Die Rache der Gräfin - Dietmar Dressel - E-Book

Die Rache der Gräfin E-Book

Dietmar Dressel

4,8

Beschreibung

Die Rache der Gräfin ist der 3. Teil aus der Trilogie: Ein Schrei zu Gott und die Fortsetzung vom Roman: Der Medicus und die Nonne. Der Inhalt dieses Romans berührt die dunklen Seiten des Denkens und Handelns von Männern und Frauen, die von der Dummheit getrieben, der Gier, dem Hass und der Rache nicht widerstehen können und sich förmlich darin laben.

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Die Zukunft hat viele Gesichter. Welches

sich uns zuwendet fühlen wir dann, wenn

es uns berührt.

In Liebe - für Barbara, Alexandra, Kai, Timon, Nele und Isabelle

Zum Roman

„Die Rache der Gräfin“

„Die Rache der Gräfin“ ist der 3. Teil aus der Trilogie: “Ein Schrei zu Gott“ und die Fortsetzung vom Roman „Der Medicus und die Nonne“.

Der Inhalt dieses Romans berührt die dunklen Seiten des Denkens und Handelns von Männern und Frauen, die von der Dummheit getrieben, der Gier, dem Hass und der Rache nicht widerstehen können und sich förmlich darin laben.

Im Volksmund findet man dafür viele zutreffende Lebensweisheiten, die sich besonders bei solchen Menschen „festklammern“, die von einem unbändigen Hass gefesselt sind und der die grausame Rache auf dem Fuß folgt.

„Wer auf Rache sinnt, der reißt seine eigenen Wunden auf. Sie würden heilen, wenn er es nicht täte.“

Der Inhalt dieses dritten Teils mangelt nicht an Grausamkeiten, endet allerdings mit dem Sieg der Liebe über den Hass.

Vor geraumer Zeit wurde auf Facebook und Twitter die Frage gestellt

Who ist Dietmar Dressel about?

Es ist für einen Buchautor und Schriftsteller nicht ungewöhnlich, dass er mit zunehmender Aktivität im Lesermarkt das Interesse der Öffentlichkeit weckt und diese natürlich neugierig darauf ist, um wen es sich dabei handelt.

Natürlich könnte ich dazu selbst etwas sagen. Ich denke, es ist vernünftiger, eine Pressestimme zu Wort kommen zu lassen.

Nachfolgend ein Artikel von Michel Friedmann: Jurist, Politiker Publizist und Fernsehmoderator.

'Wanderer, kommst Du nach Velden''. Wer schon einmal im kleinen Velden an der Vils war, der merkt gleich, dass an diesem Ort Kunst, Kultur und Literatur einen besonderen Stellenwert genießen. Der Ort platzt aus allen Nähten vor Skulpturen, Denkmälern und gemütlichen Ecken die zum Verweilen einladen. So ist es auch ganz und gar nicht verwunderlich, dass sich an diesem Ort ein literarischer Philanthrop wie Dietmar Dressel angesiedelt hat.

Dressel versteht es wie wenige andere seines Faches, seinen Figuren Leben und Seele einzuhauchen. Auch deswegen war ich begeistert, dass er sich an das gewagte Experiment eines historischen Romans gemacht hatte. Würde ihm dieses gewagte Experiment gelingen?

Soviel sei vorweg genommen: Ja, auf ganzer Linie!

Aber der Reihe nach. Historische Romanautoren und solche, die sich dafür halten, gibt es jede Menge. Man muß hier unterscheiden zwischen den reinen 'Fiktionisten' die Magie, Rittertum und Wanderhuren in eine grausige Suppe verrühren und historischen „Streberautoren“, die jedes noch so kleine Detail des Mittelalters und der Industrialisierung studiert haben und fleißig aber langatmig wiedergeben. Dressel macht um beide Fraktionen einen großen Bogen und findet zum Glück schnell seinen eigenen Stil. Sein Werk gleicht am ehesten einem Roman von Ken Follett mit einigen erfreulichen Unterschieden!

Follett recherchiert mit einem großen Team die Zeitgeschichte genauestens und liefert dann ein präzises, historisches Abbild. Ein literarischer und unbestechlicher Kupferstich als Zeugnis der Vergangenheit. Dressel hat kein Team und ersetzt die dadurch entstehenden Unklarheiten gekonnt mit seiner großartigen Phantasie. Das Ergebnis ist, dass seine Geschichten und Landschaften 'leben' wie fast nirgendwo anders.

Follett packt in seine Geschichten stets wahre Personen und Figuren der Zeitgeschichte hinein, die mit den eigentlichen Helden dann interagieren und sprechen. Das nimmt seinen Geschichten immer wieder ein wenig die Glaubwürdigkeit. Dressel hat es nicht nötig, historische Figuren wiederzubeleben. Das Fehlen echter historischer Persönlichkeiten gleicht er durch menschliche Gefühle und lebendige Geschichten mehr als aus.

Folletts Handlungen sind zumeist getrieben von Intrige, Verrat und Hinterhältigkeit. Er schreibt finstere Thriller, die Ihren Lustgewinn meist aus dem unsäglichen Leid der Protagonisten und der finalen Bestrafung der 'Bösen' ziehen. Dressel zeigt uns, dass auch in einer so finsteren Zeit wie der frühen, industriellen Neuzeit Freundschaft, Liebe und Phantasie nicht zu kurz kommen müssen. Er wirkt dabei jedoch keinesfalls unbeholfen sondern zeigt uns als Routinier, dass er das Metier tiefer Gefühle beherrscht, ohne ins Banale abzugleiten.

Folletts Bücher durchbrechen gerne die Schallmauer von 1000 und mehr Seiten. Er beschreibt jedes Blümchen am Wegesrand. Dressel kommt mit viel weniger Worten aus. Substanz entscheidet!

In der linken Ecke Ken Follett aus Chelsea, in der rechten Ecke Dietmar Dressel aus Velden. Zwei grundverschiedene Ansätze und Herangehensweisen an ein gewaltiges Thema. Wer diesen Kampf wohl gewinnt?

Keiner von beiden, in der Welt der Literatur ist zum Glück Platz für viele gute Autoren.

Inhalt

Ein Haus der Hoffnung

Ein „scheinkranker“ Spion

Die finsteren Machenschaften der Gräfin von Witzlach

Die Flucht nach Weimar

Die Hölle der Inquisition

Ein Wiedersehen mit Ferdinand

Ein Haus der Hoffnung

Ein guter Mensch verspricht durch seine Gegenwart nur immer zu viel! Das Vertrauen, das er hervorlockt, die Neigung, die er einflößt, die Hoffnungen, die er erregt, sind unendlich; er wird und bleibt ein Schuldner, ohne es zu wissen.

Johann Wolfgang von Goethe

Wir alle schreiten durch die Gasse, aber einige wenige blicken zu den Sternen auf.

Oscar Wilde

Es reden und träumen die Menschen viel von besserem künftigen Tagen, nach einem glücklichen goldenen Ziel sieht man sie rennen und jagen.

Die Welt wird alt und wird wieder jung, doch der Mensch hofft immer auf Verbesserung.

Johann Christoph Friedrich von Schiller

Es ist schon spät geworden im einstigem Schloss zu Chrieschwitz. So wie es früher von seinen Eigentümern, dem Baron Dietrich und der Baronin Christina von und zu Kneisel genannt wurde.

Durch egoistische und maßlos machtbesessene Maßnahmen dieser Adelsfamilie vom Rittergut Chrieschwitz gegen ihre Untergebenen, also den kleinbäuerlichen Familien und einfachen Handwerkern im Ort, kam es zu schrecklichen Verbrechen an Männern und Frauen, an dessen Folgen der Herr Baron sein Leben auf grausame Weise einbüßte und auch die Frau Baronin nur knapp einem Attentat entkam. Sie überlebte diese Attacke schwer verletzt an Leib und Seele und fand trotz ihres herrischen und ungezügelten Verhaltens die notwendige medizinische Hilfe bei Mertlin dem Bader und einen uneigennützigen, liebevollen Beistand bei Diethelm, ihrem Gutsverwalter. Die heimliche Flucht in ein nahegelegenes Kloster, verbunden mit einer üppigen Geldspende für den Herrn im Himmel bewahrte sie vor der hechelnden Rache der mächtigen Kirchenfürsten in Rom. Ihr Aufenthalt innerhalb der sicheren Klostermauern garantierte ihr nicht nur einen gewissen Schutz, sondern heilte auch ihre körperlichen Wunden und veränderte ihr krasses menschenverachtendes Verhalten gegenüber ihren Mitmenschen. Das war es, nicht nur aber auch, was ihr wieder Kraft und Zuversicht gab ihre Zukunft neu zu gestalten. Wieder zurück zum Schloss zu Chrieschwitz.

Gelassen und entspannt erinnert sich Mertlin an das letzte gemeinsame Gespräch mit der Frau Baronin, genauer gesagt mit Christina. Das ist der Vorname der Baronin von und zu Kneisel. Beide kamen darin überein, das „Sie“ wegzulassen und auf ein vertrautes „Du“ überzugehen. Es bedurfte seinerseits bei dem Gespräch ob „Sie“ oder „Du“ erheblicher Redekunst von ihm, Christinas Frage nachdem - welchen Weg sie gehen soll – vertrauensvoll zu beantworten. Letztlich gewann er ihr Vertrauen damit, dass es weniger um ihren Weg gehen würde, sondern das es ein Weg wäre, den sie auch gemeinsam gehen könnten, um anderen Menschen, die unsere Hilfe brauchen, in die Arme zu nehmen. Ihr Schloss, das ihr und ihrem Mann viele Jahre als Herrschaftssitz diente, bekäme einen neuen Namen: „Haus der Hoffnung“. Es würde durch die uneigennützige Hilfe und Sachkenntnis von Mertlin dem Bader und Lynhart dem Mönch einen völlig anderen Verwendungszweck bekommen. Sie wollen dieses prächtige Gebäude mit den vielen, unterschiedlichen großen Räumlichkeiten so baulich umgestalten, dass zukünftig kranke und pflegebedürftige Frauen, Männer und Kinder medizinisch behandelt werden können. Für die alten und gebrechlichen Menschen, die dem Tod nahe sind, soll das Schloss oder wie es jetzt genannt wird: „Haus der Hoffnung“, ein ruhender Ort der Begegnung zwischen den Welten werden. Bei solchen Gedanken empfinden Mertlin und Lynhart tiefe Dankbarkeit darüber, Menschen gefunden zu haben, die sie mit innerer Überzeugung tatkräftig auf ihrem Weg begleiten werden. Beide hoffen, dass ihre Ideen, ihre Gedanken und ihr gemeinsames Handeln dazu beitragen werden, dass sich bei vielen Menschen ein anderes Verständnis und ein anderes Verhalten zu kranken und pflegebedürftigen Frauen, Männern und Kindern entwickeln möge. Aber nicht nur der Kopf war gefragt, sondern auch erhebliche finanzielle Mittel waren notwendig, um die ausgedachten Veränderungen für das gemein-same Ziel in die Praxis umsetzen zu können.

Allein die baulich notwendigen Um- und Ausbauarbeiten im und am Schloss, als auch die baulichen und bautechnischen Einrichtungen wie: eine zentrale Wasserver- und Entsorgung, eine hygienische Einrichtung für die zentrale Entsorgung der menschlichen Exkremente, Öfen und Heizungsschächte für die Beheizung der Krankenzimmer, Aufenthalts- und Verwaltungsräume, Wasch- und Baderäume und einiges andere mehr waren notwendig, um den reibungslosen Betrieb eines kleinen Krankenhauses zu ermöglichen.

Das allein verschlang bereits eine erhebliche Menge Geld und ohne der großzügigen Spende von Katarina wäre es bald knapp in der Kasse geworden. Die Zuschüsse der Stadtverwaltung Plauen waren mehr als knausrig und die kleinen Geldzuwendungen vom Abt des nahegelegenen Klosters waren zwar gern gesehen – etwas mehr Großzügigkeit wäre Christina sicherlich lieber gewesen. Was blieb, der Hilfeschrei zu Gott, er möge doch die Herzen derer erweichen, die etwas geben könnten, ohne dabei gleich in die Armut zu verfallen. Mit Erleichterung musste Mertlin daran denken, dass der Abt, trotz seines Geizes in Bezug auf Geldspenden, in großzügiger Weise sechs Nonnen seines Klosters, die in der Pflege von kranken Menschen bereits gute Kenntnisse hatten, dem „Haus der Hoffnung“ kostenfrei überließ solange, bis sich genügend Frauen aus der Stadt Plauen bereit erklären würden, im „Haus der Hoffnung“ zu arbeiten. Finanziell war das keine Belastung für die Hauskasse, weil weibliche Pflegekräfte für ihre Arbeit keinen Lohn erhielten. Notwendig waren nur Unterkunft und Verpflegung.

In diesen, von Krieg und Vandalismus geprägten Zeiten, überlegt Mertlin mit großer Sorge, wurde die Krankenpflege und die medizinische Versorgung von alten und gebrechlichen Menschen doch meistens von Frauen unterschiedlichen Alters geleistet, deren Ehemänner im Kriegsgetümmel ihr Leben verloren oder sie keinen heiratsfähigen Mann mangels Möglichkeiten in ihre Arme nehmen konnten. Widersinniger Weise wurde durch ideologische Vorstellungen und wortgewaltiger Beeinflussung den bürgerlichen Frauen, besser ich sage der Damenwelt mit einem gewissen Bildungsstand der Zugang zum Pflegeberuf strikt versperrt. Was auch immer die Männerwelt als Urheber dieser Verhaltensweise sich dabei auch gedacht haben mag oder denken möge. Was würde ein Mensch möglicherweise in zweihundert Jahren rückblickend auf unsere jetzige Zeit über uns denken? Ja was wohl?

Mein Berufsstand, also der Bader, übt seine Tätigkeit vorwiegend als so genannter „Fahrender“ aus. Die kranken Menschen mussten also warten, bis ein „Kundiger“ in ihrer Nähe war, um ihnen möglicherweise mit seinen wenigen Kenntnissen und den unzureichenden Hilfsmitteln und Medikamenten helfen zu können. Das bei den oft krassen Wetterbedingungen und mit einem Pferdegespann wahrlich so seine Probleme hat. Die Geburt eines Kindes oder eine große, unfallbedingte stark blutende Wunde können nicht warten, bis ein Bader den Weg zu einer hilfsbedürftigen Familie gefunden hat. Das Elend war und ist ein ständiger Begleiter in den Dörfern und oftmals blieb der Schrei zu Gott der einzige Ausweg, Gottes Hilfe möge ihnen in der Not beistehen.

Auch für die Errichtung von Krankenhäusern, so wie unser „Haus der Hoffnung“, muß Mertlin denken, für die so genannten Nichtreichen und Bedürftigen war und sind die Erfahrungen eines Baderchirurgen, mit seinen praktischen Kenntnissen im Bereich Heilkunde, eine tatkräftige Hilfe. Natürlich übernahmen die wissenschaftlich ausgebildeten Universitätsärzte für das wohlhabende Bürgertum in den Städten einen immer größeren Anteil dessen, was sonst überwiegend uns Badern vorbehalten blieb. Die Menschen auf den Dörfern und die vielen sehr armen Männer, Frauen und Kinder in den Städten waren und sind wegen ihres geringen Einkommens abhängig von einem Bader. Er ist preiswert, wenn es sich um eine Behandlung oder um einfache Medikamente handelt. Allerdings folgt dem Bader, trotz flehender Rufe zu Gott, nicht selten der Gevatter Tod, begleitet von unsäglichen Schmerzen, die vergebens auf Linderung hoffen.

Ich brauch mich im Vogtland nur umzuschauen, murmelt Mertlin leise vor sich hin. Der krasse Mangel an fachlich geschultem Pflegepersonal ist wirklich nicht zu übersehen. Wenn ich als Bader an meine vielen Rundreisen zu den Dörfern im Vogtland denke, ist nach wie vor das Defizit von uns ein wesentlicher Grund für die hohe Sterblichkeit bei kranken und verwundeten Männern und Frauen. Noch drastischer ist das Elend bei Kindern. Die oft allein und meist nur mit der mütterlichen Hilfe ein schweres Leben haben. Zwei von vier Kindern erleben selten das dritte Lebensjahr. Und ich weiß was ich sage, denkt Mertlin. In seiner langen Zeit als Baderchirurg konnte er das hautnah erleben.

Es war für uns alle keine leichte Zeit, grübelt Mertlin. Die Sorgenfalten von Christina, der Baronin und Besitzerin des Schlosses und jetzt das „Haus der Hoffnung“ zu einem Krankenhaus für die in einfachen Verhältnissen lebenden Landbevölkerung, waren in der Epoche des gesellschaftlichen Umbruchs nicht mehr zu übersehen. Natürlich versteht sie als gebildete Frau und Angehörige der feudalen Klasse eine Menge von Geld und Vermögen. Schon aus diesem Grund denkt Christina dabei nicht nur an das „Heute“ und „Morgen“, sondern meist ein ganzes Stück weiter in die Zukunft. Sehr zum Gesamtwohl des Krankenhauses. Diese Denk- und Verhaltensweise von Christina bewahrte alle Mitwirkenden am und im „Haus der Hoffnung“ davor, unerwartet vor der Tatsache zu stehen, dass Krankenhaus mangels Geld schließen zu müssen. Gottes Hilfe mag ja für die, die daran glauben hilfreich sein. Wenn es allerdings um das liebe Geld gehen sollte, scheint sich der alte Herr im Himmel in Unkenntnis zu wiegen.

Die Pflege und die medizinische Behandlung der leidenden und hilfsbedürftigen Männer, Frauen und Kinder unterschiedlichem Alters, aus den umliegenden Dörfern, ist sehr zeitaufwendig und anstrengend für alle im Schloss, die sich mit viel Fleiß und innerer Überzeugung kranken Menschen sach- und fachgerecht Tag und Nacht und ohne ein Wort der Klage widmen. Besonders für mich, denkt Mertlin. Schließlich bin ich nicht mehr der Jüngste. Am liebsten würde ich mich auf mein Altenteil zurückziehen, anstatt mit meinem Wagengespann weiterhin von Dorf zu Dorf zu fahren, um kranken Menschen zu helfen.

Früher, als er noch gut bei Kräften war, konnte ihn die Arbeit als Baderchirurg nicht viel anhaben. Aber jetzt? Seine neue Tätigkeit wird eine völlig andere Größenordnung vom Umfang her und natürlich auch inhaltlich einnehmen und nach dem Alter seines Körpers wird kein kranker Mensch fragen.

Von solchen Überlegungen angeregt, natürlich nicht nur aber auch, entstand aus Mertlins Gedanken der praktische Plan, aus dem altem, nutzlos gewordenem Schloss, ein Haus für kranke und gebrechliche Menschen zu gestalten. Auch Lynharts Gedanken, an jene Männer und Frauen zu denken, die in Ruhe und in Gottes Nähe sterben wollen, werden berücksichtigt und sollen in das Projekt mit einfließen.

Vertieft in solche grundsätzlichen Überlegungen zu möglichen Veränderungen in seinem jetzigen Leben, klingen im Ichbewusstsein andere Gedanken an, die ihm wieder Kraft und Zuversicht für das Kommende geben. Gedanken an seine Familie beginnen behutsam die Oberhand in seinen sorgenvollen Grübeleien an die Zukunft zu gewinnen.

Sein Schicksal hat es so gewollt, dass er trotz, oder möglicherweise wegen seines fortgeschrittenen Alters sich eine Frau in sein Herz fest eingekuschelt hat und dort für immer bleiben möchte. Gern erinnert er sich an die Zeit in der ihn, und zum ersten Mal in seinem stürmischen Leben als Baderchirurg, die wirkliche Liebe fesselte damit seine Gefühlswelt den Raum finden konnte, um sein Leben nachhaltig zu verändern. Traurig, so räumt er sich in seinen Gedanken ein, ist er darüber wirklich nicht. Seine Seele und sein Herz musste er dazu nicht fragen, die waren und sind sowieso glücklich darüber, dass sich aus einem Baderchirurg und Einzelkämpfer ein gefühlvoller Familienvater entwickelte.

Apropos Familienvater, überlegt er mit innerer Freude. Drei Kinder hat ihn Sieglinde geschenkt. Sieglinde - schmunzelt Mertlin, ist eine Frau, wie sie sich ein Mann nur erträumen kann. Lieb, umsichtig und vertrauensvoll, wie sie zweifelsfrei mit ihm das Familienleben meistert, ist sie trotz mancher unruhiger Zeiten stets der ruhende Pol in ihrem gemeinsamen Leben. Denn das jetzige Zeitgeschehen, in der sie ihre Familie gegründet hatten, ist wahrlich nicht vom Frieden gesegnet worden. Hart und unbarmherzig ist das Leben der Menschen und der schwarze Mann mit der ultimativen Sense wartete nur darauf, sein eigentliches Handwerk auszuüben. Ob ihm diese „Arbeit“ Freude bereitet, sieht man ihm nicht an. Vermutlich wäre er nicht besonders traurig, wenn die Menschen durch den Alterstod zu ihm kommen würden. So, wie es eigentlich der Herr im Himmel vorsieht. Die Abschlachterei der eigenen Art war und ist von Gott nicht vorgesehen. Wäre dem so, hätte er sich ja die mühsame Arbeit mit der Schaffung von Adam und Eva ja sparen können. Auch der hilfesuchende Schrei von vielen einfachen und armen Menschen zu Gott, er möge doch mit seiner Allmacht den Menschen helfen, sich friedlich zu verhalten, schien bei ihm kein Gehör zu finden. Vermutlich denkt er darüber nach, ausschließen kann man es vermutlich nicht, dass er bei der Schaffung der Erde und des Menschen vergaß, den Männern und Frauen die menschenverachtende Abschlachterei der eigenen Art bei einem Kriegsgeschehen sorgsam zu erklären. Obwohl er mit seinem Gebot: „ Du sollst nicht töten“ – eigentlich eine klare Anordnung gegeben hat. Vielleicht ist ihm dabei entgangen, dass seine menschlichen Zöglinge wenigstens das Lesen beherrschen sollten. Ja gut – wer konnte in der Zeit seiner mahnenden Worte, die er müßig in Stein gemeißelt haben soll, schon lesen? In der heutigen Zeit sind das auch nur wenige Männer. Bei Frauen sind es eher die Ausnahmen. Aber gut, warum soll ich mir darüber den Kopf zerbrechen. Ich werde das mal mit Lynhart diskutieren. Er sollte das ja eigentlich besser wissen als ich. Schließlich ist er ein Mönch und kein Baderchirurg.

Nach einer geraumen Weile meint er die Gedanken seiner Tochter Emma zu fühlen. Vermutlich hat sie Fragen zu ihrer Arbeit und ruft nach Hilfe und Unterstützung. Emma, so muß er denken, ist zwar nach ihrer Mutter geraten, ihre umsichtige und gefühlvolle Hinwendung zu kranken Menschen scheint doch mehr seinem Charakter zu entsprechen. Seit zwei Monaten wird im fast fertiggestellten Krankenhaus ein junges Mädchen behandelt. Sie ist ungefähr im gleichen Alter wie Emma. Seine Tochter kann sich kaum vom Krankenbett des schwer verletzten Kindes trennen. Laura, so heißt die Patientin, ist die einzige Tochter eines Pferdebauern aus Chrieschwitz und wie er aus vielen Gesprächen mit den Eltern weiß, ist Laura ihr „Ein und Alles“. Auf der Heimfahrt mit dem Leiterwagen, gezogen von zwei kräftigen braunen Kaltblütern, brach ein Rad am Wagen und der mit Heu vollbeladene Wagen kippte mit seiner schweren Last auf die Seite und rutsche dabei in den Seitengraben. Laura, wie immer bei solchen Fahrten, saß oben auf und viel dabei unglücklich mit dem Rücken gegen einen großen Randstein am Wassergraben. Die Wunde am unteren Rückenbereich ist nicht besonders gefährlich und Mertlin gelang es mit seiner Erfahrung bei solchen Verletzungen und einigen Heilmitteln zur Wundbehandlung, dass sich die Fleischwunde schließen konnte und ein sichtbarer Heilungsprozess in Gang gesetzt wurde. Was sie seit diesem Unfall nicht mehr bewegen kann, sind ihre Beine, obwohl keine sichtbare Verletzung zu erkennen war. Auch meinte Laura, sie würde ihre Beine nicht fühlen. Sie könnte sich in die Wade kneipen, ohne dabei etwas zu empfinden. Schmerzen hat sie keine, aber sie kann allein nicht aufstehen und selbständig laufen. Einer der Knechte von der Schreinerei zimmerte ihr ein einfaches kleines Fahrzeug, so eine Art Schubkarre mit vier Rädern, so dass Emma mit ihr „Ausflüge“ im Schlossgarten unternehmen kann. Alles in allem, denkt Mertlin, es gibt Schlimmeres in unseren heutigen Zeiten. Und das mit den Beinen wird sich bestimmt auch wieder einlenken. Jedenfalls versucht er mit aufmunterten Worten der Mutter von Laura das so zu erklären, die jeden Tag nach ihrer Tochter schaut, um zu sehen wie es ihr geht und wie sie ihr viel-leicht helfen kann.

Letztlich bleiben die Hoffnung und die Gebete zu Gott, dass sich das mit dem Laufen und der Gefühlslosigkeit in den Beinen wieder geben möge. Bei so einem Krankheitsbild wie bei Laura wird Mertlin schmerzhaft bewusst, wie wenig wir Menschen von uns selbst wissen. Wäre dem wirklich nicht so, würde manches Leid, schlimme Schmerzen und ein früher Tod möglicherweise vielen Männern, Frauen und Kindern erspart bleiben. Aber – eben aber!

So ein Krankheitsbild wie bei Laura, denkt Mertlin, könnte einem vermuten lassen, dass es so etwas wie eine Lähmung der Gliedmaßen geben würde, obwohl keine sichtbaren Verletzungen zu sehen sind. Bei solchen Gedanken verstärkt sich bei ihm der Eindruck, als würden seine Augen in ein dunkles Zimmer blicken in der Hoffnung, doch etwas erkennen zu können. Für die sichtbare und unsichtbare Funktionsfähigkeit des menschlichen Körpers muß es bestimmte Körperorgane geben, die eine entscheidende Rolle eben für die Beweglichkeit des Körpers spielen, grübelt Mertlin. Von Gott kann das nicht kommen. Der kümmert sich bestimmt um andere Ereignisse, die für ihn wichtiger sein könnten. Besser wird sein, ich werde bei meinem nächsten Besuch in Plauen mal mit einem Arzt darüber reden. Der könnte es möglicherweise wissen.

Gedanklich noch mit dem Krankheitsbild von Laura beschäftigt, fühlt er wieder die suchenden Gedanken seiner Tochter Emma. Sie ist ihr erstes gemeinsames Kind. Wenn er an den Tag ihrer Geburt denkt, fällt es ihm schwer seine Gefühle zu bändigen. Es ist ein Wunder und dabei denkt er sowohl mit dem Wissen eines Baderchirurgen als auch mit der tiefempfundenen Liebe zu seiner Frau Sieglinde.

Anna war mit ihren Gedanken tatsächlich bei ihrem Vater. Sie will mit ihm über ein generelles Problem sprechen. Die Lagerung der Patienten auf Strohsäcken mag möglicherweise weniger Aufwand und damit auch weniger Geld kosten, hilfreich und schonender für bettlägerige Patienten ist so eine stachlige Unterlage wirklich nicht. Ständig kommt es bei den Patienten zu schlimmen Entzündungen, weil die menschlichen Exkremente gar nicht so schnell entsorgt werden können wie sie anfallen und „daneben“ geht immer etwas.

An den unangenehmen Geruch im und am Bett will sie nicht denken. Besonders an warmen Tagen ist es schier unerträglich. Hier kann nur Papa helfen, denket sie hoffnungsvoll. Bei Christina, der Frau Baronin, kann sie sich jedes Gespräch sparen, wenn das Thema mit Geld verbunden sein sollte. Vor allem dann, wenn es ausgegeben werden müsste. Da wird sie plötzlich auf beiden Ohren schwerhörig.

Plötzlich spürt sie zwei sanfte Hände auf ihren Schultern. Aha, mein Vater. Es muß so was wie Telepathie geben. Kann natürlich auch purer Zufall sein, obwohl mein Vater meint, es gäbe keine Zufälle.

„Deine mentalen Rufe waren ja nicht mehr zu überhören, liebe Emma. Was bedrückt dich, oder ist etwas Ernstes mit deiner Patienten Laura geschehen? Wie kann ich dir helfen, wenn ich schon mal da bin. Bitte fass dich kurz, ich muß dringend zu Schwester Katarina. Sie hat, so glaube ich, ein ernstes Problem mit Lynhart. Er will und will nicht wieder in unsere Welt zurückkehren. Sein Körper ruht zwar brav auf dem Strohsack, aber sein Bewusstsein ist nicht bei ihm und vermutlich auf geistiger Wanderschaft. Entschuldige Emma, ich kann dir diesen Zustand nicht anders erklären. Soweit so gut - wieder zurück zu dir. Was bedrückt dich?“ „Danke Papa, dass du dir Zeit für mich nehmen kannst. Ich denke mit großer Sorge an unsere Patienten, die ständig im Bett auf dem Strohsack liegen müssen. Es wäre gut, sowohl für uns Pflegerinnen als auch für die schwer kranken Männer, Frauen und Kinder wenn es eine andere und leicht zu pflegende Bettunterlage geben würde. Was meinst du dazu?“ „“Natürlich kann ich dir dazu was sagen, ob es wirklich und nachhaltig helfen kann, weiß ich nicht. Durch meine praktische Tätigkeit als Baderchirurg habe ich in meinem Leben viel gesehen, bei dessen Anblick mir meist ziemlich übel wurde. Besonders Hilfreiches kann ich dir vermutlich nicht aufzeigen.“

Schau dich doch nur in unseren Dörfern oder meinetwegen auch in