Der Pflug Gottes - Peter Schindler - E-Book

Der Pflug Gottes E-Book

Peter Schindler

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Beschreibung

Der Pflug Gottes ist das Kreuz. So erkennt der dänische Priester und Dichter Peter Schindler in dieser Lebensbeichte seinen von Glück und Gnade überleuchteten, aber immer auch von Schmerz begleiteten Weg. Er erzählt mit unbestechlichem Wahrheitswillen seine Erlebnisse in Italien, Deutschland und Holland, von den archäologischen Reisen zu den Stätten des antiken Christentums und gibt uns Einblicke in sein reiches Schaffen.

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Seitenzahl: 427

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Peter Schindler

Der Pflug Gottes

Saga

Vorspiel

Rom – die Vatikanstadt – eine Piazza neben der Peters-kirche, so römisch, wie irgend etwas in Rom: an zwei Seiten turmhoch eingerahmt von der Rückseite der Fassade der Basilika und ihrem Langhaus in Madernos elfenbeingelbem Travertiner Marmor, ausgeschwungen in den gigantischen Proportionen und phantasievollen Formen des Barocks; an der dritten Seite begrenzt durch die überdeckte Brücke von der Kirche zu Papa Braschis kathedralgroßer und doch so graziöser Sakristei; die vierte Seite von einer zwei Stockwerke hohen, ockergelb gestrichenen und von Rosen umrandeten Mauer flankiert, die von uralten Zypressen und feierlichen Palmen auf langen, angsterwekkend dünnen und von Jahrhunderten verschrammten Stämmen überragt wird, in der Mauer eine schön geschmiedete Gitterpforte mit der Inschrift Teutones in Pace und altchristlichen Auferstehungssymbolen ...

Vor dieser Friedhofspforte unter der Peterskuppel stand ich an einem Sommertag des Jahres 1913 als einundzwanzigjähriger Student und starrte in die dunklen kühlen Schatten zwischen Lorbeer, Oleander und Myrte, Rosen und Wistaria unter den Palmenwipfeln, sah über die einfachen Steine, Kreuze und Blumen der Gräber und entdeckte im Hintergrund des Campo Santo zwei winkelig zusammenlaufende Palazzoflügel mit Bögen und Säulen und Loggias und blumengeschmückten Dachterrassen. Ich sah es und dachte: »Herr, wohnte man hier, könnte man eine Arbeit des Geistes tun!«

Hoch oben hinter dem schwindelerregenden, vom sonnenhellen Goldstaub des Südlandes erfüllten Blau hat ein Auge gelächelt und eine Stimme, die ich nicht hörte, gesprochen: »Warte nur, mein Junge, warte 35 Jahre, dann sollst du dort einziehen und für beständig dort wohnen und schließlich dort drinnen in der Friedhofserde von Gethsemane ruhen! Ich habe auch eine Arbeit des Geistes für dich, die du dir heute noch nicht träumen läßt. Aber zuerst muß ich dich in die Schule nehmen und dich durch Feuer und Wasser gehen lassen. Und dann habe ich noch verschiedene Arbeiten, die du ausführen sollst, wovon du aber vorher nichts zu wissen bekommst. Du hast nur Schritt für Schritt vorwärts zu gehen, wohin dich der Stachel treibt; aber du darfst nicht löcken wider ihn!«

Am Silvesterabend 1947 zog ich durch diese Pforte ein, und jetzt ist der alte Palazzo mein Heim hienieden; der Campo Santo ist mein Garten; die Bibliothek mit den vielen tausend Bänden ist mein Eigentum, das ich mit den anderen vierundzwanzig gelehrten Arbeitern des Hauses teile; ich habe meinen Platz am Tischende in einem Refektorium mit geschnitzten Paneelen und verblichenen Gemälden unter der Balkendecke; und ich habe ein Studierzimmer von der raucherfüllten, spartanischen Traulichkeit der klassischen Studierstuben dänischer Pfarrhöfe in alten Tagen, hier aber bereichert durch Bilder, Bücher und Erinnerungen aus vielen Ländern ... All das ist mein geworden. Und als Zugabe erhielt ich die geistige Arbeit, die mir die höchste in der Welt dünkt, und auf die, wie ich jetzt deutlich zu sehen vermag, meine ganze Entwicklung hingezielt hat.

Ich kam also dahin, wohin ich wollte: vielleicht deshalb, weil ich dahin wollte, wohin ich sollte. Bevor ich »der glücklichste Priester der Welt« wurde, mußte ich durch 25 Jahre eine Tätigkeit ausüben, hier und da auf verschiedene Weise, so wie mich »der Stachel« trieb, und niemals kannte ich sie im voraus, und niemals erhielt ich ein Attest dafür. Im Campo Santo Teutonico habe ich den Frieden gefunden, nach dem ich an anderen Orten vergeblich gesucht habe: Frieden mit Gott und mit allen Menschen, Herzensfrieden und Arbeitsfrieden, was mich voll Dank dazu treibt, das Tagewerk mit dem Gebet zu beschließen:

Dank Dir, gütiger Heiliger Geist,

Daß Du mir das Lebenslos beschieden hast,

Mit Wort und Geist allein zu wirken;

Daß Du zum Kampf der Geister

Und zum Dienst an Deiner Kirche

In meine Hand die Feder gabst,

Die aus Deiner Brust Du rissest.

Warum habe ich dieses Vorspiel nicht dem ersten Abschnitt meiner Lebensbeichte »Das Netz des Petrus« als Nachwort folgen lassen und meine Lebenserinnerungen damit abgeschlossen? Weshalb berichte ich nun von meinem ganzen Rückweg nach Rom, der wahrhaftig kein Richtweg war, jedoch auch kein Umweg, geschweige denn ein Spazierweg oder die Fahrstraße der vielen? Nicht aus Vergnügen, dazu ist es zu wenig vergnüglich, von mir selbst zu berichten; sondern weil einige, ja recht viele, die meinten, ich hätte ihnen auf den richtigen Weg oder unterwegs geholfen (wenn auch oft auf anderen Wegen als dem meinen), mich gebeten, nein, von mir begehrt haben, ich sollte von meinem weiteren Weg zu Gott Bericht ablegen.

Da viele unter diesen Seelen sind, die sich in der Bedrängnis befinden, welche die Religion – in dieses Wortes höchster Bedeutung – oft verursacht und verursachen muß, wage ich mich der Aufgabe nicht zu entziehen, selbst nicht mit der guten Entschuldigung, daß mein Weg des Durchbruches nicht der normale war und in den Einzelheiten nicht als ein für alle befahrbares Geleise aufgefaßt werden darf. Wie ich nicht auf gewöhnlichen Wegen nach Rom kam, so habe ich auch in der Kirche nicht auf gewöhnliche Weise gelebt. Aber der Umstand, daß selbst der Bericht von einem ungewöhnlichen Weg zum Felsen des Petrus einigen helfen konnte, berechtigt mich zu der Annahme, daß auch der Bericht über ein ungewöhnliches Leben auf den Zinnen dieses Felsens, ja selbst der Bericht vom Schwindligwerden am Rande des Felsens dem einen oder andern eine Hilfe sein könnte. Das einzige, was mich veranlaßt, die Qual zu überwinden, die es mir macht, von mir selber zu berichten, ist die Überzeugung, daß kein Roman und keine Abhandlung, sondern nur ein wahrheitsgetreues Zeugnis imstande ist, den, der sich am Rande des Abgrundes befindet, vor einem ähnlichen Absturz zu bewahren. Möge, wer kann, vom Alltag und von Festtagen, von Idyll und Sicherheit berichten, er lebt zu weit ab vom Rande des Felsens, um zu entdecken, daß es auch hier Abgründe gibt ...

Es ist ein verbreitetes Mißverständnis nicht nur unter Katechumenen vor ihrer Konversion, sondern noch mehr unter »geborenen« Katholiken, vor allem aus lateinischen Völkern, daß es leicht sei zu konvertieren. Sie haben nicht begriffen, daß dies bedeutet, »sich zu bekehren«. Sie glauben, daß Konversion ein Abschluß ist, nichts als eine »Unterwerfung«. Beim Konvertitenunterricht wurde das philosophisch-dogmatische System grundgelegt; man hat erkannt, daß die römische Kirche nicht »eine Konfession« unter den anderen christlichen Glaubensgemeinschaften ist, sondern die Kirche, identisch mit dem »Reich Gottes«; wir wurden zu den Sakramenten, die wir als Heilsmittel Christi anerkannt hatten, zugelassen, gleichwie wir Mitglieder der Herde des Guten Hirten geworden sind ... Und doch ist Konversion nur ein Anfang: Gottes reale Möglichkeit, eine Seele zu heilen. Man hat übersehen, daß wirkliche Konversion zwei Etappen hat: die Bekehrung des Gedankens und die Bekehrung des Herzens (und dazu einige Krisen, die nur die wenigsten Konvertiten umgehen können). Diese zwei Etappen können in einem Lebensabschnitt zusammenfallen, auch kann die Bekehrung des Herzens der des Gedankens vorausgehen, doch oft hinkt die Herzensbekehrung der des Gedankens ziemlich lange nach. Geschieht das nicht, dann haben wir das peinliche Phänomen eines Katholiken, der nicht Christ ist – so wie es Christen gibt, die nicht katholisch sind.

Gott hat durch den Konvertitenunterricht – wo er so gründlich ist, wie ihn die Lateiner nicht kennen – seinen Pflug an unseren ganzen Menschen gesetzt, und dieses Pfluges dogmatischscharfe Schneide hat im Dschungel oder der Wüste unserer Ideen ein für allemal klare Linien gezogen. Jetzt muß das Wort gesät werden, um vielfältige Frucht in den geraden Furchen zu tragen; sonst liegt der von Gott bestellte Boden, durch die Taufe getränkt, brach und wird Unkraut zwischen dem Weizen tragen. Wehe uns, wenn wir den Boden unseres Herzens nicht immer wieder durch die Beachtung der Gebote jäten und durch die Sakramente düngen; wehe uns, wenn wir – wie die Arbeiter des Evangeliums – auf dem Erworbenen ausruhen und nach Gottes Frühlingspflügung schlafen: dann kommt der »Feind« und sät sein Unkraut in den bestellten Boden. Und dann können wir nur danken, wenn Gott unseren Herzensacker trotzdem für wert hält, ihn von neuem umzupflügen und zu besäen, statt sich anderswo ein Feld zu bereiten. Seid überzeugt, wenn Gott umpflügen muß, dann setzt er eine Schar auf seinen Pflug, die Buße heißt. Und diese Schar pflügt schneidend tief bis zu den letzten Wurzeln des Herzens.

Niemand, der nicht den leichten und den schweren Pflug kennengelernt hat, darf seine Hand an Gottes Pflugschar legen und seine Furche durch andere Menschenherzen ziehen. Denn nur ein solcher kann es mit Verständnis und Ehrfurcht vor seelischer Pein tun; nur er hat durch schmerzliche Erfahrung gelernt, daß Gottes Pflug, auch wenn er durch die Hand der ewigen Liebe gesteuert wird, oft sehr lange wieder und wieder und (so leid es Gott selber tut) schmerzlich tief pflügen muß. Das Entscheidende (für Gott und unsere Seele) ist ja nicht, ob das Feld ein oder mehrere Jahre lang etwas Unkraut unter dem Weizen trägt; das Entscheidende ist der Schlußerfolg unserer Konversion: ob das, was zuletzt geerntet wird, für wert erachtet wird, in die Scheunen gesammelt, oder verurteilt wird, ins Feuer geworfen zu werden als nutzloses, wenn vielleicht auch munter blühendes Unkraut.

Lieber einen brennenden Schmerz aushalten, wenn der Prozeß sich entwickelt: zu konvertieren sowohl mit dem Denken als auch mit dem Herzen; ein Prozeß, der bedeutet: sowohl katholisch zu werden als auch Christ zu werden bis zur letzten Fiber seines Lebens. Dieser Prozeß läßt sich Zeit (niemand weiß vorher, wie lange), und er kann viel Leid bringen (niemand weiß vorher, wieviel), weil Gottes Pflug das Kreuz ist.

Hat man dies nicht gewußt, als man unter uns missionierte? Warum sagte man uns nicht vorher, daß Katholizismus nicht nur die Religion der Kirche, sondern auch die des Kreuzes ist? Wir müssen selbst die bittere Erfahrung machen. Aber das Kreuz wurde für uns zum Zeichen, daß der Katholizismus das wahre Christentum ist. Vielleicht war es gut, daß eine durchbohrte Hand es damals im Anfang vor unseren Augen verborgen hat, bis der Heilige Geist der Kirche uns reif machte, es durch diese klaffende Wunde zu ahnen.

Wir nichtlateinischen Völker sind vom Katholizismus so weit abgekommen, daß Konversion für uns nicht bloß eine dogmatische und historische Rechenschaft bedeutet, die abgelegt werden muß, sondern eine Änderung unserer ganzen Mentalität, jeder Fiber in unserem Gemüt – ein Wort, das die Lateiner überhaupt nicht besitzen. Sie können sich darüber ärgern, sie können uns deshalb Vorwürfe machen, aber es ist so. Der Lateiner (hauptsächlich in Spanien und Italien, aber auch in Frankreich und Belgien) kannte Religion, um nicht von Christus-Religion zu reden, nie auf eigene Faust und aus eigener Verantwortlichkeit der Bibel gegenüber. Darum versteht er auch nur schwer, daß es für uns das Kreuz bedeutet: unser persönlich teuer erkämpftes biblisches Christus-Verhältnis für Christus in der Kirche, Christus im Amt, Christus in den Sakramenten und in der Liturgie einzutauschen. Er versteht nicht die Belastungsprobe, die für uns eintritt, wenn – sobald das Philosophisch-Dogmatische für uns eine Selbstverständlichkeit geworden ist – erst noch das Problem auftaucht, sowohl Katholik als auch persönlicher Christ zu sein – um nichts geringer persönlich und christlich als früher –, also weder Katholik zu sein nur als intellektuelles Korrektiv zu unserem bisherigen Christentum, noch ein Christ zu sein, der das Katholische als etwas Aufgepfropftes empfindet, sondern das Christsein und das Katholischsein in einer unteilbaren Persönlichkeit, verschmolzen mit unserem nichtlateinischen Menschentum und unserer Kultur.

Man kann an sein Ziel am Ende des Weges zwar lebendig, aber doch mit leeren Händen und ausgeplündert kommen, nachdem man Schiffbruch erlitten hat oder zwischen Jericho und Jerusalem unter die Räuber gefallen ist – und man kann an sein Ziel mit wohlbewahrten Koffern kommen, ja mit solchen, die nicht nur unbeschädigt sind, sondern sogar noch vieles enthalten, was man unterwegs dazuerworben hat.

An jenem Neujahrsmorgen 1948, als ich zum ersten Mal aus meinem Studierzimmer im Campo Santo in die klare Sonne auf der Terrasse hinaustrat, blickte ich aufwärts und sah, direkt über meinem Kopf, die schwellende, mütterlich reife Gestalt der Peterskuppel in leuchtendem Silber gegen den grünblauen Äther. Ich brauchte nicht ausdrücklich festzustellen, daß ich mein Ziel wohlbehalten erreicht hatte; der Anblick dieser gewaltigen Krone über dem Apostelgrab, die mich immer wieder, seitdem ich sie im Jahre 1913 zum ersten Male gesehen hatte, bezaubert hat, ließ mich fühlen, daß auch das geistige Erbgut, das ich auf dem Wege nach Rom mit mir geführt und hier um manchen Schatz vermehrt hatte, vor Schiffbruch und Räuberhand auf dem Wege zurück nach Rom gerettet worden war.

Hoch oben glänzte die goldene Kugel über der Kuppel, und auf ihrer Spitze flammte die Neujahrssonne in dem weißen Email des Kreuzes. Hätte ich zum Dank tun sollen, was die alten Römer zu tun pflegten, wenn sie glücklich nach Hause gekommen waren, nämlich ex voto einen Marmorfuß mit einer Inschrift aufzustellen, so hätte der Stein die Worte des weitgereisten Apostels tragen müssen: bonum certamen certavi, fidem servavi: ich habe einen Kampf gekämpft, der des Kämpfens wert war, ich habe den Glauben bewahrt.

Erstes Kapitel

Theologie auf eine dritte Weise

Es war ganz zeitig im Frühjahr, im März 1914, als mich der Expreßzug südwärts durch Deutschland und Österreich über den Brenner nach Italien brachte. In diesen jungen Jahren reiste man ja ohne Rücksicht auf Gesundheit und Kräfte Tag und Nacht hindurch, ohne Aufenthalt. Wie später so oft, empfand ich die Wohltat des einsamen Reisens: die Freude an der schnellen Fahrt, den Rhythmus der Räder auf den Schienen, die wechselnden Landschaften, die einen nicht in frommen Gedanken stören, während man die Perlen des Rosenkranzes in der Rocktasche zählt. Das Ununterbrochene, Unaufhörliche, das ständig Wechselnde und doch ständig Gleiche – wie war das lindernd nach dem Schmerz des Abschieds, heilend für die Wurzelfasern, die aus der Erde gerissen worden waren!

Kaum war ich in die Kirche aufgenommen, als mich Pater Bannwart dem Bischof v. Euch – damals schon einem Greis von fast 80 Jahren – vorstellte und seine Einwilligung erreichte, mich nach Rom, in das Sacrum Collegium de Propaganda Fide zu senden, wo Missionare der ganzen Welt ausgebildet werden und wo auch unser armer Missionsbischof einen Freiplatz besaß. Von irgendeiner Wahl konnte nicht die Rede sein, die »Propaganda« war die einzige Möglichkeit. Hier hatten auch die wenigen anderen aus Dänemark stammenden Priester ihre Ausbildung genossen. Allerdings war das schon lange her. Aber einen gab es doch, der eben erst frisch von Rom gekommen war und in Nyborg saß. Diesen, meinte der Bischof, sollte ich aufsuchen, um mich über die Verhältnisse im Collegium zu orientieren.

Da der »schwarze Mads« jetzt, wo ich formell Katholik geworden war, meine Feder in seiner »Volkslektüre« nicht mehr länger haben wollte, fand er mich für eine mehrjährige Mitarbeit, die ihm unter seinen Zeitungsausschnitten oft den einzigen Originalbeitrag eingebracht hatte, mittels einiger schlecht bezahlter Vorträge in den äußersten Winkeln des Landes ab. Ich hatte Johannes Jörgensen im Schreibstil nachgeahmt und tat es jetzt auch in der Vortragsweise; ich hatte mit seinen Augen gesehen und sprach jetzt auch mit seiner Zunge – es war reine Affektiertheit! Auf diese Weise kam ich denn auch nach Nyborg und suchte den Geistlichen auf, der in der Dachkammer einer von Ordensschwestern geleiteten Privatklinik hauste. Ich fand ihn in dem langen schwarzen Talar, Dogmatik studierend. Ich drückte mein Erstaunen aus, daß er dieses Studium nicht in Rom zu Ende gebracht hätte. Auf seine Frage, was er denn sonst anfangen sollte, meinte ich freiweg: »Zum Beispiel missionieren!«

Er entgegnete, hierzu sei unter den gegebenen Umständen wohl keine Möglichkeit, und als ich ihn fragte, ob man ihm diese Kunst denn nicht in der »Propaganda« beigebracht habe, erhielt ich zur Antwort: Nein, man habe ihnen dort nur Philosophie und Dogmatik beigebracht, aber etwas derartiges wolle ja in Nyborg niemand hören!

Ob er denn nicht in den Lokalblättern schriebe und ab und zu öffentliche Vorträge hielte, fragte ich. – Nein, das ginge wohl nicht, wie würde man das aufnehmen, und würde überhaupt jemand kommen?

Ich meinte, daß man das eigentlich nicht wissen könnte, bevor man es versucht hätte, und dachte dabei im stillen an die Heilsarmee, die vielleicht schwächer in Philosophie und Dogmatik, aber gewiß nicht so hilflos war.

Er zeigte mir die Kapelle, die in zwei ineinandergehenden Zimmern eingerichtet war, Altar und Bänke im Krankenhausstil weiß lackiert, bunte Gipsheilige mit »Nonnenstickereien« ringsum auf kleinen Postamenten. Nein, er hatte recht, hierher zu kommen, konnte man die Leute wirklich nicht einladen, nicht weil alles fremdartig, sondern weil es überhaupt nichts war: süßlich, ganz ohne Stil und Gepräge und Persönlichkeit, völlig fade und kalt. Ohne nähere Auskünfte zu suchen oder zu erhalten, verließ ich den hilflosen Mann. Wenige Monate später legte er sein Amt nieder und sagte der Kirche Lebewohl – wie man sagte, durch Höffdings Religionsphilosophie dazu getrieben.

Auf dieselbe Weise kam ich nach Silkeborg, wo ich den Samstagabend und den größten Teil des Sonntags zu meiner Verfügung hatte. Ich hatte schon etwas von der dortigen Kirche und ihrem Pfarrer gehört. Wenn er nach Kopenhagen kam und in Ballins Volkshochschule sprach, hatte er keinen geringen Widerhall. Alte Damen verließen entrüstet das Lokal, wenn er sich in allzu drastischen Wendungen bewegte, und er selbst war empört, daß man ihn auf Zimperliesen losgelassen hatte. Seine Kirche war der Gegenstand des Gespräches im ganzen Land. Er hatte sie selbst gebaut und mit mehr Zinnenkränzen versehen, als den einfachen Wänden aus rotem Backstein guttat. Das Licht fiel von hinten durch ein Fenster in der Art von Fliegenaugen herein; das weißgestrichene Innere der Kirche hatte er selbst mit Fresken dekoriert, von denen man sagte, sie seien mit viel Glauben und Liebe gemalt – ach, wären sie doch mit einem Mindestmaß von Talent gemalt gewesen! Das war nicht heilige Einfalt, nicht das bescheidene Können des Amateurs, nein, es war Dilettantismus, und man sah, daß der Dilettant selbst noch stolz auf sein Werk war. Altar und Kanzel waren aus roten Ziegelsteinen errichtet, aber ohne jede Proportion zueinander und zum Kirchenraum. Das Ganze lag jenseits der Grenze des Komischen, es wirkte nur peinlich. Als Mogens Ballin noch lebte, hatte er mich einmal davor gewarnt, meinen Weg über Silkeborg zu nehmen; denn der Priester dort sei auf Lob erpicht. Ballin meinte mit Recht, einem lutheranischen Pastor würden derartige Blamagen erspart bleiben; denn wenn er selbst auch keinen Geschmack und kein Schamgefühl im Leibe hätte, hätte er doch immerhin – eine Frau, und die würde ihn ja wohl davor bewahren, sich zum Gegenstand von Spott und Mitleid zu machen.

Aber das Hauptbuch des Pfarrers von Silkeborg hatte auch eine Kreditseite, wenngleich die Beträge, die auf ihr eingetragen standen, eher in der himmlischen Bank gebucht wurden als in jener irdischen, in der wir unser bürgerliches Ansehen abheben. Der biedere, derbe, auch mit einem derben Mundwerk behaftete geistliche Herr, der nicht nur malte, sondern dazu noch dichtete (und das nicht viel besser als jenes), hatte das Unglück gehabt, sich ein gewisses Mißfallen des vornehmen, taktvollen und an der Tradition hängenden Bischofs zuzuziehen. Das konnte niemanden wundern, der beide kannte. In solchen Fällen geschieht es wohl zumeist ganz von selbst, daß ein Geistlicher kein so bedeutsames Arbeitsfeld zugewiesen bekommt, wie es seiner Eignung und Art am besten entsprechen würde, sondern in eine »Vertrauensstellung« mit »schwierigen Verhältnissen« versetzt wird, in die man sonst niemanden anderen beordern kann. Ist der Betreffende klug, dann sagt er »danke schön« und freut sich darüber, jetzt für all seine Lebtage ein ungestörtes und unbemerktes Eremitendasein führen zu können; er darf nur keine Unterstützung erwarten.

Dieser Priester also war – nach einem mißglückten Versuch, bei einer verwitweten Baronin mit sehr selbständigen Meinungen »Hofkaplan« zu werden – in Silkeborg gelandet. Man hatte ihm eine entlegene Villa gekauft, in der er Pfarrhof, Kapelle und Schule einrichten und gefälligst mit ganzen achthundert Kronen im Jahr – man schrieb 1914 – existieren sollte.

Er schwur sich, so nehme ich an, daß es eine Kirche mit Turm, Glocken, Orgel und einem Giebel mit Zinnenkranz werden sollte, denn das war dänisch; so dänisch, wie er selbst und die Wilden Männer im dänischen Reichswappen waren, die er in bezug auf Haar- und Barttracht nachahmte. Wie diese fauchte er gegen alles Deutsche im dänischen Katholizismus – und das heißt so ziemlich gegen alles, was vorhanden war. Er hungerte sich in einigen Jahrzehnten eine Tuberkulose an, die ihn in ein zu frühes Grab brachte; er sparte im Winter Kohle, die er durch ein paar zwischen Anzug und Wäsche gesteckte Zeitungen ersetzte; er besorgte seinen Haushalt selbst und versagte sich Ferien und Vergnügungen; sein einziger Luxus war der billigste Knasterund selten einmal ein Buch. Mit all dem gelang es ihm tatsächlich, dem Bischof eine schuldenfreie Kirche zur Einweihung zu präsentieren.

Diesen Mann mußte ich ganz einfach besuchen! Ich klingelte an der Tür. Er kam in Pantoffeln und schlotternden Kleidern herangeschlurft, nicht aszetisch, sondern verhungert und tuberkulös anzusehen, keine tragische, sondern eher eine pathologische Figur; es waren ja die Merkmale Christi, die er an seinem Leibe trug! Ich gewann ihn sofort lieb. Unter dichten Haarbüscheln guckten mich zwei scharf forschende Augen an, die sich nicht durch Höflichkeit oder Falschheit bluffen ließen. »Sind Sie von jemandem drüben in Kopenhagen geschickt worden, dann sagen Sie es gerade heraus, und auch, was Sie wollen!« Nein, ich käme von selbst, wollte ihn nur kennenlernen und bei ihm morgen zur Messe gehen. Er faßte sofort Vertrauen und führte mich hinauf in seine Höhle, einen großen Raum im obersten Stockwerk des ganzen Pfarrhofes, ohne ein einziges Fenster. Er zog an einem Strick, der von der Decke herabhing, und nun öffnete sich eine Klappe vor einem Dachfenster und ich sah, daß er auch hier an den drei Wänden – die vierte wurde von einer eingebauten Koje wie in einer Kajüte eingenommen – Fresken gemalt hatte, Ansichten von Rom, bevölkert mit seinen alten Kameraden von der »Propaganda«: Chinesen, Negern, Indern, Abessiniern und Kanadiern ... und das Licht verriet eine wilde Unordnung von Papieren, Büchern, Malutensilien, Tabak und Kleidungsstücken wie in einem Atelier auf dem Montmartre oder in einer Seemannskabine.

Es wurde selbstverständlich ein römischer Abend mit viel Tabak, schwarzem Kaffee und Herzlichkeit. Aber ich beobachtete auch bei ihm, was ich noch bei anderen »alten Römern« unter den Priestern feststellen sollte, daß sie nämlich noch im Rom der ersten Zeit Leos XIII. lebten und der Entwicklung gar nicht gefolgt waren. Sie hörten zwar gern von dem Neuen, das dort unten vor sich gegangen war, fielen aber gleich wieder in die Vergangenheit zurück, in die Zeit, von der es heißt, »Als ich ein Mädel war, da hat es noch Mädel gegeben!« Ich brach spät auf, denn er hielt mich zurück, und am nächsten Morgen begab ich mich von meinem Hotel in seine Kirche.

Er hatte soeben selber die Glocken geläutet – wie er auch selbst die Kirche rein hielt, denn es gebrach an Mitteln – und verschwand jetzt in die Sakristei. Die Uhr schlug zehn, aber so viele waren unser nicht, nur neun Seelen. Er las eine stille Messe, denn es gab kein Geld für Organisten und Chor; aber seine »stille« Messe war fast so laut wie das Hochamt anderswo. Sie war kein italienischer Galopp, auch keine Routinesache: jedes Wort war voller Ernst und tiefem Sinn – so, dachte ich, müßte man wohl seine letzte Messe lesen, wenn der Tod nahe ist. Und dann predigte er – und meinetwegen (aber vielleicht nicht der anderen wegen, die ihn jeden Sonntag hörten) hätte er noch lange so fortfahren können. Dies war das Evangelium, und zwar ein ganz persönlich erlebtes! Er sprach von der »Freiheit«: daß wir Katholiken die freiesten Menschen der Welt seien, denn wir kennten keine andere Beschränkung jener herrlichen Freiheit der Kinder Gottes, zu der uns Christus verholfen habe, als diejenige, die Gott selbst vorschreibe. Ob wir Glaubensfreiheit hätten? Ja, die Freiheit, alles zu glauben, was Gott uns gelehrt habe, und alle menschlichen Einfälle zu verwerfen. Ob wir Redefreiheit hätten? Ja, eine ebenso große wie die Engel: Gott zu lobpreisen und zu bekennen, ihm zu danken und zu ihm zu beten, aber niemals, das Wort gegen Gott zu gebrauchen. Ob wir Handlungsfreiheit hätten? Ja, zu all dem Guten, wozu wir Lust hätten ...

Es war paradox, es war aufreizend, aber es war wahr. Ich mußte ihm hernach in der Sakristei danken; denn dies war solides und klares Dänisch, meilenweit entfernt von der vorsichtigen, entschuldigenden Apologetik, wie man sie sonst in den Büchern las und in den Kopenhagener Kirchen vernahm – und es waren nur neun Menschen, die ihn hören wollten! So also waren die Arbeitsverhältnisse eines katholischen Priesters in Dänemark im Jahre 1914.

Er war erfreut über meinen Dank, konnte es sich aber nicht versagen zu fragen, was ich denn von seiner Kirche hielte. Sie sei jedenfalls nicht deutsch, sondern dänisch, antwortete ich. Und nun dankte er mir, weil ich keine Begeisterung heuchelte, die ich nicht empfand, und weil ich seine Absicht, nach dänischer Art zu bauen, verstanden hätte. Ich hielt mich für zu jung, um ihm zu sagen, wie sehr ich das Opfer bewunderte, das in jedem Ziegelstein steckte: jeder von ihnen war ein Bissen, den er sich vom Mund abgespart hatte, ein Stück Kohle aus seinem Ofen. Ich hatte auch später nie Gelegenheit, es ihm zu sagen; aber ich war entrüstet – und das konnte ich ihm mitteilen –, als ein ausländischer Kollege, sobald der alte, kranke, schon vom Tod gezeichnete Mann allzu spät in eine »fette Pfründe« versetzt worden war, sich beeilte, seine Fresken zu überstreichen und seine Kanzel sprengen zu lassen – ja, sie mußte wirklich gesprengt werden. Was von dem neuen und »vernünftigeren« Mann dann zu hören war, war jedenfalls geringer an Gewicht als das Zeugnis des alten Martyrers.

Dies war es also, was ich vom dänischen Katholizismus kennengelernt hatte, bevor mich der Zug nach dem Süden führte. Aber ich glaubte, schon ein paar von den Gesetzen erraten zu haben, die beachtet werden mußten, wenn meine Landsleute von Rom überhaupt Notiz nehmen sollten. Eines dieser Gesetze bestätigte mir Johannes Jörgensen. Als er und Mogens Ballin mit Jan Verkade, dem späteren Beuroner Mönch, über die Mission in Dänemark sprachen, hatte der Pater gesagt: »Wenn ihr zurückkommt, müßt ihr die Kirche in all ihrer Würde zeigen!« Man konnte vielleicht sagen, daß dies einigermaßen in der St.-Ansgar-Kirche in Kopenhagen, in der Stenostraße bei den Jesuiten, in Aarhus und draußen in der traulichen St.-Andreas-Kirche in Ordrup verwirklicht war – der Rest war immer wieder Nyborg, wenn nicht ärger, und selbst die zuerst genannten Stätten zeigten im Jahr 1914 noch ein entscheidend ausländisches, im besonderen deutsches Gepräge. Dies in den zwei Künstlerbiographien »Mogens Francesco Ballin« und »Chresten Skikkild« gesagt zu haben, wurde mir später vorgeworfen; aber es war die bittere Wahrheit, die augenscheinlich nur der hilflose Priester in Silkeborg verstand. Man hatte keine Berührungsfläche mit dänischem religiösen Geist, ja man hatte noch nicht einmal Ansatzpunkte dazu gefunden.

Diese Gedanken erfüllten mich, als mein Auge die dänische Küste außer Sicht verlor und sich Rom zuwandte, und sie lenkten mich von der Erinnerung an den peinlichen Abschied im Elternhaus ab. Mein Vater hatte mir nichts anderes zu sagen als: »Du hast mir das größte Leid meines Lebens zugefügt«, und ich hatte ihm nichts anderes zu antworten als: »Ich habe gehandelt, wie ich handeln mußte.« Zwanzig Jahre später sollte der Tod uns trennen, bevor ich ihn und – wie ich glaube – er mich wiederfand. Mutter war voll Wehmut über das Unbegreifliche: war denn all dies nun wirklich notwendig? Zwischen uns blieb die Verbindung bestehen, aber, solange Vater lebte, eher wie zwischen einer lieben Tante und einem guten Neffen; Vaters Schatten fiel zwischen uns, bis er ins Licht, das ewige Licht einging.

Ohne Elternhaus und Familie – meine Schwestern waren in alle Winde verstreut – hatte ich nur noch ein herzliches Verhältnis, das zu Holger, der auf Bornholm saß und sich auf den Lehrerberuf vorbereitete. Ich war hinübergefahren und hatte ihn mitten im Winter besucht, so daß wir zusammen mehr Stunden in den traulichen Stuben bei ihm und seiner Mutter verbrachten als in der rauhen Natur. In religiöser Beziehung wand und krümmte er sich, wollte sich nicht ergeben und konnte sich doch nicht losreißen. Aber selbst diese Spannung band uns nur enger aneinander; war ich David, war er mein Jonathan, und unsere Freundschaft war und blieb in Gott gegründet. Seine Freundschaft und die Liebe seiner feinen, milden Mutter hatte ich bitter nötig. Diese liebevollen Seelen waren mir so nahe, während ich südwärts »durch die lieblichen Reiche« fuhr, und all die gute Musik, die ich bei ihnen immer gehört hatte, klang mild in meiner Seele nach.

Im übrigen war ich ein Kampfhahn oder wenigstens ein Kampfhähnchen gewesen und hatte in einer Diskussion im dortigen Lehrerseminar mächtig vom Leder gezogen. Auch auf dieser fernen Insel erlebte ich eine Überraschung. Als ich auf Wunsch für das dortige winzige Lokalblättchen etwas schrieb, bezeichnete man mich als den »bekannten P. S.« Ich betrachtete das zwar nicht schon als einen Schritt zur Weltberühmtheit, zu der Johannes Jörgensen auf dem besten Wege war, entdeckte aber doch, daß man auch außerhalb des Freundeskreises auf mich aufmerksam geworden war. Dies verdankte ich also dem üblen Mads, und darum nichts Schlechtes mehr über ihn!

In Florenz gönnte ich mir ein bis zwei Tage, die gut angewendet wurden: Bronzepforten, Goldgrundtafeln, Skulpturen und einige Dutzend Botticellis, Tizians, Rubens und Ghirlandajos wurden aufs neue verschlungen, ohne daß es der Verdauung abträglich gewesen wäre. Eine Wallfahrt wurde zu der Lampe in Fiesole unternommen und ein Gebet für Mogens Ballins Kinder verrichtet. Und dann ging es nach Siena, wohin mich J. J. zu einem Aufenthalt auf dem Wege nach Rom eingeladen hatte. Wehmut über den Tod von Mogens Ballin, der gemeinsame Wille, sein Werk fortzusetzen, und die Freude über unser Wiedersehen vermengten sich miteinander. Pater Felix war uns ein guter Freund, und bald schlug Siena wieder seinen Mantel um mich; an wenigen Stätten fühlte ich mich so daheim wie dort.

Ich sollte gefirmt werden, bevor ich mich in Rom vorstellte. Johannes Jörgensen sprach darüber mit dem Erzbischof Prosper Scaccia, dem feinen, edlen, hochkultivierten Kanzelredner. Wie zu erwarten, fragte er mich, ob und wo ich getauft sei, und da nicht anzunehmen war, daß er ein größeres Vertrauen zu Pastor Jungersen von der Kopenhagener Wahlgemeinde hatte, als Jungersen zu ihm, erklärte er pflichtgemäß, er sei nicht sicher, ob eine solche Taufe Gültigkeit habe. – Jawohl, aber ich sei doch in die Kirche aufgenommen worden! – Gewiß, aber könnte ich ein Dokument hierüber vorlegen, mit Namen und Siegel der kirchlichen Behörde? – Nein, streng genommen hatte ich nur ein deutsches Andenkenblatt mit einem frommen dänischen Text (»Sei getreu bis in den Tod«), dem Datum und Pater Bannwarts Namen darauf; eine Urkunde war das aber nicht. – Nun, so müßte er mich vor der Firmung mit der Formel »Wenn du nicht getauft bist, taufe ich dich jetzt ...« zuerst bedingungsweise taufen. Es wurde betont, daß dies nur der Sicherheit wegen geschehe und keine Verwerfung meiner eventuellen Taufe bedeuten sollte. Ich weigerte mich indes mit der Begründung, daß ich an unum baptisma, eine einzige Taufe glaubte und mit der vorgeschlagenen Zeremonie alle die beschämen würde, die mich zur Taufe gebracht hätten, wie überhaupt alle anderen Getauften in meinem Vaterland. Ich zog es daher vor zu warten, bis ein formelles Zeugnis mit Namen und Siegel des Bischofs v. Euch vorlag. Dieses verschaffte mir Pater Bannwart auf eine eilige Zuschrift hin, und nun erklärte sich der Erzbischof zufrieden.

In seiner kleinen traulichen Kapelle salbte er mich und machte unter apostolischer Handauflegung das Kreuz über mich. Als Firmnamen wählte ich Francesco Giovanni, in dankbarem Gedenken an alles, was Mogens Ballin und Johannes Jörgensen für meine Seele getan hatten.

Das Erlebnis mit dem Zeugnis veranlaßte mich Jahre später als Priester, große solide Doppeltaufscheine in Dänisch und Lateinisch mit Siegel und allem Zubehör drucken zu lassen, die ich meinen Konvertiten ausfertigte, damit sie nicht vor dem gleichen Dilemma stünden wie ich. Nach Überwindung des obligaten Widerstandes wurden diese Formulare genehmigt und allgemein eingeführt.

Nun war ich also vollerwachsener Katholik mit der Befähigung zum Studium in Rom, um dann meine Tätigkeit in Dänemark beginnen zu können. Es war ihretwegen, daß ich die Theologie wiederaufnahm, und nicht der Theologie selbst wegen; denn weit mehr als Philosophie, Dogmatik und Moral interessierten mich Mystik und Hagiographie – die Seele der Kirche in ihrer Geschichte –, mit denen sich auch Johannes Jörgensen beschäftigte. Aber sechs lange Jahre theologisch-philosophischen Studiums und aszetischer Erziehung im Kolleg sollten der Weg sein, um meinen Landsleuten in Dänemark von dieser Seele künden zu dürfen. Ich war bereit. Bischof v. Euch hatte mir ein Empfehlungsschreiben an Kardinal Gotti, den »Roten Papst« und Leiter der Kongregation der »Propaganda« mitgegeben; ich sollte mich damit eines Vormittags bei ihm melden. Mit Johannes Jörgensens, Pater Felix’ und Erzbischof Prospers Segen zog ich denn ab, gerüstet zu einem neuen, langen Lebensabschnitt, der, wie ich wußte, voller Opfer sein würde.

Am Abend kam ich in Rom an. Um nahe an meinem Ziel zu sein, stieg ich in einem äußerst bescheidenen Hotel gleich bei der Kirche San Silvestro in Capite neben dem Hauptpostamt ab. Am nächsten Morgen begab ich mich nach der Messe mit meinem Empfehlungsschreiben in der Tasche zur Piazza di Spagna, vielleicht dem lieblichsten und zugleich prunkvollsten aller römischen Plätze. Ich gab Visitenkarte und Brief bei dem Diener des Kardinals ab. Einen Augenblick später führte mich ein geistlicher Sekretär durch eine lange Reihe von Zimmern in den innersten Salon, wo mich der Kardinal erwartete. Nach Kniebeuge und Handkuß erhielt ich meinen Platz auf einem Sofa angewiesen, während sich der Kirchenfürst in einen Lehnstuhl mir gegenüber setzte. Ich kannte seine Verdienste um die Kirche nicht und kenne sie auch heute noch nicht; sie mußten weit zurückliegen, denn der Mann, dem ich gegenübersaß, war kein Greis, sondern ein völlig erloschener Mensch. Man hatte mir gesagt, daß er als alter Karmelitermönch ein strenger Aszet sei. Das hatte mich wenig für ihn eingenommen; denn nur allzu oft ist ein »Aszet« eine Persönlichkeit, die die Härte gegen sich selbst auf die anderen überträgt. Offen gestanden hatte ich oft schon Menschen, die wegen ihrer Aszese gerühmt wurden, als äußerst unangenehm empfunden.

Es war denn auch kein Lächeln in den Augen dieses Mannes, keine Glut innerer Wärme, kein Herz hinter der Stimme; er wirkte überhaupt gar nicht wie ein Lebewesen, sondern wie einer, in dem alles Menschliche, ja alles Leben erstorben war – eine Mumie, die nur ab und zu einen inquisitorischen Blick aus den sonst todmüde geschlossenen Augen aussandte und deren Stimme nur ein scharfes Flüstern war: zu mehr reichte die Kraft nicht. Er las das Schreiben des Bischofs, konstatierte meine Identität (»Nun, das sind Sie also!»), faltete den Brief zusammen, legte ihn wieder in den Umschlag und gab ihn mir zurück: »Wie alt sind Sie?« – »Zweiundzwanzig, Eminenz.« – »Und Sie haben auf einer protestantischen Universität studiert?« – »Ja, Eminenz.« – »So ist es unmöglich, ich kann Sie nicht aufnehmen, Sie sind zu alt.« – Ich war betroffen: »Eminenz, das ist der einzige Fehler, den zu ändern nicht in meiner Macht steht. Aber ich habe den besten Willen, mich in allem der Disziplin des Kollegs zu unterwerfen.« – Leidenschaftlos kam die Antwort von schmalen, blutlosen Lippen, die sich wie ein Schnappmesser schlossen: »Das nützt nichts. Hier will ich meine Leute direkt von der Schule haben, damit wir sie von Grund auf formen können. Dies sollte Ihr Bischof wissen. Vous êtez trop vieux, Monsieur!«

Da lag nun alles, was ich aufgebaut hatte, nein, alles das, was Gott aufgebaut hatte, in Trümmern. Ich erhob mich schnell: »So will ich Euere Eminenz nicht weiter stören.« Ich verbeugte mich und ging.

Wie oft sollte ich später noch dem gleichen Phänomen begegnen, daß ein hochstehender Mann der Kirche in seinem Amt sitzen blieb, nicht nur über die Jahre der Kraft hinaus, sondern bis er so fossil war, daß man nicht nur seine Verdienste um die Sache des Reiches Gottes in den Jahrzehnten, in denen er Geist und Energie bewiesen hatte, vergaß, sondern auch sehen mußte, wie das Werk, das er in ein oder zwei Menschenaltern geschaffen hatte, unter seinen verwelkten Fingern zerbröckelte – Finger einer Hand, in der keine Kraft mehr war, wenn Menschenseelen ihr Schicksal in diese Hand legen mußten. In dieser Stunde sah ich den Fehler jedoch nicht im System, sondern in dessen Träger, so daß ich den Greis im Purpur nicht bemitleidete, sondern nur Wut über ihn empfand: ich sah nichts anderes vor mir als meine eigene Lage.

Einen Augenblick später stand ich unten auf der Piazza in der Frühlingssonne, ganz zerschlagen, innerlich völlig gelähmt. Da es am Platz selbst keine Kirche gab, ging ich die fünf Minuten hinüber nach San Silvestro. Unterwegs durchlief ich alle Register meiner Seele. Rein naturgemäß lag es nahe, empört heimzukehren. Ich wußte, mit welchem Triumph mich Vater empfangen würde: Endlich sind dir die Augen darüber aufgegangen, wie der Papismus Seelen behandelt! Ganz unmittelbar lag auch ein anderer Gedanke nahe: Du hast im Vertrauen auf so viele Verheißungen Eltern, Heim, Besitz und alles verlassen, aber du hast das »Hundertfältige« nicht erhalten – es war nicht das ewige Licht, sondern ein Irrwisch, dem du gefolgt bist! In Fleisch und Blut lag der Trieb zu einer ungestümen, handgreiflichen Reaktion: Schreib der herzlosen Mumie da droben, was du von ihrem Christentum hältst, und dann geh hin, betrink dich und wirf dich der Fleischeslust in die Arme!

Es dauerte nur wenige Sekunden, um alle diese Register in meinem Innern anzuschlagen und ihre falsche Musik mit einem »Ich entsage dem Teufel und allen seinen Werken und all seinem Wesen« zu quittieren; denn im gleichen Augenblick hatte sich auch schon der Glaube gemeldet. Will mich Gott prüfen, ob ich Vertrauen zu ihm habe, selbst wenn er die Wechsel seiner Verheißungen nicht sofort in bar einlöst? – Ja, aber in zwei Tagen sitzt du hier auf dem Trockenen! – Schön, so ist das eben eine noch schwerere Prüfung von seiten Gottes: ob ich ihm zutraue, daß er mir einen Raben mit einem Stück Brot in die römische Wüste schickt, wo ich keinen Menschen kenne und wo mich sein purpurgekleideter Hoherpriester wie einen unbefugten Eindringling abgewiesen hat. Gut, ich will es mit dem Mut des Glaubens wagen! Und ist es nicht eine Ehre, die mir Gott erweist, daß er mich so frühzeitig in meinem katholischen Glaubensleben auf eine so grausame Probe stellt? Jawohl, und dafür muß ich ihm danken. Ich will nach San Silvestro gehen und das Tedeum beten.

Ich hatte das heilige Dunkel der Kirche nicht nötig gehabt, um Gott vorzujammern, für meine Seele zu flehen, mich zum Glauben durchzukämpfen – das Ganze hatte sich schon in der Via Borgonona und der Via della Mercede geklärt, so daß ich jetzt danken und mein Brot – das letzte, das ich hatte – getrost aufs neue ins Wasser werfen konnte, in der Überzeugung, daß ein Wunder es mich in wenigen Tagen würde wiederfinden lassen.

Ich war wirklich fast stolz darauf, daß mich Gott für stark genug hielt, eine solche Prüfung zu bestehen; ich betete froh und zuversichtlich und ging wieder hinaus in die Sonne auf den Platz der Hauptpost, um Zuflucht in San Claudio zu nehmen, wo das Allerheiligste ausgesetzt war, und dort zu überlegen, welche rein praktischen Schritte ich unternehmen sollte, damit mir mein Geld möglichst lange reichte.

Und da geschah eines der Dinge, die nur im wirklichen Leben geschehen, die aber in einem Roman unglaubwürdig klingen: ich traf meinen Retter sofort! Es sei erwähnt, daß wir Katholiken, belehrt durch Gottes Wort, Gott hinter jedem Menschen sehen oder doch sehen sollten: den leidenden, armen, einsamen Gott hinter dem Elenden – und die Vorsehung, den Vater, den Erlöser, den Heiligen Geist hinter dem, der uns zu Hilfe, Rettung, Trost, Ermahnung, Warnung, Belehrung gesendet wird. Wir rechnen nicht mit »Zufällen«, wenn sich die Wege zweier Menschen in einem schicksalverändernden, lebensentscheidenden Schnittpunkt kreuzen; wir rechnen mit Gottes Fügung. Die Tracht, die der Retter in diesem Augenblick angenommen hatte, war die schlichte Ordenstracht der Jesuiten, und das Antlitz, das er mir zeigte, war das von Pater Fonck. Ihn hier zu treffen, hätte ich am allerletzten erwartet; denn ich hatte mir sagen lassen, daß er sich in Palästina befände.

Er war es, der mich zuerst entdeckte, und das Wiedersehen war herzlich; es wurde nach Tante Fip gefragt und von ihr gegrüßt, und seine Glückwünsche waren warm, als er hörte, daß »es geschehen war«. Wo ich eigentlich sei? – Im Augenblick auf der Piazza San Silvestro in Rom. – Was ich eigentlich vorhätte? – Ich wolle eben von der Kirche San Silvestro nach San Claudio an der anderen Ecke des Platzes gehen. – Der Pater lächelte: »Man hält eine alte Ratte wie mich nicht zum Narren!« Er konnte wohl sehen, daß etwas ganz Ungewöhnliches mit mir los war. Ob ich es ihm nicht erzählen wolle? – Doch, aber es sei recht langwierig. – Schön, dann gehen wir nach Hause zu mir ins Bibelinstitut. Ob ich gefrühstückt hätte, ob ich etwas brauchte, ich sähe so bleich aus? – Danke vielmals, ja, ich hätte ein großes Glas Wermut schrecklich nötig. – Dies erhielt ich sogleich in einer Bar, und auch der Pater genehmigte sich ein Glas, was wohl selten genug der Fall war. Bald saßen wir in seinem Arbeitszimmer und ich wurde aufgefordert, meine Erlebnisse seit unserem Zusammensein im letzten Jahr in allen Phasen zu erzählen.

Ich berichtete, der Pater hörte zu, nickte, lächelte, schüttelte den Kopf, verzog das Gesicht und ließ ab und zu ein Knurren hören, je nach dem Inhalt der Erzählung. Als ich ihm von dem Erlebnis am heutigen Morgen berichtete, wurde er zornig. »Immer wieder diese Greise, die Gottes Wege verderben!« fuhr er auf. Dann stellte er ein paar präzise Fragen. Ob das Erlebnis meinen Glauben wirklich nicht im geringsten erschüttert hätte? – Nein; was habe es auch mit Marias Unbefleckter Empfängnis, der Unfehlbarkeit des Papstes, dem Altarsakrament oder der Heiligenverehrung zu tun, daß Kardinal Gotti seinem Amt nicht mehr gewachsen war! Das letztere konnte mich wohl entrüsten, aber nicht erschüttern. – Nun war es an dem Pater zu sprechen, und ich hörte ihm gerne zu. Was er sagte, war heute schon einmal in mein inneres Ohr gesagt worden: Es habe heute morgen sicher der Teufel selbst seine Hand im Spiel gehabt, indem er sich eines Greises bediente, der Bischof in Kopenhagen war, und eines anderen Greises, der Kardinal in Rom war. Die Gefahr dabei sei eine doppelte: Begegnete man dem Satan mit Hörnern und Klauen und Schwefelgestank, zum Beispiel in einer schmutzigen Versuchung, dann wäre er leicht zu erkennen, und es fiele leicht, ihm zu widerstehen; begegne man ihm aber im Ornat als Lichtengel, dann könne man in ernsthafte Zweifel geraten. Aber ich hätte jetzt ja gesehen, welche Wirklichkeit die Firmung sei: sie schenke wirklich Licht, Rat, Glauben, Stärke und Mut.

Wenn Gott das, was geschehen sei, zugelassen habe, so habe das zwei Gründe: Ich sollte lernen, ganz allein von ihm abhängig zu sein und mich nicht auf Menschen zu verlassen, auch nicht auf Kirchenfürsten; nicht auf das Menschliche in der Kirche, und nicht einmal auf das Geistliche; und zweitens sollte ich lernen, daß der Weg zum Altar ein Kreuzweg sei, auf dem der Satan, der über jeden neuen Priester, über jede neue Messe rasend werde, Hindernisse aufhäufe; aber Gott greife ein und bringe Rettung. Dieser Zwischenfall werde gewiß nicht meine letzte Schwierigkeit auf dem Wege zum Altar sein, aber ich würde sehen, daß Gott treu sei und seiner Verheißungen gedenke.

Der Pater sah in diesem Augenblick noch keinen gangbaren Weg für mich; wollte ich aber meine Sache in seine Hand legen, so würde er schon einen Weg finden: ich wisse ja, daß er an höchster Stelle einigen Einfluß besitze. »Also, schlagen Sie ein?« – Gewiß, das täte ich gerne, aber er habe wohl anderes zu tun, als für Theologen, die Pech hätten, die Kastanien aus dem Feuer zu holen. – »Im Augenblick nichts Wichtigeres als dies, da mich ja der liebe Gott mit einem eingeschriebenen Brief ausgerechnet zum Postamt geschickt hat, damit ich Sie dort treffe!« – Ich schlug also dankend ein. In diesem Augenblick erlebte ich, daß ein großer Mann erst recht groß ist, wenn er sich damit abgibt, Kleinigkeiten in Ordnung zu bringen, die für einen kleinen Mann groß sind.

Wir sollten uns richtig Zeit nehmen, sagte er; denn nähme man sich richtig Zeit, dann stünden einem mehr Möglichkeiten zur Wahl, als wenn man sich überstürze; wir sollten also erst gar nicht mit vierzehn Tagen oder einem Monat rechnen. Inzwischen sollte ich in die dänische Pension ziehen und mich dort geborgen fühlen. Das Wirtschaftliche, das in jenen Tagen ja mikroskopisch klein war im Verhältnis zu heute, sollte meine Gedanken überhaupt nicht beunruhigen. Unter keinen Umständen sollte ich an meinen Vater um Geld schreiben, das würde die Kirche in seinen Augen nur greulich blamieren. In einigen Tagen sollte ich mir ein Budget für den ganzen Sommer aufstellen; denn vor November würde ich in keinem römischen Kolleg ankommen. Ferner sollte ich mir überlegen, wo ich diese vier bis fünf Monate am besten verbringen könnte. Er riet mir von dem heißen Rom ab und gab meinem Vorschlag, mich in der Gesellschaft Johannes Jörgensens in Siena aufzuhalten und bei meinen alten Wirtsleuten zu wohnen, seine Billigung. Mit meinem Budget sollte ich in drei, vier Tagen zu ihm kommen; er würde mir dann verraten, in welcher Richtung seine Bestrebungen gingen. Ich sollte J. Jörgensen und dem Bischof in Kürze berichten und diesem schreiben, daß Pater Fonck das Nötige veranlassen würde. »Selbst wird er wohl kaum etwas machen können, der arme alte Herr ...«

Ich versuchte einzuwenden, daß ich im Sommer irgendwo arbeiten wollte, um mir meinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen; denn es quälte mich der Gedanke, Unterstützung annehmen zu müssen. Den Vorsatz an sich lobte er, aber dies würde meinem Vater einen Triumph verschaffen, den er nicht haben sollte: »So arm ist die heilige katholische Kirche denn doch nicht!« Ich selber jedoch müßte meine Auffassung vom Geld ändern; ich betrachte es mit den Augen eines Beamtensohnes, der an Ordnung und Sicherheit gewöhnt sei und dem jede »Hilfe« eine Schande bedeute, etwas Niedriges, ja fast etwas Sündhaftes. So sei es aber nicht im Reiche Gottes; hier hätten wir »alles verlassen«, um alles nach Maßgabe unserer Bedürfnisse wieder zurückzuerhalten. Keiner von uns habe ein »festes Gehalt« wie ein Staatsbeamter, alle lebten vom »Almosen«. Und Almosen seien etwas Heiliges: der Papst, die Bischöfe, die Mönche, die Priester, alle lebten von dem, was man ihnen gebe; und besäßen sie etwas, so gäben sie wiederum denen davon, die nichts hätten. »Fühlen Sie sich also nicht bedrückt, wenn auch Sie Ihren Anteil davon bekommen!«

Ob ich denn glaubte, daß ein Ordensmann weniger wert sei, weil er kein festes Gehalt bekomme? – »Nein, keineswegs, aber er arbeitet ja für die Kirche.« – »Das werden auch Sie in wenigen Monaten tun. Jetzt verpflichtet Sie die Kirche, sich auf diese Arbeit vorzubereiten, Ihren Geist durch guten Umgang, gute Lektüre und Kunst zu bilden und sich in das sakramentale Leben einzuleben. Tun Sie nur das, wozu man Sie auffordert! Ob man die Sache für wichtig genug hält, um Ihre Existenz zu sichern, bis sich eine andere Arbeit für Sie findet, das ist nicht Ihre Sorge.« – Schön, ich dankte und versprach, mein Budget so vollständig aufzustellen, daß später keine unerwarteten Nachforderungen kämen. »Untersuchen Sie auch Ihre Kleider und Schuhe, ob Sie etwas bis zum November nötig haben!«

Und dann stand ich, wieder recht verwirrt, auf der Piazza Pilotta und wunderte mich darüber, daß das »wirkliche« Leben so wirklich war. Ich selbst gehörte ja jetzt zu einer Welt von höherer Realität, in der Wunder an einem ganz gewöhnlichen Dienstag geschehen. Ich nahm ein bescheidenes Mittagessen ein und gönnte mir ein Glas Wein. Dann übersiedelte ich in jene Casa Dinesen, die ich lieb gewinnen und wo ich einige Jahre später eines der Kinder des Hauses, das todkrank war, taufen sollte. Ich schrieb die nötigen Briefe und erhielt zwei Tage später Johannes Jörgensens Antwort. Er war empört über das, was mir zugestoßen war. Von Pater Felix kam die Botschaft: »Oportet eum ire per ignem et aquam – es geziemt ihm, durch Feuer und Wasser zu gehen.«

Nach eingeholten Erkundigungen überlegte ich mir in aller Ruhe das Budget für den Sommer in Siena und überbrachte es zur festgesetzten Zeit Pater Fonck. Dieser prüfte es aufmerksam: Jawohl, an das Porto hätte ich gedacht, und ein Paar Schuhe seien auch notwendig, aber der Preis sei zu niedrig; zu diesem Preis bekomme man nur Schund: »Es ist teuer, billig einzukaufen, das können wir Ordensleute uns nicht leisten. Aber es fehlt trotzdem ein Posten!« – »Welcher?« – »Taschengeld!« – »Nein, das habe ich mit Absicht ausgelassen, denn Unterstützung kann man nur für das Notwendige, nicht für das Überflüssige beanspruchen.« – »Wieder ein Irrtum, junger Mann! Lernen Sie von den Ordensleuten, die allem entsagt haben. Auch uns gönnen unsere Vorgesetzten solch kleine Freuden wie einen Ausflug, ein Mittagessen auf dem Lande, ein Buch, ein Geschenk für einen Freund; und schnupfen wir, so bekommen wir sogar ein angemessenes Quantum Schnupftabak. Also!« – »Ja, aber könnte nicht der Verzicht auf alles Überflüssige mein bescheidener Beitrag zu dem unbedingt Notwendigen sein?« – »Nein; denn Sie können nicht leben und Gott dankbar sein, wenn Sie sich nicht ab und zu eine Tasse Kaffee gönnen, eine Zigarre rauchen, sich eine Zeitung kaufen. Dazu sind Sie nicht überirdisch genug.« – Ich beugte mich einem so großzügigen Gedankengang; und für später, als die Reihe an mich kam zu helfen, lernte ich daraus, daß das Notwendige ohne das Überflüssige ärger ist als das Überflüssige ohne das Notwendige. Von dem Feingefühl des Jesuitenpaters war ich tief beeindruckt. War das nicht das, was ein abgenutztes und etwas pathetisches Wort Edelmut nennt? Schließlich verriet er mir, daß es sein Plan sei, mich in das Collegium Germanicum zu bringen, dessen Studenten in den krebsroten Soutanen mit dem schwarzen Zingulum ich schon so oft in Rom gesehen hatte.

Ich fragte ihn, ob er sicher sei, daß die verschlossene Türe zur »Propaganda« nicht bedeuten solle, es sei Gottes Wille, daß ich an einer Klosterpforte anklopfte. (Er hätte in diesem Augenblick einen Jesuiten aus mir machen können, und er wußte es.) Er antwortete mit einem entschiedenen Nein. »Sie sind für die freie Mission eines Weltpriesters geschaffen, und gerade das braucht Ihr armes Bistum droben in Dänemark«. Er bat mich, mir die Klostergedanken völlig aus dem Kopf zu schlagen; die Idee habe alles gegen sich, sowohl in natürlichem wie in übernatürlichem Betracht.

Es vergingen wieder einige Tage, und als ich zu Pater Fonck gerufen wurde, hatte er seinen Plan nicht nur fertig, sondern schon realisiert und – finanziert. Es fehlte nur noch das Dokument, das der Papst selbst unterschreiben sollte. Mit dem Jesuitengeneral, dem höchsten Vorgesetzten des Kollegs, hatte er die nötige Abrede getroffen und seine schriftliche Zusage mit dem JHS und den drei Nägeln im Siegel bereits erhalten. Mit dem Rektor, dem ich mich jetzt vorstellen sollte, hatte er meine Ankunft für Ende Oktober verabredet, und mit dem Ökonomieverwalter die schriftliche Übereinkunft getroffen, daß meine Pension zu festgesetzten Zeiten von der Kasse des Bibelinstitutes, über die er zu solchen Zwecken verfügen konnte, abzuheben sei.

In diesem Zusammenhang erzählte er mir: Als ihm Papst Pius X. aufgetragen habe, den Palazzo, die Bücher für die Bibliothek des Instituts und die ganze Ausstattung zu kaufen, den Umbau in Auftrag zu geben und den Baugrund für die Filiale in Jerusalem zu erwerben, seien keine 10 Centesimi in der Kasse gewesen. Aber der felsenfeste Glaube des Papstes sei gerade am Tage der Unterzeichnung der Papiere mit der Schenkung einer französischen Dame in Höhe von vielen Millionen Lire belohnt worden ... Jawohl, ich war in einer Welt, in der ein liebreicher Gott seine Verheißungen einlöst, wenn wir nur im Gebet darauf warten, der Person zu begegnen, die in der betreffenden Sache sein Kassier ist und die Mittel zur Verfügung stellt, sobald ihr ein Wink gegeben wird!

Es war nun noch notwendig, dem Heiligen Vater ein Gesuch um Dispens vorzulegen, daß der Bürger eines Landes, das niemals zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehört hatte, einen Platz in einem Kolleg dieser Nation belegen durfte. Nach zwei Tagen sollte ich mich am Bronzetor des Vatikans einfinden.