Der Sturz des Ikarus - Uwe Klausner - E-Book

Der Sturz des Ikarus E-Book

Uwe Klausner

4,9

  • Herausgeber: GMEINER
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

London im Februar 1601, zwei Jahre vor dem Tod Elizabeths I. In einer Müllgrube wird eine grausam zugerichtete Männerleiche entdeckt. Brendan O’Reilly, der königliche Gerichtsmediziner, kommt zu dem Schluss, dass das Mordopfer zu Tode gefoltert worden sein musste. Doch dann stoppt der Chief Constable die Ermittlungen. Anwalt und Hobby-Detektiv Clayton Percival, ein Freund O’Reillys, ermittelt auf eigene Faust. Bei seinen Recherchen stellt sich heraus, dass sein Mordopfer dem Rotlicht-Milieu angehörte. Und dass der Ermordete Kunden hatte, die um jeden Preis anonym bleiben wollen …

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 283

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,9 (16 Bewertungen)
14
2
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Uwe Klausner

Der Sturz des Ikarus

Clayton Percivals zweiter Fall

Impressum

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2017 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2017

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung der Bilder von: © https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Robert_Devereux,_2nd_Earl_of_Essex.jpg

und https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Elizabeth_I_Darnley_Portrait.jpg

ISBN 978-3-8392-5272-7

Zitat

Welch ein Meisterwerk ist der Mensch! Wie edel durch Vernunft! Wie unbegrenzt an Fähigkeiten! In Gestalt und Bewegung wie bedeutend und wunderwürdig! Im Handeln wie ähnlich einem Engel! Im Begreifen wie ähnlich einem Gott! Die Zierde der Welt! Das Vorbild der Lebendigen! Und doch, was ist mir diese Quintessenz von Staube?

What a piece of work is a man! How noble in reason! How infinite in faculty! In form and moving how express and admirable! In action how like an angel! In apprehension how like a god! The beauty of the world! The paragon of animals! And yet, to me, what is this quintessence of dust?

Hamlet II,2

LONDON 1601

TAGESEINTEILUNG

Beginn

der

Februar

und September von

bis

1.

07:00 

07:50 

2.

07:50 

08:40 

3.

08:40 

09:30 

4.

09:30 

10:20 

5.

10:20 

11:10 

6.

11:10 

12:00 

7.

12:00 

12:50 

8.

12:50 

13:40 

9.

13:40 

14:30 

10.

14:30 

15:20 

11.

15:20 

16:10 

12.

16:10 

17:00 

Stunde

Uhr

Uhr

Dauer der Tagesstunde: 50 Minuten

Dauer der Nachtstunde: 70 Minuten

VORBEMERKUNG

Um die Authentizität zu wahren, wurde die englische Schreibweise bei Ortsbezeichnungen, Eigennamen und feststehenden Begriffenso weit als möglich beibehalten. Auch auf Anführungszeichen wurde in den genannten Fällen verzichtet. Die Titelvon wissenschaftlichen Werken, Dramen oder Gedichten etc. erscheinen dagegen in kursiver Schrift.

Die vor dem Hintergrund der sogenannten Essex-Verschwörung angesiedelte Handlung ist frei erfunden. Auch die Protagonisten sind fiktiv, historische Persönlichkeiten wie Sir Walter Raleigh (circa 1554 – 1618), Königin Elizabeth I. (1533 – 1603) oder der Earl of Essex (1567 – 1601) natürlich ausgenommen.

MYTHOS

Inzwischen war Daedalus Kretas und der langen Verbannung überdrüssig, und Liebe zu seiner Heimat ergriff ihn; doch war er vom Meer umschlossen. »Mag Minos auch Land und Wasser versperren, steht uns doch der Himmel offen. Wir werden diesen Weg gehen. Mag er auch alles besitzen, die Luft besitzt Minos nicht.« Sprach’s, und in unbekannte Künste versenkt er seinen Geist und schafft die Natur neu. Er legt nämlich Federn der Größe nach nebeneinander, angefangen mit der kleinsten, immer die längere neben die kürzere, so dass man glauben könnte, sie bildeten eine Böschung: So steigt die ländliche Panflöte aus ungleichen Schilfrohren allmählich an. Dann befestigt er die Kiele in der Mitte mit Leinen und unten mit Wachs; und nachdem er sie so zusammengefügt hat, verleiht er ihnen eine leichte Krümmung, um die wirklichen Vögel nachzuahmen. Der Knabe Ikarus stand dabei, und ohne zu ahnen, dass er mit seiner eigenen Gefahr spiele, strahlte er übers ganze Gesicht und haschte bald nach den Flaumfedern, die ein vorüberziehendes Lüftchen bewegt hatte, bald knetete er mit dem Daumen das gelbe Wachs und behinderte durch sein Spiel das wundersame Werk des Vaters. Als an das Begonnene letzte Hand gelegt war, schwang sich der Meister in das Flügelpaar und schwebte in der Luft, die er bewegte.

Er belehrt auch seinen Sohn und spricht: »Halte dich auf mittlerer Bahn, Ikarus – lass dich ermahnen! –, damit nicht, wenn du zu tief fliegst, die Woge die Federn schwer mache oder, wenn du zu hoch emporsteigst, das Feuer sie versenge. Fliege zwischen beiden! Und du darfst auch nicht Bootes oder Helice und das gezückte Schwert des Orion ansehen. Ziehe deine Bahn unter meiner Führung.« Zugleich unterweist er ihn im Fliegen und passt den Schultern die neuartigen Flügel an. Über der Arbeit und den Ermahnungen wurden die Greisenwangen feucht und die Vaterhände zitterten. Er gab dem Sohn einen Kuss, den er nicht mehr wiederholen sollte; und von den Federn emporgetragen, fliegt er voraus und fürchtet für den Gefährten, wie ein Vogel, der die zarte Brut aus dem hohen Nest in die Luft hinausgeführt hat; er ermuntert ihn nachzufolgen, lehrt ihn die verhängnisvollen Künste, bewegt die eigenen Flügel und schaut zurück auf die des Sohnes.

Die beiden erblickt einer, der mit zitternder Angelrute Fische fing, oder ein Hirte, der sich auf seinen Stab, oder ein Ackersmann, der sich auf den Pflug stützte, und war erstaunt; da sie den Äther durchmessen konnten, hielt er sie für Götter. Schon war Junos Insel Samos zur Linken – Delos und Paros lagen weit zurück –, zur Rechten befand sich Lebinthus und die honigreiche Kalymne, als der Knabe an dem kühnen Flug Freude bekam, seinen Führer verließ und, vom Drang nach dem Himmel ergriffen, seinen Weg höher nahm. Da macht die Nähe der zehrenden Sonne das duftende Wachs, die Fessel der Federn, weich. Hingeschmolzen war das Wachs; er rudert mit den nackten Armen, bekommt ohne sein Flugwerk keine Luft mehr zu fassen, und der Mund, der noch den Namen des Vaters hinausschreit, wird vom blauen Wasser verschlungen; es bekam von Ikarus den Namen. Doch der unglückliche Vater, kein Vater mehr, rief: »Ikarus, Ikarus«, rief er, »wo bist du, unter welchem Himmelsstrich soll ich dich suchen? Ikarus«, rief er noch, da erblickte er die Federn in den Wogen, verfluchte seine Künste und legte den Leib in ein Grab. Auch das Land ist nach dem Bestatteten benannt.

(Ovid, Metamorphosen, Achtes Buch)

DRAMATIS PERSONAE

(in der Reihenfolge des Erscheinens, historische Persönlichkeiten fett gedruckt)

Sir Walter Raleigh (um 1554 – 1618), englischer Abenteurer und Schriftsteller, Favorit von Königin Elizabeth I., die ihn 1585 in den Adelsstand erhebt. Von James I., ihrem Nachfolger, des Hochverrats bezichtigt und hingerichtet

Robert Devereux, 2. Earl of Essex (1567 – 1601), englischer Soldat und Höfling, berühmt geworden für seine (intime?) Beziehung zu Elizabeth I.

Clayton Percival, Anwalt und Strafverteidiger

Margery Burke, genannt Margie, Percivals Haushälterin und ehemalige Amme

Sefton Fitzroy, Chief Constable der City of London

Robert Cecil, 1. Earl of Salisbury (1563 – 1612), englischer Staatsmann, der seinem Vater William Cecil alias Lord Burghley im Jahre 1598 ins Amt des leitenden Ministers nachfolgt und die Zügel während der ersten neun Amtsjahre des Nachfolgers von Elizabeth, James I., auf geschickte Art und Weise in Händen hält. Garant für politische Kontinuität, als die Macht nach dem Tod Elizabeths I. in die Hände der Stuarts übergeht

Ein Marktschreier

Joscelyn, Medizinstudent und Assistent des Chief Coroner

Brendan O’Reilly, Chief Coroner der City of London

Eileen Brannigan, Wäscherin und Schwester des Mordopfers

Brad Tennyson, Müllkärrner

Jack Draper, Bordellwirt

Lucy, seine Tochter

Kassiererin im Globe Theater

Maroni-Verkäuferin

Handwerksbursche

Maxwell Barnes, ehemaliger Studienkollege von Clayton Percival

A. D. 1601

Mittwoch, 25. Februar

PROLOG

Ich weiß, dass ich zwar den Leib eines schwachen und kraftlosen Weibes, dafür aber Herz und Mark eines Königs, noch dazu eines Königs von England habe.

I know I have the body of a weak and feeble woman, but I have the heart and stomach of a king, and of a king of England, too.

Königin Elizabeth I. von England (1533 – 1603)

I POST MORTEM

Sir Walter Raleigh, Lordleutnant von Cornwall, Vizeadmiral, Parlamentsabgeordneter der Grafschaft Dorset und Hauptmann der Königlichen Leibwache an Ihre Majestät Königin Elizabeth I., von Gottes Gnaden Königin von England, Frankreich und Irland, Verteidigerin des Glaubens etc.

Privatissime!

Zeitpunkt der Niederschrift: 25. Februar 1601, kurz nach Beginn der zweiten Stunde

[08.00 h]

Es ist vollbracht, Majestät. Der Hochverräter wurde ausgetilgt. Verbannt vom Angesicht der Erde, wo er seine verabscheuungswürdigen Ränke spann. Gerichtet durch das Beil des Henkers, wie es arglistigen Intriganten geziemt. Ein Judas ohne Beispiel, devoter Gefolgsmann des Leibhaftigen, Verräter an Gott und seiner Statthalterin auf Erden.

Wehe dem, der seinem Beispiel nacheifert. Und wehe all jenen, die dem heimtückischen Treiben Vorschub geleistet haben. Der Zorn des Allmächtigen wird sie treffen, dessen bin ich mir gewiss. Wo auch immer sie Unterschlupf finden, in welches Rattenloch sie sich auch verkriechen, um ihre niederträchtigen Ränke zu spinnen, die Feinde unserer Nation werden ihrer Strafe nicht entgehen.

Majestät können versichert sein: Nicht nur ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Schaden von unserem Land abzuwenden. Darauf gebe ich Euch mein Wort, auch wenn die Gefahren, die sich vor mir auftürmen, noch so riesig sind.

Doch nun zu dem Auftrag, mit dem ich, Euer ergebener Diener, betraut wurde. Getreu Eurer Weisung, einen lückenlosen Bericht über die Exekution des Niederträchtigsten aller Konspirateure anzufertigen, begab ich mich zum Tower, wo eigens zu diesem Zweck ein Schafott errichtet worden war. Es berührt einen zutiefst und spricht für die Herzensgüte Eurer Majestät, dass Ihr einem Schurken ohne Beispiel auch dann noch mit Nachsicht begegnet, wenn er das in ihn gesetzte Vertrauen mit Füßen trat, dass Ihr bereit wart, den letzten Wunsch des Delinquenten zu erfüllen und ihm eine Hinrichtung im Angesicht des Pöbels zu ersparen. Ich persönlich, das sei bei allem gebührenden Respekt vermerkt, hätte mich dazu nicht durchringen können. Wie jeder Hochverräter, der sich gegen Gott und gegen den über ihn gesetzten Souverän versündigte, hätte dieser Schurke eine Hinrichtung auf Tower Hill verdient gehabt. Egal, von wie vielen sensationslüsternen Gaffern er angestarrt und mit welchen Schimpfwörtern er auf dem Gang zum Schafott überhäuft werden würde. Menschen seines Schlages, Majestät mögen mir die Bemerkung verzeihen, haben keine andere Behandlung verdient. Ist die Tatsache, dass ihm der Tod durch Erhängen erspart blieb, doch Gnadenbeweis genug.

Doch nun zu den Details, die ich in Erfahrung bringen konnte. Der Scharfrichter, ein gewisser Thomas Derrick, seit geraumer Zeit Henker zu Tyburn und Erfinder des dreibeinigen Galgens, an dem circa 3.000 Kriminelle den Tod fanden, war für den Delinquenten kein Unbekannter. Wie ich aus dem Munde des Lord Lieutenant des Tower erfuhr, scheint es sich bei ihm um einen Zeitgenossen mit krimineller Vergangenheit und ehemaligen Untergebenen des Verurteilten zu handeln. Vor nunmehr 15 Jahren, habe ich mir sagen lassen, sei besagter Derrick bei der Einnahme von Cádiz durch eine Flotte Eurer Majestät als Matrose mit von der Partie gewesen. Aufgrund von Übergriffen gegenüber einheimischen Frauen und einer Reihe weiterer Vergehen sei er zusammen mit 23 Seeleuten kraft Militärrechts zum Tode durch Erhängen verurteilt worden. Da sich jedoch niemand fand, der bereit war, als Exekutor zu fungieren, wurde Derrick begnadigt, um den Beschluss des Standgerichts in die Tat umzusetzen. Von wem, können sich Eure Majestät gewiss denken. Man sagt, Derrick habe die ihm übertragene Aufgabe auf höchst effiziente Art und Weise erfüllt, wie genau, möchte ich mit Rücksicht auf Euer Wohlbefinden für mich behalten.

Ich erwähne es zwar ungern, aber was sein Auftreten im Angesicht des nahen Todes betraf, war der Hochverräter über jeden Zweifel erhaben. Wie üblich fand die Exekution im Morgengrauen statt, auf dem Exerzierplatz hinter dem White Tower, wo das Schafott in den nebelverhangenen Morgenhimmel ragte. Grob geschätzt vier Fuß hoch, drei Yards breit, aus Eichenholzplanken gefertigt und mit einer Balustrade versehen. Die Welt meines Standesgenossen war klein geworden, wenngleich er sich redlich mühte, sein Los wie ein Gentleman zu tragen.

Und so, eingehüllt in einen dunklen Überwurf, fügte sich der englische Ikarus in sein Schicksal. Erhobenen Hauptes, wie ich der Ehrlichkeit halber einräumen muss. Die Hand auf dem Geländer, erklomm er die fünf Stufen, wandte sich an die Umstehenden und sprach mit fester Stimme: »Habt die Güte, versammelte Lords, Zeuge meiner gerechten Bestrafung zu werden, ist doch die Anzahl meiner Sünden zahlreicher als die Haare auf meinem Haupt. Ich bitte Euch alle miteinander, betet mit mir, auf dass es Gott dem Herrn gefallen möge, Seine Engel auszusenden und mich zum Sitz Seiner Gnade emporzugeleiten.« Hehre Worte!, dachte ich bei mir, als der Todgeweihte, gerade einmal 33 Jahre alt und in der Blüte seiner Jahre, die dunkle Mütze samt Umhang ablegte, unter dem ein scharlachrotes Wams zum Vorschein kam. Als er das Kinn auf den Richtblock legte und tief Luft holte, bevor er das verabredete Zeichen gab. Hehre Worte für einen, der die Niedertracht besaß, einen bewaffneten Aufstand gegen seine von Gott eingesetzte Königin anzuzetteln. Majestät mögen mir die Bemerkung verzeihen, aber was sein Flehen um himmlischen Beistand betraf, grenzte die Wortwahl an Blasphemie. Wer seinen Souverän attackiert, der attackiert auch Gott, und wer sich dem Willen des Allerhöchsten widersetzt, kann von Glück sagen, wenn ihm ein rasches Ende beschieden ist.

»Schlagt zu, Henker, ich bin bereit!« Nun ja, so rasch nun auch wieder nicht. Kaum hatte der wiederauferstandene Judas die Arme ausgestreckt, da riss der Scharfrichter auch schon das Beil in die Höhe, schnappte nach Luft und ließ es mit voller Wucht auf den Richtblock niedersausen. Allein, er ließ die gewohnte Akkuratesse vermissen und benötigte drei Schläge, um das Haupt des Verräters vom Rumpf zu trennen. Drei Schläge, und das bei einem Mann, der im Ruf stand, eine Koryphäe seiner Zunft zu sein. Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die kann man einfach nicht verstehen.

Doch dann war es vorüber. Der Henker griff nach dem rotblonden Haarschopf, riss das bluttriefende Haupt in die Höhe und rief mit heiserer Stimme: »God save the Queen!« Die Umstehenden, unter anderem auch ich, stimmten in den Hochruf ein, aus vollstem Herzen, wie ich Eurer Majestät versichern kann. Auf Hochverrat, so will es das Gesetz, steht nun einmal der Tod, ohne Rücksicht auf Geburt, vermeintliche oder wirkliche Verdienste, Rang oder Namen. Majestät haben recht getan, den Stab über dem Haupt des Verräters zu brechen, genauso wie Ihr recht getan habt, Rebellionen jedweder Art im Keim zu ersticken. Ganz gleich, um wen es sich handelt, sei es der Herzog von Norfolk, seien es eidbrüchige Papisten oder sei es die Königin der Schotten, welche das Vertrauen Eurer Majestät auf das Schmählichste missbrauchte. Wenn es um das Wohl oder Wehe Englands geht, ist Nachsicht fehl am Platz, darf es kein Zögern und kein Zaudern geben.

Wer anders könnte dies besser beurteilen als meine Wenigkeit, der ich die Gelegenheit besaß, mir ein Urteil über den Exekutierten zu bilden. Wie Majestät wissen, fiel dieses nicht unbedingt günstig aus, weder bei mir noch bei etlichen Mitgliedern des Hofstaats, die er durch sein Gebaren gegen sich aufbrachte. Eitel wie ein Pfau, arrogant, hitzköpfig, auf penetrante Art von sich eingenommen, schnell bei der Hand, wenn es galt, Händel vom Zaun zu brechen. So weit einige der Urteile, die mir aus dem Mund meiner Standesgenossen zu Ohren kamen. Majestät wissen selbst, wie viele Verstöße gegen die Etikette auf das Konto jenes Mannes – oder, treffender ausgedrückt, jenes Hitzkopfes – gehen. Wiewohl nicht unbegabt, benahm er sich wie die Axt im Walde, und wiewohl nicht ungebildet, legte er das Benehmen eines ungehobelten Pachtbauern an den Tag. Und so, wenn Majestät mir den Exkurs verzeihen, kam es, wie es kommen musste. Wie weiland Ikarus, der sämtliche Warnungen des Dädalus in den Wind schlug, stießen die Gunstbezeugungen Eurer Majestät auf wenig Gegenliebe. Was ich damit sagen will, ist, sie stiegen dem überheblichen Heißsporn zu Kopf. So sehr, dass er dem Trugschluss erlag, er sei Eurer Majestät ebenbürtig. Wie Ikarus, dessen Wachsflügel im Angesicht der Sonne dahinschmolzen, fand der kometenhafte Aufstieg ein abruptes Ende, spät zwar, doch gerade noch rechtzeitig, um Schlimmeres zu verhüten.

So weit also der Bericht, verbunden mit der Bitte, Majestät mögen mir meine Einlassungen vergeben. Es ist nicht immer leicht, Vorgänge von historischer Tragweite mit wenigen Sätzen zusammenzufassen, niemand weiß das besser als Ihr. Für meinen Teil bin ich froh, dass Majestät den Staatsstreich unbeschadet überstanden und sämtliche Hebel in Bewegung gesetzt hat, damit sich die Ereignisse vom Siebten des Monats nie mehr wiederholen. Sicher kann man sich diesbezüglich nie sein, und wer glaubt, die Gefahr sei damit gebannt, der macht sich etwas vor. Die Feinde Englands, allen voran der Papst, der König von Spanien und die Handlanger der Inquisition, werden weder rasten noch ruhen, bis ihr schändliches Tun zum Erfolg geführt hat. Wer daher glaubt, dies sei eine friedvolle Zeit, der irrt. Es gilt, allzeit gewappnet zu sein, egal wie viel dabei auf dem Spiel steht. Nur wer wachsam und auf der Hut vor den Feinden Englands ist, der erfüllt seine Pflicht gegenüber dem Souverän. Wer dagegen nachlässig oder gar gleichgültig ist, den soll Gott für seine Pflichtvergessenheit strafen. Unser Land hat zu viele Feinde, als dass es sich den Luxus des Wegsehens leisten könnte – und zu wenige Bürger, die bereit wären, ihr Leben im Dienst der Krone zu opfern. Daher gilt es, mit Verrätern kurzen Prozess zu machen, es sei denn, man legt es darauf an, irreparablen Schaden anzurichten. Was das betrifft, weiß ich mich mit Eurer Majestät einig, und nichts würde mir mehr Freude bereiten, als Euch weiterhin mit Rat und Tat zu dienen.

Gez. Sir Walter Raleigh, Captain of the Queen’s Guard und Parlamentsabgeordneter

God save the Queen!

A. D. 1601

Samstag, 7. Februar

ERSTES BUCH

Gott verzeiht, ich dagegen nie.

God may pardon you, but I never can.

Königin Elizabeth I. von England (1533 – 1603)

II DIARIUM (I)

Zeitpunkt der Niederschrift: 25. Februar 1601, kurz nach Mitternacht

[00.15 h]

Vor knapp drei Wochen, am Morgen des 7. Februar 1601, war meine Welt noch in Ordnung gewesen. Wie gewohnt stand ich kurz nach Sonnenaufgang auf, trottete schlaftrunken in die Küche, wo meine Haushälterin das Frühstück zubereitete, und ließ mich zu unserem allmorgendlichen Plausch nieder. Margery, gute Fee und Feldwebel in einer Person, ist die heimliche Herrscherin über meine Kanzlei in der Thames Street. Obendrein ist sie meine ehemalige Amme, der Mensch, der mich zu dem gemacht hat, was ich bin. Ohne sie, das muss ich in aller Deutlichkeit betonen, wäre ich nie und nimmer Anwalt geworden. Auf die Hilfe meiner Eltern konnte ich nicht bauen, zum einen, weil meine Mutter starb, als ich zehn war, zum andern, da ich bis vor zwei Jahren nicht wusste, wer mein Vater ist. Nun weiß ich es zwar, aber das war es dann auch schon. Edward de Vere, 17. Earl of Oxford, Lord Chamberlain Ihrer Majestät der Königin und einer der begnadetsten Poeten, den die Welt gesehen hat, ist nämlich ein vielbeschäftigter – und obendrein hochverschuldeter – Mann. Darüber hinaus ist er der Vater einer stattlichen Reihe von Kindern, deren genaue Zahl nicht einmal er selbst zu kennen scheint. Daraus folgt, auf finanzielle Unterstützung vonseiten meines Erzeugers brauche ich nicht zu hoffen. Gerade die aber hätte ich in der Vergangenheit dringend nötig gehabt, zuerst während meines Studiums in Cambridge und dann ganz besonders bei meinem Start ins Berufsleben, als ich eine Kanzlei in der Thames Street eröffnete. Deswegen blieb und bleibt mir nichts anderes übrig, als mich aus eigener Kraft über Wasser zu halten. Nicht gerade einfach, wenn man zwar wohlgelitten ist, aber Klienten vertritt, deren Mittel nicht ausreichen, um das Anwaltshonorar zu begleichen. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Als Verteidiger von Straßendirnen, Herumtreibern, Taschendieben, Falschmünzern oder von Metzgern, die bezichtigt werden, verdorbene Ware feilzubieten, hat man Mühe, über die Runden zu kommen. Anwälte gibt es in London ohnehin wie Sand am Meer, leider auch solche, die darauf spezialisiert sind, dicke Fische an Land zu ziehen. Für die weniger Einfallsreichen unserer Zunft, denen unter anderem meine Wenigkeit zuzurechnen ist, bleibt da nicht mehr viel übrig. Bedeutet, ich bin gezwungen, kleine Brötchen zu backen, sowohl im übertragenen als auch im eigentlichen Sinne des Wortes.

Aber ich will mich nicht beklagen, das wäre ganz und gar nicht meine Art. Als Sohn einer Buchhändlerin, die wie meine Großeltern anno 1582 von der Pest dahingerafft wurde, habe ich es weit gebracht, viel weiter, als ich es mir hätte träumen lassen. Wäre ich imstande, hin und wieder einmal Nein zu sagen, das heißt, würde ich auf Margie hören und branchenübliche Honorare verlangen, hätte ich längst Karriere gemacht und nur halb so viel zu tun wie momentan. Wie es ein unlängst zum Kronanwalt avancierter Kommilitone aus Cambridger Tagen auszudrücken geruhte: »Wärst du nicht so, wie du nun mal bist, hätte was aus dir werden können.« Ich denke, dem ist nichts hinzuzufügen.

Doch zurück zum Morgen des 7. Februar im mittlerweile 43. Regierungsjahr unserer Herrscherin, offiziell »Die jungfräuliche Königin« oder »Die Ruhmreiche«, hinter vorgehaltener Hand und zu vorgerückter Stunde bisweilen auch »Good Queen Bess, old whore« tituliert. Aus naheliegenden Gründen sollte man sich zwar hüten, die Königin coram publico als Hure zu bezeichnen, aber mir scheint, als sei der Terminus nicht ganz abwegig. Es ist freilich schon etwas länger her, doch erinnere ich mich noch genau an das Jahr 1588, nicht etwa nur, weil Drake der Spanischen Armada eine vernichtende Niederlage zufügte. Dass Triumph und Tragödie oft eng beieinanderliegen, musste ausgerechnet die Königin am eigenen Leib erfahren. Anfang September, nur wenige Wochen nach dem Sieg über die Handlanger des Papismus, starb Robert Dudley, gemeinhin bekannt als 1. Earl of Leicester. Damit wir uns richtig verstehen: Dudley war nicht irgendwer. Jedes Kind in England kannte seinen Namen, weshalb, liegt auf der Hand. Dabei spielten natürlich auch seine vermeintlichen oder wirklichen Verdienste im Kampf gegen die Spanier eine Rolle, aber eben nicht nur. In den Augen des Volkes, in dessen Reihen die Liaison für reichlich Gesprächsstoff sorgte, galt Dudley in erster Linie als unumstrittener Favorit der Königin. Wie genau der Begriff zu interpretieren war, wusste man bei Hof nur zu gut. Es sagt ja wohl alles, dass die Königin den Earl als »mein zweites Ich« oder gar als »mein Auge« bezeichnete und dass er lange Zeit als potenzieller Gemahl gehandelt wurde. Ein Gerücht, das durch Äußerungen Elizabeths genährt wurde. Allein, die aus berufenen Mündern prognostizierte Vermählung blieb aus. Aus welchem Grund, darüber streiten sich die Geister. An der Tatsache, dass sie ohne Leicester nicht leben konnte, änderte dies jedoch nichts. Jahre später, als die Königin bereits Mitte 40 war, kam es schließlich zum Eklat. Auf die Nachricht von der heimlichen Vermählung des einstigen Favoriten bekam sie einen ihrer berüchtigten Wutanfälle und Dudley wurde zur Persona non grata erklärt. Dessen ungeachtet war die Königin am Boden zerstört, als der Earl vor knapp 13 Jahren starb. Als die Nachricht von Dudleys Ableben eintraf, so wurde kolportiert, habe Elizabeth einen Nervenzusammenbruch erlitten, keinen Bissen mehr zu sich genommen und sich strikt geweigert, ihre Gemächer zu verlassen.

Ich finde, auch das sagt ja wohl alles.

Eins darf man freilich nicht außer Acht lassen, so sehr einen die Episode zu Tränen rühren mag. Männer gab es im Leben unserer Herrscherin zuhauf, wenn die frivole Bemerkung gestattet ist. Mit anderen Worten, an Favoriten herrschte weiterhin kein Mangel. Ob Robert Dudley, Sir Christopher Hatton oder Sir Walter Raleigh, sie alle wärmten sich in der königlichen Gnadensonne – und zogen ihren Nutzen daraus. Aber wehe, der Liebhaber vom Dienst erdreistete sich, der Königin zu nah zu kommen oder unerbetene Ratschläge zu erteilen. Dann war es mit den Gunstbezeugungen vorbei und der Betreffende verschwand auf Nimmerwiedersehen im Tower. Summa summarum: »Ich wäre lieber eine Bettlerin und allein, als eine Königin und verheiratet. Der Ehering wäre für mich ein Joch.« Deutlicher als in dem ihr zugeschriebenen Ausspruch hätte sich die von Gott über uns gesetzte Autokratin nicht ausdrücken können.

Das letzte Wort war damit jedoch noch nicht gesprochen. Laut Treasons Act aus dem Jahre 1570 galt es als Hochverrat, eine Debatte über die Nachfolge der vermeintlich jungfräulichen Königin zu führen, wer sich nicht daran hielt, dessen Leben hing am seidenen Faden.

Beziehungsweise am Strick.

Ich weiß, ich weiß. Anders als die Kontinentaleuropäer pflegen wir Insulaner eine spezielle Art von Humor, wenn mir die Bemerkung gestattet ist. Zielscheibe unseres Spotts sind zumeist die Franzosen, was Wunder auch, wenn man einen Blick in die Geschichtsbücher wirft. Auch jetzt, knapp zwei Jahrhunderte später, ist unser Sieg bei Azincourt am Tag des Heiligen Crispianus anno 1415 immer noch in aller Munde. Ein paar Hundert Bogenschützen gegen die aus Tausenden bestehende Blüte der französischen Ritterschaft, das ist der Stoff, um den sich hierzulande die Legenden ranken. Dementsprechend hat es sich mein Freund Brendan bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit zur Gewohnheit gemacht, Witze über die ungeliebten »froggies« zu reißen. Ganz falsch liegt er mit seinem Humor aber nicht, so sehr ich manche dieser Witze missbillige. Auch in den kommenden Jahrhunderten, so steht zu befürchten, wird die innige Antipathie zwischen den beiden Ländern nicht abreißen – und reichlich Anlass für derbe Scherze liefern.

Doch zurück zum Thema. An jenem 7. Februar fasste ein weiterer Favorit der Königin einen folgenschweren Entschluss. Einen Entschluss, der zu seinem jähen Sturz führte. Doch darüber später mehr, gut Ding will Weile haben. Und eins nach dem andern, sonst verliere ich den roten Faden.

Der Tag, über den im Folgenden berichtet werden soll, war klirrend kalt, einer der frostigsten, an den ich mich entsinnen kann. Da verwundert es kaum, dass die Themse mit einer mehrere Fuß dicken Eisschicht überzogen war – ein paar Stellen an der London Bridge, wo sich die Schollen mehrere Yards hoch auftürmten, einmal ausgenommen. Die Arbeit auf den Kais am Nordufer, insbesondere zwischen der Brücke und dem Tower, war so gut wie zum Erliegen gekommen. Dutzende von Booten, Überseeschiffen und Lastkähnen waren vom Eis eingeschlossen, und wo sonst Weinfässer, Bauholz, Wolle, Felle, Tierhäute, Pech, Teer, Blei, Zinn und Tuchwaren aus Flandern und dergleichen mehr gelöscht beziehungsweise per Kran auf die knapp zwei Dutzend Molen und Landungsstege gehievt wurden, herrschte gespenstische Stille. Ganz London ächzte unter der grimmigen Kälte, und kaum eine Nacht verging, in der nicht irgendwo ein Erfrorener gefunden wurde. Wie stets handelte es sich dabei um die Ärmsten der Armen, in erster Linie um Bettler, Tagelöhner ohne Obdach, Straßendirnen, Gaukler, fahrendes Volk, Vagabunden oder Zugereiste vom Land, deren Zahl jährlich in die Tausende geht. Hin und wieder wurden auch die Leichname von elternlosen Herumtreibern entdeckt, wie mein Freund Brendan, seines Zeichens Chief Coroner der City of London, unlängst zu berichten wusste. Erst neulich, so dessen gewohnt drastische Schilderung, sei neben einer Abfallgrube am Houndsditch der Leichnam eines etwa 10 Jahre alten Mädchens gefunden worden. Für hiesige Verhältnisse wahrlich nichts Neues, für zartbesaitete Naturen wie mich jedoch die reinste Schreckensvision. Wieso? Ganz einfach. An dem nackten, offenkundig missbrauchten und von blutgetränktem Neuschnee bedeckten Körper hatten sich die Krähen gütlich getan. Alle Klarheiten beseitigt? Falls nein, deutlicher möchte ich nicht werden. Ein Gentleman verschmäht es, drastische Formulierungen in den Mund zu nehmen. Von dieser Maxime werde ich auch jetzt nicht abweichen.

Wer wissen will, wie es um jene Unglücklichen bestellt ist, der begebe sich auf Erkundungstour, am besten am Themseufer, wo man das Elend mit Händen greifen kann. Kohlebecken, umdrängt von Gestalten, die wie auferstandene Tote anmuten, Berge von Unrat, die einen unerträglichen Geruch verströmen, umherstreunende Hunde, umhertorkelnde und vor sich hin brabbelnde Frauen, umherhuschende Ratten, und das gleich dutzendfach. Wahrlich, tiefer als die Gestrandeten unter der London Bridge kann man nicht mehr sinken.

Bei den Ordnungshütern, allen voran Chief Constable Sefton Fitzroy, ruft dies, wenn überhaupt, ein gelangweiltes Schulterzucken hervor. Gegen die Kälte sei man nun einmal nicht gefeit, bekam ich zur Antwort, als ich den Constable unlängst zur Rede stellte, und obendrein habe die Polizei Besseres zu tun, als sich um Leute zu kümmern, die nicht in der Lage seien, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Noch Fragen?

Doch wohl kaum, oder?

Aber lassen wir das. Nicht wegdiskutieren kann man allerdings die Tatsache, dass London, nach Neapel und Paris drittgrößte Stadt Europas, derzeit aus allen Nähten platzt. Dass es nicht immer friedlich zugeht, wenn 200.000 Menschen auf einer Fläche von sechs Quadratmeilen zusammengepfercht sind, versteht sich von selbst. In manchen Vierteln, so zum Beispiel in St Giles, kann man sich bei Nacht nicht mehr auf die Straße trauen, so weit ist es mittlerweile gekommen. Dirnen auf der Suche nach Kundschaft, bewaffnete Banden, die ganze Stadtviertel unsicher machen, Zuhälter, Taschendiebe, verwahrloste Kinder und Betrüger, die nur darauf warten, ihrem Opfer auch noch den letzten Penny aus der Tasche zu ziehen. So sieht der Alltag auf Londons Straßen aus, nicht überall, aber an vielen Orten in unserer Kapitale. An zu vielen, wie ich mit Bedauern einräumen muss.

Ach, übrigens: Mein Name ist Percival, Clayton Percival. Ich weiß, es klingt merkwürdig, wenn ich das sage, aber wer nicht weiß, wie viele Stunden er noch zu leben hat, sollte mit Indiskretionen hinterm Berg halten. Verstanden, was ich damit andeuten will? Nein? Na schön, dann muss ich eben deutlicher werden. Um zu verhindern, dass das derzeit bestgehütete Staatsgeheimnis publik wird, werden meine Widersacher sämtliche Hebel in Bewegung setzen, um mir den Garaus zu machen. Da ich jedoch wenig Lust verspüre, den Fischen in der Themse zum Dinner serviert zu werden, habe ich Fersengeld gegeben, sprich: Ich halte mich an einem Ort auf, den außer Margie und meinem Freund Brendan niemand kennt. Salopp ausgedrückt, da ich es wieder einmal nicht lassen konnte, meine Nase in anderer – respektive mächtiger – Leute Angelegenheiten zu stecken, sind mir mehr Häscher auf den Fersen, als ich Haare auf dem Kopf habe. In wessen Hände diese Aufzeichnungen auch fallen mögen, der Betreffende lebt gefährlich. Besonders dann, wenn er auf die Idee käme, Kapital daraus zu schlagen.

So weit wird es aller Wahrscheinlichkeit nach jedoch nicht kommen, denn ich habe vorgesorgt. Sollte mir etwas zustoßen, wird mein Freund Brendan dafür sorgen, dass mein Erlebnisbericht in die richtigen Hände gelangt – und einen Skandal auslöst, der seinesgleichen sucht.

Neugierig geworden?

Kann ich verstehen.

III CONFESSIO (I)

Zeitpunkt der Niederschrift: 25. Februar 1601, kurz nach Mitternacht

[00.15 h]

Alea iacta est. Der Würfel ist gefallen. In wenig mehr als sieben Stunden werde ich das Schafott besteigen. Meine Widersacher, an der Spitze der Earl of Salisbury, haben ihr Ziel erreicht, und mir bleibt nichts anderes übrig, als mich dem Unabwendbaren zu fügen.

Ich weiß genau, sie werden alles tun, um mein Andenken in den Schmutz zu ziehen. Doch was auch geschieht, so sehr sie mich verspotten, mit Häme übergießen oder in Misskredit bringen mögen, um Gnade winseln werde ich nicht. Das habe ich vor sechs Tagen nicht getan, als ich wegen Hochverrats zum Tod verurteilt wurde, und das werde ich jetzt, da sich mein Erdendasein dem Ende zuneigt, erst recht nicht tun. Meinetwegen sollen sie sich die Hände reiben, wenn ich das Schafott besteige, mich verfluchen oder in den tiefsten Schlund der Hölle wünschen, ich werde erhobenen Hauptes in den Tod gehen.

Auf eine Weise, die eines Peer von England würdig ist.

Ich weiß, es klingt anmaßend, aber ich habe mir nichts vorzuwerfen. Was ich tat, tat ich aus Überzeugung, und was die mir zur Last gelegten Freveltaten betrifft, habe ich ein reines Gewissen. Es kümmert mich nicht, wenn sich die Angehörigen der Kamarilla bei Hof die Mäuler zerreißen und mich in einem Atemzug mit Judas nennen. Und es lässt mich kalt, wenn sie mich als eitel, selbstgefällig oder hochfahrend titulieren. Oder wenn sie mir Verfehlungen vorhalten, die jeglicher Grundlage entbehren. Was zählt, ist einzig und allein die gute Absicht, welche ich mit meinen Taten verfolgte. Handlungen, die über jeden Zweifel erhaben sind.

Solange die Menschheit existiert, solange werden Neid, Hass und Missgunst gesät werden. Wenn es etwas gibt, was ich am Hof zu Whitehall gelernt habe, dann dies. Die Tatsache, dass ich das Vertrauen der Königin genoss, hat mir denn auch reichlich Ungemach beschert, unter tätiger Mithilfe von Robert Cecil, 1. Lord von Salisbury, Lordsiegelbewahrer, Mitglied des Kronrats und Staatssekretär – und damit einer der mächtigsten Männer im Land. So mächtig, dass jedem, der sich in seinem Spinnengewebe verheddert, der Galgen winkt. Aus Erfahrung weiß ich, dass es Leute gibt, die über Leichen gehen, und Cecil ist einer davon, wenn nicht gar der Ruchloseste unter der Sonne. Sähe er ihn am Werk, würde selbst Richard III. vor Neid erblassen.

Reue? Ich wüsste nicht, weshalb. Gott sei mein Zeuge, all mein Trachten und Streben war stets auf das Wohlbefinden meiner Königin gerichtet. Ganz gleich, was die Ohrenbläser, an die Cecil seine Handsalben verteilt, unters Volk gestreut haben. Wo war er denn, als ich gegen die Spanier zu Felde zog, wo war er, als ich für den wahren Glauben focht, wohin verkroch er sich, als ich die Mauern von Cádiz erklomm und die Handlanger des Papismus zu Paaren trieb?

Wohin verkroch er sich denn und mit welchem Recht?

Natürlich in seine vier Wände, wohin denn sonst. Im Cecil House am Strand, wo bereits sein Vater logierte, um seine abgefeimten Intrigen zu spinnen. Wie sonst hätte er es zur grauen Eminenz hinter dem Thron bringen können, wenngleich ich mich frage, weshalb die Königin einem Mann wie ihm vertraute. Anders als durch Lug und Trug, worin es der Cecil-Clan zu beträchtlicher Virtuosität gebracht hat, kann er dies nicht zuwege gebracht haben.

Und genau das ist der Punkt. Genau das ist der Grund, weshalb ich zu Feder und Papier greife, um der Nachwelt meine Sicht der Dinge zu schildern. Man mag es glauben oder nicht, ich bin der Königin treu ergeben. Das war niemals anders und wird auch immer so sein. Allen Widrigkeiten, welche mir in meinem 33 Jahre währenden Leben begegneten, zum Trotz.