Vorauskommando - Peter Schindler - E-Book

Vorauskommando E-Book

Peter Schindler

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Beschreibung

Dies ist nach den Titeln Sternenflug, Drachenfeuer, Himmelfahrtskommando, Scheideweg sowie Planetarlandung die Fortsetzung und zugleich der sechste Band der Geschichte um Marc Ewert und die Mission rund um den extrasolaren Planeten Tarnas B300433-A. Nach einem schwierigen Flug vom Raumschiff hinab zum Planeten ist die Vorhut mehr oder weniger glücklich auf dessen Oberfläche gelandet. Die neunundneunzig Frauen und Männer, zu denen auch Corporal Marc Ewert gehört, sind die ersten Menschen, die ihren Fuß auf den Boden des immer noch weitgehend unbekannten Felsplaneten setzen. Ihre Aufgabe ist es, die Umgebung des Landegebietes zu erkunden und einen geeigneten Ort für den Bau einer Bodenbasis zu finden. Dass sie keine leichte Mission erwartet, wissen sie. Was sie dann allerdings tatsächlich auf dem Boden des Himmelskörpers erleben, übertrifft ihre kühnsten Erwartungen und zugleich ihre schlimmsten Befürchtungen. Denn die extraterrestrische Welt von Tarnas B300433-A hält viele Überraschungen und noch sehr viel mehr Gefahren bereit. Dabei sind es längst nicht nur die planetaren Bedingungen, die dem Vorauskommando zu schaffen machen. Die Menschen müssen auch sehr bald erkennen, dass sie nicht allein sind. Die Schwierigkeiten nehmen zu, die Vorräte gehen zur Neige, und die Mission erweist sich am Ende auch noch als ein Wettlauf gegen die Zeit.

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Seitenzahl: 954

Veröffentlichungsjahr: 2020

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„Denke nicht an das, was dir fehlt, sondern an das, was du hast! Diese Buchreihe ist meiner Familie gewidmet, die meinen größten und wertvollsten Schatz darstellt. Vielen Dank für euer Verständnis, euer Vertrauen sowie eure Unterstützung.“

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1 – Die Zeremonie

Kapitel 2 – Erkundung

Kapitel 3 – Lebensspuren

Kapitel 4 – Die Spalte

Kapitel 5 – Die Unterwelt

Kapitel 6 – Der Orkan

Kapitel 7 – Der weite Marsch

Kapitel 8 – Am neuen Ort

Kapitel 9 – Die Entscheidung

Kapitel 10 – Die letzte Maßnahme

Kapitel 11 – Das erste Modul

Epilog

Nachwort

Personenverzeichnis

Glossar

Dieses Buch ist Teil 6 einer aus insgesamt zehn Bänden bestehenden Reihe mit einer chronologisch fortlaufenden Geschichte.

Weitere Titel aus dieser Reihe sind:

Buch 1 --- Sternenflug

ISBN: 978-3-7460-4314-2 (Druckausgabe)

ISBN: 978-3-7494-6102-8 (E-Book)

Buch 2 --- Drachenfeuer

ISBN: 978-3-7412-8431-1 (Druckausgabe)

ISBN: 978-3-7481-4563-9 (E-Book)

Buch 3 --- Himmelfahrtskommando

ISBN: 978-3-7504-2492-0 (Druckausgabe)

ISBN: 978-3-7504-7660-8 (E-Book)

Buch 4 --- Am Scheideweg

ISBN: 978-3-7504-4118-7 (Druckausgabe)

ISBN: 978-3-7504-8866-3 (E-Book)

Buch 5 --- Planetarlandung

ISBN: 978-3-7519-5153-1 (Druckausgabe)

ISBN: 978-3-7519-4357-4 (E-Book)

Buch 7 --- Die Basis

Buch 8 --- Drachenwelt

Buch 9 --- Planetarerkundung

Buch 10 --- Leviathan

Prolog

Major Lucas Saributua, momentan Schichtleiter im Einsatzüberwachungszentrum von Solarian Union Ship Independence ISV-11, sah sich um.

Das kleine Reich, das momentan seiner Verantwortung unterstand, befand sich auf Commando-Level-3 im hinteren Teil des gewaltigen Kommandoturms des Raumschiffes. Damit lag es nicht nur auf der gleichen Ebene, wie die Schiffszentrale der Independence, sondern besaß auch ganz ähnliche Dimensionen. Einem großen, fensterlosen Saal gleichend, war es mit langen Reihen aus vielfältigen Überwachungsstationen vollgestopft. Seine beiden Seitenwände wurden von großflächigen Bildmonitoren und Holoprojektortischen eingenommen, während es im rückwärtigen Teil eine Tribüne mit zahlreichen Zuschauersitzplätzen gab.

Wer auf Letzteren saß, hatte nicht nur einen wunderbaren Ausblick auf das Geschehen an den Überwachungsstationen, sondern auch auf die drei gewaltigen Videobildschirme an der Stirnseite des Einsatzüberwachungszentrums.

Zu Spitzenzeiten drängten sich achtundvierzig Frauen und Männer des nautischen Personals in der Überwachungszentrale. Momentan waren jedoch nur die zwölf Leute der regulären 16-24-Uhr-Abendschicht anwesend. Sie hockten, in zwei Gruppen aufgeteilt, vor ihren Überwachungspulten und kümmerten sich um das „Einsatz-Großprojekt“, das derzeit lief.

Major Lucas Saributua wurde auf die gepanzerte Zugangstür des Einsatzüberwachungszentrums aufmerksam, die mit einem leisen Zischen zur Seite wich.

Eine Gruppe aus sechs Leuten betrat die Zentrale. Ein Mann in der Admiralsuniform der solaren Weltraumstreitkräfte führte sie an. Er stellte sowohl in seinem äußeren Erscheinungsbild, wie auch in seinem Auftreten, eine sehr imposante Persönlichkeit dar.

Major Saributua erkannte in diesem Mann den Schiffskapitän der Independence, Admiral Fernando Gonzalez. Was will der denn jetzt hier, durchzuckte es ihn überrascht, während er laut jenes Kommando bellte, das die Höflichkeit sowie die Dienstregularien der Solare Streitkräfte bei Erscheinen eines ranghohen Vorgesetzten geboten. „Überwachungsschicht – Achtung.“

Die Frauen und Männer an den Pulten fuhren auf den lauten Befehl hin hastig von ihren Plätzen hoch, wandten sich den Eingetretenen zu und standen stramm.

Admiral Fernando Gonzalez führte die Hand zum Gegengruß an sein Barett und forderte dann: „Weitermachen.“

Während sich seine Leute wieder ihren Aufgaben zuwandten, fingerte Saributua reflexartig nach seiner himmelblauen Uniformjacke und zog diese glatt. Nachdem er sich auch noch ans elfenbeinfarbene Barett gegriffen hatte, um dessen korrekten Sitz zu überprüfen, stelzte er rasch in Richtung des Schiffskapitäns und dessen Gefolge.

Der Admiral nahm die persönliche Meldung des Indonesiers mit unbewegtem Gesicht entgegen. Dann ließ er seine dunkelbraunen Augen durch die Überwachungszentrale schweifen, von der aus sämtliche Außenbordeinsätze und Flugmissionen beobachtet und gesteuert wurden. Sein Blick blieb schließlich an einer wandhohen Projektionsfläche hängen, welche den extrasolaren Planeten zeigte, in dessen Orbit sich das Raumschiff momentan befand.

Es handelte sich um einen Felsplaneten, der anderthalbmal größer war, als die Erde und den Namen Tarnas trug. Er besaß außerdem eine wissenschaftliche Katalognummer – B300433-A. Momentan versteckte er sich unter einer dichten Wolkendecke aus verschiedenen Weiß- und Grautönen, die nur wenige Lücken aufwies, dafür aber immerhin das Vorhandensein einer Atmosphäre verriet. Letztere war um zwanzig Prozent dichter, als die Lufthülle des Heimatplaneten der Menschheit und bestand aus einem Stickstoff-Sauerstoff-Gemisch. All diese Dinge machten Tarnas B300433-A interessant. Aber es gab noch einige Aspekte mehr, welche die Fantasie der Menschen beflügelten. So bewegte der Felsplanet sich auf einer stabilen Umlaufbahn in zwei Jahren und vier Monaten einmal komplett um sein Hauptgestirn. Und das bei einer mittleren Distanz von 523,5 Millionen Kilometern zu Sirius A, was ziemlich genau der „goldenen Mitte“ der sogenannten habitablen Zone entsprach, in der Bedingungen für erdähnliches Leben möglich erschienen.

Bei Tarnas B300433-A passten also verschiedene Eigenschaften sehr gut zusammen. Und genau aus diesem Grund hatte die Independence eine beinahe zweijährige Interstellarreise inklusive eines Wurmlochtransits ins Siriussystem auf sich genommen.

Fernando Gonzalez starrte auf den Himmelskörper. Wehe, du enttäuscht uns, dachte er. Das durfte nicht sein, denn die Mission hatte einfach schon zu viele Opfer gekostet. Zu ihnen zählte das Schwesterschiff Antares ISV-12 mit seinen ehemals zwölftausend Menschen an Bord, das in einer thermonuklearen Explosion vergangen war. Aber auch die Independence hatte im Zuge zweier bewaffneter Auseinandersetzungen mit einem Industriekartell namens Draconis, das sich offenbar ebenfalls sehr stark für den Tarnas interessierte, einen hohen Tribut in Form von mehr als achthundert Menschenleben zahlen müssen. Weder die lange interstellare Reise, noch die tragischen Verluste, durften umsonst gewesen sein.

Aktuell trat die Tarnas-Mission in eine Phase ein, mit der man sich auf dem besten Wege befand, die Sinnhaftigkeit des ganzen Unternehmens zu klären. Denn vor exakt sieben Minuten waren die ersten zehn bemannten Raumfahrzeuge – sechs große Starmaster-Transportfähren sowie vier Begleitraumjäger – auf der Oberfläche des extrasolaren Planeten gelandet.

An Bord der Maschinen befand sich ein neunundneunzigköpfiges Vorauskommando mit dreizehn Planetar-Fahrzeugen sowie zwei Frachtanhängern. Hinzu kamen Frachtcontainer, Gebäudemodule, Samson-Roboter sowie Arbeitsbodendrohnen. Die Vorhut besaß klar definierte Aufgaben. Sie sollte die Bedingungen auf dem Planeten erkunden und einen passenden Platz für die nächsten Landeoperationen sowie den Bau einer großen Bodenbasis suchen.

Mit dem Gedanken an diese Dinge wandte sich der Admiral dem Schichtleiter zu. „Wie ist der Stand der Dinge bei der Einsatzgruppe des Vorauskommandos, Major?“

„Seit der Meldung vor sieben Minuten, dass sie wohlbehalten aufgesetzt haben, gibt es nichts Neues, Sir“, erklärte Lucas Saributua beflissen.

Gonzalez warf einen raschen Blick auf die Zeitanzeige seines Handgelenkcomputers.

Es war nach Independence-Bordzeit 17.19 Uhr. „Wurde der exakte Zeitpunkt des Aufsetzens im Einsatzprotokoll vermerkt?“

„Selbstverständlich, Sir. Der Einsatzgruppenleiter gab sie uns bei seiner Meldung gleich mit durch.“

Der Raumschiffkommandant schürzte leicht die Lippen. „Sprach der Einsatzgruppenleiter dabei nicht auch von Schäden an den Maschinen?“

„Ja, Sir, er ließ so etwas anklingen.“

„Hat er sich inzwischen die Mühe gemacht, diesbezüglich etwas genauer zu werden?“

„Nein, Sir. Er teilte lediglich mit, dass zwei Fähren beim Abstieg ganz schön einstecken mussten. Eine der Maschinen ist wohl seine eigene. Er meinte, seine Starmaster sei ziemlich verbeult, könnte neuen Lack vertragen und bräuchte außerdem ein paar Eimer mit Spachtelmasse zum Abdichten der Einschlaglöcher. Dann ließ er auch noch verlauten, dass die Trägheitsdämpfer zum Teufel gegangen seien, sodass seine Crew und er sich beim Rückflug wohl ein Schüttelsyndrom zuziehen würden.“

„Wenigstens scheint der Commander seinen Humor nicht verloren zu haben“, konstatierte der Raumschiffkapitän säuerlich und wandte sich einer kleinen Frau mit asketischem Körperbau und straff zurückgekämmten Haaren zu, die zu seinem Gefolge gehörte. „Commodore Hajdari, ich nehme an, Sie kennen Ihren Commander gut genug, um mir sagen zu können, wie wir dessen Humor einordnen müssen. Sollten wir uns Sorgen machen?“

Die Angesprochene war Kommandeurin der Raumtransportstaffel an Bord der Independence. Ein besonders leichter Job schien das nicht zu sein, denn ihr Gesicht wirkte ausgezehrt und passte auf diese Weise ganz gut zu ihrem Körper. Angesichts der gestellten Frage verhärtete es sich jetzt vollkommen. „Ich persönlich betrachte Commander Novak als den besten Fährenpiloten der Raven-Staffel“, erklärte sie spröde. „Ob ihm diese Eigenschaft sowie sein Humor jetzt alleine helfen, von der Planetenoberfläche durch die fünf Asteroidenfelder hindurch wieder heil hinauf zum Raumschiff zu kommen, vermag ich nicht zu sagen. Ein planetarer Aufstieg ist aber auf keinen Fall einfacher, als ein Abstieg. Mit einer beschädigten Maschine will ich ihn nun wirklich nicht machen müssen.“

„Tja, aber genau dies müssen der Commander und die anderen Crews mit ihren Maschinen nun wohl tun.“

Hajdari zuckte mit den Schultern. „Er und die anderen werden dabei wohl eine furchtbar gute Route sowie eine ordentliche Portion Glück brauchen.“

„Apropos furchtbar gute Route.“ Fernando Gonzalez wandte sich an dieser Stelle einem Mann mit weißem Kittel und schütteren Haaren zu. „Professor Dreezen, wie steht es mit dieser? Konnten Ihre Wissenschaftler dem Computermodell einen annehmbaren Rückweg durch die orbitalen Asteroidengürtel entlocken?“

Der Angesprochene, er arbeitete als Leiter der wissenschaftlichen Abteilung an Bord der Independence, fand die Frage wohl etwas unangenehm. Ein halbherziges Nicken andeutend, erklärte er: „Laut unserem Computermodell bieten sich den Raumfähren und Jägern für ihren orbitalen Wiederaufstieg innerhalb der nächsten vier Stunden exakt drei Zeitfenster.“

„Welches davon favorisieren Sie?“

„Nun ja, eigentlich keines. Alle drei vorausberechneten Flugkorridore besitzen ähnliche Werte.“

„Und wie sehen diese Werte aus? Wird der Aufstieg für die Einsatzgruppe wenigstens etwas gemütlicher und sicherer, als es der Flug nach unten war?“

„Äh, nein, Admiral. Aber das Risiko ist immerhin auch nicht größer.“

Gonzalez zog eine Grimasse, denn er hatte sich eigentlich eine andere Antwort gewünscht. „Haben wir momentan Direktsicht auf die Landezone, Major?“, erkundigte er sich beim Leiter der Überwachungsschicht.

„Leider nein, Sir.“ Lucas Saributua blickte rasch in Richtung des Großbildschirms an der Stirnseite der Überwachungszentrale mit den etwas verworren wirkenden Linien der Satallitenbahnen. Die Augen leicht zusammenkneifend, bemühte er sich, aus der Datenflut die richtigen Informationen herauszupicken. „Aber wie ich sehe, ist es bald so weit. Der nächste Überflug eines unserer Orbitalsatelliten geschieht in vier Minuten.“

Die Independence hatte vor zwei Monaten dreißig Hornet-Raumdrohnen auf orbitale Umlaufbahnen über dem Exoplaneten gebracht.

Sechs dieser Fluggeräte dienten als Reparatur- und Wartungseinheiten, fliegende Treibstoffdepots sowie als Reservemaschinen.

Die restlichen vierundzwanzig Drohnen nahmen dagegen die Aufgabe von Multifunktionssatelliten wahr. Sie konnten ein breites Aufgabenspektrum abdecken, das von der Wetterbeobachtung, Vermessung und Navigation über die militärische Aufklärung bis hin zu wissenschaftlichen Erkundungsmissionen reichte.

Die angesagten vier Minuten zogen sich.

Admiral Gonzalez wippte auf den Zehenspitzen und vermochte seine Ungeduld nur mühsam zu zügeln. Er verfluchte im Stillen den Umstand, dass man die Satelliten wegen der fünf Asteroidengürtel, die den Tarnas in verschiedenen Höhen sowie mit unterschiedlichen Drehrichtungen umgaben, nicht auf geosynchronen Kreisbahnen hatte positionieren können. Stattdessen umliefen sie den Exoplaneten in der vergleichweise niedrigen Höhe von vierzehntausend Kilometern. Auf diese Weise blieben sie unterhalb des mächtigen Gamma-Materiebandes und vermochten halbwegs gut auf die Oberfläche des Himmelskörpers zu schauen.

Die niedrige Flughöhe besaß dummerweise den Nachteil, dass die Multisats auf ihr sehr schnell unterwegs sein mussten, um sich ohne ständige Bahnkorrekturen in einem stabilen Orbit zu halten. Sie rasten mit neunzehntausend Stundenkilometern dahin und bewegten sich somit sehr viel flinker, als Tarnas um sich selbst rotierte. Das führte dazu, dass momentan nur alle achtzehn Minuten einer der künstlichen Flugkörper Sicht auf die Landezone bekam, und das dann auch nur für jeweils drei Minuten während des direkten Überflugs.

Major Lucas Saributua fühlte sich bemüßigt, irgendetwas Positives in die lastende Stille hinein zu sagen. „Na wenigstens haben wir über dem zentralen Bereich der Nordatlantischen Ebene gerade einige riesige Löcher in der Wolkendecke, Sir. Auf diese Weise werden wir tatsächlich bis auf den Planetenboden hinabschauen können und hoffentlich etwas von der Einsatzgruppe sehen.“

Die Nordatlantische Ebene bezeichnete einen gewaltig großen Bereich auf der nördlichen Halbkugel des Tarnas, der sich in etwa an jener Position befand, an der sich auf der Erde der Nordatlantik erstreckte. Dabei war die Ebene in ihrer Fläche sehr viel größer, als der irdische Ozean und besaße eine feste Bodenkruste.

Die Menschen an Bord der Independence hatten beschlossen, den einzelnen Gebieten vertraute Namen zu geben.

Der Admiral quittierte die Bemerkung mit einem Nicken.

Der Schichtleiter bemerkte gleich darauf aus den Augenwinkeln heraus, wie sich auf dem mittleren der drei Videobildschirme an der Stirnseite der Zentrale etwas tat. „Ah, es ist gleich so weit. Multisat-21 überfliegt in wenigen Sekunden den Sichthorizont, Sir. Wir erhalten die Aufnahmen über die Funkrelaisstationen mit etwa einer Sekunde Verzögerung.“

Die allgemeine Aufmerksamkeit wandte sich dem zentralen Großbildschirm zu, der sich auf Multisat-21 aufwählte.

Zunächst erschienen lediglich ein paar Daten: „Bahngeschwindigkeit – 5,28 Kilometer pro Sekunde, Kreisbahnlänge – 149.263,35 Kilometer, Umlaufzeit – 7 Stunden 51 Minuten.“

Nach einem kurzen Flackern wich die Schwärze der ersten Videoaufnahme.

Die Menschen im Raum konnten nun jene Dinge erkennen, die auch die hochauflösende Primärkamera im Sensorkugelkopf unter dem Rumpf von Multisat-21 sah.

Der Winkel fiel im ersten Moment noch sehr flach aus, sodass der Betrachter zunächst nur die stark zerfaserte Wolkendecke wahrnahm, die in großen Fetzen über dem zentralen Bereich der Nordatlantischen Ebene hing. Sie wurde von der mattgrauen Grenzlinie zerschnitten, welche die schwarze Nachtseite von der blendend grellen Tagseite des Planeten trennte.

Die Landezone lag momentan im mattgrauen Übergangsbereich des Dämmerlichtes.

Während Multisat-21 auf seiner Kreisbahn immer höher über der Nordatlantischen Ebene aufstieg, richtete sich seine Primärkamera auf das Gebiet der Landezone aus.

Der Boden der Ebene bildete ein buntes Gemisch aus grauen, braunen, gelben und grünen Farbtupfern. Er wirkte selbst aus großer Höhe nicht besonders glatt. Und je mehr die Kamera an ihn heranzoomte, desto mehr glich er einer pockennarbigen Kruste, in die man zusätzlich noch unendlich viele Kratzer hineingeritzt hatte.

Immer mehr Einzelheiten wurden sichtbar – Bodenwellen und Täler, Bodenfalten und Schluchten, Plateaus und Felsgebilde. Dann mischten sich winzige silberblaue Tupfer in das Bild, die zunehmend an Konturen gewannen. So lange, bis sie sich als das offenbarten, was sie waren – künstlich von Menschen erschaffene Fluggeräte, die auf dem Boden des Planeten standen. Selbst aus großer Höhe fielen ihre sehr unterschiedlichen Dimensionen auf. Tatsächlich wirkten die vier Raumjäger gegen die sechs gewaltigen Starmaster-Transportfähren vergleichweise winzig.

Irgendeine Ordnung war nicht zu erkennen. Die zehn Maschinen standen wirr durcheinander und dabei teilweise ziemlich weit voneinander entfernt. Vor allem die massigen Raumfähren hatten es wohl nicht ganz einfach gehabt, ausreichend große Flächen mit festem Untergrund für die Landung zu finden.

„Da haben wir sie ja“, murmelte Fernando Gonzalez.

Auch die anderen Menschen in der Zentrale hingen mit ihren Blicken an den Satellitenaufnahmen. Denn die bewiesen ihnen, dass die Einsatzgruppe tatsächlich auf der Oberfläche des extrasolaren Planeten aufgesetzt hatte.

Der Raumschiffkommandant nahm sein Barett ab und fuhr sich durch das volle Haar, das erst an wenigen Stellen graue Strähnen zeigte. Obwohl sein Gesicht nach außen hin völlig regungslos blieb, fühlte er im Inneren Erleichterung. Seit man wusste, dass es auf Tarnas B300433-A extraterrestrisches Leben gab, beherrschte Gonzalez eine tiefe innere Unruhe. Denn so wenig, wie er daran geglaubt hatte, dass der Exoplanet eine zweite Erde darstellen würde, so wenig war er davon ausgegangen, dass man auf dem extrasolaren Planeten tatsächlich Lebensformen entdecken würde.

Schließlich hatten viele Dinge dagegengesprochen. Wie etwa der Umstand, dass Sirius A als Hauptstern sehr viel heißer und massereicher war, als die Sonne. Eigentlich musste er die Atmosphären der Planeten in seiner Nähe abbauen und mit seiner starken UV-Lichtabstrahlung die Bindungen jeglicher biologischer Moleküle zerstören. Und weil er mit Sirius B auch noch einen kleineren Begleiter besaß, hätte es laut den ursprünglichen Berechnungen auch nur zwei stabile Orbits geben dürfen – einen, der mit einer Umlaufzeit von 0,69 Jahren viel zu dicht am Hauptgestirn lag, während der zweite sich mit 6,635 Jahren Umlaufzeit viel zu weit entfernt befand. Hinzu kam die Tatsache, dass das Siriussystem sehr viel jünger war, als das Sonnensystem. Theoretisch betrachtet konnte der Entwicklung von Leben überhaupt keine Zeit geblieben sein.

Doch die Wirklichkeit hatte alle diese Thesen inzwischen zu Fall gebracht. Denn es gab auf dem Tarnas Leben – Mikroorganismen, Flechten und eine Art Moos. All diese Spezies mochten ziemlich primitiv sein. Aber sie stellten definitiv außerirdisches Leben dar – das erste, das die Menschheit außerhalb ihres Heimatplaneten entdeckt hatte. Und man konnte nicht ausschließen, dass da vielleicht noch mehr war.

Der Kommandant der Independence verengte jetzt die Augen zu Schlitzen und machte einen Schritt auf die große Videowand zu, als würde ihm das die Möglichkeit verschaffen, all jene Dinge zu sehen, die seinem Blick momentan verborgen blieben. „Registrieren die Sensoren von Multisat-21 in der Umgebung der Landestelle irgendwelche Dinge, die uns Sorgen machen müssen?“

„Nein, Sir. So weit wir das beurteilen können, gibt es keinerlei geologische und biologische Aktivitäten“, antwortete Lucas Saributua.

„Was ist mit dem Draconis-Kartell? Gibt es irgendwelche Anzeichen, dafür, dass es dem Vorauskommando vielleicht ganz unerwartet in die Suppe spucken könnte?“

„Auch diesbezüglich geben die Sensoren bisher Entwarnung, Sir.“

„Sehr gut.“

Die Aufnahme auf dem wandhohen Videoschirm begann an Schärfe zu verlieren. Multisat-21 hatte in den zurückliegenden drei Minuten auf seiner Umlaufbahn neunhundertfünzig Kilometer zurückgelegt und näherte sich nun rasch jenem Punkt, an dem er die Landezone sowie den zentralen Teil der Nordatlantischen Ebene aus dem Sichtfeld verlieren würde.

Zu allem Überfluss störten nun auch noch der Beta- und der Alpha-Asteroidengürtel den Blick nach unten auf den Planeten.

Gleich zwei riesigen, plattgedrückten Materieströmen wälzten sie sich tief unter dem Orbitalsatelliten mit gegenläufigen Drehrichtungen dahin und versperrten schließlich ganz die Sicht auf die nördliche Hemisphäre des Tarnas.

Der zentrale Großbildschirm erlosch.

Admiral Gonzalez warf einen Blick auf den Schichtleiter. Dem sah man einen Augenblick lang furchtbar deutlich an, dass er sich den Moment herbeiwünschte, in dem seine sechs Besucher endlich aus dem Einsatzüberwachungszentrum verschwanden, sodass er wieder seinen regulären Aufgaben nachgehen konnte. „Na schön, Major. Ich erwarte, dass Sie die Schiffsführung und mich ständig auf dem Laufenden halten, was sich dort unten auf dem Planeten tut. Ich will permanent informiert werden und informiert sein. Wenn das Vorauskommando die Maschinen verlässt, wenn es seine Zeremonie zur Inbesitznahme des Tarnas durchführt, wenn es sein Basislager errichtet, und wenn es zu seinen ersten Erkundungseinsätzen aufbricht, dann will und muss ich das wissen. Ach, und erst recht möchte ich sofort erfahren, wenn da plötzlich etwas außerhalb des regulären Einsatzplans laufen sollte.“

„Natürlich, Sir“, bekräftigte Major Saributua und wirkte erleichtert, da er die Worte des Schiffskommandanten als Anzeichen wertete, dass dieser mitsamt seines Trosses gleich gehen würde.

Kapitel 1 – Die Zeremonie

4. August 2173 Tarnas / Nordatlantische Ebene / Landepunkt Vorhut Schwere Starmaster-Raumfähre „Raven-Alpha-1“ / Passagierkabine

Corporal Marc Ewert hockte in seinem Sitz auf der Steuerbordseite der Kabine im Oberdeck der schweren Starmaster-Raumfähre Raven-Alpha-1. Er fühlte sich alles andere als frisch. Tatsächlich hatte der siebeneinhalbstündige 204.000-Kilometer-Flug mit seinen ständigen Gefahren kräftig an ihm genagt. Dabei vermochte er kaum zu glauben, dass es gerade einmal diese siebeneinhalb Stunden zurücklag, dass er die Welt des Raumschiffes hinter sich gelassen hatte. Und das nicht nur für ein paar Tage, sondern für die nächsten zwei Jahre.

Mindestens! Denn es konnte auch länger dauern, bis die nächsten beiden Interstellarschiffe im Siriussystem und bei Tarnas B300433-A eintrafen. Der Weg von der Erde bis zur Oberfläche des extrasolaren Planeten im Sternbild „Großer Hund“ war mit beinahe zwei Jahren nicht nur sehr lang gewesen, sondern auch überaus ereignisreich.

Niemand wusste das besser, als der Deutsche, der diesen Weg voller Gefahren und Unwägbarkeiten als Raumjägerpilot angetreten hatte, später als Angehöriger des Space Infantry Corps in einem bewaffneten Konflikt mit dem Draconis-Kartell gelandet war und nun in den Reihen der Solaren Bodenstreitkräfte als Grenadier und Kampfwagenfahrer eines schweren Zeus-IFV-Planetar-Schützenpanzerwagens diente.

Im Moment wollte der Corporal allerdings nicht darüber nachdenken, wie es so weit hatte kommen können, dass er jetzt hier in dieser Raumfähre saß, die soeben auf dem Boden eines wildfremden Planeten gelandet war, mehr als achteinhalb Lichtjahre weit vom heimischen Sonnensystem entfernt. Er warf seiner Sitznachbarin, die zugleich seine Besatzungskameradin war, einen verstohlenen Blick zu.

Sergeant Marjam Alieva war Tschechin und arbeitete als Richtschützin an Bord des Zeus-IFV-Schützenpanzerwagens, den der Deutsche als Fahrer lenkte. Ihre blonden Haare reichten knapp bis zu den Schultern und bildeten einen interessanten Kontrast zu ihren auffallend blauen Augen. Dies galt auch für ihre leichte Stupsnase, die einen süßen Gegensatz zu ihren geschwungenen Lippen schuf. Letztere verliehen Alieva einen sinnlichen Schmollmund, der sich aber scheinbar nie ganz schließen ließ, sodass man fast immer ihre großen, weißen Zähne sah. Die Sergeantin war gleich dem Corporal Mitglied der sogenannten FSU-Gruppe.

Das FSU stand für „For Special Use“, was sich mit „Zur besonderen Verwendung“ übersetzen ließ. Man konnte es auch mit „Mädchen für alles“ definieren. Derzeit bestand die Aufgabe der kleinen Einheit darin, während der Vorhutmission Bodyguard und Chauffeur für die Kommandantin der zukünftigen Bodenbasis sowie für ein dreiköpfiges Presseteam zu spielen.

Marjam Alieva besaß gegenwärtig einen sehr interessanten Teint. Sie war eigentlich ein eher blasser Typ, was sich nach dem schwierigen Flug vom Raumschiff hinab zum Planetenboden noch sehr viel deutlicher zeigte. Gleichzeitig aber wies ihr Gesicht zahlreiche feuerrote Flecken auf, die nicht besonders gesund aussahen.

Mit dem abenteuerlichen Flug hatten diese Flecken nichts zu tun. Sie bildeten vielmehr das Ergebnis einer Desinfektions-Spezialbehandlung, die man sämtlichen neunundneunzig Mitgliedern des Vorauskommandos sowie auch den Piloten und Besatzungen der zehn Flugmaschinen zuteil hatte werden lassen.

Über den Sinn der Maßnahme konnte man sich streiten. Denn was brachte es schon, wenn die Menschen jetzt rein äußerlich einige tausend Keime weniger an sich hatten, aber immer noch Billionen davon in sich herumtrugen. Aber es hatte diesbezüglich niemand die Teilnehmer der Vorhutmission nach ihrer Meinung gefragt, sodass sie nun allesamt mit ähnlichen Hautreizungen zu kämpfen hatten.

Sergeant Marjam Alieva besaß aber noch ein anderes Problem. Sie litt gerade unter furchtbaren Kopfschmerzen. Als sie den Blick ihres Kameraden bemerkte, zwang sie sich trotzdem zu einem Lächeln und erklärte auf die unausgesprochene Frage hin: „Der verdammte Brummschädel will einfach nicht weggehen. So habe ich mir die Eroberung dieser glorreichen Welt dort draußen eigentlich nicht vorgestellt.“

Sie sahen bei diesen Worten beide aus dem Seitenfenster.

Draußen in der soeben erwähnten „glorreichen Welt“ herrschte inzwischen keine absolute Dunkelheit mehr. Denn der Tarnas hielt sich nicht an die Zeitmesser der Menschen, nach denen es gerade 17.45 Uhr war, und es somit eigentlich auf den frühen Abend zuging. Er folgte einer völlig anderen Zeitrechnung, nach welcher gerade ein neuer Tag heraufdämmerte. Da der extrasolare Planet gleich der Erde entgegen dem Uhrzeigersinn rotierte, schob sich jetzt weit im Osten Sirius A als weißblaues Hauptgestirn langsam über die Horizontlinie.

Das Schauspiel der Morgendämmerung ließ sich nur bedingt mit einem Sonnenaufgang auf der Erde vergleichen. Und das lag vor allem an den Farben.

Aufgrund der um zwanzig Prozent dichteren Atmosphäre des Exoplaneten brach sich das Licht in verschiedenen Höhen der Lufthülle anders.

Hinzu kamen die Reflexionen, welche die fünf mächtigen Asteroidengürtel im Orbit des Himmelskörpers erzeugten. Ein nicht unerheblicher Anteil ihrer Materiebrocken war metallisch und warf daher die Lichtstrahlen von Sirius A als starkes Streulicht zurück auf die Oberfläche des Planeten.

Der Himmel im Osten leuchtete in einem seltsamen Widerschein ständig wechselnder Farben auf, die an Helligkeit gewannen und die Umgebung der Landezone zunehmend aus der Dunkelheit herausholten.

Die Landschaft des Planeten wirkte – zumindest aus der Sicht eines „Erdlings“ – leicht fremdartig. Das lag weniger an den flachen Bodenwellen, den Tälern, sanften Hügeln und Senken, die man sah. Sie erschienen durchaus irdisch. Dies galt gleichermaßen für den felsigen Boden, der stellenweise von großen Sand- oder Staubflächen durchsetzt war. Er mochte sehr karg sein, aber das waren Wüsten und Halbwüsten auf der Erde ebenfalls.

Das Fremdartige dokumentierte sich eher in den Formen und Farben bestimmter Oberflächengebilde. Es handelte sich um Felsformationen, die zumeist vulkanischen Ursprungs waren und bei ihrem Erkalten seltsame Formen angenommen hatten. Aufgrund ihrer unglaublichen Härte und Widerstandsfähigkeit hatten Wind und Wetter sie auch in Tausenden von Jahren nicht abzuschleifen vermocht. Und so ragten sie als Säulen, schiefe Türme, spitze Kegel, Pyramiden oder Quader aus dem Boden heraus und glichen surrealen Skulpturen eines fantasievollen Künstlers. Dabei besaßen sie meist auch noch sehr kräftige Farben, die weit über das stumpfe Grau normalen Felsgesteins hinausgingen.

Sowohl die planetare Morgendämmerung, als auch die bizarre Landschaft, ließen Marjam Alieva einen Moment lang ihre Kopfschmerzen vergessen. „Na wenigstens haben wir jetzt festen Boden unter uns. Und das Wetter dort draußen ist ja beinahe viel zu schön, um wirklich wahr zu sein“, murmelte sie.

Marc gab der Tschechin in beiden Dingen Recht.

Die große Raumfähre, in der sie hier saßen, wog in ihrem derzeitigen Zustand immerhin beinahe eintausendfünfhundert Tonnen. Niemand hatte garantieren können, dass der Planetenboden die gewaltige Maschine tragen würde. Aber das war der Fall.

Ganz ähnlich verhielt es sich mit dem Wetter. In den mehr als drei Monaten, in denen die Independence den Tarnas inzwischen umkreiste, hatte sich der Exoplanet entweder mit extremem Waschküchenflair gezeigt oder – unter einer dichten Wolkendecke verborgen – schlicht überhaupt nicht. Insofern durfte man sich auf den heutigen Tag der Landung ohne Regen, Sturm und Nebel schon etwas einbilden.

Marc beugte sich in seinem Sitz weit nach vorn und starrte erneut nach draußen.

Etwa einhundertfünfzig Meter entfernt, schräg hinter Raven-Alpha-1, stand eine weitere Starmaster-Raumfähre. Sie erinnerte mit ihren trapezförmigen Tragflächen an ein monströses Flugwesen, das sich mit halb entfalteten Schwingen auf dem Boden zum Ausruhen niedergelassen hatte. Die Düsenglocken der acht Flüssigkeitsraketentriebwerke hoch oben am ausladenden Heck der Maschine dampften immer noch ein wenig.

Der Deutsche wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Kabine zu, in der weitgehend Stille herrschte.

Die fünfundzwanzig hier anwesenden Frauen und Männer konnten momentan nichts weiter tun, als darauf warten, dass von der achtköpfigen Besatzung der Raumfähre das „Okay“ zum Ausladen kam.

Noch allerdings waren Commander Dario Novak und seine Crew schwer damit beschäftigt, den Zustand ihrer Maschine zu analysieren und abzuwägen, ob die vorhandenen Schäden vielleicht ein Risiko für den Entladevorgang bargen.

Doch was machte es schon, sich noch ein bisschen in Geduld zu üben? Angesichts des dramatischen Fluges, der hinter ihnen lag, stellte die Warterei für die Wenigsten ein Ärgernis dar. Einige begrüßten sie sogar. Denn, wenn sie nachher aus der Starmaster-Raumfähre stiegen, setzten sie zwar als erste Menschen ihren Fuß auf den Boden eines extrasolaren Planeten und schrieben damit Geschichte, doch sie nahmen damit auch endgültig Abschied von der ihnen vertrauten Welt.

4. August 2173 Tarnas / Nordatlantische Ebene / Landepunkt Vorhut Schwere Starmaster-Raumfähre „Raven-Alpha-1“ / Passagierkabine

L ieutenant Annie Marchand stand auf dem breiten Mittelgang zwischen den Sitzreihen und musterte die elf Frauen und Männer ihrer FSU-Gruppe. Sie musste dabei feststellen, dass ihre Leute allesamt ziemlich mitgenommen aussahen. Sich selbst konnte die vierundzwanzigjährige, blonde Französin nicht sehen. Sie verspürte monentan auch gar kein Verlangen danach.

Die Desinfektionsbehandlung sowie der schwierige Abstieg der zehn Flugmaschinen zur Planetenoberfläche zeichneten immer noch die Gesichter, und das in absolut nicht vorteilhafter Weise.

Die IT-Spezialistin ihrer Gruppe machte Marchand ganz besonders Sorgen.

Tatsächlich ging es Private Second Class Hoshiko Savelli alles andere als gut. Die zierliche junge Frau mit japanischen und italienischen Wurzeln hatte während der Sterilisierungsmaßnahme einen Moment lang nicht aufgepasst und einen ordentlichen Zug Desinfektionsmittel eingeatmet.

Das giftige sowie leicht ätzende Aerosol war in kleinen Mengen zwar nicht tödlich, doch als besonders bekömmlich konnte man es ebenfalls nicht bezeichnen. Savelli hatte dies bitter erfahren müssen. Ihr allgemein sehr elender Zustand war durch den schwierigen Flug nicht unbedingt besser geworden.

Bei den Aufklärern gab es einen ganz ähnlichen Fall. Der zweite Taktikoperateur des Squadronführungsfahrzeuges, ein rothaariger Private First Class namens Faolan MacCain, hatte sich ebenfalls sehr viel intensiver desinfizieren lassen, als gut für seine Gesundheit sein konnte.

Doch das Missgeschick des Mannes mit der fleckigen Haut und den stark entzündeten Augen stellte für Annie Marchand nur einen schwachen Trost dar. „Private Ruslanovich, was können Sie mir zu unserer Patientin sagen?“, erkundigte sie sich mit besorgter Stimme beim Mörserschützen.

Der Angesprochene, ein großer, kräftiger Russe mit der Statur und dem Gesicht eines Rausschmeißers, hatte sich bisher recht fürsorglich um seine desolate Sitznachbarin gekümmert. „Sie ist immer noch halb weggetreten, Ma‘am. Außerdem musste sie sich vorhin erneut übergeben. Ich staune, dass sie überhaupt noch etwas im Magen hat. Wir werden in den nächsten Stunden nichts mit ihr anfangen können.“

„Kann sie laufen?“

„Vielleicht, wenn ich sie stütze. Vermutlich bringt es aber mehr, wenn ich sie gleich trage.“

Annie Marchand musterte zuerst die apathisch wirkende IT-Spezialistin und dann den athletischen Mörserschützen neben ihr. „Okay, dann tun Sie das. “ Sie wandte sich zwei anderen Gruppenmitgliedern zu: „Private Ciora, Sie übernehmen nachher Savellis Kampfrucksack. Private Do-Yun, Sie bemächtigen sich ihrer Waffe und ihres Laptops.“

Die beiden Angesprochenen bestätigten den Befehl.

Die FSU-Kommandantin nickte zufrieden. „Nun noch einmal zu den Dingen, die jetzt auf uns zukommen. Sobald Commander Novak in seiner Eigenschaft als Einsatzgruppenführer endlich das ‚Go‘ zum Verlassen der Fähre gibt, macht Captain Rayen als Chefin der Puma-Aufklärungssquadron mit ihrem Perseus-Command-Panzerwagen den Anfang. Sie schaut sich mit ihrem Fahrzeug zunächst ganz kurz dort draußen um. Sobald sie die Luft für rein hält und das entsprechende Kommando gibt, werden sämtliche Kampfwagen ihrer Aufklärungseinheit aus den Bäuchen der Raumfähren herausrollen und kreisförmig um die Landezone Sicherungsstellungen beziehen. Ihr Squadronunterstützungszug Charlie rollte dagegen zu einem Sammelpunkt. Wir als FSU-Gruppe schließen uns mit unserem Zeus IFV erst einmal diesem Charlie-Zug an. Die entsprechenden Koordinaten erhalten wir nachher über das Data-Link-System. Bis hierher alles so weit klar?“

Kollektives Nicken.

„Wer genau ist uns gegenüber denn jetzt eigentlich weisungsberechtig, Ma’am?“, fragte Lance Corporal Armand Renou, der als Truppführer der FSU-Gruppe fungierte.

„Captain Rayen natürlich“, antwortete Annie Marchand und legte ihre Stirn leicht in Falten. „Sie ist schließlich die offizielle Befehlshaberin des Vorauskommandos.“

„Ja schon. Aber was ist mit der zukünftigen Chefin der Bodenbasis, Colonel Solverson? Da die bei uns an Bord mitfährt, haben wir sie ja nun direkt auf dem Hals. Zudem liegt sie mit ihrem Dienstgrad gleich drei Stufen über einem Captain.“

Das stimmte. Der Colonels-Rang der Solaren Bodenstreitkräfte entsprach dem Dienstgrad eines Obersts, während ein Captain einem Hauptmann gleichkam.

„Was also machen wir, wenn die Solverson jetzt anfängt, uns herumzukommandieren?“, wollte Armand Renou wissen.

„Nun, zunächst einmal ist den Befehlen Colonel Solversons natürlich Folge zu leisten. Falls die von ihr gegebenen Anweisungen den Festlegungen von Captain Rayen zuwiderlaufen, müssen Sie sie trotzdem auszuführen. Zumindest so lange, wie das möglich ist. Dann aber melden Sie mir das, damit ich die Sache klären kann.“

„Wir sollen also zu Ihnen petzen kommen, Ma’am?“, fragte Private Stephen Fletcher, der Maschinengewehrschütze der FSU-Gruppe, grinsend.

„Korrekt, ganz genau das sollen Sie, Mister Fletcher. Dass wir Colonel Solverson auf dem Hals…, äh, an Bord haben, verkompliziert die Verantwortlichkeiten natürlich etwas. Generell aber liegt die Befehlsgewalt bei der Kommandeurin der Aufklärer. Falls die und der Colonel sich mal nicht einig sind, kann ich nur hoffen, dass wir nicht zwischen den Fronten stehen.“

„Das wird sicher lustig, wenn sich die Weiber fetzen“, feixte Private Second Class Robert Ward, der die Abzeichen eines Sprengstoffexperten trug.

„Hier wird sich niemand fetzen, Mister Ward“, widersprach Annie Marchand streng. „Aber weil ausgerechnet Sie Ihre Schnute gerade so weit aufreißen, fällt mir noch etwas ein. Wir haben einen weiblichen Colonel sowie ein dreiköpfiges Presseteam als Gäste an Bord unseres Kampfwagens. Was wir dagegen absolut nicht haben, ist ausreichend Platz in unserem Zeus IFV. Da es somit ziemlich eng zugehen wird, ist es von immenser Bedeutung, dass sich jeder von Ihnen zusammenreißt. Ich erwarte, dass Sie unsere Gäste höflich und mit dem nötigen Respekt behandeln. Falls jemand von Ihnen nicht so genau weiß, was die Begriffe Höflichkeit und Respekt bedeuten – ich möchte keine unflätigen Witze und keine sexistischen Bemerkungen hören. Auch alle sonstigen Schweinereien und Ferkeleien lassen Sie gefälligst.

Falls Sie Gefahr laufen, das aus den Augen zu verlieren, erinnern Sie sich bitte daran, dass Colonel Ragna Solverson in den nächsten beiden Jahren als Basiskommandantin das große Sagen über Sie und mich haben wird. Es wäre ziemlich dumm, sich in negativer Weise bei ihr zu empfehlen. Das könnte Ihre Zeit auf dem Tarnas möglicherweise sehr unschön für Sie werden lassen.

Was das Presseteam angeht – Miss Nalani Kapua und ihr Kameramann werden die Vorhutmission in Wort und Bild festhalten. Wir können nicht ausschließen, dass sie dabei auch hin und wieder an Bord unseres Zeus-IFV-Kampfwagens filmen. Bedenken Sie das bitte, wenn Sie in Ihrem jugendlichen Übermut kurz davorstehen, irgendwelchen gequirlten Mist von sich geben. Dieser könnte mit etwas Pech Eingang in die Annalen der Tarnas-Mission finden und bliebe so der Nachwelt erhalten. Also, ich persönlich fände es schon etwas peinlich, wenn alle nachfolgenden Menschengenerationen auf diese Weise erführen, welche Dumpfbacken und Arschlöcher man im Zuge einer Mission von derart historischer Tragweite auf den armen Planeten losließ.“

4. August 2173 Tarnas / Nordatlantische Ebene / Landepunkt Vorhut Schwere Starmaster-Raumfähre „Raven-Alpha-1“ / Passagierkabine

D ie gepanzerte Schotttür an der vorderen Seite der Passagierkabine wich zur Seite.

Eine mittelgroße Frau mit braunen Haaren sowie den Rangabzeichen eines Warrant Officer Class 2 – dies entsprach dem Dienstgrad eines Fähnrichs – betrat die Kabine. Ihren Abzeichen nach bekleidete sie die Funktion der Frachtmeisterin dieser Raumfähre. Ihr linkes Brustschild verriet außerdem ihren Namen – Carolin Schneider. Sie hatte sich ihren Raumhelm unter den Arm geklemmt und sah sich um. „Colonel Solverson und Captain Rayen, können wir kurz miteinander reden?“

In den vorderen Sitzreihen erhoben sich die zwei genannten Frauen und traten zu dem weiblichen Warrant Officer Class 2.

Ragna Solverson war mit einhundertfünfundachtzig Zentimetern Körperhöhe eine ziemlich große Person und wies einen auffallend groben Knochenbau auf. Dass sie bereits siebenundfünfzig Jahre alt war, sah man ihrem Körper aufgrund des vielen Dienstsports nicht an. Dies verriet erst ein sehr aufmerksamer Blick in das Gesicht der Norwegerin mit den strohblonden Haaren und den wasserhellen Augen.

Captain Aiyana Rayen war zwar nur sieben Zentimeter kleiner, als der weibliche Colonel, wirkte gegen diesen aber ein ganzes Stück schmaler. Mit ihren sechsundzwanzig Jahren war die US-Amerikanerin zudem wesentlich jünger und stellte mit ihren langen, schwarzen Haaren sowie den tiefdunklen Augen einen völlig anderen Typus dar. Ihre irischen, englischen, jüdischen und indianischen Wurzeln hatten sie unterschiedlich stark geprägt. Dabei hob sie sich nicht nur von ihrem Äußeren her sehr deutlich von Ragna Solverson ab, sondern auch mit ihrer seltsam anmutenden, persönlichen Bewaffnung.

Denn während die Norwegerin an ihrem Gürtel lediglich eine 4-Kilowatt-Laserpistole führte, trug die Kommandeurin der Puma-Squadron einen Patronengürtel mit einem schweren Projektilrevolver sowie quer über den Rücken in einer mattgrau brünnierten Scheide aus Metall ein reichlich exotisch anmutendes Schwert.

Zu dem Trio gesellte sich gleich darauf unaufgefordert noch eine vierte Frau, die durch ihren Raumanzug stark hervorstach. Denn Letzterer wies weder das Himmelblau der Weltraumstreitkräfte auf, noch das Grün der Solarian Union Ground Forces. Er besaß vielmehr das strahlend leuchtende Orange eines zivilen Astronautenanzugs. Bei der Trägerin handelte es sich um die Nachrichtenmoderatorin des Bordsenders Independence News namens Nalani Kapua, eine hübsche Frau mit hawaiianischen Vorfahren, deren schwarz glänzenden Haare ihr fast bis hinab zu den Hüften reichten. In ihrem hauteng sitzenden Raumanzug, dem momentan der Oberkörper- und Unterleibspanzerschutz fehlten, glich die dreißigjährige Südseeschönheit mit den leicht schrägstehenden Augen bei oberflächlicher Betrachtung einer Surferin mit Neoprenanzug. Trotz ihres gepflegten Aussehens verrieten die zahlreichen roten Flecken in ihrem Gesicht, dass die Sterilisierungsbehandlung auch an ihr nicht spurlos vorübergegangen war.

Carolin Schneider nahm die Moderatorin mit einem höflichen Lächeln in ihren Gesprächskreis auf und redete dann mit gedämpfter Stimme auf die drei Frauen ein. Nachdem sie von allen Seiten ein Nicken geerntet hatte, wandte sie sich den Passagieren in der Kabine zu. „Damen und Herren, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit. Die Crew hat die Maschine…“ Sie unterbrach sich und blickte ungehalten auf den Mann in der vorderen Sitzreihe, der sich soeben erhoben und eine Kamera auf sie gerichtet hatte. „Muss das jetzt unbedingt sein?“

Der Typ, ein Bulgare namens Mihail Marinov mit dichtem, zurückgekämmtem Haar, einem leicht kantigen Gesicht sowie einem Dreitagebart, grinste statt einer Antwort nur.

Die Frachtmeisterin von Raven-Alpha-1 gab ein leises Schnauben von sich. Sie wusste sehr gut, dass dem Presseteam die Aufgabe zukam, alle Vorgänge, die mit der Vorhutmission in Verbindung standen, für die Nachwelt zu dokumentieren. Insofern erschien es jetzt etwas schwierig, sich den Filmaufnahmen zu verweigern. Schneider beschloss, den Mann inklusive seines auf sie gerichteten Gerätes einfach zu ignorieren. „Also schön. Die Crew hat die Maschine überprüft und dabei erwartungsgemäß festgestellt, dass Raven-Alpha-1 während des zurückliegenden Fluges einige Prügel einstecken musste. Unter anderem durchschlugen zwei kosmische Kleinkörper unterschiedlicher Größe den Rumpf sowie die Steuerbordtragfläche. Nichtsdestotrotz ist die Maschine immer noch flugtüchtig. Wir werden zwar vorsichtshalber ein paar Notfallreparaturmaßnahmen in die Wege leiten, aber ernsthaft wieder in Ordnung bringen können wir leider nichts. Dazu besitzen wir weder die Mittel, noch die Teile, und schon gar nicht die nötige Zeit. Denn innerhalb der nächsten vier Stunden gibt es lediglich drei akzeptable Zeitfenster für Aufstiegsrouten durch das Asteroidengürtelsystem hinauf zum Schiff. Eines davon müssen wir nutzen. Captain Rayen bot uns bei den Reparaturarbeiten netterweise die Hilfe ihrer Einheit an. Commander Novak bedankt sich im Namen der Crew für das Angebot. Er ist aber der Meinung, dass die Mission des Vorauskommandos sehr viel wichtiger ist, als es die kosmetischen Schönheitskorrekturen an unserer Raumfähre sind. Er wünscht Ihnen allen bei Ihrem so wichtigen Einsatz auf dem Planeten viel Glück und Erfolg. Gleichzeitig hat er nun sein ‚Okay‘ zum Betreten des Frachtraums sowie zum Ausstieg erteilt. Wenn Sie sich also alle dazu aufraffen könnten, sich zu erheben und mir zu folgen. Und vergessen Sie Ihre Waffen, Ihre Ausrüstung sowie Ihr Gepäck nicht. Wir besitzen kein übersteigertes Interesse daran, irgendetwas davon wieder mit hinauf zum Raumschiff zu nehmen. Ich denke, Sie können Ihren Krempel hier unten sehr viel besser gebrauchen.“

In der Kabine entstand jetzt Bewegung.

Ragna Solverson, das dreiköpfige Presseteam, die neun Besatzungsmitglieder des Perseus-Command-Panzerwagens der Aufklärungssquadron Puma sowie die zwölf Angehörigen der FSU-Gruppe begannen ihren Krimskrams zusamenzusuchen.

Marc setzte sich seinen Raumhelm auf und lud sich den schweren Kampfrucksack ächzend auf die Schultern. Dann griff er nach seinem Lasersturmgewehr mit dem Scharfschützenaufsatz, trat auf den Mittelgang und beobachtete, wie sich der Mörserschütze der Gruppe mit der IT-Spezialistin abmühte.

Private Second Class Hoshiko Savelli war störrisch und versuchte, die Hilfe von Gavril Ruslanovich zurückzuweisen. Sie kam mühsam von allein auf die Beine und suchte nach ihrer Ausrüstung.

Die hatten jedoch schon andere an sich genommen.

Also tastete sich die Italo-Japanern aus der Sitzreihe heraus auf den breiten Laufgang. Da sie unter der Wirkung starker Medikamente stand, schwankte sie leicht und klammerte sich an der Rückenlehne eines nahen Sitzes fest, um nicht einfach umzukippen.

„Okay, dann immer schön mir nach“, verlangte Carolin Schneider mit geschürzten Lippen, nachdem sie das Treiben eine Weile beobachtet hatte.

Die fünfundzwanzig schwer bepackten Passagiere schlossen sich der Frachtmeisterin in einer langen Reihe an.

Über breite Wendeltreppen ging es zunächst abwärts in das Mitteldeck und von diesem aus weiter bis ins Unterdeck.

Hoshiko Savelli ging tatsächlich von allein. An der Treppe musste der russische Mörserschütze sie allerdings stützen, da sie immer wieder zu straucheln drohte.

Im Unterdeck roch es stark nach erhitztem Metall, verschmortem Kunststoff sowie einer undefinierbaren chemischen Substanz, die ein Kribbeln in der Nase auslöste.

An der Schottwand, welche die drei Rumpfdecks im vorderen Drittel der Maschine vom gewaltigen Frachtraum abtrennte, machte sich Carolin Schneider an einer Panzertür zu schaffen, deren beide Hälften sich gleich darauf entriegelten und zur Seite wichen.

Mit Ozon geschwängerte Luft schlug den Menschen entgegen, die daraufhin zögerten, weiterzugehen.

Die Frachtmeisterin, die an der Steuerkonsole hantierte, bemerkte es und machte eine Geste. „Keine Angst, es ist alles im grünen Bereich. Beim Einschlag eines Brockens in unseren Rumpf traf es leider auch den Elektronikraum. Das führte zu zahlreichen unschönen Lichtbögen in der Steuertechnik der Trägheitsdämpfungssysteme. Von diesen rührt das Ozon. Aber die Konzentration ist nicht besorgniserregend, und die Lüfter arbeiten schon fleißig.“

Leuchtplatten flammten auf und rissen das riesige Frachtabteil aus der Dunkelheit heraus. Mit seinen fünfundsechzig Metern Länge und mehr als vierzehn Metern Breite glich es einer großen Halle. An der Steuerbordwand stapelten sich vier riesige Materialcontainer in zwei Schichten übereinander. Neben ihnen standen zehn Samson-Arbeitsroboter, die mit ihrem weitgehend humanoiden Körperbau und ihren Künstlichen Intelligenz den Menschen viele schwere und schmutzige Arbeiten abnehmen konnten. Weiter zum Heck der Maschine hin parkten regungslos zwei große Cyclop-Arbeitsdrohnen auf mächtigen Gleiskettenlaufwerken. Der Rest des Laderaumes wurde beinahe vollständig von den beiden wuchtigen Planetar-Fahrzeugen der Aufklärer sowie der FSU-Gruppe ausgefüllt.

Das vertraute Bild des Zeus-IFV-Schützenpanzerwagens und des hinter diesem stehenden Perseus-Command-Führungskampfwagens der Puma-Aufklärungseinheit hatte etwas Tröstliches. Die beiden beinahe gebäudegroßen Fahrzeuge würden in den nächsten Tagen das Zuhause für die Frauen und Männer der FSU-Gruppe sowie der Squadron-Führungsgruppe bilden. Sie versprachen aufgrund ihrer monströsen Abmessungen und ihrer schweren Panzerung in der fremden und möglicherweise gefährlichen Welt des Tarnas wenigstens ein gewisses Maß an Sicherheit und Geborgenheit.

Marc betrachtete prüfend die armdicken Halteketten, mit welchen die beiden Fahrzeuge gesichert waren. Bei den zum Teil sehr krassen Flugmanövern der Raumfähre in den zurückliegenden siebeneinhalb Stunden hatten sie starken Kräften widerstehen müssen.

Captain Aiyana Rayen besaß als Leiterin des Vorauskommandos nicht nur die Befehlsgewalt über die ihr unterstellten Menschen, sondern auch über die intelligenten Arbeitsmaschinen. Sie erteilte den Samson-Robotern nun ein paar Befehle, woraufhin diese sich daran machten, die Planetar-Fahrzeuge von den Sicherungsketten zu befreien.

Annie Marchand wiederum hatte als Kommandantin der FSU-Gruppe die „Schlüsselgewalt“ über den Zeus IFV. Mit Hilfe eines der beiden Funkfernschlüssel, die dem Kampfwagen zugeordnet waren, weckte sie das mächtige Planetar-Fahrzeug aus seiner Schlafphase, was mit einem zwitschernden Geräusch und zahlreichen aufblinkenden Lichtern einherging.

Die tonnenschwere Heckluke des Fahrzeuges senkte sich herab.

Die Frauen und Männer gingen an Bord.

Der Zeus-Kampfwagen empfing die zwölf FSU-ler und ihre vier zusätzlichen Passagiere mit seiner vertrauten Einrichtung und den für ihn so typischen Gerüchen nach Öl und Hydraulikflüssigkeit. Die Luft war stickig und etwas abgestanden.

Die Lüfter liefen aber bereits an und sorgten nicht nur für einen leicht fächelnden Luftstrom, sondern auch für einen frischeren Geruch.

Hoshiko Savelli bekam auf der Rampentreppe kaum die Füße hoch und strauchelte.

Gavril Ruslanovich hatte sie aber fest im Griff und bugsierte sie hinauf in das Heckabteil des Fahrzeuges. Er wollte sie weiter bis in die Mittelsektion schieben, in der es zwei klappbare Notbetten gab.

Doch dagegen sträubte sich die IT-Spezialistin. „Nein, ich setze mich ins Heckabteil“, erklärte sie mit stockender, leiernder Stimme.

„In deinem Zustand bist du in einem richtigen Bett aber wesentlich besser aufgehoben“, erklärte der Russe sanft.

Savelli sah sich verschämt nach den anderen um und schüttelte heftig den Kopf. „Nein“, blieb sie stur. „Aber es wäre nett von dir, wenn du mir bei meinem Sachen helfen würdest. Ich glaube nicht, dass ich meinen Rucksack gerade nach oben in das Schrankfach bekomme.“

„Klar doch. Aber setz dich bitte erst mal.“ Der Mörserschütze bugsierte seinen fragilen Schützling in einen der Formsitze und nahm ihm dann den Waffengürtel ab.

Um die beiden herum herrschte wüstes Gedränge. Die Hecksektion bildete mit ihren sechsunddreißig Quadratmetern Fläche zwar den größten Raum innerhalb des Schützenpanzerwagens, musste mit sechzehn Grenadieren samt ihrer Bewaffnung und Ausrüstung aber auch eine große Zahl an Leuten unterbringen. Hinzu kamen Metallschränke mit Werkzeug, Ersatzteilen und diversen Zusatzgerätschaften sowie momentan jede Menge Zusatzfracht in Form von Kisten, Wäschesäcken Hartschalenkoffern und einem 300-Liter-Frischwassertank.

In dieser Enge begannen die Frauen und Männer mit dem Verstauen ihrer Kampfrucksäcke, ihrer persönlichen Ausrüstung und ihrer Waffen. Verhaltene Flüche waren zu vernehmen, da man sich dabei ins Gehege kam und immer wieder gegenseitig im Weg stand.

„Private Ward, verraten Sie mir mal, wieso Sie sich gleich zwei Schrankfächer gönnen?“, forderte Annie Marchand ihren Sprengstoffexperten ärgerlich auf. „Ihnen steht nur eines zu. Und ich bin mir sehr sicher, dass Sie das wissen?“

„Ja schon, aber was soll der Geiz, Ma’am?“, gab der Angesprochene verstockt zurück. „Wir sind nur zwölf FSU-ler, haben aber sechzehn Schrankfächer. Da könnten Sie ruhig mal großzügig zu mir sein.“

„Sie vergessen unsere vier Gäste an Bord, Private. Colonel Solverson und die Presseleute wollen ihre Sachen schließlich auch irgendwo unterbringen.“

Das Gesicht des Soldaten verriet, dass ihm diesbezüglich gerade ein wenig die Einsicht fehlte. „Die können sich ihren persönlichen Scheiß von mir aus…“ Als er den Blick seiner Vorgesetzten wahrnahm, verschluckte er den Rest, und ließ offen, wohin sich die zukünftige Basiskommandantin und das Nachrichtenteam seiner Meinung nach ihr Gespäck stopfen konnten.

Kurz darauf gab es neuen Ärger.

Felix Cicone, der blutjunge Ton- und Bildtechniker des Presseteams, hatte endlich einen freien Formsitz für sich entdeckt – und zwar beinahe ganz hinten im Bereich der Heckluke.

Cornelius Ciora, Schütze und Munitionsträger der FSU-Gruppe, hatte ihm das Ding grinsend und voller Großmut überlassen. Ohne ihm dabei allerdings zu verraten, dass die hinteren Plätze sehr unbeliebt waren, da man auf ihnen die Fahrbewegungen des Zeus IFV am heftigsten wahrnahm und daher einen starken Magen benötigte, um das Geschaukel ohne Folgen zu verkraften.

Cicone, der mit seiner Haartolle über den kurzgeschorenen Seiten ein bisschen wie ein naiver Milchreisbubi wirkte, war in seinem Unwissen aber erst einmal dankbar für den Platz.

Einige der FSU-ler feixten daraufhin. Ihr Spaß hielt aber nicht sehr lange an, denn der Bild- und Tontechniker breitete sich gleich darauf mit seinem Laptop und einem großen, aufklappbaren Elektronikkoffer aus, was den ohnehin schon knappen Platz noch mehr reduzierte.

„Heh, Schmalzlocke, was soll’n das werden?“, knurrte Ciora, der mit seiner plattgedrückten Nase, den unrasierten Wangen und zwei unterschiedlich großen Augen seltsam schief und zugleich sehr finster aussah.

Der Gefragte hob irritiert den Blick. „Ich will nur mein Equipment…“

„Gar nichts willst du, verstanden? Pack dein sogenanntes Equipment ganz schnell wieder zusammen, damit wir hier mehr Luft bekommen. Ansonsten werfe ich den Elektronikspittel nachher aus dem Fahrzeug. Und dich gleich mit.“

Armand Renou bekam die Szene mit und fühlte sich als Truppführer zum Eingreifen bemüßigt: „Hier fliegt nichts und niemand aus dem Fahrzeug. Und lass mir den Jungen ja in Frieden. Was er tut, ist wichtig. Davon abgesehen – der Lieutenant sprach von ‚Höflichkeit und Respekt gegenüber unseren Gästen‘. Welchen Teil davon hast du ‚Hörni‘ eigentlich nicht verstanden, häh?“

Ciora trug innerhalb der Gruppe inzwischen den Spitznamen „Hörni“, was er einer Ableitung seines Vornamens aus dem Lateinischen verdankte, die sich mit „Horn“ oder schlimmer noch, mit „der Gehörnte“ übersetzen ließ. Er blieb dem Truppführer jetzt die Antwort schuldig.

Felix Cicone schenkte dem französichen Lance Corporal dagegen ein dankbares Lächeln.

Was der jedoch komplett ignorierte, da sich sein Laserkarabiner irgendwie nicht in der Sitzhalterung befestigen ließ.

Annie Marchand stand währenddessen am Zugang zur Mittelsektion des Zeus IFV und schlug sich mit einem anderen Problem herum. Sie hatte der zukünftigen Kommandantin der Bodenstation im Heckabteil einen Sitzplatz nahe der vorderen Schottwand zuweisen wollen.

Die stämmige Norwegerin war mit diesem Vorschlag jedoch ganz und gar nicht einverstanden: „Ich werde als ranghöchste Offizierin an Bord selbstverständlich nicht hinten bei den Mannschaften sitzen, sondern vorn im Cockpit mitfahren.“

„Wir haben vorn im Cockpit aber nur zwei Notsitze, Ma‘am.“

„Na und? Die reichen doch. Und so fett bin ich nicht, dass ich gleich beide benötige. Somit wäre sogar noch ein Sitz frei.“

Die Zeus-IFV-Kommandantin unterdrückte einen Seufzer, fand ihren ursprünglichen Vorschlag dann aber plötzlich selbst nicht mehr so genial. Denn der Gedanke, den weiblichen Oberst bei den rüpelhaften Privates einzuquartieren, hatte durchaus etwas Gruseliges an sich. Sie wandte sich der Nachrichtenmoderatorin zu: „Miss Kapua, Sie müssen sich mit Ihrem Kameramann einig werden, wer vorne im Cockpit sitzt, und wer in die Hecksektion einzieht.“

„Sorry, Lieutenant, aber so einfach ist das nicht. Mihail muss filmen, und ich muss kommentieren. Beides können wir nur, wenn wir auch sehen, was passiert. Und das funktioniert nun mal nur vom Cockpit aus.“

Annie Marchand unterdrückte erneut ein Seufzen. Was zum Teufel sollte sie jetzt tun? Dass die Vorhutmission nicht ganz einfach werden würde, war ihr klar gewesen. Dass die Probleme allerdings schon beginnen würden, bevor überhaupt der eigentliche Einsatz anlief, hatte sie sich so nicht vorstellen können.

„Ein Vorschlag zur Güte. Mihail wird für das Filmen sowieso die meiste Zeit stehen müssen. Wenn das mal nicht der Fall ist, kann er sich immer noch auf den Boden setzen. Ein Kissen oder irgendetwas zum Polstern wird sich ja wohl finden“, meinte Nalani Kapua nach kurzem Überlegen mit einem beschwichtigenden Lächeln.

Die Zeus-IFV-Kommandantin spielte kurz mit dem Gedanken, ihren hawaiianischen Gast auf die geltenden Sicherheitsvorschriften hinzuweisen. Sie ließ es aber bleiben und murmelte stattdessen: „Dann muss sich Ihr Kameramann aber gut festhalten. Da es dort draußen keine Straßen gibt, werden wir ständig im Gelände unterwegs sein. Da kann es während der Fahrt vorn im Cockpit ganz schön holprig und ungemütlich werden.“

„Ach was, das macht Mihail schon. Er ist einiges gewohnt“, erklärte die Hawaianerin zuversichtlich.

„Na, wenn Sie meinen.“ Annie Marchand fügte sich mit diesen Worten endgültig in ihr Schicksal.

4. August 2173 Zeus-IFV-Schützenpanzerwagen „Queen-Bravo-4“ Starmaster-Raumfähre „Raven-Alpha-1“ / Frachtraum

D ie Stille im Cockpit, das mit sechs Personen platztechnisch betrachtet etwas überfordert war, wurde momentan nur vom leisen Rauschen der Lüfter gestört.

Die Crew des Zeus IFV hatte ihre Besatzungsplätze eingenommen und arbeitete Schritt für Schritt die Checklisten zur Inbetriebnahme der einzelnen Fahrzeugsysteme ab.

Während die Kommandantin kritisch die virtuellen Flussdiagramme der Lebenserhaltungssysteme betrachtete, überprüfte ihr Fahrer den Status der Energieversorgung des Kampfwagens.

Im großen Energieschrank des Zeus IFV, der im Antriebsraum direkt über dem tonnenschweren 2.400-Kilowatt-Drehstrom-Asynchronmotor hing, steckten neunzig Eintausend-Kilowatt-Energiezellen, die allesamt eine volle Aufladung anzeigten. Bei einem mittleren Energieverbrauch konnte der Zeus rund zwölf Tage autark handeln und dabei etwa neuntausend Kilometer zurücklegen.

Marc hoffte, dass sie bei diesem Einsatz weder das eine, noch das andere, wirklich ausreizen mussten.

Ragna Solverson und Nalani Kapua hatten auf den Gästesitzen an der rückwärtigen Schottwand Platz genommen. Sie reckten die Köpfe, um durch die Cockpitfenster hinauszuschauen.

Mihail Marinov stand am linken Seitenfenster und filmte die Samson-Roboter, welche fleißig damit beschäftigt waren, den großen Kampfwagen von den armdicken Sicherungsketten zu befreien.

Gleich darauf hallte die auf die Lautsprecher geschaltete Stimme von Carolin Schneider durch das Cockpit: „Puma-Leader und Queen-Bravo-4, die Ketten sind weg und Ihre beiden Fahrzeuge nun frei.“ Die Frachtmeisterin saß inzwischen im Oberdeck der Raumfähre in einem kleinen Kabüffchen am Steuer- und Überwachungspult für das Frachtdeck. Von dort aus konnte sie durch ein großes Fenster direkt auf das Geschehen im Laderaum schauen. „Puma-Leader und Queen-Bravo-4, ich werden gleich die Heckluke öffnen. Überprüfen Sie Ihren hermetisch dichten Zustand.“

„Hier Puma-Leader. Wir haben alle Luken dicht und sind bereit“, meldeten sich die Aufklärer aus ihrem Squadronführungsfahrzeug.

„Hier Queen-Bravo-4, bei uns sieht es nicht anders aus. Von uns aus kann es losgehen“, erklärte Annie Marchand nach einem prüfenden Blick auf ihren rechten Statusbildschirm.

„Hier Ladekontrolle, verstanden. Warten Sie auf weitere Anweisungen.“

Die Samson-Roboter, die mit etwas über zwei Metern Körperhöhe nur unwesentlich größer waren, als ein Mensch, mit einhundertfünfzig Kilogramm Gewicht aber wesentlich schwerer und zugleich stärker, zerrten die schweren Titanstahlketten von den Fahrzeugen weg und zogen sich dann bis zu den Containern an der Seite zurück.

Gleich darauf begannen im Frachtraum gelbe Rundumleuchten warnend zu rotieren, während unsichtbare Ventilatoren die Luft aus dem voluminösen Bauch der Transportfähre absaugten, um anschließend Tarnas-Atmosphäre hineinzupumpen.

Eine Lichtsignalanlage wechselte von Grün auf Gelb und schließlich auf Rot. Druckausgleich wurde hergestellt.

Dann senkte sich knirschend die mächtige Laderampe herab und ließ die gewaltige Fähre leicht vibrieren.

„Puma-Leader, hier Ladekontrolle, kommen.“

„Hier Puma-Leader, wir hören.“

„Rampe ist offen und eingerastet. Sie haben Freigabe zum Verlassen der Fähre. Viel Glück dort draußen.“

„Roger und danke.“

Die sechs Leute im Steuerstand des Zeus starrten durch die Frontscheiben hinaus auf den Perseus Command.

Mihail Marinov begann wieder zu filmen.

Der knapp sechzehneinhalb Meter lange Aufklärungspanzerwagen mit seinen neunundachtzig Tonnen Masse zählte unter den Planetar-Fahrzeugen eher zu den Leichtgewichten.

Auch seine Bewaffnung in dem drehbaren Panzerturm auf der Rumpfoberseite – ein 50-Kilowatt-Schnellfeuer-Lasergeschütz, das mit einem koaxialen 15-Kilowatt-Impulslaser gekoppelt war – wirkte im Vergleich zur Turmbewaffnung des Zeus-IFV-Schützenpanzerwagens der FSU-Gruppe nicht besonders beeindruckend. Doch die eigentliche Aufgabe des Perseus bestand auch nicht im Kämpfen, sondern im Aufklären sowie Beobachten. Und diese beiden Dinge beherrschte er sehr gut, wenn seine Besatzung seine Möglichkeiten richtig ausspielte. Denn er war flink und sehr manövrierfähig. Außerdem besaß er als Arbeitswerkzeug einen großen Teleskopmast, der im aufgerichteten und vollständig ausgefahrenen Zustand eine Höhe von bis zu sechzehneinhalb Metern über dem Boden erreichte.

Aus dieser stark erhöhten Perspektive entging den Sensorköpfen an den Mastspitzen kaum etwas von den Geschehnissen, die sich in der nahen und entfernten Umgebung des Scout-Panzerwagens abspielten.

Puma-Leader setzte sich in Bewegung und rollte langsam über die abgesenkte Frachtluke hinaus.

Die sechs Menschen im Cockpit des Zeus IFV konnten nun durch die riesige Hecköffnung der Raumfähre nach draußen schauen. Sie sahen allerdings nicht sehr viel mehr, als ein paar Bodenwellen, die im matten Dämmerlicht des anbrechenden Tarnas-Tages lange Schatten warfen.

Die Kommandantin aktivierte die Bordsprechanlage. „Hier spricht Lieutenant Marchand. Bitte alle gut zuhören. Die Schwerkraft liegt hier unten bekanntlich um zehn Prozent über der unserer Erde. Captain Rayen gab die allgemeine Empfehlung heraus, die Schwerkraftemitter in den Fahrzeugen abgeschaltet zu lassen. Auf diese Weise sollten sich unsere Körper schneller an das leicht erhöhte Gewicht gewöhnen, das wir ab sofort dort draußen mit uns herumschleppen müssen. Wir halten uns an die Empfehlung des Captains. Das bedeutet, sobald wir den Bauch dieser Raumfähre hier verlassen, werden Sie das augenblicklich zu spüren bekommen. Seien Sie darauf vorbereitet.“

Kurze Zeit nach dieser Ansage meldete sich Carolin Schneider über Funk: „Achtung, hier Ladekontrolle. Captain Rayen hat soeben für alle Fahrzeuge des Vorauskommandos die Freigabe zum Entladen erteilt. Also raus mit Ihnen, Queen-Bravo-4. Sobald Sie die Fähre verlassen haben, übergeben wir Sie an den Funkkreis der Aufklärungssquadron. Da wir uns dann nicht noch einmal hören werden, wünsche ich ihnen viel Glück hier unten. Ladekontrolle Ende.“

„Danke. Ihnen und Ihrer Crew einen guten Rückflug. Hier Queen-Bravo-4, Ende“, gab Annie Marchand über Funk zurück und warf dann ihrem Fahrer einen Blick zu. „Sie haben es gehört, Corporal. Lassen Sie uns endlich mal die Nase nach draußen stecken und nachsehen, wohin man uns hier überhaupt verfrachtet hat.“

4. August 2173 Zeus-IFV-Schützenpanzerwagen „Queen-Bravo-4“ Tarnas / Nordatlantische Ebene / Landepunkt Vorhut

D er 187,5-Tonnen-Kampfwagen rollte leicht schwankend die Laderampe herab. Als seine acht breiten Ballonreifen nacheinander Kontakt mit dem Planetenboden bekamen, wirbelte leichter Staub auf. Das große Fahrzeug bewegte sich noch knapp dreißig Meter weiter und kam dann zum Stehen. Es warf auf dem felsigen Boden einen langen Schatten.

Die Morgendämmerung auf dem Tarnas befand sich gerade in ihrer letzten Phase. Im Nordosten schien der Horizont in Flammen zu stehen. Dabei leuchtete der Himmel aber nicht feuerrot, wie auf der Erde, sondern war in ein blauweißes Licht getaucht.

Die sechs Leute im Cockpit des Zeus IFV gönnten dem Schauspiel momentan kaum einen Blick, denn sie kämpften gerade mit ganz anderen Empfindungen. Ein unsichtbares Gewicht hatte sich plötzlich auf ihre Körper gelegt. Es drückte auf ihre Köpfe, auf ihre Schultern, auf ihre Leiber – nicht besonders stark, aber eben doch deutlich spürbar. Und nicht nur die Menschen selbst waren schlagartig gleich einige Kilo schwerer. Es betraf auch alles, was sie an sich trugen – die Raumanzüge, die Helme sowie die Waffengürtel. Das fühlt sich nicht unbedingt schön an. Es wirkte vielmehr – und das im wahrsten Sinne des Wortes – bedrückend. Vor allem, wenn man sich klarmachte, dass es nicht einfach so wieder verschwinden würde, sondern ein dauerhafter Zustand blieb. Zumindest für die kommenden zwei Jahre.

„Ladies und Gentlemen, herzlich willkommen auf dem Tarnas. Kaum zu fassen, aber wir stehen jetzt tatsächlich auf der Oberfläche unseres Zielplaneten“, murmelte Annie Marchand und holte sich die Daten der Außenmessfühler des Fahrzeuges auf ihren rechten Bildschirm. „Okay, wie es aussieht, ist der Boden unter uns stabil. Die Sensoren registrieren keine Säure oder giftigen Gase in der Umgebung. Die Zusammensetzung der Luft liegt bei vierundsiebzig Prozent Stickstoff, fünfzehn Prozent Sauerstoff, fünf Prozent Kohlenstoffdioxid, einem Prozent Argon, einem weiteren Prozent Methan sowie vier Prozent Wasserdampf und sonstige Gase. Das wäre für uns ja beinahe atembar. Langfristig würde mir aber die erhöhte CO2-Konzentration etwas Sorgen machen. Auch registrieren die Sensoren Mikroben und Keime in der Luft, denen ich mich trotz unserer vielen Impfungen besser nicht ausgesetzt sehen möchte. Der Luftdruck liegt bei mehr als 1.230 Hektopascal, was wirklich beeindruckend ist. Wir haben außerdem einen leichten Wind von fünfundzwanzig Stundenkilometern aus Richtung Westen, und es wird langsam wärmer. Die Temperatur liegt inzwischen schon vier Grad Celsius über Null und klettert momentan ziemlich rasch weiter aufwärts. Wenn sich das so fortsetzt, erleben wir nicht nur einen sehr langen, sondern auch sehr heißen planetaren Tag.“ Sie schaltete nach diesen Worten auf den Funkkreis der Aufklärungssquadron um. „Puma-Leader, hier Queen-Bravo-4, wir sind draußen.“

Das Squadronführungsfahrzeug bestätigte.

Marchand lauschte einige Sekunden lang weiter in den Äther hinein und informierte dann die Anwesenden: „Okay, die ersten Panzerwagen der Aufklärer haben ihre Sicherungspositionen erreicht und melden, dass alles leer und sehr friedlich ist. Kein Draconis-Kartell und auch keine anderen bösen Überraschungen.“ Ihr Blick richtete sich jetzt auf eine hektisch flackernde Lampe an ihrem Pult und gleich darauf auf ihren zentralen Bildschirm. „Wir haben über Data-Link soeben eine Positionsangabe erhalten. Sehen Sie den Navigationsmarker auf Ihrer Kompass-Skala, Corporal?“, erkundigte sie sich bei ihrem Fahrer.

„Ja, Ma’am.“

„Dorthin will Captain Rayen uns jetzt haben. Sorgen Sie dafür, dass wir ihr diesen Wunsch rasch erfüllen.“

„Verstanden, Ma‘am.“ Marc sah durch die Cockpitscheiben nach draußen und versuchte dann mit Hilfe der Außenkameraansichten auf dem rechten Bildschirm seines Pultes zu ergründen, ob der Bereich um den großen Kampfwagen wirklich frei war.

Der Zeus IFV besaß zwar Sensoren ohne Ende – das reichte von Nahbereichs- und Long-Range-Radar über Lidar bis hin zu Ultraschall-Abstandswarnern – doch die Sicherheitsvorschriften der Streitkräfte der Solaren Union waren in solchen Fragen sehr pingelig.

Der Weg war frei.

Der Corporal legte durch Betätigen der Schaltwippe unter dem Lenkrad die erste Fahrstufe ein und trat aufs Gaspedal.

Der schwere Achtrad-Schützenpanzerwagen setzte sich in Bewegung. Ihm schien die erhöhte Schwerkraft des Himmelskörpers, über dessen Oberfläche er jetzt rollte, nicht wirklich etwas auszumachen. Obwohl er plötzlich mehr als zweihundertsechs Tonnen wog, beschleunigte er erstaunlich flink und entfernte sich nun immer weiter von der Raumfähre.

4. August 2173 Zeus-IFV-Schützenpanzerwagen „Queen-Bravo-4“ Landepunkt Vorhut / 250 Meter Distanz zur Raumfähre

D ie groben Stollenreifen des Planetar-Fahrzezges schleuderten kleine Steine, Sand und Staub auf. Der felsige Untergrund war rau. Doch das merkten die Insassen des Schützenpanzerwagens kaum, da die computergesteuerten Linearmotoren der elektrischen Federung die Stöße locker schluckten. Der Zeus IFV schwankte lediglich ein wenig, während er von seinem Piloten zwischen zwei größeren Felsbrocken hindurchgesteuert wurde.

„Das da vorn muss es sein“, erklärte Annie Marchand nach einem Blick auf ihren Navigationsbildschirm und wies durch das Cockpitfenster auf eine große Bodenwelle.

Der Elektromotor des Zeus IFV bekam am steilen Hang des Höhenzuges deutlich mehr zu tun und meldete sich mit einem leisen Röhren zu Wort, das jetzt bis nach vorn ins Cockpit drang.

Das schwere Fahrzeug kletterte die Schräge hinauf und erreichte schließlich den Kamm der großen Bodenwelle, auf dem es stoppte.

Marc unterbrach die Energiezufuhr zum Motor und aktivierte die Feststellbremse. „Genau hier ist es, Ma‘am“, erklärte er mit einem raschen Blick auf seinen Navigationsschirm.

„Ohne Zweifel“, bestätigte Annie Marchand, die immer noch nicht begriff, weshalb die Leiterin des Vorauskommandos Queen-Bravo-4 ausgerechnet auf diese Bodenwelle hinaufbeordert hatte. „Ich sehe unweit links von uns einen Perseus-Scout-Panzerwagen der Aufklärer auf einer Hügelkuppe stehen. Der hat von dort aus das gesamte Umfeld wunderbar im Blick. Ich glaube daher nicht, dass Captain Rayen uns zum Sichern hier heraufgeschickt hat. Sie will uns etwas zeigen, oder uns auf etwas aufmerksam machen.“

Die sechs Cockpitinsassen spähten neugierig aus den Fenstern.

Dem Höhenzug, auf dem Queen-Bravo-4 jetzt stand, schloss sich ein langes Tal an, welches in die nächste Erhebung überging. Das setzte sich in einem ewigen Auf und Ab immer weiter so fort, bis zum Horizont.

Das ist also die Nordatlantische Ebene, dachte Marc und musterte das Gelände, das an einen zu Stein, Erde und Sand erstarrten Ozean erinnerte, aus dem hier und da Steinklippen als bizarre Skulpturen herausragten.

Dass es auf dem extrasolaren Planeten primitives Leben gab, wusste man inzwischen. Zu sehen gab es davon im Moment allerdings absolut nichts. Natürlich waren die Mikroorganismen, die in der Luft sowie im Boden hausten, viel zu klein für das menschliche Auge. Doch es ließen sich auch keine flauschigen, grünen Moosteppiche und bunten Flechtengewächse ausmachen.

Marc fühlte Enttäuschung in sich aufsteigen. Irgendwie hatte er sich ein bisschen mehr erhofft, als diese Ödnis hier.

Die Reporterin des Presseteams schienen ähnliche Gedanken zu bewegen. Sie spähte angestrengt nach draußen – so lange, bis ihr vor Anstrengung Tränen in den Augen standen. Doch sie wurde gleich darauf mit einer Entdeckung belohnt. „Was ist das dort hinten auf dem flachen Berg?“