Der Schrei zu Gott - Dietmar Dressel - E-Book

Der Schrei zu Gott E-Book

Dietmar Dressel

4,8

Beschreibung

Deutschland am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. Das Buch ist ein Werk der Phantasie und nicht ein Ausschnitt aus der wirklichen Geschichte. Der Roman erzählt das Leid und den Schmerz der vielen Männer, Frauen und Kinder, aus der Zeit des Lebens auf dem Land und der Neid, die Gier und der Hass sind ihre Komplizen. Die Kraft der Liebe, die sich bemüht die Menschen nicht mutlos werden zu lassen, zaubert hie und da den Menschen ein kleines Lächeln ins Gesicht. Bleibt der Hilfeschrei zu Gott, der die Hölle zwar geschaffen haben soll, aber wohl der einzige seiner Art ist, der es verdient darin zu wohnen.

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Bild von Beatrice Schwarzmeier

E-Mail: [email protected]

In Liebe

für Barbara, Alexandra, Kai, Timon, Nele und Isabelle.

Inhalt

Erstes Kapitel

Der Mönch und der Bader

Zweites Kapitel

Der Medicus und die Nonne

Drittes Kapitel

Die Rache der Gräfin

Vor geraumer Zeit wurde auf Facebook und Twitter die Frage gestellt

Who ist Dietmar Dressel about?

Es ist für einen Buchautor und Schriftsteller nicht ungewöhnlich,

dass er mit zunehmender Aktivität im Lesermarkt das

Interesse der Öffentlichkeit weckt und diese

natürlich neugierig darauf ist, um wen es

sich dabei handelt.

Natürlich könnte ich dazu selbst etwas sagen. Ich denke, es ist

vernünftiger, eine Pressestimme zu Wort

kommen zu lassen.

Nachfolgend ein Artikel von Michel Friedmann: Jurist,

Politiker Publizist und Fernsehmoderator.

'Wanderer, kommst Du nach Velden". Wer schon einmal im kleinen Velden an der Vils war, der merkt gleich, dass an diesem Ort Kunst, Kultur und Literatur einen besonderen Stellenwert genießen. Der Ort platzt aus allen Nähten vor Skulpturen, Denkmälern und gemütlichen Ecken die zum Verweilen einladen. So ist es auch ganz und gar nicht verwunderlich, dass sich an diesem Ort ein literarischer Philanthrop wie Dietmar Dressel angesiedelt hat.

Dressel versteht es wie wenige andere seines Faches, seinen Figuren Leben und Seele einzuhauchen. Auch deswegen war ich begeistert, dass er sich an das gewagte Experiment eines historischen Romans gemacht hatte. Würde ihm dieses gewagte Experiment gelingen?

Soviel sei vorweg genommen: Ja, auf ganzer Linie!

Aber der Reihe nach. Historische Romanautoren und solche, die sich dafür halten, gibt es jede Menge. Man muß hier unterscheiden zwischen den reinen 'Fiktionisten' die Magie, Rittertum und Wanderhuren in eine grausige Suppe verrühren und historischen „Streberautoren“, die jedes noch so kleine Detail des Mittelalters und der Industrialisierung studiert haben und fleißig aber langatmig wiedergeben. Dressel macht um beide Fraktionen einen großen Bogen und findet zum Glück schnell seinen eigenen Stil. Sein Werk gleicht am ehesten einem Roman von Ken Follett mit einigen erfreulichen Unterschieden!

Follett recherchiert mit einem großen Team die Zeitgeschichte genauestens und liefert dann ein präzises, historisches Abbild. Ein literarischer und unbestechlicher Kupferstich als Zeugnis der Vergangenheit. Dressel hat kein Team und ersetzt die dadurch entstehenden Unklarheiten gekonnt mit seiner großartigen Phantasie. Das Ergebnis ist, dass seine Geschichten und Landschaften 'leben' wie fast nirgendwo anders.

Follett packt in seine Geschichten stets wahre Personen und Figuren der Zeitgeschichte hinein, die mit den eigentlichen Helden dann interagieren und sprechen. Das nimmt seinen Geschichten immer wieder ein wenig die Glaubwürdigkeit. Dressel hat es nicht nötig, historische Figuren wiederzubeleben. Das Fehlen echter historischer Persönlichkeiten gleicht er durch menschliche Gefühle und lebendige Geschichten mehr als aus.

Folletts Handlungen sind zumeist getrieben von Intrige, Verrat und Hinterhältigkeit. Er schreibt finstere Thriller, die Ihren Lustgewinn meist aus dem unsäglichen Leid der Protagonisten und der finalen Bestrafung der 'Bösen' ziehen. Dressel zeigt uns, dass auch in einer so finsteren Zeit wie der frühen, industriellen Neuzeit Freundschaft, Liebe und Phantasie nicht zu kurz kommen müssen. Er wirkt dabei jedoch keinesfalls unbeholfen sondern zeigt uns als Routinier, dass er das Metier tiefer Gefühle beherrscht, ohne ins Banale abzugleiten.

Folletts Bücher durchbrechen gerne die Schallmauer von 1000 und mehr Seiten. Er beschreibt jedes Blümchen am Wegesrand. Dressel kommt mit viel weniger Worten aus. Substanz entscheidet!

In der linken Ecke Ken Follett aus Chelsea, in der rechten Ecke Dietmar Dressel aus Velden. Zwei grundverschiedene Ansätze und Herangehensweisen an ein gewaltiges Thema. Wer diesen Kampf wohl gewinnt?

Keiner von beiden, in der Welt der Literatur ist zum Glück Platz für viele gute Autoren.

Vorwort zum Roman

Deutschland am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts.

Das Buch ist ein Werk der Phantasie und nicht ein Ausschnitt aus der wirklichen Geschichte. Der Roman erzählt das Leid und den Schmerz der vielen Männer, Frauen und Kinder, aus der Zeit des Lebens auf dem Land und der Neid, die Gier und der Hass sind ihre Komplizen. Die Kraft der Liebe, die sich bemüht die Menschen nicht mutlos werden zu lassen, zaubert hie und da den Menschen ein kleines Lächeln ins Gesicht.

Bleibt der Hilfeschrei zu Gott, der die Hölle zwar geschaffen haben soll, aber wohl der einzige seiner Art ist, der es verdient darin zu wohnen.

Entweder will Gott die Hilferufe der leidenden Menschen nicht hören, um zu helfen und kann es nicht, oder er kann es und will es nicht! Wenn er nun will und es nicht kann, ist er schwach, was auf einen Gott ja nicht zutreffen sollte. Wenn er kann und nicht will, ist er missgünstig, was ebenfalls Gott fremd sein müsste.

Wenn er nun nicht will und nicht kann, dann ist er sowohl missgünstig als auch schwach und dadurch natürlich auch kein Gott. Wenn er es aber will und kann, was ja allein sich für einen Gott ziemen würde, woher kommen dann die vielen grausamen Übel, das Leid und der Schmerz, und warum nimmt er sie nicht einfach weg?

Da Gott dazu schweigt, schwafeln seine irdischen Vertreter dafür umso mehr von und über ihn. Und das ist das eigentliche Übel!

Erstes Kapitel

Der Mönch und der Bader

Inhaltsverzeichnis

Das Wirtshaus im Dorf

Eine Häuslerfamilie

Ein scheinbar schrulliger Geselle

Ein Sonntag mit Folgen

Zwei Helfer in der Not werden Freunde

Eine Dorfhochzeit

Das Recht der ersten Nacht

Der Weg in den Tod

Blutige Rache

Ein Dorf in großer Sorge

Der Bader fragt nach

Ein Gasthof zum verwöhnen

Ein beschwerlicher Gang durch das Vogtland

Die Soldaten kommen

Ein altes Schloss verändert sich

Das Wirtshaus im Dorf

Nein, mein Herr: Bislang hat der Mensch sich nichts ausgedacht, das so viel Freude verbreiten könnte wie eine schöne Taverne oder ein Schankhaus.

Samuel Johnson

Der Winter kündigt sich in diesem Jahr schon zeitig an, hoffentlich wird es morgen besser. Denkt ein schon in die Jahre gekommener groß gewachsener Mann mit kräftiger Statur und stapft mühsam auf der Dorfstraße von Mussbach durch die Dunkelheit der Nacht in Richtung Wirtshaus.

Moritz, sein brauner Wallach, hat es mit dem Planwagen im tiefen Schnee auch nicht so leicht und neigt eher dazu, eine kleine Pause einzulegen. Aber sie müssen beide schnell weiter um möglichst vor Mitternacht einen warmen Unterstand im Wirtshaus zu bekommen. Die Nacht wird ganz sicher wieder bitter kalt werden und ohne ein schützendes Dach über dem Kopf würden sie die frostige Nacht kaum überleben können.

Klappergeräusche aus der nahe gelegenen Dorfbäckerei lassen den älteren Mann an die warme Backstube denken. Brotbäcker müsste man sein, überlegt er neidvoll. Sicherlich schiebt sein junger Gehilfe die ersten Teigrohlinge für die wohlschmeckenden, knusprig gebackenen runden Vierpfünder in den Ofen. Schon in der Bibel steht geschrieben, jedenfalls unter Moses Kapitel zwei, dass es schon diese leckeren Brote zur Zeit des Auszugs der Israeliten aus Ägypten gab und das ist immerhin ungefähr dreitausend Jahre her. Da kann man mal sehen, wie gut sich dieses wichtige Nahrungsmittel, überlegt er nachdenklich, bei den Menschen in den vielen Jahrhunderten bewährt hat.

Nur sehr spärlich wird die Umgebung der einfachen, im Pfostenbau zusammen gezimmerten Bauernhäuser aus Holz, Stroh, Schilf und Lehm von der einen oder anderen kleinen Wachskerze, die auf dem Zimmertisch steht, matt erleuchtet. Die kleine Flamme der Kerze wird nicht etwa von Geisterhand bewegt, sondern von einem hundsmiserablen kalten stürmischen Wind, der durch die undichten Räume jagt als wäre der Teufel hinter ihm her und dabei seine schemenhaften, gespenstischen Bilder an die Wände zaubert. Wohlige und angenehme Wärme ist dabei für die Familie, die sich um den kleinen Ofen versammelt, nicht zu verspüren. Was sollen sie denn anderes machen als sich in eine alte Decke zu wickeln, den Großvater und die Großmutter in die Mitte zu nehmen und die Füße nahe am Herd zu halten.

In der Bettkammer kuscheln sich die drei Kinder der kleinen Familie in einem alten Bettgestell, auf einem dünnen nicht mehr ganz so frischen Strohsack liegend, unter einem ehemals dicken Gänsefederbett. Erst wenige Tage vor Weihnachten, wenn Martin und Imanis, ihre zwei Lieblingsgänse für den Weihnachtsbraten geschlachtet werden und die Federn und Daunen der beiden toten Tiere die Zudecke etwas fülliger machen, wird es im Bett hoffentlich etwas wärmer werden.

Die Mutter hat vor dem Schlafengehen der Kinder noch schnell einen am Ofen heiß gemachten Lehmstein mit einem Handtuch umwickelt und in das Bett gelegt, damit sich die Kleinen schneller aufwärmen können. Das Fenster ist mit dicken Kristallblumen schon seit Tagen völlig vereist. An den Zimmerwänden bilden sich schon kleine Eiskristalle, kurz gesagt, es ist hundekalt in der dunklen Schlafkammer.

Mit einer Mütze auf dem Kopf, und die Zudecke bis zur Nasenspitze hochgezogen, an den Beinen einen wärmenden Stein, versuchen sich die Kinder schnell in den Schlaf zu retten und vom warmen Sommer zu träumen. Der Knecht und die Magd schlafen im Stall, zusammen mit den sechs Kühen, zwei Ochsen, acht Schafen, fünf Ziegen und den Hühnern, Enten, Gänsen und Hasen. Eingewickelt in zwei große, alte Decken ist die Kälte für die beiden, dank der Tiere, dem Stroh und dem Heu leidlich zu ertragen aber es stinkt furchtbar. Was soll’s, denken beide, lieber etwas warm und stinkig als in der Kälte erfroren.

Mertlin – so ist der Name von dem älteren, kräftigen Mann, der mit seinem Planwagen, von Moritz seinem Pferd gezogen, mühsam die letzten Meter bis zur Dorfschenke stapft. Sein Beruf oder besser seine Berufung, von der er felsenfest überzeugt ist, hat im Volksmund den Namen „Baderchirurg“. Er kann lesen, schreiben, rechnen und sein Latein ist auch so leidlich gut. Dick eingepackt in einen weiten, festen Wollmantel, eine Fuchspelzmütze auf dem Kopf, festen Filzstiefeln an den Füßen und die Hände in wollenen Fäustlingen gut verpackt, ist er für das Wetter gut gerüstet – trotzdem, der Tag war lang. Müde und hungrig wie er ist, freut er sich schon auf die warme Wirtshausstube.

Nach einem kräftigen Essen, dazu ein warmes Bier und anschließend zum Hinlegen einen Strohsack mit zwei Decken und das möglichst in der Nähe des Ofens, lässt sich nach einer üppigen Mahlzeit und den zwei bis drei Humpen Bier bestimmt ein erholsamer Schlaf finden. Für Moritz gibt es eine große Portion Heu, eine Schaufel Hafer, einen Eimer frisches Wasser und eine mit Stroh eingerichtete Pferdebox im gut verschlossenem Stall.

Kaum steht sein Wagen vor der Dorfschenke, kommt ihm auch schon eilfertig Knecht Franz entgegen, spannt den müden und durchgefrorenen Moritz vom Planwagen und bringt ihn schnell in den Stall. Kontrollieren muß Mertlin nicht, ob der Wallach gut untergebracht ist. Jedes Jahr um diese Zeit kehrt er hier ein um den Winter zu verbringen. Erst im kommenden Frühjahr, wenn die Straßen wieder befahrbar sind, wird er sich auf den Weg machen und sich um seine Patienten auf seiner Wegstrecke durch die Dörfer im Vogtland kümmern.

Sehnsüchtig wird er schon von den Menschen erwartet die krank sind, sich verletzt haben oder bei denen oftmals nur die Haare zu schneiden sind oder der eine oder andere kranke Zahn gezogen werden muss. Natürlich will er auch seine Medizin, seine Heilkräuter und seine Mittelchen gegen die kleinen Leiden des täglichen Lebens verkaufen. Er will ja nicht nur helfen, Geld verdienen muss er auch. Von was sollte er sonst seinen Lebensunterhalt bestreiten? Eine Familie kann er sich aufgrund seines Berufes nicht leisten.

Für das leibliche Wohl sorgen meist die Wirte und für das körperliche und seelische Wohl, als auch für das zeitweise unangenehme Ziehen in der Lendengegend findet sich immer mal ein molliges Weib, jedenfalls mag er solche Frauen wegen ihrer üppigen Rundungen, die ihm zu einer wohligen Entspannung verhelfen und ihm dabei für kurze Zeit den Himmel auf die Erde holen.

Die jahrelange Praxis macht es ihm leicht, wenn erforderlich - zu schröpfen, Salben anzurühren, helfende Verbände anzubringen, ausgerenkte Knochen wieder einzurichten, Knochenbrüche fachlich richtig zu behandeln, kleinere Amputationen an Gliedmaßen durchzuführen, Furunkel und Abszesse auszubrennen und den Unwissenden erklärt er die Wirkungsweise der verschiedenen Heilpflanzen.

Als Baderchirurg gehört er zu dem Personenkreis, die in kleinen Orten, Dörfern und kleinen Städten für die Gesundheit zuständig sind und bei Krankheiten und Epidemien sich bemühen, die schlimmsten Übel zu lindern.

Persönlich hat er sich ein beachtliches Ansehen und einen kleinen Wohlstand geschaffen und kann sich leisten, den Winter in diesem Wirtshaus zu verbringen, sich von den Anstrengungen der zurückliegenden Monate zu erholen und neue Kraft für das kommende Jahr zu schöpfen. Einige Bücher lesen und sich über die große Politik zu informieren wird in diesen kalten Wintermonaten seine Lieblingsbeschäftigung sein. Die Zeit in der er lebt, ist ausgefüllt mit epochalen Veränderungen. Gut wäre es für ihn und seinen Wissensdurst einen Gesprächsbruder in dieser kalten Jahreszeit zu finden, der ihn diesbezüglich in den gemeinsamen Unterhaltungen viel Wissenswertes vermitteln könnte.

Kaum steht Mertlin in der weit geöffneten Tür des in die Jahre gekommenen Wirtshauses und Herberge in einem, kommt ihm auch schon Joseph, der Wirt und Besitzer der Herberge entgegen, nimmt ihn erfreut in die Arme und führt ihn an seinen Stammtisch.

„Sag mal du Herumtreiber – kleiner Scherz – meine Familie und ich freuen uns sehr, dass du wohlbehalten hier bei uns angekommen bist. Konntest du den unangenehmen Gesellen von einem Winter nicht noch einige Zeit beim Herbst lassen? Du bringst ja diesen kalten Burschen sehr zeitig mit.“

„Na, du warst schon lustiger, und deine Witze waren auch schon besser. Wenn du mir zeigst wie ich das machen muss, tue ich es gern. Jetzt lass dich erstmal umarmen, du Berg von einem Mann, ich freu mich wirklich sehr, dich und deine Familie gesund wieder zu sehen. Als ich mich im April von dir verabschiedete, kam ich mit meinen Armen noch leicht um dich herum, du hast kräftig zugelegt, mein Lieber.“

„Kann der Baderchirurg in dir für kurze Zeit mal schön seinen Mund halten, und dafür stell ich dir die Speisen auf den Tisch, die hoffentlich dafür sorgen, dass dein Körperumfang über den Winter etwas größer wird, damit ich mir von meinem Weib nicht ständig die Anspielungen anhören muss, mir an deinem kleineren Bauchumfang ein Beispiel zu nehmen. Sie meint, mit meinem dicken Bauch wären dann nächtliche Übungen mit ihr zusammen nicht mehr so anstrengend für mich. Ist da was dran? Kennst du dich auch in solchen so genannten Liebesübungen aus? Na, du weißt schon was ich meine, oder?“

„Ja, ja - weiß ich schon, aber jetzt um die Zeit, und mit knurrendem Magen – ehrlich gesagt – können wir das nicht auf ein anderes Mal verschieben, Joseph?“ „Oh entschuldige Mertlin, du hast natürlich recht!“

Und mit einem mahnenden Ruf in Richtung Küche, fordert Joseph den ersten Gang für seinen späten Gast und Freund des Hauses an. Was Mertlin in den folgenden zwei Stunden an Brot, Gemüse und verschiedenen Sorten Fleisch in seinen Mund stopft, mit seinem kräftigen Gebiss zerkleinert, um es danach mit einem beachtlichen Schluck Bier in seinen Magen zu spülen, reicht bei einer sechsköpfigen Häuslerfamilie in diesem Dorf für eine ganze Woche. Die bäuerlichen Häusler sind in der gesamten Dorfgemeinschaft das allerletzte Glied in der Kette. Sie leben in armseligen Behausungen am Dorfrand, und verdienen den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien als Tagelöhner oder, je nach Geschick ihrer Hände, als fleißige Handwerker beim ortsansässigen Bäcker, beim Wirt der Herberge und bei den einflussreichen großen Bauern.

Ein Bauer ist im Dorf allerdings nicht gleich Bauer. Da gibt es einmal den so genannten Pferdebauern, also ein Bauer der Pferde für seine Feldarbeiten einspannen kann, und am Sonntag mit seiner Familie zum Kloster mit einer kleinen Pferdekutsche vorfährt. So ganz nebenbei stellen sie in der Regel auch den Gemeindevorstand. Damit sind sie in einer Dorfgemeinschaft das berühmte Zünglein an der Machtwaage und verfügen privat über ein beachtliches Geldvermögen und große Sachwerte. Im Gemeindevorstand sind meistens Pferdebauern, ein Kuhbauer oder gar ein Häusler haben da nichts zu bestimmen, oder zu entscheiden.

In der Dorfgemeinschaft gibt es auch Bauern, die sich keine Pferde leisten können, und die zur Arbeit auf den Feldern mit den Kühen und Ochsen arbeiten müssen. Sie bilden die große Mehrheit im gesamten Dorf, und ihren sehr kleinen Wohlstand kann man mit „schlecht“ und mit „nicht ganz so schlecht“ bezeichnen.

Und was die Häusler betrifft, das scheinbare Glück für diese Häuslerfamilien auf ihren kleinem Hof besteht darin, wenigstens eine kleine Parzelle Acker zum Anbau für die Feldfrüchte, und eine kleine Wiese für ihre zwei bis drei Ziegen, Hühner, Gänse und Karnickel zu haben. Alle Arbeiten auf dem Feld und auf der Wiese müssen sie mit ihren Händen verrichten. Einen Ochsen, oder gar eine Kuh können sie sich nicht leisten, und ein Schaf oder eine Ziege ist zu schwach für die Feldarbeit.

Mertlin ist bei seinem letzten Gang angekommen und Johanna, Josephs Eheweib, hat ihm zur Begrüßung eine leckere Nachspeise zubereitet. Es gibt eine große Schüssel Pudding mit Preiselbeeren angerichtet. Sein Magen hat zwar bereits eine beachtliche Fülle erreicht und eigentlich ist er knüppeldicke satt. Der Duft der Süßspeise spornt ihn allerdings an, sich auch noch über die gut riechende Köstlichkeit herzumachen.

Minuten später ist alles verputzt. Auf seiner Stirn kann man schon kleine Schweißperlen entdecken. Das Essen war vielseitig, sehr gut und – auch sehr anstrengend.

Mertlin lehnt sich im Stuhl zurück, und genießt das angenehme, lebendige Rumoren in seinem Bauch. Jetzt hilft nur noch eins, ein Strohsack, angenehme Wärme und schlafen, und das möglichst bis zum Frühstück am späten Vormittag.

Eine Häuslerfamilie

Kräftiges Rütteln an seinen Schultern zerrt Mertlin aus dem Schlaf. Joseph, der Wirt kniet auf seinem Strohsack und ist heilfroh darüber, endlich den Bader, nach dem wird schon dringend gerufen, munter zu sehen.

„Mein lieber Joseph, wenn du keinen handfesten Grund dafür hast, mich aus meiner seligen und wohlverdienten Nachtruhe zu prügeln, haben wir zwei ein Huhn miteinander zu rupfen. Also sprich, was ist so Schlimmes zum frühen Morgen passiert, dass nach meiner Hilfe schreit?!“

„Jetzt hör auf zu schimpfen, zieh dir was drüber und komm bitte mit, es eilt! Und nimm was Wärmendes mit, es ist Winter – ich mein ja nur.“ „Denk bitte an das Huhn, das wir beide gegebenenfalls miteinander rupfen werden. Du bist heute ziemlich ruppig.“ „Jetzt sag doch nicht gleich Holzkopf zu mir, ich weiß ja, dass du ohne Frühstück ein ziemlich grantiger Mensch sein kannst.“

Und plötzlich, deutlich ernster werdend, meint Joseph –

„Bei der Häuslerfamilie Webstein kalbt die Kuh, aber es will nicht so richtig klappen. Sollten beide an der Geburt sterben, also die Kuh und das kleine Kalb, wäre das für die Familie eine große Tragödie. Sie haben nur die eine Kuh, und das Neugeborene wäre eine wichtige Bereicherung für die Familie.“ „Wie kommt denn eine Häuslerfamilie zu einer Kuh, die besitzen doch nur Schafe und Ziegen?“ „Ich glaube, der Mann der Familie bekam vom Fürsten, wegen seines mutigen und kämpferischen Einsatzes gegen die Franzmänner, vor einem Jahr eine Kuh geschenkt.“ „Also gut Joseph, da wollen wir mal sehen, was wir beide tun können.“ „Das ist noch nicht alles, Mertlin!“ „Na, na mein Lieber, mit der kalbenden Kuh werden wir zwei eine Weile anstrengend arbeiten müssen. Und was ist noch passiert?“ „Als der gute Mann vom Krieg gesund, unverletzt und mit einer Kuh an der Leine nach Hause kam, hat er sich mit seiner Frau erstmal im Bett ausgetobt. Das Ergebnis wirst du gleich sehen. Das Kind, das die beiden gemacht haben, will auch nicht raus, und an der kalten Jahreszeit liegt das bestimmt nicht.“ „Los Joseph, da wollen wir mal sehen, wie wir die beiden Problemsäuglinge ans Tageslicht holen können, na, jedenfalls werden wir’s versuchen.“

An der Haustür empfängt sie der Ehemann, und führt sie zuerst in die kleine Küche, es ist der einzige Raum im Haus, der mit einem kleinen Ofen warm gehalten wird. Seine Frau liegt bereits auf dem Küchentisch, etwas abgepolstert mit einer Decke, und windet sich laut weinend im Geburtenschmerz.

„Joseph – schnell! Ich brauche heißes Wasser, aber nicht kochend, ein paar saubere Tücher und eine Flasche Schnaps.“

Den Ehemann fordert Mertlin auf, der werdenden Mutter einen Holzquirl zwischen die Zähne zu stecken, damit sie was zum Beißen hat und sich dabei nicht die Zunge oder die Lippen unnötig verletzt. Mit erfahrenen Händen tastet Mertlin den Bauch ab und spürt, dass der Säugling, nicht wie sonst üblich, mit dem Kopf nach unten zum Geburtsausgang liegt. Er hat das nur ein einziges Mal in seiner ganzen Praxis erlebt, dabei starb das Kind aber die Mutter konnte er vor dem Tod bewahren.

Was er daraus lernte ist, dass das Baby, wenn es nicht mit dem Kopf zuerst ankommt, sehr schnell durch den Geburtskanal kommen muß, wenn es nicht ersticken soll.

„Warum bist du plötzlich so ernst, stimmt mit dem Baby was nicht, Mertlin?“ „Für die Mutter und das Kind ist das wirklich eine ernste Situation, Joseph. Der Lausebengel oder die Lausebengelin, egal, hat bei der ganzen Tollerei im Bauch vergessen, rechtzeitig den Kopf in Richtung Ausgang zu stecken. Ich habe das bis jetzt nur einmal erlebt und möchte lieber nicht daran denken.“ „Versteh ich alles nicht! Was wirst du jetzt machen?“ „Der Medicus sagt dazu Steißlage, dabei schiebt sich der Säugling zuerst mit dem Becken und seinen Beinen und nicht mit seinem Kopf zum Ausgang. Für das Kind besteht bei dieser Art der Geburt die Gefahr, dass die Nabelschnur möglicherweise abgedrückt wird und das es durch einen rapiden Sauerstoffmangel gesundheitliche Schäden davon tragen wird. Im schlimmsten Fall erstickt das Kind.“ „Kannst du das verhindern?“ „Nein, Joseph, das kann ich nicht! Ich bin nur ein Baderchirurg. Die Entscheidung liegt in Gottes Hand.“ „Also gut, Mertlin, versuchen wir dem Satan ein Schnippchen zu schlagen und dem lieben Gott zu helfen. Ehrlich gesagt, zu deinen Händen habe ich allerdings ein größeres Vertrauen. Sag, wie kann ich dir helfen?“ „Der Geburtsvorgang, Joseph, muß möglichst schnell gehen.“ „Wie meinst du das, ha?“ „Jetzt stell dich nicht so an! Wir müssen der Frau beim Pressen helfen. Du wirst am oberen Bauchende, also da wo vermutlich der Kopf ist, mit kräftigen Bewegungen deiner Hände das Kind nach unten drücken.“ „Das kann ich! Wann soll ich anfangen?“ „Jetzt - aber lass den Kopf des Kindes ganz!“

Mertlin hat blitzschnell mit heißem Wasser, Seife und Pflaumenschnaps seine Hände gereinigt und bemüht sich mit vorsichtigem Suchen im Geburtskanal, wenigstens eines von den zwei Beinen, besser alle beide, zu erwischen damit sie sich nicht nach hinten schieben können.

Eine leichte Entspannung zeigt sich in seinem Gesicht. In seiner linken Hand hält er die zwei kleinen Beinchen des Säuglings fest und beginnt mit vorsichtigem Ziehen möglichst schnell auch das Baby in der Hand zu halten.

Ein lauter Schmerzensschrei der Mutter unterbricht das leise Stöhnen von Joseph und bricht sich an den Wänden der kleinen Küche wider. Man sieht ihr die Anstrengung der Geburt noch an aber die Augen strahlen vor Freude.

In seinen Armen hält Mertlin einen kleinen Jungen. Die Erleichterung über den glücklichen Ausgang sieht man in seinem Gesicht. In dem Haushalt des Häuslers gibt es, außer zwei kleinen Töchtern, keine erwachsenen, weiblichen Personen also müssen die Männer ran. Mertlin trennt mit einem Skalpell die Nabelschnur vom Bauch, verbindet die winzige Wunde, gibt dem kleinen Jungen einen leichten Klaps auf seinen Hintern, der darauf mit einem lauten Schrei antwortet und packt ihn in vorgewärmte Tücher. So versorgt, legt er den neugeborenen Lausebengel in die Arme seiner glücklichen Mutter, und dem Vater sieht man das Glück auch an. Erst eine Kuh vom Fürsten, und dann einen Stammhalter für den Hof – bleibt eigentlich nur noch die Sorge um das Kalb, das auch auf die Welt kommen will aber vermutlich alleine nicht kann.

„Joseph, ich brauche dringend noch einen Eimer mit heißem Wasser.“ „Kommt sofort!“

Schnell entfernt Mertlin die Nachgeburt und reinigt den Unterleib mit warmen Wasser und Alaun. Nachdem die Mutter und das Baby gut versorgt sind, verlassen Mertlin und Joseph die Küche, und machen sich auf den Weg zum Stall um der Kuh zu ihrem Mutterglück zu verhelfen. Die beiden Vorderfüße vom Kalb schauen ein Stück heraus, bewegen sich allerdings keinen Zentimeter weiter.

„Warum geht das bei der Kuh nicht voran Mertlin?“ „Kein Problem, Joseph, bring schnell einen längeren Strick und einen Haufen Stroh damit das Kalb, wenn es rauskommt, weich fällt und sich nicht gleich den Hals oder die Beine bricht.“

Mertlin umwickelt die Füße mit einem Lappen, damit sich beim Ziehen mit dem Strick die Füße nicht wundreiben. Ein kleines Kalb ist zwar kein Baby, unnötig leiden muß es ja trotzdem nicht.

„Joseph, du ziehst kräftig aber bitte mit Gefühl. Ich werde den Bauch der Kuh massieren.“ „Wann soll ich anfangen?“ „Jetzt mach schon los und lass dich nicht aufhalten – und denke daran, zieh kräftig aber reiß dem Kalb nicht die Beine aus – ich mein ja nur!“

Zwei kleine Geräusche erfüllen den Stall - ein leises „Muhen“ der Kuh und raschelndes Stroh.

„Geschafft, Joseph, wir werden das Kalb mit Stroh gründlich ab reiben und dann zum Euter seiner Mutter schaffen. Wenn es schon nicht allein auf die Welt kommen will, kann es hoffentlich selbständig trinken.“

Mertlin und Joseph schauen beide nochmals nach der Mutter und dem Kind und verabschieden sich von der Familie - nicht ohne ihnen noch ein paar Anordnungen zu geben, damit die beiden Neugeborenen auch am Leben bleiben. Dem Vater verspricht er, dass er alle zwei Tage zu ihnen kommt und nachschaut wie es den Neugeborenen so geht.

Mertlin weiß, aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Baderchirurg, warum er das sagen muss. Viele neugeborenen Kinder erreichen nicht das zweite Lebensjahr, nur weil ihre Eltern sich nicht an einfache hygienische Maßnahmen halten wollen oder können.

„So, mein lieber Joseph, ich hoffe, Johanna hat was Kräftiges zu Essen für unseren Magen in der Küche, ich hab Hunger und du vermutlich auch!“ „Wem sagst du das, also los!“

Beide Männer laufen mühsam auf der schneeverwehten Straße in Richtung Dorfschenke. Zwei Stunden später hört man von ihnen nur noch die typischen Schlafgeräusche.

Nicht immer endet für Mertlin so ein Tag wie heute. Leid, Schmerz, Tod und Trauer sind die teuflischen Gesellen, die so oft den Menschen das tägliche Leben so furchtbar schwer machen. In den folgenden Wochen bemüht sich Mertlin im Dorf Mussbach um die Menschen, die mit dem Tod kämpfen und an großen Schmerzen leiden. Nicht allen kann er so helfen wie er das wohl gern möchte. Immer wieder stößt er an die Grenzen seines Wissens und Könnens. In solchen Stunden ist er der unglücklichste Mensch, und das Hadern mit sich selbst macht seinen Gemütszustand nicht besser. Das Wissen um die Dinge ist der Schlüssel, denkt er mit aufsteigender Verzweiflung.

Weihnachten steht vor der Tür. Es sind nur noch wenige Tage bis zum Fest. Vor allem für die Kinder, die in dieser Zeit eine besondere Zuwendung bekommen, sind solche Feiertage eine segensreiche Abwechslung in ihrem sonst so harten und entbehrungsreichen Alltagsleben.

Ein kleiner Tannen- oder Fichtenbaum wird aufgestellt und mit bunten Bändern, Äpfeln, Nüssen und Lebkuchen behangen. Wenn es der Geldbeutel der Familie zulässt, wird auch ein kleines Krippenspiel aufgebaut und Geschenke für die Kinder gibt es auch. Oft sind es natürlich nützliche Dinge für den Alltag. Einen dicken Pullover, einen Schal, eine Mütze und Socken von Oma gestrickt, werden dankbar angenommen. Spielzeug gibt es nur, wenn das die Familienkasse zulässt. Nicht zu vergessen, das gute und viele Essen. Zum Frühstück gibt es für die Kinder Kartoffelkuchen richtig dick mit Zucker und Zimt bestreut.

Eine echte Rarität auf einem Bauernhof. Diese leckeren und süßen, braunen Kristalle gibt es selten und wenn man sie kaufen kann, sind sie unverschämt teuer. Also wird bei den meisten Bauernfamilien auf den Bienenhonig zurückgegriffen, auch wenn der sehr knapp ist. Zum Mittagessen gibt es zur Feier des Tages Kartoffelklöße mit Rotkraut und Gänsebraten. Zwei bis drei Gänse müssen dafür ihr Leben lassen, damit das Fleisch für alle reicht und man nicht geizen muss. Zum Nachtisch kommt für die Kinder Grießbrei mit Bienenhonig auf den Tisch und die Erwachsenen trinken einen ordentlichen Humpen Bier. Zum Abendbrot gibt es die traditionelle Vogtlandpfanne. Ein leckeres Gericht aus Eiern, Leberwurst und Semmelstücke gewürzt mit Majoran, Zwiebeln und Salz. Dazu gibt es Brot, und wie sollte es an so einem Tag auch anders sein, viel warmes Bier.

Die Kinder haben sich vor dem Schlafengehen mit Lebkuchen vollgestopft und liegen bereits im Bett damit sich die Erwachsenen ungestört amüsieren können.

Das Feiern ist vorbei und der Alltag kehrt wieder in das tägliche Leben der Bauern ein. Die Männer bessern die schadhaften Stellen am Haus, an der Scheune und am Stall aus und räumen mühsam jeden Tag den Schnee beiseite, der sich meterhoch an den Seiten der Gehwege auftürmt. Die Schneeverhältnisse erschweren es sehr, mal schnell zum Bäcker zu laufen, beim Schmied das eine oder andere lockere Eisen an den Hufen der Pferde wieder zu befestigen und den Nachbarn und Verwandten mal schnell zu besuchen, Tee zu trinken oder einfach nur über die Sorgen, die Familie und natürlich auch über das ekelhafte kalte Wetter zu reden und heftig zu meckern.

Alle freuen sich schon auf den sechsten Januar. Wieder ein Tag, an dem alle ausgelassen die Verehrung der heiligen drei Könige feiern werden. Joseph, seine Frau Johanna und der Knecht Franz haben alle Hände voll zu tun um alles für das Fest vorzubereiten. Jeden Tag kommen neue Gäste und wollen versorgt werden. Für Mertlin eine gute Gelegenheit, sich mit den Neuankömmlingen am Abend bei einem Humpen Bier über die große Politik und die Veränderungen im Land zu unterhalten.

In wenigen Tagen geht das Jahr Siebzehnhundertzweiundneunzig zu Ende. Was wird das neue Jahr bringen? Überlegt Mertlin mit sorgenvollen Gedanken. Was werden die Franzosen in ihrem Land noch alles anstellen? Große Revolution vom Zaun brechen, das Königtum einfach abschaffen, die Guillotine zum Enthaupten der Verurteilten, oder auch ohne Urteil zulassen und überall herrscht barbarischer Krieg. Als ob die Menschen nichts Besseres zu tun haben, als sich gegenseitig den Hals umzudrehen – schrecklich ist das alles. Für die arme Bevölkerung, ganz gleich in welchem europäischen Land, bedeutet das - Hunger, Elend und Krankheiten ohne Hoffnung auf Veränderungen zu ihren Gunsten.

Langsam leert sich der Schankraum und die Gäste legen sich im Schlafraum zur wohlverdienten Nachtruhe auf ihre Strohsäcke. Da jetzt viele Menschen in diesem Raum schlafen, hat Franz in einem kleinen Ofen Feuer gemacht, damit die Kälte erträglich bleibt und die Gäste besser ausruhen können.

Mertlin sitzt allein an seinem Stammtisch und bemüht sich seine unruhigen Gedanken zu ordnen. Eine Hand legt sich behutsam auf seine Schulter.

„Hast du für einen Mann, der sich mit seiner Frau inbrünstig ein Kind wünscht Zeit, damit er auf seine Fragen ein paar nützliche Antworten bekommen könnte?“ „Ach du bist das, Joseph, ich dachte schon ein Gast will mit mir reden.“

„Wie du dich erinnerst, hatte ich dich bezüglich anstrengender, nächtlicher Bettspiele mit Johanna schon mal genervt aber mit leerem Magen bist du ja unausstehlich.“ „Laß gut sein, Joseph, wir beide leeren gemeinsam einen Krug von deinem gut schmeckenden Rotwein und werden dabei deine Fragen näher untersuchen. Was hältst du davon?“ „Warte - bin gleich zurück!“ „Wo gehst du hin? Johanna brauchen wir nicht dazu, das ist sozusagen ein Gespräch unter Männern - wenn du verstehst was ich meine!“ „Verstanden, ich hol nur den Rotwein.“ „Ach so – auch nicht schlecht.“

Wenig später hält er eine beachtlich große Flasche in der Hand, und strahlt übers ganze Gesicht.

„Dachte schon, dass ich die Flasche bereits bei einer anderen Gelegenheit mit Gästen geleert hätte. Das ist ein echter guter Tropfen, Mertlin – wirklich, Hand aufs Herz!“ „Dann sollten wir uns viel Zeit zum Trinken nehmen.“

Mit geübten Griffen entkorkt Joseph das gute Stück von einer Weinflasche und gießt Mertlin und sich selbst die beiden Krüge randvoll, riecht mal kurz dran und meint –

„Viel besser kann der Wein beim lieben Gott auch nicht sein. Prost, Mertlin.“ „Prost, Joseph – also wo drückt dich der Schuh? Ich ahne zwar schon wo aber sag’s mir trotzdem.“ „Du erinnerst dich bestimmt noch an die Geburt des kleinen Jungen bei der Häuslerfamilie, der bei dem kalten Wetter lieber im warmen Bauch seiner Mutter bleiben wollte?“ „Ich weiß, für uns alle war das ein sehr glücklicher Tag.“ „Glücklich schon, Mertlin, aber auch traurig für mich.“ „Wieso, du hast mitgeholfen, ein Kind auf die Welt zu bringen.“ „Das stimmt! Und ich bin dir und dem Herrn dankbar, dass ich das miterleben durfte und mithelfen konnte. Auch habe ich dabei gelernt, wie ein Kind rauskommt. Kannst du mir ein paar gute Ratschläge dafür geben, wie ein Kind in den Bauch kommt? Johanna und ich, wir wollen Kinder aber es will nicht klappen.“

„Es gibt bei Frauen, als auch bei Männern krankheitsbedingte Gründe, die es beiden nicht möglich machen, ein Kind zu zeugen. Das ist leider so. Bei euch beiden ist das allerdings nicht erkennbar. Also, wie macht ihr das, wenn ihr ein Kind basteln wollt?“ „Na, na - Mertlin, basteln ist gut. Also, ich weiß nicht. Musst du das so genau wissen?“ „Joseph, wenn du gründlich wissen möchtest, wo und wie ein Kind auf die Welt kommen will, solltest du auch praktisch eine Ahnung davon haben, wie und wo es reinkommt? Oder etwa nicht?“ „Schon, schon – aber doch nicht so genau, Mertlin. Die Stelle, wo es hin muß kenne ich ja und das reicht. Mehr will ich dazu nicht wissen!“ „Doch, das solltest du allerdings! Jetzt erzähl mal, wir sind doch unter uns und befreundet sind wir auch.“

„Also gut, du neugieriger Mensch von einem Bader. Wenn es mir danach ist, sage ich Johanna was ich will. Sie legt sich dann im Bett so hin, dass ich mit meinem guten Stück dorthin komme wo ich hin will. Und dann transportiere ich das Zeug, aus dem die kleinen Kinder wachsen sollen dahin, wo es halt gebraucht wird.“ „Hm, macht ihr beiden das immer so?“ „Ja klar! Ich wüsste auch nicht, wie und warum ich das anders bewerkstelligen sollte.“

„Sag mal, Joseph, wie lange dauert das so ungefähr?“ „Pinkeln dauert bei mir meistens länger!“ „Ach was! Entschuldige bitte, langsamer geht’s wohl nicht?“ „Vielleicht, ich weiß das nicht. Wüsste auch nicht, was ich die ganze Zeit dort drinnen machen sollte.“ „So, so – wenn du das nicht umgehend änderst, kannst du euren Kindertraum in die berühmte Röhre schieben.“ „Also Mertlin, bei aller Freundschaft, das geht zu weit.“ „Willst du ein Kind oder Kinder, ja oder nein?“ „Ja – verflixt nochmal, wir wollen das beide!“ „Dann hör zu und sei nicht gleich beleidigt wenn ich dir sage was du falsch machst.“

Wenn nicht die große Sehnsucht nach einem Kind wäre, würde Joseph vermutlich aufstehen und Mertlin allein am Tisch sitzen lassen. Solche Themen sind nicht gerade Tagesgespräch zwischen ihm und Johanna.

„Joseph, das Wichtigste an den Anfang. Wenn du meine Ratschläge befolgst, wirst du das Vaterglück bald genießen können. Ich sage dir das als Baderchirurg und als dein Freund.“ „Ich halt ja schon meine Klappe. Also los, fang an!“

Um ein Kind zu zeugen – guck nicht so verdattert – so nennt man das, musst du zwei Voraussetzungen gut verstehen und bereit sein, sie auch anzunehmen. Das heißt einmal - wann ist der richtige Zeitpunkt für die Zeugung bei einer Frau und der zweite wichtige Punkt ist, wie verhalten sich beide, also Mann und Frau dabei. Und es gibt noch etwas, dass du dir unbedingt hinter die Ohren schreiben solltest – und zwar dick und fett!

Eine Frau kann immer, will aber nicht immer. Und ein Mann will immer, kann aber nicht immer. Deshalb sollte ein Mann es so bei sich einrichten, dass er kann wenn sie möchte.

„Hast du das bis hier her alles gut verstanden?“ „Alles nicht - ich denke, du wirst mir das noch erklären. Mach weiter, ich schreie schon, wenn mein Kopf nicht mehr kann oder nicht mehr will.“

Und Mertlin erklärt weiter, was sein Freund wissen will und sollte. Schon vor etlichen tausend Jahren, sehr weit bevor das Christentum entstand, haben kluge Priester und Ärzte durch langjährige Beobachtungen festgestellt, dass eine Frau nur an bestimmten Tagen bereit ist ein Kind zu empfangen. Genauer gesagt meinten sie dabei, dass ungefähr fünf Tage nach ihrer letzten monatlichen Blutung und fünf Tage bevor die nächste beginnt, es zur Befruchtung kommen kann, so beide Partner gesund sind. Wenn wir diese Erkenntnisse, die auch heute noch ihre Gültigkeit haben, ernst nehmen wollen, solltet ihr beide euch daran halten.

„Ja, ja - alles schön und gut. Unsere Priester vom Kloster meinen, das wäre Sünde und nicht von Gott so gewollt. Also einmal rein, und wenn kein Kind kommen will ist es Gottes Wille.“ „Nun halt mal die Luft an, Joseph, die Priester treiben es doch nicht mit einer Frau, sondern machen es untereinander und Kinder kriegen sie davon ganz bestimmt nicht.“ „Was meinst du damit? Die treiben es untereinander.“ „Jetzt stell dich halt nicht so unwissend an, Joseph.“ „Ich weiß wirklich nicht was du meinst – ganz ehrlich.“ „Na, die stecken ihr bestes Stück nicht in den vorderen Bereich des Mannes, da ist auch nichts wo man was reinstecken kann. Die nehmen den hinteren Eingang.“ „Also, mal langsam. Du meinst die stecken ihr Ding in den – nein! Das getrau ich mir nicht zu sagen. Wenn das der liebe Gott sieht, na gute Nacht – das gibt Ärger!“ „Darüber mach dir mal keine Gedanken. Also wieder zu euch beiden und dem „Wann“ - ist der beste Zeitpunkt.

Ihr solltet in dieser Zeit, also fünf Tage danach und fünf Tage davor, habe ich dir ja schon erklärt, möglichst früh, bevor ihr aufsteht und abends im Bett miteinander fleißig üben. Wenn es euch tagsüber danach ist, dann natürlich auch.“ „Das ist wirklich nicht dein Ernst?“ „Nein! Außerdem kenne ich den Ernst nicht.“ „Du erlaubst doch, dass ich kurz mal lache.“ „Na klar, wenn es dich erleichtert. Nun mal wieder sachlich! Von heut auf morgen wird euch beiden das nicht gleich gelingen. Es braucht etwas Zeit, wobei wir bei deinem Bauch wären.“ „Hab ich mir doch gedacht, dass das noch kommt.“ „Aber Joseph, lass gut sein. Wenn du das mit deinem Bauch so schaffst, dann muß er ja nicht weg. Das entscheidest nur du. Entweder ist er dir hinderlich oder nicht. Jetzt zum zweiten Punkt, Das „Machen“!“ „Könnten wir das weglassen? Ich gewöhne mich ungern an andere Übungen.“ „Nein!“ „Also gut, mach weiter du Quälgeist von einem Bader!“

„Erstens - die Dauer des „Machens“. Schneller als Pinkeln, das geht schon mal gleich gar nicht!“ „Wieso nicht? Ich bringe meine „Sachen“ schnell und ordentlich dahin wo sie hinsollen. Daneben geht da nichts, das kannst du mir glauben.“

„Joseph, die „Sachen“ von denen du so schön sprichst, brauchen viel Zeit um dorthin zu kommen, wo sie gern hinwollen. Es ist wie bei einem Säugling im Mutterleib, er schwimmt gern im wohlig warmen Wasser und ohne diesem Element würde er sterben. So ergeht es auch den „Sachen“, wie du sie so schön nennst. In Wirklichkeit sind das ganz winzig kleine, quicklebendige Samenzellen. Die brauchen es schön warm und schlüpfrig, damit sie sich schnell zu ihrem Ziel bewegen können. Wo sie natürlich schon sehnsüchtig erwartet werden. Wenn das fehlt, geht ihnen unterwegs die Puste aus und sie werden sterben. Also - nichts mit Nachwuchs!“

„Was muß oder sollte ich anstellen, damit sie schwimmen können, wie du so schön sagst?“ „Wann hast du Johanna das letzte Mal geküsst?“ „Am letzten Weihnachtsfeiertag.“ „Ach nein!“ „Aber ja! Ich weiß doch, wann ich Johanna einen Kuss gebe, so oft kommt das ja zwischen uns beiden nicht vor.“

„Wenn es dir so danach ist und das Johanna auch deutlich sagst, nimmst du sie liebevoll in deine Arme und küsst sie?“ „Das kann ich nicht!“ „Wieso nicht?“ „Ich soll also mein gutes Stück schlüpfrig unterbringen, Johanna in die Arme nehmen, küssen soll ich sie natürlich auch noch und das alles möglichst lang und gleichzeitig.“ „Ja, eine Stunde solltest du das so ungefähr durchhalten.“ „Sonst fehlt dir nichts!“ „Nein! Obwohl - ein vollbusiges junges Weib wäre für die nächsten Stunden nicht schlecht. Jetzt schau halt nicht so belämmert. Ich weiß, das hört sich für den Moment alles schlimm an. Glaube mir, überlass das deiner Frau, sie weiß ganz bestimmt wie, wann und wo sie es am liebsten mit dir treiben möchte. Wenn du dich daran hältst, bist du spätestens in einem Jahr Vater.“ „Das ist deine ehrliche Meinung?“ „Ja Joseph, und glaub mir, ich weiß was ich sage, frag mich nicht, nimm es hin. Dafür verstehst du was von Bier und köstlichen Weinen - ich nicht.“ „Was hältst du von einem kleinen Pflaumenschnaps, so als „Guter Nacht Kuss“ unter Männern?“ „Ich bin dabei und danach hau ich mich hin.“

Die kommenden Wochen vergehen für Mertlin wie im Flug. Krankenbesuche, Zähne ziehen und Haare schneiden füllen den ganzen Tag aus. Die Zeit um ein wenig zu verschnaufen fehlt hinten und vorn. Der Monat März lässt die Sonne schon länger scheinen und ihre warmen Strahlen erfreuen die Menschen.

Der Schankraum ist menschenleer und Mertlin sitzt allein an seinem Tisch. Joseph ist in die Stadt gefahren und Franz ist mit seinem Wallach beim Schmied um die Hufeisen überprüfen zu lassen. Johanna bringt ihm sein Frühstück und stellt eine große Tasse gut duftenden Kaffee neben den Teller mit Rührei und Speck.

„Sag mal, Mertlin, hast du in den letzter Zeit mit Joseph über unsere Eheprobleme gesprochen?“ „Wieso, hat er recht über mich gemeckert?“ „Nein, hat er nicht! Aber er hat was mit mir gemacht, was in unserer Ehe noch nicht vorkam.“ „Ach nein!“ „Doch, hat er.“ „Und was hat er gemacht?“ „Das werde ich dir nicht auf deine neugierige Nase binden. Aber ich bin das erste Mal in meinem Leben wirklich glücklich. Verstehst du was ich meine?“ „Ich glaube, Johanna, in diesem Haus wird es in einem Jahr ein großes Fest geben.“ „Ich glaube das nicht, ich weiß es!“ „Nein! Ganz sicher?“ „Ganz sicher!“ „So so, dann wird Joseph eine Magd einstellen müssen und schwere körperliche Arbeit ist ab sofort für dich gestrichen.“ „Davon wird er sicherlich nicht begeistert sein. Wenn ich ihm allerdings heute Nacht zuflüstere was in meinem Bauch beginnt zu wachsen, bekomme ich alles was ich mir von ihm wünsche. Sag mal, Mertlin, in der Zeit, in der das Kind in meinem Bauch größer und größer wird, kann ich damit Joseph so – na, du weißt schon was ich meine?“ „Ja, weiß ich! Solange es dir Freude macht, und ich meine damit dich, könnt ihr beide machen was ihr wollt. Vielleicht nicht ganz so stürmisch und dafür mit mehr Gefühl. Bei Joseph‘s Gewicht wäre es nicht so schlecht, wenn er sich hinlegt und du dich auf ihn setzt. Deinen Körper hält er leicht aus.“ „Du meinst, ich soll von oben? Und das geht?“ „Aber ja, probiert das beide miteinander aus. Du wirst eine Menge Spaß dabei haben und bei Joseph halten sich die Anstrengungen in Grenzen. Ganz wichtig, Johanna, ist die körperliche Sauberkeit, besonders bei Joseph. Warmes Wasser und Seife sind dafür bestens geeignet. Kleine Babys im Bauch der Mutter lieben besonders zwei Dinge - mollig warmes Wasser, in dem sie rumtoben können ohne sich zu verletzen und Sauberkeit. Du verstehst mich doch oder nicht?“ „Ja, ich weiß was du meinst. Was ist, wenn es mir keinen Spaß mehr machen sollte?“ „Johanna!“ „Jetzt guck halt nicht so lustig, kann doch möglich sein. Du hast doch eben gesagt, ich soll es nur mit Joseph treiben, wenn es mir Freude bereitet.“ „Daran solltest du dich auch strikt halten!“ „Und was kann ich mit Joseph unternehmen, wenn sein Zeug raus muß? Kann ja möglich sein. Versteh ich zwar nicht aber es könnte ja möglicherweise so sein.“ „Johanna, du hast doch zwei gesunde Hände?“ „Ha? Wie meinst du das? Ach so, entschuldige bitte, hab schon verstanden!“ „Hast du noch Fragen, ich muß dringend zum jungen Gesellen des Bäckers, er hat sich am Ofen den Oberarm verletzt.“ „Nein, lieber Mertlin, und danke für alles.“ „Wenn ihr Frauen im Dorf euch wieder zum Hutzenabend treffen solltet, kannst du ja mit ihnen gemeinsam über das Thema „Kindermachen - wann, wo und wie“ ein klärendes Gespräch führen. Was hältst du davon?“ „Das tue ich Mertlin, habe auch schon daran gedacht.“

Mertlin trinkt noch seine Tasse Kaffee aus und macht sich auf den Weg um dem verletzten Bäckergesellen zu helfen. Es wird für ihn ein anstrengender Tag und zum Essen oder zu einer üppigen Brotzeit kommt er auch nicht. Als er endlich in der Schenke ankommt, schallt sein Ruf in die Küche - ich habe Hunger - großen Hunger. Bei diesen Worten läuft er eilig auf seinen Tisch zu, an dem bereits ein Gast sitzt. Ein kurzes guten Abend und schon macht er sich über das Essen her, das Johanna auf den Tisch stellt.

Knüppeldicke satt und sehr zufrieden mit dem was er als Baderchirurg heute leisten konnte, lehnt er sich in seinem Stuhl zurück und nimmt sich vor zeitig schlafen zu gehen.

Ein scheinbar schrulliger Geselle

Aufgeschreckt durch einen lauten, herzhaften Rülpser aus Mertlins Rachen, hebt der einzige am Tisch sitzende Gast seinen Kopf und schaut erstmal in die Runde, dann erschrocken auf den Mann ihm gegenüber um am Schluss mit seinen erstaunten Blicken auf den noch auf dem Tisch stehenden Tellern, Zinkplatten, Schüsseln und dem großen metallenen Humpen hängen zu bleiben. Der so umfassend in Augenschein genommene Mertlin strahlt über sein ganzes Gesicht. Verständlich!, Bei dem genussvollen, vielen und gutem Essen. Und dabei schaut er seinen gegenüber sitzenden Tischgesellen mit freundlich dreinschauenden Augen fragend an.

„Habt ihr euch gerade so geräuschvoll geäußert? Fragt ihn der junge Mann, der in eine Kutte gehüllt vor einer kleinen Schüssel Suppe sitzt. „Nein, da irrt ihr euch, gesagt hat nur mein Magen etwas. Er meint, er sei mit dem was alles zu ihm runter kam randvoll und mit dem Inhalt sehr zufrieden.“ „Ach nein!“ „Aber ja, wirklich! Er sagt das immer so!“ „Also, ich weiß nicht. Mein Magen äußert sich anders.“ „Dann gebt ihr ihm entweder zu wenig oder lauter Sachen die er vielleicht gar nicht mag. Ich kenne mich da aus, ich bin Baderchirurg und sehe deutlich, wenn sich Menschen mit ihrem Magen nicht gut stellen. Unter uns gesagt, ihr seid zu dünn, viel zu dünn für die Jahreszeit! Für die Winterzeit muß sich ein Mann eine dicke Fettschicht anfuttern. Die Vorräte sind knapp und wachsen kann auf den Feldern um diese Zeit auch noch nichts.“ „Kann es nicht auch sein, Herr Baderchirurg, dass für das Wohlbefinden des Magens der Geldbeutel eines Menschen die Schuld trägt?“ „Du kannst Mertlin zu mir sagen und was deine Frage betrifft? Ja, am Geldbeutel liegt es leider auch manchmal. Aber gut, das ist ein anderes Thema. Jetzt sind wir bei unserem Magen und glaube mir, nur der allein entscheidet wie es uns geht, wie gesund wir sind oder wie krank wir werden. Und – so der alte Herr ganz weit oben im Himmel das auch so vorhat, wie alt wir möglicherweise hier auf der Erde werden können.“ „Also gut, Mertlin, lassen wir den lieben Gott mal aus unserem Gespräch. Der Inhalt eines Geldbeutels ist abhängig von seinem Besitzer und wie der es anstellt ihn mit Münzen zu füllen – also was er so beruflich macht. Die einen klauen, betteln, erben oder bekommen das Geld geschenkt. Andere müssen sich das erarbeiten. Damit das bei unserer Unterhaltung nicht völlig untergeht, du kannst Lynhart zu mir sagen, und wie du siehst bin ich ein Diener des Herrn. Du kannst mir glauben oder auch nicht, ich habe mir das freiwillig nicht ausgesucht.“ „Entschuldige bitte meine etwas ungeschickte Frage. Wie kommst du dann zu der Kutte?“ „Na, ganz einfach, ich zieh sie mir über den Kopf.“ „Ha ha - ich darf doch mal lachen, oder?“ „So lustig ist das leider nicht für mich gewesen.“ „Jetzt erzähl schon oder ist das ein großes Familiengeheimnis?“ „Nein! Das ist es nicht, es ist eher ein Problem unserer Zeit.“ „Verstehe ich nicht, wieso das?“ „Wie du sicherlich weißt, bekommt der erstgeborene Sohn in der Familie beim Tod des Vaters den Hof überschrieben. Die Ehefrau und die Töchter sind ja diesbezüglich ohne Rechte.“ „Ja, weiß ich.“ „Wenn es nur einen Sohn in der Familie gibt, ist das alles kein Problem, an Frauen und Töchter wird ja wie du weißt nichts vererbt. Gibt es mehrere männliche Nachkommen, sowie in meiner Familie, wir sind drei von der Sorte, haben zwei ein Existenzproblem. Wobei wir wieder bei dem Geldbeutel wären.“ „Das bedeutet, dass du und dein größerer oder kleinerer Bruder nach dem Tod eures Vaters, Gott habe ihn selig, leer ausgegangen seid.“ „Ja, so ist das! Wenn unser alter Herr, den Bauernhof mit allem was dazu gehört, durch uns drei Brüder geteilt hätte, wäre es für jeden von uns zu wenig gewesen um daraus eine bäuerliche Existenz aufzubauen. Es würde noch schlimmer kommen. Von dem Anwesen bliebe ja nichts übrig. Unsere Mutter, unsere Oma, Opa ist ja schon seit langem tot und meine vier Schwestern wären ohne Lebensgrundlage und würden ganz sicher sehr darunter leiden müssen.“ „Dann ist so eine alte Rechtsprechung eigentlich gar nicht so daher geholt und hat doch eine tiefsinnige, praktische Bedeutung. Auch wenn man vielleicht auf den ersten Blick meinen möchte, so eine Regelung ist ungerecht. Wie ist deine Meinung dazu?“ „Es stimmt schon was du sagst. Für uns übrig gebliebenen Brüder, die wir halt leer ausgehen müssen – gutes Gesetz hin oder her – ist das nicht so besonders lustig. Uns bleibt eigentlich nur das Kloster oder wir werden stramme Soldaten. Allerdings mit einer relativ kurzen Lebenserwartung.

Lass es mich mal so sagen. Ganz so leicht hat es unser Erstgeborener mit dem schönen Bauernhof auch nicht. Er muß sich ja auch um den Hof kümmern und die gesamte weibliche Familie. Er muß ebenfalls meine Schwestern versorgen, ohne Einschränkung. Nicht zu vergessen das Brautgeld, das bei der Hochzeit meiner lieben Schwestern fällig wird. Alles in allem, eine gewisse Gerechtigkeit ist bei all der Aufteilerei schon dabei.

„Also gut, du verlorener Bauernsohn, für was für einen Weg hast du dich entschieden oder besser gefragt, wo hat dich der Sturm des Lebens hin geblasen? Also – wie kamst du wirklich in deine Kutte? Und jetzt sag nicht wieder, du hast sie einfach über den Kopf gezogen.“ „Nein! Natürlich nicht. Ich wollte schon als kleiner Junge lesen und schreiben lernen. Mein Opa konnte ein wenig rechnen und die Schrift beherrschte er auch ganz gut- schon wegen der Steuern, die von den skrupellosen Steuereintreibern des Adels, der Gutsbesitzer und Lehnsherrn eingetrieben wurden, damit sie in Saus und Braus leben können. Dank seiner Fähigkeiten selbst seine Steuern ausrechnen zu können, wurde er halt weniger übers Ohr gehauen. Mein Opa brachte mir, so wie halt Zeit war, das war vor allem im Winter, die Grundregeln des Rechnens bei und die Schrift. Das Alphabet und lesen konnte ich auch bei ihm lernen. Am Anfang war das eine tierische Schinderei aber je mehr ich verstand, umso besser flutschte es. Meine anderen Brüder hatten keine Lust sich mit solchem Teufelszeug, wie sie meinten, zu beschäftigen. In Wirklichkeit waren sie einfach zu faul dazu. Denn lernen, das habe ich schnell begriffen, strengt an. Ich weiß was ich sage.“ „Da kann ich dir nur kräftig zustimmen, ich weiß auch was ich sage aber – es lohnt sich. Am Anfang ist einem die Bedeutung über ein bestimmtes Maß an Wissen zu verfügen und mit der Sprache in Wort und Schrift umgehen zu können, nicht so richtig bewusst. Später, im täglichen Leben, erkennt man die enormen Vorteile schnell.“ „Das ist wahr, Mertlin! Also, wie ging es mit mir weiter?“

Nachdem der Hof an unseren Erstgeborenen überschrieben wurde, mussten ich und mein jüngerer Bruder Martin, so verlangt es die Tradition und die Rechtslage, unser elterliches Zuhause verlassen. Martin war schon immer für Rumprügeleien, Kriegsspiele und schicke Uniformen zu begeistern. Er meldete sich freiwillig bei unserem Landesfürsten um Soldat zu werden. Es dauerte keine zwei Jahre, dann traf ihn eine Gewehrkugel – Bauchschuss. Er starb, ich weiß das von einem Offizier, unter schlimmen Schmerzen.

Mich führte der Zufall oder wenn du es so sehen willst, Gottes Fügung, in das Kloster Auerbüchel, in der Nähe von Auerbach. Der dortige Abt war mit meinem Vater gut befreundet, was meine Aufnahme und die Behandlung im Kloster wesentlich erleichterte. Mir blieben, dem Herrn sei Dank, üble Machenschaften, wie sie mit Novizen und Mönchen getrieben wurden und immer noch werden, erspart.

„Was meinst du mit Machenschaften? Das klingt ja nach Machtkämpfen.“ „Nein! Ich meine den Missbrauch von jungen Männern durch die alten dicken Fettsäcke im Kloster.“ „Versteh ich nicht!“ „Jetzt stell dich halt nicht so an. Gelübde hin Gelübde her, das beste Stück des Mannes, also auch das dieser angeblich enthaltsamen, älteren Mönche will bedient werden und dafür waren dann die jungen Novizen gerade die richtigen Figuren. Jung, unerfahren und ohne Machtbefugnis, abhängig von den älteren Mönchen und Lehrmeistern, sind sie ein gefundenes Spielzeug für ihre abartigen Triebe. Von wegen asketische Lebensweise, Abkehr von weltlichen Gewohnheiten und ein geordnetes, religiöses Leben in der Klostergemeinschaft, dass ich nicht lache! Die Alten nutzen ihre Machtstellung im Kloster aus und der Abt duldet halt diese miesen, verwerflichen Sauereien des lieben Friedens willen oder beteiligt sich hie und da selber an diesem sündigen Verhalten. Ich weiß ja nicht, was sich der liebe Gott dabei denkt, wenn er diesen Sündenpfuhl in einem Kloster duldet. Die sich so verhaltenden alten Knacker verstoßen doch jeden Tag gegen alles, was der Herr eigenhändig auf zwei Steintafeln geschrieben haben soll. Und was passiert mit den Sündern? Nichts! Da ich mit meinem Gemeckere zu solchen Themen im Kloster immer unbeliebter wurde, entschied sich der Abt dafür, mich auf eine länger andauernde Wanderschaft zu schicken. Vermutlich um mich Störenfried los zu werden.“ „Das ist ja allerhand und eine riesengroße Sauerei dazu. Der liebe Gott hat doch Adam und Eva geschaffen und nicht Adam und Adam. Die beiden Paare, wenn ich das mal so bezeichnen darf, sind doch grundverschieden. Da gibt es nichts dran zu verwechseln.“ „Das sehe ich auch so. Und deshalb bin ich dort weg und wandere allein aber unbehelligt durch die Lande. Zugegeben – nicht immer ganz problemlos. Wobei wir wieder bei dem Geldbeutel wären.

Apropos Geld! Weißt du eigentlich, dass das idyllische Dorf Mussbach, mit allem was dazu gehört, natürlich außer den dort lebenden Menschen, rechtlich dem Kloster Auerbüchel gehört?“ „Nein! Hab ich nicht gewusst. Hat mir bis heute noch kein Mensch gesagt. Nicht mal Joseph, unser Gastwirt. Verstehen kann ich das allerdings nicht. Seit wann haben denn die Klosterbrüder so dicke Geldbeutel, Lynhart?“ „Aber Mertlin, schau dich doch mal um. Wir verkaufen doch so ziemlich alles was nach Gott und seinem Himmelreich riechen könnte. Also zum Beispiel - Reliquien aller Art und Kreuzeverkäufe. Den Käufern, meistens sind es Analphabeten, versprechen wir alles, was sie gern hören wollen. Bis auf die Wahrheit, versteht sich, die behalten wir mal schön für uns. Außerdem, was bekommt man schon für die Wahrheit? Bestenfalls einen kräftigen Fußtritt. Im allerschlimmsten Fall droht der Scheiterhaufen oder das Gottesurteil. So ist das in unserer schönen Welt. Und das alles läuft wie geschmiert. Glaube mir, ich weiß was ich sage.“ „Hör ich da so was wie eine zaghafte Gotteslästerung heraus, mein lieber Bruder Lynhart?“ „Nein, Mertlin! Meine Seele wohnt fest in Gott. Es ist nur eine Frage wie man Gott definiert. Und mit Glauben hat das alles wenig zu tun. Du musst nicht an Gott glauben, sondern du musst ihn tief in dir selbst fühlen. Denn Gott gibt es, davon bin ich fest überzeugt. Was ich schlecht finde ist, was unsere Klöster und die christlich katholische Kirche daraus alles sublimieren.“ „Was verwirklichen diese raffgierigen Mönche, ganz praktisch gedacht, mit dem vielen ergaunertem Geld, Lynhart?“ „Die schönen Münzen werden von der Klosterverwaltung, also dem Abt und seinen Vertrauten, sofort in Sachwerte angelegt. Damit meine ich: jede Form von Grundherrschaften, Waldstücke, Teiche, Ackerflächen, Nutzungsrechte und ganze Dörfer. Denk einfach in diesem Zusammenhang an das Dorf Mussbach. Dann triffst du den berühmten Nagel auf den passenden Kopf.

Mit der Zeit werden die Klöster so reich, dass einige davon sich selber kaufen könnten und damit eine gewisse Unabhängigkeit von der Kirche erreichen werden.“ „Das ist ja ungeheuerlich! Von wegen Pflichterfüllung, geistliches und religiöses Verhalten? Das ich nicht lache. Eigentlich soll doch ein Kloster ein Stützpunkt und ein Ort des Glaubens sein oder Lynhart?“ „Ja, das sollte es! Ist es aber in großen Teilen unseres Landes nicht. Einige davon sind schon so weltlich, dass es weltlicher schon gar nicht mehr geht.“ „Wie soll ich das verstehen, Lynhart?“ „Es gibt Klöster, Mertlin, die gehen ihrer eigentlichen Bestimmung nicht nach. Sich um die Kranken kümmern, Reisenden Unterkunft und Verpflegung gewähren, für das Alter vieler Menschen Sicherheiten bieten, handwerkliche Tätigkeiten Landwirtschaft und Handel fördern und Buben und Mädchen in den Klosterschulen ein Mindestmaß an Wissen vermitteln. Das Mertlin, würde ihnen wirklich besser zu Gesicht stehen.

In vielen Klöstern gibt es eine so genannte Verweltlichung.“ „Was bedeutet das bitte genau, Lynhart?“ „Einige Menschen treten nicht aus religiösen Gründen, sondern aus weltlichen Motiven in ein Kloster ein um Kasse zu machen. Du kennst ja das Sprichwort: „Nur Bares ist Wahres“. Gott hat ja alles Mögliche geschaffen, nur kein Geld. Also müssen sich halt die „Ungläubigen“ darum kümmern. Und das trifft besonders auf einige ganz schlaue Familienmitglieder des Adels zu.“ „Das ist doch eine riesige Sauerei, wie hier mit dem lieben Gott Geschäfte gemacht werden. Man kann nur hoffen, dass er das merkt und die Sünder ordentlich bestraft. Damit meine ich das schmerzhafte Fegefeuer und wenn es möglich wäre, dann bitte ein ordentliches Feuerchen.“ „Hoffentlich Mertlin. Du kennst ja bestimmt das zutreffende Sprichwort - „Gottes Mühlen mahlen langsam aber gründlich“. Ich bin ganz sicher, mit der Raffgier der Menschen kennt sich der Herr bestens aus. Er hat sie angeblich geschaffen. Womit wir wieder bei der Geldbörse wären.“ „Also gut, du Neunmalkluger. Mein Herz hat sich auf deine Seite geschlagen und dir einen festen Platz eingeräumt.“ „Wenn ich ehrlich sein soll, du bist für mich nicht der Vaterersatz aber ich mag dich und ich wäre nicht traurig, wenn wir unsere beginnende Freundschaft mit einem Becher Wein begießen. Ich lade dich ein – nein! Meckere nicht! Ich lade dich ein!“ „Gut, abgemacht und einverstanden. Dafür lade ich dich morgen zu einem urigen Frühstück a la Vogtland ein. Widersprich nicht und nimm an!“ „Ich nehme an, und freu mich drauf.“

Zwei Stunden später hört man von beiden nur noch leise Schnarchgeräusche. Mertlins randvoll gefüllter Magen wird die ganze Nacht Schwerstarbeit leisten müssen um all die guten Speisen in seinem Bauch fach- und sachgerecht zu verdauen und weiterzuleiten.

Lynhart wird vermutlich von einer gerechteren Welt träumen, die in Frieden leben sollte und in der ein gewisser Wohlstand für alle Menschen Platz haben könnte.

Ein Sonntag mit Folgen

Der Sonntag hat unmittelbar etwas mit der Würde des Menschen zu tun.

Er erinnert daran, dass der Mensch kein Mittel zum Zweck und dass Arbeit nicht der einzige Inhalt und das höchste Ziel des Lebens ist.

Erwin Teufel

Der sonntägliche Besuch im nahe gelegenem Kloster ist zu Ende und die siebenköpfige Familie Schulze versammelt sich gemeinsam, nach der Heimfahrt mit der Pferdekutsche, in der großräumigen Küche zum Frühstück.

Sonntags gibt es für die Kinder Milch mit einem Löffel Bienenhonig. Montag bis Samstag, sehr zum Leidwesen der Kinder, nur Milch. So viel Honig wirft der kleine Bienenstock im Garten nicht ab. Für alle Erwachsenen gibt es, weil Sonntag ist, Bohnenkaffee, der wenigstens auch seinen Namen verdient. An den übrigen Tagen der Woche wird nur Malzkaffee oder Tee gekocht, weil Bohnenkaffee angeblich nicht gut für die Gesundheit wäre. Angeblich, sagen die Leute! Nach einem Gerücht, soll ja ein König in Schweden behauptet haben, dass Bohnenkaffee giftig sei. Um das zu beweisen, soll er zwei zum Tode verurteilte Häftlinge begnadigt haben. Dafür musste einer der beiden täglich Tee trinken, der andere Kaffee. Beide Delinquenten haben dieses Trinkvergnügen locker und gesund überlebt. Behauptet jedenfalls diese Klatschgeschichte.

Zum Frühstück gibt es außer Kaffee, Tee und Milch noch zwei gekochte Eier für die Männer, alle anderen am Tisch nur ein Ei. An Feiertagen gibt es für alle in ausreichender Menge Rühreier mit Schinken und Speck. Zwei knusprige Vierpfünder vom Bäcker liegen schon auf dem Tisch. Es gibt ausreichend selbst gemachte Butter, Blut- und Leberwurst und Marmelade aus den eigenen Gartenfrüchten. Großvater ist der erste, der sich vom Frühstückstisch erhebt und mit einem Gemurmel was so klingt wie - „muss mal in den Stall und nach den Pferden sehen“, die Küche in Richtung Pferdestall verlässt. Die Großmutter und Oberhaupt in der Küche, teilt der- weil die Arbeiten für den Tag ein. Frühstücksgeschirr abwaschen, Vorbereitungen für das Mittagessen treffen, Gartenarbeit und die Kleintiere ausreichend mit Futter versorgen.