Der Wendepunkt des Philosophen von Sanssouci. - Hans-Christof Kraus - E-Book

Der Wendepunkt des Philosophen von Sanssouci. E-Book

Hans-Christof Kraus

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Beschreibung

Friedrich II. von Preußen (1712–1786), später der Große genannt, wurde bereits von den Zeitgenossen als »Philosoph von Sanssouci« bezeichnet. Der König und zugleich überzeugte Aufklärer setzte sich seit den 1740er Jahren immer wieder kommentierend und kritisch auch mit radikalen Positionen besonders der französischen Aufklärung auseinander. Zu einem Wendepunkt in seinem Denken kam es um 1770, als einzelne Vertreter der französischen Radikalaufklärung nunmehr offen atheistische und revolutionäre, auf Umsturz der europäischen Monarchien gerichtete Positionen vertraten. Friedrichs Kritik hieran – die als Selbstkritik der Aufklärung, als »Aufklärung über die Aufklärung« verstanden werden kann – und die aus diesem Kontext heraus entstandene berühmte Preisfrage der Berliner Akademie der Wissenschaften nach der Zulässigkeit des »Volksbetrugs« von 1780 werden in der vorliegenden Schrift thematisiert.

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HANS-CHRISTOF KRAUS

Der Wendepunkt des Philosophen von Sanssouci

Der Wendepunkt des Philosophen von Sanssouci

Von

Hans-Christof Kraus

Duncker & Humblot · Berlin

Umschlag: König Friedrichs II. Tafelrunde in Sanssouci Gemälde von Adolph Menzel, 1850 (© akg-images) Alle Rechte vorbehalten © 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: Das Druckteam, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-428-15390-9 (Print) ISBN 978-3-428-55390-7 (E-Book) ISBN 3-428-85390-8 (Print & E-Book)Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ♾ Internet: http://www.duncker-humblot.de

[5] Vorwort

Die nachfolgenden Ausführungen enthalten einen Vortrag, der am 22. Februar 2017 auf Einladung der Carl Friedrich von Siemens Stiftung in München gehalten wurde. Er wird hier – im Kern und in seinen zentralen Thesen unverändert – etwas erweitert und mit den nötigen Nachweisen versehen abgedruckt. Über die ebenso angeregte und kenntnisreiche wie auch durchaus kontroverse Diskussion, die dem Vortrag in den Räumen der Stiftung folgte, berichtete Patrick Bahners in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Nr. 51, 1. März 2017, S. N3). Nicht zuletzt damit diejenigen, die sich für das Thema interessieren, jedoch den Vortrag nicht hören konnten, den Text zeitnah nachlesen können, wird er in dieser Form separat veröffentlicht.

Oktober 2017

Der Verfasser

[7] I.

Vielleicht hat man erst unter dem Eindruck der säkularen Katastrophen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirklich begreifen können, was „Aufklärung“ eigentlich gewesen ist und mit welchen Wirkungen und Folgen sie den Verlauf der modernen Geschichte geprägt hatte und weiterhin prägte. Mit einer während des Zweiten Weltkriegs gesteigerten Reflexionsschärfe kamen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno zu der Einsicht, dass der Aufklärung als einer dialektischen Bewegung unter bestimmten Bedingungen neben allen positiv zu wertenden Leistungen eben auch eine gefährliche Tendenz innewohne und der Rationalität „seit Anfang“ eben „auch die praktische Tendenz zur Selbstvernichtung“ eigne und dass aus genau diesem Grund nicht zuletzt die Möglichkeit einer „Rückkehr der aufgeklärten Zivilisation zur Barbarei“ wirklich werden könne1. Und in bemerkenswerter geistiger und analytischer Parallelität überschrieb – auf der anderen Seite der Frontlinie – Hans Freyer das Aufklärungskapitel seiner ebenfalls während des Krieges entstandenen „Weltge[8]schichte Europas“ mit dem sprechenden Titel „Die Vernunft als blühende Welt, als Nüchternheit und als Schrecken“2.

Tatsächlich waren es diese drei Dimensionen der Aufklärungsbewegung und ihrer Folgen, die jetzt zum ersten Mal vollständig durchsichtig und erkennbar wurden: Zuerst die „blühende Welt“, die entstehen sollte, wenn möglichst allen oder doch den allermeisten Menschen der Ausgang aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit gelungen war und wenn sie sich auf diese Weise ebenfalls von dem Alpdruck der „Tradition aller toten Geschlechter“ befreit hatten, die „auf dem Gehirne der Lebenden“ lastete3. Das Ziel sollte die blühende Welt einer von Vernunft und Freiheit geprägten Moderne sein, von der allerdings kaum vorauszusagen war, wie sie denn am Ende eigentlich aussehen sollte und könnte: ob die Menschen in ihr dann über die Freiheit verfügten, nach eigenem Gutdünken „heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren“4, – oder, eine andere Perspektive, ob diese „blühende Welt“ nicht doch am Ende auf die spannungs- und zutiefst [9] bedeutungslose Existenz jener „letzten Menschen“ hinausliefe, die in der Sonne blinzeln und sagen „Wir haben das Glück erfunden“5.

Die Visionen von Marx und Nietzsche haben ihre Verwirklichung einstweilen nicht gefunden, und es steht dahin, ob die Probe auf das Exempel tatsächlich einmal gemacht wird. Die Vernunft „als Nüchternheit“, von der Freyer sprach, beschreibt allerdings einen Aspekt der modernen Lebenswelt, der bereits vor einhundert Jahren auf den Begriff gebracht wurde: als spätestens im 18. Jahrhundert einsetzender Prozess einer systematischen „Entzauberung“ der Welt, der sich nicht nur als Tendenz zu einer allgemeinen Versachlichung zeigt, sondern ebenfalls als Etablierung des „stahlharten Gehäuses“ einer zuerst und vor allem auf Rationalität gegründeten modernen Lebens- und Arbeitswelt6. Und die Vernunft als „Schrecken“ definierte Hans Freyer wiederum mit Blick auf die Terrorjahre der Französischen Revolution als das „Gesetz der Totalisierung jeder Gewalt“, die ihren konkreten Ausdruck im Gebrauch des „Schrecken[s] als Regierungsmittel“ und nach 1789 im „fieberhaften“ Arbeiten der Guillotine fand, um auf diesem verzweifelten Weg am Ende eben doch noch den universalen Sieg von Vernunft und Freiheit herbeizuführen – [10] als Folge der konsequent betriebenen Vernichtung ihrer wirklichen oder vermeintlichen Gegner7. In bemerkenswerter Koinzidenz zogen die beiden Verfasser der „Dialektik der Aufklärung“ zur gleichen Zeit die Linien bis in die eigene Gegenwart, wenn sie den Übergang von der Aufklärung zur modernen Barbarei konstatierten.

Tatsächlich stellte und stellt sich auch gegenwärtig die alte Frage „Was ist Aufklärung?“ völlig neu, und sie kann – keineswegs nur im Licht der historischen Erfahrung – heute nicht mehr wie im Jahr 1784 beantwortet werden, wenigstens nicht mehr so hoffnungs- und zukunftsfroh. Und dennoch verweist diese Frage zurück auf die Debatten und Überlegungen des 18. Jahrhunderts, auf die vielfach bereits grundlegenden und oft sehr kontroversen Reflexionen über Gegenwart und Zukunft vernunftbestimmten Denkens, über dessen politische und soziale Dimensionen und über die Möglichkeiten und die Grenzen der Vernunftfähigkeit und in diesem Sinne eben auch der Aufklärbarkeit der Menschen.