Der Penis-Fluch - Schlecky Silberstein - E-Book

Der Penis-Fluch E-Book

Schlecky Silberstein

0,0
14,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Emotionen, Depressionen, gesellschaftliche
Erwartungen: Kult-Comedian Schlecky Silberstein über
die Fallstricke eines erschütterten Rollenbildes und
die große Bürde, ein Mann zu sein


»Mein Name ist Schlecky Silberstein und ich leide an der sexuell übertragbaren Krankheit Mann. Wohnhaft im Prenzlauer Berg, versuche ich das richtige Leben im falschen zu führen, aber es ist hart: Die Identitätssuche des verzweifelt modernen Mannes gleicht der Quadratur des Kreises; wie auch immer ich mich zu meinem Geschlecht positioniere, ich mache es falsch. Mannsein ist ein Fluch, der uns als Hauptgewinn verkauft wird – so wie jede gekonnte Verarsche …«

Schlecky Silberstein seziert sein eigenes Geschlecht schonungslos und ohne Rücksicht auf Verluste. Denn was viele nicht ahnen: Männer sind noch viel schlimmer als ihr ohnehin schon ramponierter Ruf. Schlimm bedeutet dabei: dumm, kriminell, suchtanfällig, manipulativ und selbstzerstörerisch. Was immer der orthodoxe Feminismus Männern vorwirft, es ist nur die Spitze des Eisbergs. Und so absurd es klingt: Männer sind selbst die größten Leidtragenden des Patriarchats!

Ehrlich und ungeschönt berichtet der Comedian aus seinem Leben als Mann. Von dem unmöglichen Unterfangen, eigenen Ansprüchen und gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden. Von Selbstzweifeln, Depressionen und dem Ringen um seine Identität. Sein Fazit:Hilfsprogramme für Männer sind dringend notwendig …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 364

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



SCHLECKYSILBERSTEIN, geboren 1981, ist Autor, Schauspieler, Gesicht und Produzent der mit dem Grimme- und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichneten Comedy-Show »Browser Ballett« sowie Chronist der deutschen Gegenwartsbewältigung. Zwischen 2010 und 2019 betrieb er den erfolgreichsten deutschen Kuriositäten-Blog. Er ist Autor zweier Bücher: Ich kann keine Wurstzipfel essen (Ullstein, 2015) und Das Internet muss weg (Penguin, 2019). In seinen satirischen Videobeiträgen setzt er sich immer wieder mit traditionellen Rollenbildern, Geschlechteridentitäten und Aspekten toxischer Männlichkeit auseinander. Schlecky Silberstein lebt zurückgezogen in Berlin.

Instagram, TikTok, Facebook: @browserballett, YouTube: @BrowserBallett

»Mein Name ist Schlecky Silberstein, und ich leide an der sexuell übertragbaren Krankheit Mann. Ich habe mir nichts sehnlicher gewünscht, als den Fluch zu brechen. Doch die Schockdiagnose traf auch meine beiden Kinder Henri und Theo. Wohnhaft im Prenzlauer Berg, versuche ich, das richtige Leben im falschen zu führen, aber es ist hart: Die Identitätssuche des verzweifelt modernen Mannes gleicht der Quadratur des Kreises; wie auch immer ich mich zu meinem Geschlecht positioniere, ich mache es falsch.«

Schlecky Silberstein seziert sein eigenes Geschlecht schonungslos und ohne Rücksicht auf Verluste. Denn was viele nicht ahnen: Männer sind noch viel schlimmer als ihr ohnehin schon ramponierter Ruf. Schlimm bedeutet dabei: dumm, kriminell, suchtanfällig, manipulativ und selbstzerstörerisch. Was immer der orthodoxe Feminismus Männern vorwirft, es ist nur die Spitze des Eisbergs.

Ehrlich und ungeschönt berichtet der Comedian aus seinem Leben als Mann. Von dem unmöglichen Unterfangen, eigenen Ansprüchen und gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden. Von Selbstzweifeln, Depressionen und dem Ringen um seine Identität. Sein Fazit: Hilfsprogramme für Männer sind dringend notwendig …

www.penguin-verlag.de

SCHLECKY SILBERSTEIN

Der PenisFluch

Männer sind arme Schweine

Es gibt keine Hoffnung, aber wir dürfen sie nicht aufgeben

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2025 by Penguin Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR.)

Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO, München

Foto Umschlagvorderseite: © Maximilian Motel

Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-26449-9V001

www.penguin-verlag.de

Inhalt

Intro

Das schändliche Ärgernis – Wie ich zum Mann wurde

Warum gibt es eigentlich Männer?

Das Patriarchat – Geschichte von Männern für Männer

Abgehängte Männer – Flaschen, die durchs Leben straucheln

Female Choice – Die andere Seite der Macht

Männliche Exzellenz – Von Einhörnern und Psychopathen

Kapitalismus – Die große Männerreligion

Der männliche Erfolgsbegriff – Das größte Paradox unserer Zeit

Die Kosten des Patriarchats

Männerseuche Einsamkeit

Fassaden – Der Depressionsdünger Männlichkeit

Sexdrive – Der Dämon in meinem Unterleib

Generation unfickbar

Man Child

Gaming – Das neue Männergefängnis

Frauen für Männer erklärt

NachwortMach’s gut Papa, du hattest es nie leicht

Quellen

Intro

Disclaimer für Frauen

In diesem Buch wird Unsagbares ausgesprochen, und Traumata sind nach der Lektüre eher die Regel als die Ausnahme. Hier werden Thesen verhandelt, die wir eigentlich längst überwunden haben sollten. Es werden Rollenbilder aus den finstersten Tagen der Menschheitsgeschichte reproduziert, zwischen den Zeilen werden Männer sogar aus ihrer Verantwortung entlassen und zum Opfer ihrer Gene gemacht. Schlimmer noch: Dieses Buch sieht Männer als Opfer ganzer Kulturen und vertritt die These, dass die größten Leidtragenden des Patriarchats Männer selbst sind. Es schickt sich an, die Bibel des männlichen Selbstmitleids zu werden. Es fordert allen Ernstes eine gezielte Förderung von Männern, als hätten sie nicht schon genug Privilegien angehäuft. Die systematische Ausbeutung und Verdinglichung von Frauen durch Männer wird in diesem Buch nur am Rande verhandelt, als Feigenblatt für einen neuen männlichen Opferkult. In einer Zeit, in der selbst der und die Letzte verstanden hat, dass Geschlechter nicht im Mutterleib entstehen, sondern durch Sozialisation gemacht werden, stellt der Autor in Zweifel, was schon durch über eine Million Tweets bestätigt wurde. Entlarvend ist überdies die bewusste Auslassung feministischer Standpunkte, stattdessen labt sich der Autor an androzentrischen Perspektiven. Wow. Einfach nur wow.

Disclaimer für Männer

Das Bindeglied zwischen Affen und Menschen sind wir, verehrte Herren. Wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen: Alles, was auf dieser Welt schiefläuft, geht auf uns Männer zurück. Das ist tatsächlich erstaunlich, weil unsere Überlebensintelligenz auf dem Niveau von Lemmingen rangiert. Jeder von uns ist ein Dead Man Walking, weil uns die Natur nur als billige Genlieferanten braucht, die Ausformung zu vollständigen und überlebensfähigen Menschen sieht die Evolution eindeutig bei Frauen. Es ist atemberaubend, mit welcher Leichtigkeit sich Männer dazu bringen lassen, jubelnd in den sicheren Tod zu rennen. Denn unser Gehirn verfügt über gleich mehrere Schnittstellen für leichte Manipulation. Während Frauen nachweislich über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg eine evolutionär wichtige Funktion ausfüllen, werden Männer nur so lange gebraucht, bis sie erfolgreich eine Eizelle befruchtet haben. Das gilt allerdings nur für ein Fünftel aller Männer. Der Rest ist Ausschussware, die sex- und bedeutungslos sterben wird. Bis dahin bekämpfen wir einander aufs Skrupelloseste wie Tiere. Mitleid? Wieso? Unser größter Beitrag zur Menschheitsgeschichte sind die Unterdrückung der Frau und die Klimakrise.

All diese traurigen Wahrheiten werden in diesem Buch ausgebreitet. Aber warum schreibe ich eigentlich einen Disclaimer für Männer? Man kann uns emotional gar nicht triggern. Dazu bräuchten wir einen Zugang zu unseren Gefühlen.

Über mich

Die Glaubwürdigkeit eines Buchs steht und fällt mit seinem Autor. Daher würde ich mich gerne kurz vorstellen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich mich als das Ergebnis eines Sozialexperiments bezeichnen. Die Studienleiter wollten erforschen, wie es einen Mann prägt, wenn er sein ganzes Leben lang extremen maskulinen Einflüssen ausgesetzt wird. In meiner Kindheit lebte ich mit meiner alleinerziehenden Mutter zusammen, die lange Arbeitszeiten hatte. Nach der Kita beziehungsweise der Schule schaute ich Actionfilme im Fernsehen, bis meine Mutter nach Hause kam. Eines Tages kam sie mit einem gewalttätigen Arschloch nach Hause, der sich später als mein Stiefvater entpuppen sollte.

Bis ich völlig überraschend aufs Gymnasium kam, verbrachte ich meine Schulzeit in Bremer Brennpunktbezirken, wo ich einer der ganz wenigen deutschen Muttersprachler war. Soziale Hierarchien wurden in dieser Zeit über zwei Systeme geregelt: Wer baut die größte Scheiße, und wer gewinnt die meisten Schlägereien. Meine Freunde kamen fast alle aus arabischstämmigen Familien, in denen sehr traditionelle Männerbilder vorherrschten. Wenn ich nicht gerade in Mutproben oder Schlägereien verwickelt war, spielte ich Fußball im Verein. Nach der sechsten Klasse bekam ich nur deshalb eine Empfehlung fürs Gymnasium, weil ich die deutsche Sprache beherrschte und allein dadurch zu den Klassenbesten zählte.

In der achten Klasse musste ich zum Jugendpsychologen, andernfalls wäre ich von der Schule geflogen. Nach der neunten Klasse flog ich von der Schule. An der neuen Schule musste ich die zehnte Klasse wiederholen. Unter anderem auch deshalb, weil ich mit 17 aufgrund von Spannungen zwischen mir, meiner Mutter und meinem Stiefvater in eine eigene Wohnung zog. Meine erste künstlerische Leidenschaft in der Pubertät war Gangsta-Rap, mein zweites Hobby bestand darin, mich mit einem Skateboard über möglichst viele Treppenstufen zu stürzen, damit mich meine Peergroup krass findet.

Mit Glück schaffte ich mein Abitur. Anschließend ging ich zur Bundeswehr, wo ich über ein halbes Jahr lang in freundschaftlicher Verbundenheit Zeit mit gewaltbereiten Sexisten und Rassisten verbrachte. Nach der Bundeswehr wählte ich das männlichste Studienfach von allen: BWL! Disziplinlosigkeit und Alkohol nährten in mir die Erkenntnis, dass ich nie im Leben einen akademischen Abschluss machen würde, also brach ich das Studium ab und fand einen Job im männlichsten Zweig der Kreativbranche: Werbung! Dort wurde man kaum weniger von cholerischen Versagern angeschrien als in der Bundeswehr, ich fühlte mich also schnell zu Hause.

In meinen späten Zwanzigern machte ich erstmals Bekanntschaft mit Depressionen. Meine Hausärztin stuft mich als funktionierenden Alkoholiker ein. Ich liebe Autos.

Ich schreibe also nicht als akademischer Beobachter über toxische Männlichkeit, sondern als Betroffener. Ich bin auch kein Feminist oder im Entferntesten linksprogressiv, ich gendere ja nicht mal ordentlich. Ich bin einfach nur ein ganz normaler Mann.

Warum dieses Buch?

Im Laufe meiner sehr traditionellen Männerkarriere bin ich früh an einen Punkt geraten, den man als Sackgasse bezeichnen kann. Ich habe das Männerding mit Haut und Haar verkörpert, ich war extrem kompetitiv, hatte hohe Ziele und immer einen geilen Spruch auf Tasche. Aber nichts davon hat mich glücklich gemacht. Ich war nie wirklich zufrieden, und wenn ich etwas erreicht hatte, hielt die Freude darüber nicht lange an. Ich habe Drehbücher und Sachbücher geschrieben, Musik gemacht, Stand-up-Comedy, geschauspielert, einen erfolgreichen Blog betrieben – ich war ständig unter Strom und gleichzeitig ständig leer.

Und dann waren da noch die Dummheiten: Ich hab Aids riskiert, mit Flip-Flops und ohne Helm einen Motorradunfall gehabt, habe Geld verbrannt, bin viel zu oft besoffen Auto gefahren, habe so ziemlich jedes Suchtproblem mitgenommen, kurz: Wann immer mir das Leben eine kluge und eine dumme Ausfahrt geboten hat, habe ich die dumme genommen.

Depressionen wurden mein ständiger Begleiter, bis ich eines Tages in der Psychiatrie aufwachte und meine Probleme eher zufällig in meiner Geschlechtsidentität suchte. Heureka!

Die Antworten waren genauso erhellend wie zutiefst verstörend, und immer wieder dachte ich: Dieses Geschlecht ist ein Fluch, der uns als Hauptgewinn verkauft wird – so wie jede gekonnte Verarsche. Gleichzeitig war ich verblüfft darüber, wie wenig wir im 21. Jahrhundert über Geschlechter wissen beziehungsweise wissen wollen. Andererseits kann das Wissen über die eigene Funktion und die vielen Funktionsfehler jeden Mann in die Verzweiflung treiben. Je tiefer ich mich in die Recherche gegraben habe, desto intensiver wurde mein Wunsch, mich selbst zu kastrieren. Ich habe verstanden, dass Testosteron im Kern nichts anderes ist als körpereigenes Kokain, und wir wissen alle, wie Menschen enden, die auf Koks hängen bleiben. Ferner attestieren uns Evolutionsbiologen, dass Frauen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das von der Natur favorisierte Geschlecht sind und Männer nur deshalb in viel zu großer Zahl produziert werden, damit stets genügend naives Kanonenfutter für Krisenzeiten vorhanden ist. In einer Welt, in der es zum Glück nicht mehr jeden Tag um Töten oder Getötetwerden geht, sind kaum brauchbare Angebote für Männer vorhanden, und so irrlichtern viele von uns ratlos und verunsichert durch ihren Lebenszyklus wie ein Elefant durch den Porzellanladen. Zuvor haben wir es in kürzester Zeit geschafft, diesen Planeten an den Rand der Unbewohnbarkeit zu bringen, und ich spreche mich entschieden dafür aus, dass wir alle Hebel der Macht umgehend in die Hände von Frauen geben sollten.

Dieses Buch stellt die Frage: Sind Männer ein Anachronismus, ein Blinddarm der Zivilisation? Die Antwort lautet »höchstwahrscheinlich«, aber als Vater zweier Söhne muss ich Lösungen suchen. In diesem Sinne: Viel Spaß bei der Lektüre.

PS: Alle Illustrationen in diesem Buch wurden von KI-Bildgeneratoren erstellt, von denen keine Sau weiß, woher sie ihre Trainingsdaten haben. Der Einsatz ist nicht nur ethisch bedenklich, sondern auch riskant und folgt damit den typischen Reflexen meiner männlichen Sozialisation.

Die vier Hypothesen

Warum sind Männer diese destruktiven Wesen, die im Kern nur an zwei Dinge denken: Gegner töten und Frauen sexuell ausbeuten? Die Wissenschaft kennt genau vier Hypothesen, die teilweise Schnittmengen aufweisen und in diesem Buch immer wieder zitiert werden. Auf alle vier werde ich ausführlich eingehen, hier ein kurzer Überblick.

Die Sozialisationshypothese

Männer werden ohne Geschlechtsidentität geboren. Erst Erziehung und gesellschaftliches Umfeld machen Männer zu Männern und Frauen zu Frauen. Männer lernen von klein auf ihre Rolle im Patriarchat, einem Unterdrückungssystem, das vor ca. 300 000 Jahren entstanden ist und die Ausbeutung von Frauen zum Ziel hat. Das Patriarchat überschreibt unsere erste, solidarische Natur. Man könnte es theoretisch überwinden, weil das Patriarchat nichts als eine Idee ist, die umgelernt werden kann, allerdings wehren sich Männer dagegen, weil ihnen dieses System zahlreiche Privilegien verschafft. Unsere gesamte Kultur ist auf dem Boden des Patriarchats gewachsen und entsprechend von seinen Bildern und Mechanismen durchsetzt. Die Sozialisationshypothese ist von allen Hypothesen die beliebteste und gilt als kohärentestes Erklärmuster für toxische Maskulinität. Ihre Anhänger lehnen biologische Erklärungen für die Unterschiede zwischen Männern und Frauen als gefährlichen Determinismus ab, weil sie Männern ermöglichen, ihr Verhalten auf ihre genetische Disposition zu schieben.

Die Krieger-Hypothese

Seit Anbeginn der Menschheit befand diese sich permanent in einem gewaltsamen Verdrängungswettbewerb, Verhaltensmuster von Männern und Frauen sind daher exklusiv auf ihre Rollen im Überlebenskampf zurückzuführen. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern gehen auf biologische Anlagen zurück, die sich nach darwinistischen Prinzipien über Jahrmillionen in unserer DNA verankert haben. Anhänger der Krieger-Hypothese erklären toxische Männlichkeit als evolutionsbedingte Altlast, die beispielsweise die männliche Neigung zur Aggressivität nicht rechtfertigt, aber erklärt. Toxische Männlichkeit ist in der Langzeitbetrachtung ein Evolutionsvorteil, ohne die männliche Risikofreude und den angeborenen Blutdurst hätte der Mensch mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht die Spitze der Nahrungskette erklommen. Die gegenwärtigen Zeiten des relativen Friedens sind historisch betrachtet eine Anomalie, unser Denken und Fühlen ist auf das Gesetz des Dschungels optimiert, und es braucht noch viele Generationen, bis sich unser Hormonhaushalt und unsere Gehirnstruktur daran anpassen.

Die Versuchskaninchen-Hypothese

Gemessen an der Anzahl empfängnisbereiter Eizellen, werden fünfmal mehr Männer produziert als eigentlich nötig. Der Männerüberschuss hat einen Grund: Die Natur hat die Aufgabe der Selektion exklusiv in die Hände von Männern gelegt, daher sollen sie sich möglichst schnell gegenseitig dezimieren, um untereinander die Schlauesten, Stärksten und Gesündesten zu selektieren. Während Frauen auf einem sehr hohen Niveau einigermaßen gleich sind, gibt es unter Männern deutlich mehr Extremmerkmale, zum Beispiel extrem schlau, aber auch extrem dumm. Sprich: Die Natur braucht deshalb so viele Männer, damit sie Spielraum zum Experimentieren hat. Die Mutationen, die sich als günstig erweisen, bereichern den Genpool der Menschheit, alle anderen verdunsten im Niemandsland der Evolution, haben aber immerhin wertvolle Erkenntnisse darüber geliefert, welche Variationen in die Sackgasse führen. Dieser These nach sind Männer das Kanonenfutter der Evolution, geboren, um früh zu sterben.

Die Man-Child-Hypothese

Auch Peter-Pan-Syndrom genannt. Männer verharren geistig auf dem Niveau eines 14-Jährigen, während der Körper weiter altert. Dank Statur, Bartwuchs und tiefer Stimme kann ein Man-Child sein Erwachsensein simulieren, er bleibt aber impulsiv und sprunghaft wie ein Kind. Er ist nicht in der Lage, Verantwortung zu übernehmen und langfristig zu planen, seine Entscheidungen bleiben erratisch und sind von kurzfristiger Bedürfnisbefriedigung geprägt. Sein Narzissmus macht ihn immun für Kritik, stattdessen sucht er die Schuld für seine träge Entwicklung stets bei anderen. Men-Children fangen viel an, verlieren aber schnell die Lust, ihre mangelnde Zielstrebigkeit sorgt oft für depressive Symptomatiken. Ihre Liebespartner sind meistens Mutterersatz, die geringe Frustrationstoleranz lässt bei ihnen keine belastbaren Beziehungen zu. Die innere Leere macht Men-Children extrem empfänglich für Gruppendynamiken, sie schließen sich oft Rechtsextremen oder religiösen Fanatikern an.

Starten wir ins Buch!

Das schändliche Ärgernis – Wie ich zum Mann wurde

Meine Biografie beginnt noch vor meiner Geburt. Gezeugt wurde ich am 25. Dezember 1980, und zwar alles andere als geplant, nämlich auf einer feuchtfröhlichen Weihnachtsfeier. Mein Vater war Leiter eines Lehrlingsheims in Delmenhorst. Lehrlingsheime waren Wohnheime für schwer erziehbare oder straffällig gewordene junge Männer, die sich in der Regel in einer Lehre beziehungsweise in einem Ausbildungsverhältnis befanden. Meine Mutter war zu der Zeit Praktikantin, und vielleicht ahnen Sie bereits, wo die Reise hingeht. Mein Vater war zeitlebens ein sexuell hyperaktiver Schürzenjäger, der auch im hohen Alter noch jüngere Frauen zur Weitergabe seiner Gene überzeugen konnte. Für meinen Vater war es eine Frage der Ehre und eine gesellschaftliche Verpflichtung, alles daranzusetzen, mit der jungen, gut aussehenden Praktikantin zu schlafen. So wie ich meinen Vater kenne, war das Hauptkriterium für die Anstellung meiner Mutter der eiserne Wille, mit ihr schlafen zu wollen. Das klingt aus heutiger Zeit völlig zu Recht abscheulich, und es war auch damals abscheulich, aber: Es war völlig normal. Was es nicht besser macht. In dem sozialen Gefüge, in dem sich mein Vater befand, war es eine Selbstverständlichkeit, nur die attraktivste Bewerberin einzustellen, weil ein Arbeitsplatz mit einem geilen Fickschlitten (Sprache 1980) für alle viel schöner ist als ein Arbeitsplatz ohne einen geilen Fickschlitten. Nur der Fickschlitten selbst sieht das anders.

Meine Mutter bewegte sich also unter hochproblematischen jungen Männern (Lehrlinge) und noch problematischeren alten Männern (Heimleitung) wie eine Art Champions-League-Pokal. Meine Mutter war nicht nur sexuell für meinen Vater interessant, sie war auch Statusobjekt. Mein Vater machte unter den Lehrlingen schnell klar: »Wer die Doris anfasst, den fasse ich an«, und stellte meine Mutter damit unter sein persönliches Protektorat. Man kann auch sagen: Er verstrickte meine Mutter in gleich mehrere Abhängigkeiten. Zum einen war er ihr Vorgesetzter, zum anderen sicherte er ihr den Schutz vor den Lehrlingen. Dazu kommt: Mein Vater war unendlich humorvoll, atemberaubend charmant, und er sah gut aus. Ich kann meiner Mutter keinen Vorwurf daraus machen, dass sie sich meinem Vater bei der Weihnachtsfeier hingegeben hat. Das Problem war die Rolle von Kondomen Anfang der Achtziger. Die Dinger waren für Schwuletten (Sprache 1980) und hatten im heterosexuellen Sex nichts verloren. Überdies war Verhütung Frauensache. Sex mit Kondom war kein richtiger Sex, und man hat früher lieber gezockt.

Meine Mutter wurde schwanger, und mein Vater lernte, dass die Schwangerschaft seine Karriere bedrohte. Denn die Trägerorganisation des Lehrlingsheims war die katholische Kirche, und mein Vater wusste nicht, dass ein uneheliches Kind ein sogenanntes schändliches Ärgernis war. Kurz: Wenn er seinen Job behalten wollte, musste er meine Mutter heiraten. Eine Abtreibung war ebenfalls nicht möglich, denn auch diese hätte für meinen Vater die Kündigung bedeutet. Weil mein Vater seinen Job behalten wollte, mussten meine Eltern heiraten, und ich musste geboren werden. Die Sterne für eine glückliche Familie standen also denkbar schlecht. Meine Eltern gaben sich durchaus Mühe, aber keiner von beiden war auch nur im Ansatz für eine Ehe bereit. Mein Vater ging weiterhin seinem Sexdrive nach und wurde mehrmals von meiner Oma – pikanterweise mütterlicherseits – aus Hamburger Bordellen freigekauft, meine Mutter war eigentlich noch ein Kind. Die Ehe war also zum Scheitern verurteilt, und irgendwann konnte mein Vater einen Deal mit der Kirche machen, dass er sich wenigstens scheiden lassen durfte. Als ich ungefähr ein Jahr alt war, verließ mein Vater die Familie, das Sorgerecht für mich überließ er kampflos meiner Mutter.

Weil ich kein einfaches Kind war, verbrachte ich viel Zeit bei meinen hypertraditionell lebenden Großeltern. Mein Opa Hermann war ein Patriarch wie aus dem Bilderbuch. Er hatte es mit einem Möbelgeschäft zu einem komfortablen Vermögen gebracht und genoss es, beim Geldzählen mit einem »Oppala« einen Tausendmarkschein aus dem Portemonnaie zu ziehen. Meine Oma war an Werktagen nur in einem Arbeitskittel zu sehen und erfüllte das Bild der braven Hausfrau zu 100 Prozent. Mein Opa hatte sich immer einen Sohn gewünscht, aber nach der dritten Tochter aufgegeben. Als ich zur Welt kam, erklärte er mich kurzerhand zu seinem Sohn, und es gab keinen Mann, der mir so viel Aufmerksamkeit schenkte. Mein Opa redete am liebsten über Geld, und wenn andere über meinen Opa redeten, redeten sie meistens über sein Geld. Nach dem Krieg hatte er gar nichts gehabt und selbst zurechtgebogene Kleiderbügel verkauft. Später brachte er alte Möbel in Schuss und eröffnete in den Sechzigern einen Möbelladen. Darauf war er zu Recht stolz, und jedes Mal, wenn er mir die Geschichte erzählte, was er sehr oft tat, drückte er mir einen Tausendmarkschein in die Hand und sagte mir: Davon kann man viel kaufen.

Der dritte Mann in meiner Kindheit war mein Stiefvater Woldemar. Er war arbeitslos und litt unter Erektionsproblemen, das heißt, er verfügte weder über den Einfluss meines Großvaters noch über die sexuelle Anziehungskraft meines Vaters. Seine Männlichkeit hatte keine Säulen, er war das, was man einen Verlierer nannte. Er war Hausmann in einer Zeit, in der »Hausmann« ein Schimpfwort war. Und so machte er seinen anerzogenen Machtanspruch über mich geltend. Ohne ins Detail zu gehen, übte er jede Missbrauchsoption an mir aus, aber auf seine Art war auch mein Stiefvater ein Opfer. Er hatte nichts von den Männern, die ich bewunderte, mir half es wenig, dass ich ihn Schlappschwanz nannte. Wir lebten in einer unheiligen Symbiose: Mein Stiefvater brauchte mich für seine Selbstwirksamkeit, und ich brauchte ihn für meine. Ich war mir nur der Aufmerksamkeit meines Stiefvaters sicher, und so war eine Tracht Prügel mehr Nähe als gar keine Resonanz. Rechtfertige ich gerade die Gewalt an mir? Vielleicht. Ich provozierte meinen Stiefvater bei jeder Gelegenheit und wartete geduldig auf den Tag, an dem ich groß genug war, ihn zusammenzuschlagen. Das war meine liebste Fantasie, die noch heute in meinen Träumen vorkommt. Er zwang mich, ihn Papa zu nennen und ihm zu sagen, dass ich ihn liebhatte. Die Floskel »Ich hab dich lieb« beendete in der Regel die Prügel und markierte seinen Sieg. Das wusste ich und sagte es nur, wenn ich keine Luft mehr bekam.

Auf groteske Art hat mein Stiefvater meine Karriere geprägt, weil ich nur das eine Ziel hatte, nicht so zu enden wie er. Erfolg bedeutet für mich Geld, Sex und Anerkennung. Arbeitslosigkeit war in meinen Augen eine Schande, es galt, dieses Schicksal um jeden Preis zu vermeiden. Denn Ende der Achtziger war ein Mann ohne Arbeit kein Mann. Überhaupt wurde mir immer wieder am Beispiel meines Stiefvaters erklärt, was ein Mann ist und was nicht. Selbst meine Mutter erklärte mir oft, dass er kein Mann war, und warf ihm im Streit vor, kein Mann zu sein, was ihn wiederum am meisten kränkte. Ich sollte mir laut meiner Mutter ein Vorbild an meinem Opa nehmen. Über die Vergangenheit meines Stiefvaters weiß ich leider nicht viel, außer dass sein Vater ihn ebenfalls körperlich gezüchtigt hat.

Anfang der Neunziger zogen wir nach Bremen-Marßel und damit in einen klassischen Brennpunktbezirk. Ich war in meiner Klasse einer von zwei deutschen Muttersprachlern, an Schulunterricht war gar nicht zu denken. Die Schule an der Landskronastraße war eine Verwaltungsanstalt der allgemeinen Schulpflicht, und ich schwöre, dass ich mich aus den zwei Jahren dort an keine einzige Lehreinheit erinnern kann. Die Lehrer und Lehrerinnen konnten am wenigsten dafür, drei meiner Mitschüler sprachen kein einziges Wort Deutsch, der Rest hatte keinen Bock und auch kein Elternhaus, das Wert auf Bildungserfolge legte. Ich war der Neue, obendrein auch noch eine Kartoffel, immerhin kannte ich die Rituale: Der Neue wird verprügelt, und wenn er sich angemessen wehrt, gehört er irgendwann dazu. Ich kannte Prügel von meinem Stiefvater, daher erlebte ich das Ritual nicht als Martyrium, sondern konnte mich schnell eingliedern. Als Teil der Gruppe durfte ich dabei mitmachen, die Schwächsten der Schule zu demütigen, was eine Zeit lang bedeutete, andere ins Gebüsch zu schubsen und sie gemeinsam anzupissen. Wir haben uns aufgeführt wie eine Mini-SS, Gewalt und Demütigungen waren das System, das zwischen Schwuchteln und Männern unterschied.

Marßel war in gewisser Hinsicht wie Herr der Fliegen, weil es kaum Kontrolle durch Lehrer oder andere Erwachsene gab. Bestellte ein Lehrer mal die Eltern ein, war die Konsequenz eine Tracht Prügel, und so blieb der archaische Kreislauf stabil. Viel mehr Kontakt hatte keiner von uns mit seinen Eltern. In der Regel suchten wir nach der Schule einfach weiter nach Möglichkeiten, den anderen zu beweisen, wie hart wir waren. Die Disziplinen waren Gewalt, Vandalismus oder Diebstahl. Das waren die einzigen Wege zur Anerkennung und deshalb nichts anderes als Etikette. Ich habe meine Deutschlehrerin Frau Gerken vor der ganzen Klasse »behinderte Fotze« genannt und mir dadurch die maximalen sozialen Lorbeeren gesichert. In gewisser Weise waren diese Abscheulichkeiten Politik, denn jeder konnte sehen, dass ich die besten Noten schrieb, und das machte mich verdächtig. Die Basis sah in mir immer einen verkappten Streber, weil ich immer wieder versehentlich Zweien schrieb.

Nach der Schule wählte ich, wenn auch unfreiwillig, schon wieder die männlichste Variante von allen: Ich ging zur Bundeswehr. Bei allem Krasssein hatte ich total vergessen, mir einen Zivildienst-Job zu suchen, und so stand ich vor der Entscheidung: entweder individuelle Behindertenbetreuung – alle anderen Zivi-Stellen waren vergeben – oder Armee. Und so saß ich 2003 im Zug zum rohsten Becken der Männlichkeit von allen: das Panzerartilleriebataillon in Kellinghusen. Heute bemüht die Bundeswehr als Freiwilligenarmee Imagekampagnen, früher war der Bund genau der archaische Moloch, den man aus Kriegsfilmen kennt. Oder besser gesagt: Kriegsfilme standen Pate für den Alltagsumgang. Die ersten Wochen der Grundausbildung waren Full Metal Jacket pur: Wir wurden zusammengeschrien, gedemütigt, es gab entwürdigende Rekrutenrituale, in jedem Satz kam entweder die Vokabel »Fotze« oder »schwul« vor.

Um 16 Uhr war Dienstschluss, und wir haben ausnahmslos gesoffen, Pornos geschaut oder Playstation gespielt. Es gab eine Puffgruppe, die abends auf St. Pauli ihren Sold ausgegeben hat – das war die erste exklusive Männerwelt, die ich kennenlernte. Von außen betrachtet, war es ein abscheulicher, gewaltverherrlichender und ausgesprochen misogyner Albtraum, aber man lernt schnell, sich anzupassen. Außerdem ist die Bundeswehr nicht zum Spaß da: Wir sollten lernen, wie man mit kleinen und mit großen Werkzeugen Menschen tötet. Die systematische Dezivilisierung folgt diesem Prinzip. Aber irgendwie fühlte ich mich wohl. Es wurde jeden Tag in allen Formen und Farben an unsere Männlichkeit appelliert, was im isolierten Umfeld einer Kaserne erstaunlich schnell Identität stiftet. Ich fühlte mich an meine Schulzeit in Bremen-Marßel erinnert: Um mich herum waren nur Männer mit schlechten oder gar keinen Schulabschlüssen, aber dieses Mal gab es weit und breit kein Korrektiv zum Barbarentum. In der Schule wurde man noch für toxisch maskulines Verhalten zur Verantwortung gezogen, bei der Bundeswehr war es explizit erwünscht.

Ich weiß nicht, ob das jemals jemand über die Bundeswehr gesagt hat, aber ich konnte mich wie nie zuvor fallen lassen. Der Tag auf der Schießbahn, als ich zum ersten Mal ein Maschinengewehr abfeuerte, war ein luftig leichter Tag. Irgendjemand hatte der Schießpuppe einen Turban umgelegt, und mein Unteroffizier schrie mich an: »Brandes, Sie sind ein Killer! Wie klingt ein Killer?« Und dann habe ich beim Leeren meines Magazins wie ein Vollidiot rumgebrüllt.

An den Wochenenden ging’s mit dem ICE nach Hause, wo wir uns im Bordbistro massiv die Kante gaben. Wie sehr mich die Bundeswehr veränderte, merkte ich erst zu Hause bei meiner Freundin. Sie studierte in Potsdam BWL, ich verbrachte also die Wochenenden unter angehenden Akademikern, die ich alle scheiße fand. Ich war ein exzellent hirngewaschener Soldat, der Streit auf Studentenpartys suchte. Wenn irgendwer beim Tanzen zufällig meine Freundin berührte, machte ich mich innerlich frohlockend auf den Weg, um den irritierten Mann zu fragen, ob »wir beide mal vor die Tür gehen sollen«.

Ich kriege Gänsehaut beim Schreiben, schließlich ist die Person, über die ich hier schreibe, ich. Ich habe vollstes Verständnis für alle, die sich fragen, wie ein denkender Mensch freiwillig in den Krieg ziehen kann. Aber das geht ganz schnell, wenn man alle Frauen aussperrt und die übrigen Verbleibenden ein paar Wochen Krieg spielen lässt. Manchmal denke ich, dass die frühkindliche Verätzung der wichtigsten Gefühle bei Jungen eine bewusste Vorbereitung ist, damit man später im Angriffs- oder Verteidigungsfall den früh angelegten inneren Barbaren aktivieren kann.

Das Schlimmste ist: Ich hatte bei der Bundeswehr über die gesamte Distanz hinweg Spaß.

Nach der Bundeswehr zog ich zu meiner Freundin nach Potsdam, und weil sie schon alle Bücher für das Grundstudium besaß, entschied ich mich ebenfalls für Wirtschaftswissenschaften. Der Spirit unter den Kommilitonen war libertär, auch die Dozenten machten keinen Hehl aus der Überzeugung, der Staat, auch der Sozialstaat, solle sich zurückhalten, und wenn ein Wirtschaftssubjekt den eigenen Nutzen konsequent maximiert, ist am Ende allen geholfen. Ich betete die Prinzipien der unsichtbaren Hand des Marktes nach und wurde Sozialdarwinist.

Nach dem Vordiplom brach ich ab, weil die unsichtbare Hand des Marktes meine Mutter in Schulden gestürzt hatte und sie mich nicht mehr unterstützen konnte. Anspruch auf BAföG hatte ich trotzdem nicht, also machte ich ein Praktikum in einer Werbeagentur als Texter. Ich wurde übernommen und steckte, ohne es zu wissen, in der brutalsten Mühle der Kreativwirtschaft. Es war mein erster Job, daher dachte ich, es sei normal, täglich bis 21 Uhr zu arbeiten. Nach Feierabend wurde »dekompensiert«, was nichts anderes bedeutete, als Alkohol zu trinken und zu koksen, was ich unglaublich sexy fand. Ich fand’s ebenfalls sexy, vor Kundenpräsentationen bis in die Morgenstunden zu arbeiten, was nicht die Ausnahme, sondern die Regel war. Meine Freunde, die alle noch studierten, dachten, ich hätte den Verstand verloren. Aber das Testosteron stand einem in den Agenturfluren bis zum Knöchel, und so haben wir uns eingebildet, ziemlich hart und nicht saudumm zu sein. Das Gehalt in Werbeagenturen ist übrigens beschissen.

Dieses Buch ist keine Autobiografie, daher will ich das Kapitel mit meinen Lehrjahren in der Werbung beenden. Aber jetzt haben Sie einen kleinen Überblick über die vielen maskulinen und patriarchalen Einflussfaktoren, die mich gerade am Anfang meines Lebens geprägt haben. Ich habe nichts davon hinterfragt, sondern viel zugesehen, gelernt und nachgeahmt. Ich habe mich nicht wesentlich von Teenagern unterschieden, die über die Straße laufen, als hätten sie Rasierklingen in den Achselhöhlen. Ich war aus tiefster Überzeugung das, was naive Menschen für einen echten Mann halten.

Warum gibt es eigentlich Männer?

Oder anders gefragt: Warum gibt es Geschlechter? Theoretisch hätten Frauen auch alles allein schmeißen können. Oder noch praktischer: Warum gibt es nicht ein einziges Geschlecht, das alle Vorzüge von Männern und Frauen in sich vereint? Oder wie wär’s mit der maximalen Flexibilität, die es uns ermöglichen würde, frei den Schalter umzulegen, um an allen Wochentagen mit M ein Mann zu sein und den Rest der Zeit eine Frau? Andere können es doch auch.

Ganze 500 Fischarten beherrschen die hohe Kunst der freiwilligen Geschlechtsumwandlung. Die Blaukopf-Lippfische sind eine fast hundertprozentige Damengesellschaft, die sich pro Schwarm ein einziges Männchen hält, das politisch nichts zu sagen hat, sondern sein Dasein lediglich als Samenspender fristet. Kommt das Männchen durch Erschöpfung oder andere Umstände um, ändert eines der Weibchen sein Geschlecht binnen zehn Tagen und übernimmt den Job des verstorbenen Männchens. Wem selbst ein einziger Mann noch ein Mann zu viel ist, der findet Gefallen am Modell der Wasserflöhe. Hier gibt es nur Weibchen, die weitere Weibchen produzieren, und das komplett ohne Sex. Dieses sogenannte Non Male Producing ist überlegen praktisch, weil es Inzucht ausschließt. Erst wenn sich die Umweltbedingungen verschlechtern, weil es zu wenig Nahrung für alle gibt oder der Tümpel austrocknet, produzieren Wasserflöhe Männchen. Aber nicht, weil die neuen Männchen ihre Weibchen aus der misslichen Lage herausboxen sollen. Die Rolle der Männchen besteht vielmehr im Rohrkrepierertum. Sie sind nicht in der Lage, selbst weitere Wasserflöhe zu produzieren, wodurch die Population auf ein gesundes Maß schrumpft. Männliche Wasserflöhe sind also hilfreich, weil sie Mängelexemplare sind, die sich nicht mal selber klonen können. Sobald sich die Bedingungen durchs Gesundschrumpfen gebessert haben, wird die Männerproduktion gleich wieder eingestellt. Militante Feministinnen nicken wohlwollend.

Viele Männer leiten ihre Daseinsberechtigung von ihrer Aufgabe als Befruchter ab. Daraus erwächst bisweilen die Hybris, dass Frauen Männer brauchen, weil ja irgendwer seinen Samen geben muss. Viel elementarer als die Samen-Dreingabe ist aber die Fähigkeit, ein neues Leben überhaupt austragen und gebären zu können, und hier ziehen Männer aller Gattungen selbst mit erlesenstem Qualitätssamen den Kürzeren. Daher existieren in der Natur keine Beispiele von reinen Männergesellschaften, die bei Bedarf ein Weibchen produzieren. Die Regel lautet: Weibchen entscheiden, wann und wie viele Männchen gebraucht werden. Schön zu beobachten bei den Wespen und Bienen: Hier entscheidet die Königin, die das Sperma der männlichen Drohnen in einem Vorratsbehälter speichert. Gibt sie das Sperma den Eiern hinzu, entstehen Weibchen, entscheidet sie sich dagegen, entstehen Männchen.

Anders, als es uns die Bibel weismachen will, steht am Anfang des Lebens kein Vater, der eine Rippe gibt, was völlig unwissenschaftlicher Nonsens ist. Am Anfang steht stets die Mutter. Oder noch plakativer: Männer werden von Frauen gemacht. Punkt.

Die Frage, ob Männer wichtiger als Frauen sind, ist albern, aber wer’s unbedingt wissen will, findet beim Menschen ein ähnliches Muster wie bei den Wasserflöhen. Wenn’s allen gut geht und das Überleben der menschlichen Gattung nicht zur Debatte steht, werden häufiger Männer geboren. Wenn es kritisch wird, weil zum Beispiel Krieg und Mangel Menschen in großer Zahl bedrohen, werden signifikant mehr Frauen geboren. In Deutschland war dieses Muster zuletzt nach dem Zusammenbruch der DDR zu beobachten. Was stets als Wunder der Einheit verkauft wurde, war in Wirklichkeit ein brutaler Schock für DDR-Bürger*innen. Nach dem Einheitsjubel führte die Abwicklung der unwirtschaftlichen Ost-Betriebe zu Arbeitslosigkeit und beispiellosen existentiellen Nöten. Das wurde im Westen weggejubelt, im Osten stieg dafür die Selbstmordrate rasant. Und ebenfalls die Geburtenrate von Töchtern.

Auch im Labor ist zu beobachten, dass Ratten unter guten Bedingungen mehr Männchen produzieren, werden sie systematisch unter Stress gesetzt, dominieren Weibchen die Würfe. Wenn es ums nackte Überleben geht, favorisiert die Natur ganz offensichtlich Frauen.

Zurück zur Frage: Wozu werden Männer gebraucht? Streng genommen braucht es von Menschenmännern nur einen einzigen Zellkern, der seinen Weg in die weibliche Eizelle finden muss. Danach ist der Job getan, und wir können von Glück reden, dass es uns Menschenmännern nicht wie den Gottesanbeterinnen-Herren geht, die während der Paarung vom Weibchen verspeist werden. Oder wie den Breitfuß-Beutelmäusen, deren Männchen nach der Verpaarung einfach tot umfallen. Letztere teilen ein unwürdiges Lebensfinale: Die Weibchen der Breitfuß-Beutelmäuse sind alle zur gleichen Zeit für nur wenige Tage empfängnisbereit. In diesem kurzen Zeitkorridor finden für die Männchen sexuelle Hunger Games statt. Unter höchstem Stress paaren sie sich bis zu 14 Stunden lang mit allem, was die riesige Konkurrenz übriglässt, anschließend sterben sie den Erschöpfungstod. Beim Menschen wäre das so, als würde uns mit dem Eintritt in die Geschlechtsreife eine krankhafte Geilheit reiten, der wir nichts zu erwidern hätten, am Ende beträten wir erschöpft und hoffentlich glücklich die andere Seite.

Dass Männchen in unterschiedlichen Tierarten nach dem Sex sterben, ist übrigens eine durch und durch ökonomische Lösung. Sie geben den Zellkern ab, kommen also ihrem einzigen evolutionären Zweck nach, und sagen Adieu. Wir Menschenmänner verbrauchen noch bis ins hohe Alter Ressourcen, einige sogar, ohne sich ein einziges Mal verpaart zu haben. Würden wir es wie die Breitfuß-Beutelmäuse machen, gäbe es weder Ressourcenknappheit noch Klimawandel.

Menschen gehören also zu den Tieren, die ihre Männchen mitschleppen, obwohl die meisten aus ökonomischer Sicht gar nicht gebraucht werden. Das ist die harte Wahrheit, die zum vielleicht größten Problem von uns Menschenmännern zählt: Wir sind zu viele. Zumindest, wenn’s um den Kernantrieb der Reproduktion und Arterhaltung geht. Kulturell haben uns viele Herren bereichert, aber der kinderlos verstorbene Nietzsche war aus reproduktionszentrischer Perspektive kein Übermensch, sondern überflüssig. Und bevor ich zu den Befürwortern der Eugenik gezählt werde: Wir leben im Spätkapitalismus, der maßgeblich von brutalen ökonomischen Prinzipien gekennzeichnet ist und – dazu kommen wir später detailliert – in seiner aktuellen Ausführung maßgeblich männergemacht ist. Also noch mal: Wozu Männer?

Die Frage nach dem Sinn und Unsinn von Männern ist eng mit der Frage verwoben, warum sich Sex als Fortpflanzungsmethode unter höheren Säugetieren durchgesetzt hat. Denn im Vergleich zu Weibchen, die sich einfach klonen, ist Sex auf den ersten Blick eine ineffiziente Schnapsidee. Sex macht Fortpflanzung unglaublich kompliziert: Man muss einen Partner finden, man muss mit ihm Sex haben, man riskiert eine sexuell übertragbare Krankheit, der Partner kann ein Arschloch sein und so weiter mit den unangenehmen Aspekten. Asexuelle Fortpflanzung kann man überall und jederzeit mit dem Menschen haben, den man am meisten mag: sich selbst. Also warum so kompliziert?

Zunächst ist der Grund für den Siegeszug sexueller Fortpflanzung noch immer nicht restlos und abschließend erklärt, jedes Jahr kommen neue Hypothesen dazu. Aber grundsätzlich finden die meisten Wissenschaftler die Vielfaltshypothese am plausibelsten. Sie besagt, dass Sex die genetische Vielfalt im Pool der Nachkommen erhöht, und warum das schon wieder gut sein soll, erklärt ein aufwendiges, aber augenöffnendes Experiment:

Wissenschaftler der University of East Anglia haben 2015 einen Versuch gemacht, bei dem sie die sexuelle Auswahl von Käfern von »gar keine Auswahl« bis »volle Auswahl« stufenlos steuern konnten. Die Forschung hat zehn Jahre gedauert – und viele, viele Käfer wurden dafür gebraucht. Insgesamt waren es 50 Generationen von Käfern. Das Team um Professor Matt Gage wollte herausfinden, wie wichtig es ist, dass Tiere sich ihren Partner selbst aussuchen können.

In einer Gruppe wurden die Käfer zufällig in Paare gebracht. In einer anderen Gruppe gab es viel mehr männliche Käfer als weibliche, manchmal gab es sogar 90 Männchen für nur zehn Weibchen! Das bedeutet, dass die weiblichen Käfer in dieser Gruppe viele Auswahlmöglichkeiten hatten, während die weiblichen Käfer in der ersten Gruppe gar keine Wahl hatten. Nach sieben Jahren unter diesen Bedingungen haben die Forscher getestet, ob das irgendeinen Unterschied macht und wenn ja, welchen. Käfer in der Gruppe, in der es viele Auswahlmöglichkeiten gab, haben bis zu 20 Generationen überlebt, in denen sie mit ihren Geschwistern verpaart wurden. Aber alle Gruppen, in denen es kaum oder gar keine Auswahl gab, sind bis zur zehnten Generation ausgestorben. Bei ihnen hatten sich viele Mutationen angesammelt, die von Generation zu Generation gefährlicher wurden. Die Nachkommen der Käferweibchen, die über eine große Auswahl verfügten, waren insgesamt schneller, stärker und gesünder als Generation eins, die Nullauswahl-Gruppe war unterdessen schon lange Geschichte.

Ein ähnliches Experiment gibt es, wenn auch unfreiwillig, unter Menschen. Königshäuser achteten bis tief ins 19. Jahrhundert darauf, dass keine Fremden ihr heiliges Blut verdünnten. Sex blieb aus diesem Grund in der Familie, also unter Personen, die sich genetisch sehr beziehungsweise zu ähnlich sind. So bauten die Nachfahren der Habsburger Generation für Generation zunehmend ab. König Karl II. von Spanien war das Produkt von 16 Generation Inzucht, und nicht nur soll der arme Mann so hässlich gewesen sein, dass seine eigene Frau regelmäßig vor ihm erschrak, er litt auch unter massiven gesundheitlichen und psychischen Problemen und starb früh. Die Natur beschloss, bei ihm den Schlussstrich zu ziehen, und ließ ihn impotent zur Welt kommen.

Die Varianz der Gene wird umso wichtiger, je komplexer ein Lebewesen ist. Amöben haben kein Problem mit ihrer asexuellen Fortpflanzung, aber bei Säugetieren musste die Natur irgendwann Männer in den Mix werfen, um sie vor dem Schicksal von Karl II. von Spanien zu bewahren. Und ja, für mehr werden wir nicht gebraucht. Unsere Aufgabe besteht darin, in einem bestimmten Moment zu ejakulieren.

Wir wissen also, warum Männer für die Fortpflanzung gebraucht werden. Aber das erklärt noch lange nicht die ganzen Arschlöcher. Darum geht es schließlich in diesem Buch. Wir wollen nicht wissen, warum die Natur Männer braucht, sondern warum die Natur Männer so scheiße gemacht hat. Warum können Männer nicht nett und respektvoll sein? Dann macht der Sex auch gleich viel mehr Spaß. Stattdessen trauen sich Frauen auf der ganzen Welt zu gewissen Uhrzeiten in gewissen Gegenden nicht mehr auf die Straße, weil sie Angst haben, von einem Psychopathen attackiert zu werden. Sind die ganzen Wichser, Säufer, Catcaller, Schläger, Spielsüchtige und Narzissten alle Zufall? Oder gibt es einen Grund dafür, dass es Männer fast ausschließlich in der Modellvariante toxisch gibt?

Natürlich gibt es einen Grund, aber der Reihe nach. Wir haben gerade erst die Existenzberechtigung des Mannes bewiesen. Doch was ist ein Mann überhaupt? Oder wie Herbert Grönemeyer 1984 sang: Wann ist ein Mann ein Mann?

Viele Menschen haben ihre Karriere aufs Spiel gesetzt, weil sie vorschnell zu wissen glaubten, was ein Mann und was eine Frau ist. Die Biologin Marie-Luise Vollbrecht wollte im Rahmen der Langen Nacht der Museen 2022 in Berlin einen Vortrag über die unter Biologen unumstrittene These der zwei Geschlechter halten. Der Vortrag wurde von der Humboldt-Universität abgesagt, weil der Arbeitskreis kritischer Jurist*innen zu Gegenprotesten vor dem Hauptgebäude der HU aufgerufen hatte. Die »Behauptung, es gebe nur zwei Geschlechter«, sagt der Arbeitskreis in der Pressemitteilung auf seiner Website, sei »nicht nur unwissenschaftlich, sondern menschenverachtend und queer- und trans*feindlich!«.

Daher habe ich einen Workaround entwickelt, um die Menschen, die man bis weit in die Neunziger pauschal Männer und Frauen genannt hat, zu kategorisieren: Die meisten Frauen haben eine Eizelle, die meisten Männer produzieren Spermien. Es gibt Frauen, die Spermien produzieren, zum Beispiel Transfrauen, aber weil mir in diesem Buch statistische Mehrheiten ausreichen, konzentriere ich mich auf Menschen, die Eizellen produzieren und sich selbst als Frau bezeichnen (Frauen), sowie Spermienproduzenten, die sich selbst als Mann bezeichnen (Männer). Beide Gruppen zählen zu den mit Abstand häufigsten Menschen auf dem Planeten, es ist also zulässig, Geschlechterdynamiken von diesen Gruppen abzuleiten.

Ich merke, Sie werden ungeduldig. Warum sind so viele Männer Arschlöcher? Betreten wir also das umstrittene Reich der Geschlechter-Charakteristika.

Was die charakterlichen Merkmale angeht, sind Männer anders als Frauen. Im negativen Sinne anders. Über 95 Prozent aller Gefängnisinsassen sind männlich. Männer begehen mehr Gewalttaten, haben die schlechteren Schulabschlüsse, dafür sind sie deutlich anfälliger für Drogen und stellen weltweit die meisten Psychopathen. 2001 hielt sich das ZDF an seine Selbstverpflichtung zur diskriminierungsfreien Sprache und untertitelte ein Bild von vorrückenden Taliban mit der Zeile »Die Islamist*innen ziehen in immer mehr afghanische Städte ein«. Nicht nur konservative Gemüter hatten ein Störgefühl bei der Formulierung Islamist*innen, weil es sich bei fundamentalistischen Terroristen meistens um Männer handelt und männliche Islamisten dafür bekannt sind, Frauen wenig bis gar keine Beinfreiheit zu gewähren.

Ziel dieses Buchs ist unter anderem, die Arschloch-Dichte unter Männern zu erklären. Beginnen wir mit der momentan akzeptiertesten Hypothese: Männer und Frauen sind mit Ausnahme ihrer Geschlechtsmerkmale bei der Geburt charakterlich identisch. Erst die Sozialisation sorgt für friedliebende Vernunftmenschen auf der einen Seite und toxische Psychopathen auf der anderen. Unzählige Dissertation in den Sozialwissenschaften verteidigen die These, dass Geschlechter von der Gesellschaft gemacht werden. Demnach erklären wir alles voreilig zum Mann, was bei der Geburt einen Penis trägt. In der Folge behandeln Eltern ihr Kind wie einen Jungen und statuieren an ihm bereits im Säuglingsalter einen perfiden Brainwash. Sein Zimmer wird blau gestrichen, was die Farbe der Kriegsbemalung der Kelten und Germanen war. Sein erstes Kuscheltier ist ein Bär, im Schamanismus auch das Krafttier, das für Stärke und Mut steht. Vorgelesen wird aus der Kleinen Hexe von Otfried Preußler – tolles Frauenbild. Den Eltern ist die patriarchale Druckbetankung ihres Kindes nicht bewusst, weil sie selbst durch den gleichen Brainwash gegangen sind. So wie ihre Eltern. Und deren Eltern.

Auf diese Weise hat das Patriarchat vor allem durch Kultur Geschlechterstereotype produziert und durch immer neue Reproduktionen von Rollenklischees gefestigt. So wird beispielsweise das höhere Aggressionspotential von Männern einzig darauf zurückgeführt, dass unsere Kultur Männern Gewalt zuspricht, während sie Mädchen befiehlt, immer schön brav zu sein.

Diese Erklärung nennt man Sozialisationshypothese, und ich war lange ihr glühender Anhänger. Bis ich selbst Kinder hatte. Zwei Jungen auch noch. Meine Frau und ich sind nicht so weit gegangen, unsere Kinder genderneutral zu erziehen. Dieser Ansatz verfolgt das Ziel, Kindern keine Indizien für ihr eigenes Geschlecht zu liefern und so lange mit dem Pronomen »es« zu arbeiten, bis es sich selbst für ein Geschlecht entscheidet. Aber wir wollten zumindest, so gut es geht, Geschlechterstereotype von ihnen fernhalten. Der Teufel lag dabei im Detail. Mein erster Sohn liebte sein Fühlbuch, in dem süß illustrierte Alltagsszenen abgebildet waren: Ball, Auto, Mama, Katze, Eimer. Bis mir auffiel, dass auf Seite zwei der Papa im Auto saß und die Mama mit Schürze in der Tür stand und dem Papa hinterherwinkte. Ich habe meinem Sohn eilig erklärt, dass die Mama natürlich auch berufstätig ist. Wahrscheinlich Freelance-Art-Direktorin, das kann man auch von zu Hause aus machen. Vielleicht ist sie auch Bestsellerautorin und hat sowohl das Haus als auch das Auto bezahlt. Wer sagt überhaupt, dass der Papa zur Arbeit fährt? Vielleicht hat er einen Termin beim Jobcenter. Mir war es wirklich wichtig, in der Sache aufmerksam zu sein, weil meine emotionalen Unzulänglichkeiten mit Sicherheit auch darauf zurückgehen, dass ich als Kind de facto von Bud Spencer, Terence Hill und Al Bundy großgezogen wurde.

Es hat nur einfach nichts gebracht. Meine Söhne waren von Anfang an interessiert an Schwermaschinen und rundheraus fasziniert von Gewalt und Waffen. Es gibt von Ravensburger die Serie »Wieso, Weshalb, Warum«, absolut kindgerechte Sachbücher zu Wissensinhalten. Im Buch Altes Rom interessierten meine Söhne nur die Seite mit den Gladiatoren – zu denen ich geschichtsvergessen Gladiatoren und Gladiatorinnen gesagt habe – und der Abschnitt Legionäre. Und so ging’s weiter: Ritter, Piraten, Wikinger, Hauptsache, die Figuren sind bewaffnet.

Äußere Einflüsse kann ich ausschließen. Wir leben mitten im grünen Reich Prenzlauer Berg. Auf der Suche nach Antworten für die Gewaltfaszination meiner Söhne stieß ich in einem Elternforum auf das Buch Testosteron der ehemaligen Harvard-Evolutionsbiologin Carole Hooven. Es dreht sich, wie der Titel schon sagt, um das wichtigste Sexualhormon des Mannes und spart nicht mit Kritik an der Sozialisationshypothese als Exklusiverklärung für die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Damit gehört Hooven zu einer überschaubaren Riege von Wissenschaftlerinnen, die dafür plädieren, auch in unserer Biologie nach Indizien für unsere Rollenwahrnehmung zu suchen.