Der neue Landdoktor 13 – Arztroman - Tessa Hofreiter - E-Book

Der neue Landdoktor 13 – Arztroman E-Book

Tessa Hofreiter

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Beschreibung

Dr. Brunner bewohnt mit seiner geliebten Frau Ulrike und einem Jagdhund namens Lump ein typisches Schwarzwaldhaus, in dem er auch seine Praxis betreibt. Ein Arzt für Leib und Seele. Die Serie zeichnet sich gegenüber dem Vorgänger durch ein völlig neues Konzept aus. Es wird noch größerer Wert auf Romantik, Spannung und sich weiterdichtende, zum Leben erwachende Romanfiguren, Charaktere und Typen gelegt. Eines darf verraten werden: Betörend schöne Frauen machen dem attraktiven Landdoktor schon bald den Hof. Und eine wirkliche Romanze beginnt... Seit vierzehn Tagen war Kim nun auf der Alm, einem riesigen Plateau mit blühenden Wiesen, das sich zwischen dem Abgrund und den kahlen Gipfeln ausbreitete. Sie genoss jede Minute ihrer selbstgewählten Einsamkeit. Die Sonnenaufgänge am Morgen, die Wärme des Tages, wenn das Licht über die Hochwiesen flirrte, und schließlich die kühlen Abende, das Kaminfeuer und das Buch bei Kerzenlicht. Wie an jedem Morgen hatte sie sich nach dem Aufstehen eine Tasse Tee zubereitet. Sie setzte sich auf die Bank auf der Veranda und beobachtete den Nebel, wie er über dem Tal aufstieg, sich allmählich auflöste, während die Sonne am Horizont aufblitzte und Himmel und Berggipfel in rosarote Farben tauchte. Kim wollte die letzten Wochen des Sommers für ihre Forschungen nutzen. Sie war Botanikerin, und die Universität hatte sie damit beauftragt, die Artenvielfalt der heimischen Almen zu untersuchen. Ihr Cousin Leonhard, dem die Alm gehörte, hatte ihr angeboten, sich dort einzuquartieren. Sie hatte das Angebot ohne Zögern angenommen, schon wegen der Hütte, die komfortabel eingerichtet war, über fließend Wasser und Strom verfügte. In den letzten Jahren hatte Kim an einigen Expeditionen teilgenommen, sie war es gewohnt, tagelang ohne jeglichen Komfort durch den Urwald zu streifen. In ihrem jetzigen Zustand wollte sie aber nicht auf die Errungenschaften der Zivilisation verzichten. In sechs Wochen würde ihr Kind zur Welt kommen. »Wenn irgendetwas ist, dann rufe mich an, ich kann in einer halben Stunde bei dir sein«, hatte Leonhard gesagt, als er sie mit dem Auto bis zur Brücke unterhalb der Alm gebracht hatte und sie das

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Der neue Landdoktor – 13 –

Kims Überraschungs-Hochzeit

Nein, es ist nicht nur eine Notlösung

Tessa Hofreiter

Seit vierzehn Tagen war Kim nun auf der Alm, einem riesigen Plateau mit blühenden Wiesen, das sich zwischen dem Abgrund und den kahlen Gipfeln ausbreitete. Sie genoss jede Minute ihrer selbstgewählten Einsamkeit. Die Sonnenaufgänge am Morgen, die Wärme des Tages, wenn das Licht über die Hochwiesen flirrte, und schließlich die kühlen Abende, das Kaminfeuer und das Buch bei Kerzenlicht.

Wie an jedem Morgen hatte sie sich nach dem Aufstehen eine Tasse Tee zubereitet. Sie setzte sich auf die Bank auf der Veranda und beobachtete den Nebel, wie er über dem Tal aufstieg, sich allmählich auflöste, während die Sonne am Horizont aufblitzte und Himmel und Berggipfel in rosarote Farben tauchte.

Kim wollte die letzten Wochen des Sommers für ihre Forschungen nutzen. Sie war Botanikerin, und die Universität hatte sie damit beauftragt, die Artenvielfalt der heimischen Almen zu untersuchen. Ihr Cousin Leonhard, dem die Alm gehörte, hatte ihr angeboten, sich dort einzuquartieren. Sie hatte das Angebot ohne Zögern angenommen, schon wegen der Hütte, die komfortabel eingerichtet war, über fließend Wasser und Strom verfügte. In den letzten Jahren hatte Kim an einigen Expeditionen teilgenommen, sie war es gewohnt, tagelang ohne jeglichen Komfort durch den Urwald zu streifen. In ihrem jetzigen Zustand wollte sie aber nicht auf die Errungenschaften der Zivilisation verzichten. In sechs Wochen würde ihr Kind zur Welt kommen.

»Wenn irgendetwas ist, dann rufe mich an, ich kann in einer halben Stunde bei dir sein«, hatte Leonhard gesagt, als er sie mit dem Auto bis zur Brücke unterhalb der Alm gebracht hatte und sie das letzte Stück, das nur zu Fuß zu bewältigen war, hinauf begleitete.

Im Gegensatz zu Norbert, dem Vater ihres Kindes, sorgte er sich um sie. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass der Mann, den sie auf einer Party kennenlernte und mit dem sie ein paar aufregende Wochen verbrachte, nicht der junge Maschinenbauingenieur war, für den sie ihn hielt, sondern der Erbe des Maschinenbauunternehmens Maring, der längst verheiratet war und nur nach einer Abwechslung gesucht hatte. Als sie Norbert von der Schwangerschaft erzählte, rückte er mit der Wahrheit heraus und machte ihr klar, dass er an einer Beziehung mit ihr nicht interessiert sei und dass sie zusehen müsse, wie sie mit dem Kind allein zurechtkam.

Warum er sie am Abend zuvor nach Monaten des Stillschweigens angerufen hatte, um ihr vorzuschlagen, das Kind in einer von ihm ausgewählten Privatklinik zur Welt zu bringen, war ihr ein Rätsel. Dass er für die Kosten des Aufenthaltes aufkommen wollte, bedeutete vielleicht, dass er inzwischen ein schlechtes Gewissen hatte, und das wollte er mit dieser ›noblen‹ Geste beruhigen. Aber was auch immer er damit bezweckte, sie war nicht darauf eingegangen. Sie war fertig mit ihm, und es interessierte sie auch schon lange nicht mehr, was in der Klatschpresse über ihn zu lesen war.

»Es tut mir leid, meine Liebe, aber ein Mädchen aus kleinen Beamtenverhältnissen wäre für meine Familie ohnehin nicht infrage gekommen, selbst wenn ich noch frei wäre. Dir fehlt einfach der Glamour, weißt du. Meine Mutter würde vor Scham sterben, wenn ich ihr jemanden wie dich zumuten würde.« Diese Worte hatte er zu ihr gesagt, nachdem er ihr die Wahrheit über sich gestanden hatte. Sie würde sie niemals vergessen, sie hatten sie zu sehr verletzt.

Sie zuckte zusammen, als sie plötzlich ein merkwürdiges Ziehen tief unten in ihrem Rücken spürte. Da es aber bald wieder nachließ, kümmerte sie sich nicht weiter darum. Sie trank ihren Tee zu Ende, aß ein Stück Brot mit Käse und machte sich dann an ihre Arbeit. In festen Wanderstiefeln, Hosen und weitem T-Shirt und mit einem Sonnenhut auf dem Kopf streifte sie durch die Wiesen, fotografierte Blumen und Gräser. Ihre besondere Aufmerksamkeit aber galt den Bienenvölkern, die Leonhard gehörten und die in den Holzkästen zu Hause waren, die in einiger Entfernung zur Hütte auf der Wiese standen. Sie teilte die Faszination für diese Wesen mit Susanne, Leonhards Frau, die sich um die Imkerei in Bergmoosbach kümmerte und dafür sorgte, dass das berühmte Honigbier der Brauerei Schwartz, die Leonhard von seinen Eltern geerbt hatte, immer gleich gut schmeckte.

»Hallo, Herr Brombacher«, begrüßte Kim den großen starken Mann, der mit einem geflochtenen Weidenkorb auf dem Rücken gegen Mittag zu ihr herauf kam.

»Ich grüße Sie, Frau Baum, alles in Ordnung bei Ihnen?«, erkundigte sich Alois Brombacher, der Imker, der sich in Leonhards Auftrag um die Bienenstöcke auf der Alm kümmerte, die Waben austauschte und die mit Honig gefüllten zur Imkerei nach Bergmoosbach brachte.

Alois‘ Hof lag am Fuß des Berges, und der Imker kam jeden zweiten Tag auf die Alm, auch um nach Kim zu sehen, wie er es Leonhard versprochen hatte.

»Die Erni hat Schwarzbrot gebacken, frischen Schafskäse und ein bissel ein Gemüse gibt es auch, damit Sie auch ordentlich was zum Essen haben.« Alois hatte seinen Tragekorb auf die Bank vor der Hütte gestellt und nahm die Stofftasche heraus, in der alles steckte, was seine Frau ihm für Kim mitgegeben hatte.

»Vielen Dank, Herr Brombacher«, bedankte sich Kim bei ihm. Jedes Mal, wenn er zu ihr heraufkam, brachte er ihr etwas von seinem Hof mit.

Während Alois die Waben auswechselte, packte sie die Tasche aus und kochte Kaffee, weil sie wie immer noch ein bisschen mit ihm plaudern wollte, bevor er wieder ins Dorf hinunterging.

»Noch fünf Tag, dann treff ich hier wieder nur die Bienerl an, dann ist’s vorbei mit dem Kaffeeempfang«, seufzte Alois und nahm einen großen Schluck aus der Tasse, die Kim ihm hingestellt hatte.

»Ich werde die Alm auch vermissen und ich werde Sie vermissen«, sagte Kim und streichelte Alois über die Hand.

»Geh, Sie machen mich ganz verlegen«, antwortete er und strich über seinen ergrauten Schnurrbart. »Aber wenn das Kleine dann mal ein bissel größer ist, dann kommen Sie wieder hier herauf und zeigen ihm, was es hier alles zum Schaun gibt, und vielleicht kommt er dann ja auch mit.«

»Ich glaube nicht, dass er jemals hierherkommt.« Kim wusste, dass Alois mit ›er‹ den Vater ihres Kindes meinte, über den sie nie sprach.

»Wer kümmert sich denn um Sie und das Kleine, wenn Sie wieder in der Stadt sind?«, fragte Alois. Seitdem sie ihm erzählt hatte, dass ihre Eltern nicht mehr lebten und sie außer Leonhard keine Verwandten mehr hatte, schien er sich um sie und das Kind zu sorgen.

»Ich habe Freunde in der Stadt; wenn ich Hilfe brauche, dann werden sie für mich da sein«, versicherte sie ihm, obwohl sie nicht wirklich davon überzeugt war. Ihre Münchner Freunde hatten sie in den letzten Monaten nur selten besucht und sie aus ihren Unternehmungen ausgeklammert. Niemand von ihnen hatte bisher Kinder, alle waren noch auf der Jagd nach schicken Häusern, schicken Autos und dicken Bankkonten. Sie dagegen plante ohne diese Voraussetzung eine Zukunft mit Kind, und es schien, als gehörte sie nun nicht mehr dazu. Wieder spürte sie dieses Ziehen im Rücken und wieder ignorierte sie es.

»Ist was?«, fragte Alois und betrachtete sie aufmerksam, weil ihm nicht entgangen war, dass sie sich kurz an den Rücken fasste.

»Alles in Ordnung«, beruhigte sie ihn. Um die Pflanzen für ihre Arbeit zu fotografieren, musste sie sich ständig bücken, da konnte es schon mal im Rücken zwicken.

»Wollen Sie mit mir ins Dorf hinuntergehen?«

»Das ist sehr nett von Ihnen, Herr Brombacher, aber mir geht es gut«, sagte sie, als er sie mit seinen dunklen Augen skeptisch musterte.

»Und Sie bleiben auch nur auf der Wiese, wie Sie es dem Leonhard versprochen haben.«

»Aber ja, in meinem Zustand verbietet sich die Kletterei«, versicherte sie ihm.

»Dann mach ich mich wieder auf den Weg.« Alois schulterte den Tragekorb mit den eingesammelten Waben, trank im Stehen den letzten Schluck seines Kaffees und verabschiedete sich.

»Wir sehen uns übermorgen!«, rief Kim und winkte ihm noch einmal zu, bevor er in einem Waldstück verschwand.

Am Nachmittag streifte Kim durch ein Waldstück, das an die Hochwiese grenzte, fotografierte Farne und Moose und kehrte am frühen Abend zur Hütte zurück. Bevor sie sich etwas zu essen machte, stellte sie sich unter die Dusche, und plötzlich kehrten die Rückenschmerzen zurück, das Ziehen wurde beinahe unerträglich. Diese Schmerzen kamen nicht vom Bücken, das wurde ihr schlagartig klar, es war die Geburt, die sich auf diese Weise ankündigte.

»Was mache ich denn jetzt?«, flüsterte sie. Sie schlüpfte in ihren langen Bademantel, stützte sich auf dem Waschbecken ab und betrachtete sich im Spiegel. Der Pony ihres rötlichen Haares hing ihr wirr in der Stirn, und sie konnte die Angst in ihren Augen sehen. Wie schnell würde es gehen? Blieb noch genug Zeit, damit sie jemand ins Krankenhaus bringen konnte?

Sie lief in den angrenzenden Raum, dem einzigen Zimmer in der Hütte neben dem Bad und einer kleinen Speisekammer. Ihr Telefon lag auf dem Esstisch.

»Hallo, mein Name ist Kim Baum, ich bin allein auf der Schwartz-Alm, ich bin im achten Monat schwanger und ich glaube, das Kind kommt«, sagte sie, nachdem sie die Notrufnummer gewählt hatte und sich die Rettungsstelle meldete. »Oh Gott«, stöhnte sie, als sie einen heftigen Stich spürte und sich vor Schmerz zusammenkrümmte.

»Bleiben Sie ganz ruhig, wir sind in ein paar Minuten bei Ihnen, suchen Sie sich eine bequeme Stellung und atmen Sie ruhig. Ist es Ihr erstes Kind?«, fragte die Frau, nachdem sie im Hintergrund in ein Funkgerät ­gesprochen hatte und Kim nur die Worte Alm und Geburt verstanden hatte.

»Ja, es ist mein erstes Kind«, antwortete sie und legte sich mit dem Telefon auf das Bett, das sie gleich bei ihrer Ankunft mit dem Fußende zum Fenster geschoben hatte, damit sie nach dem Aufwachen und vor dem Einschlafen die Bergkulisse genießen konnte.

»Das erste lässt sich meistens ein bisschen länger Zeit, es wird alles gut gehen. Sie schaffen das, der Hubschrauber ist in wenigen Minuten bei Ihnen«, versicherte ihr die Frau von der Rettungsstelle.

»Danke.« Ein paar Minuten sind eine Ewigkeit, wenn man Angst hat, dachte Kim und schaute auf die Berge, die ihr in diesem Moment unendlich weit erschienen.

*

»Mit dem Transport wird es schwierig, wenn die Geburt zu weit fortgeschritten ist«, sagte Anna, als sie zu Sebastian Seefeld ins Auto stieg, der vor ihrer Praxis auf sie gewartet hatte.

»Ich weiß, deshalb möchte ich auch eine Hebamme dabei haben«, entgegnete der junge Arzt, der vor einiger Zeit die Landarztpraxis seines Vaters in Bergmoosbach übernommen hatte und sich hin und wieder als Notarzt bei der Bergwacht einteilen ließ.

»Wo genau fliegen wir hin?«

»Ich weiß es nicht. Die Rettungsstelle hat mich nur darüber informiert, dass ich den Hubschrauber der Bergwacht begleiten soll, weil bei einer hochschwangeren Frau die Wehen eingesetzt haben. Der Hubschrauber holt uns ab, er wird in etwa zwei Minuten am See landen«, sagte Sebastian, als er den Geländewagen wieder in Gang setzte, nachdem Anna die Beifahrertür geschlossen hatte.

»Hoffen wir, dass das Kind noch ein wenig Geduld hat. Wir wissen ja nicht, was uns erwartet. Vielleicht ist eine Schwangere während des Kletterns verunglückt, das wäre eine echte Herausforderung.«

»Es wäre nicht unsere erste.«

»Nein, das wäre es nicht«, sagte Anna und dachte an die Nacht, in der sie dem jungen Arzt zum ersten Mal begegnet war und in seine wundervollen grauen Augen geschaut hatte. Die Nacht, in der sie auf einem Bauernhof außerhalb des Dorfes einer jungen Mutter und ihrem Kind mit einem Notfallkaiserschnitt das Leben retten mussten, die erste Herausforderung, die sie gemeinsam gemeistert hatten.

Der See, den die Bergmoosbacher den Sternwolkensee nannten, weil sich in klaren Nächten die Milchstraße auf dem Wasser spiegelte, lag eingebettet zwischen hügligen Wiesen am Ortsrand. Dem Besucher bot sich ein atemberaubender Blick auf die Gipfel der Allgäuer Alpen. Aber für diesen Anblick hatten Anna und Sebastian dieses Mal keine Zeit. Der Hubschrauber der Bergwacht war bereits im Anflug.

Er steuerte den mit weißem Kies ausgelegten Parkplatz des Bootsverleihs an, kurz nachdem Sebastian seinen Wagen dort abgestellt hatte. Der Bootsverleih hatte an diesem Abend schon geschlossen, der Parkplatz war so gut wie leer, und der Hubschrauber konnte gefahrlos aufsetzen.

»Hallo, Sven«, begrüßte Sebastian den Piloten, der ihnen nach der Landung die Tür öffnete und seine Sonnenbrille kurz abnahm. »Das ist Anna, sie ist Hebamme«, stellte er Sven Anna vor.

»Gute Idee, eine Hebamme mitzunehmen«, sagte der junge Mann, der die gleiche rote Jacke wie Sebastian anhatte und einen weißen Helm trug. »Anna, sobald du in meinen Hubschrauber steigst, sind wir per du, alles klar?«, wandte er sich mit einem charmanten Lächeln an die junge Hebamme.

»Alles klar, Captain«, antwortete sie lachend.

»Wo genau fliegen wir hin?«, erkundigte sich Sebastian, nachdem Anna und er auf die beiden Sitze hinter Sven geklettert waren und sich anschnallten.

»Zur Schwartz-Alm.«

»Ist nicht Leonhards Cousine dort oben?!«, schrie Anna gegen den Lärm der laufenden Rotoren an.

»Richtig, es geht um Kim!«, antwortete Sven, setzte seine Sonnenbrille wieder auf und schloss die Tür.

Anna fragte sich, was dieser wehmütige Blick zu bedeuten hatte, mit dem Sven den Namen Kim ausgesprochen hatte. Sebastian schien ihre Gedanken erraten zu haben. Während Sven den Hubschrauber wieder aufsteigen ließ, zückte er sein Handy. Kurz darauf stupste er Anna an, damit sie die Nachricht las, die er für sie geschrieben hatte. Sie nickte, nachdem sie sie gelesen hatte. Jetzt wusste sie, was in Sven vor sich ging.

»Kim war seine unglückliche Jugendliebe«, hatte Sebastian geschrieben.

Eine unerfüllte Liebe tut weh, offensichtlich auch noch nach vielen Jahren, dachte Anna, während sie aus dem Fenster schaute. Es war das erste Mal, dass sie Bergmoosbach aus der Luft betrachten konnte. Das Dorf lag malerisch inmitten von Wiesen und Feldern, der See und der dunkle Tannenwald, der sich vom Tal bis hinauf zu den Hängen der Berge ausdehnte.

»Alles in Ordnung?!«, rief Sebastian und legte seine Hand auf ihre Schulter.

Sie nickte, obwohl schon seit einiger Zeit nicht mehr alles für sie in Ordnung war. Seit dieser Nacht, in der sie Sebastian begegnet war, sehnte sie sich nach ihm. Sie wusste, dass er noch nicht bereit für eine neue Beziehung war, weil er noch unter dem Tod seiner Frau litt, die im letzten Jahr bei einem Autounfall ums Leben kam, aber Gefühle ließen sich leider nicht einfach auf Eis legen. Sie musste irgendwie mit ihnen klar kommen.

*

Kim hatte sich auf die Bank vor der Hütte geschleppt und schaute an den Himmel. Sie wollte auf keinen Fall die Ankunft des Hubschraubers verpassen, damit sie nicht erst nach ihr suchen mussten. Bis zur Geburt konnte es nicht mehr lange dauern, die Wehen kamen nun alle zwei Minuten. Wieder krümmte sie sich vor Schmerzen und musste sich zwingen, ruhig zu atmen, so wie sie es in der Schwangerschaftsgymnastik gelernt hatte. Endlich hörte sie die Rotoren, die ihr die Ankunft ihrer Retter ankündigten. Als die nächste Wehe sie überwältigte, wurde sie kurz ohnmächtig, und als sie wieder zu sich kam, setzte der Hubschrauber auf der Wiese auf, erschien ihr wie eine riesige brummende Hummel, die lauter und lauter wurde.

»Kim!«, hörte sie jemanden rufen, und als sie sich aufrichtete, sah sie einen Mann in weißer Hose und roter Jacke auf sich zu kommen. »Hallo, Kim, ich bin Sebastian Seefeld«, stellte er sich vor und hockte sich neben die Bank, auf der sie seitlich mit angezogenen Beinen lag. »Du erinnerst dich vielleicht nicht mehr an mich, aber wir kennen uns von früher«, sagte er, während er ihren Puls fühlte.