Der Pilgerweg - Daniela Noitz - E-Book

Der Pilgerweg E-Book

Daniela Noitz

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Beschreibung

24 Menschen sich auf den Weg, einen Pilgerweg durch Irland. Ihr Ziel ist der Mount Brandon, zumindest äußerlich. Doch dieser bunt zusammengewürfelte Haufen an Menschen, die sich bei der Abreise völlig fremd waren, nehmen je ihre eigene Geschichte mit und erleben in der Begegnung mit dem Fremden eine Belebung, die sie einander und der Welt um sie näher bringt, so dass sie diesen Weg auch zueinander und zu sich selbst finden. 24 Tage - 24 Menschen, Zeit zu einer Gemeinschaft zu verwachsen und zu werden. Und wenn sie am 24. Tag ankommen, dann kommen sie anders an, als sie abreisten, nicht mehr nur als Ich, sondern als Wir, nicht mehr als Fremde, sondern als Begegnete.

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Inhaltsverzeichnis

Hinführung

Tag: Lebendige Erfahrung

Tag: Beim Namen nennen

Tag: Zeugen der Vergangenheit

Immer mehr …

Vorrang für das Leben

Tag: Der Sinn ist in sich selbst

Tag: Woher wir kommen …

Tag: Offenheit zulassen

Tag: Die Ferne ruft

Tag: Knoten – binden und lösen

Tag: Wir und die anderen

Tag: Hat es denn Sinn?

Tag: Außerhalb und doch mitten drinnen

Tag: Land voll Sanftmut

Tag: Carpe diem!

Tag: In der Hand zu haben

Tag: Ich gebe Dich frei

Tag: Besitz macht unfrei

Tag: Alles hat seine Zeit

Tag: Hab acht auf Deine Worte

Tag: Die vielen Gesichter der Freude

Tag: Das Glück, das uns zuteil wird

Tag: Wie ein Sonnenstrahl durch die Wolken …

Tag: Wunder geschehen

Hinführung

24 Menschen hatten sich aufgemacht um einen Pilgerweg gemeinsam zu bewältigen, einen Pilgerweg nach Weihnachten, einen Pilgerweg durch den Advent. Bewusst hatten sie sich abgewandt von all den Anforderungen, die die Vorweihnachtszeit so mit sich bringt, bewusst dem Konsumterror und dem Vorbereitungswahnsinn entzogen, vielleicht auch ein wenig der Verantwortung, die einem mit dem nahenden, hohen Fest auferlegt wurde. Doch war es wirklich das, was dieses Fest ausmachte? Sollte es das sein? Vielleicht war es auch der Wunsch den eigentlichen Sinn dieses Festes neu zu erschließen.

Für den einen oder anderen unter ihnen fühlte es sich doch ein wenig so an, als würde er sich aus dem Staub machen und sich entziehen. Es war wohl auch ein wenig die Sehnsucht nach dem Authentischen, die sie hinaustrieb, fernab der Heimat zu sein, was immer dieses Authentische auch sein mochte. Sie wussten nur, dass es nicht im Trubel und nicht in der Geschäftigkeit, nicht in der Übertriebenheit und Unruhe liegen konnte. Das war wohl einer der Wünsche, die die Reisenden vereinte, die bunt zusammengewürfelt, Frauen und Männer, die einen noch nicht weit fortgeschritten auf ihrem Lebensweg, die anderen bereits mit einem großen Fundus an Lebensweisheit durch die gelebten Jahre ausgestattet, aus den verschiedensten Teilen des selben Landes stammend, mit Zug, Schiff und Bus die weit entfernte südwestliche Küste Irlands erreicht hatten.

24 unterschiedlichste Menschen, bunt zusammengewürfelt, standen am Anfang dieses Pilgerweges, eines Weges durch die Fremde, beginnend in Glengarriff, einem kleinen, malerischen Ort an der Bantry Bay, der aufgrund seiner Lage die exotischsten Pflanzen beherbergte um an dessen Endziel den Mount Brandon zu erreichen, den heiligen Berg, grün, doch karg und sparsam, zwischen Grasbüscheln und Felsen, von der Üppigkeit in die Kargheit, vom Übermäßigen in die Schlichtheit.

24 Menschen, die sich gemeinsam in die Fremde begaben um ihre Gedanken und ihr Herz zu weiten, hinzufinden zum Eigentlichen, mitzuschwingen mit der Natur, mit der Schöpfung im lebendigen Tempo des Gehens, das sich dem Herzschlag anpasst.

24 Menschen in all ihrer Verschiedenheit, die zunächst nichts zu verbinden schien, als die gemeinsame Anreise, der gemeinsame Weg und das gemeinsame Ziel.

24 Menschen, die sich allesamt in ihrem kleinen, vertrauten Leben eingerichtet hatten, die sich wohl fühlten und geborgen, und es dennoch auf sich nahmen diese Wohligkeit und Geborgenheit hinter sich zu lassen, gerade im Advent, wo immer alle von zu Hause und Familie schwärmen, gerade zu Weihnachten, denn trotz alles Wohlbefindens ahnten sie von einer Brüchigkeit in ihrem Leben, die sie aufspüren und glätten wollten. Und wenn nun Advent wirklich Ankunft bedeutet, so bezieht sich dies wohl auf die nahende Ankunft des Erlösers, doch es bedeutet auch sich selbst in Bewegung zu setzen, mit anzukommen.

Und ganz gleich wo der Ort sein wird, es wird eine gemeinsame, eine dialogische Ankunft sein, dialogischer Adventus. Nicht im Stillstand, im Miteinander geschieht es und erhält Bedeutung, denn der Mensch ist nicht nur Herz und Seele, sondern auch Körper, in dem sich die Bewegung der Seele spiegelt und diese nach außen trägt, die Welt ein klein wenig zu verändern. Auch erwartend, aber aufbrechend erwartend, auch empfangend, aber gebend empfangend, auch beherbergend, aber bereitend beherbergend. 24 Menschen haben sich gemeinsam in die Fremde begeben um Heimat neu zu finden, indem sie gemeinsam einen Weg gehen.

1. Tag: Lebendige Erfahrung

Und sie machten sich auf an diesem ersten Tag des Advents. Frühmorgens machten sie sich auf, diese 24 Menschen, die das Schicksal, der Zufall, eine Fügung zusammengeführt hatte, wenn man schon unbedingt eine Bezeichnung dafür finden möchte, was man aber nicht muss. Darauf wird wohl immer wieder vergessen, dass man eine Bezeichnung finden kann, aber es nicht unbedingt erforderlich ist. Man kann sich nach draußen begeben, kann etwas sehen, entdecken und es beim Ansehen belassen, ohne es in Worte zu kleiden. Will man diese Erfahrung weitergeben, ja dann ist es wohl notwendig, das passende Wort. Dann ist es unumgänglich es zu suchen und die Erfahrung auf dieses eine einzige Wort zu begrenzen, begrenzen, da die Erfahrung damit in ein vorbestimmtes, mit dem Wort verbundenes Bild gepresst wird. Und selbst da hat jeder ein anderes Bild zu dem Wort. Vielleicht hätte der Angesprochene ein ganz anderes Wort dafür gefunden, das einem selbst nicht in den Sinn gekommen wäre.

„Komm, sieh es Dir mit mir an“, wäre die richtige Aufforderung, wäre die Ermöglichung einer gemeinsamen Erfahrung, die trotz der Gemeinsamkeit eine je eigene bleiben kann. „Gib mir die Hand und entdecke das Entdecken mit mir, geh mit mir in die Erfahrung“, wäre der Weg in die Authentizität, wäre ein Miteinander, den diese 24 Menschen zu gehen beginnen, als sie an diesem Morgen hinaus auf die Straße treten.

Es ist noch früh am Morgen. Der Tag hat die Nacht gerade eben erst abgelegt und tastet sich langsam und zaghaft in die Helligkeit. Wolkenverhangen ist der Himmel und ein feuchter, wirbelnder Nebel hängt in der Luft. Noch einmal halten sie inne, noch einen Blick auf die Türe der Unterkunft, die sich hinter ihnen schließt, noch einen Blick aufeinander, stumme Frage nach der Bereitschaft den Anfang zu wagen, und zuletzt der Blick nach vorne, dem nun endlich der erste Schritt folgt.

Wortlos, doch voller Erwartungen sind diese ersten Schritte, immer weiter hinaus in die Fremde, in das Unbekannte. Schritt um Schritt, die Türe endgültig hinter sich lassend und den Blick nach vorne gerichtet, bereit zu empfangen, was auch immer sich ihnen auf diesem Weg eröffnen würde, sehend mit den eigenen Augen und nicht durch die Begrenzung einer Kamera, nicht versuchend festzuhalten, außer im Bild des inneren, lebendigen Erlebens, den Moment sich eröffnend, sich entfaltend und wieder vergehend sehen, Moment um Moment, nichts weiter, und doch im tiefsten Sinne lebendig, gehend, im Gleichklang mit dem Herzschlag sich bewegend, zielstrebig, doch ohne Fixierung, annehmend ohne abgedrängt zu werden, vorwärts gerichtet ohne bedrängt zu werden.

Spüren, den Herzschlag.

Spüren, den Atem.

Spüren, den Puls des Lebens.

24 Menschen, kunterbunt zusammengewürfelt, doch gemeinsam aufbrechend, gemeinsam erfahrend, ohne die Erfahrung für sich oder die anderen begrenzen zu wollen. Zu sehen, das eigene Bild, sich erzählen zu lassen, die Bilder der anderen, das eigene durch noch nicht Entdecktes zu ergänzen, die anderen durch eigene Entdeckungen zu erweitern, so dass sich der Schleier, den der Nebel zu Anfang bildet, wie von selbst hebt, mit jedem Schritt den sie tun, hinaus aus dem Ort, entlang an der zerklüfteten Küste.

Offenheit und Bereitschaft für den Weg, für einander, und es ist das Erste, das sie im Miteinander des Weges finden, das Erste, das sich ihnen öffnet.

Erfahrung ist als lebendige eine unbeschreibliche, doch im Miteinander eine Erweiterung auf eine Du-Erfahrung hin.

24 Menschen, kunterbunt zusammengewürfelt, werden Schritt um Schritt zu einem lebendigen Wir, gerade weil sie das Kunterbunt nicht ablegen, sondern es verweben zu einem leuchtenden Patchwork, in dem die Verschiedenheit und die Einzigartigkeit als Bereicherung aller gesehen werden kann.

„Und was ich finde ist die Lebendigkeit in der Erfahrung“, fasst Du zusammen, als der erste der Pilger.

Bis sie Adrigola erreichen.

Der erste Tag.

2. Tag: Beim Namen nennen

Adrigola, ein kleiner, verschlafener Ort, nichts weiter als ein paar Häuser in einer Zeile, ruhig und gemütlich. Wieder treten diese 24 Menschen vor eine Türe. Wieder schließt sie sich hinter ihnen. Eine sanfte Brise weht ihnen vom Meer her zu und leichter Nieselregen ermuntert sie mehr, als dass er sie verschrecken könnte. Bedächtig und doch zielstrebig machen sie sich auf den Weg. Kurz darauf haben sie die Häuser hinter sich gelassen und ihre noch schlafenden Bewohner, treten hinaus aufs freie Feld und folgen dem Weg, zunächst die Küste entlang, um dann ein wenig mehr ins Land hineinzugehen, den Hungry Hill zu ersteigen. Nachhaltig sind sie in ihrem Fortkommen und nachhaltig bleibt der Regen, auch wenn er sanft ist. Er begleitet sie, und sie nehmen es hin wie die Steine auf dem Weg und die Schafe auf der Weide. Es gibt nichts zu beanstanden, nur die Tatsachen, die sind wie sie eben sind.

24 Menschen, die sich in die Fremde als Fremde aufgemacht haben, finden sich im Gespräch, tauschen Gedanken und Erfahrungen, Erleben und Erträumen, Glück und Schmerz aus, finden zueinander, gehen auseinander, um mit einem anderen fortzufahren. Immer wieder gruppieren sie sich neu, ohne Einschränkung, ohne sich auf irgendjemanden zu fixieren oder jemand anderen auszuschließen. Sie lernen sich kennen, immer ein wenig mehr, während sie den beschwerlichen Aufstieg auf sich nehmen. Vorsichtig und sich gegenseitig die Hand reichend, wo es notwendig ist. Es gibt nichts zu beanstanden, nur die Tatsachen, die sind wie sie eben sind.

24 Menschen, die beginnen sich in der Fremde zurechtzufinden, ohne sie in einem Schwung erobern zu wollen, sondern sich offenen Auges und offenen Herzens annähern, dem Ungekannten und noch Unbenannten.