DER STERN DES GESETZLOSEN - Christian Dörge - E-Book

DER STERN DES GESETZLOSEN E-Book

Christian Dörge

0,0
8,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Aus dem ganzen County strömen die Menschen zusammen: Bonny Rivers, die Tochter des reichsten Ranchers, feiert Hochzeit. Aber das Fest nimmt ein böses Ende: Ein Mann wird ermordet, und die aufgewiegelte Menge schreit nach Lynch-Justiz... Dan Harland tötete Jim Lancaster – kein Zweifel. Aber Dan erschoss ihn nicht hinterrücks: Lancaster wollte sterben, deshalb hatte er den berühmten Revolverhelden herausgefordert... Mitten in der Wüste sitzt der alte Brose Randle in einem Ruderboot, steif, aufrecht – und tot. Nicht weit vom Boot entfernt liegt ein Indianer-Skalp, reich mit Perlen bestickt. Gregory Quist, der berühmte Eisenbahn-Detektiv, entdeckt den Toten und den Skalp – und wird vom Sheriff als Mörder des alten Randle festgenommen... Die von Christian Dörge zusammengestellte und herausgegebene Sammlung DER STERN DES GESETZLOSEN enthält drei ausgesuchte und klassische Spitzen-Romane US-amerikanischer Autoren, perfekten Lesestoff also für alle Western-Fans und Leser der Reihe APEX WESTERN: Stern der Gesetzlosen von Frank C. Robertson, Rache für Lancaster von H. A. De Rosso sowie Der Skalp des Comanchen von William C. MacDonald.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



CHRISTIAN DÖRGE (Hrsg.)

Der Stern des Gesetzlosen

Drei Romane in einem Band

Apex Western, Band 28

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

Frank C. Robertson: STERN DER GESETZLOSEN (Rope Crazy) 

H. A. De Rosso: RACHE FÜR LANCASTER (44) 

William C. MacDonald: DER SKALP DES COMANCHEN (The Comanche Scalp) 

 

Das Buch

Aus dem ganzen County strömen die Menschen zusammen: Bonny Rivers, die Tochter des reichsten Ranchers, feiert Hochzeit. Aber das Fest nimmt ein böses Ende: Ein Mann wird ermordet, und die aufgewiegelte Menge schreit nach Lynch-Justiz...

Dan Harland tötete Jim Lancaster – kein Zweifel. Aber Dan erschoss ihn nicht hinterrücks: Lancaster wollte sterben, deshalb hatte er den berühmten Revolverhelden herausgefordert...

Mitten in der Wüste sitzt der alte Brose Randle in einem Ruderboot, steif, aufrecht – und tot. Nicht weit vom Boot entfernt liegt ein Indianer-Skalp, reich mit Perlen bestickt.

Gregory Quist, der berühmte Eisenbahn-Detektiv, entdeckt den Toten und den Skalp – und wird vom Sheriff als Mörder des alten Randle festgenommen...

Die von Christian Dörge zusammengestellte und herausgegebene Sammlung Der Stern des Gesetzlosen enthält drei ausgesuchte und klassische Spitzen-Romane US-amerikanischer Autoren, perfekten Lesestoff also für alle Western-Fans und Leser der Reihe APEX WESTERN: Stern der Gesetzlosen von Frank C. Robertson, Rache für Lancaster von H. A. De Rosso sowie Der Skalp des Comanchen von William C. MacDonald.

  Frank C. Robertson: STERN DER GESETZLOSEN (Rope Crazy)

 

 

 

 

Erstes Kapitel

 

 

Es war am Morgen ihres Hochzeitstages. Bonnie Rivers ärgerte sich ein wenig über ihre nervös zitternden Hände und die merkwürdige Trockenheit im Mund. Gewiss, es war ganz natürlich, wenn eine Frau am wichtigsten Tag ihres Lebens Herzklopfen hatte; aber sie hätte es nie für möglich gehalten, dass Tony Rivers Tochter, deren ruhige Nerven in ganz Indian Summit fast sprichwörtlich waren, so schrecklich aufgeregt sein konnte.

Seit einer Stunde war sie fertig, hielt sich aber noch immer in ihrem Zimmer auf. Nur Nancy Teyte, ihr englisches Mädchen, leistete ihr Gesellschaft. Das dumpfe Stimmengemurmel im Erdgeschoss wurde gelegentlich von lautem Gelächter unterbrochen. Dann und wann kamen Einspänner mit verspäteten Gästen von Indian Summit auf den Hof gefahren, oder man hörte den Begrüßungsschrei eines von einem weit entfernten Weidelager heranpreschenden Cowboys, der noch vor der Morgendämmerung aufgebrochen war. Denn er musste erst zu der Ranch reiten, auf der er beschäftigt war, seinen Sonntagsstaat anziehen und sein Pferd wechseln. Anschließend ritt er dann im Galopp weiter zu Tony Rivers Ranch, um die Hochzeit des beliebtesten Mädchens im Bezirk zu sehen und an der Feier teilzunehmen.

Bonnie wusste, ohne eitel zu sein, dass sie viele Verehrer hatte. Sie war hübsch, und praktisch gab es in weiter Runde keinen unverheirateten Mann, der ihr noch keinen Heiratsantrag gemacht hatte. Doch Bonnie schrieb dies dem Umstand zu, dass hübsche Mädchen in diesem dünn besiedelten Land rar waren und dass sie die Tochter und Erbin des reichsten Ranchers in diesem Landstrich war.

Nancy zog die Gardine zur Seite und blickte auf den Hof hinunter.

»Hunderte von Leuten, Bonnie«, kicherte sie. »Ein richtiger Zirkus.«

Schade, dachte Bonnie verärgert. Da machen sie einen Lärm um meine Hochzeit, als sei es eine Zirkusveranstaltung. Um ein Uhr sollte die Feier beginnen. Ein großes Festmahl war vorgesehen. An einem Bratspieß brutzelte bereits unter freiem Himmel ein ganzer Stier. Anschließend sollte ein Rodeo stattfinden, zu dem Tony Rivers wertvolle Preise gestiftet hatte. Für den Abend waren wieder ein Essen und eine Tanzveranstaltung geplant, die sicher bis Mitternacht dauern würde. So hatten es ihr Vater und ihr Bräutigam gewünscht; und sie verstand nicht, warum sie ihre eigene Hochzeit so gleichgültig ließ.

Nancy konnte nicht vom Fenster wegbleiben und rief: »Oh, dort ist dein Mann, Bonnie. Drückt gerade Bankier Summers die Hand. Kannst wirklich stolz sein, einen Mann wie ihn zu bekommen, das ist die reine Wahrheit.«

Ja, dachte Bonnie, ich sollte stolz sein, die Frau von Louis Dabling zu werden. Louis Dabling, neben meinem Vater der wichtigste Mann im Bezirk. Der alte Tony Rivers wollte sich sobald wie möglich zur Ruhe setzen und Louis die Zügel in die Hand geben. Tony würde dann weit und breit den größten Besitz haben. Vielleicht hatte er Louis Dabling deshalb behutsam, aber beharrlich den Rücken gestärkt.

Nancys lebhaftes Interesse veranlasste Bonnie, ebenfalls ans Fenster zu treten und ihrer Freundin über die Schulter zu blicken. Sie war erstaunt über die Anzahl der Leute, doch ihr Blick konzentrierte sich sofort auf ihren Bräutigam. Louis Dabling war ein Mann, der aus der Menge herausragte. Obwohl achtunddreißig Jahre alt, war er der stattlichste Mann von allen. Einen Meter dreiundachtzig groß, kräftig gebaut, bewegte er sich so geschmeidig, dass die anderen Männer nahezu tollpatschig wirkten. Er hatte ein markantes Gesicht mit regelmäßigen Zügen; unter seinem sorgfältig gestutzten, schwarzen Schnurrbart blitzten schneeweiße Zähne auf, wenn er lächelte. Und er lächelte oft. Seine vollen, leicht sinnlich wirkenden Lippen verrieten ein ungestümes Temperament. Bonnie wusste, dass Louis auch brutal sein konnte. Einmal hätte er fast ein Pferd erschossen, nur weil es ihn geärgert hatte.

Sein Lächeln verstärkte sich jetzt, als er von einer Gruppe zur anderen ging, scherzhafte Bemerkungen machte, Hände schüttelte und die Glückwünsche entgegennahm.

»Ein hübscher Mann!«, stellte Nancy unumwunden fest.

Bonnie lächelte, aber ihr Lächeln wirkte starr.

Louis trug einen eleganten schwarzen Anzug aus feinstem Wollstoff - die Maßarbeit der besten Schneiderwerkstatt von San Francisco. Das plissierte, weiße Hemd mit dem steifen Kragen hätte bei einem anderen Rindermann komisch gewirkt, doch zu seiner Erscheinung passte es tadellos. Seine auf Hochglanz polierten Stiefel und der perlgraue Dreißig-Dollar-Stetsonhut, dessen Krempe ein schmales, schwarzes Band zierte, wiesen ihn als Mann des Westens aus.

Dann sah Bonnie Louis auf seinen Bruder George zugehen. Auch George war festlich gekleidet, schien sich aber in seinem Anzug nicht recht wohlzufühlen. Sein sorgenvolles Gesicht ließ Bonnie an ihre eigenen Schwierigkeiten denken. George war nur zwei Jahre älter als Louis und wurde von seinen Bekannten seit Jahren freundschaftlich Old Batch genannt, doch bei Louis wäre es niemandem in den Sinn gekommen, ihm einen ähnlichen Spitznamen zu geben. George war kleiner als sein Bruder Louis und ging, obwohl kräftig gebaut, ein wenig nach vorn gebeugt. Seine Haare wurden schon dünn und er wirkte etwas müde.

Eine Woge der Sympathie für George überflutete Bonnie. Solange sie zurückdenken konnte, hatte sie ihn stets Onkel George genannt. Als kleines Mädchen hatte sie oft auf seinem Schoß gesessen, und er vergaß nie, ihr zum Geburtstag oder zum Weihnachtsfest Geschenke mitzubringen. Aber es wäre ihr niemals eingefallen, zu Louis Onkel zu sagen, und sie hatte auch nie auf seinem Schoß gesessen - auch später nicht, als er ihr den Hof zu machen begann. Tatsächlich hatte Louis von ihrer Existenz erst Kenntnis genommen, als sie eine junge hübsche Frau war.

»Fertig, Bonnie?«, hörte sie ihren Vater rufen. »Ich denke, jetzt sind alle da. Die Leute werden schon langsam ungeduldig.«

»Eine Minute noch, Papa!«

Sie warf noch einen letzten Blick in den Spiegel, wusste aber schon, dass Nancy nicht die winzigste Kleinigkeit übersehen hatte. Ihr Hochzeitskleid war aus weißem Satin, sah betont schlicht und gerade deshalb umso eleganter aus. Ihr brünettes Haar wurde im Nacken von zwei mit Juwelen besetzten spanischen Haarspangen gehalten und war von einem dünnen, durchsichtigen Schleier bedeckt.

»Du warst noch nie so hübsch, Bonnie!«, rief Nancy fast ehrfürchtig aus.

Bonnie atmete tief ein und bat ihren Vater ins Zimmer.

Der alte Tony Rivers war der typische Weststaatler. Er stammte aber aus Illinois, war ohne einen Dollar in der Tasche, fast noch ein Junge, nach Westen gezogen und hatte es durch harte Arbeit zu Wohlstand und Ansehen gebracht. Er hatte erst sehr spät geheiratet, denn er wollte seiner Frau alles bieten können. Bonnie dachte manchmal, dass er sie deshalb so sehr gedrängt habe, Louis Dabling zu heiraten. Er selbst hatte nur wenige glückliche Jahre gehabt, bevor seine Frau starb, und danach hatte seine ganze Liebe seiner einzigen Tochter gegolten. Er war ein eher kleiner Mann mit einem schmalen, langen Gesicht, das der Kinnbart, den er trug, noch schmaler machte. Obwohl er schon auf die Siebzig zuging, war er noch immer flink und lebhaft.

»Du siehst fabelhaft aus, Darling!«, sagte er atemlos. »Heute ist der Tag, den ich lange erwartet habe - dich mit einem erfolgreichen Mann gut verheiratet zu sehen.«

»Ich weiß nicht, weshalb du mich unbedingt loswerden willst, Papa.«

»Wie kannst du so etwas sagen?«, fragte er lächelnd. »Ich habe eine Überraschung für dich, aber weil ich sie Louis schon verraten habe, sollst du es auch gleich wissen.«

»Und was ist es?«

»Ich werde die Ranch Louis übergeben. Die beiden Grundstücke gehören ohnehin zusammen. Du kannst also hierbleiben - und so verliere ich dich nicht!«

Bonnie gab ihm einen Kuss auf die Wange, schon allein deshalb, weil er es von ihr erwartete. Sie verehrte ihren Vater, aber nun wusste sie einwandfrei, dass sie Louis Dabling nur deshalb heiratete, um ihren Vater glücklich zu wissen.

Nancy huschte die Treppe hinunter, um das Erscheinen der Braut zu melden. Als Vater und Tochter auf der Treppe erschienen, spielte Mrs. Pickett auf dem Harmonium im Wohnzimmer den Hochzeitsmarsch. Damit alle zusehen konnten, fand die Hochzeitszeremonie auf dem Hof der Ranch statt. Harry Dodd, der Reverend, und der Bräutigam warteten neben einem kleinen Tisch, über den ein scharlachrotes Tuch gedeckt war. George Dabling war der Brautführer, und Bonnie hatte Nancy zur Brautjungfer bestimmt, die jetzt vor Aufregung zitterte.

Als sie ihre Plätze eingenommen hatten, blickte Bonnie flüchtig zu George hinüber und glaubte einen Moment, dass er ihren Blick mitleidig erwiderte. Aber dann blickte er rasch zur Seite. Sie fragte sich, was mit ihm los sein mochte.

Starr lauschte sie der Stimme des Reverends. Wie aus weiter Ferne vernahm sie die Worte: »Nun seid ihr Mann und Frau.« Dann wurde sie von Louis geküsst, und der saure, scharfe Whiskygeruch seines Atems stieß sie ab. Zum ersten Mal merkte sie, dass er vielleicht schon morgens ziemlich viel trank.

Dann wurde sie von ihrem Vater geküsst, und nach ihm machte eine lange Reihe Männer ihr Recht geltend, die Braut küssen zu dürfen. Dann überkam sie die schreckliche Gewissheit, dass sie nun eine verheiratete Frau war.

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

Essen! Essen für jeden: für reiche Gäste aus der Stadt, für verwahrlost aussehende Utah-Indianer! Neben seiner Tochter war Gastfreundschaft der größte Stolz des alten Ranchers, und dies war der Tag, an dem Überfluss herrschte.

Es war auch ein großer Tag für den alten Lum Baxter, den Ranchkoch, dem Tony Rivers, was das Essen betraf, völlig freie Hand gelassen hatte. Lum Baxter hatte auch die Anzahl seiner Hilfskräfte bestimmen können, und dass er nur das Beste vom Besten servieren durfte, verstand sich am Rande. Normalerweise war Baxter ein mürrischer, griesgrämiger Sauertopf, doch heute strahlte er jeden mit einem engelhaften Lächeln an.

Für eine derartige Menge war natürlich kein Tisch groß genug. Praktisch wie man war, hatte man provisorische Tische aus Holzplatten und Sägeböcken hergerichtet und wählte sein Essen im Stehen aus und stellte sich so lange in der Reihe auf, bis man bedient wurde und mit dicken gegrillten Rindersteaks und all den anderen Delikatessen auf dem Teller zu seinem Platz zurückkehren konnte, wo immer dieser war. Es gab zwar eine Menge Stühle und Bänke, aber die wurden nur von älteren Leuten benutzt. Die jungen Leute, Mädchen und Jungen, zogen es vor, nach Cowboyart mit gekreuzten Beinen im Gras zu sitzen.

Ein halbes Dutzend junge Mädchen aus Indian Summit schleppten Tassen und schwere Kaffeekrüge herum - eine Tätigkeit, die ihnen fünf Dollar einbrachte und außerdem die Bekanntschaft eines heiratslustigen Mannes. Die ungefähr zwanzig Indianer fassten-ihr Essen so schnell wie es kein Weißer fertigbrachte, und sie stellten sich immer wieder an, um nachzufassen und von neuem zu schmausen, wobei sie genießerisch grunzten.

Bonnies frischgebackener Ehemann blieb stets in ihrer Nähe, bemühte sich um sie, war sehr aufmerksam und behandelte sie wie eine Lady, die sich noch nie im Leben die Hände schmutzig gemacht hatte. Sie hätte ihm dankbar sein müssen, versuchte es auch zu sein, aber seine ständige Nähe machte sie eher nervös. Dann verwirrten sie auch die Blicke George Dablings. Er war einer der wenigen Männer gewesen, vielleicht sogar der einzige Mann, der sie nicht geküsst hatte. Warum nur?, fragte sie sich.

Ein paar junge Männer beendeten ihre Mahlzeit schon früher; sie eilten zu den neuen Korrals, wo das Rodeo stattfinden sollte. Sie brannten darauf, ihre Geschicklichkeit unter Beweis zu stellen. Schon jetzt wurden Wetten abgeschlossen. Die Leute der Rivers- und der Dabling-Ranch waren in der Überzahl und hatten somit nichts zu fürchten, und beachtliche Geldsummen waren bereits auf die möglichen Sieger gewettet worden.

Bonnie sah voller Ungeduld dem Ende des Essens entgegen und hasste sich selbst, weil sie sich nichts mehr wünschte, als dass Louis sich einen anderen Platz suchen möchte. Er hatte es zwar schon länger aufgegeben, wilde Pferde zuzureiten, aber er galt noch immer als der beste Lassowerfer im Land. Vermutlich brannte er darauf, diesen Titel zu verteidigen.

Sie wusste nicht, was mit ihr los war. Schließlich hatte sie Louis nicht nur geheiratet, um ihrem Vater einen Gefallen zu tun. Sie hatte ihn immer bewundert, hatte sich von seinem Aussehen und seiner ganzen Art beeindrucken lassen und sich eingeredet, dass sie ihn liebte. Anderenfalls hätte sie diese Feier niemals mitgemacht.

Louis hatte gerade einem Mädchen zugerufen, Bonnie eine Tasse Kaffee zu bringen, die sie gar nicht wollte, als jemand mit lauter Stimme sagte: »He, seht mal! Freunde!«

Zwei Reiter zügelten draußen auf der Straße etwas verblüfft ihre Pferde. Sie waren anscheinend überrascht, sich plötzlich einer so großen Volksversammlung gegenüber zu sehen. Dann sah Tony Rivers die Reiter und winkte ihnen zu. »Kommt her!«, rief er. »Hier könnt ihr euch mal den Bauch vollschlagen.«

Die Männer zögerten, bis Tony auf sie zu ging und mit ihnen sprach. Endlich konnte er sie überreden abzusitzen und sie kamen selbstbewusst auf die Tische zu.

Es waren junge Männer, die aussahen wie Cowboys in ihren Arbeitskleidern. Einer war größer, dunkler und jünger als der andere und ihre Stiefel und Hüte waren mit Straßenstaub bedeckt.

Bonnie hörte Louis etwas sagen. Seine Stimme erschreckte sie mehr als seine Worte.

»Seht mal, wie die Pferde die Köpfe hängen lassen. Die müssen von weit herkommen - und schnell.«

Die rüde Art wie er das sagte, stand in solchem Kontrast zu dem sanften Ton, den er ihr gegenüber angeschlagen hatte, dass sie ihn noch einmal anstarrte. Ohne zu überlegen, sagte sie: »Kann sein, dass es ein weiter Weg war - dass sie sich Zeit genommen haben.«

Die Fremden waren nur noch wenige Schritte entfernt.

»Legt eine Pause ein, Leute«, sagte Tony Rivers. »Wir feiern hier ein Fest zu Ehren meiner Tochter, die heute geheiratet hat. Ihr müsst die Braut kennenlernen. Das ist meine Tochter. Mrs. Dabling, Mr. - Mr. - ach, Sie haben mir ja noch nicht Ihre Namen gesagt.«

Der große, dunklere und jüngere Mann antwortete querst. Es dauerte aber doch eine halbe Minute, ehe er seine Zurückhaltung auf gab und sagte:

»Mein Name ist Chester Rowe. Das hier ist mein Schwager M-Marion Chadman. Wir freuen uns, Sie kennenzulernen, Ma’am.« Sein Blick begegnete Bonnies Augen, und es sah so aus, als könne keiner von beiden wieder wegblicken.

Tony brach das betroffene Schweigen und sagte: »Das ist Louis Dabling, mein Schwiegersohn.«

Der junge Rowe riss seinen Blick von Bonnie los, und beide wurden ein wenig rot. »Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr. Dabling«, sagte er.

»Gleichfalls«, antwortete Louis kurz angebunden.

»H-Herzlichen Glückwunsch«, stammelte Chester Rowe.

Bonnie murmelte: »Vielen Dank.«

Louis sagte: »Ihr Schwager scheint nicht sehr gesprächig zu sein. Wo kommt ihr her?« Seine Stimme klang alles andere als freundlich. Ein Sheriff hätte einen Vagabunden nicht mehr von oben herab ausfragen können.

Chadman antwortete zuerst. »Aus Oklahoma.« Seine Stimme klang so störrisch wie sein Gesicht aussah. Er hatte die Art eines Mannes, der in der Gegend herumgestoßen worden war und nun allen misstraute, die er nicht kannte.

Sheriff Chris Lundeen, ein großer, zottig aussehender Däne, kam auf die Gruppe zu und beäugte neugierig die beiden Fremden. Chadman erwiderte seinen Blick mit offensichtlicher Nervosität.

»Ziemlich weit von euerm eigenen Misthaufen weg, was?«, bohrte Louis weiter.

»Das ist doch unser gutes Recht oder nicht?«, schnaufte Chadman und reckte seine kurze, widerborstige Gestalt.

»Vielleicht«, entgegnete Louis gedehnt. »Vielleicht auch nicht.«

»Ist auch egal«, brummte Chadman ärgerlich, »ich dachte mir doch gleich, dass das die falsche Art ist, uns zum Essen einzuladen. Komm, Chet, lass uns hier abhauen.«

»Moment mal«, sagte der alte Tony. »Wenn ich jemanden zum Essen einlade, dann meine ich das auch. Ihr braucht euch nicht so aufzuspielen, Fremder.«

Aber Chadman ging schon auf sein Pferd zu. Chet Rowe sagte verlegen: »Tut mir leid, doch Shorty ist nun mal hitzköpfig...«

»Mir tut es auch leid«, sagte Bonnie. »Mein Mann hat kein Recht, Sie wie gewöhnliche Verbrecher zu behandeln.«

Dablings Augen glitzerten ärgerlich. »Wer garantiert uns, dass sie das nicht sind?« begehrte er auf.

Tony Rivers sagte kalt: »Ich denke, dass du meine Gäste beleidigt hast.«

»Gäste? Ha!« Louis lachte laut.

Chadman schien umkehren zu wollen, doch Rowe griff nach seinem Arm, und sie ritten davon.

Die gelöste, beschwingte Stimmung war verflogen. Zum ersten Mal war Bonnie Zeugin eines Wortwechsels zwischen ihrem Vater und Louis geworden. Louis war im Unrecht. Es sah aus, als verliere Louis Dabling keine Zeit, seine Autorität hervorzukehren, seit er in die River Ranch eingeheiratet hatte. Bonnie schrieb das dem Whisky zu, den er reichlich getrunken hatte, aber sie gab sich keine Mühe, ihren Unmut zu verbergen.

Sie wunderte sich etwas, dass ihr Vater sein Temperament gezügelt hatte. Seine Lippen waren nur noch ein Strich, als er plötzlich wegging.

»Entschuldige, ich muss ins Haus«, sagte Bonnie und machte kehrt, ohne Louis die Chance zu geben, noch etwas zu sagen. Doch er lachte hinter ihr her und sie spürte, wie sie rote Ohren bekam.

Nancy Teyte war in der Wohnung und stichelte: »Oh, Sie sehen ja so wütend aus, Mrs. Dabling. Zum ersten Mal habe ich Gelegenheit, Ihren richtigen Namen auszusprechen.«

»Dann auch zum letzten Mal, Nancy! Für dich war und bleibe ich immer noch Bonnie - verstanden?«

Nancy lächelte geziert und sagte: »Vielen Dank, Mrs. Dabling.«

Bonnie ging in ihr Zimmer, knallte die Tür zu, nahm in ihrem Sessel Platz und trommelte mit den Fingern nervös auf dessen Seitenlehnen. Es war närrisch, sich über solche Kleinigkeiten aufzuregen; besonders an ihrem Hochzeitstag. Am liebsten wäre sie - wenn schon denn schon - sofort in die Flitterwochen gereist, aber Louis und ihr Vater waren übereingekommen, dass sie wenigstens bis zum nächsten Tag bleiben mussten, bis die Feierlichkeiten vorüber waren.

Anscheinend vermisste sie niemand; die weite Hoffläche leerte sich, und Bonnie konnte die Rufe in der näheren Umgebung der Korrals hören, wo das Rodeo seinen Anfang genommen hatte.

Sie stand auf und trat ans Fenster. Ein Reiter bog eben im wilden Galopp von der Straße ab. Er zügelte in Nähe der Korrals sein Pferd und war im Handumdrehen von einer Anzahl neugieriger, fragender Leute umgeben. Er sprach mit Sheriff Lundeen. Bonnie kannte den Mann. Es war Fay Conklin, ein Aushilfscowboy, der sich nie ein Bein ausriss und meistens in Indian Summit und den Städten der Umgebung herumstromerte.

Die Nachricht, die er überbracht hatte, schien wichtig zu sein, denn immer mehr Leute kamen hinzu. Bonnie raffte ihr Kleid zusammen und rannte die Treppe hinunter.

George Dabling war der erste Mann, der ihr zuhörte.

»Was ist passiert?«

»Der alte Purvis soll ermordet worden sein«, antwortete George.

Bonnie kannte Purvis sehr gut, ein mürrischer Einsiedler, der in einer Bruchbude außerhalb von Indian Summit wohnte und von dem es hieß, dass er irgendwo ein stattliches Vermögen versteckt hätte. Er hasste die Menschen und er war auch der einzige, der nicht zur Hochzeitsfeier gekommen war.

»Oh, Gott!«, rief Bonnie, »ausgerechnet heute!«

»Für den Mörder war die Gelegenheit günstig, Bonnie«, sagte George und krauste die Stirn. »Die Stadt so gut wie verlassen, und Purvis allein.«

»Und woher weiß es Fay Conklin?«

»Er und Dob Wilhoit waren auf dem Weg hierher und kamen an Purvis’ Hütte vorbei. Irgendetwas fiel ihnen auf. Die Tür stand wohl offen. Sie stiegen vom Pferd und fanden Purvis mit eingeschlagenem Schädel. Dob blieb bei der Leiche zurück, während Fay aufs Pferd sprang und zum Sheriff galoppierte.«

»Sie kamen ein wenig spät, nicht wahr?« Bonnie wusste nicht, weshalb sie die Frage stellte, aber sie musste plötzlich an diese beiden Fremden denken und wusste irgendwie, dass sie zumindest verdächtig waren.

»Ja«, sagte George, »die beiden Burschen jagten in den Tintics wilde Pferde und hörten gestern von deiner Hochzeit. Fay meinte, sie wären lieber hundert Meilen geritten, als nicht dabei zu sein.«

»Ich fühle mich sehr geschmeichelt«, erwiderte Bonnie eisig. Conklin und Wilhoit waren zwei Taugenichtse, auf deren Gesellschaft sie gern verzichtete, selbst wenn sie sie als Gäste behandelte.

Sie hörte Sheriff Lundeen mit seiner bedächtigen Stimme sagen: »Begleiten Sie mich, Fay. Ich möchte mir die Hütte und die Leiche ansehen.«

Der Sheriff sah Bonnie und murmelte: »Tut mir leid, dass das ausgerechnet heute passieren musste, Bonnie. Aber lassen Sie sich die Feier nicht verderben. Ich denke, Sie kommen auch ohne mich aus.«

Dann hörte sie jemand ausrufen: »Ich wette, dass die beiden Fremden etwas davon wissen...« Sie drehte sich nach dem Sprecher um und sah Louis den Kopf schütteln, worauf der Mann verstummte.

Jemand brachte Sheriff Lundeen das Pferd. Er stieg auf und sagte warnend: »Wir wissen noch nichts - nur dass der alte Purvis tot ist. Also hat es keinen Sinn, diesen oder jenen zu verdächtigen. Ich reite erst einmal hin und sehe nach.«

Bonnie wartete, bis die Gäste sich wieder verstreuten. Doch erst als Lundeen verschwunden war, kam Bewegung in sie, und dann versammelten sie sich um Louis Dabling. Alle redeten von den beiden Fremden und wollten eine Stellungnahme von Louis hören.

Louis stieg, ein bisschen wackelig, auf einen Wagen. Sein Gesicht war rot und seine Stimme ungewöhnlich hart, als er rief: »Hört her, Männer! Der Sheriff hat gesagt, dass wir uns um nichts kümmern und weitermachen sollen, während er die Ermittlungen aufnimmt. Aber während er das tut und wir hier weiterfeiern, können die kaltblütigen Mörder, die einen armen, hilflosen Mann ermordet haben, in aller Ruhe verschwinden!«

»Jagt sie!«, brüllte die Menge.

Louis brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Heute ist mein Hochzeitstag und nichts liegt mir ferner, als meiner Frau diesen Tag zu verderben. Aber zwei Mörder zur Strecke zu bringen, das ist eine Angelegenheit, die keinen Aufschub duldet!«

George Dabling meldete sich zu Wort. »Woher willst du wissen, dass die beiden Fremden die Mörder waren?«, fragte er scharf.

»Weil wir sie alle mit eigenen Augen gesehen haben!«, konterte Louis. »Warum hatten die Burschen es so eilig, zu verschwinden, kaum dass ich ihnen ein paar harmlose Fragen stellte? Hätten sie sich sonst so rasch wieder aus dem Staub gemacht, wenn sie ein reines Gewissen gehabt hätten!«

George wollte protestieren, aber die Männer brüllten zustimmend.

Auch Tony Rivers kletterte auf den Wagen und wirkte leicht komisch, als er mit einem Fuß auf dem Tritt ausrutschte und beinahe stürzte.

»Ich sage, dass wir nicht warten können!«, schrie Louis. »Bevor dieser langweilige Sheriff sich noch herumgedreht hat, sind die Burschen über alle Berge! Schnappt euch die Pferde, Jungs, und vorwärts!«

Bonnie wusste nur, dass sie etwas sagte, doch ihre Stimme ging einfach in dem Lärm unter. Sie sah ihren Vater, der die Arme schwenkte und sich vergeblich Gehör zu verschaffen suchte. Sie rannte auf Louis zu, als dieser gerade einen Fuß in den Steigbügel setzen wollte, und griff nach seinem Arm.

»Bist du verrückt geworden, Louis?«, schrie sie ihn an. »Kein Mensch weiß, ob die beiden Männer etwas mit dem Mord zu tun haben!«

Er beugte sich zu ihr herunter, küsste sie auf den Mund, ehe sie noch den Kopf zur Seite drehen konnte, und lachte höhnisch: »Zum Teufel mit ihnen! Das ist doch nur eine Frage der Auslegung. Wir brauchen jetzt, was, was diese Party wieder in Schwung bringt. Damit das ein Tag wird, an den sich jeder noch lange erinnert.«

»Du bist entweder betrunken oder verrückt, Louis! Was hast du vor?«

»Ich?« Sein Gelächter brach ab. »Ich mag diese beiden Vögel nicht. Am wenigsten den, dem fast die Augen herausfielen, als er dich anglotzte. Sie haben den alten Purvis erschlagen und beraubt, das steht eisern fest. Sollen wir etwa warten, bis so ein Langweiler wie Sheriff Lundeen ihnen sagt, dass sie dafür bezahlen müssen, was sie angerichtet haben?«

»Wenn du diesen Männern etwas tust, Louis Dabling«, sagte Bonnie, »dann will ich nie im Leben mehr etwas mit dir zu tun haben!«

»Du vergisst, Schätzchen, dass wir bereits verheiratet sind«, höhnte er, riss seinen Arm los und stieg in den Sattel.

George Dabling rief: »Mach dich nicht selbst zum Narren, Louis!«

Aber Louis antwortete nicht. Er stieß einen Schrei, aus und galoppierte an der Spitze von ungefähr vierzig Männern davon, die ihm bereitwillig folgten.

 

 

 

Drittes Kapitel

 

 

Bonnie wandte sich hilflos an George Dabling.

»Was ist nur in ihn gefahren, George?«

»Es würde zu lange dauern, dir das zu erklären, Bonnie«, sagte er mit rätselhafter Betonung.

»Aber es gibt doch nichts, was diese beiden Männer mit dem Mord in Verbindung bringen könnte. Es steht ja nicht einmal fest, ob sie überhaupt schon länger hier waren.«

George Dabling zuckte die Achseln.

Tony Rivers, Bankier Summers, Reverend Dodd und eine Reihe älterer Männer standen zusammen. Es sah aus, als seien die meisten jüngeren Leute Louis gefolgt.

Bonnie ging zu den älteren Männern hinüber.

»Der größte Blödsinn, den ich jemals erlebt habe«, sagte Tony ärgerlich. »Keinerlei Beweise! Am besten, wir reiten hinter diesen Hitzköpfen her und passen auf, dass nichts passiert.«

»Warte, Bruder«, sagte Reverend Dodd salbungsvoll. »Wir wollen nichts überstürzen.« Er war ein langer, hagerer Mann mit einem Kopf, der nicht viel größer war als ein dicker Apfel, einem langen, dünnen Hals und ebenso langen, dünnen Beinen, die in einer zu kurzen Hose steckten. Er war noch verhältnismäßig fremd in dieser Gegend; Bonnie hatte ihn erst einmal gesehen - als Louis ihn ins Haus brachte. Sie fand ihn nicht besonders sympathisch. Wäre es nach ihr gegangen, hätte sie sich für den freundlichen alten Mister Burton entschieden, den Pfarrer der Gemeindekirche von Indian Summit. Aber Louis und Burton waren nie besonders gut miteinander ausgekommen, und Louis hat es konsequent abgelehnt, Burton die Trauung vornehmen zu lassen. Stattdessen hatte er Reverend Dodd eingeführt, der behauptete, eine Art Missionar zu sein.

»Ich sehe keinen Grund zur Besorgnis«, fuhr Dodd mit seiner schrillen Stimme fort. »Schlimmstenfalls wird Mr. Dabling die beiden Männer zurückbringen, damit sie Rede und Antwort stehen. Wenn sie unschuldig sind, müssen sie diese kleine Unannehmlichkeit in Kauf nehmen. Sind sie hingegen schuldig, dann wurde mit der Festnahme die Flucht verhindert.«

»Das klingt ganz vernünftig, Tony«, sagte Bankier Summers.

»Vielleicht ist es nicht verkehrt«, murmelte Tony, »aber es gefällt mir trotzdem nicht. Louis hat die beiden Männer einwandfrei beleidigt, und nun ärgert er sich, weil einer etwas sagte. Ich möchte verdammt nicht in ihrer Haut stecken.«

»Oh, wie können Sie so etwas denken«, sagte Dodd, »Mr. Dabling ist doch ein Christ.«

Bonnie fragte sich, ob Dodd selbst daran glaubte oder ob das nur die Meinung war, die Louis für fünfzig Dollar gekauft hatte.

Sie rannte ins Haus und, von Nancy gefolgt, in ihr Zimmer.

»Und ausgerechnet heute muss jemand umgebracht werden«, jammerte Nancy.

»Hilf mir aus diesen Kleidern«, befahl Bonnie. »Ich ziehe meinen Reitdress an!«

»Aber das schickt sich doch nicht, Bonnie!«, sagte Nancy entrüstet.

»Hast du nicht gehört?«, fragte Bonnie mit ungewohnt scharfer Stimme.

Sie kleidete sich um. Als sie auf den Hof kam, entdeckte sie dort George, der sie mit ihrem Pferd und seinem eigenen erwartete.

»Ich dachte mir schon, dass du reiten wolltest«, sagte er. »Die anderen haben sich noch immer nicht entschlossen.«

Als sie in Begleitung Georges davonritt, hörte sie ihren Vater rufen, hielt aber nicht an.

»Es besteht die Möglichkeit, dass diese Burschen davonkommen«, sagte George und fügte hinzu: »Besonders dann, wenn sie schuldig sind.«

»Dann könnte man auch Fay Conklin und Dob Wilhoit verdächtigen!«

»Sei nicht unfair, Bonnie«, sagte George. »Wenn auch die beiden nichts taugen, so brauchen sie lange noch keine Mörder zu sein.«

Bonnie hüllte sich in Schweigen. Natürlich würde George niemals etwas gegen seinen Bruder sagen. Sie dachte an die beiden fremden Reiter. Sie wusste schon nicht mehr, wie der streitlustige Mann aussah, aber das Gesicht von Chet Rowe sah sie noch deutlich vor sich. Irgendein Funke war von diesem Mann auf sie übergesprungen und hatte ein Gefühl in ihr ausgelöst, das zu einer Frau, die vor wenigen Stunden geheiratet hatte, nicht recht passen wollte. Aber was war schon dabei? Er gefiel ihr und war ihr sympathisch, das war alles.

Sie war sich auch darüber im Klaren, dass Louis sich von einer Seite gezeigt hatte, die ihr bisher unbekannt gewesen war. Und doch kam ihr das nicht neu vor; sie hatte immer geahnt, dass dieser aufbrausend-brutale Charakterzug existierte, und doch mochte sie jetzt nicht daran denken. Plötzlich wurde ihr klar, dass der Mann an ihrer Seite mehr wusste, als er zugeben wollte. Sie war wütend auf George, der aber in diesem Augenblick völlig ahnungslos war.

Der Mob, das Reiteraufgebot oder wie man es auch nennen mochte, war schon außer Sicht, bevor sie noch die Ranch verlassen hatten. Bonnie stellte fest, dass die Spuren auf der Straße plötzlich aufhörten, nahm aber an, dass George es ebenfalls bemerkt hatte.

»Sie sind abgebogen«, sagte Bonnie.

Beide lenkten ihre Pferde ungefähr hundert Schritte zurück. Dann sahen sie die nach links abzweigenden Hufspuren. Sie führten über eine saftige Wiese, die in einen Canyon mündete, der bis zu einem Bergrücken reichte. Sie konnten eine Meile weit sehen, aber es war niemand im Blickfeld.

»Da hat ein Feuer gebrannt«, sagte George, auf einen dunklen Fleck deutend. »Diese Narren müssen allen Ernstes hier angehalten und gekocht haben.«

Seine Bemerkung verriet Bonnie, dass er die Männer für schuldig hielt.

»Sie müssen entweder überrumpelt oder davongejagt worden sein«, meinte George.

»Dann weiter!«, sagte Bonnie ungeduldig.

Nach drei Meilen hatten sie den Höhenrücken erreicht. Zur rechten Hand war eine lange, bewaldete Anhöhe. Direkt vor ihnen war ein Bergkamm, bewaldet auf der nördlichen und felsig auf der südlichen Seite.

Die Hufspuren teilten sich. Eine Gruppe war den bewaldeten Hang hinaufgeritten, die anderen beiden verschwanden rechts und links hinter dem schmalen Bergkamm.

»Sie haben sie aus den Augen verloren«, sagte George, »sonst hätten sie sich nicht getrennt.«

»Und in welche Richtung reiten wir?«

George zuckte die Achseln.

Bonnie sagte: »Ich habe Louis erklärt, dass ich nichts mehr von ihm wissen will, falls diesen Männern etwas geschieht.«

»Es wird ihnen nichts passieren«, sagte George und fügte hinzu: »Sollte sich aber heraussteilen, dass sie doch etwas damit zu tun haben, dann...«

»Dann?«, fragte Bonnie rasch.

Seine Antwort jagte ihr einen Schauer den Rücken hinunter.

»Wie ich meinen Bruder kenne - werden sie hängen!«

 

Es war nicht leicht, in dem saftigen Gras der Anhöhe die Spuren zu erkennen. Nachdem sie fünf Meilen geritten waren, verlor Bonnie den Mut. Sie hielten an und suchten die Landschaft ab.

George deutete in nördliche Richtung. »Dort ist die Gruppe, die auf dem Rückweg in den Canyon hineinritt.«

Die Reiter waren nicht weit von der Stelle entfernt, wo die große Gruppe sich aufgeteilt hatte. Anscheinend waren sie auf der anderen Seite des Bergkamms wieder zusammengekommen und hatten angenommen, dass die Beute sich ihrem Zugriff entzogen hatte.

»Und wo sind die Leute, die in diese Richtung geritten sind?«, fragte Bonnie.

»Sie können über den Berg hinweg und dann den Hooligan Creek entlanggeritten sein.«

»Wir werden sehen«, murmelte Bonnie.

Sie ritten fast eine Meile durch das Gehölz zurück, dann den steil ansteigenden Berg hinauf auf den schmalen, zum Hooligan Creek führenden Pass zu.

»Ich habe recht behalten«, sagte George. »Sie sind diesen Trail hinaufgeritten.«

Der Trail wurde so schmal, dass sie hintereinander reiten mussten. Bonnie ritt voraus. Nach einer halben Meile hatten sie den Pass erreicht, der rechts und links von hohen, gerade gewachsenen Tannen flankiert war.

Bonnie zügelte ihr Pferd, starrte und stieß einen unterdrückten Schrei aus. Sie brachte kein Wort hervor und deutete nur stumm auf zwei Tannen, unter deren Ästen ein Paar leblose Körper baumelten. Marion Chadman und Chester Rowe!

»Mein Gott!«, murmelte George. Und dann noch einmal: »Mein Gott!«

»Und du«, sagte Bonnie schließlich, »hast nicht einmal versucht, Louis zurückzuhalten.«

»Ich habe es versucht, Bonnie, aber wenn Louis in Rage ist, hört er auf keinen Menschen.«

»Du hast nichts unternommen«, sagte Bonnie. »Keiner hat es versucht. Dieser Prediger ist genauso schuldig wie jeder andere!« Sie gab ihrem Pferd die Sporen und sprengte auf die beiden Tannen zu. Sie zwang sich, die Gestalten anzublicken, deren Gesichter dunkel unterlaufen waren. »Das ist Mord!«, keuchte sie.

»Sie sind tot«, war alles, was George in 'diesem Augenblick einfiel.

»Willst du sie vielleicht hängen lassen?«, fauchte sie ihn an. »Hast du kein Messer?«

»Ja«, sagte er skeptisch. »Aber ich glaube nicht, dass noch Hoffnung...«

»Gib mir dein Messer!«, kommandierte sie.

Er gab es ihr. Sie schnitt hastig die Stricke durch, kippte nach dem letzten Schnitt über das Sattelhorn und begann hemmungslos zu weinen. Ihre Augen waren geschlossen, aber sie sah noch immer die Gesichter, besonders deutlich das Gesicht des jungen, gutaussehenden Chester Rowe.

George Dabling sagte hilflos: »Nimm dir das nicht so zu Herzen, Bonnie. Es war nicht dein Fehler. Sie müssen einen Schuldbeweis gefunden haben, sonst hätten sie das nicht getan...«

Nach einer Weile hatte sie sich halbwegs wieder in der Gewalt. Verwundert sah George sie vom Pferd steigen. Sie legte die Leichen ordentlich hin und verdeckte ihre Gesichter mit ihren Hüten. Zu Georges Erstaunen durchsuchte sie die Taschen der Toten und brachte zwei Briefe zum Vorschein. Der Brief aus Chadmans Tasche begann: Lieber Ehemann und endete mit: Deine Dich immer liebende Frau Margaret. Er war voller Zärtlichkeiten, Hoffnung auf die Zukunft und erwähnte auch ein kleines Mädchen, das gerade den Namen seines Vaters aussprechen konnte.

Der Brief aus Chet Rowes Tasche war kürzer und geschäftsmäßiger. Lieber Bruder, begann er, ich hoffe, dass der Bezirk Uintah so gut ist, wie es immer heißt. Trotz der Dürre sind die Rinder in einem guten Zustand. Ich werde sie auf den Trail bringen, sobald Du etwas Gutes ausgekundschaftet hast. Sage Shorty, dass es Margaret und dem Baby bestens geht. Dein Bruder Owen Rowe.

Bonnie steckte die Briefe in die Tasche ihrer Reitbluse, kniete nieder und streifte den Ring von Marion Chadmans Finger. Shorty hatte Chet Rowe ihn gerufen. Chet hatte ihn unter diesem Namen vorstellen wollen, sich aber dann für seinen richtigen Namen entschieden. Wegen dieser kleinen Verzögerung hatte Chet ein wenig gestottert, und dieses Stottern war für Louis der Schuldbeweis gewesen.

»Du bleibst bei ihnen«, sagte Bonnie zu George, saß auch schon auf ihrem Pferd und galoppierte zur Ranch zurück.

 

 

 

Viertes Kapitel

 

 

Es war bereits dunkel, als sie zu Hause eintraf. Sie wunderte sich, dass die meisten Gäste noch da waren. Louis kam ihr mit raschen Schritten entgegen. Seine Wildheit war verflogen, und seine Stimme war honigsüß, als er sagte: »Wo warst du denn, mein kleiner Liebling?«

Bonnie blickte an ihm vorbei und sah Sheriff Lundeen. Dann sagte sie zu Louis: »Hast du dem Sheriff schon verraten, wo du die beiden Leute gehängt hast?« Ihre Stimme klang vollkommen ausdruckslos.

»Wenn du die Burschen meinst, die den armen alten Purvis erschlagen haben, dann wird der Sheriff sie schon finden.«

»Und wenn ich sie finde«, polterte der Sheriff, »dann wird jemand schwitzen!«

»Ich weiß nicht, was Sie unternehmen wollen, Sheriff«, sagte Louis Dabling geschmeidig. »Diese alte silberne Uhr von Purvis, die wir in ihrer Satteltasche gefunden haben, ist doch Beweis genug. Jemand hat sie auf geknüpft, aber keiner scheint zu wissen, wer es war. Wir waren drei Gruppen, keine will die beiden Burschen gesehen haben, bis wir sie dann am Ast baumeln sahen.«

Bonnie wusste, dass er nur zu seinen Gunsten redete, und sie hasste ihn wie eine Frau einen Mann nur hassen konnte. Er wollte ihr begreiflich machen, dass die beiden Männer schuldig waren, und er wollte dem Sheriff zu verstehen geben, dass er nichts mehr unternehmen könne. Eine der drei Gruppen hatte sie gehängt, aber weil es keiner gewesen sein wollte, gab es auch keinen Beweis. Louis war, wie üblich, raffiniert vorgegangen.

»Sie hatten Ihre Hände im Spiel, Dabling!«, sagte der Sheriff. »Und wenn es eine Möglichkeit gibt, Ihnen einen Strick zu drehen, werde ich keine Sekunde zögern!«

»Was geschehen ist, das ist nun mal geschehen, Sheriff«, lenkte der Prediger ein. »Sicher hat nur die Gerechtigkeit ihren Lauf genommen, wenn man vielleicht an der Art und Weise vielleicht etwas aussetzen kann. Aber es geht dock nickt, dass dieser feierliche Tag von Gewalttaten entweiht wird. Bedenken Sie doch, wir feiern noch immer das Glück zweier Menschen, die sich die Hand zum heiligen Bund der Ehe gereicht haben«, sagte er salbungsvoll.

Aber Bonnie würde die Hälfte ihres Lebens dafür hingegeben haben, wenn diese Hochzeit niemals stattgefunden hätte. Sie sagte mit leiser Stimme: »Ich habe die Stricke durchgeschnitten, Sheriff... George bewacht die Leichen. An der Wasserscheide am Hooligan Creek.«

»Was hast du dort gesucht?«, brauste Louis auf.

»Wir folgten euch. Unglücklicherweise konnten wir euch nicht mehr rechtzeitig einholen. Es ist nicht gerade angenehm, feststellen zu müssen, dass man mit einem Mörder verheiratet ist, Mr. Dabling!«

Die plötzliche Stille kam wie ein Luftzug aus eisigen Regionen. Bonnie sprach da ein Wort aus, mit dem man bisher immer nur die gelynchten Männer belegt hatte.

Louis fand zuerst seine Stimme wieder. Sein Hals und sein Nacken waren feuerrot.

»Mörder?« Er schluckte. »Wie - wie soll ich das verstehen?«

»Wie es gemeint ist«, antwortete der Sheriff mit Nachdruck.

Louis wirbelte herum. »Sie verdammter...« Und schon hatte er dem Sheriff einen Kinnhaken versetzt, der ihn zu Boden warf.

Lundeen war ein langsamer, bedächtiger Mann. Er richtete sich auf und griff nach seinem Revolver. Doch ehe er ziehen konnte, hatte Tommy Orr, einer von Dablings Leuten, ihm den Revolverlauf auf den Hinterkopf geschlagen. Der Sheriff verlor das Bewusstsein und ging erneut zu Boden.

Protestierende Stimmen wurden laut, darunter die Stimme des Predigers. Der Rest von Louis Dablings Leuten nahm hinter dem Boss und Tommy Orr Aufstellung. Man sah ihren Gesichtern an, dass es hartgesottene Burschen waren.

»Ich wäre auch allein mit ihm fertig geworden, Tommy!«, herrschte Louis den Mann an.

Tony Rivers stand neben seiner Tochter. Sein Gesicht sah blass und eingefallen aus, doch seine Stimme klang energisch: »Geht nach Hause! Überflüssig zu sagen, dass heute Abend kein Tanz stattfindet.«

Louis griff plötzlich nach Bonnies Arm. »Ich denke, das betrifft auch uns, mein Schatz. Ich wollte eigentlich hierbleiben, aber jetzt fahren wir nach Hause.«

Bonnie blickte ihren Vater an, der sie seinerseits abwartend ansah. Dann sagte Bonnie: »Ich habe dich gewarnt, Louis. Selbstverständlich werde ich dich nicht begleiten - und ich will dich nie mehr Wiedersehen!«

Er packte ihr Handgelenk. »Hallo, wie spricht denn eine Frau mit ihrem Mann?«

»Lass mich los, du Mörder! Ich verachte dich!«

Sein Gesicht verfärbte sich vor Wut. Zu spät erkannte er, dass ihm sein brutaler, sadistischer Instinkt nicht allein eine hübsche Frau, sondern auch ihr Vermögen gekostet hatte, das ihm eigentlich jetzt gehört hätte.

»Du bist meine Frau«, sagte er heiser, »und ich rate dir in deinem eigenen Interesse, sobald wie möglich wieder zur Vernunft zu kommen. Können Sie nicht mal mit ihr reden, Reverend?«

»Seien Sie unbesorgt, Bruder Dabling«, posaunte Dodd. »Natürlich ist sie nervös und durcheinander. Ich gebe Ihnen den Rat, samt Ihren Männern die Ranch zu verlassen und morgen wiederzukommen. Ich werde mit Ihrer Frau sprechen, morgen wird sie viele Dinge in einem anderen Licht sehen.«

»Sie elender Schuft!«, fauchte Bonnie Dodd an. »Sie werden es nicht wagen, mit mir zu sprechen.«

»Meine liebe...«

»Sie haben gehört, was meine Tochter sagt«, unterbrach ihn Tony Rivers. »Verschwindet ihr beide schleunigst von meiner Ranch und lasst euch nicht mehr blicken!«

Bonnie atmete erleichtert auf. Sie hatte schon gefürchtet, dass sich auch ihr Vater gegen sie stellen würde; aber nun wusste sie, dass sie sich darüber keine Sorgen zu machen brauchte. Ein Bruch mit Louis Dabling musste Schwierigkeiten nach sich ziehen, und sie hätte ihrem Vater keinen Vorwurf machen können, wenn er dem aus dem Weg gegangen wäre. Sie wusste, wie sehr ihrem Vater daran gelegen war, die beiden Grundstücke zu vereinen. Doch wenn es darauf ankam, stand er ihr rückhaltlos zur Seite und verteidigte sie gegen alle Welt.

»Sie haben einen großen Fehler gemacht, Tony«, zischte Louis

Dabling. »Diese Demütigung werde ich niemals auf mir sitzen lassen. Entweder kommt meine Frau zu mir oder ich mache euch die Hölle heiß, dass euch Hören und Sehen vergeht!«

»Verschwinden Sie!«, donnerte Tony Rivers.

»Reiten wir!«, rief Louis seinen Männern zu.

Sie waren verschwunden, ehe Sheriff Lundeen sein Bewusstsein wiedererlangte.

Tony Rivers rief seinen Vormann, Alex Cameron, herbei und befahl: »Helfen Sie mir den Sheriff ins Haus bringen.«

Cameron beeilte sich, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Immerhin war er auch einer der Männer gewesen, die hinter Chadman und Rowe her geritten waren. Er war fünfundfünfzig Jahre alt und hatte schon lange Zeit als Vormann gearbeitet.

Als sie den Sheriff ins Haus gebracht hatten, brachen die meisten Gäste auf. Sie waren zu einer fröhlichen Hochzeitsfeier gekommen, doch selbst wenn sie in dieser Hinsicht nicht auf ihre Kosten gekommen waren, hatten sie immerhin einige Aufregungen erlebt, und so waren die meisten zufrieden.

Der Sheriff fuhr mit der Hand über die Beule an seinem Kopf und murmelte: »Louis muss ganz hübsch zugeschlagen haben...«

»Das war Tommy Orrs Revolverkolben«, sagte Rivers.

»Wer bin ich eigentlich?«, schnaufte der Sheriff. »Ich werde dafür sorgen, dass diese ganze verdammte Bande im Gefängnis landet!«

Tony Rivers wandte sich an seinen Vormann.

»Was ist wirklich passiert, Alex?«

»Das weiß ich nicht«, antwortete Cameron. »Ich habe die Burschen nicht gesehen - und ich habe auch nichts damit zu tun.«

»Ich will wissen, was wirklich passiert ist!«

»Und ich sage Ihnen, dass ich es nicht weiß. Wir teilten uns in drei Gruppen. Jede andere der beiden Gruppen kann es gewesen sein, aber alle streiten es ab.«

»Wer hat die Uhr gefunden?«

»Ich habe sie zuerst bei Louis Dabling gesehen, aber er und die Männer, die mit ihm waren, behaupteten, sie hätten die Leichen schon baumeln sehen. Dann durchsuchten sie die Satteltaschen und fanden die Uhr.«

»Wer war in Dablings Gruppe?«

»Die meisten seiner eigenen Leute, aber beschwören kann ich es nicht.«

»Und bevor sich die drei Gruppen trennten, waren sich alle darüber einig, dass keine - was immer auch geschehen mochte - die andere verraten würde.«

Alex Cameron bestritt es nicht.

»Nun wissen wir, dass Louis der Anführer der Gruppe war, die die beiden Männer gehängt hat, aber das kann niemals bewiesen werden. Ich sage es nicht gern, Sheriff, aber da habe ich mir wirklich einen schönen Schwiegersohn ausgesucht!«

»Was werden Sie mit Louis Dabling anfangen, Sheriff?«, fragte jemand. »Er und ein anderer haben Sie doch niedergeschlagen, nicht wahr?«

Der Sheriff antwortete mit seiner bedächtigen Stimme: »Ich könnte sie natürlich einsperren, aber...« Er sprach den Satz nicht zu Ende. »Ich habe meine eigenen Ansichten, und wenn ich Louis Dabling einsperre, dann kommt er so bald nicht mehr heraus.«

Bonnie beugte sich impulsiv vor und drückte dem Sheriff einen Kuss auf die Stirn.

Die Verletzung des Sheriffs war keineswegs ernst. Eine halbe Stunde später ritt er in Begleitung von einigen Männern aus der Stadt los, um die Leichen der gelynchten Männer zu holen. Bonnie hatte ihm die Briefe nicht gezeigt; das hatte Zeit bis morgen. Dann saß sie, allein mit ihrem Vater, im Wohnzimmer, während Nancy Teyte das Dienstpersonal bei den Aufräumungsarbeiten beaufsichtigte.

»Ja, das war schon ein seltsamer Hochzeitstag, Bonnie«, sagte Tony sarkastisch. »Ich wollte, er hätte niemals stattgefunden...«

»Ich ganz bestimmt auch«, entgegnete Bonnie wütend. »Ich frage mich jetzt, wie ich so dumm sein konnte, Louis Dabling zu heiraten!«

»Daran denke ich jetzt nicht. Ohne diese Morde wäre alles in Ordnung gewesen.«

»Nein, Papa, es musste so kommen. Ich hätte Louis früher oder später doch verlassen. Und ich bin froh, dass es vorbei ist, ehe es noch richtig begonnen hatte.«

»Louis hatte eine Lektion nötig, Bonnie, und ich habe dir das Rückgrat gestärkt, wie man so sagt. Aber ihr beide könnt alles wieder einrenken. Immerhin war es kein richtiger Mord. Die Männer waren schuldig, und wenn dann ein paar hitzköpfige Leute Zusammenkommen, dann...«

Bonnie starrte ihren Vater erstaunt an. Sie hatte nicht mit dieser Wendung gerechnet.

»Nein, Papa, Louis und ich hätten niemals heiraten dürfen. Er hat mir heute seinen wahren Charakter gezeigt - ich verabscheue ihn. Und diese beiden Männer waren keine Mörder!«

»Doch, sie waren es, Bonnie. Ihre Handlungen haben das einwandfrei bewiesen. Wie sollte die silberne Uhr in ihren Besitz gekommen sein? Die Uhr wurde bei ihnen gefunden und keiner hatte Gelegenheit, sie ihnen in die Tasche zu stecken. Nein, Bonnie, du darfst dich nicht von deinem Mitleid blenden lassen.«

Es hat keinen Sinn, dachte Bonnie und sagte nur: »Ich gehe jetzt zu Bett. Gute Nacht.«

Sie las die Briefe noch einmal und bereitete sich darauf vor, einen Brief an Owen Rowe zu schreiben. Er musste seiner Schwester die traurige Nachricht schonend beibringen, sie konnte es nicht tun. Sie schrieb ihm frei und offen, was geschehen war, und sie verschwieg lediglich die Tatsache, dass sie an jenem Tag ihre Hochzeit gefeiert hatte. Ich glaube, hier wurde ein Fehler gemacht, kam sie zum Schluss, aber ich stehe mit dieser Ansicht allein da. Bitte, übermitteln Sie Ihrer Schwester mein aufrichtiges Beileid... 

Die letzte Zeile hätte sie beinahe durchgestrichen, weil ihr alles so unzulänglich und nichtssagend vorkam. Aber sie ließ die Worte stehen und unterschrieb mit Bonnie. Sie überlegte. Ihr Name lautete jetzt Dabling, aber das war ein Name, den sie nie mehr benutzen würde. So schrieb sie dann: Bonnie Rivers.

 

 

 

Fünftes Kapitel

 

 

Am nächsten Morgen ritt Bonnie nach Indian Summit. Der gestrige Tag erschien ihr wie ein einziger Alptraum, einschließlich ihrer Hochzeit mit Louis Dabling. Ihr Vater hatte sie begleiten wollen, aber sie wollte niemand um sich haben. Ich werde jetzt immer allein sein, dachte sie, aber gewisse Dinge müssen noch geregelt werden.

Zunächst stieg sie vor der Post vom Pferd und gab ihren Brief auf. Dann ritt sie weiter zum Gerichtsgebäude und suchte Sheriff Lundeens Office auf.

Lundeen hatte beachtliche Beulen an Kopf und Kinn.

»Treten Sie ein«, sagte er, als Bonnie im Türrahmen stehenblieb. »Was kann ich für Sie tun, Bonnie?«

»Nichts, Sheriff. Ich dachte nur, diese Briefe würden Sie interessieren.«

Lundeen krauste die Stirn, als er die Briefe las und fragte: »Warum haben Sie mir die nicht schon gestern gegeben, Bonnie?«

»Ich wollte an den Bruder dieses Jungen schreiben«, entgegnete sie. »Ich wollte ihm mitteilen, dass es eine Person gibt, die nicht an die Schuld dieser beiden Männer glaubt.«

»Ja, wir stehen fast allein«, murmelte der Sheriff.

»Dann sind Sie der gleichen Ansicht, Sheriff?«, fragte Bonnie begierig.

»Ich möchte keineswegs die Hand für sie ins Feuer legen. Vielleicht sind sie schuldig. Alles deutet daraufhin. Sie kamen an der Hütte des alten Purvis vorbei und sahen ihn dort sitzen. Praktisch fanden sie eine verlassene Stadt vor. Ihn zu berauben, war denkbar einfach. Dann kam etwas dazwischen, und sie mussten ihn umbringen. Aber sie fanden nur seine silberne Uhr. Als sie auf der Ranch eintrafen und diesen Haufen Gäste sahen, wurden sie unsicher und verschwanden so rasch sie konnten. Einige Meilen weiter machten sie ein Feuer und dachten über ihre Situation nach. Dann bogen sie auch, aus keinem ersichtlichen Grund, von der Straße ab und ritten in die Berge hinein. - Das hier war heute Morgen an meine Tür geheftet.«

Er gab ihr einen Papierfetzen, auf dem mit ungelenker Handschrift geschrieben war: Kurz vor ihrem Tod haben diese beiden Burschen alles gestanden. Ich war dabei und muss es wissen.

»Natürlich«, sagte der Sheriff, »kann man damit vor Gericht absolut nichts anfangen.«

»Aber Sie haben noch immer Zweifel - nicht wahr, Sheriff?«

»Aber keinen Beweis«, war die seufzende Erwiderung.

Bonnie beugte sich über den Schreibtisch. »Es gibt eine Möglichkeit«, sagte sie mit gedämpfter Stimme. »Fay Conklin und Dob Wilhoit können Purvis ermordet haben. Als sie die beiden Fremden sahen, steckten sie die Uhr in deren Satteltasche und ritten zur Ranch hinaus, um die Mordnachricht zu verbreiten.«

Der Sheriff stand auf und machte aus seiner Erregung keinen Hehl. »Das ist eine wilde Vermutung, Bonnie«, sagte er gereizt. »Diese Behauptung stützt sich buchstäblich auf nichts. Sie könnten wegen Verleumdung vor Gericht kommen.«

Sie fuhr verwegen fort: »Diese Fremden haben von Purvis unmöglich etwas gewusst. In ihren Augen hat er ausgesehen wie ein alter heruntergekommener Schürfer, der er ja auch war. Wie hätte ihnen da der Gedanke kommen sollen, ihn umzubringen? Zu rauben gab es bei ihm nichts. Aber Conklin und Wilhoit sind genau die Typen, die an die wilden Gerüchte um das versteckte Geld des alten Mannes glaubten. Ich kenne sie gut genug, um zu wissen, dass sie niemals mit großer Verspätung dort eingetroffen wären, wo es umsonst zu essen und zu trinken gibt. Da hätten sie schon etwas anderes im Sinn haben müssen. Etwas viel Wichtigeres.«

»Ich habe den gleichen Gedanken verfolgt«, gab Lundeen zu. »Aber wir können nichts beweisen. Bis jetzt haben sie eine weiße Weste.«

»Aber wenn sie schuldig sind, dann sind Rowe und Chadman unschuldig. Und damit sind die Männer, die sie aufgehängt haben, Mörder.«

»Und Sie sind davon überzeugt, dass Ihr Mann zu diesen Leuten gehört...«

»Ich weiß es.«

»Und was haben Sie mit Louis vor?«

»Ich werde alles tun, was ich kann, um ihn bloßzustellen.«

Der Sheriff trat ans Fenster, blieb dort eine Minute und machte wieder kehrt. Er ging auf Bonnie zu und legte eine Hand auf ihre Schulter. »Geben Sie es auf, Bonnie«, sagte er mit schwerer Stimme. »Sie wollen gegen Dabling kämpfen und ziehen Ihren Vater mit hinein. Streitigkeiten zwischen zwei derart großen Ranchen können einen blutigen Krieg auslösen. Es ist zwar meine Pflicht, die Verbrecher der Gerechtigkeit zu übergeben; aber es ist auch meine Pflicht, den Frieden zu wahren. Auch von daher müssen wir die Sache betrachten.«

»Und Conklin und Wilhoit sollen trotz einem Mord davonkommen?«

»Ich werde sie beobachten, mehr kann ich im Augenblick nicht tun. Vor allem darf niemand wissen, dass wir zwei bestimmte Personen verdächtigen, Bonnie. Versprechen Sie mir das? Wir müssen verhüten, dass die beiden Kerle unnötig misstrauisch werden.«

Sie nickte. Sie hatte sich ohnehin kaum etwas anderes vorgestellt. Sie wollte sich gerade verabschieden, als George Dabling eintrat.

»Hier hätte ich dich nicht erwartet, Bonnie«, sagte er verlegen.

»Ich wollte gerade gehen.«

»Warte, ich muss noch mit dir reden.« Er wandte sich an den Sheriff. »Haben Sie schon irgendetwas unternommen?«

»Heute Nachmittag finden zwei getrennte Untersuchungen statt. Es wird über Purvis und Rowe und Chadman verhandelt. Ich habe die Angehörigen benachrichtigt.«

»Wenn ich etwas tun kann«, murmelte George, »dann geben Sie mir Nachricht.«

Bonnie musterte George neugierig. Trotz ihres Hasses auf seinen Bruder konnte sie George nach wie vor gut leiden. Es tat ihr leid, sein sympathisches Gesicht so besorgt zu sehen. Erst vor vierundzwanzig Stunden hatte sie Louis Dabling die Hand zum Ehebund gereicht und nun hasste sie schon allein seinen Namen. Sie hätte es nie für möglich gehalten, dass ihre ganze Vorstellung von Liebe und Treue wie ein Kartenhaus einstürzen könnte.

Sie ging mit George zu den Pferden, und er sagte zu ihr: »Ich hoffe, deine Gefühle haben sich geändert, Bonnie.«

»Meine Gefühle für Louis? Pah! Ich will dich nicht belügen, George, weil ich hoffe, dass du noch immer mein Freund bist. Ich verabscheue Louis von ganzem Herzen und ganzer Seele. Ich glaube, dass er diese beiden Menschen nur deshalb aufgehängt hat, weil es ihm Spaß machte, jemand sterben zu sehen!«

»Das ist sehr hart, Bonnie.«

»Ich denke, es ist die Wahrheit. Und du denkst es im Grunde auch, George.«

»Er ist mein Bruder.«

»Ja, er ist dein Bruder, aber dich habe ich immer Onkel George genannt. Ich glaube, du hast mich gern. Du hättest dich über unsere Hochzeit freuen müssen. Sicher war ich die ganze Zeit blind. Es war dir nicht recht, mich als die Frau deines Bruders zu sehen. Stimmt das?«

Er scharrte verlegen mit seinen Füßen, sah plötzlich sehr verstört aus und sagte heiser: »Es stimmt, Bonnie. Du solltest ihn nicht heiraten - aber das hat einen völlig anderen Grund. Ich habe es dir noch nie gesagt, aber - ich liebe dich.«

»Oh, mein Gott!«, entfuhr es Bonnie. Ihr wurde schlagartig klar, wie wenig sie vom Leben und von den Männern wusste.

»Verstehe mich nicht falsch«, bat er. »Ich kenne deine Gefühle zu mir und hätte dich niemals gebeten, meine Frau zu werden. Ich weiß, dass ich in deinen Augen immer ein alter Narr war. Aber ich war in einer schrecklichen Klemme, als mir klar wurde, dass du Louis liebtest.«

Bonnie sagte schlicht: »Ich habe von dir immer mehr gehalten als von Louis, George, aber das war eher eine Art Zuneigung - eine Zuneigung, wie ich sie für meinen Vater empfinde. Ich weiß nicht, was du mir jetzt bedeutest, George. Ich denke, du hast die ganze Zeit gewusst, dass ich mit Louis niemals glücklich werden konnte.«

Er nickte. »So ist es. Aber du siehst doch ein, dass ich schweigen musste. Wie arrogant, herrschsüchtig und sadistisch Louis sein kann, das weiß niemand so gut wie ich.« Seine Stimme sank fast zu einem Flüstern herab. »Er ist so grausam, dass er manchmal geradezu gefährlich ist. Er genießt es, alles, was hilflos ist, zu quälen. Das - das hätte ich dir längst sagen müssen, Bonnie.«

Bonnie wollte ihn nicht verletzen, aber sie musste es sagen. »Du warst ganz schön schlapp, George. Wiedersehen.«

»Warte einen Augenblick«, drängte er. »Louis erwartet von dir, dass du zu ihm kommst und mit ihm lebst. Er sagt, er wird niemals in eine Scheidung einwilligen. Wenn du nicht zu ihm kommst, wird er alles gegen dich und deinen Vater unternehmen, was nur irgend möglich ist. Er kann ein tückischer Feind sein, Bonnie.«

»Wenn er einen Kampf will, dann kann er ihn haben«, entgegnete sie schroff. »Was mich betrifft, so war ich nie mit ihm verheiratet!«

Sie blieb während der amtlichen Leichenschau in der Stadt, obwohl sie lieber nach Hause geritten wäre. Als sie als Zeugin aufgerufen wurde, machte sie mit ruhiger Stimme ihre Aussagen. Die Hauptzeugen waren natürlich Conklin und Wilhoit. Bonnie beobachtete die beiden mit düsterem Blick, als sie eifrig - zu eifrig, fand Bonnie - ihre Geschichten erzählten.

Es gab noch einen interessierten Zuhörer: Louis Dabling. Er war von seinen Leuten umgeben. Sein gutaussehendes Gesicht strahlte vor Zufriedenheit. Bonnie vermied seinen Blick, wusste aber, dass er sie häufig anstarrte.

Der Sheriff schilderte die Entdeckung der beiden Leichen. Schließlich wurde Louis Dabling aufgerufen und sagte aus, er sei mit seinen Leuten zufällig des Weges gekommen und habe die Toten schon am Ast baumeln sehen. Natürlich habe er die Satteltaschen durchsucht und dabei die silberne Uhr des alten Purvis gefunden.

»Sahen Sie die Männer in jenem Augenblick zum ersten Mal?«, erkundigte sich der Leichenbeschauer.

»Nein, Sir, ich sah sie auf der Ranch von Tony Rivers und wusste sofort, dass es nur Banditen sein konnten.«

»Und wann sahen Sie die Männer wieder?«

»Als sie im Timber Creek Pass verschwanden.«

»Sie folgten ihnen?«

»Mit einer Menge anderer Leute«, lachte Louis.

»Dann sahen Sie die beiden erst wieder, als sie tot waren?«

Bonnie hatte den Eindruck, dass er eine Sekunde zögerte.

Dann: »Das stimmt. Ich kann mir nur denken, dass sie Selbstmord begangen haben, Sir.« Die Bemerkung löste lautes Gelächter bei der Zuhörermenge aus.

Es folgten noch einige Fragen, aber das Endresultat war, wie Bonnie und der Sheriff es sich vorgestellt hatten. Die Jury kam zu dem Schluss, dass Jed Purvis von Marion Chadman und Chester Rowe umgebracht worden sei. Die gleiche Jury verkündete, dass diese Männer durch die Hände unbekannter Personen ums Leben gekommen wären.

Bonnie verließ die Stadt so rasch sie konnte, um eine Begegnung mit ihrem Mann zu vermeiden. Wieder auf der Ranch, fühlte sie sich wohl zum ersten Mal im Leben richtig zu Hause. Nancy Teytes wohlgemeinte Worte der Sympathie brachten sie allerdings fast dem Wahnsinn nahe.

Schließlich sagte sie wütend: »Wenn du noch einmal den Namen Louis Dabling erwähnst, Nancy, dann werfe ich dich raus!«

»Ich wollte dich doch nur trösten«, entgegnete Nancy steif.

Bonnie holte ihren .38er Revolver. Nancy wusste nicht, was sie davon halten sollte. Plötzlich fiel es ihr ein - sie stieß einen Schrei aus und rannte aus dem Zimmer.

Später erfuhr Bonnie von ihrem Vater, dass die Angehörigen der Ermordeten die Leichen hatten abholen lassen. Zwei Wochen vergingen und es hatte den Anschein, als sei der ganze Vorfall in Vergessenheit geraten. Selbst Bonnies Vater sagte versuchsweise: »Es war eben eine von diesen unglückseligen Geschichten, die man besser vergessen sollte. Du brauchst gewiss nichts zu überstürzen, Bonnie, aber glaubst du nicht auch, dass es besser ist, wenn du dich mit Louis aussöhnst und...«

»Ich habe das Gefühl, du hast dich mit ihm unterhalten«, unterbrach sie ihn.

»Nun ja. Wir trafen uns in der Stadt. Ich dachte mir, dass es doch im Grunde sinnlos ist, wenn...«

»Unterhalte dich mit ihm so viel du willst, Papa; aber wenn er noch einmal auf unserer Ranch erscheint, dann gehe ich und komme nie mehr wieder. Kannst du das verstehen? Ich verabscheue ihn, hasse und fürchte ihn. Lieber wäre ich mit einer Klapperschlange verheiratet!«

Tony sah seine Tochter lange Zeit an und meinte: »Es sieht fast so aus...«

Bonnie begann sich die Frage zu stellen, ob sie die einzige war, die sich noch an die beiden jungen Männer erinnerte. Dann klopfte es eines Nachmittags - Nancy war oben - plötzlich an der Tür. Bonnie öffnete und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Einen Augenblick glaubte sie einen Geist zu sehen - den Geist von Chester Rowe. Der Mann, der vor ihr stand, sah genauso aus wie er. Aber dann erkannte sie, dass dieser Mann ein paar Jahre älter war. Sein Gesicht wirkte härter, männlicher.

»Sind Sie Bonnie Rivers?«, fragte er.

»Ja - ja, ich bin Bonnie Rivers.«

»Mein Name ist Owen Rowe. Sie schrieben mir von der Ermordung meines Bruders und meines Schwagers.«

»Warum - warum sind Sie gekommen?«, stammelte Bonnie.

Seine stahlgrauen Augen schienen sich in ihrem Gesicht festzubrennen. »Chet und Shorty waren ehrliche, anständige Leute«, sagte er ruhig. »Sie haben keinem Menschen etwas getan und wurden ohne Gerichtsverhandlung aufgeknüpft. Ich bin hier, um herauszufinden, wer das getan hat.«

 

 

 

Sechstes Kapitel

 

 

Bonnie sagte hastig: »Kommen Sie herein.« Sie schloss rasch die Tür hinter ihm und errötete ein wenig. Keiner - weder ihr Vater noch Nancy - sollten wissen, dass er hier war.

Sie blickte ihn verstohlen an. Er war etwas größer als sein Bruder. Gelassen stand er da und wartete, dass sie ihm den Weg ins Zimmer zeigte. Sie spürte instinktiv, dass Owen Rowe ein ausdauernder Mann war, der ein Ziel, das er sich einmal gesteckt hatte, nicht mehr aus den Augen verlor.

Eine Treppe führte von der Halle aus nach oben.

»Dort hinauf«, sagte sie mit gedämpfter Stimme.

»Wer ist da, Bonnie?«, hörte sie ihren Vater rufen.

Ihre Stimme zitterte leicht, als sie antwortete: »Nur eine Bekannte aus der Stadt, Papa!«

Rowe sah sie grinsend an. Sie eilte ihm voraus die Treppe hinauf und fühlte sich bedeutend wohler. Ein Mann, der so lächeln konnte, würde mit sich reden lassen.

»Wenn Ihr Vater mich gehen sieht«, sagte er, »dann wird er mich für ein nicht besonders weiblich aussehendes Wesen halten.«

Sie führte ihn in ein Gästezimmer, schloss die Tür und fürchtete, er könnte alles falsch auslegen. Er verzichtete auf den einzigen Stuhl im Zimmer und nahm auf einer Truhe Platz.

»Ich möchte, dass niemand erfährt, wer Sie sind«, sagte Bonnie, noch immer im Flüsterton. »Hier sind Sie vollkommen sicher, aber glauben Sie mir, es ist besser, wenn niemand etwas von Ihrem Besuch erfährt.«

Er nickte zustimmend, sagte aber nichts.

Sie wusste nicht, wie sie die Unterhaltung beginnen sollte. Endlich stieß sie hervor: »Ich kann Ihnen nicht sagen, wie leid mir alles tut.«

»Haben Sie meinen Bruder und Shorty gesehen?«

»Ja. Sie hielten hier kurz an - während meiner Hochzeitsfeier.« Sie errötete vor Verlegenheit. »Sie blieben nur ein paar Minuten und waren kaum weg, da kam ein Mann und sagte, der alte Jed Purvis sei erschlagen worden. Und dann - dann ritten die Männer hinter ihnen her.«

»Sie schrieben mir, dass Sie allem Anschein nach die einzige Person seien, die nicht an ihre Schuld glaubt. - Können Sie mir die Namen der Männer nennen, die sich an dieser Jagd beteiligten?«, fragte er grimmig.