Der Preis des Todes - Horst Eckert - E-Book
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Der Preis des Todes E-Book

Eckert Horst

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Beschreibung

Als Christian Wagner erhängt in seiner Berliner Wohnung aufgefunden wird, glaubt Sarah Wolf nicht an Selbstmord. Die Moderatorin einer politischen TV-Talkshow hatte seit ein paar Wochen eine Beziehung mit dem Bundestagsabgeordneten, der gerade von einem Boulevardblatt als Lobbyist des Krankenhausbetreibers Samax AG hingestellt wurde - eine Katastrophe für Christians Karriere, aber ein Grund für einen Suizid? In seinen Unterlagen stößt sie auf einen Bericht über ein Flüchtlingslager in Kenia. Und muss sich fragen, wie gut sie den Mann kannte, den sie zu lieben glaubte. Unterdessen wird an einem See bei Düsseldorf eine Frauenleiche entdeckt. Kommissar Paul Sellin findet heraus, dass Johanna Kling kurz vor ihrem Tod mit Christian Wagner in Kontakt stand. Was hatte die 28-jährige Menschenrechtsaktivistin mit dem Politiker aus Berlin zu schaffen? Sellin muss den Mord aufklären, koste es, was es wolle. Denn er ist schwer krank, und dieser Fall könnte sein letzter sein…

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Horst Eckert

Der Preis des Todes

Thriller

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Als Christian Wagner erhängt in seiner Berliner Wohnung aufgefunden wird, glaubt Sarah Wolf nicht an Selbstmord. Die Moderatorin einer politischen TV-Talkshow hatte seit ein paar Wochen eine Beziehung mit dem Bundestagsabgeordneten, der gerade von einem Boulevardblatt als Lobbyist des Krankenhausbetreibers Samax AG hingestellt wurde - eine Katastrophe für Christians Karriere, aber ein Grund für einen Suizid? In seinen Unterlagen stößt sie auf einen Bericht über ein Flüchtlingslager in Kenia. Und muss sich fragen, wie gut sie den Mann kannte, den sie zu lieben glaubte.

Unterdessen wird an einem See bei Düsseldorf eine Frauenleiche entdeckt. Kommissar Paul Sellin findet heraus, dass Johanna Kling kurz vor ihrem Tod mit Christian Wagner in Kontakt stand. Was hatte die 28-jährige Menschenrechtsaktivistin mit dem Politiker aus Berlin zu schaffen? Sellin muss den Mord aufklären, koste es, was es wolle. Denn er ist schwerkrank, und dieser Fall könnte sein letzter sein …

Über Horst Eckert

Horst Eckert, 1959 in Weiden/Oberpfalz geboren, lebt seit vielen Jahren in Düsseldorf. Er studierte Politische Wissenschaft und arbeitete fünfzehn Jahre als Fernsehjournalist. 1995 erschien sein Debüt «Annas Erbe». Seine Romane gelten als «im besten Sinne komplexe Polizeithriller, die man nicht nur als spannenden Kriminalstoff lesen kann, sondern auch als einen Kommentar zur Zeit» (Deutschlandfunk). Sie sind in mehrere Sprachen übersetzt sowie preisgekrönt (u.a. Friedrich-Glauser-Preis für «Die Zwillingsfalle», Krimi-Blitz für «Schwarzer Schwan»). Bei Wunderlich erschienen bisher seine Politthriller «Schwarzlicht», «Schattenboxer» und «Wolfsspinne» um den Düsseldorfer Ermittler Vincent Che Veih.

Teil Eins

Und dann eines Morgens geht die Sonne auf, und alles bricht in Stücke.

 

Paul Auster, 4321

1

Dadaab – Dienstag, 14. Juni

Sie war gekommen, um Gewissheit zu erlangen – sechseinhalbtausend Kilometer von ihrem gewohnten Leben entfernt.

Nachdem sie mehr als eine Stunde lang über nichts als Sand und Dornbüsche geflogen waren, hielt sie die Stadt beim ersten Anblick für eine Fata Morgana. Am Horizont zeichnete sie sich als großes Rechteck ab. Im Näherkommen zerfiel es in unzählige weiße Punkte – Zelte, endlose Reihen von Zelten, die in der Mittagssonne leuchteten.

Sie erkannte eine unbefestigte Straße und einen Lkw-Konvoi an der Spitze einer langen Staubfahne – er hielt auf eine zweite, noch größere Zeltansammlung zu.

Dann überflogen sie das Hauptlager.

Behelfshütten unter hellgrauen Schutzplanen bildeten eine Siedlung gewaltiger Ausdehnung und Eintönigkeit, durchzogen vom gleichmäßigen Karomuster brauner Straßen. Größere Zelte und Baracken bildeten so etwas wie Stadtteilzentren: Verwaltung, Schulen, Ladenzeilen. Ein abgetrennter Bezirk gemauerter Häuser. Und dort drüben – war das die Klinik?

Endlich zog der Pilot die Propellermaschine tiefer. Er machte eine Bemerkung, die im Lärm unterging. Das Flugzeug schreckte eine Ziegenherde auf. Unter ihnen gab es etwas Grün entlang eines Bachlaufs, der vermutlich Wasser führte, wenn es mal etwas ausgiebiger regnete. Aber wann gab es hier überhaupt Regen?

Jetzt erblickte sie Menschen. Kinder, die auf harter Erde Fußball spielten, innehielten und zu ihr hochwinkten. Hagere Männer vor dem Eingang einer Behausung. Viele Frauen in farbenfrohen Gewändern, das Haar bedeckt. Sie standen für etwas an – die Schlange ging über mehr als einen Kilometer, schätzte sie.

Die Stadt gab es seit fünfundzwanzig Jahren. Mehrere hunderttausend Menschen waren in dieser Zeit hierhergezogen, denn hinter der nahen Grenze herrschten Krieg, Willkür, Mord und Vergewaltigung. Und wenn die Regenperiode ausfiel, auch Hunger. Die Überlebenden kamen völlig mittellos an. Die Milizen von al-Shabaab hatten ihnen das Vieh geraubt und die letzten Vorräte geplündert.

Nur wenige Menschen schafften es, von hier weiterzureisen. Die Behörden verboten ihnen die Ansiedlung im Rest des Landes. Andere Nationen verschlossen ihre Grenzen. Sie versuchte sich vorzustellen, wie es war, ohne Hoffnung zu sein.

Dadaab.

Das größte Flüchtlingslager der Welt. Zwei Drittel der Bewohner waren Kinder und Jugendliche – wer hier geboren war, besaß nicht einmal die Erinnerung an ein Leben außerhalb des Camps.

Und nun hatte die Regierung beschlossen, die Stadt aufzulösen und ihre Bewohner hinter die Grenze zurückzuschicken.

Ein Ort, den es nicht geben sollte. Surreal und gottverdammt.

Ihre Reise galt zu Hause als Routinebesuch. Sie sollte die sogenannte Realität vor Ort kennenlernen. Doch was der Klinikarzt in seiner rätselhaften Mail angedeutet hatte, beunruhigte sie in höchstem Maße.

Vielleicht hatte sie die Zeilen auch nur falsch interpretiert. Aber sie musste den Mann finden. Ihn dazu bringen, Klartext zu reden. Um den Schatten eines Verdachts zu verjagen, damit sie ihren Job weiterhin mit gutem Gewissen tun konnte.

Die Landebahn geriet in ihr Sichtfeld, und ihr Herz schlug heftiger.

2

Berlin – Sonntag, 18. September

Sarah hasste es wie die Pest, in Menschenansammlungen festzustecken. Vor ihr stauten sich die ersten Gäste des Hauptstadttreffs der ARD, aufgekratzt und erwartungsfroh. Hinter ihr drängten viele weitere nach, und als ihr ein schwerer Typ im regennassen, muffigen Mantel auf den Fuß stieg und sich nicht einmal entschuldigte, verfluchte sie Berlin, den kalten Septemberabend und die berufliche Verpflichtung, Teil dieser Menge zu sein.

Einzig die Aussicht, ihren Liebsten zu treffen, ließ sie davon absehen, kehrtzumachen und gegen den Strom aus dem Hauptstadtstudio zu fliehen.

Für die meisten der rund fünfhundert Gäste galt die Einladung zu dem alljährlichen Event als Ausweis ihres Ranges, eine Bestätigung ihres Egos. Nur die Wichtigen und Mächtigen des Landes fanden sich hier ein, Spitzenkräfte aus Politik, Wirtschaft und Medienbetrieb. Keiner wollte die Kanzlerin verpassen, die, wie es hieß, auch in diesem Jahr dem Hauptstadttreff ihre Reverenz erweisen würde, wenn auch nur für ihre üblichen dreißig Minuten.

Eine Kirmes der Eitelkeiten, dachte Sarah.

Heilloses Geschiebe vor der Ausweiskontrolle und an der Garderobe. Die Frau, die sich unmittelbar vor Sarah aus ihrem rattengrauen Kaschmir-Poncho wickelte, rammte ihr ohne ein Wort des Bedauerns den Ellbogen in die Seite. Am liebsten hätte Sarah sie angeblafft, doch sie musste auf ihr Image achten, gerade hier.

Auch das hasste sie wie die Pest: ständig auf die Erwartungen der anderen Rücksicht zu nehmen. Denn alles, was sie tat und sagte, könnte sich womöglich auf die Einschaltquoten auswirken – in ihrem Metier die einzige Währung.

Seit Januar moderierte sie ihre eigene Sendung. Sarah Wolf – eine weitere politische Talkshow, das jüngste derartige Angebot im Abendprogramm der ARD.

Sarah liebte die seltenen Momente, in denen sie ihren Zuschauern neue Impulse geben konnte. Wenn es mehr gab als nur vorgestanzte Meinungen. Wenn Mächtige einen Fehler eingestanden. Oder ein Verantwortlicher einen Missstand nicht länger schönreden konnte.

Weil die Wahrheit ans Licht kam, zumindest eine Ahnung davon.

Dafür machte sie ihren Job.

Dafür lebte sie dieses Leben.

Sarah war sich bewusst, dass ihre Karriere in jedem Moment eine Gratwanderung war, und sie wollte sich dennoch nicht verbiegen. Wie sich Kollegen unter dem Druck des Medienalltags veränderten, hatte sie in den Sendern, für die sie in den letzten Jahren gearbeitet hatte, oft erlebt. Und immer wieder fragte sie sich: Habe ich meine persönliche Grenze selbst schon überschritten? Werde ich es spüren, wenn es so weit kommt?

Endlich konnte sie die Security passieren und ihren Mantel loswerden. Sie zupfte den Kragen ihrer Bluse zurecht und hoffte, dass ihre Zähne keinen Lippenstift abbekommen hatten. Dann betrat sie den Teppich, der zur Fotowand mit den Logos des Senders und der Sponsoren führte und blau war, nicht rot – dem Corporate Design der ARD entsprechend.

Das momentane Blitzlichtgewitter galt dem Vizekanzler. Der Mann war Wirtschaftsminister und zugleich Chef seiner Partei, hager, graues Haar, randlose Brille. Es hieß, er interessiere sich für Literatur und Film, was ihm im politischen Berlin bereits die Aura des Intellektuellen verlieh und ihn von anderen Spitzenpolitikern abhob. Die drei Gastgeber genossen es sichtlich, mit ihm vor den Kameras zu stehen.

Dann war Sarah dran – das erst sechsunddreißigjährige «neue Gesicht der ARD», wie sie im Januar zum Start ihrer Talkshow der Öffentlichkeit präsentiert worden war.

Händeschütteln mit den Gastgebern. Der Leiter des Hauptstadtstudios gab ihr eine schlaffe Flosse. Die Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg nickte freundlich und fasste auch mit der Linken zu. Sarah kannte die Frau von früher und mochte sie.

Schließlich der Programmchef des Ersten Deutschen Fernsehens. Sein Lächeln wirkte verkniffen, er sagte kein Wort und vermied den Blickkontakt.

Mit dem Vizekanzler hatte er eben noch fröhlich gescherzt.

Sarah fragte sich, warum der ARD-Boss so auf sie reagierte. Lag es an den Quoten ihrer Sendung, die nach der Sommerpause geschwächelt hatten? Zudem bemäkelten Kommentatoren der schreibenden Zunft immer lauter, dass es zu viele Polittalks im Ersten gebe. Muss ich das als schlechtes Vorzeichen für die anstehende Vertragsverlängerung werten? Plant man das kommende Jahr womöglich ohne mich?

Sarah zeigte ihr schönstes Lächeln, hinter dem sie ihre Zweifel und Ängste verbarg.

Die Fotografen rangelten um die besten Plätze an der Barriere. «Frau Wolf, bitte hierher schauen! Frau Wolf!»

Sarah wandte sich jeder einzelnen Kameralinse zu und strahlte mit jener Andeutung feiner Ironie, die als ihr Markenzeichen galt.

«Viel Spaß!», sagte die RBB-Intendantin, nickte ihr kurz zu und hatte schon den nächsten prominenten Gast im Blick.

Sarah wandte sich der Treppe zu und spürte ein Ziehen im Bauch.

 

Die Redaktionshalle im ersten Stock war der eigentliche Ort der Party. Über Treppen und Aufzüge strömten die Gäste herbei und umlagerten Stehtische, Bühne und Buffet.

Sarah begegnete Ministern, Staatssekretären, Fraktions- und Parteichefs – einige von ihnen waren bereits in ihrer Sendung zu Gast gewesen. Wirtschaftsbossen und Verlegern. Chefredakteuren, Ressortleitern und Korrespondenten. Einer Schauspielerin, die für ihr soziales Engagement ebenso bekannt war wie für ihre Rolle als Tatort-Kommissarin. Einem renommierten Maler, der neulich den Bundespräsidenten porträtieren durfte.

Die schwarzen Anzüge waren in der Mehrheit. Auch die meisten Frauen trugen dunkle Kostüme, nur ab und zu ein Farbfleck. Sarah erwiderte Grüße fast im Sekundentakt.

Mittendrin die Kanzlerin.

Und irgendwo auch Christian, schätzte Sarah.

Aus dem Ziehen im Bauch wurde ein Schmetterlingsschwarm. Sie hatten telefoniert. Er würde kommen.

Sarah nahm einer Kellnerin ein Glas Wasser ab und nippte daran. Eine männliche Bedienung in weißer Schürze hielt ihr ein Tablett hin. Sarah griff nach einer frittierten Garnele im Teigmantel.

Vor gut zehn Jahren, kurz nach ihrem Volontariat beim WDR, hatte sie ihren ersten Job vor der Kamera übernommen, für eine landespolitische Sendung im Dritten, die kaum jemand guckte. Holger Diepenbrock, der damalige Leiter der Redaktion, fand, dass dem Programm etwas Frischfleisch guttun würde. Ohne jedes Training musste sich Sarah als Moderatorin beweisen. Im wöchentlichen Wechsel mit ihrem wesentlich älteren Chef präsentierte sie die Beiträge der Kollegen und fühlte sich, als schubse man sie vom Fünfmeterbrett ins kalte, tiefe Becken. Es hätte schiefgehen können.

Wie stolz sie damals gewesen war, als alle ihr bescheinigten, dass sie eine gute Figur mache. Und wie naiv sie gewesen war. Seitdem hatte sie vieles erlebt. Aus Kollegen waren Konkurrenten geworden, aus Freunden Neider, aus Mitstreitern Feinde. Wie gern hätte sie sich einen Schutzpanzer zugelegt. Verletzungen taten nach wie vor weh.

Inzwischen zeigten sich die ersten Fältchen um die Augen, und sie musste jede Kalorie zählen. Der Betrieb war gnadenlos, und sie wusste, dass sie ihre Karriere nicht nur inneren Werten verdankte. Sie winkte ab – keine zweite Garnele.

Stattdessen Smalltalk mit einem Fraktionsgeschäftsführer, der ihr in den Weg trat. Der ihr Komplimente machte, die sie schon tausendmal gehört hatte. Diese Typen wollten alle nur das Eine: als Gast in ihre Sendung kommen, und das möglichst oft.

In Berlin hatte sie schon einmal länger gearbeitet und während jener Zeit sogar ihre Düsseldorfer Wohnung aufgegeben. Als ausgerechnet ihr damaliger Freund ihr eine interessante Stelle in Köln vor der Nase weggeschnappt hatte, auf die sie sich beworben hatte, war sie in die Hauptstadt gezogen. Ein paar Jahre lang hatte sie hier die Abendschau moderiert. Zu der Zeit war sie noch zu unbedeutend gewesen, um zum Hauptstadttreff eingeladen zu werden

Dann holte sie Holger Diepenbrock, ihr ehemaliger Chef bei der Landespolitik, zum WDR zurück. Diepi, wie man ihn hinter seinem Rücken nannte, war inzwischen zum Chefredakteur aufgestiegen, und sie präsentierte nun das ARD-Morgenmagazin – plötzlich erste Liga.

Auch schon wieder fast drei Jahre her.

Der große Raum war rappelvoll. Das Gemurmel der Gäste und der Widerhall von allen Seiten verstärkten sich zu einem Tosen. Diepenbrock tat sich den Hauptstadttreff nicht mehr an, wie Sarah wusste. Er stand kurz vor seiner Pensionierung und hatte es nicht nötig, sich für solche Empfänge in den Flieger zu setzen.

Diepi war ihr Mentor, sie lagen auf gleicher Wellenlänge. Er war nach wie vor ihr größter Fürsprecher und würde sie schützen, selbst wenn sich die Quote nicht so rasch erholte wie erhofft.

Keine fragt die Leute so schlau und bissig wie die Wölfin – im Mut-Zusprechen war er besser als ihre Mutter.

Sarah wurde ungeduldig.

Ihr Blick suchte Christian in der Menschenmenge.

Wo bleibt er nur, mein Staatssekretär?

3

Düsseldorf – Sonntag, 18. September

Simon radelte hastig den Unterbacher See entlang. Es begann bereits zu dämmern, die Zeit war knapp. Sein Ziel war der abgelegene Teil des Nordufers jenseits des Strandbads. Er strampelte quer über den Parkplatz, an den Wiesen vorbei, bog auf einem unbefestigten Pfad in den Wald ab und erreichte das Wasser. Hier wurde der Untergrund sumpfig, und das Gelände war für seinen Zweck zu dicht bewachsen. Nachdem er es noch zwei Mal an anderen Stellen versucht hatte, kehrte er zum asphaltierten Weg zurück, hielt an der ersten Lichtung an und legte sein Fahrrad im Gras ab.

Ein guter Ort, um seinen Schatz zu testen, fand Simon.

Er nahm den Rucksack ab und hob vorsichtig den Quadrocopter heraus. Eine Phantom 3 des Herstellers DJI. Wie stolz er auf das Gerät war!

Simon hatte die Drohne von dem Geld gekauft, das er in den Sommerferien als Zeitungsausträger verdient hatte. Es ärgerte ihn, dass ihm die Eltern verboten hatten, sie daheim in der Reihenhaussiedlung zu starten. Beim ersten Testflug hatte sich die Nachbarin über das Brummen beklagt, das höchstens ein sanftes Schnurren war, wie Simon fand. Die fette Schmitz von nebenan, die oben ohne hinter der Hecke in der Herbstsonne gedöst hatte, sollte sich nicht so haben.

Er steckte sein Smartphone auf den Controller – es konnte losgehen.

Der Quadrocopter hob langsam ab, das Handydisplay zeigte das Bild der fest installierten Kamera. Simon wusste, dass er noch viel üben musste, um Flugbahn und Filmaufnahme zufriedenstellend steuern zu können.

Einen Kilometer betrug der maximale Radius, gut zwanzig Minuten die Flugdauer. Als Erstes steuerte Simon den Quadrocopter senkrecht in die Luft. Das Display zeigte eine Aufsicht der Wiese, den Wald ringsum sowie das Seeufer. Darauf steuerte er die Drohne nun zu und bewegte die Phantom 3 in immer wilderen Flugmanövern.

Hier im Naturschutzgebiet gab es keine Menschenseele, die sich gestört fühlen konnte. Nur den See und Gestrüpp. Im Sommer sonnten sich in einigen Sandbuchten manchmal Nacktbader, aber heute war es zu kalt dafür.

Simon ließ die Drohne tiefer zwischen die Wipfel sinken, bis er den Blickkontakt verlor. Er hörte das leise Schnurren aus der Distanz. Das Bild auf dem Display raubte ihm schier den Atem. Das Fluggerät raste knapp über dem Wasser und jagte Enten und Haubentaucher.

Plötzlich bekam er Angst, dass die Funkverbindung abbrechen könnte. Er ließ sein Spielzeug steigen und in großem Bogen zurückkehren. Er konnte mit bloßem Auge sehen, wie es näher kam. Als die Propeller um ein Haar eine Baumkrone streiften, setzte fast sein Herz aus.

Sofort ließ er das teure Ding weiter an Höhe gewinnen, um es in Sicherheit zu bringen. Seine Eltern würden ihm garantiert keinen Ersatz spendieren. Sie hielten seine Leidenschaft ohnehin für Spinnerei.

Simon glaubte fest daran, eines Tages Geld damit verdienen zu können. Luftaufnahmen von Sportereignissen oder Familienfesten – wer sich Fotografen leistete, würde ihn als Videofilmer erst recht engagieren. Nichts ging über bewegte Bilder einer Drohne, sofern man sie beherrschte.

Simon sah den Quadrocopter taumeln, weil aufkommende Windböen dem Gerät zu schaffen machten. Sein Vater hatte ihn davor gewarnt. Aber der hatte an moderner Technik immer etwas auszusetzen.

Plötzlich klang auch das Brummen anders. Womöglich leerte sich bereits der Akku. Höchste Zeit für die Landung, beschloss er.

Doch dann war das kleine weiße Teil plötzlich vom Himmel verschwunden, und auch das Schnurren war nicht mehr zu hören.

Mist, dachte Simon.

4

Sarah fiel auf, dass die Musik abgedreht worden war. Der Blick auf ihre Omega zeigte Punkt achtzehn Uhr – jeden Moment würden die Ansprachen beginnen. Sie gab es auf, weiter in die Halle vorzudringen.

Sie wich vor einem Kellner zurück, der ein Tablett über dem Kopf balancierte, und rempelte dabei einen Anzugträger an. Wasser schwappte aus ihrem Glas über seinen Ärmel.

Sie setzte zu einer Entschuldigung an – und musste grinsen.

«Guten Abend, Herr Staatssekretär», sagte sie.

«Frau Wolf», antwortete Christian. «Schön, Sie zu hier zu treffen.»

Der Dicke neben ihm war Bundesgesundheitsminister Werremeyer. Den Graumelierten mit dem Klobrillenbart, der ebenfalls zur Gruppe gehörte, kannte Sarah nicht. Christian stellte ihn vor, sie schüttelten Hände, doch Sarah vergaß den Namen sofort. Sie hatte nur Augen für Christian.

Heute trug er einen graublauen Anzug, eng geschnitten, der seine Figur zur Geltung brachte. Und die konnte sich sehenlassen, eine Rarität im Politikbetrieb. Er überragte Sarah, was ihr ebenfalls gefiel. Doch er sah nicht nur gut aus, er hatte auch Charisma. Sobald Christian einen Raum betrat, fesselte er die Aufmerksamkeit der Anwesenden. Und mit Humor und seinem scharfen Intellekt verstand er es, jeden für sich einzunehmen.

Der Stoff, aus dem Ausnahmepolitiker gebacken werden.

Sarah verstand nicht, warum er ihr nicht sofort als Mann aufgefallen war. Zum ersten Mal waren sie sich im Juni begegnet. Der Staatssekretär hatte als Gast in ihrer Sendung gesessen. Sie erinnerte sich, dass die Quote damals recht hoch gewesen war. Thema: Ist unsere Gesundheit in Zukunft noch bezahlbar?

Christians Hand strich verstohlen über ihren Rücken, während der Minister einen Witz wiedergab und der Graue schon vor der Pointe lachte.

Ihr Herz hüpfte.

Krieg dich ein, sagte sich Sarah. Du bist kein Teenager mehr.

Sie setzte ihr ironisches Lächeln auf und wandte sich Gesundheitsminister Werremeyer zu, der eine unerschütterliche Gemütlichkeit ausstrahlte.

«Na, was macht das dritte Pflegestärkungsgesetz?», fragte sie.

«Schreitet voran wie der Eckpunkteplan zur Krankenhausreform.»

«Gratulation.»

«Und trägt den Stempel unserer Partei, die Sie vermutlich nicht gewählt haben.»

«Weiß man’s?», erwiderte Sarah und zwinkerte.

Die Herren lachten.

Sie rieb Wassertropfen von Christians Ärmel und flüsterte: «Du hast mir gefehlt.»

Sie hatte vor dem Abflug noch schnell eine Zigarette geraucht und hoffte, er würde es nicht bemerken. Zuletzt hatten sie sich am Montag letzter Woche gesehen, nachdem er Termine in seinem Wahlkreis Recklinghausen sowie beim SPD-Landesvorstand in Düsseldorf absolviert hatte. Kurz vor Mitternacht klingelte er an ihrer Tür – sechs gemeinsame Stunden, bevor er wieder zum Flieger musste, zurück nach Berlin. Wenn es doch nicht so kompliziert wäre, sich zu treffen!

Während sich der Minister dem Graumelierten zuwandte, ging Sarah auf die Zehenspitzen und brachte ihre Lippen an Christians Ohr. «Neben dem Konferenzraum im zweiten Stock gibt es eine Teeküche.»

Der Staatssekretär nickte zur Bestätigung.

Sarah spürte erneut das Kribbeln. Er sah nicht nur blendend aus, sondern war auch ein Mann, der Ziele hatte, die sie teilte. Der auch Skrupel kannte und sich nicht um der Karriere willen verbiegen lassen wollte.

Einer wie ich, dachte Sarah.

Sie trank den Rest aus ihrem Glas. Das waren keine Schmetterlinge im Bauch.

Das war ein Geschwader wildgewordener Kolibris.

 

Im zweiten Stock befanden sich die Büros der Hörfunkredakteure des Hauptstadtstudios. Der Konferenzraum am Ende des Flurs erstreckte sich hinter einer gläsernen Wand. Dort hatten sich einige Anzugträger versammelt und tranken Kaffee aus großen Bechern. Sarah bemerkte kurzgeschorenes Haar, ausgebeulte Sakkos, ein Spiralkabel hinter einem Ohr – es waren Fahrer und Personenschützer, die lieber im Warmen warteten als bei ihren Fahrzeugen.

Ein Typ glotzte herüber, als sie die Teeküche erreichte.

Sarah machte sofort kehrt, griff nach ihrem Handy und rief ihre Kurznachrichten auf. Rasch tippte sie eine SMS für Christian.

Im dritten Stock, nicht im zweiten.

Sie ging zurück zum Aufzug und fuhr noch eine Etage höher. Von hier an aufwärts befanden sich die Büros der Korrespondenten, die fürs Fernsehen arbeiteten. Kein Licht hinter der Glaswand am Ende des Flurs, der Konferenzraum auf dieser Etage war leer, keine Zeugen.

Auch hier gab es eine Teeküche.

Sarah lauschte für einen Moment. Dann drückte sie die Klinke und trat ein. Die Tür ließ sie angelehnt – als Zeichen für Christian.

Der enge Raum war fensterlos. Ein Kopiergerät zeichnete sich ab. Ein Tisch mit einem Monitor darauf. Neben der Spüle ein Kaffeeautomat, der noch eingeschaltet war. Zwei LEDs glommen gelblich.

Von unten tönte bereits die Stimme der Kanzlerin herauf.

Endlich öffnete sich der Türspalt, Christian schlüpfte herein und zog die Tür fest hinter sich zu. Sarah roch sein Rasierwasser.

«Bist du’s?», fragte er.

«Finde es heraus», antwortete sie.

Er tastete nach dem Lichtschalter.

«Lass.» Sie zog ihn zu sich heran.

«Macht dich das an? Ein Fremder im Dunkeln?»

«Halt den Mund, mein Staatssekretär.»

Er lachte. «Hauptsache, ich habe dich endlich für mich, mein Engel.»

Sarah löste sich aus der Umarmung. «Nenn mich nicht so.»

«Warum?»

«Mein Vater hat immer ‹mein Engelchen› zu mir gesagt. Dann war er verschwunden. Von einem Tag auf den anderen.»

«Das wird dir mit mir nicht passieren.»

«Versprochen?»

Christian küsste sie zart. Sie küsste heftiger zurück. Er drückte seinen Körper gegen ihren und stieß sie gegen den Tisch. Der Monitor knallte gegen das Fenster.

Sarah ertastete Christians Gesicht und kratzte ihn mit dem Daumennagel unterhalb des Grübchens am Kinn. Er zuckte zurück.

«Du hast mich zehn Minuten warten lassen», flüsterte sie. «Mach das nie wieder.»

«Ich habe Stress mit den Medien», antwortete Christian.

«Dafür sind wir da. Um Politiker in Stress zu versetzen. Aber nur wer Mist baut, muss uns wirklich fürchten.»

«Danke für dein Mitgefühl.»

«Gern geschehen.»

Ihre Hände umfassten seinen Hintern. Sie stellte sich vor, er wäre nackt. Das Zimmer schien zu vibrieren.

Als seine Finger in ihre Bluse und unter den BH glitten, empfand sie die Berührung zu ihrer eigenen Überraschung als unangenehm. Sie zog seine Hände weg.

«Liebst du mich?», fragte er.

«Das weißt du doch.»

«Wann hören wir mit dem Versteckspiel auf?»

«Die kritische Journalistin und der kommende Star der Politik – es wird den Leuten nicht gefallen, wenn das rauskommt. Sie werden glauben, ich wäre nicht mehr unabhängig.»

«Manchmal wünschte ich mir ein Leben ohne Rücksichtnahme.»

«Ich mir auch. Das kannst du mir glauben.»

Christians Handy gab einen zirpenden Laut von sich. Er zog es aus der Innentasche seines Sakkos. Das Display erhellte sein Gesicht, während er die Nachricht las. Im blauen Schein zuckte seine Kiefermuskulatur.

«Ich muss kurz telefonieren», sagte Christian.

«Aber nicht jetzt.»

«Sarah, bitte.»

Sie begriff: Ihr Liebhaber erwartete tatsächlich, dass sie den Raum verließ.

«Hast du eine andere?», fragte Sarah, nur halb im Scherz.

«Unsinn!»

Sie wandte sich zur Tür und kontrollierte beim Hinausgehen den Sitz ihrer Bluse. Der Mann hat Geheimnisse vor mir, dachte sie.

5

Simon machte sich auf die Suche.

Er kämpfte sich durch die Brennnesseln am Rand der Lichtung und prallte gegen einen rostigen Drahtzaun, den man vor langer Zeit errichtet hatte, um im Frühjahr brütende Vögel zu schützen. Tränen der Verzweiflung rannen ihm über die Wangen. Wo zum Teufel war die Phantom 3 abgestürzt?

Er machte kehrt und versuchte es weiter hinten. Dornen zerkratzten seine Arme. Simons Blick scannte den Boden, checkte die Baumwipfel und schweifte über das Gestrüpp, das rundum wuchs.

Nichts. Und allmählich schwand das Tageslicht.

Ich darf nicht ohne Drohne nach Hause zurückkehren, ermahnte er sich. Sie war das Coolste, was er je besessen hatte. Wenn sich herumspricht, dass ich sie gecrasht habe, bin ich der Loser von Unterbach.

Simon besann sich. Er rannte zum Controller zurück, den er neben seinem Fahrrad abgelegt hatte. Er nahm das Smartphone aus der Halterung und überprüfte die letzten Aufnahmen der Phantom 3.

Sie hatte sich in den Ästen eines mächtigen Baums verfangen und war zu Boden gefallen. Am Ende des Films schoben sich Farnblätter vor den Himmel und zitterten im Wind. Simon blickte sich um.

Er entdeckte den Baum, der alles ringsum überragte. Nun wusste er genauer, wo er zu suchen hatte. Nach einer Weile fand er eine Stelle, an der die Maschen des Zauns bis auf den Boden heruntergedrückt waren. Er war mit Stacheldraht versehen – vorsichtig stieg Simon darüber.

Hier war der Boden feucht und schmatzte unter seinen Sohlen. Und wieder kratzten ihn die Dornen.

Links vom dicken Stamm des Baumriesen ragten Farne auf. Sie reichten Simon bis zur Hüfte und bildeten eine Art Feld. Er begann, es zu durchkämmen.

Dabei stieß er gegen ein Hindernis und wäre fast gestolpert.

Unter der Sohle seines Sneakers knackte es. Etwas Dünnes, Hartes war zerbrochen.

6

Als die Aufzugtür sich öffnete, stand ein hagerer Grauhaariger in der Kabine, der Nachrichten auf seinem Smartphone las, wie zuvor Christian in der Teeküche. Es war der Vizekanzler. Gemeinsam fuhren sie nach unten.

Heinz Benrath ließ das Handy sinken. Seine Augen wirkten groß hinter der randlosen Brille. «Also jetzt, Frau Wolf, wo ich Sie sehe, bedaure ich’s, ehrlich gesagt, dass ich schon gehen muss.»

«Guten Abend, Herr Benrath.» Sie deutete auf sein Handy. «Ist das Arbeit, oder surfen Sie gerade auf einem Flirtportal?»

Er lachte.

Die meisten Politiker in Berlin lebten fernab ihrer Familie. Journalistinnen galten den Männern als Freiwild. Sarah wusste ein Lied davon zu singen. Doch Benrath fuhr fort, eine Nachricht zu tippen, und ihr wurde klar, dass sie dem Vizekanzler unrecht tat.

Im ersten Stock verabschiedete sie sich und ließ den SPD-Chef allein. Ihr fiel ein, dass Benrath mit seiner Frau in Berlin lebte. Sie war Lehrerin und deutlich jünger als er, mehr wusste man nicht über sie. Das Ehepaar schirmte sein Privatleben ab, so gut es ging. Was für Benrath spricht, dachte Sarah.

In der Redaktionshalle lief bereits wieder Musik, doch der Lärm der Stimmen überlagerte die Melodie fast völlig. Drüben beim Buffet hielt die Kanzlerin Hof. Sie stellte einen neuen Rekord auf. Die Dreißig-Minuten-Marke war bereits durchbrochen.

Sarah behielt Treppe und Fahrstuhl im Blick, um Christian nicht zu verpassen.

Der Chefredakteur einer Wirtschaftszeitung sprach sie an. Der Kollege redete ohne Pause und hielt sich für besonders schlau. Sein Themenvorschlag für ihre nächste Sendung: Reformstau in Deutschland – wegen der geringen Arbeitslosigkeit stiegen die Löhne der einfachen Angestellten zu kräftig. Was Sarah anders sah.

Der Kellner kam vorbei. Sie schnappte sich nun doch eine zweite Garnele.

Endlich erblickte sie Christian.

Er stand an der Treppe und sprach mit einer jüngeren Frau im grauen Anzug. Die vertrauliche Art, wie sie miteinander umgingen, hielt Sarah davon ab, hinüberzugehen. Die Frau flüsterte Christian etwas zu. Sie war klein, er musste sich zu ihr hinunterbeugen.

Dabei hielt sie seinen Arm fest und steckte ihm einen gemusterten Umschlag zu – übersät mit roten Punkten. Christian ließ den Brief in der Innentasche seines Sakkos verschwinden. Die Unbekannte blickte ihn beschwörend an, große Augen unter dunklen Brauen, dann verließ sie die Etage nach unten.

Christian schaute sich suchend um.

Sarah winkte, ließ den Schlaumeier vom Wirtschaftsblatt stehen und kam ihrem Staatssekretär entgegen. Die Frage, wer die Kleine gewesen war, lag ihr auf der Zunge, aber sie wollte nicht schon wieder als eifersüchtig erscheinen.

«Lass uns abhauen», sagte sie. «Ich halt’s hier nicht mehr aus.»

«Aber zuerst muss ich noch kurz ins Büro.»

«Ist nicht dein Ernst.»

«Ich hab dir doch gesagt, dass es im Moment Stress gibt. Darauf muss ich reagieren, damit da nichts ausufert. Du kennst das ja.»

«Nein, kenne ich nicht.» Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Den Abend hatte sie sich anders vorgestellt. Auf ihr Hotelzimmer hatte sie keine Lust. Darauf, im Hilton allein an die Bar zu gehen, erst recht nicht.

«Nur für zwanzig Minuten.»

«Aus denen dann zwei Stunden werden. Nein, danke.»

«Du könntest mir helfen.»

«Wobei?»

«Ich muss den richtigen Ton treffen.»

«Soll ich dir meinen Stundensatz nennen?»

«Kann ich auch in Naturalien bezahlen?»

Plötzlich stand der Gesundheitsminister neben ihnen. Offenbar hatte er noch etwas mit Christian zu bereden.

Sarah verabschiedete sich.

 

Die Stahltür zur Tiefgarage fiel hinter ihr ins Schloss. Sie hörte Schritte, ohne jemanden zu sehen. Ein Porsche brummte vorbei. In den Kurven quietschten die Reifen. Dann war es still und leer, was Sarah wohltuend fand.

Sie lehnte sich gegen die kühle Betonwand und nahm ihr Handy aus der Tasche. Sie tippte eine Nachricht für Christian: Ich warte bei deinem Wagen. Beeil dich.

Wenn sie sich richtig erinnerte, benutzte der Staatssekretär einen schwarzen Audi A8 als Dienstfahrzeug. Fragte sich nur, wo die Limousine stand. Die Garage war hell beleuchtet, aber verschachtelt. Treppenaufgänge, Zwischenwände und Säulen beschränkten die Sicht.

Sarah ging in Richtung Ausfahrt und ließ ihren Blick schweifen.

Plötzlich vernahm sie eine leise Stimme. «Auf die Dosierung kommt es an.»

Jemand flüsterte eine Antwort.

Die Heimlichtuerei ließ Sarah innehalten. Die beiden Männer standen irgendwo hinter der nächsten Säule.

Dann verstand sie den zweiten, als er mit tiefer, kratziger Stimme sagte: «Ein Streich unter Kollegen. Junggesellenabschied, verstehst du?»

Die Tür eines Treppenaufgangs krachte, Schritte schallten durch die Etage. Ein Motor sprang an, ein dunkler Mercedes fuhr vorbei. Die beiden Männer hatten ihr Gespräch unterbrochen.

Die Neugier drängte Sarah danach, um die Ecke zu spähen. Es knirschte unter ihren Sohlen.

«Ist da jemand?», fragte die kratzige Stimme.

Sarah spürte, wie der Mut sie verließ. Rasch ließ sie sich hinter einem Volvo-Geländewagen in die Hocke nieder. Jemand patrouillierte auf der anderen Seite vorüber. Sie erspähte sportliche, halbhohe Schnürstiefel aus schwarzem Leder und stramme Waden in schwarzem Jeansstoff.

Die Stiefel kehrten zurück und hielten auf ihrer Höhe an. Sarah wagte nicht zu atmen. Zum Glück setzte sich der Kerl gleich wieder in Bewegung und verschwand zu dem anderen.

Getuschel hinter der Säule.

Sarahs Handy vibrierte. Sie versuchte, das Gerät lautlos aus der Tasche zu angeln, und entsperrte es mit einem Wischer ihres Daumens.

Christian. Eine neue Nachricht.

Bin ohne Wagen da. Stehe am Ausgang Wilhelmstraße. Und du?

Schritte von hinten.

Sarah erschrak.

Eine Frau hob ihre Hand. In Sarahs Rücken klackte die Verriegelung des Volvos. Die Frau steckte den Funkschlüssel im Näherkommen weg.

Sarah tat, als binde sie einen Schuh. Dann erhob sie sich und steuerte rasch die nächste Tür an. Dabei warf sie einen Blick hinter die Säule.

Die beiden Männer waren verschwunden.

7

Simon hielt den Atem an. Er spürte, wie sein Herz klopfte.

Das war nicht seine Drohne.

Das waren Knochen.

Ein paar davon kamen ihm riesig vor. Von welchem Tier mochten sie stammen? Mit den Händen bog Simon die Farnblätter zur Seite.

Fast ein komplettes Gerippe lag auf dem Boden, fauliges Zeug daran, Maden und Würmer – ekelhaft und faszinierend zugleich. Dann erkannte Simon das Große, Helle, über das er gestolpert war.

Ein menschlicher Schädel.

Wirre, blonde Haare hingen daran wie Fetzen einer Haloweenperücke, Fleischreste und Zähne – ein grässlicher Zombie grinste ihn an. Beim Zurückweichen stieß Simons Fuß erneut gegen ein Hindernis.

Er drehte sich um. Zum Glück, sein Fluggerät!

Er hob es auf und begann zu rennen. Die Dornen zerrissen sein Sonntagshemd. Er sprang über den Stacheldraht und rutschte auf dem weichen Boden aus.

Auf der Heimfahrt trat Simon in die Pedale, als sei eine ganze Armee von Zombies hinter ihm her. Die Kette seines Fahrrads rasselte. Das Schutzblech klapperte. Seine Lunge brannte. Es wurde dunkel, aber der verdammte Dynamo funktionierte mal wieder nicht.

Scheißegal. Weiter.

Endlich: Unterbach, die Vennstraße. Sein Zuhause – scheinbar völlig unberührt vom Grauen im benachbarten Wald.

Seine Mutter wässerte gerade den Vorgarten, als er schlitternd vor dem Haus anhielt.

«Was hast du denn?», wollte sie wissen. Entsetzt registrierte sie seine verdreckten Klamotten.

Simon berichtete aufgeregt und wild gestikulierend von seinem Leichenfund.

«Du und deine blühende Phantasie», sagte seine Mutter und schüttelte den Kopf.

8

Das sogenannte Jakob-Kaiser-Haus hinter dem Reichstagsgebäude war ein ganzes Ensemble unterirdisch miteinander verbundener Bauten, die das Medienzentrum des Bundestags beherbergten, mehrere Sitzungssäle sowie das Casino, vor allem aber Hunderte von Abgeordnetenbüros. Es lag nur ein paar Schritte vom ARD-Studio an der Wilhelmstraße entfernt. Der Regen hatte zum Glück aufgehört. Auf der nahen Spree tuckerte ein Boot, der Wind trieb Dieselabgase durch die Straße.

«Worin besteht denn dein Stress mit der Presse?», fragte Sarah.

«Hast du nicht mal für den Blitz geschrieben?», wollte Christian wissen.

«Ein Schülerpraktikum in der Düsseldorfer Lokalredaktion vor ewigen Zeiten. Und ein bisschen freie Mitarbeit als Zeilenknecht während des Studiums. Wieso fragst du?»

«Kennst du einen Udo Venn?»

«Den Namen höre ich zum ersten Mal.»

Ein paar Stufen, Christian öffnete die Glastür. Das Foyer war um diese Uhrzeit menschenleer, ihre Schritte hallten auf dem Marmorboden. Das Geräusch erinnerte Sarah an die Tiefgarage, in der sie eben gewesen war, und der Unterhaltungsfetzen fiel ihr ein, dessen Zeugin sie geworden war. Flüstern und Heimlichtuerei. Beim Wort «Dosierung» musste sie an Drogen denken.

Der Aufzug brachte sie nach oben. Christian schloss die Tür zu seinem Büro auf. Sarah bemerkte, dass im Zimmer nebenan noch gearbeitet wurde. Die Verbindungstür stand offen, jemand telefonierte.

Sie blieb stehen und hob die Hände. «Sarah Wolf ist nicht hier. Und sie geht erst recht nicht da hinein.»

«Ach, komm!»

«Schon gar nicht hilft sie einem Politiker bei seiner Pressearbeit.»

«Irgendwann erfährt es die Öffentlichkeit ohnehin, dass wir zusammen sind.»

«Aber nicht heute.»

«Du musst wirklich keine Sorge haben», beschwichtigte Christian. «Lisette ist sehr diskret, sonst hätte ich sie nicht eingestellt.»

Zögernd trat Sarah ein und legte ihren Mantel ab.

Christian fuhr seinen Rechner hoch und beugte sich über die Tastatur auf seinem Tisch. Er öffnete den Browser und gab etwas in die Suchmaske ein. Dann vergrub er die Fäuste in den Hosentaschen und trat zurück. «Was hältst du davon?»

Sie setzte sich auf Christians Drehsessel und musterte den Monitor. Es handelte sich um die Online-Ausgabe der Boulevardzeitung Blitz. Die Überschrift des Artikels lautete: Umstrittene Elefantenhochzeit im Gesundheitssektor – Staatssekretär macht gegen alle Bedenken Druck.

Der Text war vor etwa zwei Stunden ins Netz gestellt worden, und man konnte davon ausgehen, dass er auch in der morgigen Printausgabe stehen würde. Als Autor firmierte der erwähnte Udo Venn. Drei Fotos zierten die Seite. Die Porträts von Christian sowie von Heinz Benrath, seinem Parteichef. Zudem der Schriftzug der Samax AG an einem Verwaltungsgebäude – der Firmensitz in Köln, wie die Unterzeile erklärte.

Sie las, dass die Samax AG, der größte private Krankenhausbetreiber Deutschlands, ihren wichtigsten Konkurrenten, die Ikarus-Kliniken, schlucken wolle. Das Kartellamt hege Einwände und plane ein Verbot der Fusion wegen der zu befürchtenden Wettbewerbsverzerrung. Samax hoffe nun, dass Benrath sich als Wirtschaftsminister darüber hinwegsetzen und den Kauf per Ausnahmeerlass absegnen werde. Ein Politiker, der dem Konzern eng verbunden sei, habe sich in dem Zusammenhang besonders vehement für den Erlass eingesetzt: Christian Wagner, SPD-Abgeordneter aus Recklinghausen und parlamentarischer Staatssekretär beim Gesundheitsminister.

Der Artikel zitierte aus einer vertraulichen E-Mail Christians an seinen Parteichef: Chancen auf dem globalisierten Markt … Nur ein starker privater Sektor … Im Interesse Deutschlands …

Schließlich wurde der Blitz persönlich, und Sarah verstand, warum Christian die Veröffentlichung an die Nieren ging. Die Bande zwischen ihm und der Samax AG seien vielfältig und erstaunlich eng, hieß es da. Schon seinen früheren Posten beim Bundesverband der Pharmaindustrie habe Christian allein der Gunst des Samax-Chefs zu verdanken.

Nach seinem Wechsel in die Politik habe ihn die Klinikgruppe mit Nebenjobs ausgestattet. Aufsichtsrat hier, Berater dort. Gutdotierte Posten. Noch heute ziehe Christian die Strippen für seinen alten Gönner.

Einmal Lobbyist, immer Lobbyist, so die Botschaft.

Sarah lehnte sich zurück. «Wetten, dass dieser Venn im Berliner Büro des Blitz arbeitet und du ihn gerade beim ARD-Hauptstadttreff nur knapp verpasst hast?»

«Sein Glück.» Christians Blick verdunkelte sich. «So eine Arschgeige!»

«Hast du tatsächlich diese E-Mail geschrieben?»

«Aber deshalb bin ich doch kein Handlanger der Samax!»

«Man könnte schon glauben, du seist gekauft.»

«Fällst du mir jetzt auch in den Rücken?»

«Nein, aber ich möchte, dass du ehrlich zu mir bist.»

«Bevor ich parlamentarischer Staatssekretär wurde, habe ich sämtliche Nebentätigkeiten niedergelegt. Christian Wagner ist nicht bestechlich!»

«Hier steht, du wärst noch Beirat einer Stiftung der Samax AG.»

«Mein Gott, das ist ein Ehrenamt! Da geht es um Hilfsprojekte in der Dritten Welt. In enger Zusammenarbeit mit dem UNHCR, den Ärzten ohne Grenzen et cetera. Was soll daran verwerflich sein?»

«Manchmal ist ein solcher Artikel nur der Anfang einer Kampagne. Möglicherweise kommt da noch mehr.»

«Toll, wie du mir Mut machst!»

«Jeder weiß, dass sich der Blitz gern auf deine Partei einschießt. Was könnte Venn noch in petto haben?»

«Da gibt es nichts.»

«Denk nach.»

«Mensch, Sarah, was unterstellst du mir?»

«Beruhig dich. Mir geht es doch nur darum, dass du vorbereitet bist.»

Er schüttelte den Kopf. «Nein, da ist nichts. Nada. Niente.»

«Also nur diese Empfehlung per E-Mail. Sie stammt von dir persönlich?»

«Wie ich schon sagte.»

«Dann hoffe ich, du hattest dafür gute fachliche Gründe.»

«Ausschließlich fachliche Gründe! Welche denn sonst?»

«Sobald sich Benrath in deinem Sinn äußert, bist du aus der Schusslinie, denke ich.»

«Das wird er tun, daran gibt es überhaupt keinen Zweifel.»

Christians Mitarbeiterin, eine blonde Brillenträgerin von erst etwa dreißig Jahren, erschien in der Verbindungstür. Sie erblickte Sarah und riss die Augen auf.

«Sind Sie das, Frau Wolf?»

Sarah gab ihr zur Begrüßung die Hand. «Ich bin nicht da.»

«Verstehe.»

«Lisette Hanke, sie leitet mein Büro hier», stellte Christian sie vor. «Was gibt’s Neues, Lisette?»

«Benraths Referent weigert sich, Stellung zu beziehen.»

«Wie bitte?»

«Muss sich erst noch mit seinem Chef kurzschließen, meint er.»

Christian schüttelte den Kopf, dann holte er sein Handy hervor und begann, eine SMS zu tippen.

«Haben Sie schon einen Pressetext?», fragte Sarah.

«Einen Entwurf.»

Die Büroleiterin druckte ihn aus. Sarah überflog den Text und lobte ihn, dann griff sie zum Stift und formulierte einige Stellen konkreter und klarer.

Christian war fertig mit seiner SMS und spähte über Sarahs Schulter. Zu Lisette sagte er: «Schick das über den großen Verteiler nach draußen. Und morgen früh um halb sechs hakst du bitte beim Deutschlandfunk nach. Ich stehe jederzeit für ein Interview zur Verfügung.»

«Vielleicht versuchen Sie es auch beim ARD-Morgenmagazin.» Sarah schrieb ihr die Durchwahlnummer des Chefs vom Dienst auf, die seit ihrer dortigen Zeit vermutlich unverändert geblieben war.

Lisette verschwand damit in ihrem Zimmer.

Christian streckte sich und blickte auf die Uhr. Er schien sich beruhigt zu haben.

«Fertig?», fragte Sarah.

Ein Funkeln trat in seine Augen. «Gehen wir zu mir?»

9

Am nächsten Morgen nahm Sarah bereits den 7:35-Uhr-Flug nach Düsseldorf. Mit einem Packen Zeitungen setzte sie sich auf ihren gebuchten Platz in der Business-Class. Sie ließ sich einen Kaffee geben und knöpfte sich zuerst den Blitz vor. Auf der zweiten Seite fand sie den Artikel über Christian und die Samax AG – bis auf einige Kürzungen im Wortlaut identisch mit der Online-Version, die sie bereits kannte.

Arschgeige – sie musste lachen, als ihr Christians Kommentar einfiel.

Der vergangene Abend glich einer durchwachsenen Konzertdarbietung. Misstöne im ersten Akt. Der Mittelteil zog sich. Das Finale dagegen ein Genuss, der den Rest fast vergessen ließ. Und wieder musste sie daran denken, wie alles begonnen hatte.

Zwei Wochen nachdem Christian in ihrer Sendung zu Gast gewesen war, hatte er sie zu einem Musikabend in der Tonhalle eingeladen. Die Düsseldorfer Symphoniker spielten das dritte Klavierkonzert von Rachmaninoff. Der brillante Solist war Christians jüngerer Bruder Daniel. Nach dem Finale und einem nicht enden wollenden Applaus fragten sie sich zur Garderobe durch, um Daniel zu gratulieren. Wer weiß, wie der Abend verlaufen wäre, wenn der Bruder und dessen Freunde mit ihnen zum Essen gegangen wären. Stattdessen speisten sie zu zweit in dem Restaurant am Rand der Altstadt und unterhielten sich sehr angeregt. Erst als das Personal ringsum die Tischdecken abzog und die Stühle hochstellte, realisierten sie, dass sie die letzten Gäste waren.

Wenige Tage später fand ihre nächste Talkshow in Berlin-Adlershof statt. Sie nutzte ihren Aufenthalt in der Hauptstadt für ein weiteres Treffen mit Christian am Morgen nach der Sendung. Sie besuchten eine Ausstellung im Gropiusbau, anschließend lud er sie noch zum Mittagessen ein. Am liebsten hätte sie ihren Rückflug nach Düsseldorf noch weiter aufgeschoben.

Zu Beginn der Sommerpause, als Sarah durch Java und Bali reiste, ertappte sie sich bei dem Gedanken, dass es schön sei, mit diesem Mann mehr Zeit zu verbringen. Gleich nach ihrer Rückkehr meldete er sich. Er hatte wieder in Nordrhein-Westfalen zu tun, und sie landeten zum ersten Mal im Bett. Seitdem hatten sie sich so häufig es ging gesehen und täglich telefoniert.

Sarah erinnerte sich an ihre Unterhaltung in jener ersten Nacht. Christians Worte – fast schon ein Antrag: Ich glaube, ich wäre gern der Mann an deiner Seite.

 

Die Stewardess goss Kaffee nach. Sarah musste gähnen. Die Nacht war viel zu kurz gewesen. Tatsächlich hatte sich der Deutschlandfunk gemeldet und Christian um eine Stellungnahme gebeten. Leider lief das Interview gerade, als Sarah zum Flughafen aufbrechen musste. Sie hätte gern mitbekommen, wie ihr Liebster sich schlug. Kurzzeitig war ihr übel gewesen, vermutlich lag es an der Hektik.

Sie überflog die übrigen Zeitungen. Nirgendwo sonst eine Notiz über die beabsichtigte Fusion der beiden Klinikgruppen und über Christians Intervention. Noch hatte der Blitz das Thema exklusiv.

Der Flieger landete pünktlich. Sarah hatte nur Handgepäck dabei und war unter den Ersten, die ausstiegen. Um Punkt neun Uhr saß sie bereits im Taxi zu ihrer Wohnung in Düsseldorf-Oberkassel.

Ihr Handy summte, eine SMS von Christian.

Ich liebe dich! Wann kriege ich mehr?

Lächelnd tippte Sarah ihre Antwort.

Komm nach Düsseldorf!

Das Taxi geriet in einen Stau. Die rechte Spur war wegen Bauarbeiten gesperrt. Sarah blickte sich um. Sie hatten noch nicht einmal den Rhein überquert. Sie klopfte nervös mit den Fingern auf den Vordersitz.

«Da hat das städtische Amt für Verkehrsbehinderung mal wieder zugeschlagen», erklärte der Fahrer in rheinischem Tonfall. «Überall richten sie jetzt Radwege ein, das reine Chaos.» Er nahm über den Rückspiegel Blickkontakt auf. «Sie kenn isch doch. Schauspielerin, hab isch recht?»

«Sarah Wolf.»

«Aus dem Tatort, stimmt’s?»

Sarah widmete sich dem Handy, ihr Staatssekretär hatte geantwortet.

Hab Sitzungswoche. Kann nicht weg.

Schade.

Komm du. Wenigstens für eine Nacht.

Rasch überlegte sie: Falls es keine Komplikationen bei der Themenfindung und beim Einladen der Gäste gab, könnte sie es sich leisten.

Mittwoch geht es.

Sie erreichten eine der Rheinbrücken. Unter ihnen zog ein langgestreckter Frachter seine Bahn mühsam stromaufwärts. Kurz darauf hielt das Taxi vor dem weiß gestrichenen Jugendstilbau, in dem Sarah eine Maisonette unter dem Dach gemietet hatte.

Ein Summen. Christians Antwort.

Großartig. Kann es kaum erwarten.

Der Fahrer stieg aus und hievte Sarahs kleinen Rollkoffer aus dem Kofferraum.

«Marita Wolf, sagten Sie?»

«So ähnlich.»

Der Mann runzelte die Stirn. «Isch kenn Sie, aber isch komm nit auf Sie.»

Sarah musste lachen.

 

Zu Hause machte sie sich frisch, verschlang einen Apfel sowie einen Becher Joghurt. Sie rauchte eine Zigarette auf dem Balkon, die sie nach der Hälfte ausdrückte, dann rief sie ein weiteres Taxi und griff nach ihrer Laptoptasche.

Als sie aus der Tür trat, fuhr der cremefarbene Mercedes bereits vor. Der Fahrer, ein junger Türke oder Araber, sprang heraus und hielt ihr die Tür auf. Sarah nannte ihm die Adresse ihrer Produktionsfirma im Osten der Stadt.

Unterwegs checkte sie auf dem Smartphone die neuesten Nachrichten. Der Gesundheitsminister hatte erklären lassen, dass das Zusammengehen der beiden wichtigsten Klinikbetreiber Synergieeffekte bringe. Zudem ermögliche es Investitionen in verbesserte Versorgungsleistungen, ohne die Kosten für die Krankenkassen nach oben zu treiben.

Rückendeckung für seinen Staatssekretär.

Vizekanzler Heinz Benrath, der als Wirtschaftsminister über die Fusion entscheiden musste, hatte sich dagegen noch nicht geäußert.

Christians Name fiel in den Meldungen kein einziges Mal.

Was Sarah als positiv bewertete.

 

Sarah Wolf Media belegte die zweite Etage eines ehemaligen Fabrikgebäudes in einem Gewerbegebiet an der Lierenfelder Straße. Es war vor einigen Jahren saniert worden und beherbergte neben Sarahs Firma ein Fotostudio, Künstlerateliers sowie mehrere Loft-Wohnungen im obersten Stockwerk. Nebenan ein Baumarkt und eine Autowerkstatt. In regelmäßigen Abständen ratterte die S-Bahn vorbei. Schön war die Gegend nicht, aber vergleichsweise preiswert, und es gab ausreichend Parkplätze für ihre Angestellten.

Sarahs gesamte Ersparnisse sowie ein Kredit in sechsstelliger Höhe waren in Videotechnik und Büroausstattung geflossen, denn als sie das Angebot erhielt, eine Talkshow zu moderieren, die unter ihrem Namen lief, hatte sie beschlossen, das nicht länger als WDR-Angestellte zu tun, sondern als selbständige Unternehmerin. Sie wurde pro Sendung bezahlt, die sie mit eigenen Leuten produzierte. Lediglich für die Ausstrahlung der Show ging es nach Köln in ein Studio des WDR oder nach Berlin, wenn das für wichtige Gäste günstiger lag.

Eine Sekretärin, eine Pressesprecherin und zehn Redakteure arbeiteten für Sarah, alle mit einem Zeitvertrag über ein Jahr entsprechend der Laufzeit ihrer Vereinbarung mit dem WDR. Dazu kamen Max Sperling, den sie als Redaktionsleiter aus der Firma ihrer Vorgängerin übernommen hatte, sowie als Produzent Thorsten Prange, verantwortlich für alles Geschäftliche.

Ihn suchte sie zuerst auf. Er telefonierte gerade, beendete das Gespräch aber, während sie ihm gegenüber Platz nahm. Auf dem Tisch lag ein Kugelschreiber mit dem WDR-Logo.

Sarah nahm den Stift und hielt ihn hoch. «Wegen deines Termins bei unserer Lieblingsanstalt.»

«Welchen Termin meinst du?»

«Dein Gespräch mit dem WDR-Produktionsleiter heute Nachmittag. Ich finde, wir sollten ein paar Punkte nachverhandeln, bevor wir den Vertrag verlängern.»

Thorsten schüttelte den Kopf. «Es gibt keinen Termin. Er wurde verschoben.»

«Warum das denn?»

«Sieht nach Hinhaltetaktik aus. Wird schwer sein, bessere Konditionen zu erreichen, wenn du mich fragst.»

Ihr fiel der ARD-Koordinator auf dem blauen Teppich ein. Der verkniffene Gesichtsausdruck beim gestrigen Händeschütteln vor den Kameras.

Mist, dachte sie.

«Vielleicht rufst du Diepi mal an», schlug ihr Produzent vor. «Er soll mit dem WDR-Intendanten reden. Oder triffst du den ohnehin bei der Jahrespressekonferenz?»

Sarah schüttelte den Kopf. Ihr Auftritt in diesem Rahmen war nicht geplant.

«Jedenfalls wird es höchste Zeit, dass wir Klarheit bekommen. Wir alle müssen langsam wissen, wie wir im nächsten Jahr unsere Brötchen verdienen.»

«Was ist los mit dir, Thorsten? Warum so pessimistisch?»

Thorsten zuckte mit den Schultern und guckte ernst.

«Auf wann wurde der Termin denn verschoben?»

«Man hat mir noch kein neues Datum genannt.»

Sarah schleuderte den Kugelschreiber durch das Zimmer. «Arschgeigen!», entfuhr es Sarah.

Thorsten senkte den Blick. «Ich sag’s doch, der WDR hält uns hin.»

10

Düsseldorf – Montag, 19. September

Kriminalhauptkommissar Paul Sellin musterte mit verschränkten Armen die Fotos und Dokumente an der Pinnwand des verlassenen Besprechungsraums. Man hatte ihn, den Sachbearbeiter für Vermisstenfälle im KK12, am Morgen gebeten, die Mordkommission zu verstärken, wie es größere Fälle regelmäßig erforderten. Erfahrene Kollegen aus verschiedenen Dienststellen standen hierfür zur Verfügung, und er hatte sofort eingewilligt, weil er bereits eine Ahnung hatte, wer die Tote sein könnte. Nicht die erste Mordermittlung für Sellin, aber diesmal berührte sie ihn mehr als sonst.

Ein vierzehnjähriger Schüler, der mit seiner Drohne unterwegs war, hatte ihre Leiche am Unterbacher See im Südosten Düsseldorfs entdeckt. Weitgehend skelettiert. Weiblich, erwachsen – das genauere Ergebnis der Obduktion lag zur Stunde noch nicht vor.

Für jeden erkennbar war das Loch über dem rechten Schläfenbein. Das dazugehörige Geschoss hatte im Schädel gelegen. Statt ihn noch einmal zu durchschlagen, war es an der gegenüberliegenden Innenseite abgeprallt und hatte mit Sicherheit wesentliche Teile des Gehirns zerstört.

Kleinkaliber – klingt harmlos, ist es aber nicht, wusste Sellin.

Suizid oder Mord, das war die Frage.

Letzteres wurde mit jeder Stunde wahrscheinlicher, in der die Kollegen der Tatortgruppe, die das Gelände rund um die Fundstelle durchkämmten, weder auf die Waffe noch auf die Kleidung der Frau stießen.

Der nächste Punkt war die Liegezeit.

An der frischen Luft schritt die Skelettierung acht Mal schneller voran als unter der Erde, so die Faustformel. Zur Fäulnis und Verwesung kam der Tierfraß. Die Temperatur spielte eine Rolle. Die erste Septemberhälfte war sehr warm und feucht gewesen.

Der tödliche Schuss war vor mindestens vier Wochen abgefeuert worden, schätzten die Experten. Möglicherweise auch früher im Sommer, also schon vor zwei oder drei Monaten.

Passt zu meinem Vermisstenfall, dachte Sellin.

Er machte sich auf den Rückweg zu seinem Büro. Gleich beim ersten Schritt geriet er ins Straucheln. Es gelang ihm, Halt an einer Stuhllehne zu finden. Zum Glück war er allein im Raum.

Sellin schaffte es, unbeobachtet in sein Zimmer zu kommen. Dort zog er die Schuhe aus und massierte seine Füße. Wieder musste er an die junge Frau denken, deren Eltern vor einigen Wochen Vermisstenanzeige erstattet hatten. Hier in diesem Büro – sie hatten ihm gegenübergesessen.

In Sellin keimte ein Schuldgefühl auf, von dem er wusste, dass es falsch war. Ein reflexhafter Gedanke, gegen den er machtlos war: Hätte ich den Mord verhindern können?

Vielleicht lag er mit seiner Vermutung auch falsch, und bei dem Opfer handelte es sich nicht um Johanna Kling.

Er hoffte es.

11

Um Punkt zehn Uhr rief Sarah ihr Team zur Konferenz im großen Eckraum zusammen. Vier Tische waren hier zu einer großen Tafel zusammengeschoben, an einer Wand prangte übergroß das Logo der Sendung, der Schriftzug Sarah Wolf, und daneben standen ein Monitor sowie ein Flipchart. Sarah glaubte zu spüren, dass Nervosität in der Luft lag – die schwache Quote vom letzten Mal, die ungewisse Zukunft.

Sie bat um Vorschläge für das Thema der kommenden Sendung. Max Sperling, der Redaktionsleiter, resümierte die jüngsten Nachrichten. Der größte innenpolitische Aufreger des Tages schien tatsächlich die Fusionsabsicht von Samax und Ikarus zu sein. Die Gewerkschaften befürchteten einen drastischen Stellenabbau im Fall einer Elefantenhochzeit auf dem Gesundheitsmarkt – was die Aktionäre «Synergieeffekte» nannten und mit Hoffnung auf Kurssteigerungen verbanden. Die Kassen prophezeiten wie das Kartellamt eine monopolähnliche Stellung einer fast doppelt so starken Samax AG und damit einen Preisanstieg für Gesundheitsleistungen. Weitgehend einhellige Meinung: Die Bundesregierung befinde sich auf dem Holzweg, falls sie die Ausnahmegenehmigung erteilte.

Sarah trug Christians Gegenargumente vor, doch sie stieß auf Skepsis. «Okay», lenkte sie ein. «Aber wie relevant ist das Thema wirklich?»

«Jeder ist mal krank, jeder braucht mal ein Krankenhaus», antwortete Max. Nach einem Blick in die Gesichter der überwiegend jüngeren Kollegen ergänzte er: «Zumindest in reiferem Alter.»

Gelächter in der Runde.

Max sagte: «Tim, du wolltest die Zahlen recherchieren.»

«Es gibt in Deutschland rund zweitausend Krankenhäuser», vermeldete der Angesprochene, Hipster-Vollbart und Hornbrille. «Ein gutes Drittel davon in privater Hand, mit steigender Tendenz. Die im Fall einer Fusion entstehende Klinikgruppe besäße einen Marktanteil von fünfzehn Prozent und hätte fünf Mal so viel Umsatz wie der nächstgrößte Konkurrent.»

Sarah seufzte. «‹Ist unsere Gesundheit in Zukunft noch bezahlbar› – das Thema hatten wir erst vor einem Vierteljahr.»

«Wozu brauchen wir überhaupt private Krankenhäuser?», fragte Laura, eine Kollegin, die zuvor frei bei Monitor gearbeitet hatte und Sarah als clevere und sorgfältige Rechercheurin empfohlen worden war.

Tim zuckte mit den Schultern. «Weil Privatunternehmen oft besser geführt werden und sich auf dem Finanzmarkt leichter Kapital besorgen können.»

Laura klemmte sich eine Strähne ihres rot gefärbten Haares hinters Ohr. «Aber sobald Krankenhäuser der privaten Konkurrenz unterworfen sind, hört der Rationalisierungsdruck niemals auf. Kapital muss verzinst werden. Aktionäre erwarten Dividende. Zugleich dürfen die Preise nicht steigen, also geht die Entwicklung auf Kosten der medizinischen Qualität. Die Kranken bezahlen für die Gewinne der Investoren, so schaut’s doch aus!»

Max verzog den Mund. «Wenn es nach dir ginge, Laura, sollten wir vermutlich in jeder Sendung zur Überwindung der kapitalistischen Wirtschaftsweise aufrufen.»

Die junge Redakteurin grinste. «Das wäre doch mal etwas.»

Sarahs Handy vibrierte. Eine neue SMS. Holger Diepenbrock hatte geschrieben, der Chefredakteur des WDR.

Habt ihr schon ein Thema?

Sarah legte das Smartphone weg. «Wir sollten zu Potte kommen. Die Klinikgeschichte erscheint mir bei Licht betrachtet nicht groß genug. Alternativen?»

Ratlose Gesichter. Max blätterte im Boulevardblatt Blitz. Tim bearbeitete den Laptop, den er vor sich aufgeklappt hatte. Heide, die Sekretärin, stellte eine weitere Kanne Kaffee auf den Tisch.

«Wie wäre es mit Lobbyismus?», fragte Laura.

Max blickte hoch. «Wie meinst du das?»

«Die Klinikgeschichte als ein Beispiel dafür, wie sich Partikularinteressen durch penetrante Lobbyarbeit auf Kosten von Steuerzahlern und Verbrauchern durchsetzen. Da finden sich noch jede Menge weitere Beispiele. Autoindustrie, Banken …»

«Windkrafterzeuger», warf Tim ein.

«Meinetwegen auch die.»

«Warum nicht», befand Max. «Was meinst du, Sarah?»

«Es könnte funktionieren. Hängt aber von den richtigen Gästen ab. Es muss krachen, richtig kontrovers, sonst stürzen wir mit einem dermaßen abstrakten Thema ab.»

«Wir könnten Abgeordneten-Watch, Lobbycontrol oder Transparency International anfragen», schlug Elli vor, die noch studierte, irgendetwas mit Sprachen, und nebenher frei für die Redaktion arbeitete.

Laura reckte ihren Stift in die Luft. «Und auf der anderen Seite Leute wie diesen parlamentarischen Staatssekretär, der sich so sehr für den Krankenhauskonzern ins Zeug legt. Wie heißt der Typ noch mal?»

«Auf keinen Fall», widersprach Sarah.

«Warum nicht?»

Sie musste sich räuspern. «Christian Wagner … den Mann hatten wir erst vor der Sommerpause in der Sendung.»

«Da treten andere aber noch öfter auf.»

«Sarah hat völlig recht», sagte Max entschieden. «Wagner geht gar nicht. Wenn dieser aalglatte Fatzke seine einstudierten Floskeln absondert, zappt sofort die Hälfte des Publikums weg.»

Einige Mitarbeiter lachten.

«Wir brauchen Gäste aus dem obersten Regal», fügte Max hinzu. «Minister, Fraktionsvorsitzende.»

Wieder das Handy. Sarah blickte auf das Display. Erneut Diepenbrock.

Melde dich! Mein Intendant will Bescheid wissen.

Sarah stand auf und sammelte Smartphone, Stift und Notizblock ein. «Macht euch schon mal Gedanken über die möglichen Gäste, falls wir bei diesem Thema bleiben.»

 

Ehe sie sich bei Diepenbrock meldete, überflog sie auf dem PC in ihrem Büro die Nachrichten der letzten Stunde. Natürlich gab es weitere Themen von allgemeinem Interesse, aber die waren bereits zur Genüge abgegrast worden, von ihr selbst oder anderen Talkshows. Auch brachte nicht alles, was relevant war, gute Quoten.

Je länger Sarah überlegte, desto größeren Gefallen fand sie an Lauras Vorschlag.

Wir müssen meinen Staatssekretär ja nicht in die Pfanne hauen, sagte sie sich.

Sarah wählte Diepenbrocks Nummer.

«Und?», fragte er.

«Morgen, Holger. Seit wann erkundigt sich der Intendant des WDR persönlich nach meinem Thema, und das schon am Montagvormittag?»

«Rate mal.»

«Alles nur, weil die Quote mal unter den Erwartungen lag?»

«Drei Wochen in Folge. Schindhelm meint neuerdings, dass eine Frau von Mitte dreißig dem Publikum vielleicht doch nicht die nötige Seriosität vermittelt.»

«Wie bitte?»

«Und ein Moderator müsse seinen Gästen auf Augenhöhe gegenübertreten können, auch Bundesministern oder der Kanzlerin.»

«Wieso sollte das bei mir nicht der Fall sein? Muss ich mir etwa graue Strähnen färben lassen, um seriöser zu wirken?»

«Werd jetzt bitte nicht polemisch.»

«Als dein Intendant zu Jahresbeginn meine Show der Presse präsentiert hat, konnte ich ihm gar nicht jugendlich genug sein.»

«Er hat gehofft, du würdest die jungen Leute vor den Bildschirm locken. Aber Fakt ist, dass sich die Altersstruktur unserer Zuschauer in der Late Prime nicht geändert hat.»

«Moment mal. Ich soll also seriös für die Alten sein und zugleich flippig für die Jungen?»

«Eine gute Moderatorin sollte beide Gruppen erreichen.»

«Blödsinn. Talk ist nun mal alt. Wozu das Theater?»

«Auch die Jungen bezahlen den Rundfunkbeitrag. Müssen wir darüber diskutieren?»

«Was ist mit meiner Vertragsverlängerung? Rede lieber darüber mit dem Intendanten!»

«Wenn du dir überlegst, wie du deine Show wieder zum Ereignis machst.»

Klingt fast, als sei der kommende Donnerstag meine letzte Chance, dachte Sarah.

«Also, hast du ein Thema?», fragte der Chefredakteur.

Sarah registrierte, dass sie mit ihrem Stift Kreuze auf die Schreibunterlage kritzelte, und legte ihn weg. «Wir packen die Leute da, wo sie am schnellsten durch die Decke gehen.»

«An den Eiern?»

«Beim Gerechtigkeitsgefühl.» Ihre freie Hand fuhr durch die Luft, als unterstreiche sie eine Schlagzeile in Plakatgröße. «Der Staat im Griff der Lobbyisten – das Ende unserer Demokratie?»

Sie hatte sich den Titel spontan ausgedacht. Noch zu Jahresanfang hätte sie sich über eine dermaßen reißerische Formulierung mokiert. Inzwischen sah sie das etwas anders.

Ihr Mentor schien nachzudenken.

«Bist du sprachlos, oder was?»

«Ist das eure erste Wahl?»

Die einzige, dachte Sarah.

«Schon wieder Lobbyismus?», fragte er.

«Meine Show hatte das Thema noch nicht. Das wüsste ich.»

Diepenbrock seufzte. «Ende der Demokratie, schon klar.»

«Also, was ist?», fragte Sarah.

«Ich muss darüber nachdenken.»

 

Sarah starrte nach dem Telefonat für einen Moment reglos vor sich hin. Das Aus einer Sendung ist schnell beschlossen, ging es ihr durch den Kopf. Mündliche Vereinbarungen geraten in Vergessenheit, und bis Jahresende verschwindet Sarah Wolf womöglich in das Nachtprogramm des Dritten.