Der Weg zur Wahrheit holprig und schmal - Thea und Bruno Johannsson - E-Book

Der Weg zur Wahrheit holprig und schmal E-Book

Thea und Bruno Johannsson

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Beschreibung

Das Philosophenpaar im Live-Dialog über Grundfragen der Philosophie: Was ist Philosophie? Wie kann man sie abgrenzen gegenüber Wissenschaft und Religion? Kann man als Christ Philosophie betreiben? Bringt sie uns der Wahrheit wirklich näher oder handelt es nur um Spitzfindigkeiten, die das Alltagsleben belasten? Wie muss man sein Leben gestalten, welche Opfer bringen, um Erkenntnis zu erlangen? Der letzte Dialog zum Thema "Preis der Wahrheit" wurde von Radio Darmstadt aufgenommen und gesendet. Das anschließende Interview von Helmuth Müller mit dem Philosophenpaar führte ebenfalls zu einer Sendung. Beide können bei Radio Darmstadt als Podcast angehört und heruntergeladen werden. "Ich wusste gar nicht, dass Philosophie so verständlich sein kann." (Helmuth Müller, Radio Darmstadt, nach der Aufnahme des Dialogs im Juni 2015)

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Seitenzahl: 284

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Dieses Buch

Ist eine Einladung zum Mitdenken und Nachdenken über den Stellenwert von Philosophie, ihre Leistungsfähigkeit und ihre Grenzen. Der Leser wird ermutigt, das Motto des österreichischen Philosophen Karl R. Popper zu realisieren, das da lautet:

„Jeder Mensch ein Philosoph.“

Durch die von den Autoren modifizierte sokratische Hebammenmethode kann der Leser die Geburt von Gedanken verfolgen, wie sie in einer Mischung aus logischer Disziplin und spontaner Reaktion entstehen. Er kann innehalten und seinen eigenen Eingebungen nachgehen. Hier wird er nicht mit fertigen Ergebnissen konfrontiert, sondern in einen ergebnisoffenen und verständlichen Diskurs eingebunden. Vielleicht regt das seinen Appetit an, sich auch mit klassischen Philosophen zu beschäftigen. Aber wichtiger ist uns, dass er sich seine eigene Meinung bildet. Wenn er möchte, kann er seine diesbezüglichen Gedanken mit uns teilen. Dies wäre unkompliziert über unsere Website mit dem folgenden Link möglich:

https://theaundbruno.jimdo.com/kontakt.

Prof. Dr. Heinrich Kanz gewidmet, der Bruno in die Philosophie eingeführt hat.

Inhalt

Vorwort

Dialoge

Philosophie – eine Wissenschaft?

Christliche Philosophie – Widerspruch in sich?

Macht Philosophie alltagsuntauglich?

Gibt es eine exakte Sprache?

Die Pilatus-Frage neu gestellt: Was ist Wahrheit?

Der Preis der Wahrheit

Exkurs

Das Interview von Helmuth Müller mit dem Philosophenpaar zum Thema „Preis der Wahrheit“ und zur Dialogmethode

Vorwort

Wir folgen dem Motto „jeder Mensch ein Philosoph“, das dem österreichischen Philosophen Karl R. Popper zugeschrieben wird. Wenn wir dieser Aussage zustimmen, was ist dann Philosophie? Wie verhält sie sich zu Wissenschaft und Religion? Ist sie der beste Weg zur Erkenntnis? Welche Rolle spielt die Sprache auf dem Weg zur Wahrheit? Diesen ganz grundlegenden Fragen haben wir uns in diesem Band 2 unserer philosophischen Dialoge zugewandt.

Unser Dialogverfahren basiert auf der „Hebammenmethode“ des griechischen Philosophen Sokrates, die von seinem Schüler Platon überliefert wurde. Um diese Methode an unsere persönliche Situation anzupassen und für die Wahrheitsfindung noch ergiebiger zu gestalten, haben wir sie in mehrfacher Hinsicht modifiziert zu einem „gleichberechtigten, konstruktiven und zweiphasigen Dialog über eine These“. Dazu findet der Leser am Ende des ersten Bandes dieser Reihe „Spielregeln der Gesellschaft“ einen Essay von Bruno, der das Wie und Warum näher erläutert und begründet.1. Im hier vorliegenden Band wird in dem Interview mit Helmuth Müller, dem Redakteur von Radio Darmstadt, ausführlich über unsere Methode diskutiert (vgl. S. 203-213.

Die Tatsache, dass es sich bei den Texten dieser Reihe um nur formal geglättete Live-Dialoge handelt, hat für den Leser einen Pferdefuß: Trotz der Beseitigung von Füllwörtern und ähnlicher Entgleisungen beim gesprochenen Wort, bleibt die sprachliche Qualität der Texte mangelhaft, wenn man eine durchschnittliche Schriftsprache zum Maßstab nimmt. Dafür bitten wir den Leser um Verständnis. Es ist der Preis für die Authentizität der Live-Dialoge, die wir erhalten wollten.

Thea Johannsson ist Studienrätin a.D. in den Fächern Deutsch und Geschichte, Bruno war als Diplomvolkswirt in Forschung und Lehre tätig und hat während seines Studiums Philosophie und Theologie als Nebenfächer belegt. Nach Renteneintritt sind daraus „Hauptfächer“ geworden.

Unser Ansatz könnte es dem Leser erleichtern, unbefangen seine eigenen Ansichten den hier geäußerten gegenüber zu setzen – schließlich hat er es hier nicht mit „Fachphilosophen“ zu tun - und damit zu einem im Geiste Mitphilosophierenden zu werden. Nicht nur, wenn ein Leser ein Aha-Erlebnis hat und einen für ihn neuen Aspekt entdeckt, sondern auch wenn er sagt: „Das sehe ich aber ganz anders, weil …“ hätte dieses Buch seinen Zweck erfüllt.

Auch Helmuth Müller fühlte sich dazu angeregt, selbst in ein philosophisches Gespräch mit dem Philosophenpaar zu dem gerade behandelten Thema einzutreten. Dieses Interview war so umfangreich, dass er daraus eine zweite Sendung gestalten konnte. Helmuth Müller war überrascht, dass Philosophie so verständlich sein kann, was er von der Universitätsphilosophie nicht gewöhnt war. Wir hoffen, dass ihm zumindest ein Teil der Leser dieses Buches zustimmen wird. Über Kommentare, Stellungnahmen, Kritiken – positive und negative – aus Leserkreisen würden wir uns freuen. Sie könnten im Internet über www.theaundbruno.jimdo.com erfolgen. Solange es unsere Kapazität nicht übersteigt, würden wir auch darauf antworten.

Juli 2018 Thea und Bruno Johannss

1 Vgl. Bruno Johannsson (2017): Die Hebammenmethode modifiziert. Essay, in: Thea und Bruno Johannsson: Spielregeln der Gesellschaft. Was uns zusammenhält und auseinandertreibt. Philosophische Dialoge Band 1 in der Edition Sokrates, BoD, Norderstedt, S. 232 ff.

Philosophie – eine Wissenschaft?

Thea (T): Meine These lautet:

Philosophie ist, streng genommen, keine Wissenschaft.

Bruno (B): Ich darf gleich die erste Frage stellen: Was verstehst du unter Philosophie?

T: Oh, ich dachte, du würdest jetzt fragen: Was verstehst du unter Wissenschaft? (lacht). Unter Philosophie verstehe ich den Versuch, sich der Erkenntnis alles dessen, was ist, alleine mit Hilfe der Vernunft und der Auswertung eigener Erfahrungen zu nähern.

B: Verstehe ich das richtig, dass du mit „Erfahrungen“ die ganz persönlichen Erfahrungen meinst ohne Einsatz von wissenschaftlichen Messinstrumenten?

T: Gesammelte Erfahrungen, ganz egal wie man sie sammelt, auch mit Messinstrumenten, gehören durchaus dazu. Das systematische Suchen von bestimmten Erfahrungen, die etwa eine Frage beantworten könnten, das gehört in meinen Augen zur Wissenschaft. Andererseits kann natürlich die Philosophie dann auf die Ergebnisse der Wissenschaft zurückgreifen.

B: Es gibt sicherlich Unterschiede zwischen Philosophie und Wissenschaft. Habe ich richtig verstanden, dass Du doch einen gemeinsamen Bereich von Philosophie und Wissenschaft darin siehst, dass die Philosophie die Erfahrungen der Wissenschaft mit verarbeitet?

T: Richtig. Ich würde sagen, sie verarbeitet sie nicht nur, sie gibt auch der Wissenschaft Impulse. Das heißt, in der Philosophie werden Fragen entwickelt, mit denen sich unter Umständen später wissenschaftliche Untersuchungen befassen, wenn diese Fragen einer solchen Untersuchung zugänglich sind.

B: Hast Du dafür eventuell ein Beispiel?

T: Ich denke, alle Wissenschaft entwickelt sich aus der Neugier und dem Wissensdurst des Menschen. Erst einmal werden Fragen aufgeworfen, Hypothesen aufgestellt. In dem Moment, wo man anfängt zu sagen: „Ja, um das wirklich rauszukriegen müsste man doch mal das und das und das machen“ und dann nicht nur auf das zurückgreift, was man sowieso gerade weiß, sondern Wissen systematisch sammelt, um eine bestimmte Frage klären zu können, in dem Moment geht man in den Bereich der Wissenschaft hinein.

B: Bis jetzt ist mir deutlich geworden, dass zwar Philosophie keine Wissenschaft im eigentlichen Sinne ist, deiner Meinung nach, dass sie aber mit den Wissenschaften zusammenarbeitet, dass sie Ergebnisse der Wissenschaft verwendet, und dass sie sogar Impulse an die Wissenschaft gibt, dass somit eine Wechselbeziehung besteht. Meine Frage geht dahin: Wie könnte man denn oder wie möchtest Du diesen Unterschied zwischen Philosophie und Wissenschaft verdeutlichen, nachdem wir bisher mehr über die Berührungspunkte und die Gemeinsamkeiten gesprochen haben. Wo siehst du den entscheidenden Unterschied?

T: In der Umfassendheit des Sachgebiets. Während die Philosophie sich, wie gesagt, grundsätzlich mit allem, was ist, beschäftigt, ist es gerade Kennzeichen der Wissenschaft, dass man sagt: „Na, ja, aber um eine Sache zweifelsfrei zu klären, muss ich mich bescheiden, muss ich mir Gedanken machen, wie ich Fakten sammeln kann.“ Und es gibt dann eben Fragen, die kann man auf diese Weise nicht mehr klären, und da muss die Wissenschaft, wenn sie ehrlich ist, sagen: „Also hier müssen wir die Segel streichen, hier können wir keinen Beitrag mehr leisten.“ Aber die Philosophie und das menschliche Fragebedürfnis werden sich an solche Grenzen, die die Bedingungen der Menschlichkeit setzen, nicht halten. Die Fragen gehen immer über das hinaus, was auf diese Weise so hundertprozentig und gesichert klärbar ist. Sozusagen: die Wissenschaft spezialisiert sich, während die Philosophie grenzenlos und umfassend ist und dafür weniger gesicherte Antworten zu bieten hat.

B: Wenn ich das mit den Fachausdrücken der Erkenntnistheorie und der Wissenschaftstheorie darstellen soll, dann machst Du den Unterschied zwischen Philosophie und Wissenschaft fest am Gegenstand.

T: Ja.

B: Der Gegenstand einer Wissenschaft ist spezieller als der Gegenstand der Philosophie. Dann bietet sich jetzt die Frage an, ob es auch methodische Unterschiede gibt zwischen Philosophie und Wissenschaft.

T: Durchaus. Wie gesagt, das Kennzeichen der Wissenschaft ist das Sammeln von Fakten. Gut, es ist vielleicht sogar noch ein Grenzgebiet zwischen Wissenschaft und Philosophie, dass man sagt: Wenn ich das und das wissen möchte oder hier eine Theorie untermauern möchte, was muss ich erst einmal tun, welche Ergebnisse muss ich sichten oder überhaupt erst schaffen, um etwas Qualifiziertes, Gesichertes sagen zu können? Dafür ist die Wissenschaft zuständig. Das ist sozusagen diese kleine Kärrnerarbeit, um dann vielleicht eine Sache rauszukriegen. Und wenn man sieht, es gibt eigentlich keine Methode, um die Sache so abzusichern, dann muss die Wissenschaft, wenn sie ehrlich ist, sagen: „Tut uns leid, nicht unser Gebiet, können wir nicht.“ Die Philosophie kann dann immer noch zur Spekulation greifen, aber in dem Moment wo die Wissenschaft zur Spekulation greift, verlässt sie, nach meiner Definition, ihr eigentliches Gebiet.

B: Also sind wir jetzt bei der Spekulation angekommen, und ich vermute, Du meinst nicht die Spekulation an der Börse.

T: (Lacht) Vielleicht haben die beiden Spekulationen sogar etwas miteinander zu tun, aber jedenfalls wollte ich mich auf die keineswegs beschränken.

B: Dann wäre die Frage: Was verstehst du unter Spekulation? Die Frage ist insofern bedeutsam, als Du daran methodisch den Unterschied zwischen Philosophie und Wissenschaft festgemacht hast.

T: Gut. Gehen wir zurück zur Börse. Wer da spekuliert, der macht sich bestimmte Vorstellungen von der Zukunft, und auf Grund dieser Vorstellungen von meinetwegen den zukünftigen Ergebnissen einer Firma, handelt er, setzt er sein eigenes Kapital ein, um Aktien dieser Firma zu kaufen oder lieber nicht oder besser abzustoßen. Seine Vorstellungen von der Zukunft haben natürlich gewisse Anhaltspunkte in Daten, die ihm schon in der Gegenwart zur Verfügung stehen, es sind aber keinesfalls ausreichende Daten, um nun die Zukunft mit Sicherheit und präzise prognostizieren zu können. So kommen persönliche Erwartungen und Lebenseinstellungen und was auch immer mit ins Spiel. Im Extremfall könnte man sogar sagen: „Ach, ich riskiere es einfach mal. Der Name gefällt mir so gut“. Also man kann mit extrem wenig Daten an der Börse spekulieren. Wie erfolgreich das wäre, ist dann eine andere Sache.

B: War das jetzt schon die Antwort auf meine Frage?

T: Zusammenfassend: ich verstehe unter Spekulation, dass man auf Grund eines geringen und, wie man selbst sehr wohl weiß, unzureichenden Datensatzes versucht, Antworten auf Fragen zu geben, weil man es nicht schafft, für sich selbst diese Fragen offen stehen zu lassen.

B: Hat Spekulation etwas mit Vernunft zu tun?

T: Im weitesten Sinne ja, weil ja auch das Stellen von Fragen schon ein Akt der Vernunft ist. Daher muss der Versuch, eine Antwort auf Fragen zu geben, auch etwas mit Vernunft zu tun haben. Aber umgekehrt würde die Vernunft an einem Punkt sagen: „Kann ich nicht wissen. Aus.“ Und der menschliche Drang und Wunsch etwas zu wissen – und der ist nun wieder nicht von der Vernunft gespeist, sondern aus anderen Quellen – versucht immer wieder, sich aufzuschwingen, trotzdem noch etwas dazu zu sagen oder anzunehmen unter dem Vorbehalt „ungesichert“. Dieser Drang nach Wissen lässt kein Bild unausgemalt. Man sagt dann eben günstigstenfalls: „Das ist zwar eine Spekulation, aber es ist meine Ansicht.“

B: Wenn ich den Stand unserer Diskussion kurz zusammenfassen darf: Du hast bis jetzt Philosophie und Wissenschaft unterschieden nach dem Gegenstand und jetzt im letzten Teil auch nach der Methode, wobei sich die Spekulation als eine spezielle philosophische Methode herauskristallisiert hat.

T: Sagen wir als eine mögliche Methode, als eine Methode, die der Philosophie offen steht, der Wissenschaft aber nicht.

B: Inzwischen sind fast zwei Wochen seit unserem letzten Gespräch vergangen, so dass es sinnvoll war, dass wir uns das Protokoll dazu noch einmal durchgelesen haben, um jetzt auch gut anknüpfen zu können. Bei der Überlegung, wann denn dieses erste Gespräch stattgefunden hat, bin ich auf den 31.10.2004 gestoßen, also den Reformationstag. Deshalb stelle ich jetzt die Frage: War Luther ein Philosoph?

T: Ein Theologe ja. Ein Philosoph? Als solchen würde ich Luther nicht bezeichnen.

B: Deine Antwort ist eindeutig: Theologe ja, Philosoph nein?

T: Nach dem, was ich bisher von Luther gelesen habe, ja.

B: Wenn ich deine bisherigen Ausführungen betrachte, zumal was die Methode anbelangt, meinst du, dass Luther in keiner Weise spekuliert hat?

T: Moment! Ich hab ja vorhin gesagt, dass Spekulation zwar eine Methode ist, die der Philosophie offen steht, die aber überhaupt dem Menschen offen steht. Ich will nicht ausschließen, dass Luther spekuliert hat. Aber er hat sich nicht auf seine Vernunft berufen, sondern auf die Heilige Schrift, und die war für ihn ziemlich unhinterfragt gültig. Hätte er sie hinterfragt, hätte er vielleicht darauf kommen müssen, dass es ja die frühe katholische Kirche war, die den Text der Heiligen Schrift als solchen zusammengestellt und beglaubigt hat.

B: Mit anderen Worten: Was die Methode der Spekulation anbelangt, haben wir bei Luther eine Überschneidung zwischen Theologie und Philosophie, so wie du es verstehst. Kannst du gerade noch mal wiederholen, wie du den Gegenstand der Philosophie abgegrenzt hattest. Ich habe das nicht mehr ganz vor Augen.

T: Im Grunde hat die Philosophie keinen spezifischen Gegenstand. Sie kann sich mit allen Fragen des Menschen beschäftigen. Normalerweise wird sie sich nicht mit so praktischen Fragen beschäftigen, wie: „Was koche ich morgen?

B: Gut. Wobei wir uns aber einig waren, dass der Gegenstand der Philosophie eher allgemeiner und der Gegenstand der Wissenschaft spezieller Natur ist.

T: Richtig.

B: Da habe ich aber doch den Eindruck, dass die Fragen, die ein Theologe wie Luther behandelt, sich auch inhaltlich mit den Fragen eines Philosophen überschneiden müssten.

T: Religion und Philosophie haben darin, mit welchen Fragen sie sich befassen, sehr, sehr viele Gemeinsamkeiten, nur dass sich die Religion nicht in dem Maße auf die Vernunft stützt wie die Philosophie.

B: Aber ich habe doch den Eindruck, wir haben sowohl methodisch als auch inhaltlich eine Überschneidung von Philosophie und Theologie festgestellt.

T: Genauso verhält es sich.

B: Da wir Luther nicht teilen können, da er nur eine Person ist, die du ja in die Klasse der Theologen eingeordnet hast, folgt daraus schon fast zwingend, dass er auch Philosoph gewesen sein muss, weil sich ja die Theologie so stark mit der Philosophie überschneidet. Oder siehst du jetzt noch eine Möglichkeit, ihn auszugrenzen und zu sagen: „Nein, Luther war nur Theologe und in keiner Weise Philosoph“.

T: So gesehen, ist das richtig. Philosophieren ist in meinen Augen etwas sehr spezifisch Menschliches. Und wie du sagst, gerade Religion und Philosophie sind eigentlich nur zwei Arten, mit solchen Fragen umzugehen. Religion war schließlich schon lange vor der Philosophie da. Das Spezifische an der Philosophie ist, dass es mit den Griechen aufgekommen ist, zu sagen: „Wir wollen diese Dinge mit Hilfe der Vernunft klären, nicht mit Rückgriff auf die Tradition. Wir wollen auch nicht das Gefühl schon als Beglaubigung anerkennen, sondern wir wollen, dass die Antworten vor der Vernunft Bestand haben.“ Das bedeutet nicht, dass die Leute nicht vorher in der Religion auch ihre Vernunft herangezogen hätten, aber sie haben sie nie derartig aufs Podest gehoben.

B: Eine kleine Zwischenfrage: Würdest du die Theologie als Wissenschaft bezeichnen?

T: Genau so wenig, wie die Philosophie. Mit Ausnahme einiger Unterdisziplinen, wie zum Beispiel die Bibelexegese. Da geht es ja um die richtige Auslegung von Texten. Ob man das nun mit der Bibel macht oder mit anderen Texten, da sind die Methoden sehr ähnlich, da gibt es greifbare gegenständliche Grundlagen und die Ergebnisse sind auch intersubjektiv vermittelbar.

B: Gehen wir zurück zu dem Zusammenhang von Philosophie und Wissenschaft, nachdem die Theologie ähnlich wie die Philosophie eine Stellung außerhalb dessen hat, was du als Wissenschaft bezeichnest. Es gibt in den meisten Einzelwissenschaften zwei Ansätze, nämlich den theoretischen und den empirischen. Nehmen wir das Beispiel der Ökonomie, das ich ja nun etwas näher kenne. Wir haben eine theoretische Ökonomie, in der – ausgehend von Axiomen übrigens – bestimmte Theorien aufgebaut werden, mathematisch ausgeprägt oder nicht mathematisch ausgeprägt, jedenfalls ist das ein reiner Akt der Vernunft, der zunächst einmal ohne Empirie auskommt. Daneben gibt es die empirische Wirtschaftswissenschaft, die ganz bestimmte Fragen stellt und versucht, statistisch untermauerte Antworten zu finden. Das Ganze sind aber Bereiche dieser einen Wissenschaft Ökonomie oder Wirtschaftswissenschaft. So viel ich weiß, ist es in der Physik ganz ähnlich, auch in der Chemie, auch in der Soziologie, auch in der Psychologie….

T: und sogar in der Mathematik.

B: Das ist ein interessanter Einwurf. Da fühle ich mich nicht ganz so kompetent. Das wäre ein Thema für sich, sich das etwas näher anzuschauen. Sind wir uns einig, dass eine Wissenschaft, so wie du sie verstehst in deiner These, in den meisten Fällen zumindest einen theoretischen und einen empirischen Teil hat, die natürlich auch miteinander verzahnt sein können. Sind wir uns so weit einig?

T: Ja. Wobei der rein theoretische Teil doch seine Herkunft aus der Philosophie sehr deutlich zeigt, denn es ist ja interessant, dass der Mensch mit seiner Vernunft eigentlich überhaupt nichts anfangen kann, wenn er nicht als Startbrett irgendwo Axiome hat. Das gilt selbst für eine Wissenschaft wie die Mathematik, die vielleicht die am meisten vom Menschen her konstruierte ist. Dann aber erweist sie sich erstaunlicherweise als geeignetes Werkzeug, um sinnvolle Beobachtungen zu machen oder um die Beobachtungen irgendwie zu ordnen. Das ist wirklich ein .Phänomen, das mich sehr fasziniert.

B: Bleiben wir beim Thema Mathematik, da du es erneut aufgreifst. Wo liegt der Unterschied zwischen Mathematik und Philosophie?

T: Da wird’s wirklich schwer. Das muss ich zugeben. Wie gesagt, die Mathematik ist ja eigentlich eine Wissenschaft, die gar nicht mit der Empirie arbeitet, sondern mit einem Minimum an Axiomen riesige Gebäude auftürmt. Man müsste eigentlich denken, das müsste sich von der erfahrbaren Wirklichkeit ganz weit entfernen. Stattdessen erweist es sich als Mittel, um die Wirklichkeit in den Griff zu bekommen.

B: Das heißt: Da sind Wissenschaftler ausgegangen von Axiomen, die sie für mehr oder weniger plausibel hielten, haben dann nach bestimmten Regeln, nämlich Regeln der formalen Logik, ihre Schlüsse gezogen, ihre Deduktionen durchgeführt und sind zu Theorien gekommen, die zunächst für sich im Raum standen. Dann haben empirische Wissenschaftler der Ökonomie, der Physik, der Chemie usw. festgestellt: „Wunderbar! Was die Mathematiker hier gemacht haben, können wir gebrauchen, um unsere Beobachtungen in der Realität darzustellen, zu analysieren, messbar und zugänglich zu machen.“ Das gibt ja zu denken.

T: Das gibt wirklich zu denken.

B: Ist das in der Philosophie wesentlich anders? Müsste nicht ein Philosoph auch den Anspruch erheben, wenn er nicht völlig abgehoben vom täglichen Leben sein Dasein fristen möchte, dass die Ergebnisse, zu denen er kommt, irgend etwas mit der Realität zu tun haben? Müssten sie nicht die Realität besser erklären oder erträglicher und handhabbarer machen? Das müsste doch eine mögliche Folge von Philosophie sein. War es das oder ist es das? Wie schätzt du das ein?

T: Erstaunlicherweise ist jedenfalls bei der Philosophie nicht in dem Maße nachweisbar, dass ein solcher Prozess geschieht, wie bei der Mathematik. Vielleicht liegt es daran, dass uns die Mathematik mit ihrer Kunstsprache aus Zahlen und Formeln weniger in Fallen lockt als es die menschliche Sprache immer wieder tut Aber Sprache und Philosophie, das ist ein Thema für sich. Und natürlich ist auch der Philosoph nicht frei von Wunschdenken.

B: Versuchen wir die Sache etwas von der Geschichte der Philosophie her zu überprüfen, z. B. an Hand von Karl R Popper, dem österreichischen Philosophen. Er ist dadurch gekennzeichnet, dass er als Philosoph viel Wissenschaftstheorie getrieben hat, also gerade an der Schnittstelle zwischen Philosophie und Wissenschaft tätig war. Er hat die Forderung aufgestellt hat, dass eine wissenschaftlicher Hypothese falsifizierbar sein soll, was bedeutet, dass in der Einzelwissenschaft möglichst so verfahren werden sollte, dass man im theoretischen Bereich so lange arbeitet, so lange umformt, so lange Schlüsse zieht, bis man zu einer Behauptung gekommen ist, die man dann auch an der Realität überprüfen kann. Wissenschaft wird heutzutage weltweit von hunderttausenden von Menschen betrieben und ist ein Teil unserer Realität. Popper betätigt sich hier nicht rein spekulativ, sondern versucht, diese Realität mit zu gestalten, zu beeinflussen und zu lenken. Jedenfalls macht er konkrete Vorschläge, wie Wissenschaft betrieben werden sollte.

T: Und ein bisschen hab ich sogar meine Definition von Wissenschaft an Popper angelehnt. Ich möchte wie er, dass sich Wissenschaft bescheidet. Als die Naturwissenschaft anfing, mit dem Experiment zu arbeiten und damit bestimmte Dinge erhärten konnte, haben plötzlich auch andere Sparten versucht, sich als Wissenschaft zu deklarieren. Sie konnten aber bei weitem nicht die gleiche Genauigkeit wie die Naturwissenschaften erzielen. Als Beispiel möchte ich die Interpretation von Texten anführen: Wie viel ist da Kunst und wie viel wirklich Wissenschaft? Interpretation ist unter Umständen ein sehr verständiges Einfühlen in den Text, aber nur, wenn dieses mit Argumenten intersubjektiv vermittelbar ist, haben wir es mit Wissenschaft zu tun. Mir geht es darum, dass sich die Wissenschaftler bescheiden.

B: Wobei deine These mehr von der Philosophie her formuliert ist. Du möchtest ja eine Aussage über Philosophie treffen und sagst damit indirekt etwas über Wissenschaft. Als These hast du in den Raum gestellt: Philosophie ist –streng genommen – keine Wissenschaft. Ich will einmal ein kleines Zwischenresümee ziehen: Wir haben zunächst den Unterschied zwischen Philosophie und Wissenschaft am Gegenstand und an der Methode festgemacht. Beim letzten Gespräch und heute hab ich versucht, ein bisschen den Grenzbereich zwischen Philosophie und Wissenschaft in den Vordergrund zu rücken, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wo evtl. die Grenze zwischen beiden liegt. Dabei haben wir festgestellt, ganz so einfach ist es nicht, eine Grenze genau zu definieren. So weit sind wir uns, glaube ich, einig. Insofern wäre es jetzt interessant zu fragen, um deine These weiter zu untersuchen, was verstehst du denn unter „streng genommen“?

T: Ja, eben, das „streng genommen“ entstammt dem Bewusstsein, dass an den Grenzen die Dinge sich immer etwas verwischen und ineinander übergehen. Und es ist natürlich nicht so, dass man einfach sagen könnte, die Philosophie arbeitet mit Vernunft und die Religion überhaupt nicht. Sondern es ist eben graduell so. Die Philosophie beruft sich mehr auf die Vernunft als die Religion, aber in Form der Theologie oder der Dogmatik, da bringen die Leute plötzlich logische Schlussfolgerung usw. auch in die Religion rein. Das sind einfach alles, also sowohl Religion wie Gefühl wie Vertrauen in die Dinge, die man von klein auf gelernt hat, das sind alles menschliche Möglichkeiten. Eigentlich gibt es ja gar nicht „die Wissenschaft“ oder „die Philosophie“, sondern es gibt Menschen, die philosophieren, es gibt Menschen, die Wissenschaft betreiben, und sie tun nie das eine oder das andere – exakt. Sondern in dem Moment wo man das teilt, da schafft man eigentlich um der besseren Verständigung willen ein Abstraktum.

B: Ja, wir haben die Sprache zu dem Zweck, dass wir verschiedene Dinge auch verschieden benennen. Und es hat sich durch die Jahrtausende hindurch bewährt, da einen Unterschied zu machen zwischen Philosophie und Wissenschaft, und folglich ist da auch ein gewisser Unterschied anzunehmen. Man müsste vielen Leuten, die das so gesehen haben, die das in der Sprache so dargestellt haben, denen muss man dann auch mal glauben. Trotzdem befriedigt es mich persönlich nicht ganz. Ich will nur einen Vorschlag machen, wie ich persönlich die Dinge sehe. Das wäre dann ein Vorschlag, der mehr darauf abstellt, nicht unbedingt die Unterschiede festzulegen, sondern zu überlegen, wie wirken sie denn zusammen, wie bringen wir sie in einen Zusammenhang. Und du kannst dir dann überlegen, wie weit du da mitgehen kannst oder dann doch noch gewisse Dinge besonders abtrennen möchtest. Meine Vorstellung ist, dass man ein gesamtes Gebäude von Wissen sich vorstellen sollte, das man auf sehr unterschiedliche Art und Weise erwirbt und das auch auf sehr unterschiedliche Weise begründet ist, teilweise durch statistische Untersuchungen, teilweise einfach nur durch logische Ableitungen. In jedem Fall – da sind wir uns einig, das hast du ja vorhin auch schon gesagt – beruht jedes Wissen, das jemand im Zusammenhang vor sich sieht, auf bestimmten Axiomen, die man nicht weiter beweisen kann. Und genauso wie jede Wissenschaft ihren theoretischen Teil hat, wo man mal etwas salopp gesagt bei Adam und Eva anfängt, wo man nicht gleich danach fragt, können wir das auch statistisch untermauern, sondern wo man einfach mal anfängt, darüber nachzudenken, sich sprachlich damit auseinanderzusetzen, bestimmte Dinge einfach zu formulieren, genauso wie jede Einzelwissenschaft so einen Bereich hat, genauso würde ich auch sagen, hat dieses Gebäude aller Wissenschaften, einschließlich Philosophie und Theologie, so einen zentralen Bereich, ob das nun eine Pyramide ist, wo man oben eine Spitze hat oder ein etwas anderes Gebilde, aber jedenfalls oben so einen zentralen Bereich, der nach unten hin abstrahlt in die einzelnen Wissenschaften, der sie befruchtet oder auch beunruhigt, und der, wenn er gut arbeitet und wenn das Ganze schön durchlässig ist, auch ständig von unten Impulse aufnimmt, interessiert verfolgt, was denn statistisch, durch irgendwelche Messungen plötzlich einigermaßen, sagen wir mal, an der Realität festgemacht werden konnte, und dann wieder neu anfängt, nachzudenken. Aber ich würde es gern als ein Gebäude sehen, in dem dann die Philosophie ihre Rolle hat, die aber oben ist, in der Spitze der Pyramide. Wo wir die Theologie dann einordnen, wird uns vielleicht ein andermal beschäftigen. Aber jedenfalls möchte ich das als ein Gebäude sehen.

T: Damit hätte ich überhaupt keine Schwierigkeiten. Nur dass ich eben nicht zu allem sage „Haus“, sondern zu dem einen Teil „Dachboden“, zum andern „Keller“, zum dritten „Erdgeschoss“ Aber dass alles, womit sich der Mensch überhaupt beschäftigen kann und was seine Neugier oder auch seinen existenziellen Wissensbedarf betrifft, irgendwie zusammenhängt, da habe ich keine Schwierigkeiten, dir zuzustimmen.

B: Das ist ja ein beachtliches Maß an Einigkeit. Eine solche Vorstellung bietet dann natürlich auch noch viel mehr Möglichkeiten. Wir können dann nicht nur unterscheiden: hier meinetwegen irgendwo eine zentrale Wissenschaft und dann lauter Einzelwissenschaften, sondern wir können auf den Zwischenebenen sozusagen wissenschaftliche Bereiche identifizieren, die wiederum nicht so zentral sind wie die Philosophie, aber zentraler sind als meinetwegen eine Teilwissenschaft, die wieder etwas ganz Spezielles, meinetwegen nur Kunststoffe untersucht oder irgend so etwas.

T: Ja, da ist die Frage: Was will man jetzt das Zentralere nennen? Ich habe ja versucht deutlich zu machen: In meinen Augen hat der Mensch mit seinen Begrenzungen die Wahl, etwa einen kleinen Bereich, wenn alles gut geht, mit sehr viel Arbeit sehr exakt, mit einem hohen Sicherheitsgrad herauszufinden, oder eben dieses große Gesamtbild zu entwerfen. Und je größer das Gesamtbild, desto unexakter, desto mehr Fehlerquellen. Er kann eigentlich nicht beides haben: diese Gewissheit und die große Überschau – oder wenn er in der Überschau die Gewissheit hat, dann muss sie aus anderen Quellen herrühren.

B: Ich schlage vor: da du die These gestellt hast, sollten wir dir auch das Schlusswort lassen. Wäre das als Schlusswort geeignet? Können wir die These damit als abgeschlossen diskutiert betrachten, wobei…wirkliche abgeschlossen ist es natürlich nicht,

T: Ja.

B: aber dass wir sagen: Wir lassen es so stehen und gehen dann zu einer anderen These über?

T: Diese letzten Sätze bilden so meine idealtypische Gegenüberstellung von Wissenschaft und Philosophie, wie gesagt, durchaus in dem Bewusstsein, dass die Grenzen ineinander übergehen, nicht eine gerade Linie darstellen.

Christliche Philosophie – ein Widerspruch in sich?

B. Es folgt das zweite Gespräch. Thesensteller bin diesmal ich. Meine These lautet:

Christliche Philosophie ist möglich und wünschenswert.

Es beginnt jetzt eine Fragephase, in der Thea zunächst einige Fragen stellt.

T Deine These weckt in mir den Verdacht, dass du unter Philosophie vielleicht nicht genau dasselbe verstehst wie ich. Könntest du deine Definition von Philosophie geben.

B: Das ist natürlich viel verlangt. Ich werde es vielleicht dadurch lösen, dass ich gleich christliche Philosophie definiere. Die Frage, ob ich unabhängig von christlicher Philosophie noch einen allgemeinen Philosophiebegriff definieren möchte, definieren könnte, lassen wir einfach mal so im Raum stehen.

Christliche Philosophie definiere ich, ganz kurz gesagt, auf der Grundlage von Offenbarung. Also das, was bei anderen philosophischen Ansätzen unter Umständen die Axiome sind, das sind bei christlicher Philosophie Glaubenssätze, die man aber selbst nicht erfunden hat, sondern die auf eine bestimmte Weise überliefert wurden, an einen herangetragen wurden, eventuell auch durch Inspiration, grob gesagt, die man als göttliche Offenbarung auffasst.

T: Aha. Und wie unterscheidet sich christliche Philosophie von, na sagen wir, weltlicher oder nicht weltanschaulich rückgebundener Philosophie? Oder meinst du, letztere könne es überhaupt nicht geben?

B: Selbstverständlich gibt es die. Der Unterschied ist sehr klar zunächst einmal daran festzumachen, dass die nicht bewiesenen und auch nicht deduzierten Sätze, sozusagen die Axiome, bei einer nichtchristlichen Philosophie anderer Herkunft sind, nicht mit Offenbarung zu tun haben, vor allem eben auch nicht mit göttlicher Offenbarung zu tun haben, nicht mit christlicher Offenbarung zu tun haben. Das könnte zum Beispiel eine andere Religion sein, die eventuell auch an eine andere Art von Offenbarung oder Überlieferung glaubt und von daher weiterdenkt. So dass es ein Wesensmerkmal der christlichen Philosophie ist, dass ihre Axiome, ihre nicht näher begründeten Grund-Sätze christliche Offenbarung sind.

T: Ah. Auch du gehst davon aus, dass die Philosophie, nachdem die Axiome gesetzt sind, sich hauptsächlich auf ihre Vernunft, auf die Vernunft des Menschen stützen sollte beim Weiterdenken?

B: Da hätte ich zunächst einmal nichts dagegen, wenn man das so sieht. Für den Christen stellt sich dann natürlich die interessante Frage, die wir an der Stelle nicht unbedingt vertiefen müssen: hilft der Heilige Geist beim Weiterdenken? Aber ich hätte nichts dagegen, wenn man hier auch in der Tat die menschliche Vernunft zum Einsatz kommen lässt, um auf der Grundlage dessen, was geoffenbart ist, bzw. was man für offenbart hält, weiter zu denken.

T: Und wenn ich dich richtig verstehe, gehst du davon aus, dass man dieses Weiterdenken auf der Grundlage bereits vorhandener Offenbarung deshalb auch Philosophie nennen kann, weil ja letztlich jedes Denken und jede Philosophie doch auf irgendwelche Axiome zurückgreifen muss. Ist das richtig?

B: Das ist so weit richtig. Bewusst oder unbewusst zurückgreifen muss. Wenn ich jetzt an unser erstes Gespräch erinnern darf, da kam ja in etwa heraus bei dir als Vorstellung von Philosophie, dass die Gegenstände der Philosophie allgemeiner Natur sind, ihre Methode grob mal mit Vernunft oder mit Spekulation beschrieben werden kann. Sowohl im Hinblick auf den Gegenstand als auch das, was wir über die Methode gesagt haben, könnte man das auch bei christlicher Philosophie anwenden. Mit anderen Worten, mit Hilfe einer Art von Spekulation, einer Art von vernünftigem, eventuell auch der Logik unterworfenem Nachdenken kann man Aussagen treffen bzw. Überlegungen anstellen zu den allgemeineren Fragen der Menschheit oder auch zu sehr speziellen Fragen.

T: Überlegungen kann man sicherlich anstellen. Aber es sind dann Überlegungen, die eigentlich für jeden, der die christlichen Axiome nicht mitmacht, gegenstandslos sind, also bedeutungslos sind. Oder würdest du sagen, sie haben dann auch für denjenigen Bedeutung, der die christlichen Voraussetzungen nicht mitmacht?

B: Es ist ja keineswegs so, dass jeder Philosoph oder jeder, der nachdenkt, alle seine Axiome offen legt beziehungsweise sich aller seiner Axiome bewusst ist. Das heißt, dieses strenge Deduzieren aus Axiomen heraus, bei christlicher Philosophie aus Offenbarung heraus, muss ja nicht unbedingt sein. Diese Axiomatik, bzw. dieser Glauben, die kann ja die Person, die jetzt philosophiert, prägen, und er kann relativ frei nachdenken. Er muss dann nicht streng deduzieren. Das ist ja nur eine Methode der Philosophie gewissermaßen, aus Axiomen streng zu deduzieren. Nicht jeder Philosoph würde sagen, dass das die einzige Methode ist.

T: Das ist richtig. Aber wir sind uns einig, dass Menschen, um überhaupt denken zu können, irgendwo Axiome brauchen, so wie Zähne, um überhaupt beißen zu können irgendwo etwas, eine kaubare Materie brauchen. Würdest du mir da zustimmen?

B: Das ist natürlich eine Sonderfrage: Inwiefern sind Axiome nötig, um zu philosophieren? Die Frage kann man sicherlich vielleicht auch einmal getrennt aufgreifen. Hier müssen wir sie etwas kurz behandeln. Mir fällt gerade der Satz von Wittgenstein ein: „Wovon man nicht reden kann, davon muss man schweigen.“ Das heißt, wir können nicht über alles reden. Wir können nicht alles explizieren. Wir können aber trotzdem einfach anfangen zu reden. Das sehen natürlich verschiedene Philosophen sicherlich ganz anders. Das sieht Kant anders als Wittgenstein. Und ich weiß nicht genau, wie es Aristoteles oder Platon gesehen haben, oder Heidegger oder Jaspers oder Popper, aber jedenfalls man kann einfach mal anfangen zu reden oder einfach anfangen zu denken. An der Stelle ähnelt die Philosophie ja etwas der Literatur, und es gibt schließlich auch Grenzbereiche. Was manche Philosophen geschrieben haben, möchte man vielleicht lieber als Literatur bezeichnen denn als irgendeine strenge Philosophie. Man sollte das also nicht zu eng sehen, von der Methode her.

T: Aha. Ich möchte jetzt mal diese Sache mit Wittgenstein auf sich beruhen lassen, weil wir dann auf eine ganz andere Thematik kämen, und ich bin ja noch in der Fragephase, in der ich versuche, überhaupt die These zu verstehen. Aber gibst du mir darin recht, dass die weltliche Philosophie eigentlich bestrebt ist, a) die Zahl der Axiome so klein wie möglich zu halten und b) möglichst Axiome zu finden, bei denen kaum ein Mensch sagen würde: „Das sehe ich aber anders“. Nimm zum Beispiel das Axiom von Euklid „Jede Größe ist sich selbst gleich“. Das ist sicherlich eine Grundannahme, bei der spontan, jeder Mensch, der nicht darauf aus ist, Widerspruch zu leisten, zustimmen würde. Würdest du das als Kennzeichen der weltlichen Philosophie oder der nicht weltanschaulich gebundenen Philosophie gelten lassen?

B: Die Geschichte der Philosophie kenne ich vielleicht nicht so gut wie du. Aber du hast ja jetzt nicht von ungefähr einen Mathematiker als Repräsentanten vielleicht einer bestimmten Richtung von Philosophie genommen. Aber so weit ich die Geschichte der Philosophie kenne, gibt es sehr viele Möglichkeiten zu philosophieren, keineswegs nur die streng auf der Basis von vielleicht nur zwei, drei Axiomen, wie es teilweise vielleicht die Mathematik macht, ein Gebäude aufzubauen. Ich vermute mal, dass höchstens 10 Prozent aller Philosophen so gearbeitet haben, vielleicht nicht einmal 10 Prozent.

T: Und du hast eben mit Recht gesagt, dass Philosophen sich teilweise ihre Axiome vielleicht auch gar nicht bewusst machen. Ich glaube allerdings, dass bei nicht weltanschaulich gebundener Philosophie der Anspruch, dass das intersubjektiv ist, was sie da herausfinden, und zugänglich jedem Menschen, welcher Weltanschauung auch immer, doch mit dabei ist. Aber wenn wir von christlicher Philosophie sprechen, dann muss man auch von islamischer Philosophie sprechen, von hinduistischer Philosophie – wird auch teilweise gemacht - aber wie hat man dann eine Aussicht, dass diese verschiedenen Philosophien, die von bestimmten Weltanschauungen ausgehen a) zusammenkommen und sich jetzt auf der Basis der Philosophie und der Vernunft finden? b) Haben sie dann eine Chance, auch die eigenen Voraussetzungen, die dann sehr viel breiter sind, auch mal zu hinterfragen? Immerhin gibt es dann meistens sehr viel mehr Axiome als im anderen Fall.