Drachenfeuer - Peter Schindler - E-Book

Drachenfeuer E-Book

Peter Schindler

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Beschreibung

Dieses Buch ist Teil 2 einer aus insgesamt zehn Bänden bestehenden Reihe mit einer chronologisch fortlaufenden Geschichte. Nach einem fast zweijährigen interstellaren Flug hat das Raumschiff Antares mit zwölftausend Menschen an Bord das Siriussystem erreicht. Es ist nun fast am Ziel seiner Reise, einem vermutlich sehr erdähnlichen Planeten namens Tarnas B300433-A in Doppelsternsystem Sirius. Doch der hoffnungsvolle erste Schein trügt. Auch gibt keinen Kontakt zum Schwesterschiff, der Independence. Während man darauf wartet, dass diese doch noch am vereinbarten Treffpunkt auftaucht, geschehen an Bord der Antares mysteriöse Dinge. Obwohl die letzte Reiseetappe bis zu Tarnas B300433-A eigentlich nur noch einen Katzensprung darstellt, treten schwerwiegende Ereignisse ein, die alles in Frage stellen. Die Besatzungsmitglieder und Passagiere der Antares, zu denen auch der junge Leutnant und Raumjägerpilot namens Marc Ewert zählt, stellen bald fest, dass sie vom extrasolaren Planeten noch weitaus mehr Dinge trennen, als nur ein paar hunderttausend Kilometer Weltraum. Bald müssen sie sich sogar fragen, ob sie das Ende ihrer langen Reise jemals erreichen werden. Das Schicksal nimmt seinen Lauf - für alle Menschen an Bord des Raumschiffes Antares, im ganz Besonderen aber für Marc Ewert.

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Seitenzahl: 787

Veröffentlichungsjahr: 2019

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„Denke nicht an das, was dir fehlt, sondern an das, was du hast! Diese Buchreihe ist meiner Familie gewidmet, die meinen größten und wertvollsten Schatz darstellt. Vielen Dank für euer Verständnis, euer Vertrauen sowie eure Unterstützung!

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1 – Die Erschütterung

Kapitel 2 – Sabotage

Kapitel 3 – Die Brocken

Kapitel 4 – Das Störfeld

Kapitel 5 – Der Fund

Kapitel 6 – Drachenfeuer

Kapitel 7 – Das Ende

Kapitel 8 – Einsamkeit

Kapitel 9 – Die Leere

Kapitel 10 – Der Gefangene

Kapitel 11 – Das Verfahren

Kapitel 12 – Das Urteil

Epilog

Personen „Antares“

Personen „Independence“

Glossar

Nachwort

Weitere Titel aus dieser Buchreihe:

Buch 1

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Sternenflug

ISBN: 978-3-7460-4314-2 (Druckausgabe)

ISBN: 978-3-7494-6102-8 (E-Book)

Buch 3

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Himmelfahrtskommando

Buch 4

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Am Scheideweg

Buch 5

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Planetarlandung

Buch 6

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Vorauskommando

Buch 7

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Die Basis

Buch 8

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Drachenwelt

Buch 9

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Planetarerkundung

Buch 10

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Leviathan

Prolog

Das Interstellarschiff trieb bewegungslos im Weltraum. Die Schriftzüge an seinen Rumpfseiten verrieten seinen Namen: Solarian Union Ship Antares – ISV 12. Es war ein wirklich großes Schiff, denn sein Titanrumpf erreichte weit mehr als fünfeinhalb Kilometer Länge und eine Breite von rund eintausendzweihundertachtzig Metern. Die Spannweite der aus den Rumpfseiten weit herausragenden Flügelsektionen lag sogar bei über dreitausendachthundert Metern.

Seitdem der Mutterplanet der menschlichen Zivilisation von einem extremen Klimawandel, verheerender Umweltverschmutzung und akuter Überbevölkerung geplagt wurde, befand die Menschheit sich auf der Suche nach Lösungen für ihre geradezu existenziellen Probleme.

Beinahe eine Milliarde Menschen lebten inzwischen außerhalb von Terra – in orbitalen Wohnhabitaten, in Raumstationen oder in großen Kolonien auf dem Mond oder dem Mars. Und ihre Zahl nahm ständig zu. Obwohl man alles tat, um diesen „Außenweltlern“ möglichst annehmbare Bedingungen zu bieten, ließ sich ihr Dasein nicht mit dem Leben der Menschen auf der Erde vergleichen. Denn trotz allen Aufwandes stellten die Weltraumhabitate und die planetaren Kolonien sehr begrenzte Welten dar, außerhalb deren schützender Wände und Mauern absolut lebensfeindliche Bedingungen herrschten.

Die Sehnsucht nach einem Lebensraum ohne enge Grenzen und künstliches Licht, mit einer natürlichen Umwelt und frischer Luft, die nicht aus irgendeinem Sauerstoffregenerator kam, war groß.

Und so hielt die Menschheit Ausschau nach einem Himmelskörper, der das Potenzial besaß, zu einer neuen Erde zu werden. Innerhalb des Sonnensystems gab es mit Ausnahme der Erde keinen solchen Planeten. Es kam auch kein Mond in Frage, der diesen Wunschtraum Wirklichkeit werden lassen konnte.

Und so lebte die Menschheit von der Hoffnung, vielleicht außerhalb des eigenen Systems einen solchen Himmelskörper zu finden.

Die Wissenschaft hatte mit Hilfe gewaltiger Weltraumteleskopen längst festgestellt, dass fast jeder Stern im Milchstraßensystem mindestens ein bis zwei Planeten besaß. Tausende dieser Exoplaneten kannte man inzwischen, hatte sie aufgespürt und katalogisiert. Einer ganzen Reihe von ihnen räumte man die Chance ein, erdähnliche Bedingungen zu bieten.

Allerdings hatte es lange Zeit so ausgesehen, als würde man keinen einzigen dieser Himmelskörper jemals erreichen können. Selbst diejenigen nicht, die mit nur wenigen Lichtjahren Distanz zum Sonnensystem vergleichsweise nahe lagen.

Zu gewaltig waren die kosmischen Entfernungen.

Die Flugzeit, selbst zu den am nächsten liegenden Sternensystemen, betrug Hunderte, ja sogar Tausende von Jahren.

Dann jedoch hatte im Jahre 2071 die Raumsonde Voyager 6 am Rande des eigenen Sonnensystems ein Wurmloch entdeckt, dem die Astronomen später den Namen Heliogantis gaben.

Dreiundfünfzig Jahre nach diesem Ereignis bauten Wissenschaftler den ersten Quantenkäfig und schufen so für Raumfahrzeuge die Möglichkeit, unbeschadet durch ein Wurmloch zu reisen.

Man schickte die ersten Raumsonden durch den Schlund von Heliogantis. Die künstlichen Fluggeräte stellten alsbald fest, dass das Wurmloch einen Ausgang im Siriussystem besaß. Gleichzeitig fanden sie heraus, dass Letzteres über sechs Planeten verfügte.

Einer der entdeckten Himmelskörper nährte die Hoffnung, möglicherweise über erdähnliche Bedingungen zu verfügen.

Die Menschheit sah sich plötzlich nicht nur in der Lage, scheinbar unüberbrückbare kosmische Distanzen zu überwinden, sondern besaß auch ein konkretes Ziel. Sie baute daraufhin vier gewaltige Interstellarschiffe und schickte zwei davon – die Antares sowie die Independence – nacheinander auf die lange Reise.

Die Antares trat als erstes Schiff die interstellare Reise an. Mit 5.710 Besatzungsmitgliedern und mehr als 6.200 Passagieren an Bord bewältigte sie erfolgreich den Transit durch das Heliogantis-Wurmloch und erreichte wohlbehalten das Siriussystem. Für die unglaubliche Distanz von 8,6 Lichtjahren hatte sie nicht Jahrtausende, sondern lediglich ein Jahr und zehn Monate benötigt.

Nun befand sie sich an einem Ort, der den vereinbarten Treffpunkt mit dem nachfolgenden Schwesterschiff Independence bildete und nur noch anderthalb Millionen Kilometer vom eigentlichen Ziel der langen, interstellaren Reise entfernt lag.

Kapitel 1 – Die Erschütterung

12. Dezember 2172 Solarian Union Ship „Antares“ Siriussystem / 1,5 Millionen Kilometer Distanz zum Tarnas

Die verglaste Steuerbordseitengalerie der Antares erstreckte sich über mehr als dreihundert Meter Länge und in der Höhe über gleich sechs Decks hinweg.

Da sie gleich einem Wulst mehr als siebzehn Meter aus der Rumpfseite des riesigen Schiffes herausragte, bot sie jedem hier stehenden Beobachter einen faszinierenden Panoramablick nach draußen.

Tatsächlich gab es momentan einigte hundert Schaulustige, die durch das Panzerglas hindurch ins Weltall spähten.

Zwischen all diesen Gaffern standen eine Frau und ein Mann, die rein äußerlich einen deutlichen Gegensatz zueinander bildeten. Die Unterschiede betrafen vor allem die Körpergröße und die Statur sowie die ethnische Herkunft.

Kaum jemand, der die beiden sah, wäre auf den Gedanken gekommen, dass sie eine ganze Reihe von Dingen miteinander verband.

Und doch traf dies zu. Denn sowohl die Frau, als auch der Mann, waren Mitglied der Solaren Weltraumstreitkräfte der Solarian Union Space Forces und gehörten als Raumjägerpiloten zum bordeigenen Raumkampfgeschwader des Interstellarschiffes. Sie flogen in der Jägerstaffel mit dem Rufnamen Kite als dritter und vierter Pilot des Alpha-Schwarms und bildeten somit auch noch Rottenmitglieder.

Die Frau war, wie viele ihrer Landsleute, mit nur 159 Zentimetern Körpergröße klein, ja geradezu zierlich. Obwohl schon fünfundzwanzig Jahre alt, erinnerte sie zumindest auf den ersten Blick eher an ein sechzehnjähriges Mädchen. Ihr schmales Gesicht mit den mandelförmigen Augen verriet deutlich die asiatische Herkunft. Tatsächlich kam Lieutenant Yini Chang aus Hongkong, der gewaltigen Metropole an der Küste des Südchinesichen Meeres.

Der Mann hieß Marc Ewert, war Deutscher und besaß die typischen Gesichtszüge eines Europäers. Obwohl er gleich seiner chinesischen Kameradin den Dienstgrad eines Leutnants führte, stand er im Rang eine Stufe unter ihr, seiner Rottenführerin.

Diese beiden Menschen starrten jetzt nach draußen. Ihr Blick wurde beinahe zwangsläufig von der großen, blauweißen Flammenkugel eines nahen Sternes gefesselt – Sirius A.

Schon von der Erde aus betrachtet bildete Sirius A den hellsten Stern am Nachthimmel. Was nicht weiter wunderte, denn er strahlte fünfundzwanzig Mal heller als die Sonne.

Die Antares befand sich im Moment nur noch 525 Millionen Kilometer von dem Hauptreihenstern entfernt, sodass der mit seiner gleißenden Helligkeit alles um sich herum regelrecht zu verschlingen schien.

Die Menschen konnten ihn daher nur mit Hilfe des Schutzes starker Lichtfilter betrachten.

Auch der kleine Begleiter namens Sirius B wurde fast vollständig von seinem Hauptgestirn überstrahlt. Er stellte momentan ohnehin nicht sehr viel mehr dar, als einen winzigen, hellblauen Lichtpunkt, der zudem auch noch in Begriff war, gänzlich im Sichtschatten seines großen Bruders zu verschwinden.

Weitaus näher und daher in direkter Sichtweite zum Raumschiff, lagen jedoch zwei andere Dinge.

Eines davon entpuppte sich als eine Ansammlung sehr dicht beieinander liegender Asteroiden. Es handelte sich um eine beinahe kugelförmige Materiewolke von etwa siebzigtausend Kilometern Durchmesser. Da die gegenwärtige Distanz des Schiffes zu ihr nur etwa 260.000 Kilometer betrug, dominierte sie einen großen Teil des Sichtfeldes.

Weitaus mehr fesselte jedoch die Aufmerksamkeit der Menschen in der Seitengalerie das zweite Objekt.

Bei diesem handelte es sich um einen kugelförmigen Himmelskörper, der vielleicht etwas größer als die heimische Erde sein mochte. Er lag leicht schräg hinter dem dichten Asteroidenhaufen. Die Astronomen hatten ihm nach seiner Entdeckung den Namen Tarnas gegeben. Als dritter Planet des Siriussystems und mit seinen möglicherweise erdähnlichen Bedingungen, führte er als Zusatz die wissenschaftliche Katalognummer B300433-A.

Was Tarnas B300433-A so interessant machte, war vor allem seine Lage innerhalb der sogenannten habitablen Zone des Doppelsternsystems. Seine Bahn erwies sich als stabil, und er befand sich in einer geradezu optimalen Distanz zu Sirius A und B.

Das wiederum ließ die Vermutung zu, dass sein Hauptgestirn ihn nicht in eine Gluthölle verwandelte, er aber zugleich auch keine eisige Kugel bildete. Hinzu kamen weitere günstige Eigenschaften, wie etwa seine Dichte, Größe, Schwerkraft und das Vorhandensein einer Atmosphäre.

Wie ähnlich der Exoplanet der heimischen Erde allerdings tatsächlich war – um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, befand sich die Antares nun hier.

Die Chinesin und der Deutschte starrten durch das Panzerglas der Seitengalerie auf den Exoplaneten.

Der erschien in seinen sichtbaren Dimensionen momentan nicht sehr viel größer, als ein Fußball. Trotzdem war erkennbar, dass er sich komplett in eine graue Wolkendecke einhüllte, die ihm ein beinahe düsteres Antlitz verlieh.

Ziemlich deutlich traten auch die unglaublich kompakten Materiefelder zutage, die den Planeten beinahe in seiner gesamten Peripherie umgaben. Aufgrund der großen Entfernung ähnelten sie eher dichten und sehr feinen Staubwolken. Tatsächlich jedoch besaß jedes einzelne dieser vermeintlich winzigen Staubkörner eine Größe von einigen hundert Metern bis hin zu mehreren Kilometern.

Die Wissenschaftler der Antares nahmen an, dass die elf großen und dreiundzwanzig kleineren Asteroidenfelder rund um den Planeten zusammengenommen aus etwa 1,5 Milliarden Einzelobjekten mit einer Gesamtmasse von 826 Billiarden Tonnen bestanden. Das klang viel, bildete aber immer noch nur einen Bruchteil der Masse des Erdmondes.

Marc Ewert war der erste, der jetzt das Schweigen brach: „Die Astrophysiker sagen, dass der Tarnas etwa anderthalbmal größer ist, als die Erde. Allerdings liegt seine Anziehungskraft den letzten Messungen nach nur um etwa zehn Prozent höher, als die von Terra. Vermutlich, weil der Kern des Planeten eine wesentlich kleinere Dichte im Vergleich zu dem der Erde aufweist.“

Yini Chang verzog leicht das Gesicht. „Klingt nach einer guten Nachricht. Dann bekommen wir dort unten wenigstens keine ständigen Rückenschmerzen, weil wir permanent das Vielfache unseres eigenen Körpergewichtes mit uns herumschleppen müssen.“

Der Deutsche bedachte die zierliche Asiatin auf ihre Worte hin mit einem Seitenblick und versuchte abzuschätzen, wieviel sie wohl wog. Er kam zu dem Schluss, dass seine Rottenführerin sich von allen Menschen an Bord der Antares wohl die geringsten Sorgen bezüglich einer erhöhten Schwerkraft machen musste. Er sagte: „Laut den Wissenschaftlern haben wir selbst bei einem längeren Aufenthalt auf der Oberfläche keine körperlichen Komplikationen wegen des etwas erhöhten Gewichtes zu erwarten. Die Damen und Herren der Astro-Abteilung behaupten, dass sich unsere Körper ziemlich rasch anpassen werden. Bestenfalls könnten uns ein paar Tage lang Glieder- beziehungsweise Rückenschmerzen heimsuchen.“

Yini Chang machte sich um ihren Rücken herzlich wenig Sorgen, sondern dachte in eine ganz andere Richtung. „Bei nur zehn Prozent mehr Schwerkraft dürften wir während unserer Flüge hinunter zum Boden und vor allem bei den Orbitalaufstiegen kaum Probleme mit unseren Maschinen bekommen.“

Marc Ewert nickte.

Bei einer unverhältnismäßig hohen Anziehungskraft des Exoplaneten hätte jeder Flug von der Oberfläche des Himmelskörpers hinauf in den Weltraum zu einer Herausforderung für das Triebwerk werden können und den Spritverbrauch vermutlich in astronomische Bereiche getrieben. So aber sah das Ganze eher nach einem gemütlichen Spaziergang aus

„Was behaupten die Wissenschaftler noch?“, erkundigte sich die chinesische Kampfpilotin. Als sie ihren Rottenkameraden jetzt von der Seite her ins Auge fasste, musste sie zu ihm aufsehen.

„Sie behaupten außerdem, dass sie anhand ihrer Gravitations- und Bahnmodellberechnungen ausschließen können, dass sich auf der von uns abgewandten Seite des Tarnas eventuell doch noch ein Mond versteckt. Wie es aussieht, gibt es tatsächlich nur diese zahlreichen Asteroidenfelder. Die elf größten haben eine Ausdehnung zwischen fünftausend und zwölftausend Kilometern. Sie befinden sich in Höhen zwischen zehntausend und zweiundvierzigtausend Kilometern über dem Planeten und bewegen sich geosynchron zu ihm. Weil sie so kompakt sind, erzeugen sie wahrscheinlich zeitweise riesige Schattengebiete auf der Oberfläche des Tarnas. Die kleineren Asteroidenfelder bringen es nur auf fünfhundert bis fünftausend Kilometer im Durchmesser. Dafür liegen die niedrigsten von ihnen auch nur in einhundertachtzig Kilometern Höhe über dem Tarnas-Boden. Hier sind sie zum Teil mit enormen Geschwindigkeiten unterwegs und könnten bei unseren geplanten Auf- und Abstiegen durchaus zu einem Risiko für die Raumfähren und Jäger werden. Davon abgesehen bombardieren sie den Planeten wahrscheinlich unablässig mit Meteoriten, was einen Aufenthalt auf seiner Oberfläche sehr ungemütlich machen dürfte. Die gute Nachricht ist, dass der Planet über eine sehr dichte Atmosphäre verfügt. Sie soll um mindestens zwanzig Prozent dichter sein, als die der Erde. Das lässt den Schluss zu, dass die meisten Brocken verglühen, bevor sie den Boden erreichen.“

Chang zog leicht die Mundwinkel herab und wandte den Blick von dem Exoplaneten ab. „Gib es irgendetwas Neues zur Independence?“

Marc schüttelte wortlos den Kopf.

Nun, da die Antares ihre Warteposition erreicht hatte, richtete sich das Augenmerk der Menschen an Bord verstärkt auf die Frage nach dem Verbleib des Schwesterschiffes.

Von der Independence fehlte nämlich jede Spur. Dabei hatte sie laut der Missionplanung eigentlich der Antares im Abstand von neunzehn Tagen beziehungsweise 784.188.000 Kilometern folgen sollen. Zumindest im Sonnensystem war dies auch noch der Fall gewesen. Die beiden Interstellarschiffe hatten sich zwar selbst mit ihren leistungsfähigen Fernradaranlagen nicht sehen können, aber in ständiger Funkverbindung zueinandergestanden. Seit dem Wurmlochtransit gab es jedoch keinen Kontakt mehr zwischen ihnen.

Gründe dafür konnte es einige geben.

Möglicherweise trugen die starken Eruptionen auf der Oberfläche des Sirius-A-Gestirnes die Schuld. Sie gingen derzeit mit massiven koronalen Masseauswürfen des Sternes einher, die gleich einem gewaltigen Superpartikelsturm durch das gesamte Sirius-Doppelsternsystem fegten.

Sämtliche Sensoren, die auf der Grundlage von elektromagnetischen Wellen arbeiteten, darunter eben auch die Radar- und Funkanlagen, wurden durch diesen Supersturm in ihrer Arbeit stark beeinträchtigt. Dies stellte eine mögliche Erklärung dafür dar, dass man vom Schwesterschiff nichts hörte und nichts sah.

Leider kamen aber noch andere Ursachen für den fehlenden Kontakt in Frage, die weit hässlicher erschienen. Sie reichten von verschiedenen Unfall- und Anschlagsszenarien bis hin zu einem möglicherweise vollständigen Verlust des Schwesterschiffes.

Doch so weit mochte eigentlich niemand denken. Es war einfacher, darauf zu vertrauen, dass die Independence tatsächlich in neunzehn Tagen beim Rendezvouspunkt aufkreuzte. Wenn sie mit Verspätung eintraf, dann war das eben so und ging immer noch in Ordnung.

Hauptsache, sie taucht überhaupt auf, dachte der deutsche Raumpilot, nicht ahnend, dass der Chinesin neben ihm in diesem Moment genau der gleiche Gedanke durch den Kopf ging. „Ich denke, wir werden auf jeden Fall erst einmal die vorgegebenen neunzehn Tage an unserer jetzigen Position abwarten“, sagte er zu ihr gewandt. „Und wer weiß, vielleicht ringen sich der Kapitän und die Schiffsführung ja dazu durch, die Wartefrist noch etwas zu verlängern. Wir haben schließlich ein Jahr und zehn Monate bis hierher gebraucht. Da kommt es auf ein paar Tage mehr oder weniger auch nicht mehr an. Zumal wir ja keine Däumchen drehen werden, sondern erst einmal unsere Maschinen entmotten und einsatzbereit machen müssen. Und ich wette, dass die Astrophysiker den Planeten bereits mit Hilfe der weitreichenden Schiffsensoren unter die Lupe nehmen. Vielleicht gelingt es ihnen ja, dem Tarnas schon jetzt einige seiner Geheimnisse zu entlocken. Denn wenn wir dann starten und zu ihm hinfliegen, ist es vielleicht gar nicht so verkehrt, schon eine gewisse Ahnung zu haben, was uns erwartet.“

12. Dezember 2172 Solarian Union Ship „Antares“ Wohnsektion / Rumpfebene 64 / Korridor 12-B

Captain Kris Porter schob sich das schiefergraue Barett auf dem Kopf zurecht. Er war Brite und stammte aus einem kleinen Dorf namens Rudston.

Der Ort lag nur etwa neun Kilometer von der Ostküste Mittelenglands entfernt und besaß wegen seiner großen, künstlichen Steinmonolithen eine gewisse Berühmtheit. Tatsächlich nahm Rudston für sich in Anspruch, Standort des größten Hinkelsteins Großbritanniens zu sein.

Während Porter jetzt breitbeinig auf dem weiten Hauptkorridor stand, musste er aus irgendeinem unerfindlichen Grund an seinen Heimatort denken. Vielleicht, weil dieser momentan so unerreichbar weit entfernt lag. Der Captain schüttelte den Gedanken ab und wandte seine Aufmerksamkeit den Mitgliedern seiner Kite-Staffel zu.

Die boten gerade einen etwas seltsamen Anblick, da sie nicht in Uniform, sondern in zum Teil sehr legerer Freizeitbekleidung vor ihm standen. Einer trug sogar nur Badelatschen und eine kurze Turnhose.

Die Schuld an diesem wenig militärischen Aufzug der Leute lag bei Porter selbst, denn der hatte sie ohne Rücksicht auf den fortgeschrittenen Abend kurzerhand noch einmal zusammengetrommelt.

Insofern stellte es schon einen großen Erfolg dar, dass jetzt tatsächlich alle anwesend waren.

Der Staffelführer musterte die Frauen und Männer, die nicht nur mit ihren Klamotten, sondern auch in ihren ethnischen Merkmalen eine auffallend bunte Mischung boten.

Die Antares besaß eine internationale Besatzung und Passagiere aus allen Teilen der Welt, was sich auch in der Zusammensetzung der Jägerstaffel wiederspiegelte, deren siebzehn Piloten aus vierzehn verschiedenen Nationen kamen.

Kris Porter verschränkte die Hände auf dem Rücken und räusperte sich. „Entschuldigen Sie, Herrschaften, dass ich Ihnen auf so rüde Weise den Abend kaputtmache und ganz augenscheinlich auch einige am püntklichen Zubettgehen gehindert habe. Aber ich war mir nicht sicher, dass Sie heute Abend tatsächlich alle noch einmal den Informationskanal der Staffel einschalten. Daher will ich Ihnen die folgende Nachricht lieber persönlich bekanntgeben. Ich komme gerade von einer Besprechung mit dem Geschwaderführer. In der Zusammenkunft wurde entschieden, so schnell wie möglich mit dem Entmotten der Technik zu beginnen. Das heißt, wir starten bereits morgen ab sechs Uhr mit den Arbeiten. Sie fragen sich vermutlich, was der plötzliche Stress soll. Schließlich sind wir noch nicht einmal wirklich bei unserem Ziel angekommen und müssen ohnehin auf die Independence warten. Tja, weshalb die Schiffsführung plötzlich eine solche Hektik macht, kann ich Ihnen leider nicht sagen. Und unser Geschwaderführer, Commodore Asvidursson, weiß es offenbar ebensowenig. Aber wie auch immer, ab morgen wird es ernst für uns. Sehen Sie es positiv. Wir trainieren nun schon seit Wochen in den Simulatoren für unseren Einsatz hier. Es wird Zeit, dass die Phase dieser Trockenübungen ein Ende findet, und wir endlich einen handfesten Job erledigen können.“

Porter wippte einen Moment lang auf seinen Zehen und beobachtete dabei die Reaktion der Frauen und Männer auf seine Worte. Dann sprach er weiter: „Ab morgen ist also unser Fleiß gefragt. Commodore Asvidursson erwartet, dass Teile der Staffeln schon ab dem fünfzehnten Dezember für die ersten Flüge zur Verfügung stehen.“

In den Gesichtern der lose angetretetenen Pilotinnen und Piloten machte sich Betroffenheit breit. Für das Einmotten der Flugmaschinen hatte das Geschwader fünf Tage benötigt. Nun sollte die Technik in nur zwei bis drei Tagen aus ihrem Dornröschenschlaf herausgeholt werden.

Kris Porter zeigte ein freudloses Grinsen. „Ich weiß, was Sie denken. Aber Befehl ist Befehl. Wir werden wohl nicht umhinkommen, eine oder mehrere Sonderschichten zu fahren. Vielleicht müssen wir sogar die halbe Nacht durcharbeiten. Falls jemand von Ihnen in den letzten Wochen Fett angesetzt hat, wird er es jetzt sicher rasch wieder los. Der Schiffskapitän und der Geschwaderführer wollen einsatzbereite Maschinen sehen. Also tun wir ihnen den Gefallen. Vielleicht lassen Sie sich einfach von der Aussicht beflügeln, endlich wieder fliegen zu dürfen.“

First Lieutenant Santiago Mosquera, ein untersetzter stämmiger Kolumbianer, der den Alpha-Schwarm kommandierte, hob den Arm zu einer Frage.

„Sprechen Sie, First Lieutenant.“

„Wenn wir es auf einmal so eilig haben – heißt das jetzt, dass es schon konkrete Einsatzplanungen gibt?“

„Natürlich gibt es die.“

„Aha, das bedeutet also, dass wir in den nächsten Tagen schon Aufklärungsflüge in Richtung des Tarnas unternehmen werden.“

„Das habe ich nicht gesagt“, erwiderte Porter und runzelte die Stirn. Gleichzeitig warf er dem Alpha-Schwarmführer, der zugleich sein Stellvertreter war, einen missbilligenden Blick zu. „Es wird Aufklärungsflüge geben. Aber der Tarnas ist dabei nicht das Ziel. Noch nicht. Es wäre auch noch etwas weit bis zu ihm, denn bei der derzeitigen Distanz bräuchten wir allein schon für den Hinflug achtundzwanzig bis dreißig Stunden. Nein, wir bleiben in der Umgebung der Antares. Der Commodore will Tornado-Radaraufklärer hinausschicken, damit die ein bisschen Erkundung betreiben. Die Tornados benötigen natürlich Rückendeckung. Und genau die werden wir ihnen geben.“ Porter blickte prüfend in die Runde.

Einige der Leute zogen immer noch schiefe Gesichter.

„Bitte nicht so geknickt, Herrschaften. Seien Sie froh, dass Sie endlich wieder fliegen dürfen. Und nun Ihnen allen eine gute Nacht – auch, wenn die jetzt etwas kurz ausfällt.“

13. Dezember 2172 Solarian Union Ship „Antares“ Steuerbordflügel / Zugangstor Hangardeck Raumkampfgeschwader

Auf dem breiten Gang vor dem Zugangstor zum oberen Steuerbordhangardeck herrschte dichtes Gedränge. Neben den siebzehn Pilotinnen und Piloten der Raumjägerstraffel Kite schoben und schubsten sich hier noch die Angehörigen dreier weiterer Jagdstaffeln.

Hinzu kamen die Besatzungen der Raumaufklärer- und Raumbombereinheiten, der Such-, Rettungs- und Bergestaffel sowie scharenweise Stabs- und Bodenpersonal. Alles in allem waren das achthundert Leute, die den eigentlich recht geräumigen Korridor jetzt komplett verstopften.

Die Verantwortung für das Gedränge trugen vier Space-Infanteristen, die am versiegelten Zugangstor zum Hangardeck standen, bisher aber keinerlei Anstalten machten, dieses endlich zu öffnen. Stattdessen schienen sie auf irgendetwas oder irgendjemanden zu warten. Gegenüber den drängenden und ärgerlichen Rufen der Angehörigen des Fluggeschwaders gaben sie sich völlig taub.

Im März 2171, vor mehr als einem Jahr und neun Monaten, war das Hangardeck nach dem Abschluss sämtlicher Arbeiten zum Stilllegen und Einmotten der Technik, versiegelt worden.

Das Interstellarschiff hatte sich zu jener Zeit noch innerhalb des Sonnensystems auf dem Flug in Richtung Uranus befunden.

„He, was ist los? Ich bin nicht extra so früh aufgestanden, um mir hier die Beine in den Bauch zu stehen, verdammt noch mal. Macht endlich die Buchte auf“, schrie jemand wütend aus der Masse der Wartenden heraus.

Die vier Wachposten am Tor in den schwarzblau gemusterten Kampfkombinationen des Space Infantry Corps ignorierten den Ruf. So, wie sie auch alle anderen unschönen Bemerkungen an sich abprallen ließen.

Die Postenführerin, eine stämmige Frau mit dem Dienstgrad eines Warrant Officer Class 1, was einem Oberfähnrich gleichkam, wurde allerdings zunehmend unruhig. Dann jedoch breitete sich Erleichterung in ihrem Gesicht aus, als sie die große, kräftige Gestalt des Geschwaderführers bemerkte, der sich durch die Reihen der Wartenden schob.

Commodore Ingimundur Asvidursson, Chef des Raumkampfgeschwaders, war Isländer und ein Hühne. Er besaß die Gesichtszüge eines Menschen, der es gewohnt war, Befehle zu erteilen. Mit seinen blonden Haaren und dem kantigen Kinn wirkte er wesentlich jünger, als er bei seinem Dienstrang wirklich sein konnte. Im Schlepptau hatte er seine Stabschefin, die zwar ebenfalls einen nordischen Teint aufwies, ansonsten aber nichts gemeinsam mit ihrem Vorgesetzten hatte.

Major Pentti Turunen besaß ein fast rundes Gesicht mit leichten Pausbacken, rotblonden Haaren und unglaublich starken Sommersprossen. Mit ihrem Äußeren wirkte sie auf fatale Weise wie eine ältere Version der Kinderbuchfigur Pippi Langstrumpf.

Asvidursson und Turunen kämpften sich erfolgreich durch das Gedränge hindurch und erreichten endlich das Tor.

Der weibliche Warrant Officer Class 1 der Torwache salutierte zackig. Dann betrachtete sie kurz das elektronische Dokument auf dem Tabletcomputer, den ihr Major Turunen unter die Nase hielt.

Das Dokument trug die persönliche Unterschrift des Kommandanten der Antares, Admiral Uray ag Aflan. Es enthielt dessen offiziellen Befehl, die elektronischen Siegel sämtlicher Zuggangstore zum Hangardeck zu brechen und den achthundert Angehörigen des Raumkampfgeschwaders Zugang zu ihren Arbeitsplätzen zu gewähren.

Die Space-Infanteristin verzichtete darauf, das Dokument vollständig und bis zum bitteren Ende zu studieren. Stattdessen wandte sie sich um, marschierte zum Tor und gab in dessen Steuertafel einen Befehl ein, der die Versiegelung deaktivierte. Nachdem sie auch noch den Zugangscode eingetippt hatte, fuhren die großen, gepanzerten Torhälften knirschend auseinander.

Der Weg auf das Hangardeck war nun für die achthundert Geschwaderangehörigen frei.

Während die siebzehn Piloten der Kite-Staffel über die entsprechend gekennzeichneten Wege des Rollfeldes marschierten, nahmen sie mit jedem Schritt die Eindrücke auf, die der gigantische Innenraum bei ihnen erzeugte.

Der Stützpunkt des Raumkampfgeschwaders befand sich in der Steuerbordflügelsektion des Interstellarschiffes. Seinen Kernbereich bildete das obere Hangardeck, dessen lichtes Flugfeld Seitenlängen von eintausend mal achthundert Metern besaß, was etwa einhundertzehn Fußballfeldern gleichkam. Die Decke befand sich in vierzig Metern Höhe.

Das Zentrum wurde von einem markanten Inselgebäude beherrscht, das Technikabteilungen, Stabszimmer sowie Briefing-, Schulungs- und Aufenthaltsräume beherbergte.

Der wuchtige Turm auf dem Gebäudedach besaß direkt unterhalb der Hangardecke eine großzügig verglaste Panoramakanzel, von der aus sämtliche Bewegungen auf dem Deck überwacht und koordiniert wurden.

Rings um das Inselgebäude ordneten sich die Abstellflächen für insgesamt einhundertzwanzig mittelgroße und große Raumflugeinheiten verschiedener Typen und Größen an – von vergleichsweise kleinen Cyclone- und Typhoon-Raumjägern über die schon wesentlich größeren Monsoon-Raumbomber sowie Tornado-Radaraufklärer bis hin zu den gewaltigen Starmaster-Rettungs-, Such- und Berge-Raumfähren.

Zu all dem hinzu kamen noch einmal etwa einhundert Hornet-Raumdrohnen.

Zwischen den Stellplätzen gab es Rollwege und Parkflächen für die rund sechzig großen Bodenfahrzeuge des Geschwaders sowie die zumeist größeren Automaten und Arbeitsdrohnen auf Gleiskettenfahrwerken.

Marc Ewert hatte gleich allen anderen achthundert Frauen und Männern das letzte Mal am 19. März 2171 auf dem Hangardeck gestanden. Da das nun schon wieder sehr lange zurücklag, übte der gigantische Hallenraum im Inneren der Flügelsektion des Raumschiffes momentan beinahe die gleiche Faszination auf ihn aus, wie vor gut zwei Jahren, als er ihn nach dem Anbordkommen das erste Mal zu Gesicht bekommen hatte.

Die Raumjäger, Raumbomber, Radaraufklärer und Bergelastfähren standen auf ihren Abstellflächen und sahen aus, als hätten ihre Besatzungen sie erst vor einigen Stunden verlassen.

Auch die in die Wandseiten des gewaltigen Decks integrierten Hangars und alle sonstigen technischen Anlagen wirkten geradezu „taufrisch“. Obwohl seit einem Jahr und neun Monaten kein Mensch mehr das Hangardeck betreten hatte, schien es hier nirgendwo auch nur ein einziges Körnchen Staub zu geben.

Zu verdanken war dies einem Heer aus Reinigungsautomaten, die während der langen Abwesenheit der Menschen unermüdlich weiter ihre Arbeit versehen hatten, allein gesteuert durch den Schiffscomputer.

Während der deutsche Jägerpilot zusammen mit den anderen über die schraffierten Wege in Richtung der Maschinen der Kite-Staffel marschierte, dachte er darüber nach, was nun alles an Arbeit auf sie zukam. Tatsächlich mussten neben den Flugmaschinen und sechzig Bodenfahrzeugen auch sämtliche technischen Anlagen aus ihrem Dornröschenschlaf geholt werden. Trotz der eigenen, leichten Müdigkeit und der unschönen Aussicht auf Überstunden und Sonderschichten überkam den Lieutenant zunehmend gute Laune.

Es war das Wissen, dass sie nun den ersten Schritt gingen, um endlich jene Dinge in Angriff zu nehmen, wegen denen sie die weite, gefahrvolle Interstellarreise ins Siriussystem überhaupt erst unternommen hatten. Alles, was sie jetzt taten, geschah in Vorbereitung der Erkundung und letztendlich einer Landung auf Tarnas B300433-A. Es wurde also endlich ernst, und das war wirklich gut so.

13. Dezember 2172 Solarian Union Ship „Antares“ Hangardeck Raumkampfgeschwader / Stellplätze Kite-Staffel

Die leichten Cyclone-Raumjäger der Kite-Staffel standen gesichert auf ihren Abstellflächen. Mit ihren beinahe einundzwanzig Metern Länge und ihren sechsunddreißig Tonnen Gewicht stellten sie vergleichsweise kleine, schnelle Flugmaschinen, dar. Im Gegensatz zu den schweren Typhoon-Raumjägern verzichteten sie auf ein zweites Besatzungsmitglied in Form eines Waffensystemoffiziers. Es gab nur den Piloten, der sämtliche Aufgaben zu händeln hatte.

Marc Ewert saß auf einer Metallpalette und starrte auf die am nächsten stehende Cyclone.

Diese Maschine wies an Rumpf, Tragflächen und den nach oben geknickten Außenflügeln – den sogenannten „Winglets“ – die Rufkennung Kite-Alpha-4 auf. Und dann war da noch das Staffelwappen in Form eines Milanvogels. Ein aufgemalter Namenszug unterhalb der Cockpitfenster auf beiden Seiten des Rumpfes verriet, wer diesen Jäger als verantwortlicher Pilot flog.

Der Lieutenant betrachtete ihn und spürte Stolz in sich aufsteigen. Sein Blick schweifte über die beiden Abschussmarkierungen in Form eines rauchenden Bunkers sowie eines zerstörten Waffenturms, die einen erfolgreichen Kampfeinsatz der Maschine und ihres Piloten dokumentierten.

Dieser Einsatz, ein Angriff auf eine Terroristenbasis auf dem Mars, lag inzwischen schon beinahe zwei Jahre zurück. Er hatte dem deutschen Jägerpiloten nicht nur zwei Auszeichnungen eingebracht, sondern ihm auch zum Dienstgrad eines Lieutenants verholfen.

Marc Ewert wendete den Blick von der Maschine ab und sah sich um.

Nachdem die Staffel- und Schwarmführer die letzten Einweisungen vorgenommen hatten, schienen auf dem Rollfeld die Arbeiten langsam in Gang zu kommen.

Automatische Arbeitseinheiten, die während der vergangenen beinahe zwanzig Monate nur untätig in ihren Depots und Wartungsboxen gestanden hatten, wuselten jetzt auf dem stählernen und mit einer Spezialbeschichtung versehenen Deck umher.

Elektrische Fahrzeuge, sogenannte UTVs (UTV – Utility-Transport-Vehicle), surrten über speziell markierte Fahrwege. Sie brachten Werkzeuge, Schmiermittel und Ersatzteile zu den Flugmaschinen.

Zugleich öffneten die ersten Hangars in den Randbereichen ihre riesigen Tore, und aus immer mehr Fensterreihen des großen Inselgebäudes und der Seitenwände des Hangardecks drang Licht heraus.

Stimmengewirr hing in der Luft, irgendjemand scherzte sogar laustark.

Der Deutsche nahm unweit von sich eine Bewegung wahr und wandte den Kopf.

Ein Mann mit den Abzeichen eines Chief Petty Officers der Solaren Weltraumstreitkäfte – der Dienstgrad entsprach einem Feldwebel – näherte sich. Er hieß Barclay Foster und war als Techniker für die Einsatzbereitschaft des Cyclone-Raumjägers mit der Rufkennung Kite-Alpha-4 zuständig. Man durfte ihn getrost zu jener Sorte von Menschen zählen, die mit ihrer Arbeit verheiratet waren.

Marc Ewert hatte den Vierzigjährigen bisher nur ein einziges Mal nicht in Technikerklamotten erlebt und ihn damals beinahe nicht erkannt.

Tatsächlich gewann man bei dem Chief Petty Officer leicht den Eindruck, dass er mit seiner Kombination sogar ins Bett ging. Auch sein derzeitiger Aufzug passte in dieses Bild. Er trug über seiner Technikkombination eine Ausrüstungsweste mit stark ausgebeulten Taschen, die vermutlich bis an den Rand mit irgenwelchem Technikkram vollgestopft war. Die zahlreichen Schlaufen an den Außenseiten der Weste zeigten sich durchweg mit Werkzeug und Messgeräten bestückt, sodass Foster wie ein wandelnder Werkzeugständer aussah. Zu allem Überfluss trug er dazu auch noch einen breiten Ausrüstungsgürtel, an dem neben dicken Arbeitshandschuhen weitere Gerätschaften hingen. Auf diese Weise schwer bepackt, bewegte er sich mit etwas ungelenken Schritten auf den Cyclone-Jäger und den bei diesem sitzenden Lieutenant zu.

Letzterer war sich ziemlich sicher, dass der Feldwebel rund neunzig Prozent der Dinge, die an ihm hingen, momentan gar nicht brauchte. Aus diesem Grund konnte er sich bei der Begrüßung auch eine spitze Bemerkung nicht verkneifen: „Hallo, Chief, ich dachte immer, die Maschinen wären Ihre Freunde. Im Moment sehen Sie aber eher so aus, als wollten Sie sich auf den Kriegspfad gegen die Technik begeben.“

Barclay Foster begriff nicht gleich, sah dann aber an sich herab und setzte ein beinahe väterliches Lächeln auf. „Es kann bei der Arbeit nie verkehrt sein, immer alles in Griffweite zu haben.“

„Hauptsache, sie können sich bei dem vielen Zusatzgewicht noch halbwegs bewegen.“

„Ach was, das geht schon“, versicherte der Chief Petty Officer. Er gehörte zu jenen Menschen, die nur wenig sprachen und sich lieber tief in ihre Arbeit hineinknieten. Von der besonders flinken Sorte war Foster nicht, dafür aber von der sehr gewissenhaften. Für jemanden, auf dessen Schultern die Verantwortung für den einwandfreien technischen Zustand eines sehr komplexen Raumfahrzeuges lastete, stellte dies nicht unbedingt einen schlechten Wesenszug dar.

Die beiden Männer musterten sich einen Moment lang gegenseitig. Sie hatten sich das letzte Mal während des Einmottens der Flugmaschinen des Kampfgeschwaders gesehen, zu einem Zeitpunkt, an dem die Antares gerade erst den Saturn hinter sich gelassen hatte.

Zwischen damals und heute lagen beinahe zwei Jahre. Die meiste Zeit davon hatten der Techniker und der Jägerpilot im Kälteschlaf verbracht. Doch auch dieser lag inzwischen schon wieder mehr als vier Monate zurück, und sie waren sich selbst nach dem Zurückholen aus der Hibernation kein einziges Mal über den Weg gelaufen.

Was vielleicht daran lag, dass sie zwar im gleichen Geschwader dienten, dabei aber unterschiedlichen Bereichen zugeordnet waren. Denn während Barclay Foster Mitglied des Bodenpersonals war, zählte der Jägerpilot zum fliegenden Personal.

Die Angehörigen dieser beiden Teilbereiche arbeiteten zwar im Dienst oft und dann auch sehr eng miteinander zusammen, gingen sich aber außerdienstlich zumeist aus dem Wege.

Foster und Marc kamen trotzdem gut miteinander aus.

Das galt längst nicht für alle Bodentechniker und Piloten.

Der Deutsche stellte beim Mustern des Chief Petty Officers fest, dass dieser schlecht aussah.

Fosters Gesicht wirkte fahl und leicht eingefallen. Sein struppiges Haar wies an den Seiten einige neue graue Strähnen auf.

Der Chief Petty Officer gewann umgekehrt offenbar einen weitaus besseren besseren Eindruck. „Sie wirken frisch, Lieutenant. Die lange Reise hat Ihnen offenbar nicht geschadet.“

Marc schwieg und überlegte, wie er dem Techniker behutsam beibringen sollte, dass dieser absolut scheiße aussah.

Foster schien die Gedanken des jungen Lieutenants zu erahnen. „Tja, bei mir lief es nicht ganz so gut“, brummte er achselzuckend. „Dieser verdammte Kälteschlaf. Als die mich daraus zurückholten, hatte ich mit einigen Fehlzündungen zu kämpfen.“

„Fehlzündungen? Inwiefern?“

„Herz-Rhythmus-Störungen.“ Der Techniker sagte es in einem Ton, als rede er lediglich von einem unwichtigen Pickel. „Meine Pumpe geriet beim Zurückholen etwas aus dem Takt. Die Ärzte meinen, es hätte vielleicht an den Blutsalzen gelegen. Akuter Kalium- und Magnesiummangel.“

Marc und starrte den Techniker besorgt an. „Und wie geht es Ihnen jetzt, Chief?“

Der Feldwebel winkte ab. „Gut. Die behielten mich noch zwei Tage in der Bordklinik und päppelten mich mit Elektrolyten auf. Dann lief der Motor wieder rund. Allerdings...“ Er brach ab und sah nun etwas betreten drein.

„Allerdings was?“

„Die Damen und Herren Mediziner sind der Meinung, dass ich bei der nächsten Hibernation wieder zu einem Problemfall werden könnte.“

„Schätzen die das Risiko tatsächlich so hoch ein?“

„Tja, das kann ja niemand wirklich sagen.“ Barclay Foster zuckte die Schultern. „Die Skala reicht von ‚Es passiert gar nichts‘ bis ‚Es könnte ernsthafte Komplikationen geben‘. Was davon eintritt, ob überhaupt etwas geschieht, oder ob es vielleicht auch noch irgendetwas dazwischen gibt, werde ich erst wissen, wenn es wieder soweit ist. Ziemlich schlechte Aussichten, muss ich sagen. Ist aber leider nicht zu ändern.“

Marc sah den Mann nachdenklich an und empfand Mitgefühl.

Wenn die Antares nach dem Abschluss ihrer Mission wieder die Heimreise antrat, würde Chief Petty Officer Barclay Foster dem Kälteschlaf, der dann erneut auf sämtliche Menschen an Bord des Schiffes zukam, sicher mit sehr gemischten Gefühlen entgegensehen.

„Na schön, dann lassen sie uns mal anfangen, Lieutenant“, brummte der Techniker, der das unschöne Thema jetzt rasch beiseiteschieben wollte.

Der Raumpilot nickte.

Sie drehten zunächst gemeinsam eine Runde um den Allzweckraumjäger, der mit Ketten und Stahlseilen am Hangarboden verankert war, sodass er sich keinen Millimeter von der Stelle bewegen konnte. In gewisser Weise erinnerte er so an ein gefesseltes, wildes Tier.

Die erste Aufgabe bestand darin, die Cyclone von ihren Fesseln zu befreien. Im nächsten Schritt musste der Spezialschutzlack entfernt werden, der die gesamte Maschine zum Schutz ihrer radarabsorbierenden Beschichtung überzog und sie wie eine Schweineschwarte glänzen ließ.

Diese Arbeit erledigten Samson-Roboter mit Hilfe von chemischem Spezialschaum.

Dann kam der schwierigere Teil des Entmottens, der den Piloten und Bodentechnikern vorbehalten blieb. Neben den Spezialverschlüssen vor sämtlichen Öffnungen mussten sie auch die flüssigen Konservierungsstoffe entfernen, die sie vor einundzwanzig Monaten in sämtliche technischen Vorratsbehälter und Leitungssysteme gepumpt hatten, um unter anderem die Entstehung von Kondenswasser und damit Korrosion zu verhindern.

Es war keine sehr schöne Arbeit, denn so leicht, wie sich das Mittel hatte einfüllen lassen, wollte es nun leider nicht wieder heraus.

14. Dezember 2172 Solarian Union Ship „Antares“ Hangardeck Raumkampfgeschwader / Stellplätze Kite-Staffel

In der Luft über dem Hangardeck hing ein leicht beißender Geruch, der sich mit dem Duft von Chemikalien vermischte, die ebensowenig angenehm rochen.

Die Angehörigen der Raumjägerstaffel Kite pumpten gemeinsam mit den Bodentechnikern immer noch das Konservierungsmittel aus den Flugmaschinen ab und spülten sämtliche Leitungs- und Behältersysteme durch.

Doch die Arbeiten standen inzwischen kurz vor dem Abschluss.

Noch vor der Mittagspause wollten Barclay Foster und Marc Ewert Öl, Hydraulikflüssigkeit, Schmierfett sowie die eine Tonne Treibstoff der Alarmreserve in die Cyclone-Maschine gefüllt haben. Nur, um sich dann am Nachmittag die Spezialbehandlungen für die Fahrwerke, die Dichtungen sowie die Elektronik vornehmen zu können. Doch sie wurden unerwartet gestört.

Neben dem Raumjäger tauchten plötzlich die anderen drei Piloten des Kite-Alpha-Schwarms auf, mit ihren Technikern im Schlepptau.

„He, ihr beiden, Captain Porter hat eine zehnminütige Pause für alle befohlen“, rief First Lieutenant Santiago Mosquera den zwei Männern an der Cyclone zu. Mosquera, Schwarmführer und zugleich stellvertretender Staffelkommandeur von Kite, besaß als Kolumbianer einen dunklen, indigenen Teint. Mit seinem zerfurchten Gesicht wirkte er wesentlich älter, als sechsundwanzig. Dieser Eindruck wurde durch seine geölten und straff zurückgekämmten Haare noch verstärkt. Mit einer Körpergröße von lediglich 166 Zentimetern konnte der Südamerikaner aus Cartagena zwar keinen Eindruck schinden, dafür aber umso mehr mit seinem unglaublich gedrungenen Körperbau, der den Betrachter automatisch an einen Kleiderschrank denken ließ.

Marc Ewert machte ein Zeichen, dass er verstanden habe und blickte den Techniker neben sich fragend an.

Barclay Foster schüttelte leicht den Kopf und sagte: „Lassen Sie uns lieber erst die Steuerleitung fertig durchspülen, Lieutenant. Dann können wir Pause machen.“

Der Deutsche nickte, und sie arbeiteten weiter.

Dass die beiden Männer an der Cyclone trotz Aufforderung keine Anstalten machten, ihre Arbeit zu unterbrechen, stieß dem zweiten Piloten des Kite-Alpha-Schwarms, einem Portugiesen namens Carlos Amaral, sofort sauer auf. „He, ihr beiden, seid ihr taub? Ihr dürft eine Pause einlegen“, bellte er angriffslustig. Carlos Amaral kam aus dem Süden Portugals, von der Algarveküste. Er stellte als Mann eine durchaus beeindruckende Erscheinung dar. Mit seinem schwarzen Kraushaar, dem sorgfältig gestutzten Kinnbart sowie den markanten Gesichtszügen wirkte er energisch, auf gewisse Weise sogar regelrecht verwegen. Das gute Aussehen änderte allerdings nichts an seinem zynischen Wesen und seiner Überheblichkeit. Es war insofern nicht immer leicht, mit ihm auszukommen.

Besonders angespannt gestaltete sich das Verhältnis des Portugiesen zu Marc Ewert, der lediglich als Seiteneinsteiger in die Reihen der Solaren Weltraumstreitkräfte eingetreten war und die interstellare Reise mit dem Dienstgrad eines Ensigns – eines Unterleutnants – begonnen hatte.

Amaral selbst war Kampfpilot aus Überzeugung und vergötterte die Solaren Weltraumstreikräfte geradezu. Denn diese hatten ihm einen sozialen Aufstieg aus ärmlichen Verhältnissen ermöglicht. Insofern fehlte ihm jegliches Verständnis für den Deutschen, der nur deshalb einen Raumjäger flog, weil dies die einzige Chance auf eine Teilnahme an der interstellaren Reise ins Siriussystem gewesen war.

Obwohl der Ensign-Dienstgrad Marc Ewerts inzwischen Geschichte war, und der vierte Schwarmpilot seine fliegerischen Fähigkeiten bereits unter Beweis gestellt hatte, sah Carlos Amaral ihn nach wie vor als Belastung und Zumutung für die Einheit an. Und so reizte ihn auch jetzt wieder dessen Verhalten. „Verdammtes Streberpack“, stieß er hervor.

Marc hatte inzwischen gelernt, dass es das Beste war, die Sticheleien und Provokationen des Portugiesen einfach zu ignorieren. Und so blieb er auch jetzt eine Antwort schuldig.

Chief Petty Officer Foster richtete sich dagegen auf und wischte sich die klebrigen Hände an den Hosenbeinen seiner Technikeruniform ab. „Immer mit der Ruhe. Wir sind gleich soweit“, erklärte er.

„Schon gut, macht nur eure Arbeit fertig. Wir warten“, erwiderte Santiago Mosquera gutmütig. Trotz seines brutalen Körperbaus und der verwitterten Gesichtszüge, die ihm ein düsteres, ja beinahe gewalttätiges Aussehen verliehen, gehörte er eher zu den ruhigen und besonnenen Menschen.

Carlos Amaral schien keineswegs einer Meinung mit dem Schwarmführer zu sein. Er zog eine ärgerliche Grimasse und stellte aufgebracht den Eimer mit dem abgepumpten Konservierungsmittel auf dem Boden ab. Dabei fiel sein Blick in das Behältnis hinein.

Das ehemals flüssige Mittel war schon stark angedickt und hatte sich in klebrigen Schlamm verwandelt.

Der Portugiese überlegte kurz. Dann stahl sich ein schadenfroher Zug in sein Gesicht. Er langte in den Eimer hinein und holte etwas von der Masse heraus. „Hm, das Zeug klebt wie die Pest. Ich wette, dass es überall haften bleibt.“

Die dritte Schwarmpilotin, Lieutenant Yini Chang schien zu ahnen, was der Portugiese vorhatte. Sie krauste die Stirn und forderte dann kopfschüttelnd: „Hör auf mit dem Mist, Carlos.“

Der Pilot von Kite-Alpha-2 beachtete die Chinesin nicht. Seit er mit seinen Avancen bei ihr abgeblitzt war, ordnete sie sich auf seiner Unbeliebtheitsskala gleich hinter dem Deutschen ein.

Was allerdings auf Gegenseitigkeit beruhte. Denn Chang brachte dem Portugiesen auch nicht gerade viel Sympathie entgegen. Und sie gab sich auch nicht die geringste Mühe, dies zu verbergen. Es waren wohl vor allem die zynische Art Amarals und seine sexistischen Äußerungen, die sie abstießen. Sein machohaftes Auftreten ihrer gegenüber verstärkte die Abneigung noch.

Carlos Amaral formte jetzt den Konservierungsschlamm zu einer Kugel und begutachtete diese grinsend. Dann hob er den Blick und sah sich um.

In nur wenigen Metern Entfernung stand ein Samson-Roboter neben einem Pumpaggregat und wartete unbeweglich auf den Einsatzbefehl zum Abspritzen der nächsten Maschine mit chemischer Lauge.

Amaral zögerte nur einen Augenblick lang, schleuderte dann aber die Kugel in Richtung des Automaten.

Das Geschoss ging zu kurz und landete auf dem Hangarboden.

Der Jägerpilot zerbiss einen Fluch, formte einen weiteren klebrigen Ball und warf erneut.

Diesmal traf die Masse die Maschine im Rücken und blieb tatsächlich an deren stählernen Torso kleben.

Der Samson rührte sich nicht. Es war nicht einmal klar, ob er den Treffer an seinem Rumpf überhaupt wahrgenommen hatte.

Der Portugiese knetete daraufhin eine neue Kugel. „He, Welpe, wie wäre es, wenn du uns mal wieder eine kleine Vorstellung von deinen Wurfkünsten lieferst“, rief er und blickte herausfordernd zu Marc hinüber.

Die Bemerkung spielte auf das Talent des Deutschen an, bestimmte Dinge mit unglaublicher Präzision vollbringen zu können. Zu verdanken hatte der vierte Schwarmpilot seine außergewöhnlichen Fähigkeiten offenbar einem überdurchschnittlich entwickelten visuellen und räumlichen Vorstellungsvermögen, das sich mit der Fähigkeit zu einem Höchstmaß an Konzentration und Koordination paarte. Alle diese Eigenschaften waren allerdings im Unterbewusstsein angesiedelt und wurden über Instinkte gesteuert, auf die der Lieutenant selbst kaum Einfluss besaß. Dank ihnen war er jedoch unter gewissen Umständen zu Dingen fähig, die andere Menschen in Staunen versetzten.

Die Ausbilder an der Pilotenschule hatten für diese Gabe einen Begriff geprägt – Intuitive Präzision.

Sie offenbarte sich in verschiedenen Situationen – am Steuer einer Flugmaschine oder eines Bodenfahrzeuges, beim Schießen mit einer Waffe, bei einem Geschicklichkeitsspiel oder auch bei einem Kunststück, bei dem Augenmaß, Konzentration und Koordination gefragt waren.

Und es zählten eben auch weite Distanzwürfe dazu, bei denen Marc Ewert sein Ziel praktisch nie verfehlte.

Obwohl Amaral selbst schon Zeuge von den seltsamen Fähigkeiten des Deutschen geworden war, glaubte er immer noch nicht so recht an sie und stempelte sie immer wieder als falschen Hokuspokus und reine Glückssache ab. Gleichzeitig lockte er den vierten Schwarmpiloten nur gar zu gern aus der Reserve und ließ keine Chance ungenutzt, ihn zu provozieren und herauszufordern. Und genau das hatte er auch jetzt wieder vor. „He, was ist denn nun, Welpe?“, rief er, als der Lieutenant die erste Aufforderung einfach ignorierte.

Da der Deutsche weiterhin nicht reagierte, schleuderte der Portugiese jetzt das weiche Wurfgeschoss in dessen Richtung.

Die klebrige Masse verfehlte ihr Opfer und landete mit einem seltsamen Schmatzen auf dem Hangarboden.

Marc warf Carlos Amaral rasch einen Blick zu, arbeitete dann aber weiter. Gleich darauf spürte er, wie ihn ein Stück Masse am Schulterblatt traf und klebenblieb. Er unternahm gar nicht erst den Versuch, die Masse zu entfernen, da er wusste, dass er nicht ohne großartige Verrenkungen an die Stelle herankam. Diese Blöße wollte er sich vor den Zuschauern nicht geben. Denn neben den Jägerpiloten sahen auch die Techniker zu.

Chief Petty Officer Barclay Foster richtete sich jetzt auf und wandte sich zu dem Portugiesen um. „He, Lieutenant, sind wir hier etwa im Kindergarten?“

„Ach was, ein bisschen Pausenspaß kann nicht schaden“, gab der Angesprochene zurück, und formte schon das nächste Wurfgeschoss. „He, Welpe, ich glaube, du musst mal deine Uniform reinigen.“

Marc richtete sich auf und sah zu seinem Schwarmführer hin.

Yini Chang tat das ebenfalls und fragte: „Santiago, willst du die Kinderei nicht unterbinden?“

Der Gefragte deutete ein leichtes Schulterzucken an. So lange sich seine Leute nicht prügelten, sah er keinen Grund zum Eingreifen.

Carlos Amaral kicherte und erklärte dann an die Adresse Changs: „Halt du dich da schön raus, Miss Hongkong.“ Dann warf er erneut.

Marc war diesmal auf der Hut und wich in einer knappen Bewegung aus, sodass der Wurf fehlging.

Amaral ärgerte sich jetzt und unternahm gleich noch einen weiteren Versuch.

Allerdings gelang es seinem Ziel erneut, dem klebrigen Klumpen auszuweichen.

„Verdammt, Welpe, nun sei doch mal ein Mann und stelle dich“, rief der Portugiese erbost. Er formte nun einen besonders großen Ball aus dem klebrigen Schlamm und schleuderte diesen mit aller Kraft.

Marc duckte sich, sodass die Ladung über ihn hinwegsauste und gegen den Rumpf des Cyclone-Jägers patschte.

„Das geht jetzt aber wirklich zu weit“, grunzte Barclay Foster ärgerlich und kratzte den Schlamm von der Beplankung der Maschine ab. Er wollte sie in einen Eimer plumbsen lassen, überlegte es sich jedoch anders. „Lieutenant, halten Sie bitte mal die Hand auf.“

„Was? Wozu?“

Statt einer Antwort drückte Foster Marc die Masse in die Hände. „Hier bitteschön. Machen Sie was draus, Lieutenant. Zeigen Sie’s dem Kerl.“

Jemand von den zuschauenden Technikern feixte und meinte voller Vorfreude: „Jetzt wird die Sache endlich mal interessant.“

Santiago Mosquera wurde nun doch unruhig und sah sich unschlüssig um. Wenn Captain Porter sah, was sie hier für Unsinn trieben, gab es möglicherweise Ärger. „Hör mal Carlos, lass den Quatsch“, erklärte er seinem zweiten Schwarmpiloten gegenüber etwas lahm.

Amaral grinste nur und ignorierte die Bemerkung. Er hatte Blut geleckt und wollte dem vierten Schwarmpiloten jetzt unbedingt eine Abreibung verpassen. Daher schickte er sich an, ein neues Wurfgeschoss zu formen. Er kam jedoch nicht dazu, denn plötzlich patschte etwas gegen seine Brust. Der Portugiese stierte überrumpelt auf die klebrige Masse. „He, Welpe, ich war noch gar nicht bereit“, protestierte er, stieß aber gleich darauf ein überraschtes Grunzen aus, als ein weiterer Klumpen gegen seine andere Brusthälfte klatschte.

„Wow, jetzt haben Sie richtig heiße Brüste, Lieutenant“, stellte Barclay Foster trocken fest.

Einige Techniker lachten.

Carlos Amaral war einen Moment lang verdutzt, reagierte aber dann. Er holte mit grimmigem Gesichtsausdruck zum Wurf aus. Allerdings traf ihn in diesem Moment die dritte Ladung des Deutschen – genau in den Schritt. In einer instinktiven Schutzbewegung griff er sich an die Uniformhose in Höhe seines Geschlechtsteils.

Das sah so ulkig aus, dass die zuschauenden Fluggerätetechniker in lautes Gelächter ausbrachen.

Der Schwarmführer wusste währenddessen nicht, ob er lachen, oder dem Ganzen jetzt rasch und energisch ein Ende setzen sollte.

Ehe er diesbezüglich zu einem Entschluss kam, ließ sich Yini Changs vorwurfsvolle Stimme vernehmen. „Und ihr wollt erwachsene Männer sein“, stieß sie verächtlich hervor und warf Santiago Mosquera kopfschüttelnd einen Blick zu.

Der fühlte sich jetzt von der Kampfpilotin doch etwas genötigt und hob die Hand: „Okay, Leute, schluss jetzt. Der Spaß ist vorbei.“

Amaral sah einen Moment lang aus, als wollte er protestieren. Er ließ es aber dann, als er bemerkte, wie sich ihnen der Staffelführer näherte. Sich rasch den Matsch von der Hose klaubend, knurrte er in Richtung des Deutschen: „Hast Glück, Welpe. Dieser Punkt geht an dich. Genieße ihn, so lange du kannst.“

15. März 2172 Solarian Union Ship „Antares“ Wohnsektion / Rumpfebene 64 / Unterkunft 64.086

Marc Ewert öffnete die Augen und starrte in das fahle Dunkel seiner Wohnkabine. Irgendetwas hatte ihn aus seiner Tiefschlafphase gerissen, sodass er sich jetzt nur mühsam zurechtfand.

Die Digitaluhr auf dem großen Videoschirm an der Wand zeigte 2.43 Uhr Bordzeit. Es war tiefe Nacht.

Die gesamte Kite-Staffel hatte bis in den späten Abend hinein geschuftet, um das Entmotten der Flugmaschinen abzuschließen. Die Arbeit war zwar körperlich nicht übermäßig anstrengend gewesen, hatte sie alle jedoch erst sehr spät ins Bett kommen lassen.

Jetzt fragte sich Marc Ewert, was ihn geweckt haben mochte. Sein Instinkt sagte ihm, dass etwas nicht stimmte. Und zwar nicht in seinem Traum, sondern in der Wirklichkeit. Selbst im Tiefschlaf hatte sein Körper die Erschütterung gespürt – ein heftiges Erzittern der Welt, die ihn umgab.

Obwohl es beinahe nicht sein konnte, dass ein Raumschiff von fast sechs Kilometern Länge mit einem Gewicht im vielfachen Megatonnenbereich schwankte, wusste der Raumpilot, dass es durchaus möglich war. Er hatte es vor fast zwei Jahren schon einmal erlebt. Er erinnerte sehr deutlich an jenen Moment. Damas hatte er gemeinsam mit seiner Rottenführerin in einer der Seitengalerien der Antares gesessen und mit eigenen Augen die Auswirkungen eines Terroranschlags auf das in Sichtweite liegende Schwesterschiff Independence beobachten können.

Die damalige gewaltige Explosion an einem der beiden 12-Gigawatt-Hauptfusionsreaktoren der Independence hatte nicht nur diese selbst, sondern auch den ungleich größeren Weltraumbahnhof Cassandra inklusive aller dort festgemachten Raumschiffe erbeben lassen.

Nun hatte es erneut eine Erschütterung gegeben. Irgendetwas musste also geschehen sein – etwas Schwerwiegendes, etwas ganz Furchtbares.

Der Jägerpilot horchte angestrengt. Doch es herrschte, abgesehen von den typischen Hintergrundgeräuschen, wie es sie überall an Bord eines Raumschiffes gab, Stille. Die Sinne des Piloten vermochten jetzt auch keine Vibration mehr wahrzunehmen. Hatte er vielleicht doch nur schlecht geträumt?

Dann kreischte mit einem Schlag der Alarm los, schrill und beinahe ohrenbetäubend.

Der Videoschirm an der gegenüberliegenden Wand, der soeben noch einen großen, durch das All gleitenden Raumfrachter namens Adventure Star gezeigt hatte, wechselte jetzt sein Motiv.

Die Blicke des Lieutenants wandten sich automatisch ihm zu.

Über den Schirm lief jetzt in riesigen Lettern grelle Schrift. Gleichzeitig zeigte seine blinkende Umrandung ein kräftiges Orange.

Dann brach der schrille Alarmton abrupt ab.

Stattdessen meldete die Smart-Home-KI des Wohnquartiers mit seltsam sanfter Stimme: „Alarmstufe Orange – ein schwerer Schaden in der Antriebssektion.“

Marc war nun vollends wach. Er schwang sich aus dem Bett und begann sich anzuziehen.

Die unsichtbaren Sensoren der Künstlichen Intelligenz registrierten dies und tauchten das Zimmer in ein mattes Licht. Da es sich nicht um die Notbeleuchtung, sondern um das normale Nachtdämmerlicht handelte, schien die Energieversorgung des Schiffes zu funktionieren.

Marc hielt das für ein gutes Zeichen. Er tastete nach der Nachttischablage neben dem Kopfende. Seine Finger schlossen sich um die Silberkette mit dem kleinen Milan aus Kristall, die dort lag.

Die kleine Figur stellte keineswegs nur ein hübsches Schmuckelement dar. Es enthielt vielmehr einen Identifikationsschip sowie einen kleinen Speicher mit persönlichen Daten und Erinnerungsbildern.

Der junge Raumpilot hing sich die Kette rasch um, legte den Armbandcomputer an und fuhr in seine Unterwäsche. Er war sich inzwischen so gut wie sicher, dass er sich die Erschütterung des gigantischen Schiffes nicht einfach nur eingebildet hatte.

Somit konnte es sich bei dem ausgelösten Alarm auch nicht um eine Übung handeln, wie es sie in der Vergangenheit immer wieder gegeben hatte.

Immerhin entsprach „Orange“ nicht der höchsten Alarmstufe. Es wurden also nicht alle zwölftausend Menschen an Bord des Schiffes aus den Betten geholt, sondern nur die Besatzung. Das wiederum ließ den Schluss zu, dass der gemeldete Schaden in der Antriebssektion nicht existenzbedrohend für das Schiff war.

„Computer, was sagt das persönliche Notfallprotokoll?“

„Persönliches Notfallprotokoll wird aufgerufen. Sämtlichen Mitgliedern des Raumkampfgeschwaders ist der obere Steuerbordhangar als Alarmstation zugewiesen.“

Marc hastete in den Flur und holte seinen Raumanzug aus dem Schrank. Mit fahrigen Bewegungen zwängte er sich in das Ding hinein. „Computer, kannst du mir etwas über die Art des Schadenns in der Antriebssektion sagen.“

„Leider nein. Mir liegen diesbezüglich keine genaueren Informationen vor.“ Die melodische Frauenstimme klang, als würde sie diesen Umstand tatsächlich bedauern.

„Gibt es diesbezüglich tatsächlich keine genaueren Informationen, oder lässt dich der Schiffscomputer nur nicht auf sie zugreifen?“

„Diese Frage ist spekulativ. Ich kann sie daher nicht beantworten“, erklärte der Computer freundlich.

Marc zerbiss einen Fluch, während er den Oberkörper- und den Unterleibspanzerschutz anlegte. Dann versuchte er es anders: „Was weißt du über die Ursache des Schadens?“

„Mir liegen zu den Ursachen keine genaueren Informationevor.“

Mist, dachte der Jägerpilot und fuhr mit den Füßen rasch in die Anzugstiefel. Er griff nach seinem Helm und verließ die Kabine.

Draußen auf dem Korridor herrschte Aufregung.

Angehörige des Raumkampfgeschwaders rannten vorbei.

Fünf Meter weiter, auf der anderen Seite des Gangs, stand Lieutenant Yini Chang. Als die zierliche Raumjägerpilotin ihren Rottenkameraden bemerkte, nickte sie ihm knapp zu.

Gleich darauf trat der Schwarmführer aus der Tür seiner Wohneinheit und sah sich um. „Wo zum Teufel steckt Carlos?“, fragte er ungehalten, als er den zweiten Schwarmpiloten nicht entdeckte.

Die Chinesin hob die Schultern.

„Wir haben ihn noch nicht gesehen“, erklärte Marc.

„Verdammt, immer der gleiche Mist mit dieser Schlafmütze“, knurrte der First Lieutenant und setzte sich in Bewegung.

Die Jägerpilotin und Marc folgten ihm.

Sie hatten die Unterkunft des zweiten Schwarmpiloten noch nicht ganz erreicht, als dieser aus seiner Tür trat.

„Man, du bist vielleicht eine Triefnase“, ranzte Mosquera den Portugiesen an. „Los, weiter und ab zur Waffenkammer.“

Eine seelenlose Computerstimme hallte plötzlich durch den Gang: „Achtung, dies ist ein orangener Alarm. Das Schiff hat Schäden. Alle Besatzungsmitglieder begeben sich sofort auf die gemäß ihrer persönlichen Alarmprotokolle vorgesehenen Stationen. Alle Passagiere haben in ihren Wohneinheiten zu bleiben und diese bis auf weitere Anweisung nicht zu verlassen.“

Die vier Piloten des Kite-Alpha-Schwarms erreichten die Waffenkammer, an der bereits Waffen und Ausrüstung ausgegeben wurden.

Heute funktionierte dies ganz gut. Bei einigen früheren Übungsalarmen war dies nicht der Fall gewesen.

Marc schnallte sich seinen Waffengürtel mit der Laserpistole und den Taschen für die Reserveenergiemagazine um. Dann liefen sie auch schon weiter, und folgten ihrem Alarmweg in Richtung des Steuerbordhangardecks.

„Los Leute, die vier Kilometer schaffen wir heute wieder in Rekordzeit“, spornte der Schwarmführer seine drei Leute an.

Was bedeutete, dass sie die Strecke bis aufs Steuerbordhangardeck zu ihren Flugmaschinen in weniger als zwanzig Minuten bewältigen mussten. Bei den letzten Probealarmen war ihnen das immer gelungen, insofern ihnen nicht irgendwelche geschlossenen Schotts und abgeriegelten Abteilungen größere Umwege aufgezwungen hatten. Diesmal gab es weder das eine, noch das andere, sodass sie auf direktem Weg den Zugang zur Steuerbordflügelsektion erreichten.

Überall bezogen gerade Space-Infanteristen Sicherungsposten. Obwohl sie finster dreinblickten, hielten sie niemanden auf, sondern beobachteten die hastigen Bewegungen um sich herum nur.

„Achtung, dies ist ein orangener Alarm“, meldete sich der Bordcomputer erneut in den Korridoren und Abteilungen des Schiffes zu Wort. „Das Schiff ist im Bereich des Antriebs beschädigt. Alle Besatzungsmitglieder halten sich weiterhin an ihre Alarmprotokolle und begeben sich sofort auf die ihnen zugewiesenen Stationen. Für alle Passagiere gilt – bleiben Sie in Ihren Unterkünften. Verlassen Sie diese auf keinen Fall, es sei denn, Sie werden durch Besatzungsmitglieder mit den entsprechenden Befugnissen ausdrücklich dazu aufgefordert. Halten Sie sich bereit für weitere Anweisungen. Schalten Sie Ihre Mediaanlagen ein und gehen Sie auf Kanal fünfzehn. Über diesen können Sie weitere Anweisungen empfangen. Sehen Sie von unnötigen Telefonaten ab und halten Sie die Intercom-Verbindungen frei.“

Diese Ansage erfuhr noch zwei Wiederholungen.

Die vier Mitglieder des Kite-Alpha-Schwarms erreichten mit anderen Angehörigen des Raumkampfgeschwaders das hell erleuchtete Steuerbordhangardeck.

„Okay, zwei Minuten unter der Normzeit“, erklärte Santiago Mosquera nach einem Blick auf seinen Handgelenkcomputer und schnappte nach Luft. Der schnelle Lauf im Raumanzug mit der Ausrüstung hatte ihn erschöpft. Mit seiner untersetzten, bulligen Figur war er nicht gerade ein Läufertyp.

Marc erreichte seine Maschine.

Kurz darauf erschienen auch seine beiden „Passagiere“, bei denen es sich um Chief Petty Officer Barclay Foster sowie eine Wartungstechnikerin aus dem Waffenbereich namens Joan Sterret handelte.

Der Deutsche fuhr die Schleusenluke seines Cyclone-Raumjägers herab, während sich der Techniker bereits an der Fremdstromversorgung zu schaffen machte.

Sie wollten an Bord der Maschine gehen, als eine laute Ansage durch die Weite des Hangardecks hallte. Die kräftige Stimme gehörte nicht dem Schiffscomputer, sondern dem Kommandeur des Raumkampfgeschwaders, Commodore Igimundur Asvidursson: „An alle Mitglieder des Geschwaders. Halten Sie sich an Ihren Alarmstationen bereit, und erwarten Sie weitere Befehle. Die Flugmaschinen bleiben an der Fremdstromversorgung, und die Bordsysteme werden nicht hochgefahren.“

Barclay Foster, Joan Sterret und Marc wechselten fragende Blicke miteinander.

„Was soll das nun wieder?“, fragte die Technikerin aus der Waffenwerkstatt, die den Fähnrichsdienstgrad eines Warrant Officer Class 1 besaß.

Die beiden Männer antworteten nicht, da sie es ebensowenig wussten.

Barclay Foster schloss den Cyclone-Jäger wieder an die Fremdstromversorgung an.

Dann setzten sie sich gemeinsam auf die Treppe der herabgelassenen Schleusenluke und sahen sich um.

„Scheint mir wieder nur eine Übung zu sein“, mutmaßte Sterret.

„Das glaube ich nicht“, widersprach Marc. „Kurz, bevor der Alarm losging, habe ich etwas gespürt. Das Schiff hat leicht gewackelt.“

„Das Schiff hat gewackelt?“ In der Stimme der Waffentechnikerin schwangen tiefe Zweifel mit. Sie schien nichts bemerkt zu haben.

„Ich habe es auch gespürt“, bestätigte Barclay Foster. „Das hier ist kein Übungs- und erst recht kein Fehlalarm. Es muss tatsächlich etwas passiert sein. Wenn man den Alarminformationen glauben darf, und ich befürchte, dass auch die nicht frei erfunden sind, dann hat sich irgendeine ganz miese Sache in der Antriebssektion abgespielt.“

„Vielleicht hat uns etwas von außen Kommendes im Heckbereich getroffen“, überlegte Joan Sterret. „Immerhin schwirrt hier im System eine Menge Materie herum.“

„Das halte ich für eher unwahrscheinlich“, antwortete Foster. „Das würde ja bedeuten, dass unsere Schiffsabwehr komplett geschlafen hat. Man kann zwar nicht einhundertprozentig ausschließen, dass dort gerade ein komplettes Team von Schnarchnasen die Wache hatte, aber die meisten Vorgänge laufen doch ohnehin völlig automom ab.“

Er hatte Recht. In dem Moment, in dem die Fernradaranlagen des Schiffes anfliegende Objekte erkannten und die Erfassungsdaten an die Schiffsabwehr weiterleiten, wurde in den Steuer- und Überwachungszentralen der Abwehrstationen automatisch Alarm ausgelöst.

Die Stationskommandanten nahmen dann eine Bewertung des Sachverhalts vor und schätzen ab, ob es sich wirklich um eine Bedrohung handelte. Wenn dem so war, genügten ein kurzer Befehl und ein einfacher Druck auf die Feuertaste, um die Abwehrsysteme auszulösen.

Sterret vermochte sich trotz der Bemerkung des Technikers nicht so rasch von der Vorstellung eines Einschlags im Heck des Schiffes zu lösen. Sie spekulierte noch eine ganze Weile munter weiter, ohne zu merken, dass ihr die beiden Männer irgendwann gar nicht mehr zuhörten.

15. März 2172 Solarian Union Ship „Antares“ Steuerbord-Flügelsektion / Hangardeck Raumkampfgeschwader

Der junge Raumjägerpilot und seine beiden Passagiere hockten noch immer auf der Treppe der Schleusenluke des Cyclone-Raumjägers.

Marc blickte prüfend die Zeitanzeige seines Handgelenkcomputers. Es ging bereits auf fünf Uhr morgens zu. Das hieß, sie saßen jetzt schon mehr als zwei Stunden untätig hier an der Flugmaschine herum.

Seit Commodore Igimundur Asvidursson über die Lautsprecher die Anweisung zum Abwarten erteilt hatte, herrschte eine seltsame Stille, die absolut nichts Beruhigendes an sich hatte. Sie sorgte vielmehr für eine stetig wachsende Nervosität.

Es gab auch keine Alarmdurchsagen mehr, aus denen man hätte vielleicht schließen können, was sich an Bord des Schiffes tatsächlich abspielte. Falls da Dinge vor sich gingen, so geschahen sie außerhalb des Dunstkreises der Menschen bei den Flugmaschinen.

Marcs spürte die eigene Müdigkeit. Sein Körper forderte zunehmend sein Recht auf den verlorengegangenen Schlaf ein. Um der Trägheit nicht nachzugeben, erhob sich der Deutsche und sah in die Runde.

Die Piloten sowie ihre Alarmpassagiere an den anderen Maschinen saßen oder standen ebenfalls nur ratlos herum.

An der Cyclone mit der Rufkennung Kite-Alpha-2 lag sogar jemand lang ausgestreckt auf dem Boden und schien zu schlafen, was aufgrund des Raumanzuges mit dem Panzerschutz sowie dem Waffengürtel furchtbar unbequem sein musste.

Marc brauchte nicht lange darüber nachzudenken, wer diese Person war, die sich in sehr provokatorischer Weise auf dem Boden rekelte.

Falls Lieutenant Carlos Amaral so seinem Protest gegen die sinnlose Warterei Ausruck verleihen wollte, dann hatte er nicht wirklich Erfolg damit. Denn es beachtete ihn niemand.

Ein Trupp Space-Infanteristen rannte im Laufschritt an der Maschine vorbei. Die Frauen und Männer trugen nicht ihre schwarzblauen Kampfkombinationen, sondern gleich allen anderen hier auf dem Hangardeck ihre Raumanzüge mit den Helmen und der kompletten Ausrüstug. Sie waren schwer bewaffnet und beachteten die gaffenden Geschwaderleute nicht.

Marc sah ihnen nach und fragte sich, woher sie kamen, und warum sie jetzt zum Inselgebäude hasteten. Ratlos warf er einen Blick auf Barclay Foster und die Waffentechnikerin, die immer noch auf der Treppe der Schleusenluke des Jägers saßen.

Die beiden gaben unfreiwillig ein komisches Bild ab.

Der Chief Petty Officer döste vor sich hin und stand kurz vor dem Wegnicken. Sein Kopf sank ständig herab, zuckte aber immer wieder hoch, was ziemlich lustig aussah.

Joan Sterret hatte den Kampf gegen ihre Müdigkeit bereits verloren. Ihr Kopf lehnte an der Schulter Fosters. Ihr Mund war dabei leicht geöffnet und gab leise Schnarchgeräusche von sich. Gleichzeitig sabberte sie ihren Technikerkollegen mit einem dünnen Speichelfaden voll. Es war unklar, was sie hochfahren ließ, aber sie hob plötzlich en Kopf und sah mit irritiertem Blick um sich. Einen Moment lang schien sie gar nicht zu wissen, wo sie sich befand, und was sie eigentlich hier machte. Als ihr diese beiden Sachen wieder klar wurden, betrachtete sie einen Moment lang peinlich berührt den von ihrer Spucke feucht glänzenden Ärmelstoff Barclay Fosters. Dann bemerkte sie den Blick des Raumjägerpiloten und räusperte sich. „Ich muss wohl eingeschlafen sein. Habe ich etwa geschnarcht?“

„Nicht so laut, als dass Sie jemanden geweckt hätten“, antwortete Marc lächelnd.

Joan Sterret verzog leicht das Gesicht. „Irgendetwas verpasst habe ich hoffentlich auch nicht.“

„Nein.“

„Glauben Sie, dass hier heute noch etwas geschieht, Lieutenant?“

Der Gefragte hob die Schultern.

„Diese dämliche Warterei ist echt ätzend“, stieß die Waffentechnikerin hervor. „Scheint wohl doch nicht so schlimm um uns alle zu stehen.“

Sie hatte die letzte Bemerkung kaum ausgesprochen, da hallte die von Lautsprechern verstärkte Stimme Commodore Igimundur Asvidurssons über das Hangardeck: „An alle Mitglieder des Geschwaders. Stellen Sie den Ursprungszustand an Ihren Stationen wieder her, und begeben Sie sich anschließend umgehend auf den Platz vor dem Inselgebäude. Die Staffelführer