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Der Roman beschreibt den Konflikt der freien Reichsstadt Rothenburg unter ihrem Bürgermeister Heinrich Topler mit dem Burggrafen von Nürnberg, Friedrich von Hohenzollern. Rothenburg wird vor allem durch innere Klassenkämpfe an einer starken Expansionspolitik gehindert. Die alten Geschlechter beherrschen die Stadt und verweigern den aufstrebenden Kaufleuten und Handwerkern die Beteiligung an der politischen Macht. Topler sieht, daß der wirtschaftliche und soziale Umwandlungsprozeß nicht aufzuhalten ist und will die unruhigen Zünfte integrieren. (Zitat aus westfr.de).
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Seitenzahl: 352
Veröffentlichungsjahr: 2012
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Der König von Rothenburg
Paul Schreckenbach
Inhalt:
Paul Schreckenbach – Biografie und Bibliografie
Der König von Rothenburg
Erstes Buch
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
Zweites Buch
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
Der König von Rothenburg, P. Schreckenbach
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN:9783849635725
www.jazzybee-verlag.de
Deutscher Pfarrer und Schriftsteller, geboren am 6. November 1866 in Neumark (bei Weimar), verstorben am 27. Juni 1922 in Klitzschen bei Torgau. Sohn eines Pastors, studierte in Halle und Marburg Theologie und Geschichte und promovierte später zum Doktor phil. Ab 1896 arbeitete S. als Pfarrer in Klitzschen in der Nähe von Torgau. Der Autor ist bekannt für seine hervorragenden historischen Romane.
Wichtige Werke:
Bismarck, 1915
Der böse Baron von Krosigk, 1908
Die von Wintzingerode, 1905
Geistliche Lieder von Martin Luther, 1917
Der getreue Kleist, 1909
Der jüngste Tag, 1919
Der König von Rothenburg, 1910
Der Komtur, 1921
Kurfürst Augusts Abenteuer, 1921
Die letzten Rudelsburger, 1913
Markgraf Gero, 1916
Michael Meyenburg, 1920
Die Pfarrfrau von Schönbrunn, 1917
Sühne, 1923
Die Tat des Leonhard Koppe, 1916
Um die Wartburg, 1912
Der Weltbrand, 3 Bände, 1915-20
Die von Wintzingerode, 1905
Der Windmüller von Melpitz, 1914
Der Zusammenbruch Preußens 1806, 1906
»Ich hätte das nimmer von dir geglaubt, Agnes! Habe immer gemeint, du seiest ein ehrbar Mägdelein, das etwas halte auf seinen Kranz. Statt dessen triffst du dich mit dem Gast unseres Hauses, Herrn Jakob Topler, des Abends im Laubengärtlein und liegest in seinen Armen und lässest dich von ihm küssen! O pfui, sage ich, und ich werde das nicht dulden, denn ich bin dir von deinem Vater selig zum Vormunde gesetzt bis zu deinem zwanzigsten Jahre. Nein, ich leide solch Wesen nicht, und ich werde dich zu den frommen Frauen von Sankt Clara in die Zucht geben, auf daß du ein sittsam Leben lernest.«
So redete in halb klagendem, halb strafendem Tone der ehrbare und vielmögende Ratsherr der freien Reichsstadt Nürnberg, Herr Ulrich Haller, zu seinem Mündel, der achtzehnjährigen Patrizierin Agnes Waldstromerin. Mit der Linken hielt er dabei seinen ehrwürdigen weißen Bart umfaßt, die Rechte hatte er drohend erhoben, so daß der ungeheure Türkis seines Siegelringes im letzten Abendlichte, das durchs Fenster hereinfiel, funkelte und blitzte.
Seine Worte schienen indessen nicht den gewünschten Eindruck hervorzubringen. Das junge Mädchen hatte zwar die Augen gesenkt, wie sich das bei einer Strafpredigt geziemt, aber es zuckte mehrmals wie ein verhaltenes Lachen um den vollen kirschroten Mund.
Als er aber zum Schlusse die Nonnenschwestern erwähnte, warf sie den zierlichen Kopf trotzig in den Nacken, und in den braunen Augen leuchtete es unmutig auf.
»Zuvor möcht ich doch wissen, wer dem Herrn Ohm das alles zugetragen hat,« versetzte sie schnippisch.
»Deß brauch' ich dir nicht Red' und Antwort zu stehn, du naseweise Dirn!« brauste der Ratsherr auf. »Achte dafür, daß mir's die Spatzen erzählt haben!«
»Ich weiß es auch so, Herr Ohm, – es war die Jungfer Brigitte. Und sie hat recht gesehen. Ja, ich habe in Herrn Jakobs Armen gelegen, und er hat mich geküßt, nicht nur einmal, wohl zwanzigmal.«
Dem Greise blieb vor Erstaunen der Mund offen stehen, denn solche Keckheit war ihm selten begegnet. Aber während er noch entrüstet nach Worten suchte, fuhr das junge Mädchen in demselben heiteren und unbekümmerten Tone fort: »Er ist nämlich mein Bräutigam. Gestern habe ich mich ihm fest angelobt, und heute wollte er zu euch kommen, und mich wundert, daß es noch nicht geschehen. Er muß ernstliche Arbeit im Rathause haben.«
Der alte Haller war während dieser Worte in einen Armstuhl gesunken und sah noch verblüffter aus als vorher. »Dein Bräutigam?« stammelte er. »Nach dreien Tagen, daß ihr euch kennet?« Er lachte sarkastisch und schlug sich mit der Hand aufs Knie. »Wie das Federvieh läuft heute das junge Volk zusammen, als wäre die Ehe ein Fastnachtstanz und nicht vielmehr das gewichtigste Geschäft des Lebens! Und der Vater? Der Vormund? Die werden vorher nicht gefragt, die können nachher segnen, wenn die Jungen einig sind!«
Das Mädchen trat rasch auf ihn zu und faßte bittend seine Hände. »Es ist nicht so, wie der Herr Oheim meint,« sagte sie. »Vor anderthalbem Jahr weilte mein Herzliebster vierzehn Tage in unserem Hause, als er von Rothenburg gen Prag auf die hohe Schule zog. Da hat es mein Vater gern gelitten, daß er um mich schön tat und mich im Tanze schwenkte und mich heimgeleitete. Er hat mir auch damals in aller Heimlichkeit einen goldenen Ring verehrt – sehet, hier ist der Tag eingegraben, an dem er ihn mir gab: Sanct Ägidien 1405. Und er hat mir gelobt, wenn er wiederkehre, so wollte er bei meinem Vater um mich werben. Nun ist er wiedergekehrt, aber er muß bei euch werben, denn der liebe Vater ist tot.«
Der Ratsherr hatte sein Mündel unverwandt angeblickt, während sie redete, und als sie geendet hatte, erwiderte er in bedeutend milderem Tone als vorher: »Ich weiß, daß du nicht lügst. Aber dein Vater, wäre er am Leben, dächte heute auch wohl anders als damals. Anderthalb Jahre ändern oft viel.«
Das Mädchen blickte ihn betroffen an und zog die Brauen zusammen, indem sich ihr Antlitz dunkler färbte. »Hat der Herr Oheim etwas gehört wider Herrn Jakob Toplers Auf und Ehre?« fragte sie nicht ohne Schärfe.
»Nichts. Er hat ein gut Gerücht landauf und landab.«
»Also was könnte sich sonst geändert haben?« fuhr das Mädchen mit einem erleichterten Aufseufzen fort. »Ist nicht sein Vater, Herr Heinz Topler, Bürgermeister und Stadtmeister in Rothenburg und im ganzen Tauberlande so allmächtig, wie der liebe Gott in aller Welt?«
»Noch mächtiger fast,« warf der Ratsherr dazwischen.
»Und ist er nicht reich wie ein König?«
Der Alte lachte. »Wie ein König? Die beiden Könige, die jetzt ums deutsche Land hadern, Herr Ruprecht und Herr Wenzeslaus, die würden froh sein, wenn sie Heinrich Toplers Gut hätten. Auf achtzigtausend Goldgulden schätzt man es ein.«
»Warum also, wenn Ihr das alles selbst sagt, sollte mein Vater heut anders reden?«
»Weil dieses Mannes Größe ist wie ein Schlauch, den man mit Luft füllet. Er wächst und schwillt und wird immer größer und größer, und dann – ein jäher Knall, und die Fetzen liegen auf der Erde. So könnte es eines Tages ergehen mit Heinrich Toplers Glück und Herrlichkeit.«
»Wie, Herr Ulrich Haller, redet Ihr so von meinem Vater?« erklang es da von der Tür her. Ein hoher, breitschultriger Mann stand in ihrem Rahmen und blickte zürnend nach dem Greise hinüber. Wer den gewaltigen Bürgermeister von Rothenburg kannte, sah hier mit Staunen sein verjüngtes Ebenbild. Es war dieselbe Kraftgestalt und dasselbe mächtige Haupt, einem Löwenkopfe vergleichbar.
Der alte Patrizier wandte sich erstaunt, aber keineswegs erschrocken um. »Es war nicht für Euch bestimmt, Herr Topler,« sagte er. »Doch da Ihr als Freier kommt, wie diese sagt, so muß ich Euch ja ohnehin reinen Wein einschenken.« – »Lasset mein Mündel los!« gebot er streng, als der junge Mann dem Mädchen die Hand hinstreckte und sie die ihrige mit strahlendem Lächeln hineinlegte.
Der junge Topler richtete sich bei diesen Worten zu seiner ganzen Länge empor und warf dem Greise aus seinen stahlblauen Augen einen so blitzenden Blick zu, daß dieser unwillkürlich die Wimpern senkte. Aber er hob sie sogleich wieder empor und sah fest und furchtlos in das vor Zorn erblichene Gesicht.
»Ihr werdet mir das erklären, Herr Ulrich Haller!« rief Jakob Topler mit starker Stimme.
Der Ratsherr neigte bejahend das weiße Haupt. »Das wird und muß geschehen. Du aber, Agnes, laß uns allein.«
Die Jungfrau umfaßte stürmisch mit beiden Händen ihres Verlobten Rechte und sandte einen langen Blick voll heißester Zärtlichkeit zu ihm empor. Dann schritt sie, ohne ein Wort zu sprechen, schnell hinaus.
Ihr Vormund blickte ihr düster nach. »Es ist mir leid, Herr Topler, daß Ihr als mein Gast aus meinem Munde Worte gehört habt und noch zu hören begehrt, die Euch bitter sein müssen,« begann er.
»Ach, kommt zur Sache, Herr!« entgegnete Jakob Topler trotzig. »Was habt Ihr gegen meinen Vater, und warum weiset Ihr meine Werbung zurück? Ihr seid uns geschwägert und versippt, und ich hielt Euch für unsern Freund.«
»Zum ersten«, gab Herr Haller bedächtig zur Antwort, »habe ich gegen Euern Vater nichts. Das möget Ihr daraus erkennen, daß mein Sohn Andreas mit meinem Willen um Eure Schwester Katharina freien wird. Freilich nicht gleich, aber in kurzer Zeit– –«
»Was?« rief der junge Mann, »und bei dem allen– – – – –« aber der Greis schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab und fuhr fort: »Zum zweiten weise ich Eure Werbung nicht ab, aber ich stelle dabei eine Bedingung, dieselbe wie meinem Sohne, obwohl dieser sein Weib mit ihrem Heiratsgut zu uns nach Nürnberg bringt, indessen mein Mündel nach Rothenburg ziehen müßte!«
»Und diese Bedingung? Nennt sie!«
Haller beugte sich auf seinem Stuhle weit vor, und indem er den vor ihm Stehenden mit einem scharfen Blicke fast lauernd von unten bis oben musterte, sprach er langsam und jedes Wort betonend: »Wenn Euer Vater in zwei Monaten noch Bürgermeister in Rothenburg ist, gebe ich Euch die Agnes Waldstromerin mit meinem Segen.«
Es war eine Weile still in dem Gemache. Jakob Topler fuhr nicht auf, wie das nach seiner heftigen Art zu erwarten war, sondern er sah auf den Sitzenden mit einem Blicke hernieder, in dem Spott und Mitleid sich paarten. Dann warf er sich in einen Stuhl ihm gegenüber und rief mit einer nicht mißzudeutenden Bewegung nach der Stirn: »Bin ich's – oder seid Ihr's?«
Dem Ratsherrn stieg eine feine Röte ins Antlitz, aber er erwiderte ruhig und gelassen: »Ich erkenne: Ihr versteht mich nicht. Wie solltet Ihr auch? Ihr waret anderthalb Jahre fern von der Heimat, und Briefe sagen nicht viel, auch wird sich Euer Vater wohl gehütet haben, allzuviel zu schreiben.«
Er machte eine Pause und faßte dann mit einem Male seines Gastes Hand, »Herr Jakob, ich will offen zu Euch reden, denn Ihr seid ein Mann. Auch könnt Ihr's ruhig Euerm Vater künden, was ich Euch sage; er mag daraus ersehen, daß ich sein Freund bin, obschon ich vieles nicht billige, was er tut. Wollt Ihr mich anhören ohne Zorn?«
»So redet!«
»Sehet,« begann der Ratsherr, »Euer Vater und ich haben viel im Leben miteinander zu tun gehabt, immer als Freunde, er für Rothenburg, ich für Nürnberg. Wir standen Seite an Seite bei Reutlingen, da die Städte die Ritter schlugen, wir sind wohl auf zwanzig Reichstagen miteinander gegangen. Und doch lag zwischen uns immer eine tiefe Kluft, über die wir nimmermehr kommen konnten. Wißt Ihr, warum? Mein Wahlspruch war und ist: Schritt für Schritt. So habe ich langsam und bedächtig den Reichtum gemehrt, den mein Vater mir vererbte. Ihr aber seid von anderer Art, ganz andern Sinnes und Geistes. Toppeln heißt in unserer alten Sprache »spielen«, und wie Ihr heißt, so seid Ihr. Auch führt Ihr nicht umsonst zween Würfel in Eurem Schilde. Nun, Ihr habet gut getoppelt bisher, Ihr Herren Topler! Aber der Einsatz wird immer größer, und fallen die Würfel einmal nur gegen Euern Vater, so ist er ein toter Mann.«
Jakob Topler hatte regungslos zugehört, und keine Muskel in seinem Antlitz hatte gezuckt. Jetzt aber hob er schnell den Kopf und fuhr zusammen. »Wie meint Ihr das?« fragte er hastig.
»Ihr wißt, daß die Geschlechter in Rothenburg meist Euerm Vater gram sind. Sie wollen nicht, daß einer wie ein Fürst über sie gebietet. Ja, er hat Todfeinde unter ihnen, nicht einen, viele. Lange schon wühlen sie und suchen ihn zu fällen, jetzt meinen sie sich ihrem Ziele nahe. Denn Euer Vater will die Stadt beim König Wenzel erhalten, während doch König Ruprecht hier zu Lande der Mächtigere von beiden ist. Auch das wißt Ihr, Herr, denn Ihr tragt Briefe vom Böhmenkönig an Euern Vater.«
»Ich?« rief Jakob Topler, und über sein Gesicht schoß eine glühende Röte.
Haller lächelte. »Das war nicht schwer zu raten. Seid aber vorsichtig damit, es gibt in Franken manchen, der viel Goldes dafür geben würde. Doch davon nichts weiteres. Hält Euer Vater die Stadt bei Wenzel, so trifft sie König Ruprechts Acht und Aberacht. Dann würde der Burggraf Friedrich nicht säumen, hundert Fürsten und Grafen und Herren gegen Euch in den Sattel zu bringen, und es droht der Stadt die schwerste Fehde, die sie noch je bestanden.
Damit schüren Eures Vaters Feinde gegen ihn. In allen Bürgerhäusern und Trinkstuben Eurer Stadt raunt's und klingt's jetzt: ›Hätten wir den Topler nicht, so wären wir in König Ruprechts Gunst und brauchten vom Burggrafen von Nürnberg nichts zu fürchten.‹ Euers Vaters Anhang unter den ehrbaren Geschlechtern wird immer kleiner. Heut schreiben wir den zwanzigsten des Märzmondes, am ersten Wonnemond ist die neue Ratskürung. Siegt diesmal Euer Vater, so will ich glauben, daß er bis an seines Lebens Endschaft der Herr sein wird über Rothenbürg, denn dann kann nichts seine Macht erschüttern. So leid mir's tut, ich glaub' es nicht. Aber siegt er, dann möget Ihr fröhlich Hochzeit halten, mein Sohn mit Eurer Schwester und Ihr mit meinem Mündel. Eher jedoch nicht, denn bleibt Euer Vater nicht auf dem Bürgermeisterstuhl, so mag er in derselben Nacht flüchtig werden. Er wird wissen, warum. So stehts zurzeit in Rothenburg. Weiß nicht, ob Ihr wenig davon wußtet, oder viel.«
Indem begannen die Glocken von Sankt Sebaldus das Abendgeläut. Der Greis faltete sofort in seinem Stuhle die Hände, neigte das Haupt und sprach leise die Worte des Paternosters. Der junge Mann dagegen blieb aufrecht sitzen, als vernähme er die fromme Mahnung gar nicht und schaute starr und still vor sich hin.
Dann stieß er ein hartes Gelächter aus. »Fürwahr, Herr Ulrich Haller, Ihr wisset gut, wie's steht in unserer Stadt. Nur eines habt Ihr außer acht gelassen: Mein Vater hat sich niemals auf die Ehrbaren gestützt, auf die Geschlechter, immer auf die gemeine Bürgerschaft. So wird er auch jetzt tun und wird die Hunde ducken, und ich, so wahr mir Gott gnädig sei, werd' ihm dazu helfen!«
»Das dachte ich, Ihr seid ja von gleichem Holze. Ich aber erwarte den Ausgang. – Doch nun entschuldigt mich,« sagte er, sich erhebend. »Um diese Stunde komme ich zu einem Vespertrunke zusammen mit einigen Gefreundeten im Hause zum roten Stern. Mein Sohn Andreas wird gleich hier sein, um Euch in des Rates Trinkstube zu geleiten, wo ich Euch für heute bei Würfeln und rotem Weine zu vergessen bitte, daß es in meinem Hause eine Agnes Waldstromerin gibt. Morgen, bevor Ihr ziehet, möget Ihr dann in meiner Gegenwart von ihr Abschied nehmen. Für heute, Herr Jakob Topler, gehabt Euch wohl, und nehmet meine Rede nicht für ungut. Ich habe nichts gegen Euch, stehe Euerm Wunsche nicht aus Widerwillen im Wege, ebensowenig dem Wunsche meines Sohnes. Aber ich war von je ein fürsichtiger Mann, und bei Gott, ich will es bleiben.«
Er verließ mit seinem leisen, schlürfenden Schritte das Gemach, und Jakob Topler wandte sich mit düsterer Miene dem Fenster zu und blickte hinaus. Es dunkelte schon stark, und hie und da wurden Laternen entzündet, die ein ehrbarer und edler Rat an großen Schwebeketten über die Straße hatte hängen lassen. Das war eine neue Erfindung, und nur wenig Reichsstädte konnten sich einer gleichen Beleuchtung rühmen. Er aber warf kaum einen Blick darauf, denn Herrn Ulrich Hallers Rede hatte ihn tief erregt und im Innersten getroffen.
Ja, so war es, wie der alte, lebenserfahrene Ratsherr gesagt hatte, und es war bitter, daß es Leute gab, die seines Vaters, seines Hauses Lage so klar erkannten. Sein Vater war gewachsen und immer höher gewachsen, jetzt in seinem vierundfünfzigsten Jahre stand er auf dem Gipfel seiner Macht. Heinrich Topler war der mächtigste Mann in Rothenburg und neben dem Zollern Friedrich von Nürnberg der mächtigste Mann in ganz Franken. Seitdem er in den Rat eingetreten war, hatte er Rothenburg beherrscht durch die Kraft seines Geistes, und wie er reich und angesehen geworden war, mehr als jeder andere im Süden des Mainstromes, so hatte er Rothenburg erhoben zu einer Königin unter den Städten des deutschen Reiches. Ihr Gebiet glich einem Fürstentume, gewaltige Festen beschirmten es, die Bürger lebten in Wohlstand, ja in Üppigkeit. Aber freilich, das alles war erreicht durch Wagnis und Gewalt und viel Glück, besonders auch dadurch, daß er die Macht der Geschlechter gebrochen und, auf das Volk gestützt, ihr Herr geworden war. Wohl mochten sie ihn hassen, die stolzen Fürbringer und Seehöfer, die Häuptlein und Hornburg und wie sie alle hießen, wohl mochten sie seufzen unter seinem Drucke und den Tag herbeisehnen, an dem sie mit ihm abrechnen konnten. Und dann ging's um's Leben.
Wohl möglich auch, daß sie diesen Tag nahe wähnten. Der alte Haller konnte recht haben, Andeutungen in Briefen seines Vaters, sowie sein gebieterisches Drängen auf des Sohnes Rückkehr stimmten damit zusammen. Auch der Vater mochte ahnen, daß eine Entscheidung bevorstehe.
Jakob Topler schlug sich gegen die Brust, daß es einen dumpfen Laut gab, und murmelte: »Dann werd' ich an seiner Seite stehen, und wehe dem, der die Axt wider die Eiche zu heben wagt!«
Da schlangen sich plötzlich zwei weiche Arme um seinen Hals, und die Augen, die ihm, seit er zuerst in sie hineingeschaut, wie zwei Sterne im Wachen und Traume vor der Seele gestanden, blickten voller Angst und Liebe zu ihm auf.
»Herzliebster, was sagte der 0hm?«
»Er stellte mir zwei Monden Frist.«
»Zwei Monde, warum das?«
»Das kann ich dir nicht in der Kürze sagen, mein Schatz,« erwiderte darauf der junge Mann und zog sie fest an sich. »Aber dessen sei gewiß, nach zwei Monden hol' ich dich, und du wirst mein!« Und er küßte sie wieder und wieder.
Da näherten sich schnelle Tritte der Tür. »Der Vetter!« flüsterte sie, entwand sich behend wie ein Kätzchen seinen Armen und schlüpfte an einem hochgewachsenen jungen Manne vorüber, hinaus in den dunkeln Flur.
Andreas Haller trat langsam näher, tiefe Betroffenheit in dem hübschen, offenen Gesichte.
»Vetter, was war das? Diese hier an deiner Brust?«
»Warum nicht?«
Der junge Nürnberger sah ihn ernst an. »Und Armgard Seehöfer?« fragte er leise.
Jakob Topler blickte erstaunt auf. »Was willst du mit der?«
»In Rothenburg ward mir erzählt, dein Vater wolle dich mit ihr vermählen, damit die Reichsten und Mächtigsten der Stadt gute Freunde würden.«
Jakob Topler antwortete nicht sogleich. Dann sagte er mit erzwungener Ruhe: »Möglich, daß von dergleichen in der Stadt die Rede war. Aber ist da etwas vereinbart worden, so ist es ohne mein Wissen geschehen. Komm, laß uns ausgehen! Ich habe mit deinem Vater ein ungut Gespräch gehabt, ich erzähle dir's nachher beim Weine. Jetzt aber lüstet's mich, einen tiefen, starken Trunk zu tun.«
Als das Morgenrot des folgenden Tages am Himmel erschien, ritt Jakob Topler mit vierzehn Pferden aus Nürnbergs Toren. Der junge Haller und ein Pirkheimer gaben ihm außerdem das Geleite eine Stunde weit, dann riefen sie ihm noch ein »Heil« auf den Weg zu und kehrten um.
Unfrohen Gemütes zog er die Straße dahin. Zwar leuchtete das goldene Tagesgestirn in voller Pracht, und die ersten Lerchen stiegen trillernd empor aus dem Wiesengrunde, der sich schon hier und da mit leichtem Grün zu überkleiden begann. Er aber achtete nicht auf die Schönheit der Natur, denn seine Gedanken ließen ihn nicht aus ihrem Banne, und sie waren keineswegs fröhlicher Natur. Wohl trat ein heller Glanz in seine Augen, wenn er des Mädchens gedachte, die sich noch vorhin, unbekümmert um des gestrengen Vormundes Gegenwart, an seine Brust geworfen hatte, und deren Küsse noch auf seinen Lippen brannten, aber es war ihm, als sähe er jetzt erst die hohen Berge, die sich auftürmten zwischen ihm und seinem Glück. Wenn man in Rothenburg Andreas Haller nicht falsch berichtet hatte, so mußte es einen schweren Kampf mit seinem Vater geben. Es war sehr wohl möglich, daß zwischen ihm und dem vielmögenden Ratsherrn Walter Seehöfer in jüngster Zeit Verabredungen getroffen worden waren, ihre Kinder miteinander zu verheiraten, obwohl die beiden Väter bisher stets Gegner gewesen waren. Unzählige Bündnisse und Freundschaften wurden ja auf diese Weise versiegelt und festgemacht, die Ehe galt den meisten als ein Rechengeschäft, bei dem das Gefühl des Herzens keine Rolle spielte. Auch er würde, wenn er nicht die Agnes Waldstromerin vor anderthalb Jahren gesehen hätte, kaum Einspruch erhoben haben gegen eine Vermählung mit der Armgard Seehöferin, obwohl das herbe, ernste Mädchen sein Blut, so lange er sie kannte, noch nie in Wallung gebracht hatte.
Jetzt aber sträubte sich sein ganzes Empfinden gegen solch ein Verbündnis, an dem die Liebe keinen Anteil haben sollte. Denn er hatte nun die Macht kennen lernen, von deren unwiderstehlicher Gewalt in den alten Mären und Liedern so viel gesagt und gesungen ward, und von der er trotz seiner achtundzwanzig Jahre noch recht wenig Ahnung bisher gehabt hatte. Er hatte in Prag kein Weib angesehen, nicht die züchtigen Bürgerstöchter und nicht die üppigen Fräuleins am Hofe Wenzels, der den Sohn seines Freundes und Vertrauten oft zu Trunk und Jagd und Spiel geladen hatte. Die heftige Neigung, die beim ersten Anblick der jungen Nürnberger Patrizierstochter in ihm aufgelodert war, hatte sich zu einer ernsten Leidenschaft entwickelt in den Monaten seines Fortseins, und den Treuschwur, den er der Jungfrau gegeben, wollte er halten, was auch kommen mochte. Er kannte des alten Seehöfers schwache Seite, sie bestand in einer fast ans Lächerliche grenzenden Habsucht, verbunden mit dem schnödesten Geize. Vielleicht war der beleidigte Vater der zurückgewiesenen Tochter mit Geld abzufinden.
Bei dem allen brannte eine leise Scham in seiner Brust, daß er von diesen Gedanken sich nicht freimachen konnte. Ach, es gab jetzt für ihn doch eigentlich ganz andere Dinge, an die er hätte denken müssen, als Mädchenaugen und Frauenliebe! Es lag ein Gewitter in der Luft, dessen niederfahrende Blitze seinen Vater, ihn selbst und seines Hauses Ehre zerschmettern konnten. Ohne Zweifel waren die vielen Feinde des großen Mannes jetzt besonders emsig an der Arbeit, ihn zu stürzen und zu verderben. Er wußte, wie gut man in Rothenburg über die Verhältnisse Nürnbergs unterrichtet war, also mochte es umgekehrt nicht anders sein, und deshalb hatte des alten Hallers düstere Meinung etwas ungemein Warnendes und Bedrückendes für ihn. –
Ein greller Pfiff aus nächster Nähe schreckte ihn aus seiner Versunkenheit empor. Die Straße war in den Wald eingebogen, man war an einem Kreuzwege angekommen, und dort hielt unter einem Muttergottesbilde eine Gestalt zu Pferde, bei deren Anblick über Jakobs Antlitz ein schmunzelndes Lächeln flog. Denn der hagere Geselle, der auf dem großen, mageren, aber sehnigen Klepper saß, war der Mann, mit dessen Namen man in ganz Franken und Schwaben die unartigen Kinder schreckte, und über dessen tolle Streiche man doch im ganzen Lande lachte. Es war der Stegreifritter Apel von Gailingen, den das Volk kurzweg Eppele oder Eppelein zu nennen pflegte.
Abenteuerlich, wie des Ritters Erscheinung, war seine Ausrüstung. Zwar das Gewaffen war trefflich in Ordnung, aber aus den langen Reiterstiefeln schauten vorn die Zehen fürwitzig heraus, und der zerschlissene Mantel legte durch seine Stickereien die Vermutung nahe, daß er früher als Meßgewand oder gar als Altardecke gedient hatte.
Eppelein hielt unbeweglich auf seinem Gaul und musterte die Heranreitenden mit dem Blicke eines wohlgelaunten Raubvogels, der ganz gesättigt ist und keine Beute begehrt. Ja, er rief ihn sogar mit seiner knarrenden Stimme an: »Grüß Gott, Toplerssohn! Bist du wieder da aus der Fremde?«
»Wie du siehst, Eppelein, grüß Gott auch! Aber plagt dich der Teufel, daß du dich so nahe heranmachst an Nürnberg?«
»Ich bin mit der Stadt vertragen und fürcht' mich nicht. Auch kennst du meine Rede: Die Nürnberger hängen keinen, sie hätten ihn denn. Aber du, Jakob, könntest dich wohl fürchten. Ein Geier ist über dir.«
Jakob Topler zügelte sein Roß. »Was soll das? Was willst du mir sagen?«
»Ich will dir sagen: Ein Gewaltiger paßt auf deinen Weg. Der Burggraf ist hinter dir her.«
»Der Burggraf? Wir leben mit ihm im besten Frieden.«
»Da ist nicht von Frieden oder Unfrieden die Rede. Der Burggraf kommt über dich als des Königs Richter auf des Königs Heerstraße. Er will dir etwas nehmen in König Ruprechts Gewalt und Namen, was du aus Prag mitbringst.«
Jakob Topler war jäh erblaßt und saß auf seinem Rosse wie erstarrt. Was der adlige Buschklepper erzählte, konnte er sich unmöglich selbst zusammengereimt haben, und verhielt es sich so, dann war er in großer Gefahr. Er wußte zwar im einzelnen nicht, was König Wenzel seinem Vater geschrieben, aber daß er eine wichtige und sehr gefährliche Botschaft trug, das war ihm natürlich ganz genau bekannt. Die Partei König Ruprechts mußte schon den Verkehr mit dem abgesetzten König in Prag für Hochverrat ansehen, und nun gar das Festhalten an ihm mußte ihr wie todeswürdige Felonie erscheinen.
»Woher weißt du das alles?« fragte er auffahrend.
»Danach frage nicht. Wer wie ich mit Pfaffen und Laien säuft, hört gar viel. Aber wundert's dich nicht, daß ich dir's künde?«
Ehe Jakob antworten konnte, jagte der Reiter heran, der einige hundert Schritt vorauf ritt, um etwaige Gefahr zu erspähen. »Herr!« rief er. »Vor uns auf der Waldblöße hält eine große Schar!«
»Siehst du!« sagte Eppele. »Du kannst auch nicht zurück – der Wald ist umstellt. Es ist, wie ich dir's kündete.« Und hastig sprechend fuhr er fort: »Vor acht Monden war ich in deines Vaters Hand. Er konnte mir den Kopf vor die Füße legen, aber er tat's nicht, ließ mich laufen. Da schwur ich mit aufgereckter Hand, ich wollte es ihm vergelten. Und nun sag ich dir, gib mir die Briefe, ich bringe sie sicher nach Rothenburg, denn jeder weiß, daß ich den Pfeffersäcken feind bin, also sucht sie keiner bei mir.« Und wieder hob er die Arme in die Höhe und schwur: »Gott soll mich ewig in die Hölle verdammen, wenn ich dich verrate! Ich gebe dir mein ritterlich Wort.«
Jakob Topler schaute ihn durchbohrend an. Der Kerl war ein Landschade, aber er hatte eine Art ritterlichen Gewissens, und sein Wort hatte er noch keinem gebrochen. So riß er mit einem Ruck sein Wams auf und zog eine Ledertasche hervor. »Hier, Eppele, ich will dir vertrauen.«
»Wirst's nimmer bereuen, Jaköble!« rief der Ritter, und ein stolzes Lächeln fuhr über sein braunes, narbiges Gesicht.
In diesem Augenblicke war es Jakob Topler, als hörte er neben sich die klare, feine Stimme des alten Ratsherrn Ulrich Haller sagen: »Spieler seid Ihr, Ihr Herren Toplert« und es durchzuckte ihn einen Augenblick schreckhaft der Gedanke, welch' ein Wagnis er beging. Darum flüsterte er dem Ritter zu, um ihn noch fester an sich zu ketten: »Mein Vater wird es dir fürstlich lohnen.«
»Diesmal tu' ich's nicht um Lohn,« versetzte Eppelein fast unwillig.
»So nimm wenigstens eine Verehrung an, neues Gewand und ein Roß.«
»Mein Gaul ist gut genug, einen besseren habt ihr nicht in Rothenburg. Und der Mantel hier hält warm, er hat einem Gesalbten des Herrn gehört. Wir haben jetzt, gelobt sei Sankt Georg, zwei heilige Väter in der Christenheit. Maust man den Pfaffen des einen was, so kriegt man von den Pfaffen des anderen leicht Absolution. Es ist eine Lust zu leben! Gehab dich wohl, Jaköble. Die Briefe sind eher in Rothenburg als du!« Damit trieb er sein Pferd an und ritt langsam seitwärts in den Wald hinein.
Es war hohe Zeit gewesen, denn wenige Minuten später nahte der Zug des Burggrafen, und auch von der anderen Seite sprengte ein Reitertrupp heran.
Jakob Topler war mit seiner Schar auf dem Platze halten geblieben, wo ihn der Ritter verlassen hatte. Er war vom Pferde gestiegen und hatte auch den Seinen Befehl dazu gegeben, damit es den Anschein gewinne, man habe hier eine Rast gehalten.
Von dem Reiterhaufen des Burggrafen, der gemächlich näher zog, löste sich ein einzelner Reiter und jagte auf die Rothenburger zu. »Ihr seid Jakob Topler, des Bürgermeisters Sohn?« rief er mit schallender Stimme.
»Wozu die Frage, Kurt von Seinsheim? Ihr kennt mich ja gut, tragt auch ein Merkzeichen von mir am Schädel, daß Ihr mich nimmer vergeßt.« erwiderte Jakob Topler.
Der Ritter knurrte einen wütenden Fluch, und seine Hand fuhr ans Schwert, aber eine helle, gebieterische Stimme rief: »Laß dein Messer stecken, Seinsheim! Und Ihr, junger Mann aus Rothenburg, spart Euch die stachlichen Reden und gebt höflich Antwort, wie sich's geziemt!«
Der Sprecher war gleichfalls vorgeritten und hielt nur wenige Schritte vor der Schar. Er war ein hochgewachsener, noch jüngerer Mann in einfachem grünen Mantel, aber von einer Haltung, die sofort den geborenen Fürsten verriet.
Jakob Topler verneigte sich. »Euch, Herr Burggraf, weigre ich die Antwort nicht.«
»So frage ich Euch: Tragt Ihr Briefe bei Euch, die Wenzel, der Böhmenkönig, an Euern Vater schrieb? Es ward uns das glaublich hinterbracht.«
»Herr Burggraf, mit welchem Rechte fragt Ihr mich das? Wir stehen mit Euch in Frieden.«
Der Zollern warf ihm einen blitzenden Blick zu aus seinen scharfen blauen Augen, und sein Antlitz rötete sich leicht. Dann erwiderte er hoheitsvoll: »Ich stehe hier als Diener meines und Euers Herrn, des Königs Ruprecht. In seinem Namen frage ich. Oder wollt Ihr Euch wider den König setzen?«
»Ihr habt die Gewalt, Herr,« gab Jakob Topler vorsichtig zur Antwort. »Ich wäre ein Tor, wenn ich Euch widerstände. So entgegne ich denn Eurer Rede: Was Ihr sucht, das trage ich nicht bei mir.«
Der Burggraf blickte ihn durchdringend an. »Ich möchte Euch die Schmach ersparen, daß Ihr durchsucht werdet wie ein gemeiner Dieb. Könnt Ihr einen Eid leisten für Euch und alle, die mit Euch reiten, daß Ihr nichts bei Euch traget, was von Wenzel, dem Böhmen, stammt?«
»Erlaubt doch, Herr, daß wir sie durchsuchen!« flüsterte Seinsheim und drängte sich an den Burggrafen heran. Aber Friedrich gebot ihm mit einer Handbewegung Schweigen und erwiderte: »Heinrich Toplers Art und Blut ist scharf wie Gift, aber ihr Eid ist ihnen heilig wie dem besten Ritter des Reiches.«
»Habt Dank, Herr, für dieses Wort!« rief Jakob Topler, und seine Augen leuchteten freudig auf.
»Und könnet und wollt Ihr schwören?« fuhr der Burggraf fort.
Jakob Topler hob die rechte Hand empor, und indem er dem Burggrafen dabei unverwandt ins Auge sah, leistete er den Eid.
»So waren wir auf falscher Fährte,« sagte Friedrich. »Ich glaube Euch. Aber ehe Ihr fürbaß reitet, noch eins. Euer Vater hat zu mir geschickt, er wollte sich mit mir unterreden. Sagt ihm: wenn das heilige Osterfest vorbei ist, so reite ich nach Ansbach und verbleibe daselbst bis zum Tage der Himmelfahrt unseres Herrn. Er mag mir sagen, wann er kommen will. Ich sende ihm dann einen Brief mit freiem Geleit.«
Er neigte das Haupt ein wenig gegen den Bürgerssohn von Rothenburg, wandte sein Roß und sprengte von dannen. Bevor Jakob sich wieder in den Sattel geschwungen hatte, war die ganze Schar um die Waldecke herum seinem Blick entschwunden.
Während Jakob Topler dem Burggrafen Red' und Antwort gestanden, hatte er im Herzen seinem Schutzpatron, dem heiligen Jakobus, zwei dicke Wachskerzen gelobt, wenn er aus dieser Gefahr glücklich davonkäme. Indem er nun dahinritt, erschien es ihm rätlich und löblich, diese Spende zu erhöhen, im Falle der Heilige noch ein Übriges tun und die wichtigen Briefe in seines Vaters Hände gelangen lassen werde. Dann wollte er nicht nur die beiden Kerzen stiften, sondern das Bild des Heiligen, das auf dem Altare des Kobolzellerkirchleins stand, sollte ein neues Sammetgewand erhalten. Denn diese kleine Kapelle im Taubertale war ihm von frühester Kindheit an besonders lieb und wert. Drunten im Taubergrunde lag seines Vaters Lustschlößlein, das Rosental, der kühne, taubenschlagähnliche Bau, der seinesgleichen nicht hatte in Franken und Schwaben. Wenn man dort am Nachmittage fröhlich gewesen war im frischen Grün und des Abends heimkehrte in die Mauern der Stadt, da war seine fromme Mutter mit ihm und seiner Schwester jedesmal in das Kirchlein eingetreten und hatte vor dem Altar ein Gebet verrichtet. Seitdem sah der Knabe in dem Heiligen seinen besonderen Schutzpatron, und Sankt Jakobus hatte seinem Namensvetter in großen und kleinen Gefahren gnädig beigestanden. So, als er mit anderen Buben die Äpfel des Fuchsmüllers entwendet hatte und strenge Strafe befürchten mußte. Da hatte der Heilige auf sein dringendes Gebet hin die Verfolger auf ganz falsche Fährte geleitet. Und als er seinen liebsten Spielkameraden und jetzigen Schwager Kaspar Wernitzer in die Tauber gestoßen hatte, da war nur durch Sankt Jakobi Macht der Bewußtlose ins Leben zurückgekehrt. Kurz, es bestand zwischen ihm und Sankt Jakobus zu Kobolzell ein altes und sehr inniges Verhältnis, und es deuchte ihm mit einem Male sehr verdienstlich zu sein, wenn er vor seinem Einritt in die Stadt dem Heiligen in der kleinen Kapelle seinen Dank darbringe.
Er bog deshalb eine halbe Stunde vor Rothenburg von der großen Heerstraße ab und schlug einen Feldweg ein, um ein gutes Teil der Stadt zu umreiten. Auf dem Hügelkamm ritt er dahin, der sich westlich vom Taubergrunde hinzieht. Dichtes Gehölz versperrte ihm die Aussicht, plötzlich aber senkte sich der steinige Weg ins Tal, und die Stadt lag vor seinen Blicken da.
Mit einem Ruck hielt er sein Pferd an, und Tränen traten ihm in die Augen. Was er als Knabe, als Jüngling nie beachtet hatte, das empfand er jetzt mit einem Male, nämlich wie wunderbar, unvergleichlich schön seine Heimat war. Er hatte draußen in der Fremde viel gesehen, die Königspracht des Hradschin und die übrigen Herrlichkeiten des goldenen Prag, aber das alles verblaßte vor dem Bilde der Vaterstadt, das jetzt vor seinen Augen stand.
Drunten im Tale blitzte die Tauber auf, der helle, lebendige Fluß, dessen silberne Wellen über weißes Steingeröll und zwischen mächtigen Felsblöcken munter dahinhüpften. Darüber wölbte sich die gewaltige steinerne Doppelbrücke, die mit zwei Reihen übereinandergestellter Rundbögen das Wasser überspannte. Sie war ein Wunderwerk der Baukunst, viel bestaunt von allen, die von fern her kamen. Neben ihr ragte ein breiter, trotziger Turm empor, von dessen Zinnen aus man jedermann zu Tode treffen konnte, der wider Willen der Stadtherren hier eindringen wollte. Dahinter schmiegte sich an den Berg das kleine Kirchlein, in dem er zu beten gedachte, Sankt Jakobi Zella, vom Volke Kobolzell genannt. Und über dem allen, hoch auf der Bergplatte reckte sich die große Stadt in den klaren Frühlingshimmel hinein, mit ihren Mauern und Befestigungen und dem Gewirr großer und kleiner Türme, einer einzigen, riesenhaften Burg vergleichbar. Ein Gebäude überragte die anderen alle, selbst das Rathaus mit seinem schlanken Turme, aber der ungeheuere Bau war noch von oben bis unten von Holzgerüsten eingehegt. Das war die Jakobskirche, an der man zu bauen angefangen in den Jahren, da Heinrich Topler mächtig ward in der Stadt, und die jetzt nach dreißig Jahren noch nicht vollendet war. Auf dem allen aber, den weißgrauen Kalksteinmauern und den hohen roten Ziegeldächern, lag der Glanz der sinkenden Sonne und übergoß das hehre Bild mit einem zauberhaften Purpurschimmer.
Wahrlich, nicht ohne Grund verglichen die aus dem heiligen Lande zurückgekehrten Pilger das hochgebaute Rothenburg mit Jerusalem, Juda's königlicher Stadt.
Jakob Topler neigte das Haupt, als wolle er die liebe Heimat in Ehrfurcht grüßen. Dann ritt er langsam ins Tal hinab.
Während er vor dem Altar des Kirchleins kniete, hielt sein Gefolge draußen, als wollte es den Andächtigen vor jeder Störung schirmen. Aber sein Gebet ward dennoch jäh unterbrochen, denn es klangen Pferdetritte draußen, dann ein Wortwechsel, den er nicht verstand, und endlich rief eine krächzende Stimme dicht vor der Tür: »Was? Da drinnen ist er? Will er denn ein Pfaff werden?«
Jakob Topler kannte die Stimme, und in diesem Augenblicke würde ihn kein Engelgesang mehr erfreut haben als sie. Er sprang hastig von seinen Knien auf und trat aus der Tür.
»Eppelein! Gott und alle Heiligen seien gelobt, daß ich dich sehe!« rief er und atmete auf, als wäre er von einer schweren Last befreit.
»Das haben noch wenige gesagt bei meinem Anblick!« versetzte der Ritter mit dumpfem Gelächter. »Aber du hast alle Ursache.« Leise setzte er hinzu: »Der Teufel mag wissen, was ich da eigentlich nach euerm Krämerneste getragen habe. Dein Vater war so hoch erfreut, daß er nicht nachließ, ehe ich das hier annahm.«
Er zog einen straffen Beutel aus der Tasche, und als er ein Lächeln über das Antlitz des jungen Mannes huschen sah, fuhr er achselzuckend fort: »Ich wollt's nicht annehmen. Aber wer kann deinem Vater widerstehen? Jaköble, du bist ein tüchtiger Kerl, aber dein Vater ist noch ein ganz anderer Kerl, ein Kerl wie ein Kaiser!«
In diesem Augenblicke begann droben in der Stadt eine Glocke zu klingen, eine zweite fiel ein, und dann mit einem Male dröhnte das Geläut sämtlicher Glocken Rothenburgs durch die Luft.
»Was ist das?« rief Jakob Topler auffahrend.
»Denkst wohl, das wäre zu deiner Ehr', weil du wieder heimkehrst?« sagte Eppelein spottend. »Nein, Jaköble, das gilt dir nicht. Es ist heute Mittag ein Kardinal eingezogen in die Stadt, dein Vater selber war ihm zwei Stunden Weges entgegengeritten. Um fünf Uhr sind alle Spießer auf den Markt befohlen, da soll eine Botschaft verlesen werden vom heiligen Vater in Rom.«
»Was Tausend!« rief Jakob und schwang sich auf's Pferd. »Da will ich eilen, daß ich dazu komme. Und du, Eppele, willst du dir das nicht anhören?«
»Pfui Teufel!« erwiderte der Ritter und spuckte verächtlich aus. »Von dem Pfaffenvolke kann ich nur die Kleinen leiden, die Käsjäger. Darunter ist manche ehrliche Haut. Aber muß ich einen Prälaten sehen, so würgt mich's im Halse, und ich kriege die Krämpfe. Ich hab hier Unterschlupf in der Nähe und herberge nicht in eurer Stadt. Grüß Gott, Jaköble. Mach's gut!«
Er winkte dem Rothenburger Stadtherrnsohne gönnerhaft zu und trieb seinen Gaul an.
Jakob Topler ritt, so schnell er es vermochte, den Berg hinan, wechselte mit dem Torwart einige freundliche Worte und strebte dann voller Hast dem Markte zu.
Dort fand er die ganze waffentragende Bürgerschaft Rothenburgs aufgestellt, Weiber und Kinder drängten sich im Hintergrunde, und die Volksmassen stauten sich bis weit in die in den Markt einmündenden Straßen hinein. In den vordersten Reihen, dem Rathause zunächst, standen die Mitglieder der ehrbaren Geschlechter, die zurzeit dem Rate nicht angehörten. Zu ihnen gesellte sich Jakob Topler, nachdem er vom Pferde gesprungen war. Er wurde durch manchen Zuruf begrüßt, und manche Hand streckte sich ihm entgegen, aber es war nicht viel Zeit, Rede und Gegenrede zu tauschen. Denn die Glocken verstummten, droben an den Fenstern erschienen die Häupter der gebietenden Ratsherren, und auf den mit Purpurteppichen geschmückten Altan traten drei Männer heraus. Der erste war der welsche Kardinal, ein kleiner, zierlicher Süditaliener, dessen schwarze Augen in dem gelben Antlitz eigentümlich leuchteten und funkelten. Hinter ihm tauchte die grobe, massive Bauerngestalt des Abtes von Heilsbronn auf, und endlich erschien, beide Kirchenfürsten weit überragend, der freien Reichsstadt Bürgermeister und Feldhauptmann, Heinrich Topler.
Er hielt ein Pergament in der Hand, und während der Kardinal und der Abt auf zwei Prunksesseln Platz nahmen, trat er dicht an das Geländer heran. Er winkte mit der Rechten, zum Zeichen, daß er reden wolle, und sogleich legte sich alles Gespräch und Geflüster, und lautlose Stille trat ein. Und nun hallte seine klare, kraftvolle Stimme über den weiten Marktplatz hin:
»Ehrbare Herren, Bürger und Männer von Rothenburg! Ihr wisset, wir verwahren in unserer Stadt ein Kleinod, um das uns deutsches und welsches Land beneiden. Das ist das Kristallglas mit dem heiligen und teuren Blute unseres Herrn und Seligmachers Jesu Christi. Viele Tausende frommer Pilger kommen jedes Jahr zu uns, um das große Heiligtum zu verehren. Aber ich dachte in meinem Gemüte: Sind's ihrer viele – es müssen noch mehr werden. Derhalben schickte ich heimlich zu unserem heiligen Vater in Rom, dem Herrn Papst Innocentius, dem Gott gnade. Und ich bat ihn in aller Demut, er wolle einen großen Ablaß spenden für alle, die nach Rothenburg zum heiligen Blute wallfahren. Da hat Gott das Gemüt unseres heiligen Vaters dahin bewegt, daß er der Bitte seines Knechtes Gehör gab. Und er hat unsere Stadt so hoch geehrt, daß er dem Herrn Kardinal, der nach Deutschland reiste, befohlen hat, uns seinen Segen und diesen Brief zu überbringen. Was in dem Briefe steht, das bitte ich den hochwürdigen Herrn Abt, euch verdeutschen zu wollen.«
Er wandte sich mit verbindlicher Gebärde an den Abt, und der entfaltete mit wichtiger Miene das Schreiben und las sehr langsam und oftmals stockend, aber mit schallender Stimme die lange Reihe der Ablässe und Indulgenzen, die Papst Innocenz allen denen verhieß, die nach der guten und getreuen Stadt Rothenburg pilgern, dort beten und opfern wollten.
Als er geendet hatte, hielt die tiefe Stille noch eine Sekunde an. Dann aber brach ein Freudengeschrei und Heilrufen aus, so tosend und brausend, wie es der alte Marktplatz wohl selten vernommen hatte. Denn jeder begriff, was das für Rothenburg bedeutete. Die Stadt war von altersher ein großer und berühmter Wallfahrtsort, ihr Reichtum beruhte zum guten Teil auf ihrem Zulaufe von Pilgern. Vor allen Dingen der riesige Weinbau, den die Bürgerschaft betrieb, wäre ohne die Scharen frommer Waller halb erträgnislos gewesen, sintemalen der Tauberwein zwar wohlschmeckend, aber wenig haltbar und versendbar war und an Ort und Stelle getrunken werden mußte. Nichts vermehrte demnach so sicher den Reichtum der Stadt, wie ein gesteigerter Zulauf von Pilgern, und wie mußten nun diese Ablässe wirken, bei denen zehn, zwanzig, ja hundert Jahre der Erlösung vom Fegefeuer gar keine Rolle spielten!
Jakob Topler hätte am liebsten die Nächststehenden vor Freude umarmt. Er erkannte ja klar, welch einen Meisterstreich sein Vater wieder einmal vollführt hatte. Das, was er hier getan, mußte ihm die Gunst des Volkes sichern auf lange Zeit. Mochten nun auch seine vornehmen Feinde gegen ihn hetzen und wühlen, mochte immerhin ein gehässiger Kampf entbrennen um den Bürgermeisterstuhl von Rothenburg, – wenn die Bürgerschaft hinter Heinrich Topler stand wie bisher, so konnten es die Geschlechter kaum wagen, den Liebling des Volkes seiner Würde zu entkleiden.