waren sie nun: beide 26, wild aufs Leben, immer auf der Suche nach Abenteuern, voller Energie, aber auch mit der Eleganz, Schönheit und der guten Erziehung wohlhabender Familien ausgestattet. Die Frauen waren hinter ihnen her, das Café lief großartig, sie lebten in einer reichen und wunderschönen Stadt am Meer und sie standen jeden Tag mit dem Gefühl auf, ganz besonders großes Glück zu haben.

Dennoch hatte Jacob auch eine dunkle Seite. Um diese wusste kaum jemand, außer denen, die dabei gewesen waren. Und das war gut so.

Jacob ging noch einmal nach oben, um zu duschen. Er freute sich auf den Tag, denn besonders Freitage waren wunderbar. Die Menschen am Markt auf dem Platz waren frisch und energiegeladen, hatten sich viel zu erzählen, freuten sich aufs Wochenende und auf gute Verkäufe und die Zeit verging schnell. An diesen Tagen arbeitete Jacob am liebsten.

Und so begann er den Tag und hörte kaum, was der Wind gerade heute in jeden Winkel Colantes zu tragen versuchte: »Audrey ist wieder da.«

***

Ungefähr zur gleichen Zeit hastete Marcus Wainwright die Stufen vom Schlafzimmer seines Landhauses hinunter in die Küche. Vor weniger als fünf Minuten war er aus dem Bett gesprungen, vor irgendwelchen dunkelgrauen Halbträumen flüchtend, die ihn in vermeintlicher Schlaflosigkeit verfolgten. Während der erste Kaffee aus der Espressomaschine lief, band er seinen Krawattenknopf. Hastig stürzte er die heiße schwarze Flüssigkeit hinunter. Ein Blick auf seine Rolex sagte ihm, er würde es gerade noch rechtzeitig zum ersten Meeting in Corrin schaffen, wenn er sich sofort auf den Weg machte. Während er nach den Autoschlüsseln kramte, wanderten seine Gedanken zum letzten Abend zurück. Wie immer, wenn er versuchte, etwas mit seiner Verlobten Ann zu unternehmen, war es gründlich schiefgegangen. Sie war am Ende betrunken in einer Ecke zusammengesackt, nachdem sie sich wieder einmal angeschrien und gegenseitig gedemütigt hatten. Es war Zeit zu verschwinden.

Wie immer empfand er maßlose Erleichterung, als er die Tür seines Porsche hinter sich zuwarf. Er genoss die Geschwindigkeit seines Autos, das zugleich Käfig und Zufluchtsort für ihn war.

Marcus war ein Getriebener. Seine Familie, seine Verlobte, sein Leben – nichts war so, wie es für ihn sein sollte. Und doch hatte er es sich so ausgesucht, sich in sein selbst gemachtes Nest gesetzt. Niemals hatte er aufbegehrt, sich niemals gewehrt oder um sich geschlagen. So nahm er seine Schlupflöcher wahr, entfloh, wann immer er konnte, in die glitzernde Welt des Scheins. Sein Ruf war tadellos. Seine Geheimnisse behielt er für sich. Nur wenige kannten den enthemmten Mann, den er sich so selten zu sein gestattete. Seine Fassade war undurchdringlich, so sehr, dass er sich selbst manchmal fremd war. Er nahm sich, was er kriegen konnte.

Und so hörte er an diesem Morgen nur das beruhigende Brummen des starken Motors unter ihm und sonst nichts. Nichts von dem sanften Wind, der vom Flughafen her die Mischung aus Salz, Kerosin und Meeresbrise zu ihm trug, gefiltert durch die Klimaanlage seines Wagens, und nichts von den leisen Worten, die er mit sich brachte, drang durch seine Mauern, Fassaden und Facetten: »Audrey ist wieder da.«

Audrey: Heimkehr

Ich sah mich in der Wohnung um. Groß war sie. Geräumig, geschmackvoll eingerichtet. Zwei Etagen. Raumhohe Fenster mit Blick aufs Meer. Und wie still es war! Niemals war es wirklich still gewesen in Fall Springs. Ich war eingehüllt gewesen in das Geschwätz und in den Stadtlärm, die Liebe meiner Tante, die Gutmütigkeit meines Onkels, die tausend Beschäftigungen, die ich mir gesucht hatte. Hatte mich in dem Roman, den ich geschrieben hatte, verloren.

Rastlos wanderte ich von einem Raum in den anderen. Ich wusste, ich hatte ein paar Tage, um mich selbst auf die Reihe zu kriegen, dann stand mir eine endlose Reihe von Terminen mit den Anwälten meiner Eltern bevor, ein Treffen mit Alexander, meinem Bruderherz, der schon wieder in irgendeiner Klemme steckte. Ich musste meine alten Kontakte reaktivieren, wenn ich meinen Schmuck wieder ausstellen wollte, wenn ich als Texterin arbeiten wollte, wenn ich meinen Roman veröffentlichen wollte. Doch diese paar Tage gehörten noch mir ganz allein.

Ich hielt es nicht mehr aus. Ich musste ans Wasser. Der Morgen ging langsam in den Vormittag über und ich wollte dort sein, bevor die Leute kamen. Ich brauchte einfach eine ruhige Minute am Meer. Das heißt, eigentlich wusste ich nicht genau, was ich brauchte, aber ich dachte, eine ruhige Minute am Meer wäre ein guter Anfang. Von der Wohnung war es nicht weit bis zum Wasser und ich rannte die Strecke fast.

Endlich war ich da. Die Sonne spiegelte sich verspielt in den Wellen, das Rauschen war ohrenbetäubend, die Farben wie in einem Traum. Ein paar Minuten stand ich am Strand auf einem großen Felsen und ließ mir die Gischt ins Gesicht spritzen. Tief durchatmen. Augen zu. Augen wieder auf. Es war einfach herrlich.

Dann holte ich mir am Strandkiosk einen Kaffee und spazierte die Promenade entlang, die sich wie ein hellgraues Band vor mir ausbreitete und sich in einem weiten Bogen bis zum Flughafen verlor.

Ich weiß heute nicht mehr, wie und warum, aber ich landete am Ende auf dem großen Marktplatz von Colante, der »Old Box«, wie die Leute hier liebevoll dazu sagten, direkt vor einem Café, das sich »Sea Side« nannte – wo zuvor ein alter, heruntergekommener Buchladen gewesen war. Es war später Vormittag. Ich schaute mich um, der Markt war in vollem Gange. Eine sanfte Brise wehte über den Platz, eine Mischung aus Sand, Meeresluft und Gewürzen, und die Windspiele an einem nahen Stand begannen, zu singen.

Ich weiß nicht, wie lange ich vor diesem Café stand, bis mir klar wurde, dass ich hineingehen musste. Durch die Glasscheiben der Vorderfront sah ich gemütliche Polstermöbel und als die Tür aufging, strömte entspannende Loungemusik zu mir heraus. Als ich das Café betrat, erklangen über mir ein paar wild gewordene Glöckchen. Ich musste lächeln. Als ich mich an einer Ecke der Bar niederließ, fielen mir als Erstes die vielen Bilder an den Wänden auf. Augenscheinlich war es immer dieselbe Stadt auf einem Hügel, die da in Aquarellen und Ölbildern abgebildet war … wo sie sich wohl befand?

»Normalerweise bringen unsere Gäste nicht ihren Kaffee mit in meine Bar«, riss mich eine angenehme Stimme mit amüsiertem Unterton auf der anderen Seite des Tresens aus meinen Gedanken.

Ich wirbelte herum und blickte zuerst auf meine Hand, die immer noch den Kaffeebecher vom Strand umklammert hielt, bevor ich in die dunklen Augen eines großen Mannes schaute. Es dauerte mehrere Sekunden, bis ich meine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle hatte, und noch ein, zwei weitere, bis mir endlich dämmerte, wen ich da tatsächlich vor mir hatte:

»Jacob!«

Ich sprang auf und konnte es kaum glauben. Jacob de Vries, der Junge, mit dem ich meine halbe Jugend auf den Felsen vor Colante verbracht hatte, mit dem ich im Alter von sechs Jahren nackt im Pool im Garten seiner Großmutter geplanscht hatte, der mich meine ganze Pubertät lang wegen meiner Pickel gehänselt hatte, mit dem mich meine Eltern gezwungen hatten, auf ihren Benefizveranstaltungen zu tanzen (Audrey, das gehört sich so. Die Familie de Vries gehört zu unseren ältesten Freunden!). Der Typ, mit dem mich auch eine dunkle Seite meiner Vergangenheit verband, und den ich zuletzt auf der Beerdigung meiner Eltern vor mehr als drei Jahren gesehen hatte – Jacob de Vries stand vor mir und breitete mit einem Lächeln im Gesicht die Arme aus, während er um den Tresen herumgerannt kam:

»Audrey Greene, ich glaub’s ja nicht!«

Ich konnte kaum Luft holen, da lag ich schon an seiner breiten Brust, umfangen von seinen starken Armen. Unwillkürlich atmete ich ein. Er duftete nach einer Mischung aus Kaffee, einem unglaublichen Eau de Toilette und Jacob, und mir wurden die Knie weich. Was war denn das?

»Audrey, ich wusste gar nicht, dass du hier bist! Warum hast du dich denn nicht gemeldet? Wann bist du heimgekommen?«

Ich schluckte schwer und befreite mich vorsichtig aus seiner Umarmung.

»Ich hab es ja selbst noch nicht realisiert, dass ich hier bin. Ich bin erst heute Früh gelandet …«

»… und dein erster Weg führt dich zu mir. Ich fühle mich geehrt«, sagte er mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht und machte einen Diener. »Lass dich anschauen, Mädchen …«

Er umschloss meine Schultern mit seinen riesigen Händen und drehte mich vorsichtig hin und her. Seine Berührung schickte kleine Stromstöße durch meinen Körper und ich begann, mich über mich selbst zu ärgern. Was war los mit mir?

»Ich … ich bin gar nicht absichtlich hergekommen«, sagte ich eine Spur zu schroff und trat einen Schritt zurück.

Ich war mir selbst nicht ganz geheuer. Jacob zog die Augenbrauen hoch und betrachtete mich. Er schien die Kälte zu spüren, die von mir ausging.

»Was kann ich dir bringen?«, fragte er ganz geschäftsmäßig, rührte sich aber nicht von der Stelle.

Mir tat mein Verhalten leid. Ich hatte ihn nicht kränken wollen. Etwas versöhnlicher wandte ich mich um und studierte die Kreidetafeln über der Bar.

»Hm … was empfiehlst du?«, fragte ich schließlich mit einem Lächeln.

Jacob musterte mich immer noch neugierig, jedoch ein wenig verhalten.

»Lass mich dich überraschen«, sagte er schließlich und begann, hinter der Bar zu hantieren. Nach wenigen Minuten stand eine große Tasse Kaffee vor mir, liebevoll zubereitet mit Schaum und Karamell, dazu servierte er einen Cupcake.

»Probier mal, geht aufs Haus«, sagte er, kam wieder auf meine Seite des Tresens und setzte sich neben mich.

»Und jetzt erzähl – warum bist du wieder hier?«

Seine Nähe brachte mich aus dem Konzept. Ich starrte ein paar Momente lang auf den Kaffee und den Minikuchen vor mir. Ich erinnerte mich daran, wie wir als Kinder gewesen waren, blendete aber die Schatten aus, die sich im Teenageralter über uns gelegt hatten. Daran konnte ich jetzt nicht denken.

Langsam hob ich den Blick, bis er schließlich seine Augen fand. Ich schien mit ihnen zu verschmelzen. Mein Herz begann, für einen Moment zu rasen. Ob es ihm wohl ähnlich ging? Er schaute mich an, als würde er mich zum ersten Mal sehen. Er sah wirklich verdammt gut aus. Und ihm gehörte dieses Café!

Jeder von uns hatte auf seine eigene Art den Weg aus dem dunklen Sumpf gefunden, der aus falschen Freunden, Drogen und Sex bestanden hatte, aber über all die Jahre war eines gleich geblieben: Füreinander hatten wir – bis auf wenige Momente – immer Respekt empfunden, waren ehrlich zueinander gewesen, wir, die wir durch unsere Familien nebeneinander ins Leben gestellt worden waren – ich mit meinem nach außen hin perfekten Elternhaus, er mit seiner zerrütteten Herkunft voller Schmerz und Leid, das sie einander gegenseitig zugefügt hatten. Und wie durch eine Fügung war der erste Mensch, der mir hier zu Hause in Colante begegnete, genau er. Und so begann ich, zu erzählen.

Flucht

Und Jacob hörte zu. Durch den Jetlag und den wenigen Schlaf, den ich bekommen hatte, verlor ich langsam jegliches Zeitgefühl. Ich schätze, wir saßen etwa eine Stunde an der Bar, bevor er sich kurz entschuldigte, mit jemandem vom Personal sprach, meine Kaffeetasse und den Teller schnappte und mich in eine winzige Wohnung über dem Café führte. Für sich selbst holte er ein Bier aus dem Kühlschrank. Die Wohnung war genauso gemütlich wie das Café darunter. Er öffnete ein paar Fenster, sodass ich die Musik vom Markt unter uns hören konnte, die sich mit dem Gemurmel der Menschen und dem Gelächter der Gäste vor dem Café vermischte.

Ich erzählte Jacob von meinem Leben in Amerika, von dem Romanentwurf, den ich geschrieben hatte, von meiner Tante Marie und ihrem Mann, die mich so liebevoll aufgenommen hatten, von Luke, der mir drüben das Gefühl von Sicherheit gegeben und mich schließlich doch verlassen hatte, und dass ich zurückgekommen war, um die Anwälte meiner Eltern zu treffen und mein Erbe zu regeln.

Natürlich erkundigte ich mich auch nach Jacobs Familie.

»Weißt du, seit der großen Erbschaftsverteilung ist wirklich nichts mehr, wie es einmal war. Pa ist zwar immer noch der Alte – einfach nicht unterzukriegen mit seiner Zuversicht und Fröhlichkeit –, aber Ma hat sich in den letzten Jahren sehr verändert. Sie ist verschlossener geworden, trifft sich weniger mit anderen Leuten als früher … Klar, sie organisiert nach wie vor ihre Wohltätigkeitsveranstaltungen, fördert junge Künstler, kümmert sich um alles, aber manchmal glaube ich, dass ihr die Streitigkeiten doch mehr zugesetzt haben, als sie jemals zugeben würde. Es gab da einige eigenartige Situationen, aber … ich will dich wirklich nicht damit langweilen …«, sagte Jacob.

»Ach komm, von mir weißt du mittlerweile alles, was ich inzwischen angestellt habe … wie bist du denn zu diesem Café gekommen?«, fragte ich, um von dem Thema abzulenken, das ihn sichtlich belastete.

»Da war viel Glück im Spiel. Und Evan hat einfach ein tolles Händchen für die Geschäfte. Ich bin eher für die Unterhaltung zuständig, weißt du. Wir hatten erfahren, dass die Buchhandlung, die früher hier drin war, schließen musste. Natürlich standen die Gebote für das Haus hoch, schließlich ist es direkt an der ›Old Box‹ und jeder weiß, wenn er hier ein Geschäft aufmacht, wird es zum Selbstläufer … Aber Evan hat toll verhandelt und schließlich haben wir den Zuschlag bekommen. Wir haben wochenlang umgebaut und renoviert, Möbel gekauft, dann mussten die Küche und die Bar gemacht werden – es war der Wahnsinn …«

Jacob verstummte und sah mich forschend an.

»Bist du müde?«, fragte er mich besorgt und strich mir eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Ein wenig«, gestand ich.

»Und Hunger musst du ja auch haben!«, fiel ihm ein.

Es musste bereits später Nachmittag sein.

Ich nickte.

»Ich nämlich auch. Warte ein paar Minuten, ich hol’ uns was von unten.«

Damit stand er auf und verschwand durch die Tür nach unten ins Café. Ich streckte mich auf der Couch aus.

Mir war klar, dass ich bald gehen musste. Doch Jacobs Nähe war wie eine Droge für mich. Ich konnte nicht genug von ihm bekommen. Während ich auf ihn wartete, schloss ich die Augen. Wie kam es, dass er mir so gefehlt hatte? Und vor allem, wie kam es, dass mir das nie aufgefallen war? Wir hatten über die Jahre, in denen ich in Amerika gewesen war, keinen Kontakt gehabt – er hatte zwar artig auf den Weihnachts- und Geburtstagskarten seiner Mutter unterschrieben, die sie mir immer geschickt hatte, aber darüber hinaus … ich war mir nicht sicher, was ich davon halten sollte. Vor allem, weil er mit einem Teil meiner Vergangenheit verknüpft war, an den ich mich bei Gott nicht erinnern wollte. Die Träume waren schon viel seltener geworden, und ich wollte nichts wieder heraufbeschwören, wenn es nicht unbedingt notwendig war.

Dennoch wanderten meine Gedanken zurück, ich konnte sie nicht daran hindern. Und als würden sie mich über einen tiefen Graben tragen, den ich drumherum aufgebaut hatte, war ich plötzlich wieder dort.

Ich sah uns vor mir, mit den anderen, als wir zum ersten Mal in den Keller der Lust gingen, wie wir ihn nannten. Irgendjemand hatte jemanden gekannt, der jemanden kannte, der an Kokain kam. Als Gegenleistung sollten wir mit verbundenen Augen in einem Raum zu sphärischer Musik tanzen. Das war der Anfang. Wir waren sieben junge Leute, drei Mädchen und vier Jungs, und wir waren auf Abenteuer aus.

Natürlich war uns langweilig. Wir wollten mehr vom Leben spüren, mehr sehen, als uns die Reichtümer unserer Elternhäuser bieten konnten. An einem schwülen Sommertag trafen wir also in einer schmuddeligen Seitengasse des alten Viertels von Colante auf unseren Lieferanten, einen schmierigen Typen, dem ein Schneidezahn fehlte. Er führte uns die Stufen hinab in einen dunklen Keller. Wir drängten uns aneinander. Jacob stellte sich damals schon schützend vor mich. Gerade hatten wir unsere pubertären Differenzen überwunden und er hatte begonnen, den Beschützer für mich zu spielen. Aber wir waren noch so jung! Und beschützen konnte er am Ende niemanden von uns.

Während uns die Augen verbunden wurden, begann die Musik, zu spielen, und rund um uns schienen sich Menschen zu bewegen. Man hörte gedämpftes Gemurmel, Husten, Lachen. Bald rann mir der Schweiß zwischen den Schulterblättern hinab und ich fand alles unglaublich aufregend. Manchmal berührten mich die Hände der anderen Tänzer um mich und bis auf ihren Atem in meiner Nähe und die Musik war kaum etwas zu hören.

Nach einer Stunde war der Spuk vorbei und wir wurden nacheinander in einen Raum gerufen, wo man uns ein durchsichtiges Päckchen mit feinem, gelblichweißem Pulver in die Hand drückte – und einen Zettel. Wer mehr wolle, müsse wiederkommen. Beim nächsten Mal würde man von uns erwarten, mit nacktem Oberkörper zu tanzen.

Ich rannte nach draußen und traf dort auf die anderen. Überschwemmt mit Adrenalin, übermütig durch unsere Kühnheit und unsere Tat, rannten wir bis zum Meer. Jeder von uns probierte von der Droge. Es war der pure Wahnsinn. Und natürlich wollten wir alle mehr.

Keine zwei Wochen später waren wir wieder in dem Keller versammelt. Bevor man uns die Augen verband, mussten die Jungs ihre T-Shirts und die Mädchen ihre Tops und BHs ausziehen. Ich erinnerte mich an Jacobs Gesichtsausdruck. Er stand vor mir und versuchte, mir in die Augen zu sehen. Noch bevor wir zu tanzen begannen, waren wir schon schweißgebadet. Der Sommer war fast an seinem Höhepunkt angelangt, die Hitze beinahe unerträglich. Und Jacobs Blick wanderte langsam meinen Hals entlang. Ich sah, wie er schluckte, als er auf meine Brüste blickte. Ich weiß noch genau: Ich habe ihn angegrinst und ihm die Zunge herausgestreckt. Doch er schaute mich nur an. Dann sah ich nichts mehr. Wieder die Dunkelheit, die Musik mit den dröhnenden Bässen, das Gemurmel der Menschen und die zufälligen Berührungen der anderen. Ich hörte meinen Atem schneller werden, genauso wie den der anderen auch. Und wieder bekam jeder ein Päckchen und einen Zettel mit Anweisungen.

Das nächste Mal also ganz nackt.

Auch in der folgenden Woche trafen wir uns. Wir wollten die Droge, allerdings begannen manche von uns, Skrupel zu bekommen. Wir alle hatten den Zusatz auf dem Zettel gelesen: Wer plauderte, starb. Wir wussten, wir saßen in der Falle, aber in unserer jugendlichen Unbekümmertheit dachten wir, es würde alles gut werden und niemandem könnte etwas geschehen. Keiner von uns wusste, wer uns zusah in den Nächten, in denen wir tanzten, und was die Menschen machten, während sie uns zusahen. Doch das Kokain war so gut, es war unser Freund geworden und wir mussten mehr davon haben. Und endlich gab es etwas, für das wir nicht mit dem Geld unserer Eltern bezahlen konnten, sondern das wir uns selbst verdienen mussten.

Also gingen wir wieder hin. Ich traf Jacob etwas früher als die anderen in der Gasse. Er wirkte nervös.

»Was hast du denn?«, fragte ich ihn.

Ich war aufgekratzt und sprang vor ihm auf und ab.

Er schüttelte den Kopf.

»Nichts, Audrey.«

»Na komm schon, raus mit der Sprache. Hast du Angst, weil wir jetzt alle zum ersten Mal deinen Schwanz sehen?«