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Ein historischer Roman aus dem Mittelalter. Aus einem Streit zwischen dem Markgrafen der Wartburg und dem König entwickelt sich bald ein Disput zwischen Staufen und Habsburgern.
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Seitenzahl: 307
Veröffentlichungsjahr: 2012
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Um die Wartburg
Paul Schreckenbach
Inhalt:
Paul Schreckenbach – Biografie und Bibliografie
Um die Wartburg
I.
II.
III
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
XVII.
XVIII.
XIX.
XX.
XXI.
XXII.
XXIII.
XXIV.
Um die Wartburg, P. Schreckenbach
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN:9783849635749
www.jazzybee-verlag.de
Deutscher Pfarrer und Schriftsteller, geboren am 6. November 1866 in Neumark (bei Weimar), verstorben am 27. Juni 1922 in Klitzschen bei Torgau. Sohn eines Pastors, studierte in Halle und Marburg Theologie und Geschichte und promovierte später zum Doktor phil. Ab 1896 arbeitete S. als Pfarrer in Klitzschen in der Nähe von Torgau. Der Autor ist bekannt für seine hervorragenden historischen Romane.
Wichtige Werke:
Bismarck, 1915
Der böse Baron von Krosigk, 1908
Die von Wintzingerode, 1905
Geistliche Lieder von Martin Luther, 1917
Der getreue Kleist, 1909
Der jüngste Tag, 1919
Der König von Rothenburg, 1910
Der Komtur, 1921
Kurfürst Augusts Abenteuer, 1921
Die letzten Rudelsburger, 1913
Markgraf Gero, 1916
Michael Meyenburg, 1920
Die Pfarrfrau von Schönbrunn, 1917
Sühne, 1923
Die Tat des Leonhard Koppe, 1916
Um die Wartburg, 1912
Der Weltbrand, 3 Bände, 1915-20
Die von Wintzingerode, 1905
Der Windmüller von Melpitz, 1914
Der Zusammenbruch Preußens 1806, 1906
Ein scharfer Morgenwind strich durch das breite Tal der Saale, über dessen dichten, wallenden Nebelschleiern die Türme und Dächer der Stadt Weißenfels emporragten. Die Tore waren geschlossen, denn die wehrhaften Bürger lagen noch im besten Schlummer, aber das laute Krähen der Hähne kündete schon den jungen Tag, und ein rosenroter Schein über der Hügelkette im Osten zeigte die Stelle an, wo in Kürze die Sonne ihren Lauf beginnen wollte.
Um diese Stunde kamen zwei Männer den breiten Pfad herabgeritten, der von der Burg Werben zu Tal führte. Sie trugen beide Panzer und Schwert, aber im übrigen hatten sie sich's bequem gemacht. Die Lanzen und die schweren Topfhelme waren zwei berittenen Knechten anvertraut, die in eines Speerwurfs Entfernung folgten. Die Herren selbst hatten nur kleine, zierlich gestickte Lederkappen zum Schutze gegen die Morgenkühle auf ihre Häupter gestülpt. Unter der einen dieser Kappen schimmerte schneeweißes Haar hervor, die andere bändigte mühsam eine ungewöhnliche Fülle goldblonder Locken.
Der ältere der beiden Ritter gähnte mehrmals aus tiefster Brust. Er legte sich dabei nicht den geringsten Zwang auf, es klang zuletzt wie das sanfte Heulen und Brummen eines Bären. Dann wandte er dem neben ihm Reitenden sein bartloses, gutmütiges Antlitz zu und sagte halb scherzend, halb verdrießlich: »Ihr gehört zu einer Zunft, Märten Helldorf, die mir ganz unleidlich ist, Ihr seid ein Frühaufsteher. Bei Sankt Niklas, das hat Euch der Teufel geheißen, dass Ihr mich vor Sonnenaufgang aus den Federn aufstörtet! Den ganzen Tag werden das meine alten Knochen spüren, denn sie sind dessen seit Jahren nicht gewohnt.« Es folgte ein neues, noch gewaltigeres Gähnen.
Der junge Ritter lachte. »Es wird sobald nicht wieder vorkommen, Heinz Gartolf,« erwiderte er, seinen langen rötlichen Schnurrbart zwirbelnd. »Aber, sagt selbst: Was wollt' ich machen? Ich komme gestern Abend von Pforta, wo meine edle Frau auf der Reise nächtigt, vor das Tor des Klarenklosters und will melden, dass meine Herrin, die Markgräfin Else, heute heranreitet, das Kloster zu besuchen. Da lassen mir die Unken vom Tor aus zuschreien: ›Nach Untergang der Sonne kommt kein Mannsbild mehr ins Kloster!‹ Und das Fenster wird zugeschlagen, und ich stehe da, und wie ich auch fluche, kein Mensch kümmert sich um mich. So mußte ich auf Eurer Burg nächtigen und sobald es anging, wieder nach dem Kloster reiten, denn die gnädige Frau steht mit der Sonne auf, und in wenigen Stunden wird sie da sein.«
Der Alte antwortete zunächst nur durch ein Gebrumm. Dann sagte er, sich vorsichtig nach den Knechten umblickend, mit gedämpfter Stimme: »Eure Kunde, Helldorf, ist mir heute noch so verwunderlich, wie sie mir gestern war. Meißen und Pleißnerland sind in der Hand König Albrechts, und es kann kaum noch eine Woche dauern, so rückt sein Heer in Thüringen ein. Das größte Ungewitter zieht sich über unserm Herrn, dem Markgrafen Friedrich, zusammen -- und siehe, da fährt sein Gemahl von der Wartburg aus und sucht das Kloster der frommen Schwestern in Weißenfels auf! Könnt Ihr das deuten? Wie reimt sich das?«
»Da fragt Ihr mich zu viel,« gab der andere zurück. »Ich weiß nichts, gar nichts. Meine Herrin hat den schönsten, aber auch den verschwiegensten Mund in ganz Thüringen.«
Der Alte schüttelte den Kopf. »Und Ihr könnt Euch auch nichts zusammenreimen, wo Ihr doch als Marschalk täglich um sie seid? Sonst höre ich Euren anschlägigen Geist rühmen.«
Helldorff warf ihm einen schnellen Blick von der Seite zu und entgegnete dann kühl und nicht ohne Schärfe: »Es ist nicht meine Weise, in den Mienen der Herrin nach ihren Gedanken zu spähen und mir aus halben Worten etwas zurecht zu deuten. Und fänd' ich etwas heraus, was sie mir hehlen wollte, so seid sicher, dass ich es keinem sagte. -- Auch nicht dem Treuesten der Treuen,« fügte er rasch hinzu, als er sah, dass sich des Greises Angesicht bei seinen Worten merklich verdüsterte.
»Zu denen könnt Ihr mich gewißlich rechnen!« rief der Ritter Gartolf, und in seinen Augen leuchtete es auf. »Ich ward des Markgrafen Schenk, als er noch ein halber Knabe war, und habe mit ihm gestritten gegen weiland König Adolf von Nassau, und als die Heiligen den König siegen ließen, war ich zwei Jahre mit meinem Herrn im Elend. Drum hat er mir auch dies Burglehn gegeben, da er wieder zu Land und Leuten kam, denn Hofdienst kann ich freilich nicht mehr leisten, und im Felde würden mich meine zweiundsechzig Jahre allzusehr hindern. Aber die Burg halte ich ihm, wenn der König heranzieht, solange die Ringmauern feststehen!«
Der junge Ritter hatte der Rede Gartolfs des Schenks nur mit halbem Ohre zugehört, da sie ihm nichts Neues kündete. Seine Gedanken weilten offenbar ganz wo anders, und seine Augen sahen aus, als ob sie in weite Fernen blickten. Aber bei den letzten Worten des Alten wandte er ihm voll sein Antlitz zu und streckte ihm die Hand hin.
»Ihr sprecht, wie es einem treuen Manne ziemt,« sagte er warm. »Dächten alle wie Ihr, die unseres Herrn geschworene Mannen sind, auch die Jungen und Starken --, wahrlich, dann könnte Markgraf Friedrich dem König mit stattlichem Heere im Felde begegnen. Aber sie stehen fast alle beiseite. Unsers Herrn Bruder selbst, Herr Diezmann, sitzt in Leipzig und ist froh, dass der König ihn nicht angreift und nicht sein Osterland begehrt. Keine Hand rührt er um Thüringen, wo er doch Miterbe ist. Er glaubt nicht, dass jemand diesem Könige widerstehen kann, und freilich ist Albrecht der Österreicher dreimal mächtiger als das Gräflein von Nassau, das vor ihm die Krone trug. Dazu sagen sie von ihm, er sei hart wie ein Demant, und er hat's bewiesen. Von den großen Herren in Thüringen hebt keiner sein Schwert für unsern Herrn, und die von den Rittern und Lehnsmannen treu sind, die kann ich Euch an den Fingern meiner Hand herzählen. Es sind die Werthern, Witzleben, Schlotheim, die Schenken von Vargula, die Thüna und Wangenheim. Dazu Hermann von Goldacker, der hochwerte Mann. Die sind zu dieser Zeit unseres Herrn Schutz und Beistand, sonst niemand.«
»Herrgott!« entfuhr es dem Alten, »wie will da der Herr Markgraf dem Könige widerstehen!«
»Er traut allein noch auf die Mauern seines festen Schlosses Wartburg. Dort will er den König erwarten. Es bleibt ihm sonst nur die Flucht mit Weib und Kind oder auch ohne Weib und Kind zu seinem Schwäher nach Kärnten. Aber ich denke, er ist's müde, in der Fremde zu weilen.«
Gartolf schüttelte tief bekümmert sein Haupt und brummte Undeutliches vor sich hin. Mit einem Male fuhr er auf und faßte seines Begleiters Arm mit eisernem Drucke.
»Helldorf!« flüsterte er. »Steht es so mit unserm Herrn, so weiß ich, warum sein Gemahl nach Weißenfels reitet. Sie sucht eine Zuflucht hinter heiligen Mauern, weil sie am Glücke ihres Eheherrn verzweifelt.«
»Meint Ihr?« fragte Helldorf und richtete sich hoch auf. »Da irret Ihr gewaltig. Glaubte die edle Fürstin unsern Herrn in Todesnot -- wahrlich, sie wäre die letzte, die sich von ihm löste. Enthaltet Euch der Deutungen, Freund, wie ich tue. Sie führen zu nichts. Im übrigen sind wir ja wohl am Ziele unseres Rittes.«
Sie waren durch eine Furt der Saale geritten, die zur jetzigen Sommerszeit so niedrig stand, dass die Flut kaum die Knie ihrer Rosse erreichte. Vor ihnen traten in geringer Entfernung die weiten, massigen Gebäude des Klarissenklosters vor Weißenfels aus dem Nebel hervor. Darum ließen sich die beiden Herren ihre Helme von den Knechten aufsetzen und festbinden und klopften einige Minuten später an das Tor des mächtigen Wirtschaftshofes, der, von Wall und Graben miteingeschlossen, dem Kloster im Westen vorgelagert war.
Ein weißhaariger Torwart öffnete auf der Stelle, und als er den Ritter Gartolf erblickte, neigte er sich ehrerbietig. »Wollen die Gestrengen eine kleine Weile Geduld haben,« sagte er. »Die heilige Messe ist eben vorüber, und unsere hochwürdige Domina wird gleich durch die Tür dort treten, um nach den Kranken zu sehen.« Er deutete dabei nach dem stattlichen Siechenhause des Klosters, das in einer Ecke des Hofes stand. Dann nahm er ihnen die Pferde ab und geleitete die Gäule und die Knechte nach dem Stalle.
Die beiden setzten sich auf eine Bank unter eine uralte Linde, deren Keim wohl schon zur Sorbenzeit hier in die Erde gesunken war.
»Ich lobe die Geschleierten, wenn sie Gutes tun und Barmherzigkeit üben,« bemerkte Helldorf. »Nicht überall in den Klöstern kümmern sie sich darum; oft sind die Nönnlein mehr als alle weltlichen Weiber nach irdischen Freuden gelüstig.«
Gartolf seufzte. »Da habt ihr recht. Die Zucht der Geschorenen und der Geschleierten ist oftmals greulich. Dieses Kloster aber ist ein Edelstein, der seinesgleichen nicht hat in allen deutschen Landen. Die Frau Domina, unseres Herrn Base, ist eine strenge und eifrige Frau und hält die Schwestern nach der Regel. Und eine ist da unter den Schwestern, die ist so heilig wie die heilige Landgräfin Else, zu der wir flehen, dass sie uns eine Fürbitterin sei beim Herrn des Himmels. Sehet, dort hinter dieser Mauer lebt die frömmste Frau in Thüringen, die Tante unserer Herrin, die Gräfin Elisabeth von Orlamünde. Sie verläßt ihre Zelle nur, wenn sie in der Kirche die Messe hört. Sie nimmt kaum noch irdische Speise zu sich und lebt fast nur vom Leibe des Herrn. Sie kasteit und geißelt sich oft am Tage, manchmal sogar in der Nacht. Darum hat sie auch schon Kranke gesund gemacht durch Auflegen ihrer Hände, und als sie im vorigen Winter zum Sterben krank war, da trug der Rosenstock unter ihrem Fenster mitten im Schnee viele rote Rosen, zum Zeichen, dass sie gesunden solle. Mehr noch sagt man von ihr,« fuhr er geheimnisvoll fort. »Sie soll gewürdigt sein, die Großen des Himmels in Gesichten zu sehen. Sankt Franziskus ist ihr oft erschienen, Sankt Peter dreimal, die allerheiligste Jungfrau fünfmal. Und die Himmlischen künden ihr zuweilen, was in der Zukunft geschehen wird. Doch was schwatze ich und erzähle Euch, was Ihr ohne Zweifel längst schon wißt! Das ganze Land ist ja voll davon. Ihr müßt Geduld haben mit dem Alter, es macht geschwätzig.«
Helldorf wollte eben den Mund zu einer höflichen Antwort öffnen, als die Domina ins Freie trat. Sophie von Landsberg war nur von mittlerer Größe und trug als einziges Abzeichen ihrer Würde ein goldenes Kreuz auf der Brust. Aber ihre Haltung war die einer Fürstin, und jeder Zug ihres strengen Antlitzes zeigte, dass sie gewohnt war, zu befehlen.
Die beiden Ritter sprangen sofort auf, und Helldorf stattete seine Meldung ab. Zu seinem Befremden bemerkte er, dass sich die Züge der Domina bei seiner Botschaft keineswegs freudig verklärten, sondern dass sie erschrak und sich verfärbte. Oder schien ihm das nur so? Ihre Stimme klang doch völlig ruhig und unbewegt, als sie ihn fragte: »Und Ihr wisset nicht, was Eure Herrin bei uns sucht?«
»Ich weiß es nicht,« erwiderte er. »Ich kann nur berichten, dass die gnädigste Frau in wenigen Stunden hier sein wird.«
»Führt sie großes Gefolge mit sich?«
»Vier ihrer Frauen sind bei ihr und sechzig Spieße als Geleit.«
»So viele? Warum?«
»Mein Herr, der Markgraf, will, dass sein Gemahl sicher reist.«
Die Domina blickte ihm, ohne etwas zu entgegnen, einige Augenblicke wie prüfend ins Gesicht. Dann sagte sie kühl: »Es ist gut. -- Wulf,« wandte sie sich an den herantretenden Klostervogt, der ihr folgte, »führe die Herren in das Losement und sorge für einen Morgenimbiß. Ihr, Marschall Helldorf, werdet in einer halben Stunde Bescheid erhalten!«
»Bescheid?« fragte der Ritter erstaunt. »Ich brauche keinen. Ich habe Euch die Ankunft meiner Herrin gemeldet -- wessen bedarf es weiter?«
Aber es ward ihm keine Antwort mehr. Die Domina hatte sich bereits abgewandt und trat in das Kloster zurück, ohne noch ein Wort an ihn zu richten. Verdutzt schaute er ihr nach und folgte dann seinem Gefährten. Noch hatten sie das Haus nicht betreten, das die Zimmer für die ritterlichen und fürstlichen Gäste barg, als der scharfe, schrille Ton einer Glocke an ihr Ohr schlug.
»Die hochwürdige Domina versammelt den Konvent,« erklärte der alte Vogt. »Die Glocke ist das Zeichen.« Er öffnete eine Tür, die in ein gewölbtes Gemach zu ebener Erde führte. »Wollet Euch hier niederlassen. Ein Imbiß und ein Krug rheinischen Würzweines wird bald zur Stelle sein.«
Helldorfs Miene entwölkte sich sichtlich. »Das ist das beste Wort, das ich bis jetzt in diesem Kloster gehört habe,« sagte er. »Wisset, mein Hals gleicht einem ausgedörrten Schlauche.« Er ließ sich auf einen der schweren eichenen Schemel nieder, die vor dem Tische standen, und schaute befriedigt auf die hohen Trinkgefäße aus Zinn, die der Alte vor ihm und seinem Begleiter aufstellte.
Inzwischen ging es in den inneren Räumen des Klosters zu, wie in einem aufgestörten Bienenschwarm. Konvent zu dieser Stunde? Das war ja noch nie dagewesen. Sicher hatte sich irgend etwas Großes, Wunderbares ereignet, oder dem Kloster drohte eine Gefahr. Neugierig und aufgeregt huschten die frommen Schwestern von allen Seiten durch die hochgewölbten Kreuzgänge und eilten dem Konventsaale zu, in dem trotz des hellen Sonnenscheins draußen ein mattes Dämmerlicht herrschte.
Die Domina setzte sich auf ihren erhöhten Äbtissinnenstuhl und ließ ihren scharfen Blick langsam im Kreise herumgehen. Sogleich legte sich das heftige Tuscheln und Flüstern, und die tiefste Stille trat ein.
»Ich sehe die Schwestern auf meinen Ruf versammelt,« begann die hohe Frau. »Nur eine fehlt, unsere ehrwürdige Schwester Elisabeth, der wir schon längst nicht mehr zumuten, dass sie den Geist auf die Dinge dieser Welt richtet. Denn ihre Seele gehört schon ganz dem Himmel.«
Sie machte eine kurze Pause und fuhr dann mit erhobener Stimme fort: »So beginne ich den Konvent im Namen des dreieinigen Gottes und seiner lieben Heiligen. Eine jede rate und rede nach bestem Gewissen, und keine trage der andern ihre Rede nach. Auch mahne ich jede an den Eid, den wir geschworen auf die heiligen Reliquien, dass alles geheim sei. -- Liebe Schwestern, es ist ein Rat zu finden, den ich allein nicht finden möchte, auch gar nicht allein finden darf, denn es hängt davon des Klosters Heil oder Unheil ab. Es ist mir soeben Botschaft zugetragen worden, dass meines Vetters, des Markgrafen Friedrich von Meißen Weib, Frau Else, mit einem großen Trosse heranzieht, um bei uns einzukehren.«
Eine Bewegung ging durch die Reihen, ein Raunen, Flüstern und Nicken. Dann hoben sich die Augen noch gespannter als vorher zu der Domina empor.
»Und da frag' ich euch denn, liebe Schwestern,« fuhr diese mit lauter Stimme fort, »was ihr dazu meint: Ist's dem Kloster nütze, dass wir sie aufnehmen? Oder gebietet uns die Klugheit, ihr die Tore verschlossen zu halten?«
Diese Worte wirkten wie ein Pfeilschuß, der in eine Schar ruhender Wildenten einschlägt. Die Nonnen fuhren von ihren Sitzen empor und schrien laut auf, manche gleich mehrmals hintereinander. Einige streckten in ihrer Aufregung die Arme gen Himmel, alle schauten starr, ungläubig, erschrocken auf ihre Gebieterin, die kühl und unbewegt in den Tumult hineinblickte.
»Bist du von Sinnen, Domina?« rief ihre Schwester, die Priorin Gertrud von Landsberg. »Du willst unserer Base die Tore sperren? Was hat sie dir getan? Wie kommst du auf solche Gedanken?«
Die Domina blieb ganz gelassen und stillte den Sturm durch eine befehlende Handbewegung. Dann rief sie mit durchdringender Stimme: »Wie ich dazu komme, wollt ihr wissen? Weil Markgraf Friedrich schon vor zehn Tagen in des Reiches Acht erklärt ist.«
Ein Schreckensruf aus fünfzig Kehlen zugleich folgte diesen Worten. Dann trat ein tiefes, lastendes Schweigen ein.
»Liebe Schwestern,« fuhr endlich die Domina fort. »Ihr wisset ja, wie das alles gekommen ist. Ihr wisset, dass der alte Landgraf Albrecht vor vielen Jahren mit seinen Söhnen in bitteren Haß und Hader geriet, und dass er seine Länder, Thüringen und Meißen, Osterland und Pleißen, an König Adolf verkaufte, damit sie sein Blut nicht sollte erben nach ihm. Das wollten Herr Friedrich und Herr Diezmann nicht leiden und griffen wider den König zu den Waffen, aber sie mußten fliehen und waren lange im Elende. Dann verlor König Adolf die Krone und das Leben, als man schrieb das Jahr Christi Zwölfhundertundachtundneunzig. Da kehrten die Brüder, meine Vettern, zurück; das ist nun acht Jahre her. Darauf ward Friede zwischen Vater und Söhnen, und Herr Friedrich führte die junge Elisabeth von Arnshaugk heim, die ihre Mutter, die Wittib des seligen Grafen Otto von Arnshaugk, dem alten Landgrafen Albrecht mitgebracht hatte, als sie seine dritte Frau ward. Es war, als sollten die Brüder nun in Ruhe ihre Länder genießen, Friedrich Meißen, Diezmann das Osterland. Aber da nun König Albrecht seine Macht gewaltig gefestigt hat, will er auf einmal haben, was vor ihm König Adolf erkauft hatte, und spricht, das habe das Reich erworben, und bei dem Reiche müsse es bleiben, unter seiner Gewalt. Meißen und Pleißnerland hat er schon eingenommen; nun rüstet er sich, Thüringen zu gewinnen. Der alte Landgraf sitzt tatenlos auf der Wartburg; sein Sohn Friedrich aber, der Meißen schon verloren hat, will nicht auch sein Erbland Thüringen dem Könige überlassen und widersteht ihm und will die Wartburg gegen ihn halten. Darum ist er in die Acht erklärt, und wenn die Heiligen nicht ein großes Wunder tun, so muß Herr Friedrich erliegen, denn es helfen ihm nur ganz wenige.«
Sie hielt einen Augenblick inne, hier und da wurden tiefe Seufzer hörbar. Sonst war alles still.
»Als eines Ächters Weib kommt also Frau Else zu uns,« nahm die Domina ihre Rede wieder auf. »Und ich meine, sie sucht eine Zuflucht bei uns mit ihren Kleinodien. Bedenket, Schwestern, ob uns das bei dem Könige von Nutzen sein kann! Ihr habt alle gehört, wie er ist, über die Maßen hart und rachsüchtig, kennt kein Erbarmen und kümmert sich wenig um den Zorn der Himmlischen. Wie dünket euch? Sollt' es nicht besser sein für das Kloster und uns arme Frauen, wenn wir die Tore schlössen und Frau Else bäten, ein halbes Stündlein weiter nach Kloster Beuditz zu reiten?«
Es ward nach dieser Rede so still im Saale, dass man das Summen einer Biene hörte, die an einem der Fenster den Ausgang suchte. Alle blickten schweigend vor sich nieder, auch die Priorin war verstummt und saß in sich zusammengesunken da. Es lag viel Wahrheit in dem, was die Domina gesagt hatte. Die Sache des Markgrafen stand schlecht, sie mußte nach menschlichen Gedanken verloren erscheinen, und König Albrecht war ohne jeden ritterlichen Zug -- wohl möglich, dass er die Aufnahme der unglücklichen Frau sehr übel empfand und nach seiner harten Weise am ganzen Kloster rächte. Andrerseits fühlte jede, dass es unwürdig und vielleicht schwer sündhaft sei, der Fürstin den Schutz der heiligen Mauern zu versagen.
Noch hatte keine die Lippen aufgetan, da öffnete sich am oberen Ende des Saales die Tür. Die Domina fuhr erzürnt herum, denn sie vermutete den unbefugten Eintritt einer Laienschwesier, der eine schwere Buße für die Vorwitzige hätte zur Folge haben müssen. Aber da stand eine, die zu ihnen gehörte, und von der sich doch alle durch eine ungeheure Kluft geschieden fühlten, die sie als eine lebendige Heilige anstaunten und scheuten und ehrten: Elisabeth von Orlamünde.
Sie ließ die großen Augen, die in dem wachsbleichen Leidensantlitz wie zwei schwarze Edelsteine glänzten, über die Versammelten hingleiten und sagte dann mit einer Stimme, die kaum hörbar war und doch allen durch Mark und Bein drang: »Die Frau, die vom Westen heranzieht, nehmt freundlich auf. Sie wird nicht lange hier weilen, sie kommt voll großer Angst und Pein, und die heilige Jungfrau hat mir geboten, ihr einen sicheren Weg zum Himmelssaal zu weisen.«
Wie eine Erscheinung war sie verschwunden. Die Domina aber sprang auf, blaß, zitternd und fassungslos. »Ein Wunder!« stammelte sie. »Niemand außer mir wußte, dass die Markgräfin kommen will. Sie aber hat es in ihrer Zelle geschaut. Der Geist von oben her hat sie erleuchtet. Ein Wunder!«
Damit stürzte sie auf ihre Knie und begann zu beten. Eine nach der andern folgte ihrem Beispiel, und eine Zeitlang hallte das weite Gemach wider von heftig hervorgestoßenen Gebetsworten und lauten Seufzern. Dann erhob sich Frau Sophie und sprach: »Wir tun nach ihrem Willen. Ich schließe den Konvent. Gehet hin in Frieden!«
Markgräfin Else wurde von ihrer Base, der Frau Domina, mit allen Ehren aufgenommen, die der Landesherrin gebührten. Auf die Kunde, dass der Zug der Fürstin nahe sei, zogen alle Schwestern zum Empfang vor das Tor hinaus, und Frau Sophie begrüßte ihre Base, der ihr Marschalk Helldorf schnell und gewandt vom Pferde half, mit feierlichen Worten und dem Kusse des Friedens.
Die hohe Frau gab eine freundliche, aber kurze Antwort. Sie war bleich und schien erregt, und ihre Blicke flogen unruhig über die Schar der Nonnen hin.
»Wo ist die Schwester meiner Mutter, Frau Elisabeth? Sie ist doch nicht krank?« fragte sie. »Um ihretwillen bin ich gekommen.«
Die Domina starrte sie an und war unfähig, sogleich einen Laut hervorzubringen. Abergläubisches Erstaunen, ja Schrecken prägte sich in ihren harten Zügen aus, und denselben Ausdruck nahmen die Mienen der Schwestern an, die zunächst standen und die Worte der Fürstin vernommen hatten.
»Um Gottes willen, was ist Euch?« rief Frau Else bestürzt. »Warum erschreckt Ihr? Sie ist doch nicht etwa gestorben?«
»Herrin,« erwiderte die Domina mit zitternder Stimme, »sie lebt, wenn sie wohl auch die Bürde des irdischen Leibes nicht mehr lange tragen wird. Aber wie soll ich nicht erschrecken, wenn ich sündhafte Dienerin Gottes Wunder über Wunder mit meinen Augen sehe und mit meinen Ohren höre? Denn wisset, sie hat Euer Kommen im Geiste vorher geschaut und uns vorhin verkündigt.«
Frau Else zuckte zusammen. Ein Erzittern ging durch ihre schlanke Gestalt, sie wankte und stützte sich schwer auf den neben ihr stehenden Ritter Helldorf.
»Und wo ist sie? Warum ist sie nicht hier?« fragte sie, nachdem sie sich mühsam zur Ruhe gezwungen hatte.
»Sie pflegt um diese Zeit vor dem Altare des heiligen Franziskus zu beten, und niemand würde wagen, sie in ihrer Andacht zu stören. Tretet einstweilen in das Refektorium und nehmt vorlieb mit einem Imbiß, den das Kloster Euch bietet.«
Frau Else schüttelte den Kopf. »Ich habe mir heute ein strenges Fasten gelobt bis zum Untergange der Sonne. Mich hungert und dürstet nur nach einem: Ich will Antwort hören auf eine Frage, die mir Gott durch den Mund seiner Auserwählten geben wird. Führt mich sogleich in ihre Zelle. Dort will ich sie erwarten.«
Die Domina schlug die Hände zusammen. »So im Reisekleide und ohne geruht zu haben?«
»Im Reisekleide und wie ich bin,« erwiderte die Fürstin in einem Tone, der keinen Widerspruch duldete.
Sophie von Landsberg neigte schweigend das Haupt. Sie war nicht gewohnt, sich befehlen zu lassen, und die Art, in der die junge fürstliche Base ihr Antwort gab, würde sie sonst nicht wenig verletzt haben. Jetzt aber stand sie so sehr unter dem Eindrucke, etwas Wunderbares zu erleben, dass ein Gefühl des Gekränktseins in ihrer stolzen Seele gar nicht emporstieg.
»Tretet ein!« sagte sie. »Gott und seine Heiligen wollen Euren Eingang segnen!« Die beiden verschwanden im Halbdunkel des Kreuzganges, und die Nonnen folgten ihnen paarweise nach.
Ritter Helldorf stand noch auf dem nämlichen Flecke, wo er der Markgräfin vom Pferde geholfen, und blickte verdutzt vor sich hin. Dann wandte er sich um und sagte zu dem Ritter Gartolf: »Ein wunderlicher Einritt! Für Euch hatte die hohe Frau keinen Blick, für mich einen halben.«
»Ihr hört doch, was sie hier begehrt, und welches Wunder sich zugetragen!« versetzte Gartolf. »Mir fuhr's durch alle Glieder.«
Helldorf zog die Augenbrauen hoch und sah ihn nachdenklich an. »Sollte ihr's nicht einer vorher verkündigt haben?« fragte er kühl und bedächtig.
Der Alte warf ihm einen geradezu entsetzten Blick zu, und das Blut schoß ihm ins Gesicht. »Wie,« rief er heftig, »Ihr zweifelt? Meint gar, die heilige Frau triebe ein betrüglich Spiel? Da sei Gott vor, solches zu denken!« Er schlug mit zitternden Fingern ein Kreuz und fuhr dann ruhiger fort: »Wußtet Ihr doch selber nicht, was sie hier sucht, und seid der Herrin Marschalk! Wer soll's gewußt und vor Eurem Kommen hierher getragen haben? Warum denket Ihr so Arges? Wollt Ihr leugnen, dass der Geist Gottes die frommen und heiligen Menschen erleuchtet, dass sie schauen, was uns verborgen ist? Wollt Ihr die Wunder der Heiligen leugnen?«
»Nein,« entgegnete Helldorf, »Wunder gibt's. Aber ich will's Euch offen sagen: Ich wollt, es gäbe keine. Mir wird unfroh zumute bei solchen Dingen. Hätt' ich die Welt zu regieren, so ginge darinnen alles zu auf natürliche Weise.«
Gartolf knurrte mißbilligend: »Mich freut's nicht, Euch reden zu hören wie einen Heiden und Ketzer. Und es sollte mich wundern, wenn die Frau Markgräfin Gefallen fände an solchen Gedanken ihres Marschalks.«
»Ha,« rief Helldorf, »der hohen Frau würde ich natürlich das nicht sagen. Das würde mir nicht geziemen, weil ich weiß, dass sie anders denkt. Sie hat von ihrer Frau Mutter her das Blut der Orlamünder in den Adern, und die sind alle halbe Heilige. Aber unser Herr, der Markgraf, denkt wie ich, wenn er's auch selten sagt, denn er ist nicht umsonst der Enkel des großen Kaisers Friedrich von Hohenstaufen. Doch wir wollen nachher weiter davon reden, wenn's Euch gefällt. Jetzt muß ich mich um die dort kümmern. Es wird schwer sein, ihnen allen Herberge zu schaffen.« Er wies auf die Bewaffneten, die in einiger Entfernung hielten.
Während dieses tiefsinnigen Gespräches der beiden Männer war Frau Else, geführt von der Domina, den Kreuzgang entlang geschritten. An seinem unteren Ende befand sich die Zelle, in der Elisabeth von Orlamünde, die Tante der Fürstin, seit zweiundzwanzig Jahren büßte und betete. Das Gemach war leer, seine Bewohnerin war noch nicht aus der Kirche zurückgekehrt.
»Ich bitte Euch, laßt mich hier allein,« flüsterte Frau Else, und die Domina trat sogleich zurück und schloß hinter ihr die Tür.
Hochaufatmend blieb die junge Markgräfin stehen und preßte die Hände auf ihr pochendes Herz. Ihr war mit einem Male zumute, als ob sie umsinken solle. War es die dumpfe, kellerartige Luft der Zelle, was ihr fast den Atem benahm, oder war es die Angst, die plötzlich riesengroß in ihr emporstieg? Eine Schicksalsfrage wollte sie tun -- wie würde die Antwort lauten? Vielleicht zertrümmerte sie das Glück ihres Lebens.
Sie blickte sich scheu in dem gewölbten Raume um, der nur durch ein schmales Gitterfenster sein trübes Licht empfing. Die hier ihre Tage verbrachte, die würde ihr, ohne Schonung ihres Glückes, die Wahrheit sagen, denn sie konnte wohl keine Empfindung mehr haben für weltliche Freuden und Schmerzen, sonst hätte sie nicht leben können in dieser Umgebung. In einer Ecke stand die Lagerstätte der heiligen Frau, eine harte Holzpritsche mit ein paar härenen Decken. In der Mitte erhob sich ein plumper Tisch, davor eine schmale Holzbank. In einer andern Ecke befand sich unter einem großen Kruzifixus, der streng und düster von der Wand herniederblickte, ein grob zugehauener Betschemel. Darauf lagen keine weichen Kissen, wie das sonst zumeist üblich war; die Beterin pflegte auf dem harten Eichenholze zu knien, das starke Spuren der Benutzung aufwies. Daneben hing eine Geißel, und die dunklen Blutflecke an der getünchten Wand und auf dem Estrich des Fußbodens zeigten deutlich, dass die Bewohnerin dieser Zelle furchtbaren Ernst machte mit der Abtötung ihres Fleisches.
Die junge Frau fuhr unwillkürlich schaudernd zurück, als sie die Spuren qualvoller Selbstpeinigung bemerkte. Gleich darauf aber warf sie sich auf die Knie, und indem ihr große Tränen aus den Augen stürzten, begann sie zu beten. Sie betete so leidenschaftlich und inbrünstig, dass sie das Eintreten der Nonne überhörte und erst emporfuhr, als sie dicht vor ihr stand.
Sie sahen sich einige Augenblicke schweigend an, und wer sie hätte stehen sehen, der wäre keinen Augenblick darüber im Zweifel gewesen, dass sie nahe Blutsverwandte waren. Die Ähnlichkeit trat jetzt besonders stark hervor, weil von dem Antlitz der Fürstin das zarte Rot geschwunden war, das es für gewöhnlich bedeckte. Ihre Wangen waren fast so bleich wie die der Nonne.
»Kind meiner Schwester, ich habe dich erwartet. Die Heiligen haben mir dein Kommen kundgetan,« sagte Frau Elisabeth, während die Markgräfin nach Worten rang. »Meine Füße wollen mich nicht tragen,« fuhr sie fort und ließ sich auf ihr Lager nieder. »Setze auch du dich und sage mir, was dich zu mir treibt.«
Sie wies auf die Holzbank, aber Frau Else glitt zur Erde nieder und faßte ihre Rechte. »Laß mich zu deinen Füßen liegen, du Heilige unsres Geschlechtes!« rief sie und führte die schmale, blutlose Hand an ihre Lippen.
Aber Frau Elisabeth entzog sie ihr. »Stehe auf!« sagte sie mit müder, trauriger Stimme. »Knie vor dem, der unsere Sünden getragen hat, und vor seiner gebenedeieten Mutter. Vor mir knie nicht, denn ich bin eine Sünderin, die der Fürbitte bedarf wie du.«
Die Markgräfin erhob sich gehorsam und setzte sich auf die harte, niedere Bank. Sie hielt die Augen zu Boden gesenkt und seufzte tief auf, aber über ihre Lippen kam kein Wort.
Die Nonne richtete ihre klaren, glänzenden Augen fest auf ihr Gesicht und sprach: »Du brauchst mir's nicht kund zu tun, weshalb du hier bist. Längst, längst habe ich gewußt, dass du einmal kommen würdest. Denn einmal mußte doch deine eitle, weltliche Seele wach werden, und die Angst mußte über dich kommen, weil du eines Mannes Weib geworden bist und nicht das, was du werden solltest: eine Braut Gottes!«
Die junge Frau stöhnte wie in großer Qual und streckte beide Hände wie zur Abwehr gegen sie aus.
»Ich stand dabei, als dich dein Vater und deine Mutter den Heiligen gelobten,« fuhr Frau Elisabeth fort. »Schwere Eide waren es, die sie in die Hände der ehrwürdigen Äbtissin von Himmelskron schwuren. Aber als dann der männliche Erbe ausblieb, da brach Graf Otto von Arnshaugk seinen Eid und ließ seine Tochter erziehen zu weltlichen Ehren. In dieser Sünde ist er gestorben, und sein Tod war jäh und böse -- du weißt es. Dann hat deine Mutter dem alten Landgrafen die Hand gereicht, und sie hat neben Herrn Albrecht viel trübe Tage gesehen zu ihrer Strafe. Und du wußtest das alles, und doch bist du des Markgrafen Weib geworden, statt deiner Eltern Eide zu erfüllen. Warum hast du das getan?«
»Weil ich ihn lieb hatte,« erwiderte Frau Else leise.
Die Nonne machte eine wegwerfende Bewegung. »Was ist die Liebe zwischen Mann und Weib? Sündige Befleckung der Seelen! Du hast dein himmlisches Erbrecht für ein Linsengericht dahingegeben. Du weißt das auch, und es martert dich. Lange hast du die Stimme übertäubt, die in dir sprach. Nun vermagst du's nicht länger. Das Verderben kommt über den, der dein Gatte heißt, und der schuldig ist wie du, da er alles wußte und doch die Hände nach dir ausstreckte. Da ist dein Gewissen wach geworden und läßt dich nicht rasten noch ruhen. Du fühlst es: Was über euch hereinbricht, das ist die gerechte Strafe eurer Sünde.«
Während der letzten Worte war die Markgräfin wieder auf die Knie gesunken und rang die Hände. Dann rief sie in flehendem Tone: »Ja, du redest recht. Eine große Sünde haben wir auf uns geladen, und Gottes Zorn verfolgt uns darob. Aber ist er nicht barmherzig und voller Gnade? Was nicht zu ändern ist -- sollte das nicht zu sühnen sein? Ich will hingeben, was mein ist, ich will meinen Goldschmuck verkaufen, ein Kloster will ich erbauen -- --«
»Närrin!« unterbrach sie die Nonne, »Gott will dein Opfer nicht, er will dich selber. Denn also sprach zu mir eine Stimme, die von obenher kam: ›Der Frau, die zu dir kommt, sage: Du sollst den Eid halten, der mir gelobt ist, und nicht schwach sein. Dann will ich gnädig sein, und Fluch soll sich in Segen kehren.‹«
Die Markgräfin blickte entsetzt zu ihr auf. »Was sollte Gott damit meinen?« stammelte sie. »Wie sollen wir das deuten?«
»Da ist nichts zu deuten. Gott hat klar geredet. Er will, dass du dich von deinem Manne lösest und deines Vaters Gelübde erfüllst.«
Frau Else schrie laut auf und sprang empor. »Ich habe es gefürchtet, das zu hören. Aber das kann Gott nicht wollen! Ich bin doch meines Mannes angetrautes Weib!«
»Der Vater der Christenheit hat Recht, auch die Ehen zu lösen, wenn sie wider Gott geschlossen sind.«
Die Markgräfin lehnte sich an die Wand. Ihre Knie zitterten, und es war ihr, als solle sie ohnmächtig werden. »Darein willigt mein Mann nimmermehr,« murmelte sie.
»Du sollst nicht nach deines Mannes Willen fragen, sondern nach Gottes Willen. Ist Gottes Kraft in dir, so kann er nichts dawider tun. Weigere dich ihm, entziehe dich ihm, fliehe vor ihm -- wie könnte er dich zwingen und halten?«
»Nein! Nein!« stöhnte die Markgräfin. »Nimmer täte ich ihm solch Herzeleid an. O sei barmherzig, nimm die Worte zurück!«
»Ich habe nicht geredet, Gott hat aus mir geredet,« erwiderte die Nonne.
Die Markgräfin schlug die Hände vors Gesicht und verharrte in Schweigen. Auch Frau Elisabeth sprach nichts mehr und schaute, die Hände im Schoße gefaltet, vor sich nieder. Plötzlich fuhr die junge Frau auf. »Und mein Kind?« rief sie. »Die kleine Elsbeth? Was würde aus ihr?«
»Nimm sie mit dir, und erziehe sie zu einer Dienerin der Heiligen! Weihe sie den Altären Gottes!«
Frau Else schauderte. »Damit sie dereinst unglücklich wird, wenn sie erkennt, dass ihr nach ihrer Natur das Leben in der Welt frommt?« fragte sie herb.
»Das Leben dieser Welt frommt keinem,« erwiderte die Nonne. »Frau Welt zahlt jedem, der sich ihrem Dienste weiht, zuletzt einen übeln Lohn. Alles Glück der Erde ist wie ein Traum und ein entschwindender Schalten. Nur wer der Welt entsagt und nichts mehr von ihr will und alle Lust des Fleisches in sich tötet, dem geht der Schein des ewigen Lichtes auf. Und der Glanz dieses Lichtes, das von Gott ausstrahlt, ist siebenmal siebzigmal heller als die Sonne, und wer ihn schauen darf, der ist selig. Er hat volles Genügen und sehnt sich nur nach einem: dahin zu kommen, von wo aus das Licht zu uns herüberleuchtet.«
Wieder trat ein tiefes Schweigen ein. »Ich kann nicht! Ich kann nicht,« flüsterte endlich die Markgräfin kaum hörbar.
Die Nonne erhob sich, und ihr Gewand zusammenraffend, schritt sie an ihr vorüber auf den Betstuhl zu. »Wenn du nicht kannst,« sagte sie ruhig, »so will ich für dich beten, dass du es lernst. Aber hebe dich hinweg von mir!«
Sie ließ sich auf ihre Knie nieder und begann leise zu beten. Der Markgräfin achtete sie nicht mehr.
Mit einem tiefen Seufzer verließ Frau Else die Zelle, und wie im Traume wandelnd schritt sie den Kreuzgang hinab. Am Eingang traf sie ihren Marschalk Helldorf, der sie erschrocken anstarrte.
»Bei Sankt Hubertus!« rief er. »Sind Euer Gnaden krank geworden?«
Sie schaute ihn an, als ob sie den Sinn seiner Frage gar nicht verstanden habe. Dann sagte sie mühsam: »Laßt satteln und zäumen, Helldorf! Wir reiten auf der Stelle ab!«