Sternenflug - Peter Schindler - E-Book

Sternenflug E-Book

Peter Schindler

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Beschreibung

Dieses Buch ist Teil 1 einer aus insgesamt zehn Bänden bestehenden Reihe mit einer chronologisch fortlaufenden Geschichte. Mehr als einhundert Jahre in der Zukunft stellen Reisen bemannter Raumschiffe bis an den Rand des eigenen Sonnensystems kein wirkliches Problem mehr dar. Dagegen ist der Flug über diesen Rand hinaus zu anderen Gestirnen immer noch ein unerfüllbarer Wunsch. Eine unerwartete Entdeckung lässt diesen Wunsch jedoch plötzlich in den Bereich des Möglichen rücken. Die menschliche Zivilisation will sich endlich ihren großen Traum erfüllen und plant eine interstellare Reise in eine Welt jenseits der Sonne und ihres Planetensystems. Sie setzt alles daran, dieses Ziel zu erreichen und baut die größten Raumschiffe, welche die Menschheit jemals gesehen hat. Ein junger Raumjägerpilot namens Marc Ewert gehört zu jenen zwölftausend Wagemutigen, die an Bord des Interstellarschiffes "Antares" an der bedeutendsten und wichtigsten Mission der Menschheit teilnehmen, einen Flug, der sie weit hinter den stellaren Horizont führen soll. Der Auftrag der "Antares" lautet, ein fremdes Sternensystem zu erreichen und in diesem bis zu einem extrasolaren Planeten vorzudringen, der möglicherweise erdähnliche Bedingungen bietet, vielleicht sogar einmal eine zweite Erde werden könnte. Es ist ein Flug, der nicht nur Jahre dauern wird, sondern auch voller Gefahren steckt. Tatsächlich aber treten schon während der Vorbereitungen der Interstellarexpedition Probleme und Schwierigkeiten auf. Doch die Menschen an Bord der "Antares", unter ihnen Marc Ewert, sind bereit, sich allen Risiken zu stellen.

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Seitenzahl: 825

Veröffentlichungsjahr: 2019

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„Denke nicht an das, was dir fehlt, sondern an das, was du hast! Diese Buchreihe ist meiner Familie gewidmet, die meinen größten und wertvollsten Schatz darstellt. Vielen Dank für euer Verständnis, euer Vertrauen sowie eure Unterstützung.“

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1 – Die Entdeckung

Kapitel 2 – Die Einschiffung

Kapitel 3 – Die Antares

Kapitel 4 – Vorbereitungen

Kapitel 5 – Der Anschlag

Kapitel 6 – Die Verlegung

Kapitel 7 – Der Einsatz

Kapitel 8 – Der Aufbruch

Kapitel 9 – Durchs Sonnensystem

Kapitel 10 – Die letzten Tage

Kapitel 11 – Hibernation

Kapitel 12 – Das Erwachen

Kapitel 13 – Das neue System

Kapitel 14 – Die Ankunft

Epilog

Personenverzeichnis der „Antares“

Glossar

Nachwort

Weitere Titel dieser Buchreihe:

Buch 2

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Drachenfeuer

Buch 3

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Himmelfahrtskommando

Buch 4

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Am Scheideweg

Buch 5

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Planetarlandung

Buch 6

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Vorauskommando

Buch 7

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Die Basis

Buch 8

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Drachenwelt

Buch 9

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Planetarerkundung

Buch 10

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Leviathan

Prolog

Anfang des 22. Jahrhunderts erreichten Überbevölkerung, Klimaerwärmung, Rohstoffknappheit und Umweltzerstörungen auf der Erde ein Ausmaß, das die weitere Existenz der menschlichen Rasse in Frage stellte. Die Menschheit war an einem Scheideweg angelangt und kam zu der Erkenntnis, nur gemeinsam den drohenden Untergang aufhalten zu können.

Aus den Vereinten Nationen entstand die Solare Union, unter deren Dach man die Rettung der eigenen Spezies in Angriff nahm. Dieser Prozess zeigt inzwischen Erfolge. Er dauert aber noch an und wird wohl noch Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte, in Anspruch nehmen.

Die Menschen beschreiten seitdem einen Weg, der sie zunehmend über die Grenzen des eigenen Planeten hinaus in den Weltraum führt.

Im All entstehen riesige Wohnhabitate. Auf dem Mond sowie dem Mars werden zudem gewaltige Kolonien errichtet.

Um der Rohstoffknappheit zu begegnen, erkunden Sonden die Asteroidengürtel, um sich neue Vorkommen zu erschließen. Die Suche nach neuen Ressourcen führt den Menschen immer weiter in den Weltraum hinaus. Auf diese Weise ist er dabei, das gesamte Sonnensystem für sich zu erobern.

Zweihundert Jahre nach der Landung von Neil Armstrong und Buzz Aldrin mit Apollo 11 auf dem Mond fliegen gewaltige bemannte Raumschiffe durch das gesamte Sonnensystem, erreichen dabei den sonnenfernsten Planeten – den Neptun – und dringen sogar noch ein Stück über ihn hinaus vor.

Fortschrittliche Fusionsantriebe sorgen dafür, dass solche Reisen nicht mehr Jahre, sondern nur noch Wochen dauern.

Künstliche Schwerkraftsysteme an Bord der Schiffe gestalten den Flug vergleichsweise angenehm, und wirksame Masseträgheitsdämpfer sorgen dafür, dass die während der Reise auftretenden hohen Beschleunigungs-, Verzögerungs- und Fliehkräfte von den Besatzungsmitgliedern und Passagieren nicht mehr wahrgenommen werden.

Das Raumfahrtzeitalter erlebt nach langer Stagnation endlich eine Blütezeit und ist für die menschliche Spezies zu einem Garant des eigenen Überlebens geworden.

Doch die Wohnhabitate im All sowie die riesigen Kolonien auf Mond und Mars besitzen Grenzen – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Daher träumt die menschliche Zivilisation von einer zweiten Erde, wohl wissend, dass sie diese im Sonnensystem nicht findet. Aber vielleicht gibt es diese Erde 2.0 ja doch – irgendwo hinter dem stellaren Horizont.

Und so richten die Menschen voller Sehnsucht ihren Blick in die schwarze Weite des Alls, hinaus zu den blinkenden Sternen.

Jeder einzelne Lichtpunkt am Nachthimmel steht für ein System, das vielleicht einen Planeten mit erdähnlichen Bedingungen birgt. Es mag eine Welt voller fantastischer, unheimlicher, düsterer und bizarrer Dinge sein, aber sie könnte für einen Neuanfang stehen.

Doch so groß die Sehnsucht nach dieser Welt auch sein mag, die Entfernung zu ihr ist noch viel größer – und scheinbar unüberwindbar.

Das Universum steckt voller Dinge, die noch entdeckt werden wollen. Die Suche nach ihnen ist mühsam, riskant, manchmal unmöglich und vielleicht auch tödlich.

Doch Träume und Hoffnungen können starke Triebfedern darstellen. Sie bringen die Menschheit immer wieder dazu, sich den Herausforderungen zu stellen, wie schwer und tödlich diese auch sein mögen. Der Mensch wird auf immer und ewig wissen wollen, was sich hinter dem Horizont befindet – hinter der äußeren Grenze des Sonnensystems.

Dort beginnt das große Mysterium, der interstellare Raum.

Kapitel 1 – Die Entdeckung

2. März 2071 Raumsonde „Voyager 6“ Interstellarer Raum / Erddistanz 17,8 Milliarden Kilometer

Die rund sechs Tonnen schwere Raumsonde mit dem Namen Voyager 6 war seit ihrem Start am 13. Juni 2050 schon mehr als 21 Jahre unterwegs. Seinen Namen trug das Raumfluggerät nicht umsonst. Er sollte an die namensgleichen Vorgängersonden erinnern, die – angefangen mit Voyager 1 und Voyager 2 – in weit, weit früheren Zeiten aufgebrochen waren, um die Planeten des Solaren Systems zu erkunden und schließlich den Rand des Sonnensystems zu erreichen. Alle fünf Vorgänger hatten dieses Ziel erreicht.

Auch Voyager 6 hatte zunächst die Planeten, dann den Termination Shock und schließlich die Heliopause, an welcher der Sonnenwind endet, hinter sich gelassen. Sie befand sich nun im interstellaren Raum und gleichzeitig auf dem Weg in Richtung der Oortschen Wolke, die als äußere Grenze des Sonnensystems galt.

Mit zirka 1,4 Lichtjahren Distanz war die Oortsche Wolke allerdings so weit entfernt, dass kein Mensch zu sagen vermochte, ob die Sonde mit ihren „nur“ 90.000 Stundenkilometern Geschwindigkeit jemals auch nur in die Nähe gelangen würde.

Wie auch immer, Voyager 6 erwies sich schon jetzt als sehr erfolgreich, denn das Fluggerät hatte, wie schon seine Vorgänger, neue Informationen über das interstellare Plasma zusammengetragen.

An diesem 9. September des Jahres 2071 erfassten die Sensoren der Sonde allerdings etwas, das in seiner Bedeutung weit über das bisher Entdeckte hinausreichte. Es war zunächst noch sehr weit entfernt, stellte lediglich einen hellen Punkt im schwarzen Nichts des interstellaren Raumes dar. Doch es wuchs, je mehr die Raumsonde sich ihm annäherte. Die Erscheinung wies in ihrem Zentrum eine tiefschwarze Färbung auf und wäre im Weltall zumindest für das bloße Auge überhaupt nicht sichtbar gewesen, wenn es da nicht die Lichtkorona gegeben hätte, die sie umfloss.

Voyager 6 kam dem Phänomen immer näher und sammelte dabei fleißig Daten. Der erste Eindruck, eine schwarze Fläche oder gar ein Loch vor sich zu haben, schwand. In der Annäherung wurde ein kugelförmiges Gebilde sichtbar.

Die Sonde maß den Durchmesser des schwarzen Kugelkörpers im Zentrum der Erscheinung. Er lag bei zirka dreihundert Kilometern. Die Strahlenkorona besaß dagegen eine Ausdehnung von etwa fünfhundert Kilometern. Beides, sowohl die Kugel, als auch ihre Strahlenkorona, rotierten.

An den äußeren Rändern schien die Ringscheibe aus leuchtenden Gas- und Staubteilchen zu bestehen, die sich mit zunehmender Nähe zum Objekt in Plasma verwandelten und sich aufgrund des Gravitationssoges und der Beugung des Lichtes verzerrten.

Die bisher weitgehend geradlinige Flugbahn von Voyager 6, die hier außerhalb des Sonnensystems keine nennenswerte Beeinflussung mehr durch die Massegravitation großer Himmelskörper erfuhr, begann sich zu krümmen. Der Effekt war zunächst kaum wahrnehmbar, gewann aber immer mehr an Stärke. Je mehr die Distanz des künstlichen Raumflugkörpers zur Erscheinung schrumpfte, desto mehr veränderte sich seine Flugbahn. Irgendwann bestand kein Zweifel mehr, dass Voyager 6 von der Erscheinung angezogen wurde.

Die Sonde besaß zwar Manövertriebwerke, doch die vermochten der Sogkraft der Erscheinung nichts entgegenzusetzen. Obwohl immer klarer wurde, dass es kein Entrinnen gab, tat sie unbekümmert das, wozu sie konstruiert worden war – sie sammelte immer weiter neue Informationen und schickte sie in Datenpaketen über ihre Kommunikationsanlage in Richtung Erde, wo man sie mit einer zeitlichen Verzögerung von mehr als siebzehn Stunden empfangen würde.

Es war, als sei das Fluggerät in einen Strudel geraten, dem es nicht mehr entkommen konnte. Obwohl sich seine Geschwindigkeit tatsächlich nicht veränderte, sah es beim Eintritt in den stark gekrümmten Bereich der Raumzeit für einen außenstehenden Beobachter so aus, als werde die Sonde zunehmend langsamer.

Dann kam der Moment, in dem die lichtschnellen Funksignale von Voyager 6 nicht mehr in der Lage waren, den Gravitationssog zu überwinden und einfach verschluckt wurden. Es gab nun keinerlei Verbindung mehr zwischen dem Raumflugkörper und der Außenwelt.

Die Raumsonde begann sich zu verzerren und auszudehnen, so als sei sie aus Gummi. Die dabei wirkenden Kräfte wurden schließlich so stark, dass sich das Raumfahrzeug einfach in seine atomaren Bestandteile auflöste und im Nichts verschwand.

3. März 2123 Planet Erde Vereinigte Solare Weltraumbehörde SSA

Die Menschheit stellte sich lange Zeit die Frage, auf was Voyager 6 dort draußen im interstellaren Raum gestoßen sein mochte.

Die Wissenschaftler gingen zunächst von einem Schwarzen Loch aus. Es stellte die wahrscheinlichste Erklärung dar. Vieles sprach dafür, dass man es mit einer ungewöhnlichen Form eines rotierenden Schwarzes Loches mittlerer Masse von vielleicht einigen hunderttausenden Sonnen zu tun hatte.

Allerdings sprachen auch einige Fakten dagegen.

Die Menschheit benötigte nach der Entdeckung des Phänomens mehr als achtzig Jahre, um mit immer neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen über den Weltraum und seinen Aufbau zu dem endgültigen Schluss zu kommen, dass man es mit einem sogenannten „regulären“, rotierenden, schwarzen Schwerkraftmonster zu tun hatte. Allerdings eines ohne Ereignishorizont und Singularität.

Stattdessen, so die Ansicht der Wissenschaftler, musste es mit einem Bereich in einem anderen Teil des Universums verbunden sein, der ebenfalls ein Gravitationsphänomen darstellte – einem Weißen Loch.

Weiße Löcher bildeten das Gegenteil der Schwarzen Löcher. Sie spuckten gewaltige Mengen an Masse und Licht in den Weltraum. Statt etwas anzusaugen, stießen sie es aus. Ihren Namen verdankten sie dem Umstand, dass sie wegen des vielen austretenden Lichts tatsächlich gleißend hell erschienen. Weiße Löcher konnten aber nur in Symbiose mit einem Schwarzen Loch existieren.

Die Krümmung der Raumzeit zwischen zwei miteinander verbundenen Gravitationsphänomenen – nämlich einem Schwarzen und einem Weißen Loch – dies bildete im Grunde genommen die klassische Definition eines Wurmloches.

Hatte Voyager 6 also dort draußen tatsächlich ein Wurmloch entdeckt?

Wie auch immer, man gab dem Gebilde erst einmal einen Namen und taufte es auf Heliogantis.

Im Jahre 2123 gelang den Astronomen eine neue Entdeckung. Sie stellten fest, dass sich Heliogantis nicht allein dort draußen befand. In etwa 1,5 Milliarden Kilometern Entfernung, nach kosmischen Maßstäben also quasi in der Nachbarschaft, gab es eine zweite Gravitationsanomalie – ein Weißes Loch. Trotz seines hellen Strahlens war es bisher nicht aufgefallen, da es sich recht erfolgreich hinter einer interstellaren Wolke verbarg, die durch die Materieausdünstungen erzeugt wurde.

Die Entdeckung dieses Weißen Loches in der relativen Nähe von Heliogantis beflügelte die Fantasie der Wissenschaftler und warf die Frage auf, ob es sich nicht tatsächlich um das Ende eines Wurmloches handelte, welches parallel zu Heliogantis verlief, nur eben in umgekehrter Richtung. Die Grundlage hierfür bildete die Theorie eines Astrophysikers, der die Meinung vertrat, beide Wurmlöcher stellten ein miteinander verknüpftes Gebilde dar. Er verglich dies mit einem Autobahntunnel mit zwei gegenläufigen Richtungsröhren.

Eine weitere bahnbrechende Entdeckung gelang einem Team von Physikern nur etwa ein Jahr später mit dem Entwurf eines sogenannten Quantenkäfigs zum Schutz gegen die zerstörerischen Gezeitenkräfte Schwarzer Löcher.

Hatte die Menschheit jetzt vielleicht die Lösungen für zwei Probleme gefunden, die einen Flug durch das Heliogantis-Wurmloch möglich erscheinen ließen?

Kapitel 2 – Die Einschiffung

1. Oktober 2170 Magnetschwebebahn Erde / Deutschland / Raumflughafen „Germania“

Die Magnetschwebebahn huschte mit Tempo dreihundert auf der fünfzehn Meter über der Landschaft liegenden Hochtrasse dahin. Und das für die Insassen völlig lautlos. Antriebsgeräusche gab es nicht, und das Pfeifen des Fahrtwindes drang nicht bis ins Innere der gut isolierten Kabine.

Die Bahn benötigte für die dreihundert Kilometer lange Strecke zwischen Erfurt und Berlin lediglich eine Stunde. Hinzu kamen zehn Minuten für einen Halt in Leipzig, der nun allerdings schon hinter den Fahrgästen lag.

Marc Ewert saß auf einem der bequemen Sitze und blickte auf den Deckenmonitor mit den angezeigten Reisedaten.

Dieser verriet, dass bis zum Eintreffen am Zielbahnhof auf dem Gelände des Raumflughafens Germania am südlichen Rand von Berlin nur noch zehn Minuten blieben.

Der junge Mann trommelte mit den Fingern beider Hände in einem bestimmten Rhythmus auf seinen Knien. Dies tat er immer, wenn er nachdachte. Und auch in jenen Momenten, in denen er einfach nur gedankenverloren irgendwohin starrte, wie es jetzt der Fall war. Es handelte sich nicht einfach nur um irgendeinen Rhythmus, den seine Finger nachahmten. Es war vielmehr eine komplizierte Beatfolge, die man am Schlagzeug spielte. So, wie es Marc Ewert in seiner Vergangenheit getan hatte.

Seine Eltern waren immer der Meinung gewesen, ihr Sohn und die beiden Töchter müssten nach dem schulischen Unterricht unbedingt noch einer sportlichen sowie einer künstlerischen Betätigung nachgehen. Ersteres hatte für alle drei Kinder den Eintritt in einen Schwimmverein zur Folge und Letzteres jahrelange Besuche einer Musikschule zum Erlernen von Instrumenten.

Bei dem Instrument war Marc Ewerts Wahl auf das Schlagzeug gefallen. Wie auch das Schwimmen nicht. Er hatte beide Entscheidungen nie bereut. Wohl nicht zuletzt deshalb war er in beiden Dingen mit der Zeit auch richtig gut geworden.

Doch das lag lange zurück, und dem jungen Mann gingen momentan ganz andere Dinge durch den Kopf, während er durch die getönten Fenster auf die vorbeihuschende Landschaft blickte. Er dachte an die Fahrt, die an diesem Montagmorgen in Bad Frankenhausen, seinem ehemaligen Heimatort, begonnen hatte.

Seine Eltern, Janina und Michael Ewert, besaßen dort ein kleines Häuschen. Mit nur 110 Quadratmetern Wohnfläche war es nicht unbedingt ein Palais, und das Grundstück glich größenmäßig ebenfalls eher einem Handtuch. Doch es gehörte den Ewerts und stellte in einer Welt, in der Lebensraum aufgrund der akuten Übervölkerung der Erde unglaublich rar und teuer geworden war, einen unermesslichen Schatz dar. In jedem Fall bot es ein weit schöneres Zuhause, als die riesigen Wohnhabitate im Weltraum oder auch die Mond- und Marskolonien, in denen Millionen von Menschen ihr Leben fristen mussten.

Michael Ewert hatte sich extra einen halben Tag frei von seiner Arbeit genommen, um seinen Sohn persönlich in die thüringische Landeshauptstadt zu bringen.

Der Mutter war dagegen kein Urlaub gewährt worden. Offenbar glaubte ihr Arbeitgeber, keine einzige Minute auf die Dienste der gelernten Sozialpädagogin verzichten zu können.

Die anderthalbstündige Fahrt mit dem leise surrenden Elektro-Auto von Bad Frankenhausen über die Autobahn nach Erfurt war weitgehend in Stille verlaufen. Marc und sein Vater hatten kaum ein Wort miteinander gewechselt. Selbst zum Abschied am Eingangsportal des Bahnhofes der Magnetschwebebahn waren nicht sehr viele Worte gefallen. Als umso fester hatte sich die Umarmung Michael Ewerts für seinen Sohn erwiesen.

Inzwischen lag dieser Moment aber schon wieder beinahe eine Stunde zurück, und Marc Ewert beschäftigten andere Dinge. Wie etwa der Mann, der ihm gegenübersaß.

Der Alte, der vermutlich schon tief im Rentenalter steckte, hatte seinen Sitznachbarn zuerst nur verstohlen angestarrt, betrachtete ihn aber inzwischen ziemlich offen und ungeniert.

Es lag wohl an der blauen Dienstuniform der Solaren Weltraumstreitkräfte – der Solarian Union Space Forces. Außerhalb von Raumflughäfen und Geschwaderstützpunkten sah man nur sehr selten Angehörige der Solaren Streitkräfte in ihrer Dienstkluft, da sie sich in der zivilen Welt in der Regel auch in ziviler Kleidung bewegten.

Marc Ewert fühlte sich wie ein Zootier begafft und bedauerte, dass er jetzt in den Militärklamotten steckte. Doch es war nicht anders gegangen, denn neben seinem vollgestopften Militärkampfrucksack führte er nur eine kleine Sporttasche bei sich, die wenig Platz für Wechselkleidung bot, wie man sie angesichts des kühlen, launischen Herbstes draußen gerade benötigte.

Es regnete an diesem 1. Oktober des Jahre 2170 zwar nicht, doch zumindest der Morgen war ziemlich kühl gewesen.

Der Blick des Alten streifte Marc erneut. Er musterte das schiefergraue Barett sowie die Dienstgradabzeichen auf den Schultern des jungen Mannes, die einen „Silberpickel“ und einen schiefergrauen Farbbalken mit dem Schriftzug Space Fighting Forces aufwiesen. Dann ließ er seine Augen über die Brustabzeichen gleiten, die neben der Flagge der Solaren Union den Namen des Inhabers der Uniform anzeigten. All dies vermochte aber die Neugier des Mannes nicht wirklich zu befriedigen, und so rang er sich dazu durch, den Mund zu öffnen. „Darf ich Sie etwas fragen, junger Mann?“

Marc war zu höflich, um den anderen einfach wegtreten zu lassen. Also nickte er und erklärte. „Was wollen Sie denn wissen?“

„Sind Sie Raumpilot?“

„Ja.“ Die Antwort fiel kurz und knapp aus, obwohl es eigentlich zu diesem Thema eine ganze Menge mehr zu erzählen gegeben hätte. Denn vor seiner neuen Karriere bei den Weltraumstreitkräften hatte Marc Ewert als ziviler Raumfährenpilot bei einer Transportgesellschaft namens Milan Corporation mit Sitz auf dem Mond gearbeitet. Aber das stellte eine ganze andere Geschichte dar, die den alten Mann nichts anging.

„Was fliegen Sie denn?“, wollte der jetzt wissen.

„Einen Raumjäger.“

„Oh, dann sind Sie wohl ganz andere Geschwindigkeiten gewöhnt, als das hier?“

„Stimmt.“ Der leichte Cyclone-Raumjäger, den Marc flog, war rund einhundertachtzig Mal schneller unterwegs, als die Magnetschwebebahn hier.

„Interessant. Und der eine Pickel auf ihrem Schulterstück, was für ein Dienstgrad ist das?“

„Ich bin Ensign.“

„Häh?“

„So nennt sich ein Unterleutnant bei den Weltraumstreitkräften.“

„Ah, verstehe. Geht es zu einem neuen Einsatz?“

Marc nickte.

Der alte Mann betrachtete den Ensign mitfühlend. „Ist sicher ein harter Job. Wie lange werden Sie weg sein?“

„Ziemlich lange.“

„Ja. So ein paar Wochen Trennung vom eigenen Zuhause sind sicher ziemlich hart.“

„Es sind nicht nur ein paar Wochen“, korrigierte Marc. „Die Mission ist für sechs Jahre angesetzt.“

Der Alte verschluckte sich und hüstelte. Dann krächzte er: „Um Gottes Willen, wohin muss man fliegen, um so lange fortzubleiben? Schickt man Sie etwa zu einem Asteroidenhaufen hinter den Neptun, um auf die ach so wertvollen Schürfminen dort aufzupassen? Hab gehört, es gehen jetzt viele dorthin, da es dort im Gegensatz zur Erde noch gutbezahlte Arbeit gibt. Ist ja auch nicht unbedingt ein Knochenjob, denn den erledigen eher die Roboter. Kann nur etwas einsam werden, wenn man so weit draußen und so weit entfernt von der Erde ist.“

Marc zögerte und überlegte, wie er antworten sollte. Die Reise, die er antrat, führte nicht zum Neptun und auch nicht zu den Schürfminen in einem Asteroidengürtel. Ihr Ziel lag viel weiter weg – viel, viel weiter.

Der alte Mann dachte nach und fragte dann etwas unerwartet: „Sie sind doch nicht etwa einer diesen Teilnehmern an der Interstellarreise, von der pausenlos in den Nachrichten gesprochen wird, oder?“

Der Raumjägerpilot antwortete nicht, da ihm der etwas abschätzige Tonfall der Frage missfiel.

„Sie dürfen wohl nicht antworten, hm?“

Die Bemerkung entlockte dem Piloten ein Lächeln. Die Interstellarmission stand zwar unter militärischer Führung, doch ein Geheimnis stellte sie nicht dar. Ganz im Gegenteil, die gesamte Welt wusste von ihr. „Schon okay, ich bin einer der Teilnehmer.“

„So, so.“ Der Senior runzelte die Stirn und betrachtete den jungen Mann in der Militäruniform nachdenklich. „Wie weit geht die Reise noch mal?“

„Es sind 8,6 Lichtjahre.“

„Und Sie wollen wirklich so weit von Zuhause weg, junger Mann? Haben Sie denn keine Familie?“

„Doch.“ Marc brach ab, denn er musste plötzlich an den Abschied von seinen Eltern und Geschwistern am frühen Morgen denken. Die Bilder vor seinem geistigen Auge peinigten ihn einen Moment lang.

Seine Mutter hatte die Tränen nur schwer zurückhalten können, und war schließlich mit verquollenen Augen zur Arbeit aufgebrochen.

Die beiden Schwestern – die siebzehnjährige Vanessa und die fünfzehnjährige Viktoria, hatten beklommen dreingesehen.

Wie verabschiedete man sich eigentlich zu einer Reise mit vielen Unbekannten, die in eine Lichtjahre entfernte, fremde Welt führen und dabei einen ganzen Abschnitt des eigenen Lebens verschlingen würde?

„Sie wirken noch sehr jung. Darf ich fragen, wie alt Sie sind?“

„Ich werde in wenigen Tagen vierundzwanzig.“ Marc sagte dies beinahe trotzig. Er feierte tatsächlich in zwanzig Tagen – am 20. Oktober – seinen 24. Geburtstag, und es nahm ihn persönlich stark mit, dass er es nicht im Kreis seiner Familie tun würde.

Seine Mutter hatte sehr lange nicht verstanden, weshalb die Solaren Weltraumstreitkräfte auf solche Dinge keine Rücksicht nahmen und den Einschiffungsbefehl für den 2. Oktober erteilt hatten. „Schaut bei denen keiner in die Personalakten und kontrolliert solche Dinge? Also bei uns in der Firma gäbe es das nicht.“

„Deine Firma muss sich ja auch nicht um 24.000 Leute kümmern, Mama“, hatte Marc erwidert, obwohl er seiner Mutter im Stillen Recht gab.

„Und Sie wollen diese lange Reise wirklich auf sich nehmen?“, fragte der alte Mann teilnahmsvoll und holte den Ensign mit seiner Frage wieder in die Wirklichkeit zurück.

„Ja.“ Marc Ewert sagte es mit fester Stimme, denn es war die Wahrheit. Tatsächlich hatte er sehr viel aufgegeben, um an der interstellaren Reise teilnehmen zu können. Es lag gerade einmal acht Wochen zurück, dass er seine zehnmonatige verkürzte Qualifikation zum Raumjägerpiloten abgeschlossen hatte, um sich im Anschluss für die Teilnahme an der Siriusmission zu bewerben. Da er auf diese Weise kein reguläres Offiziersstudium nachweisen konnte, trug er eben auch nur den Dienstgrad eines Unterleutnants – also eines Ensign im internationalen Sprachgebrauch der Solaren Weltraumstreitkräfte.

Die Bestätigung seiner Übernahme als Raumjägerpilot in eine der Cyclone-Raumjägerstaffeln an Bord eines der beiden für die Interstellarreise vorgesehenen Schiffe war am 1. September erfolgt, also erst vor knapp dreißig Tagen. Das erschien ungewöhnlich, denn es gab Leute, die schon seit anderthalb Jahren in dem Wissen lebten, an der Interstellarmission teilnehmen zu dürfen.

Tatsächlich hatten die personellen Planungen für die Reise hinter den stellaren Horizont schon vor beinahe drei Jahren begonnen.

Das Solare Unionsschiff Antares, zu dem Marc jetzt unterwegs war, verfügte über achttausend Kabinen mit Platz für insgesamt zwölftausend Menschen.

Zu den insgesamt 5.710 Frauen und Männern der Raumschiffbesatzung gehörten auch die Angehörigen der beiden kompletten Raumgeschwader, von denen jedes mehr als einhundert Flugmaschinen in seinem Bestand führte. Der Personalhunger war groß. So benötigte allein schon das Transportgeschwader 1.500 Frauen und Männer.

Das Raumkampfgeschwader, dem Marc Ewert angehörte, verfügte über achthundert Personalstellen – Piloten, Crews und Bodentechniker.

„Ich sehe mir die Berichte von dem baldigen Aufbruch zum Sternenflug der beiden Interstellarschiffe hin und wieder auch mal an“, gestand der Alte jetzt. „Ich finde aber, dass die Sache ganz schön hochgepuscht wird.“

„Das finde ich nicht“, widersprach Marc. „Es ist der erste Flug von Menschen in ein anderes Sternensystem.“

Der Mann hob begütigend die Hand. „Schön, schön, Sie haben Recht. Und es fliegen ja auch gleich so viele Leute mit. Wieviel sind es genau?“

„Jedes Schiff hat Platz für zwölftausend Menschen“, antwortete Marc bereitwillig.

Der ältere Herr betrachtete seinen Gesprächspartner ihm gegenüber sehr eindringlich. „Das ist schon erstaunlich. Angesichts der Tatsache, dass wir so viele Milliarden Menschen sind, hätte ich nicht erwartet, einem dieser Teilnehmer einmal persönlich zu begegnen. Wie haben Sie es überhaupt fertiggebracht, dabei zu sein?“

„Es hatte doch jeder Mensch mit den entsprechenden Voraussetzungen und Fähigkeiten die Chance, sich für die Teilnahme zu bewerben“, meinte Marc achselzuckend.

„Nun ja, offenbar haben sich ja genügend Bewerber gefunden“, wunderte sich der alte Mann. „Wer hätte gedacht, dass es so viele Leute gibt, die bereit sind, eine derartige Sache auf sich zu nehmen.“

Marc wusste, dass es mehr als einhunderttausend Bewerber gegeben hatte. Allerdings waren längst nicht alle von ihnen für die Mission geeignet gewesen. Man benötigte einen Beruf, der ins Suchschema passte, möglichst mit Spezialfähigkeiten und langjähriger Erfahrung. Auch durfte man ein gewisses Alter noch nicht überschritten haben und musste gesundheitlich absolut fit sein. Raumflugtauglichkeit und eine Verträglichkeit des Kälteschlafes hatten als weitere Aspekte eine wichtige Rolle gespielt. Hinzu waren eine stabile Psyche, ein sauberes polizeiliches Führungszeugnis und natürlich politische Loyalität gegenüber der Solaren Union gekommen.

In einem aufwendigen Verfahren mit einer Vielzahl von verschiedenen Tests hatte die Solare Union über drei Jahre hinweg ihre Auswahl getroffen.

Allerdings waren einige Leute auch ohne das Absolvieren aufwendiger Prüfmarathons in die Liste der Missionsteilnehmer aufgenommen worden – politische Vertreter der Solaren Union, Wissenschaftler und ausgesuchte technische Spezialisten, bei denen man der Meinung gewesen war, nicht auf sie verzichten zu können.

Hinzu kamen Interessenvertreter aus der Wirtschaft, die einen gewissen Bedarf an Plätzen angemeldet hatten. Kleine Unternehmen, große Konzerne, Dienstleister und Organisationen aller Couleur wollten ihre Leute auf den Schiffen unterbringen, um sich in der „Neuen Welt“ einen Platz in der ersten Reihe zu sichern. Die Palette reichte von Bergbausyndikaten über Pharmaunternehmen bis hin zu Reiseveranstaltern.

Marc sah erneut aus dem Fenster.

Draußen wurde das graue Band einer Autobahn sichtbar, die parallel zur Hochtrasse der Magnetschwebebahn von Süden nach Norden verlief. Es handelte sich um das sechsspurige Band der A9. Es war sehr dicht befahren. Da jedoch die Autos zu beinahe einhundert Prozent in vollautonomen Modus fuhren, ging es sehr diszipliniert zu. Es gab keine Staus.

Dann flogen ein paar Wiesen und Felder vorbei, die schließlich Wald Platz machten.

Letzterer bestand zumeist aus Nadelbäumen und sah stellenweise nicht besonders gesund aus. Es gab ganze Flächen voll mit graubraunen Baumleichen, deren Äste jegliche Nadeln eingebüßt hatten.

Inzwischen existierten Programme zur Aufforstung mit gentechnisch veränderten Bäumen, die mit den schwierigen Umwelt- und Klimabedingungen immer besser klarkamen. Denn Mitteleuropa wurde inzwischen nicht nur von vielen heißen Sommern heimgesucht, sondern auch von trockenen, milden Wintern.

Der Ensign saugte den Anblick der Landschaft geradezu in sich hinein, denn er wusste, dass er dies alles für eine sehr lange Zeit zum letzten Mal sah. Er wollte, dass sich die Bilder von diesem Fleckchen Erde tief in sein Gedächtnis einbrannten.

Zwischen den Bäumen war gelbbrauner Sandboden zu erkennen, wie er rund um die deutsche Hauptstadt typisch war.

Kein Zweifel, bis Berlin und dem südlich davon liegenden Raumflughafen Germania war es nicht mehr weit.

Tatsächlich bremste die Magnetschwebebahn zehn Minuten später stark ab, glitt in einen überdachten Kopfbahnhof hinein und kam zum Stehen.

Eine warme Männerstimme informierte die Fahrgäste, dass man das Reiseziel und damit die Endstation erreicht habe.

Marc erhob sich und zog den Parka an.

Der alte Mann warf ihm einen letzten Blick zu und sagte mit freundlicher Stimme: „Ich wünsche Ihnen viel Glück für Ihre lange Reise junger Mann. Vielleicht entdecken Sie ja für uns alle eine völlig neue Welt, auf der viele Menschen in der fernen Zukunft tatsächlich einmal ein zweites Zuhause finden.“ Der Tonfall des Alten verriet, dass er selbst nicht besonders von seinen gutgemeinten Worten überzeugt war. Er fügte dann noch leise hinzu: „Für mich kommt das zwar nicht mehr in Frage, aber ich möchte ohnehin nicht mehr von der Erde weg.“

Marc nickte dem Alten freundlich zu und setzte sich dann das schiefergrau gefärbte Barett auf. Er verbannte jetzt sämtliche Gedanken aus seinem Hirn und konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt. Also schulterte er den schweren Kampfrucksack und hing sich die Sporttasche über.

Sein Hauptgepäck, bestehend aus einem großen Militärwäschesack sowie einem wuchtigen Rollkoffer, hatte er schon vor drei Tagen bei einem Paketdienst aufgegeben. Wenn alles gut gegangen war – und laut der Onlinenachverfolgung des Transportes via Internet mit Ankunftsbestätigung traf dies zu – würde er sie in spätestens 48 Stunden wiedersehen. Wenigstens musste er sich jetzt nicht damit abplagen.

Der Ensign sah sich um.

Der Raumflughafen Germania stellte im Grunde genommen eine eigene kleine Stadt dar. Er gliederte sich in mehrere große Areale, wie etwa einen 1.500 Hektar großen konventionellen Flughafen mit vier Start- und Landebahnen, einen kleinen Businessflugplatz sowie den eigentlichen Raumflughafen, der auf 1.200 Hektar Fläche sämtliche Starts und Landungen von Raumfahrzeugen jeglicher Art abwickelte.

Dann gab es da natürlich auch noch Werften, Lagerbereiche und natürlich nicht zuletzt den großen Kopfbahnhof für die Magnetschwebebahn.

Hinzu kam ein 800 Hektar großer Bereich für konventionelle Senkrechtstarter-Maschinen – die sogenannten Multikopter.

Gerade eben zog so ein Ding – mit achtzig Metern Länge ein wahrhafter Riese – in vergleichsweise niedriger Flughöhe über den Kopfbahnhof hinweg. Es handelte sich um einen Pegasos-Multikopter, dessen kantiger Rumpf vier Stummelflügel aufwies, in denen insgesamt acht Vertikaltriebwerke untergebracht waren. Deren Propeller wiederum maßen mehr als sieben Meter im Durchmesser und verursachten einen gewaltigen Lärm, der selbst durch das Glasdach der Bahnhofshalle bis zu den Bahnsteigen durchdrang.

Insgesamt nahm der Germania-Raumflughafen eine Fläche von rund 42 Quadratkilometern ein. Das machte nicht nur die Orientierung schwierig, sondern auch die Frage, wie man von Punkt A nach Punkt B kam. Im Extremfall musste man kilometerweite Wege zurücklegen.

Für kürzere Distanzen gab es Laufbänder mit verschiedenen Geschwindigkeiten, für die großen Entfernungen eine Monorail.

Obwohl Marc Ewert nicht zum ersten Mal hier war, sah er sich in Ruhe um.

Zwischen dem Kopfbahnhof der Magnetschwebebahn und dem Areal des eigentlichen Raumflughafens lagen rund vier Kilometer. Die bewältigte man am besten mit der Einschienenbahn, die mit bis zu 140 Stundenkilometern auf dem gesamten Areal verkehrte und die einzelnen Bereiche miteinander verband.

Eine viertel Stunde später stieg der junge Ensign in der unterirdischen Bahnsteighalle aus der Monorail und fuhr über weite Rolltreppen nach oben in das gewaltige Terminalgebäude des Raumflughafens.

Die schiere Größe des Gebäudes mit seinen verglasten Wandfronten war beeindruckend.

Der Pilot verschwendete jetzt aber kaum einen Blick an sie, da er den Raumflughafen bereits aus seiner Zeit als ziviler Raumfährenpilot bei der Milan Corporation kannte. In den zehn Monaten Arbeit bei der Corporation hatte er Germania insgesamt sechs Mal betreten – bei seinem Dienstantritt sowie nach dem Abschied von der Transportgesellschaft, und dann auch noch während zweier Heimaturlaube auf der Erde. Allerdings lag der letzte Besuch hier inzwischen schon wieder vierzehn Monate zurück, sodass sich einige Dinge verändert hatten.

Wie überall auf dem Germania-Gelände, wimmelte es auch hier im Raumfahrtterminal von Menschen.

Die Bekleidung sowie das Gepäck verrieten meist schon, ob es sich um Geschäftsreisende oder Touristen handelte. Bei Letzteren stellte sich zudem immer die Frage, in welche Richtung sie wollten. Bewohner der Weltraumhabitate sowie der Mond- und Marskolonien machten gerne auf der Erde Urlaub, die Erdbewohner dagegen zog es auf den Erdtrabanten, den Roten Planeten oder einfach nur in den Weltraum hinaus.

Marc stellte erleichtert fest, dass er hier auf dem Gelände des Raumflughafens nicht der einzige Uniformträger war, sodass er sich ob der neugierigen Blicke nicht mehr wie ein bunter Paradiesvogel fühlen musste.

Es handelte sich in der Mehrzahl um Leute in den blauen Uniformen der Solaren Weltraumstreitkräfte, die der Ensign jetzt hier sah. Viele von ihnen mochten gleich Marc Ewert zukünftige Angehörige der vier Raumgeschwader an Bord der beiden Interstellarschiffe Antares und Independence sein.

Die Einschiffung des Personals der Geschwader – es ging hier ja immerhin um 4.600 Frauen und Männer – hatte nun begonnen und würde zwei Wochen in Anspruch nehmen.

Das Zurechtfinden in der riesigen Empfangshalle des Terminals erwies sich als nicht ganz einfach. Nachdem der Raumpilot eine Weile die Anzeigetafeln studiert hatte, ohne besonders schlau aus ihnen zu werden, entschloss er sich, einfach einigen blauen Uniformträgern zu folgen. Auf diese Weise gelangte er schließlich zum richtigen Informationsschalter.

Eine junge Frau begrüßte ihn. Im Gegensatz zu ihren adretten Kolleginnen und Kollegen an den benachbarten Schaltern trug sie nicht das Dress einer zivilen Fluggesellschaft, sondern die Stabsdienstuniform der Solaren Weltraumstreitkräfte. Dabei wirkte sie leicht abgearbeitet und ihr Lächeln daher ziemlich aufgesetzt. Mit einer routinierten Bewegung scannte sie den ID-Chip, den der Ensign – in einer kleinen Milan-Kristallfigur verborgen – an einer Kette um den Hals trug. „Sie sind Ensign Marc Ewert, Mitglied der Solarian Union Space Forces?“, erkundigte sie sich in reinem Standardenglisch, den Blick von ihrem Monitor hebend. Die Frage war wohl eher theoretischer Natur, denn genau diese Daten und noch einiges mehr konnte die Frau dem ID-Chip entnehmen.

Marc nickte.

„Sie sind für das Raumkampfgeschwader der Antares vorgesehen. Kennen Sie schon Ihre genaue Zuteilung?“

Momentan war das Ärmelabzeichen des Jägerpiloten auf der linken Seite, das normalerweise das Symbol und den Namen der Einheit zeigte, noch leer.

Der Ensign erklärte daher: „Ich bin eigentlich dem ersten Schwarm der Cyclone-Raumjägerstaffel Kite zugeteilt. Keine Ahnung, ob das noch zutrifft.“

Kite hieß ins Deutsche übersetzt Milan.

Damit trug die Jägerstaffel den gleichen Namen, wie die Transportgesellschaft, für die Marc ursprünglich gearbeitet hatte. Das Ganze stellte einfach nur einen jener Zufälle dar, wie sie eben manchmal vorkamen. Der junge Pilot wertete es aber als ein Zeichen, das Richtige zu tun.

Die Frau hob auf die Bemerkung des Ensigns hin erneut den Blick. „Warum sollte es nicht stimmen?“

Marc zuckte mit den Schultern. Er konnte sich vorstellen, dass bei einem solchen Mammutprojekt, wie der Einschiffung von 24.000 Menschen, eine Menge Dinge schiefgingen.

Da am Zielort auf einem extrasolaren Planeten eine große Bodenbasis errichtet werden sollte, wurde ein breites Spektrum an Berufsfeldern benötigt – Techniker, Bauingenieure, Forscher, Mediziner, Transportfacharbeiter, Verwaltungsfachleute, Logistiker und viele andere Spezialisten. Zu ihnen gesellte sich ein gewisser Prozentsatz an „Abenteurern“ – Menschen, die mit der Reise in die ferne Welt die Hoffnung auf ein neues Leben verbanden, zum Beispiel als Kleinunternehmer in den Bereichen Handel, Gastronomie oder Handwerk.

Außerdem musste die zukünftige Basis beschützt werden.

Für diese Aufgabe nahm jedes der beiden Interstellarschiffe ein verstärktes Grenadierbataillon der Solaren Bodenstreitkräfte – der Solarian Union Ground Forces – mit jeweils 1.600 Leuten an Bord.

Man hatte es also mit vielen tausend Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft und Qualifikation zu tun. Dieses bunt durchmischte Sammelsurium logistisch unter einen Hut zu bringen, konnte nicht ganz einfach sein.

„Na schön. Die Zuordnung ist jedenfalls richtig“, stellte die Frau am Schalter fest. „Ihr Abflug ist für morgen um zehn Uhr vorgesehen. Haben Sie für die Nacht eine Unterkunft?“

„Ja, in einem der Raumflughafenhotels.“

„Sie wissen, wie Sie da hinkommen?“

„Ich habe keinen Schimmer.“

Jetzt erschien ein erstes echtes Lächeln in ihrem Gesicht. „Das könnte ein Problem werden, denn Germania besitzt einige Dutzend Hotels. Welches ist es denn?“

„Das Voyager.“

„Oh, da haben Sie aber Glück, denn das liegt gleich hier um die Ecke.“

Marc nickte. Bei seiner Auswahl des Hotels hatte der Preis für die Übernachtung die entscheidende Rolle gespielt, und nicht etwa die Entfernung zum Terminal. Aber das musste er der Frau ja nicht auf die Nase binden.

Die Schalterangestellte erklärte ihm kurz den Weg und meinte dann: „Sie müssen vier Stunden vorher an der Abfertigung sein. Das heißt also um sechs Uhr.“

„Vier Stunden vorher? Ich kenne das Ganze nur mit zwei Stunden.“

„Ach, Sie sind schon mal von hier aus abgeflogen?“ Die Frau betrachtete den Ensign jetzt interessiert, denn er wirkte noch sehr jung. Auch, wenn Raumflüge für einen gewissen Teil der Menschen schon beinahe zum Alltag gehörten, so kam es doch selten vor, dass jemand mit gerade einmal 23 Jahren schon größere Erfahrungen damit besaß.

Marc bejahte ihre Frage mit einem Nicken und meinte: „Die Kontrollen werden wohl sehr genau genommen, hm?“

„Klar doch. Es geht hier ja schließlich nicht um irgendeinen Touristenausflug mit einem Raumklipper zum Mond oder Mars. Das hier ist viel größer und bedeutender. Da müssen wir schon aufpassen, dass sich niemand irgendwo hineinschmuggelt, wo er nicht hingehört.“

„Verstehe“, murmelte Marc.

„Also dann Morgen um sechs Uhr. Seien Sie um diese Zeit bitte am Zugang zu Gate 14-Delta. Haben Sie noch Fragen?“

„Nein.“

„Dann wünsche ich Ihnen viel Glück und eine gute Reise.“

1. Oktober 2170 Raumflughafenhotel „Voyager“ Erde / Deutschland / Raumflughafen „Germania“

Das Raumflughafenhotel Voyager befand sich tatsächlich nicht nur in der Nähe des Areals für die Raumflüge, sondern sogar in direkter Sichtweite des Flugfeldes sowie des Abfertigungsterminals.

Im großen Foyer des Übernachtungskomplexes sprudelte ein Springbrunnen, der eine sehr interessante Form besaß. Einen besonderen Blickfang bildete die Skulptur oberhalb der Wasserdüsen. Sie ähnelte in ihrer Form nämlich einer Raumsonde.

Am Brunnenrand war eine Videotafel angebracht, die mehr darüber verriet, welchem Raumfahrzeug die Skulptur nachempfunden war.

Marc las die Erklärungen mit großem Interesse.

Die Skulptur stellte Voyager 7 dar, jene Raumsonde, die sich am 15. Juni 2147, rund neunzig Jahre nach der Entdeckung von Heliogantis durch Voyager 6, vom Orbitalen Weltraumbahnhof Cassandra aus auf den Weg in Richtung des Wurmloches gemacht hatte.

Als sich Voyager 7 vom Startgerüst löste und mit Hilfe ihres abtrennbaren Antriebs-Boosters ins All hinein auf eine Geschwindigkeit von einhundert Kilometern pro Sekunde beschleunigte, brach sie zu einer Mission von geradezu historischer Tragweite auf. Denn sie stellte das erste von Menschenhand erschaffene, künstliche Fluggerät dar, das man mit Absicht in ein Wurmloch hineinschickte.

Ihr Ziel war es, Daten zu den Bedingungen einer Wurmlochpassage zu gewinnen, und zu klären, wohin die Reise tatsächlich führte. Außerdem ging es darum, eine Rückkehrmöglichkeit durch ein paralleles Wurmloch mit gegensätzlicher Richtung zu erkunden.

Um den Malstrom aus Gravitation zu widerstehen, hatte man die Sonde mit einem der gerade erst neu entwickelten Quantenkäfige ausgestattet.

Nach ihrem Start flog die Sonde mehr als fünf Jahre und sieben Monate in Richtung der Außengrenzen des Sonnensystems und verschwand am 14. Dezember des Jahres 2143 im Schlund von Heliogantis.

Niemand vermochte zu diesem Zeitpunkt zu sagen, wie lange eine Reise durch ein Wurmloch währte, da man es ja mit einer extremen Raum-Zeit-Krümmung zu tun hatte, bei der sich das Geschehen beinahe ins Unendliche dehnen konnte.

Dauerte eine Passage nur Sekunden? Oder musste man eher mit Monaten, Jahren oder gar Jahrtausenden rechnen? Alles erschien möglich, und Spekulationen gab es sehr viele.

Jahre vergingen, ohne dass die Sonde wieder auftauchte.

Und jeder stellte sich die quälende Frage, weshalb sie verschollen blieb. Befand sie sich noch unterwegs? Hatte sie keine Rückflugmöglichkeit entdeckt? Oder war sie sie schlicht beim Durchfliegen des Wurmloches zerstört worden?

Bildete Heliogantis wider Erwarten vielleicht doch kein Wurmloch, sondern nur ein alles verschlingendes Schwarzes Loch ohne Ausgang?

Es gab noch mehr düstere Szenarien. So etwa die Vermutung, dass jedes Objekt nach dem Durchqueren von Heliogantis in der unmittelbaren Nähe eines heißen Sterns herauskam und sofort verglühte.

Niemand kannte die Antworten, und je mehr Zeit verstrich, desto weniger glaubte noch jemand an eine Rückkehr der Sonde. Die Stimmen derer, die von falschen Theorien, wissenschaftlichen Sackgassen und Hirngespinsten sprachen, gewannen immer mehr an Kraft.

Zwischen den Wissenschaftlern, aber auch zwischen den politischen Verantwortungsträgern in der Solaren Union, entbrannten hitzige Diskussionen über die Zweckmäßigkeit einer weiteren Fortführung der Wurmlocherforschung.

Am 15. Mai 2145 brachte jedoch ein unerwartetes Lebenszeichen von Voyager 7 in Form eines ersten verschlüsselten Funkdatenpaketes an die Zentrale der Solaren Weltraumagentur SSA den Streit schlagartig zum Verstummen.

Ein Beobachtungsteleskop der Weltraumbasis Orion-2 in der Nähe des Planeten Neptun entdeckte die Raumsonde inmitten der interstellaren Wolke, welche das Weiße Loch so lange vor den Beobachtungsinstrumenten der Menschen verborgen gehalten hatte.

Voyager 7 kehrte – ein Jahr und fünf Monate nach ihrem Eintritt in das Wurmloch – zurück. Weitgehend wohlbehalten und mit Unmengen von gesammelten Daten an Bord.

Die Begeisterung der Menschheit kannte daraufhin keine Grenzen mehr. Ganze Heerscharen von internationalen Wissenschaftlerteams stürzten sich auf die Auswertung der wertvollen Informationen.

Die Meldungen in den Weltnachrichten überschlugen sich mit immer neuen Details zum Flug der Sonde.

Voyager 7 bestätigte, was sich Millionen oder gar Milliarden von Menschen so lange Zeit erhofft hatten – ein Durchfliegen des Wurmloches war mit Hilfe von Quantenkäfigen möglich, und es gab eine Möglichkeit der Wiederkehr.

Dabei benötigte Voyager 7 für den reinen Flug durch das Wurmloch viel weniger Zeit, als erwartet, nämlich nur knapp siebzehn Stunden. Im Gegenzug aber musste das Raumfahrzeug mehr als ein Jahr lang nach jenem Schwarzen Loch suchen, das – rund eine Milliarde Kilometer vom Heliogantis-Austrittspunkt entfernt – den Wurmlochzugang in Richtung Sonnensystem öffnete.

Während dieser langen Zeit sammelte die Raumsonde Daten über Daten und machte dabei auch Fotos von zwei überaus nahen, leuchtenden Himmelskörpern – einem weißblauen Stern der Spektralklasse A1 mit der Leuchtkraft V und einem weißen Zwerg.

Damit fand sich endlich eine Antwort auf ein Rätsel, das Milliarden von Menschen am meisten bewegte – die Frage, zu welchem Ort im unendlich großen Universum Heliogantis führte?

Anhand der Sternenkonstellationen fanden die Wissenschaftler heraus, dass sich der Wurmlochausgang noch innerhalb der galaktischen Milchstraße und nach kosmischen Maßstäben noch nicht einmal besonders weit entfernt von der heimischen Sonne befand – im Siriussystem.

1. Oktober 2170 Erde / Deutschland / Raumflughafen „Germania“ Raumflughafenhotel „Voyager“ / Zimmer 9.018

Die Unterkunft erwies sich als reichlich spartanisch. Marc reichte sie allerdings vollkommen aus, da er gemeinhin ziemlich anspruchslos war und sie ohnehin nur für die eine Nacht zum Schlafen benötigte.

Einen echten Inbegriff von Luxus bildete für ihn dafür der kleine Balkon, von dem aus man in nördlicher Richtung weit in der Ferne auf ein paar gewaltige Bauwerke schauen konnte, die bereits zum Stadtgebiet von Berlin gehörten. Es handelte sich um Wohn- und Bürotürme, die mit Höhen zwischen zweihundert und fünfhundert Metern inzwischen zum Bild einer jeden größeren Stadt auf der Erde gehörten.

Noch vor einhundert Jahren hatten diese wuchtigen Bauwerke symbolhaft für Reichtum und wirtschaftliche Macht gestanden. Heute verband man sie eher mit der Übervölkerung des menschlichen Heimatplaneten, die dazu führte, dass immer mehr Menschen mit immer weniger Platz auskommen mussten. Diese Entwicklung ließ den Städteplanern inzwischen gar keine andere Wahl mehr, als immer weiter in die Höhe zu bauen.

In einigen Metropolen auf der Erde hausten auf nur einem Quadratkilometer mehr als eine Million Menschen.

Das Problem des meist völlig überteuerten Wohnraumes in den Großstädten vermochten diese Baukonzepte bisher trotzdem nicht zu lösen. Auch auf die Frage, wie man all die vielen Menschen satt bekommen wollte, gaben die Wohntürme keine schlüssige Antwort.

Marc blickte auf das Vorfeld des Raumflughafens.

Auf diesem herrschte eine Menge Betrieb.

Schon seit Januar verkehrten pausenlos Raumfähren zwischen den Raumflughäfen auf der Erde und dem orbitalen Weltraumbahnhof Cassandra in 35.786 Kilometern Höhe, um Fahrzeuge, Maschinen, Anlagen, die bereits vorgefertigten Teile für die zukünftigen Basisgebäude und hunderttausende Tonnen sonstiges Material hinauf zu den beiden Interstellarschiffen zu schaffen.

Die Raumflughäfen in Europa bildeten hierbei zentrale Dreh- und Angelpunkte, da der Flug von ihnen hinauf zum Weltraumbahnhof nur etwa fünf Stunden dauerte.

Wer dagegen von einem Raumflughafen auf der anderen Seite der Erdkugel startete, benötigte mehr als doppelt so lange.

Am Himmel über Germania herrschte reger Betrieb.

Alle zwanzig Sekunden landeten auf dem Areal des konventionellen Flughafens große Transportflugzeuge.

Marc verrenkte sich den Hals, um eine mächtige 1.200-Tonnen-Airmaster-Maschine bei ihrem Anflug auf eine der Landebahnen zu verfolgen.

Das Ganze wurde von einem markanten Röhren begleitet.

Die zwölf elektrisch betriebenen Propellertriebwerke des massigen Fluggerätes besaßen eine Gesamtleistung von 785.589 Pferdestärken und brachten die schwere Airmaster mit rund fünfhundert Stundenkilometern voran. Das mochte nicht besonders schnell sein, war dafür aber absolut sauber.

Seitdem moderne Energiezellen auf eine Energiedichte von viertausend Wattstunden pro Kilogramm kamen, wurde so gut wie alles umweltfreundlich mit Elektroenergie betrieben – Maschinenanlagen, Autos, Schiffe und eben auch Flugzeuge.

Für Raumfluggeräte galt dies nicht, denn mit einem Propellermotor kam man nun mal nicht bis hinauf in den Weltraum. Sie benötigten Antriebstechniken mit weitaus höherer Schubkraft.

Die Airmaster setzte zur Landung an und entschwand dann den Blicken des Ensigns auf dem Hotelbalkon.

Marc war sich fast sicher, dass das Flugzeug Fracht an Bord hatte, die in den nächsten Stunden oder Tagen den Weg in den Weltraum antreten würde. Möglicherweise handelte es sich um Teile für eines der Weltraumhabitate. Oder um Ladung für einen gewaltigen Raumfrachter, der momentan an einem Pier des Weltraumbahnhofs Cassandra festgemacht lag.

Vielleicht aber brachte die soeben gelandete Airmaster auch Ausrüstung für die beiden Interstellarschiffe.

Germania stellte immerhin einen gigantischen Umschlagplatz für Transporte zwischen der Erde und dem Weltraum dar.

Aus diesem Grund herrschte auf und über dem Vorfeld des für die Raumfluggeräte reservierten Areals reges Treiben.

Immer wieder erschienen am Himmel Raumtransportfähren, deren tosende Raketentriebwerke ganz anders klangen, als die Propellermotoren der Flugzeuge. Von gleißend hellen Gasstrahlen getragen, glitten sie heran, gingen in den Schwebeflug über und senkten sich dann auf die Landeflächen herab. Von diesen aus dirigierte die Bodenkontrolle sie dann über das Netz aus Rollwegen zu den jeweils für sie vorgesehenen Parkflächen.

Umgekehrt rollten Raumflugmaschinen zu den Startflächen mit ihrem bereits rußgeschwärzten Spezialbeton, um von diesen nach dem Einholen der Starterlaubnis donnernd abzuheben.

Auf dem riesigen Gelände, das sich direkt an die rückwärtige Front des Terminalgebäudes anschloss, standen bereits Raumfähren aller Art und Größe, die von einem Heer aus Arbeitsrobotern, großen Kettenarbeitsdrohnen und menschlichem Bodenpersonal abgefertigt wurden.

Marc lenkte seine Aufmerksamkeit auf eine Kolonne, die hinaus aufs Vorfeld zu mehreren Starmaster-Raumtransportfähren rollte. Es handelte sich nicht um konventionelle Lastkraftwagen, sondern um Planetar-Fahrzeuge – große Gefährte mit Rad- oder Gleiskettenfahrwerken, die für den autarken Einsatz auf anderen Himmelskörpern dienten, wo sie in meist sehr lebensfeindlichen Umgebungen mit so gut wie allen widrigen Bedingungen fertigwurden.

Diese mächtigen Bodenfahrgeräte mit Gewichten von teilweise mehr als eintausend Tonnen traf man hier auf der Erde bestenfalls in heißen Wüsten, kargen Tundren oder eisigen Polarregionen an. Für die regulären Straßen auf der Erde waren sie aufgrund ihrer Größe und Masse dagegen nicht zugelassen. Ganz anders sah dies für die Interstellarmission der Antares und der Independence aus, wo man sie in großem Maßstab einzusetzen gedachte.

Marc betrachtete die riesigen Fahrzeuge. Er hatte sich schon immer für schwere Technik begeistert und in dieser Richtung auch seine Berufswahl getroffen. Seine Wahl war letztendlich aber nicht auf die wuchtigen Planetar-Fahrzeuge gefallen, sondern auf die noch größeren Raumflugmaschinen.

Direkt an den Passagierbrücken, die in großer Zahl aus der Rückseite des Abfertigungsterminals herausragten, standen zahlreiche kleinere Starbird-Raumfähren, die in der Hauptsache für den Personentransport zwischen der Planetenoberfläche und dem Erdorbit Verwendung fanden.

In den zurückliegenden Monaten hatten sie lediglich Teile der zukünftigen Schiffsbesatzungen, Techniker und Frachtarbeiter zu den beiden Interstellarschiffen hinaufgebracht. Nun waren das Bodenpersonal sowie die Crews der an Bord der Independence und Antares stationierten Raumfähren, Raumbomber, Radaraufklärer und Raumjäger an der Reihe.

Marc machte sich den Spaß und veranstaltete ein Rätselraten, welche Starbird ihn wohl am morgigen Tag zum Weltraumbahnhof Cassandra hinaufbringen würde. Er kam zu keinem Ergebnis und gab es schließlich auf. Stattdessen fragte er sich, was er mit dem Nachmittag und Abend anfangen sollte. Dies hier war immerhin für eine sehr lange Zeit sein letzter Tag auf der Erde. Er konnte die Zeit nutzen und mit einer der Nahverkehrsbahnen in die deutsche Hauptstadt hineinfahren. In Berlin war er schon seit einigen Jahren nicht mehr gewesen. Trotzdem konnte er sich mit der Idee nicht so recht anfreunden.

So, wie die meisten irdischen Großstädte mit hoher Bevölkerungsdichte, wies auch die deutsche Hauptstadt eine hohe Kriminalitätsrate auf. Es existierten viele „soziale Brennpunkte“, in die man sich besser nicht verlief. Selbst die City war nicht immer sicher. Schon gar nicht für Uniformträger, wie Polizisten oder Militärangehörige.

Marcs Vorsicht siegte über seine Neugier auf die Hauptstadt. Er wollte seine Möglichkeit auf die Teilnahme an der ersten interstellaren Reise der Menschheit in ein anderes Sternensystem nicht im letzten Moment noch in Gefahr bringen. Schließlich träumte er schon sein ganzes Leben von dieser Chance. Bereits als Zehnjähriger hatte er über die Nachrichten atemlos miterlebt, wie man die vier Interstellaren Raumschiffe Antares, Independence, Iberia sowie Pacifica auf der Hephaistos-Raumwerft in einem aufsehenerregenden Spektakel auf Kiel legte.

Die Berichte brannten sich tief in sein Denken ein und ließen ihn zu dem Entschluss gelangen, später einmal Raumfahrer zu werden. Und tatsächlich – knappe acht Jahre später begann er ein Studium zum Ingenieur für Raumfahrttechnik mit dem Schwerpunkten Antriebstechnik und Avionik. Schon damals ging es ihm nie allein darum, lediglich als Techniker in den Eingeweiden von Maschinen herumzubasteln. Nein, er wollte am Steuer dieser Maschinen sitzen und sie fliegen.

Als dann zehn Jahre nach der Kiellegung am 15. sowie am 25. Juni des Jahres 2166 die Schiffstaufen der Independence beziehungsweise der Antares erfolgten, übertrugen sämtliche Nachrichtenmedien weltweit diese Spektakel.

Und so wurde auch Marc wieder Zeuge dieser Ereignisse. Sie prägten ihn nachhaltig und gaben ihm außerdem ein neues Ziel. Er, der sich zu diesem Zeitpunkt gerade in der Mitte seines Studiums befand, spürte plötzlich den Drang, Teil dieses größten Projektes der Menschheit zu werden.

Während seiner Arbeit als Copilot einer Transportraumfähre, ja selbst in jenem Moment, in dem man ihn trotz seiner gerade einmal 22 Jahre schon den Job des Flugkapitäns einer Starmaster-Raumfähre anvertraute, war dieses Ziel immer präsent gewesen. Um es zu erreichen, traf er schließlich einige sehr harte Entscheidungen. Dazu zählten das komplette Überbordwerfen seiner Karriere als Fährenpilot sowie der Eintritt ins Militär – etwas, das er sich bis dahin niemals hatte vorstellen können.

Es gab noch viele weitere Widerstände, wie etwa die Bürokratie, die Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit – und nicht zuletzt die Bedenken seiner Eltern.

Seiner Mutter und seinem Vater fiel es sehr schwer, die Entscheidungen ihres Sohnes gutzuheißen. Sie begriffen zwar durchaus seine Beweggründe, da sie ja auch seinen Lebenstraum kannten. Aber das änderte nie etwas an ihren Vorbehalten gegenüber seinem Entschluss, alles bereits Erreichte wieder aufzugeben, und sich in ein Wagnis mit völlig ungewissem Ausgang zu stürzen.

Vom Traum seiner Kindheit bis zum heutigen Tag war es ein langer und steiniger Weg gewesen. Aber Marc Ewert hatte es geschafft und würde am morgigen Tag zu einem Bestandteil des größten Projektes der Solaren Union und der Menschheit werden – dem Flug in ein anderes Sternensystem.

2. Oktober 2170 Transitzone / Gate „14-Delta“ Erde / Deutschland / Raumflughafen „Germania“

Im großen Transitraum gab es Sitzgruppen für einige hundert Menschen.

Hinzu kamen jede Menge Getränke- und Snackautomaten, mehrere Duty-Free-Shops, die obligatorischen Sanitäranlagen und eine kleine Ausstellung mit Videoschirmen.

Marc erschien pünktlich um sechs Uhr am Zugang zu den Abfertigungsbereichen für Gate 14-Delta und brachte sämtliche Überprüfungen und sonstigen Prozeduren glücklich hinter sich.

Letztere fielen tatsächlich viel intensiver und umfangreicher aus, als der Ensign es während seiner Zeit als Raumfährenpilot der Milan Corporation gewohnt gewesen war. Doch das ließ sich angesichts der Bedeutung der Mission durchaus nachvollziehen.

Nach zweieinhalb Stunden hatte der junge Raumpilot endlich sämtliche Überprüfungen hinter sich und betrat die große Transithalle, die eigentlich Platz für bis zu achthundert Personen bot, jetzt aber beinahe völlig leer war.

Momentan hielten sich hier außer Marc nur acht Personen auf, vier Frauen und ebenso viele Männer. Sie wirkten völlig verloren in der großen Halle, und es sah auch nicht danach aus, als würden sie jetzt noch mehr an der Zahl werden.

Alle trugen die blauen Ausgehuniformen der Angehörigen eines Raumgeschwaders, was bedeutete, dass sie zumindest zur gleichen Teilstreitkraft gehörten.

Marc freute sich, dass er während der Kontrollen seinen schweren 65-Liter-Kampfrucksack und die Sporttasche losgeworden war. Das verschaffte ihm etwas Bewegungsfreiheit. Es stellte sich lediglich die Frage, was er mit dieser Bewegungsfreiheit anfing.

Denn sehr viele Beschäftigungsmöglichkeiten bot die Transithalle nicht. Dabei blieben bis zum Start immer noch rund anderthalb Stunden Zeit.

Der junge Mann dachte an den vergangenen Abend zurück. Er hatte das Voyager-Hotel zwar tatsächlich noch einmal verlassen, war aber trotzdem nicht nach Berlin hineingefahren. Stattdessen hatte er mit der Monorail sämtliche Bereiche des Germania-Raumflughafens erkundet, sich an einem Imbiss ein Abendbrot gegönnt und auch zu Fuß noch ein paar Kilometer zurückgelegt. Am Abend hatte er in der Hotellobby etwas getrunken und war dann ins Bett gegangen.

Es musste wohl der richtige Entschluss gewesen sein, denn er fühlte sich jetzt ausgeschlafen und erfrischt. Um die verbleibende Zeit irgendwie über die Bühne zu bringen, sah er sich die Ausstellung mit den Videoschirmen an, die Filmaufnahmen und Bilder von der Kiellegung, dem Bau und der Taufe der vier interstellaren Raumschiffe zeigten.

Die Aufnahmen erwiesen sich als durchweg sehr interessant.

Allerdings kannte Marc vieles davon schon, da er jede erdenkliche Dokumentation zu den Schiffen und der Siriusmission geradezu in sich aufgesaugt hatte. Es half ihm trotzdem, die Wartezeit zu verkürzen. Nachdem er sich sattgesehen hatte, nahm er auf einer der Sitzgruppen Platz.

Kurz darauf summte der Kommunikator seines Armbandcomputers.

Der Ensign blickte überrascht auf das winzige Display und stellte fest, dass es sich um einen Anruf seiner Mutter handelte. „Annehmen“, sagte er, und die Spracherkennung des Minicomputers aktivierte die Verbindung.

„Hallo Marc, hier ist deine Mutter. Ich habe gerade eine kurze Arbeitspause und wollte horchen, ob du auch gut am Raumflughafen angekommen bist.“

Typisch, dachte Marc. Ich bin noch nicht mal richtig aufgebrochen, und sie vergeht schon vor Sorge. „Hallo Mama, klar bin ich gut angekommen“, gab er auf ihre Frage hin zur Antwort.

„Wo bist du jetzt?“

„Die Kontrollen sind geschafft. Ich sitze momentan im Transitraum des Terminals. In weniger als einer Stunde geht es los.“

Einen Moment herrschte Stille in der Leitung.

Marc überlegte, ob seine Mutter jetzt schon wieder mit ihren Tränen kämpfte.

Endlich sprach sie weiter. „Wann wirst du wieder von dir hören lassen?“

Woher soll ich das wissen, dachte der Jägerpilot. „Sobald ich an Bord der Antares bin und mich eingerichtet habe.“

„Geht das denn? Darfst du dich überhaupt von Bord des Raumschiffes melden?“

„Ich denke schon. Es ist ja nicht unbedingt ein Geheimnis, worin die Mission der Independence und der Antares besteht. Die ganze Welt kennt schließlich das Flugziel der beiden Schiffe.“

„In den Nachrichten sagen sie aber, dass es Terrordrohungen gegen die Mission und die Schiffe gab.“

„Na ja, so etwas hört man ja ständig“, beschwichtigte er.

„Mag sein. Aber es war auch die Rede davon, dass man die Sicherheitsvorkehrungen noch einmal verschärfen möchte. Könnte das nicht auch auf eine Einschränkung der Kommunikationsmöglichkeiten hinauslaufen? Vielleicht untersagt man euch den Kontakt ja ganz.“

„Das weiß ich nicht, Mama. Ich denke aber, so wird es nicht sein“, erklärte der Ensign, obwohl er sich diesbezüglich plötzlich keineswegs mehr so sicher war.

Janina Ewert, dreihundert Kilometer weit entfernt am anderen Ende der Funkleitung, seufzte. „Sicher ist es besser, wenn wir mal so tun, als sei dies hier unser letztes persönliches Gespräch miteinander“, meinte sie dann, und ihre Stimme klang brüchig.

Marc seufzte nun ebenfalls, allerdings unhörbar. Diese bedrückende Abschiedsstimmung hatte es immer wieder auch während seiner zehnmonatigen Arbeit bei der Milan Corporation gegeben. Mit dem feinen Unterschied, dass es dabei immer nur um einen Abschied für zwei bis drei Monate gegangen war. Jetzt jedoch standen mindestens sechs Jahre zur Disposition.

„Pass gut auf dich auf, mein Sohn. Dein Vater und deine Geschwister lassen dir ebenfalls viele liebe Grüße bestellen“, sagte Janina Ewert.

„Danke, sage allen ebenfalls viele Grüße von mir. Und keine Angst, ich passe schon auf mich auf. Du wirst sehen, die Zeit vergeht viel schneller als du denkst“, erwiderte Marc. Er merkte dabei selbst, wie lapidar und aufgesetzt sich sein Zweckoptimismus anhörte. „Außerdem ist ja das Absetzen von Nachrichtensonden geplant“, fügte er rasch hinzu. „Wenn wir also den Rand des Sonnensystems erreichen, werdet ihr es erfahren. Und wenn wir gut im Siriussystem eingetroffen sind, erfahrt ihr es ebenfalls. Also macht euch bitte keine Sorgen.“

„Nein, natürlich nicht.“ Die Stimme seiner Mutter klang bei diesen Worten jetzt gefasster, obwohl sie sich vermutlich nicht wirklich so fühlte. „Dann also, mach es gut.“ Sie seufzte ein letztes Mal, und die Verbindung unterbrach.

Marc starrte auf das Display seines Armbandcomputers, fing sich aber dann. Um sich abzulenken, erhob er sich und trat an die große Fensterfront, um auf das Vorfeld hinauszuschauen.

Direkt vor Gate 14-Delta stand eine Starbird, die mit knapp 63 Metern Länge und 290 Tonnen Gesamtgewicht einen vergleichsweise kleinen Raumfährentyp darstellte. Sie war es wohl, die Marc Ewert und die anderen acht Leute hier im Transitraum von der Erde hinauf zum Weltraumbahnhof Cassandra bringen würde.

Was für eine Verschwendung, für gerade einmal neun Menschen so eine große Maschine zu chartern, dachte der Raumjägerpilot, der wusste, dass es in der Kabine der Starbird eigentlich Platz für bis zu zweihundert Passagiere gab. Nun, so konnte er sich wenigstens irgendwie wichtig fühlen – auch, wenn er in Wirklichkeit im großen Getriebe der Interstellarmission nur ein winziges Rädchen bildete.

Die Starbird draußen auf dem Rollfeld besaß einen schwarzblauen Tarnanstrich, der keinen Zweifel daran aufkommen ließ, dass es sich um ein militärisches Fluggerät im Dienst der Solaren Weltraumstreitkräfte handelte. Um die Maschine herum wuselten Arbeitsautomaten – typische Anzeichen für die Vorbereitung auf einen baldigen Start.

Der junge Mann spürte, wie jemand neben ihn trat. Er wandte den Kopf und blickte in das schmal geschnittene Gesicht einer Frau, die etwa dreißig Jahre alt sein mochte.

Die erwiderte seinen Blick, nickte ihm freundlich grüßend zu und deutete dann auch noch ein Lächeln an. „Ihren Abzeichen nach sind Sie Angehöriger der Space Fighting Forces, was mich vermuten lässt, dass Sie dem Raumkampfgeschwader der Antareszugeteilt wurden.“ Die Frau sprach deutsch, allerdings mit einem seltsamen Akzent. Ihren dunklen Haaren und den ebenso dunklen Augen nach war sie arabischer Abstammung, was allerdings nichts Besonderes darstellte.

Seit der Gründung der Solaren Union gab es Nationalstaaten nur noch pro forma. Jeder Mensch, egal welcher Nationalität, durfte dort leben, wo er wollte. Und das musste noch nicht einmal auf der Erde sein.

„Stimmt“, bestätigte Marc jetzt das Offensichtliche und betrachtete das Barett und die Abzeichen der Frau, welche das gleiche Schiefergrau aufwiesen.

„Dann sind Sie und ich die einzigen, die heute von diesem Raumflughafen hier starten und für die Antares vorgesehen sind. Bei den anderen handelt es sich allesamt um Leute von der Independence.“

Marc nickte und stellte sich vor. „Ich bin Ensign Marc Ewert, Cyclone-Staffel Kite, Alpha-Schwarm.“

„Jägerpilot also.“ Die Frau zeigte ein spitzbübisches Lächeln. „Mit denen sollte man sich gut stellen, wenn man hofft, dass sie einen im Einsatz beschützen. Ich bin Captain Taheya Kanaan, Staffelführerin der vierten Monsoon-Raumbomberstaffel Buzzard.“

Marc nickte.

Taheya Kanaan mochte Mitte zwanzig sein. Sie besaß nicht nur ein hübsches Gesicht, sondern war auch ziemlich gut gebaut.

Im Gegensatz zu den etwas klobigen Technikkombinationen, Felddienstuniformen und Raumanzügen zeigten sich die Dienst- und Galauniformen der weiblichen Angehörigen der Solaren Streitkräfte ausgesprochen elegant und vor allem sehr figurbetont. Wenn die Trägerin ansprechende Proportionen besaß, dann kamen die in den Uniformen sehr vorteilhaft zur Geltung.

Bei dem weiblichen Captain hier war dies definitiv der Fall. Der knappe, graublaue Uniformrock und die hellblaue Jacke über der Uniformbluse saßen perfekt an ihr.

Marc fragte sich, ob er die Frau mit Ma‘am titulieren sollte.

Sie stand als Hauptmann im Dienstrang immerhin drei Stufen über ihm und gehörte dem gleichen Geschwader an. Insofern musste er sie eigentlich mit der militärisch exakten Anrede ansprechen. Zumindest im Dienst. Aber befand man sich hier überhaupt schon im Dienst? Die Zwänge der militärischen Etikette stellten eine der Schattenseiten der Streitkräfte dar, die der junge Raumpilot absolut nicht mochte. Während seiner Zeit bei der zivilen Milan Transport Corporation war es dagegen viel ungezwungener, ja beinahe schon familiär, zugegangen.

Captain Taheya Kanaan schien die Gedanken des Ensigns neben sich zu erahnen. „So lange wir auf dem Flug zu Cassandra sind, können wir uns ruhig beim Vornamen nennen. Das macht ein Gespräch leichter. Einverstanden?“

„Einverstanden.“ Marc wies in den weiten Transitraum hinein. „Das alles hier ist für uns neun Leute ganz schön überdimensioniert.“

Der weibliche Captain lachte. „Naja, normalerweise geht es hier viel turbulenter zu. Momentan ist die Halle aber an den frühen Vormittagen für die Abflüge der Leute für die beiden Interstellarschiffe reserviert. Weltweit fliegen täglich nur zwischen zweihundert und zweihundertfünfzig Kandidaten zum Einschiffen hinauf zu Cassandra.“

„Warum sind es nicht mehr?“

„Die wollen vermutlich die Übersicht behalten. Jedenfalls kommen auf diese Weise pro Flug und Raumflughafen nicht besonders viele Leute zusammen.“

Marc nickte und wies dann hinaus auf die Starbird mit dem schwarzblauen Militäranstrich. „Ich nehme an, das ist unsere Maschine.“

„Sieht ganz danach aus“, bestätigte der weibliche Captain.

„Was hat die für ein Zeichen auf der Tragfläche? Sieht aus wie ein geflügeltes Wesen.“

„Das soll ein Gargoyle sein.“

„Dann ist das keine Maschine von einem der beiden Raumschiffe?“

„Nein. Die Shuttleflüge werden durch ein Raumtransportgeschwader abgewickelt, das hier unten am Boden stationiert ist.“

„Okay, verstehe.“

Die Raumbomberpilotin betrachtete ihren Gesprächspartner eine Weile nachdenklich und meinte dann. „Ich will jetzt nicht so tun, als ob ich nicht darüber erstaunt wäre, dass Sie als Ensign auf der Personalbesetzungsliste für die Siriusmission stehen. Darf ich fragen, wie so etwas funktioniert?“

Marc lächelte spöttisch. „Es gab einen gewissen Mangel an Jägerpiloten für die Mission. Aus diesem Grund war man wohl bereit, auch einen Ensign mit wenig Erfahrung zu nehmen.“

Die Bomberpilotin dachte eine Weile über diese Worte nach. Dann fragte sie: „Wie lange haben Sie denn den Pilotenschein?“

„Die Berufs- und Verkehrspilotenlizenz für Raumfähren besitze ich etwa zwei Jahre. Die Qualifikation zum Cyclone-Raumjägerpiloten dagegen gerade mal dreißig Tage.“

„Dreißig Tage?“ Taheya Kanaan kippte für einen Moment die Stimme weg. „Das ist… wirklich nicht sehr lange. Sind Sie vielleicht ein Fliegerass, dass die Sie trotzdem genommen haben?“

Marc schüttelte den Kopf und erklärte dann wahrheitsgemäß: „Ich wollte, ich wäre eines. Nein, ein Fliegerass bin ich leider nicht.“ Tatsächlich betrachtete er sich bestenfalls als Durchschnitt.

„Aber die haben Sie trotzdem genommen? Sehr interessant.“

Ein lauter Gong kündigte in der Transithalle eine Durchsage an.

„Erster Aufruf an alle Passagiere für Militärflug 255. Begeben Sie sich bitte zu Gate 14-Delta, damit das Boarding beginnen kann“, sagte eine etwas emotionslose Stimme in die große Halle hinein.

„Tja, ich würde sagen, damit sind wir gemeint“, erklärte Captain Kanaan.

Sie gingen zusammen zum Zugang des bezeichneten Gates.

Auch die anderen sieben Leute hatten sich erhoben und fanden sich dort ein.

Kurze Zeit darauf erschien ein Mann im Rang eines Warrant Officer Class 2, was dem Dienstgrad eines Fähnrichs entsprach. Er trug einen Raumanzug in den hellblauen Farben der Solaren Weltraumstreitkräfte sowie Abzeichen mit dem türkisfarbenen Balken der Transport Forces. In beidem hob er sich sehr deutlich von den Passagieren in ihren adretten Ausgehuniformen ab. Und dies ließ er auch deutlich mit seinen missbilligenden Blicken auf