Der neue Landdoktor 20 – Arztroman - Tessa Hofreiter - E-Book

Der neue Landdoktor 20 – Arztroman E-Book

Tessa Hofreiter

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Beschreibung

"Der neue Landdoktor" zeichnet sich gegenüber dem Vorgänger durch ein völlig neues Konzept aus. Es wird noch größerer Wert auf Romantik, Spannung und sich weiterdichtende, zum Leben erwachende Romanfiguren, Charaktere und Typen gelegt. Eines darf verraten werden: Betörend schöne Frauen machen dem attraktiven Landdoktor schon bald den Hof. Und eine wirkliche Romanze beginnt... "Dann wünsche ich guten Appetit!" Traudel Bruckner, die Haushälterin und gute Seele im Doktorhaus, schaute freundlich in die Runde ihrer Lieben. Wie so oft saßen nicht nur die Mitglieder der Familie Seefeld am Tisch in der gemütlichen Landhausküche. Neben Emilia, der vierzehnjährigen Tochter Sebastian Seefelds, hatte ihr Freund Markus Platz genommen. Er war gleich nach der Schule mit ins Doktorhaus gekommen, weil morgen eine Französischarbeit anstand, für die die Jugendlichen lernen wollten. Zwei andere Freundinnen würden später auch noch dazukommen, und alle zusammen hätten dann die Terrasse am weitläufigen Garten als herrlichen Arbeitsplatz.

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Der neue Landdoktor –20–

Ich war dir niemals untreu!

Und das werde ich beweisen

Roman von Tessa Hofreiter

»Dann wünsche ich guten Appetit!« Traudel Bruckner, die Haushälterin und gute Seele im Doktorhaus, schaute freundlich in die Runde ihrer Lieben.

Wie so oft saßen nicht nur die Mitglieder der Familie Seefeld am Tisch in der gemütlichen Landhausküche. Neben Emilia, der vierzehnjährigen Tochter Sebastian Seefelds, hatte ihr Freund Markus Platz genommen. Er war gleich nach der Schule mit ins Doktorhaus gekommen, weil morgen eine Französischarbeit anstand, für die die Jugendlichen lernen wollten. Zwei andere Freundinnen würden später auch noch dazukommen, und alle zusammen hätten dann die Terrasse am weitläufigen Garten als herrlichen Arbeitsplatz.

Neben Sebastian Seefeld, dem beliebten Landarzt, saß eine sehr hübsche, schweigsame junge Frau. Sie war klein und zierlich, hatte einen hellen, seidigen Teint und faszinierende Augen, die je nach Beleuchtung grün oder blau-grün schimmern konnten. Ihre langen dunkelblonden Haare hatte sie zu einem lässigen Knoten auf dem Kopf zusammengefasst. Sie trug ein leichtes, blau-graues Sommerkleid, das mit zarten Vogelfedern bedruckt war, und eine hauchdünne, goldene Halskette. Die junge Frau war Viktoria Plessin, eine Medizinstudentin kurz vor dem letzten Teil des Examens. Ihre Doktorarbeit hatte sie bereits abgeschlossen, der größte Teil ihres praktischen Jahres im Uniklinikum lag hinter ihr. Viktoria wollte ihre praktischen Erfahrungen nicht nur im Krankenhaus sammeln, sondern auch in einer Landarztpraxis. Deshalb war sie ab heute die neue Mitarbeiterin von Doktor Sebastian Seefeld.

»Wie sind denn Ihre ersten Eindrücke gewesen, Viktoria?«, erkundigte sich Sebastian freundlich. Er war ein gut aussehender, großer Mann mit dunklen Haaren, auffallenden grauen Augen und einem warmherzigen Lächeln.

»Vielfältig!«, antwortete die junge Frau. »Natürlich kann ich jetzt noch nichts Genaues sagen, aber ich glaube schon, dass die Bergmoosbacher und ich uns aneinander gewöhnen werden.«

Benedikt Seefeld, der Senior der Familie und ebenfalls erfahrener Landarzt, lachte. »Lassen Sie mich raten!«, sagte er. »In mindestens fünf unterschiedlichen Variationen hat man Sie gefragt, ob Sie denn schon eine richtige Frau Doktor sind!«

Viktoria grinste.

»Das Madl schaut doch aus, als ob es grad von der Schulbank kommt!«, wiederholte sie den Satz, den sie heute mehrmals zu hören bekommen hatte. Sie zuckte mit den Schultern und widmete sich wieder Traudels köstlichem Zwiebelrostbraten. »Wie gesagt: Wir werden uns schon aneinander gewöhnen.«

»Es gab aber nicht nur Zweifel, sondern auch dickes Lob«, ergänzte Sebastian. »Unser Bürgermeister Talhuber hat mich extra von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden, damit ich erzählen kann, dass das Fräulein Doktor ihn sanft wie ein Engel geimpft hat! Exakt seine Worte!«

Alle lachten. Es war allgemein bekannt, dass den Bürgermeister – ein gestandenes Mannsbild, das sich tatkräftig um alle Belange der Bürger kümmerte – eine Heidenangst vor jeglicher Art von Spritzen plagte.

»Du, Papa«, sagte Emilia plötzlich und wurde wieder ernst, »wo du gerade den Namen Talhuber genannt hast, da fällt mir etwas ein. Heute Mittag haben Markus und ich Therese Talhuber getroffen. Sie stand am Marktplatz und hat ganz seltsam um sich geschaut, so als ob sie etwas sucht. Wir haben sie gefragt, ob wir ihr helfen können, und sie hat ganz komisch geantwortet: Warum denn jetzt alles anders sein muss, hat sie gesagt.«

»Dass sie doch schon ihr ganzes Leben im Laden von Fanny und davor bei deren Eltern eingekauft hat und dass sie nicht versteht, warum das Geschäft­ auf einmal verschwunden ist«, ergänzte Markus die Worte Emilias.

»Wir haben ihr gesagt, dass der Laden noch dort ist, wo er immer schon gewesen ist, und sie gefragt, ob wir sie vielleicht begleiten sollen, aber das wollte sie nicht«, fuhr das junge Mädchen fort.

»Nein, sie hat gesagt, dass sie doch weiß, wo der Laden ist, und ob wir glauben, dass sie dumm ist. Dann ist sie weggegangen, aber nicht hinüber zu Fannys Kolonialwarenladen, sondern in Richtung ihres Hofes, und ihren Einkaufskorb hat sie einfach stehen lassen. Den haben wir dann mitgenommen«, berichtete Markus. »Er steht draußen bei Emilias Fahrrad.«

Die Erwachsenen wechselten einen besorgten Blick. Die alte Frau war schon einmal durch offensichtliche Verwirrung aufgefallen.

»Danke, dass ihr euch um Therese Talhuber gekümmert habt«, sagte Sebastian zu den Jugendlichen. »Ich denke, ich werde ihren Enkel darauf ansprechen müssen.«

»Talhuber?«, mischte sich jetzt Viktoria ins Gespräch. »Ist diese Therese mit dem Bürgermeister verwandt?«

»Ja, entfernt«, antwortete Sebastian. »Sie selbst ist seit langem verwitwet und wohnt bei ihrem Enkel Leopold auf dem Lindenhof.«

Während des Gesprächs hatte Traudel die Teller zusammengeräumt und frische Erdbeeren mit einem Krug Rahm auf den Tisch gestellt. Alle genossen nun die reifen, süßen Früchte, und das Gespräch drehte sich nicht mehr um Praxisbelange, sondern um das Sommerprogramm des Kinos, das wieder eine Freiluftveranstaltung plante.

Emilia und Markus brachen zu einer weiten Runde mit Nolan, dem verspielten Familienhund, auf, und Sebastian und sein Vater zogen sich mit ihren Kaffeetassen zu einem Schachspiel in die berankte Laube zurück, in der sie gern die Mittagspause verbrachten.

»Und Sie?«, sagte Traudel freundlich zu ihrem jungen Gast und reichte ihr eine Kaffeetasse. »Wollen Sie sich noch ein wenig auf die Terrasse setzen, ehe die Nachmittagssprechstunde beginnt?«

»Das wäre schön!« Sehnsüchtig schaute Viktoria in den herrlichen Garten hinaus. Duftende Rosen, Hortensien, Ranunkeln und große Tongefäße mit leuchtenden Lobelien wechselten sich ab mit üppigen Sträuchern und der großen, sanft abfallenden Grasfläche, die teilweise von einem Steingarten eingerahmt wurde. »Leider habe ich jetzt keine Zeit, mich auf die Terrasse zu setzen, ich muss mich um meine Wohnung kümmern. Zum Glück habe ich noch etwas gefunden, was ich mir anschauen kann.«

»Das Missgeschick bei ihrer Wohnungsvermietung war aber auch zu ärgerlich!« Traudel schüttelte mitfühlend den Kopf. »Frau Müller ist immer noch ganz geknickt, dass ihr dieser Fehler mit der doppelten Buchung unterlaufen ist. Sie hat so ein schlechtes Gewissen, weil wir doch Hochsaison haben und eine Unterkunft schwer zu bekommen ist.«

Viktoria lächelte. »Ich hatte ja Glück im Unglück, dass Sie und Ihre Familie mich so freundlich aufgenommen und im Gästezimmer untergebracht haben. Ich musste also nicht auf der Straße übernachten, nur weil mein Quartier vergeben worden war. Und dann hatte ich nochmal Glück, weil diese kleine Wohnung auf dem Lindenhof überraschend freigeworden ist. Ich vermute, dass es der Hof ist, der vorhin erwähnt wurde. Mein zukünftiger Vermieter heißt jedenfalls Leopold Talhuber.«

»Dann haben Sie es gut getroffen!«, strahlte Traudel. »Der Lindenhof ist ein schönes, altes Anwesen, auf dem man bestimmt gut wohnen kann, und der Leopold ist ein sehr netter Mann. Er versucht gerade, den Hof in einen Biobetrieb umzuwandeln. Wenn Sie das Landleben mögen, sind Sie dort genau richtig.«

»Und diese Therese Talhuber, von der Emilia erzählt hat, wohnt auch dort? Dann kann ich doch gleich ihren Einkaufskorb mitnehmen«, schlug Viktoria vor und fügte nachdenklich hinzu: »Vielleicht kann ich bei der Gelegenheit mit Leopold Talhuber über die alte Dame sprechen, falls er dazu bereit ist.«

»Das ist eine gute Idee! Leopold kümmert sich rührend um seine Großmutter. Und nehmen Sie der Therese bitte ein Stück von meinem Nusskuchen mit.« Traudel wickelte rasch den Kuchen ein und reichte ihn der jungen Frau. »Sagen Sie ganz liebe Grüße von uns!«

»Danke, Frau Bruckner, das richte ich aus.«

»Ach, Madl, mein Name ist Traudel«, sagte die freundliche, mütterliche Frau im hellblauen Dirndl.

»Wunderbar! Und dann lassen wir bitte das mit der Frau Plessin, ich bin Viktoria«, antwortete die junge Frau erfreut.

»Dann los, Viktoria! Ich drück die Daumen, dass die Wohnung hübsch ist und du dort gern wohnen magst.«

Traudel schaute der jungen Frau wohlwollend hinterher. Sie mochte die angehende Ärztin gern, die ihnen als überraschender Gast ins Haus geschneit war, nachdem man ihre angemietete Wohnung doppelt belegt hatte. Viktoria Plessin war freundlich und klug, trug ihr Herz nicht auf der Zunge und zeigte viel Verständnis für andere Menschen; sie würde eine sehr gute Ärztin sein.

Und zwar eine, die ‚Spritzen sanft wie ein Engel‘ verabreichte, wie Traudel sich gerade erinnerte. Leise vor sich hin lachend griff die gute Seele des Hauses nach ihrem Roman und streckte sich zur wohlverdienten Mittagsruhe auf ihrer Lieblingsliege im Schatten des alten Walnussbaumes aus.

*

Viktoria musste nicht lange fahren, um zum Lindenhof zu kommen, er lag am Rand Bergmoosbachs, eingebettet in eine Hügelkette. »Das hätte ich auch mit dem Rad schaffen können«, murmelte die sportliche junge Frau. »Gut zu wissen, dass ich es nicht weit bis zur Praxis habe.« Sie bog von der Landstraße ab und fuhr die gewundene Auffahrt hinauf, die von Ackerland und fetten Viehweiden gesäumt war.

Der Lindenhof war ein schönes, altes Anwesen mit mehreren Gebäuden, die alle aus Holz errichtet waren. Am Haupthaus mit seinem umlaufenden Balkon rankten blühende Geranien aus den Kästen, es gab einen Bauerngarten, der nach klassischem Vorbild angelegt worden war, aber einen verwilderten Eindruck machte. Seinen Namen hatte das Gehöft von den zwölf mächtigen Lindenbäumen, die das Haupthaus und den gepflasterten Hofplatz in einem weiten Geviert umstanden.

Beeindruckt schaute Viktoria sich um. Mauersegler schossen durch die geöffneten Fenster in die Ställe ein und aus, auf der Hausbank saß eine wachsame schwarze Katze, die ihre spielenden Jungen beäugte. Sie schienen an den großen, grauen Hund gewöhnt zu sein, der auf Viktoria zugetrabt kam und in einigen Metern Entfernung von ihr Stellung bezog. Seine Haltung besagte eindeutig: bis hierher und nicht weiter!

»Ja, das habe ich verstanden!«, sagte Viktoria ruhig zu dem wartenden Tier. »Aber weißt du, ich bin hier verabredet, ich darf also auf deinem Hof sein. Gehörst du zu Leopold Talhuber? Kannst du den vielleicht für mich rufen?«

Als habe das Tier sie verstanden, gab es ein tiefes Bellen von sich, das weit über den Hofplatz hallte. Die Katze scheuchte ihre Jungen unter die Hausbank und setzte sich schützend vor sie, von wo sie sowohl Viktoria als auch den Hofhund drohend anfunkelte.

»Hallo! Sie haben schon Bekanntschaft mit unserem Thor gemacht? Sie müssen keine Angst haben!«, rief eine helle Frauenstimme in Viktorias Rücken.

Sie drehte sich um. »Ich habe keine Angst vor Hunden«, antwortete sie ruhig. »Außerdem ist es Thors Aufgabe, den Hof zu bewachen und Besucher zu melden.«

»So! Da versteht wohl jemand eine Menge von Hunden!«, sagte die andere Frau unüberhörbar spöttisch.

Viktoria musterte sie schweigend. Die andere Frau war groß und schlank, hatte langes, rötliches Haar, das in wilden Locken ihr Gesicht umspielte, und leuchtende, blaue Augen. Auf der schmalen Nase und den hohen Wangenknochen verteilten sich winzige Sommersprossen. Bekleidet war die Frau mit sehr gut sitzenden Jeans einer Edelmarke, rotbraunen Stiefeletten und einem grünen Top, das ihre makellose Figur zeigte. In den perfekt manikürten Händen hielt sie ein Klemmbrett mit etlichen Papieren und einen Stift. Die Designersonnenbrille hatte sie lässig hinauf in die Haare geschoben.

»Können Sie mir bitte sagen, wo ich Herrn Talhuber finde?«, erkundigte sich Viktoria höflich.

Die andere Frau lächelte nicht unfreundlich, aber gleichzeitig strahlte sie etwas aus, was Viktoria als unangenehm empfand. »Ich weiß nicht, ob Leopold jetzt Zeit hat. Wir sind in einer geschäftlichen Besprechung«, antwortete sie.

»Das denke ich schon!«, erwiderte Viktoria kühl. »Wir sind verabredet.«

Man hörte Schritte, die sich rasch näherten, und aus einem der Nebengebäude kam ein Mann auf die beiden Frauen zu. Er war sehr groß gewachsen, und man sah ihm an, dass er viel Zeit an frischer Luft und mit körperlicher Arbeit verbrachte. Er war breitschultrig und muskulös, bewegte sich aber für einen Mann seiner Größe auffallend geschmeidig. Sein Gesicht hatte scharf geschnittene Züge, die von den warmen, dunklen Augen gemildert wurden. Sein dunkles Haar war dicht und leicht zerzaust, und seine Wangen bedeckte ein attraktiver Drei-Tage-Bart.

»Sie müssen Frau Plessin sein! Entschuldigung, warten Sie schon lange?«, fragte er und streckte den Arm zu einem kräftigen Händedruck aus.

»Nein, das ist schon in Ordnung. Ich bin gerade erst gekommen«, antwortete Viktoria.

Der Mann starrte sie einen Moment lang schweigend an, dann sagte er: »Ja, also, ich bin Leopold Talhuber, und das ist Letizia Waldner.« Weiter stellte er die junge Frau an seiner Seite nicht vor, sondern er fuhr an sie gewandt fort: »Danke, Letizia, das war dann alles für heute. Die Lieferung ist vollständig, meine Unterschriften hast du. Ich melde mich bei euch, wenn wir wieder etwas brauchen. Servus.« Er umarmte sie flüchtig. »Bei der nächsten Lieferung musst du dir nicht die Mühe machen, selbst heraus zu kommen. Warum schickst du nicht einen eurer Fahrer?«

»Ich komme gern, Leopold!«, antwortete sie mit einem hinreißenden Lächeln. »Es ist doch immer so nett, wenn wir uns treffen.«

»Sicher«, antwortete er etwas zerstreut. »Also dann, bis zum nächsten Mal.«

»Ich denke, bei der Gelegenheit werde ich gleich noch einen Besuch bei deiner Großmutter machen, ich bin viel zu lange nicht bei der Therese gewesen.« Sie nickte ihnen freundlich zu und ging mit langen, anmutigen Schritten über den Hofplatz hinüber zu einem Altenteilerhäuschen, das in einiger Entfernung inmitten eines verwilderten Gartens lag.

Leopold schaute auf Viktoria und dachte überwältigt: was für eine Frau! Er räusperte sich. »Also, Frau Doktor, wollen wir uns dann die Wohnung anschauen?«

»Sehr gern.«

Der Mann deutete auf die Südseite des Haupthauses. Dort führte eine schmale Holztreppe auf einen Balkon, der von dem großen, umlaufenden abgetrennt worden war. »Die Wohnung liegt zwar im großen Wohnhaus, aber Sie haben ihr eigenes Reich mit allem, was dazugehört«, sagte Leopold.

Duftendes Geißblatt umrankte den kleinen Balkon und bildete so eine blühende Laube. Zwei größere Sprossenfenster und eine Tür, die ebenfalls ein Sprossenfenster hatte, führten auf den Balkon hinaus. Dort gab es sogar einen kleinen Tisch und eine Hausbank. Durch die Tür trat man gleich in den Wohnraum, an den sich ein kleineres Schlafzimmer anschloss. An der Rückseite der Wohnung befand sich ein schmaler Flur, von dem eine kleine Küche und das Bad abgingen.

Die Wohnung wirkte trotz der kleinen Räume und der niedrigen Balkendecke hell und sehr licht, denn alles Holz war weiß gekälkt. Das war untypisch für ein altes Bauernhaus in dieser Gegend, aber es gefiel Viktoria sehr. Die Möbel waren ebenfalls weiß und schlicht und passten zu den naturfarbenen Baumwollstoffen, die sich vor den offenen Fenstern im Sommerwind bauschten.

»Es ist perfekt!« Viktoria strahlte ihn an. »Was habe ich für ein Glück gehabt, diese Wohnung zu finden! Ich werde mich bestimmt sehr wohl fühlen. Wenn es Ihnen recht ist, würde ich den Mietvertrag gern gleich unterschreiben, damit nicht noch einmal etwas dazwischen kommt.«

»Hier ist er.« Leopold wies auf eine Mappe, die auf dem kleinen Tisch am Fenster lag. Die beiden setzten sich, und Viktoria unterschrieb den Vertrag, der ihr für die nächsten vier Monate die Wohnung zusicherte. »Und hier sind Ihre Schlüssel.«

»Fantastisch! Sofort nachdem wir die abendliche Runde mit den Hausbesuchen beendet haben, ziehe ich ein. Es war sehr nett von den Seefelds, mir ihr Gästezimmer anzubieten. Ich hätte sogar für die ganze Zeit bei Ihnen wohnen können, aber das ist mir nicht so recht.«

»Sie wollen ihnen nicht zur Last fallen, und Sie wollen sich auch zurückziehen können«, antwortete Leopold bedächtig.

»Genauso ist es! Sie verstehen mich gut.« Viktoria lächelte. »Ich finde Sebastian Seefeld sehr sympathisch, aber immerhin ist er mein Chef.«

»Brauchen Sie Hilfe beim Einzug?«

»Ich denke, nicht. Ich habe ja nur zwei Koffer und einen Karton mit Büchern, das schaffe ich allein.«

»In Ordnung.« Leopold ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken. »Falls irgendetwas sein sollte oder wenn Thor der Meinung ist, Sie gehören noch nicht dazu, dann rufen Sie. Ich bin auf jeden Fall zu Hause.«

»Gern!« Sie schaute auf die Uhr. »Ich würde ja lieber in meiner Wohnung bleiben, aber ich muss los, die nächste Sprechstunde fängt bald an.« Mit einem zufriedenen Lächeln schloss Viktoria zum ersten Mal ihre Tür hinter sich. »Wer hat schon einen so schönen Eingang!«, sagte sie und wies auf die Laube aus duftendem Geißblatt.

Ihre Begeisterung rührte Leopold. Er begleitete die junge Frau zu ihrem Wagen, wo sie den Einkaufskorb hervor holte und an ihn zurückgab. »Ich glaube, der gehört Ihrer Großmutter«, begann sie behutsam. »Emilia Seefeld erzählte, dass sie die alte Frau auf dem Marktplatz getroffen hat und dass Ihre Großmutter einen verwirrten Eindruck gemacht hatte.«

Leopolds Augen wurden dunkel. »Ja, das ist etwas, das mir große Sorgen macht«, erwiderte er ernst. »Ich beobachte es seit längerem und ich weiß nicht, was ich tun soll, falls es schlimmer wird. Großmutter will nichts von einem Arztbesuch wissen!«

»Sollte ich einmal versuchen, mit ihr zu reden? So ganz ohne Praxis und weißen Kittel ist sie vielleicht nicht so abweisend, und ich kann einen Besuch bei Doktor Seefeld vorbereiten.«

»Das wäre sehr nett, Frau Plessin! Wahrscheinlich haben Sie mehr Glück als ich; es wäre mir eine große Hilfe«, antwortete Leopold dankbar.

»Ich versuche es gern. Bitte sagen Sie ihr liebe Grüße von Traudel, und sie soll sich den Nusskuchen gut schmecken lassen.« Die junge Frau saß schon im Wagen und winkte einen Abschiedsgruß zu ihm hinaus. »Und überhaupt: ich heiße Viktoria, Leopold!« Sie hupte und fuhr mit wehenden Haaren vom Hof.

Leopold guckte Thor an, und Thor guckte aufmerksam zurück. »Diese Frau, mein Lieber, darfst du nicht verbellen, sie gehört nämlich zu uns!«, erklärte er. »Zumindest für die nächsten vier Monate.«

Der geduldige Hund gab einen Laut von sich, der bedeutete, dass er sehr genau verstanden hatte. Er folgt seinem Herrn, der mit langen Schritten hinüber zum Altenteilerhäuschen ging.

Dort saß eine alte Frau auf der Hausbank und hielt ein Strickzeug in der Hand. Leopold schluckte. Früher hatte seine Großmutter die kompliziertesten Arbeiten beherrscht, das formlose Stück auf dieser Nadel bestand aus mehr Knoten und fallengelassenen Maschen als aus einem erkennbaren Strickstück. Er setzte sich neben die alte Frau und legte behutsam seinen Arm um ihre mager gewordenen Schultern.