Deutsch – Eine Liebeserklärung - Roland Kaehlbrandt - E-Book
SONDERANGEBOT

Deutsch – Eine Liebeserklärung E-Book

Roland Kaehlbrandt

0,0
11,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 11,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

»Eine herrlich unterhaltsame Huldigung.« Deutschlandfunk »Ein ebenso lesenswertes wie gut lesbares Buch.« FAZ »Und so ist die ›Liebeserklärung‹ ein ganz im Geist der Aufklärung geschriebenes Plädoyer für einen toleranten, weltoffenen Kulturpatriotismus. Sie gehört in den Handapparat jedes Deutschlehrers und aller, die an und mit unserer Sprache arbeiten.« Rhein-Zeitung Was die deutsche Sprache kann! Deutsch gilt als kompliziert, hart und teilweise sogar hässlich – zu Unrecht, findet Roland Kaehlbrandt und zeigt, warum wir gerade im Deutschen die ausdrucksstärksten Wörter haben, warum unsere Sprache so gut zu lesen ist und welch einzigartige Nuancen sie uns bietet. Dieses Buch vereint die größten Vorzüge der deutschen Sprache – mit viel Humor und 
zahlreichen Beispielen. »Höchst kurzweilig, amüsant und spannend erörtert Roland Kaehlbrandt die wunderbare Vielseitigkeit unserer deutschen Sprache – ein echtes Lesevergnügen!« Nele Neuhaus »Roland Kaehlbrandts liebenswürdiges Buch über unsere liebenswerte Sprache preist die Vorzüge des Deutschen, die manchmal gerade als Schwierigkeiten betrachtet werden und die hier als herrliche Eigenschaften beschrieben und gefeiert werden. Anschaulich durch schöne Beispiele, überzeugend argumentiert und doch leicht und urban im Ton wird das Buch die Liebe zu unserer Sprache bestärken und verbreiten.« Prof. Dr. Jürgen Trabant

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mehr über unsere Autoren und Bücher: www.piper.de

Wenn Ihnen dieses Buch gefallen hat, schreiben Sie uns unter Nennung des Titels »Deutsch – eine Liebeserklärung« an [email protected], und wir empfehlen Ihnen gerne vergleichbare Bücher.

© Piper Verlag GmbH, München 2022

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Cornelia Niere

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich der Piper Verlag die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Motti

Vorwort

Erster Vorzug: einfühlsam und ausdrucksstark

Feine Zwischentöne

Den Gebrauch nicht übertreiben

Erfrischende Neuzugänge

Zweiter Vorzug: geschmeidig in der Wortbildung

Fünf Millionen Wörter

Wortschatz aus 8000 Keimen

Produktive Wortverbindungen

Große Wortfelder

Nicht hierarchisch-logisch gegliedert

Dritter Vorzug: gelenkig im Satzbau

Spielend leichte Umstellung

Freundliche Umklammerung

Trennbare Verben – eine Zumutung?

Der synthetische Blick aufs Ganze

Warum immer nur Hauptsätze? Lob des Satzgefüges

Prägende Romananfänge

Die Nominalgruppe – fast beliebig erweiterbar

Vierter Vorzug: schnell und kurz, wenn es sein muss

Schneller, kürzer, lässiger

Ist das Sprachverfall?

Megakrass und andere Worterfindungen

Das geht gar nicht!

Ein echtes Plus

Den Kopf schütteln? Eher nicht

Fünfter Vorzug: leserfreundlich in der Rechtschreibung

Deutsch – eine lautreiche Sprache

Das Stammprinzip als Vorzug

Rechtschreibung und Grammatik

Zusammenschreibung

Logische Zeichensetzung

Eine Lanze fürs Komma

Sechster Vorzug: normiert als Standardsprache

Sprachnorm und Standard

Was ist richtig, was ist falsch, was ist schwankend?

Siebter Vorzug: verfeinert als Literatur- und Bildungssprache

Literatursprache: Freiheit des Ausdrucks auf der Grundlage des Standards

Humanistischer Zitatenschatz

Das Deutsche als Bildungssprache

Denk- und Sprachstil

Eleganz auch in Sachtexten

Achter Vorzug: vielfältig und weitverbreitet

Hochdeutsch wird auch woanders erfunden

Die deutschen Dialekte – Nähe und Vertrautheit

Alt und wandelbar

Neunter Vorzug: aufnahmewillig und integrationsfähig

»Fremdwörter« – ist diese Bezeichnung eigentlich begründet?

Kaum ein Wort kommt davon

Deutsch als Einwanderungssprache

Abbas Khiders »Endgültiges Lehrbuch«

Kiezdeutsch – Nobilitierung überflüssig

Zehnter Vorzug: aus der Mitte der Gesellschaft geschaffen

Lutherdeutsch

Auf dem Weg zu den deutschen Wissenschaftssprachen

Germanisten der ersten Stunde

Kultursprache, Literatursprache

Grimms Lautgesetz, Wörterbuch und Grammatik

Humboldts Weltansichten

Größenwahn und Verbrechen

Noch einmal zurück

Nur für Liebhaber: ein Überschuss an grammatischen Formen

Zum Schluss: ein Blick nach vorn

Danksagung

Anmerkungen

Literatur

Anmerkungen

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Literaturverzeichnis

Widmung

Für Gaby, Anna Charlotte und Philipp

Motti

Liebe vom ersten Ton an.

John le Carré, Schriftsteller

Ich habe die deutsche Sprache von Anfang an geliebt.

Yazgül Ṣimṣek, Germanistin

Mir gefällt am Deutschen die Klarheit.

Irene Corvacho del Toro, Germanistin

Die deutsche Sprache ist die Orgel unter den Sprachen.

Jean Paul, Schriftsteller

Dich aber, süße Sprache Deutschlands, habe ich erwählt und gesucht, ganz von mir aus.

Jorge Luis Borges, Schriftsteller

Vorwort

In unseren Sprachen ist geistige Notwendigkeit und geschichtlicher Zufall.

Mario Wandruszka

In unserem flüchtigen Dasein schenkt uns die Sprache Ankerpunkte. Ihre Wörter und Sätze bringen unser Leben auf den Begriff. Sie ist das Werkzeug unseres Denkens, unserer Vorstellungen, unserer Empfindungen, unseres Ausdrucks. In der Sprache erfahren wir die Welt, und in ihr setzen wir die Welt.

Auch die deutsche Sprache schenkt uns all das, auf ihre eigene Art. Sie überliefert uns einen großen Reichtum. Dieser Reichtum macht es uns leicht, unsere ganze Persönlichkeit in der deutschen Sprache auszudrücken: in den Millionen – ja Millionen! – von Wörtern, die uns die Sprache bietet, und in dem gelenkigen und nuancenreichen Satzbau, den sie uns schenkt.

Sind wir uns eigentlich dieses Reichtums bewusst? Kennen wir überhaupt die Vorzüge unserer Sprache? Oder kennen wir eher die Negativurteile: dass das Deutsche schwer, umständlich, langatmig und hart im Klang sei?

Der bekannteste Ausspruch über die deutsche Sprache stammt mutmaßlich von Mark Twain: Das Leben sei zu kurz, um Deutsch zu lernen. Damit meinte er (wie er es an vielen konstruierten und komischen Beispielen demonstrierte), dass das Deutsche kompliziert, unregelmäßig und unzugänglich sei. Aber hatte er recht?

Viele meinen es. Als ich ein kleiner Junge war, rief eine italienische Tante mit gespielter Bewunderung, wenn sie mich sah: »In Deutschland können sogar die kleinen Kinder Deutsch sprechen!« Die Ironie verstand ich erst später.

Der Ruf des Deutschen, schwer zu sein, bleibt nicht folgenlos: In einem deutschen Forschungsinstitut sagte man mir auf die Frage, ob denn die jungen Wissenschaftler auch Deutsch lernten: »Das dauert zu lange und hindert sie am Forschen. Wir brauchen eher Englisch für den Hausmeister.«

Andererseits lernte ich einmal die Siegerinnen einer Deutsch-Olympiade aus den Ländern Osteuropas kennen. Inzwischen lernen ja wieder mehr Menschen im Ausland Deutsch als zuvor. Es sind immerhin 15 Millionen. Die Studentinnen sprachen alle fließend Deutsch und waren doch zuvor noch keinmal in Deutschland gewesen. Ob denn das Deutsche nicht schwer zu erlernen gewesen sei, fragte ich sie erstaunt. Sie brachen in Gelächter aus. »Deutsch? Schwer? Nicht für uns!«

Hatte Mark Twain nun recht oder nicht? Und haben diejenigen recht, die zu Ausländern, die sich im Deutschen noch schwertun, in einer Mischung aus Mitleid und Herablassung »deutsche Sprache, schwere Sprache« sagen?

Die Wahrheit ist: Deutsch ist in manchen Bereichen sogar leicht erlernbar, zum Beispiel, wenn es um die Bildung neuer Wörter geht. Die Wortbildung ist ein elementarer Vorgang. Denn in den Wörtern erfassen und beschreiben wir Gegenstände wie den Einfüllstutzen, Empfindungen wie die Wehmut, Erlebnisse wie den Waldspaziergang und Abstraktes, also nicht Gegenständliches wie das Sein. Wir können im Deutschen die Wörter leicht miteinander verknüpfen und dadurch neue Bedeutungen schaffen. Selbst wenn wir diese Wörter noch gar nicht kennen, können wir sie allein aus ihren Bestandteilen erschließen und verstehen. Ein großer Vorzug! Auch ohne ein Seminar über die deutsche Romantik zu besuchen, können wir empfinden, was Waldeinsamkeit bedeutet.

Aber geht es bei einer Sprache nur um leichte Erlernbarkeit? Ja, ist leichte Erlernbarkeit überhaupt ein Kriterium für das, was eine Sprache bietet und was sie kann? Letztlich wartet jede Sprache mit ganz bestimmten Schwierigkeiten auf, die je nach Ausgangssprache auch wieder ganz anders ausfallen können. Jede fremde Sprache will von jeder Ausgangssprache aus neu erschlossen sein.

Deshalb geht es bei der Betrachtung einer Sprache nicht nur um die Leichtigkeit des Erlernens. Neben der leichten Wortbildung des Deutschen kommen daher weitere Vorzüge der deutschen Sprache ins Spiel: der Satzbau, der so schöne und klare Sätze hervorbringt wie: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Oder auch die Großschreibung, die uns das Lesen so sehr erleichtert, weil wir schon am Schriftbild erkennen, wo die so wichtigen Substantive stehen. Ja, sogar das gute alte Komma, heute so gering geschätzt und oft unterschlagen, hat in der deutschen Rechtschreibung seinen Sinn. Man vergleiche die beiden Sätze: Gott vergibt Django nie und Gott vergibt, Django nie.

Wenn wir die Errungenschaften der deutschen Sprache genauer kennen, schärft sich unser Sprachbewusstsein. Es kann uns motivieren, unsere alte, vielseitige und zugleich höchst lebendige Sprache lustvoll und kreativ weiterzuentwickeln.

Einmal sagte mir der Beauftragte der Französischen Republik für die »Frankophonie« (den Zusammenschluss der französischsprachigen Länder und jener Länder, die Französisch besonders fördern), er wünsche sich seine Muttersprache als eine langue hospitalière, als eine gastfreundliche Sprache. Das soll auch für das Deutsche gelten! Als Sprache gleich mehrerer Einwanderungsländer sollte sich das Deutsche als aufnahmefreundlich erweisen. Die vielen Zuwanderer, die zu uns gekommen sind und zu uns kommen, sind eingeladen, eine aktive Rolle in der Sprache des neuen Heimatlandes zu spielen. Viele haben es schon getan, so wie der deutsch-türkische Schriftsteller Zafer Şenocak. Er schreibt aus eigener Erfahrung, das Erlernen der deutschen Sprache »erfordert das Eindringen in den deutschen Identitätsraum, das Sich-Hineindenken in eine verborgene Sprache«.

Wenn unsere Sprache als Verkehrssprache im Einwanderungsland wieder wichtiger wird, dann stellt sich freilich auch die Frage: Was kann sie? Was bietet sie? Was bietet sie denen, die sie lernen? Und was macht sie reizvoll, ja liebenswert, sodass man sich geradezu in sie verlieben kann?

Eine Liebesbeziehung fußt gewöhnlich nicht nur auf unergründlicher Anziehung, sondern auch auf konkreten Vorzügen. Nun, was kann die deutsche Sprache besonders gut? Dieses Buch nennt die zehn wichtigsten Vorzüge unserer Sprache. Vorzüge also, die Sie kennen sollten, wenn Sie über die deutsche Sprache urteilen – ganz gleich übrigens, ob als Verächter, als Skeptiker oder als Liebhaber.

Eine Liebeserklärung benötigt freilich keinen Vergleich mit anderen Objekten der Sehnsucht, denn echte Liebeserklärungen wenden sich an das Unvergleichliche. Und wo eine Liebeserklärung keine direkten Vorzüge sieht, erkennt sie die Besonderheiten als liebenswert. Schöner als der Sprachgelehrte Mario Wandruszka kann man den Reiz und den Sinn der Besonderheiten der Sprachen nicht zusammenfassen: dass wir neben den ganzen Vorzügen einer Sprache auch erkennen, »wieviel Zufallsreichtum, wieviel Zufallsüberfluss in unseren Sprachen ist, wieviel zufälliges Überangebot«. Und auch im Deutschen ist neben seinen Vorzügen einiges von diesem »Überangebot« zu finden. Das wird am Ende dieses Buches ebenfalls zur Sprache kommen.

Aber vor allem wünsche ich mir natürlich, dass die Vorzüge der deutschen Sprache Sie, liebe Leserinnen und Leser, auch überzeugen. Und wenn nicht, dass Sie meine Liebeserklärung doch ein wenig verführt.[1]

Die Idee zu diesem Buch entstand nach einem Vortrag, den ich im Rahmen eines Bildungskongresses des Hessischen Kultusministeriums vor 800 Lehrerinnen und Lehrern im Audimax der Goethe-Universität Frankfurt zum Thema »Was die deutsche Sprache kann« hielt. Der große Zuspruch des kundigen Auditoriums hatte etwas ungemein Ermutigendes. Auch dem Piper Verlag – und insbesondere meinen anspornenden Lektorinnen Charlyne Bieniek und Esther Feustel – schulde ich Dank für die Ermutigung zu dieser besonderen Liebeserklärung.

Frankfurt am Main im Herbst 2022

Erster Vorzug: einfühlsam und ausdrucksstark

»Freilich nun wohl – setzen Sie sich und trinken Sie eins. Heute sind Sie meine Gäste.«

Heinrich Mann, »Professor Unrat«

Wenn wir im deutschen Sprachraum Zeugen von Unhöflichkeit sind, so liegt es jedenfalls nicht an der deutschen Sprache. Im Gegenteil, als wüsste die deutsche Sprache, dass Barschheit bei uns so häufig ist, hat sie uns gerade eine Vielzahl von freundlichen, kommunikationsfördernden Partikeln an die Hand gegeben. Sie werden im Deutschen besonders häufig verwendet.

 

Ausgerechnet die deutsche Sprache soll Freundlichkeit begünstigen? Manche Vorurteile sprechen eine andere Sprache. Das Deutsche sei ein barbarischer Jargon, den man gerade noch mit den Pferden sprechen könne, urteilte der französische Philosoph Voltaire. Auch Kaiser Karl V. sprach, wie er kundtat, zu Gott auf Spanisch, mit seiner Geliebten Italienisch, mit Freunden Französisch und zu Pferden Deutsch. Und doch, gerade das Deutsche bietet eine Fülle liebenswürdiger kleiner Wörter an, die geeignet sind, unser Verhalten positiv zu beeinflussen und den Kontakt zu anderen zu erleichtern. Es sind Wörter, über die in der Schule oft kritisch geurteilt wurde: Es seien Füllwörter oder Flickwörter, man solle sie meiden, weil sie nichts Echtes zu bedeuten hätten; es seien Verlegenheitswörter, um das eigene Zögern zu verdecken. Stattdessen solle man seinen Verstand gebrauchen, seine Wörter vor dem Sprechen sorgfältig wählen, dann könne man auf diese Füllwörter getrost verzichten.

Ganz falsch! Wir brauchen sie!

Es ist nämlich gerade so, als hätten unsere Vorfahren diese vielen kleinen freundlichen Wörter erfunden, weil sie wussten, dass so mancher zu Grobheiten neigt, weshalb sie Vorsorge trafen. Ja, man könnte zu dem Schluss kommen, die deutsche Sprache stelle so viele und so häufig gebrauchte freundliche Wörter bereit, eben weil die Deutschsprachigen zu Grobheiten neigen. Aber sollen wir im Umkehrschluss vermuten, die Franzosen neigten von Natur aus eher zur Höflichkeit, weshalb diese freundlichen kleinen Wörter im Französischen zu rund 40 Prozent weniger verwendet werden als im Deutschen?[2] Das ist schwer zu beurteilen. Jedenfalls stellt die deutsche Sprache diese Wörter zur Verfügung, und man sollte sie nicht als überflüssig betrachten, sondern die Vorzüge erkennen, die sie bieten.

»Wie heißt du denn?«, fragen wir das Kind eines neuen Nachbarn. Das ist netter und verbindlicher als die krude, fast schon fordernde, unmittelbar gestellte Frage: »Wie heißt du?« Das kleine Wörtchen denn schafft den Unterschied.

»Mach’s halt!«, lautet die milde Aufforderung des Vaters an seinen Sohn, in der Dunkelheit den Dynamo an seinem Fahrrad anzuschalten, auch wenn es unter seinen Altersgenossen aus unerfindlichen Gründen als uncool gilt. Wenn die Sorge der Eltern schon nicht einzusehen ist, so versteht der Sohn zwischen den Zeilen, dann solle er es doch bitte, bitte aus reiner Gefälligkeit ihnen gegenüber tun! Das kleine und unscheinbare halt erzeugt den kameradschaftlichen Ton, der dem Nachwuchs womöglich das Einlenken erleichtert. Was würde hingegen der schlichte Befehl »Mach’s!« in einer modernen Verhandlungsfamilie bewirken? Vermutlich nichts als Trotz.

»Wo bleibt sie bloß?«, lautet die besorgte Frage der Mutter an eine Freundin, weil die Tochter nicht nach Hause gekommen ist und es spät wird. Gewiss, dieses kleine bloß fügt zu der Frage, wo die Tochter bleibe, keinen neuen Sachverhalt hinzu. Aber es deutet die Sorge der Mutter an, und damit verleiht es der Frage die kommunikative Bedeutung. Dem schlichten »Wo bleibt sie?« ginge hingegen der entscheidende Mitklang ab, der durch das Wörtchen bloß erzeugt wird. Es geht ja eben gerade nicht nur um eine schlichte Informationsfrage, die die Gesprächspartnerin sachlich beantworten könnte, sondern um den Ausdruck der Sorge, ob der Tochter womöglich etwas widerfahren und dies der Grund für ihr Nichtkommen sein könnte. Wir sehen also, wie wichtig, ja entscheidend dieses bloß ist. Und damit erkennen wir auch, wie wichtig neben der rein sachlichen Frage die Tönung ist, die wir ihr geben. Die von der Mutter gestellte Frage würde auch ohne das Abtönungswort bloß nichts an ihrem Sachgrund einbüßen, so wie sie durch das Wörtchen auch keinen Wahrheitswert hinzugewinnt.

Unsere kleinen Freunde, die Partikeln, tragen keine eigene lexikalische Bedeutung. Wohl aber ist es die Haltung, die Stimmung der Fragenden, die durch diese »Zaunkönige im Pelz der Sprache«, wie der Linguist Peter Eisenberg sie fast schon zärtlich nennt, zum Ausdruck kommt. Und dies, den Ausdruck von Stimmungen, leisten diese kleinen Wörter meisterlich. Mit ihrer Hilfe ist unsere kommunikative Absicht fein und nebenhin eingeflochten und wird nicht mit großen Worten in die Welt hinausposaunt.

Wie fein die kommunikativen Unterschiede sein können, zeigt eine leichte Abwandlung. Hätte die Mutter nicht »Wo bleibt sie bloß?«, sondern »Wo bleibt sie denn?« gefragt, wäre der Mitklang deutlich harmloser, gewissermaßen in der Art wie »seltsam, sie wollte doch pünktlich sein«. Das Wörtchen denn ist verbindlich, weich, abmildernd. Dass man im Deutschen mit einem schlichten Austausch von kleinen Wortpartikeln auf einfache Weise eine Frage in ein ganz anderes Licht rücken kann, ist für die Verständigung sehr hilfreich.

Das Beispiel der Partikeln zeigt im Übrigen, dass Menschen, die die deutsche Sprache als Fremdsprache erlernen, nicht nur grammatische Kenntnisse erwerben müssen, sondern auch Regelmäßigkeiten in der kommunikativen Verwendung der Sprache. Mit einem Wörterbuch und einer Grammatik allein lernt man nicht alles. Wie die Sprache in Aktion gebraucht wird, wie also das, was uns das Sprachsystem an die Hand gibt, in der konkreten Sprechsituation mit welcher Wirkung angewandt wird, gehört ebenso zur Aneignung einer Sprache hinzu. Deshalb gibt es auch die Auffassung: Die Bedeutung der Wörter liegt in ihrem Gebrauch. Und tatsächlich: Wie sonst, wenn nicht im Zusammentragen aller denkbaren Kommunikationssituationen, in denen ein Wort mit dieser und jener Nuance verwendet wird, können wir zur Bestimmung der Bedeutung eines Wortes kommen? Und ganz gewiss trifft dies besonders auf die modulierenden »Füllwörter« zu, die ausschließlich kommunikativ, also in einer konkreten Gesprächssituation, ihren Zweck erfüllen.

Feine Zwischentöne

Eben diese Feinheit der kommunikativen Mitbedeutung ist der große Vorzug der Partikeln (aus lateinisch particula, Teilchen). Zählungen zufolge kommen im Deutschen im Durchschnitt auf 100 Wörter 13 Partikeln. Diese häufige Verwendung ist eine Besonderheit des Deutschen. Es ist nicht gerade einfach, eine Ballung von Partikeln in eine andere Sprache zu übersetzen, wie zum Beispiel die bewusst altmodische Bestätigungsformel des Professors Unrat in Heinrich Manns gleichnamigem Roman: freilich nun wohl, traun fürwahr. Häufig müssen (können aber auch) in anderen Sprachen andere Wege eingeschlagen werden, um die Abtönung der deutschen Partikeln wiederzugeben.[3]

Interessant ist der Gebrauch der Antwortpartikel ja. Oft wird ja nicht in dieser Funktion verwendet, sondern zum Ausdruck eines Vorwissens, das der andere mit uns teilt: »Sie wird ja in diesem Monat ihr Abitur schreiben.« Wenn wir nicht vermuteten, dass unser Gegenüber von dem bevorstehenden Abitur weiß, hätte das ja keinen Sinn. So aber schlagen wir die kommunikative Brücke zum anderen, indem wir an unser gemeinsames Vorwissen erinnern. Allerdings begegnen uns im Alltag auch immer wieder Zeitgenossen, die ein solches ja einflechten, ohne dass wir den Sachverhalt kennen könnten. So jemand verrät zu seinem eigenen Nachteil, dass er mehr bei sich als beim anderen ist, denn sonst wäre ihm bewusst, dass wir das, was er weiß, nicht wissen können, und er würde das ja vermeiden. Man darf die Partikeln nicht unterschätzen. Auch sie wollen korrekt verwendet werden.

Die Partikel ja hat übrigens Verstärkung erhalten. Es ist der Ausruf und ja!. Er unterstreicht die ihm folgende Aussage und hebt deren Berechtigung vorsichtshalber schon einmal hervor: »Und ja, Bildung für alle muss sein!« Das ist anders als »Bildung für alle muss ja sein.« Deutlich stärker, eben ein Ausruf. Auch der gegenteilige Ausruf ist inzwischen zu vernehmen: Und nein!, logischerweise im Zusammenhang mit Zuständen, die vehement abgelehnt werden und Empörung hervorrufen sollen. »Und nein, es ist nicht normal, dass immer mehr Leute so rücksichtslos sind!« Das Deutsche ist reich an kleinen Partikeln, die einem Satz Tönung verleihen. Mit und ja! und und nein! stehen nun zwei weitere Kandidaten zur Verfügung.

Wenn wir die Richtigkeit unserer Aussagen hervorheben wollen, bieten sich im Deutschen aber noch weitere, eher klassische Bestätigungspartikeln an: eben oder ebendeshalb – und vor allem genau.

Den Gebrauch nicht übertreiben

Die Bestätigungspartikel genau hat inzwischen eine weitere Funktion erobert. Genau! wird auch mitten im Satz als Gliederungs- und Bestätigungsmerkmal des gerade laufenden Denk- und Formulierungsvorgangs gebraucht: »Nach dem Schulabschluss habe ich, genau, erst einmal ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert, und dann habe ich, genau, eine Banklehre begonnen. Da habe ich viel gelernt, genau.«

Kurios! Nicht der andere soll bestätigen, dass er verstanden hat, was man sagen wollte, sondern man selbst bestätigt sich … ja was eigentlich? Man bestätigt sich selbst in einer Art innerem Monolog, dessen unfreiwilliger Zeuge aber nun auch der Gesprächspartner ist, dass man einen neuen Gedanken beginnt, oder auch, dass der Gedanke gerade endet. Man legt also die Arbeit an der Gliederung seiner Gedanken offen und macht auf sie aufmerksam, so als wäre eine besondere Anstrengung nötig, um die Gedanken sprachlich zu ordnen. Man legt die Tatsache offen, dass man sich dessen noch selbst vergewissern muss. Daran ist nichts moralisch Schlechtes, denn warum soll man nicht eingestehen, dass man gerade angestrengt nachdenkt?

Man tritt allerdings auch dem anderen gegenüber für eine Sekunde aus der Ebene der unmittelbaren Mitteilung heraus und begibt sich in einer Art Selbstreflexion auf die darüberliegende Ebene der Denk- und Sprachorganisation – und lässt seinen Gesprächspartner auch gleich daran teilhaben, der dann überprüfen kann, ob die Sprachproduktion des anderen funktioniert. Man kann es auch Transparenz nennen. Das bestätigende genau gibt die Antwort auf gleich mehrere selbst gestellte Fragen des Redners: Ist es so gewesen, wie ich es gesagt habe? Habe ich jetzt auch das gesagt, was ich sagen wollte? Und habe ich es an der richtigen Stelle gesagt? Allerdings kann man sich als Gesprächspartner auch fragen: Entspricht diese Offenlegung geistig-sprachlicher Anstrengung der vorgetragenen Gedankenfülle? Denn wie immer geht es in der Anwendung sprachlicher Mittel auch um die Angemessenheit, bezogen auf den Redegegenstand, den Empfänger der Nachricht und die Redesituation.

Die beobachtbare Verbreitung von genau unterstreicht einen Wesenszug der deutschen Sprache, den wir uns als Sprecher zunutze machen, aber auch, wie gezeigt, überstrapazieren können (wie alles, was uns zur Verfügung gestellt wird): Die Sprache beeinflusst uns darin, die kommunikativ so wirksamen Partikeln häufig zu gebrauchen und damit unsere Sprecherhaltung anderen gegenüber immer wieder zu offenbaren, statt uns nur auf den Ausdruck purer Sachverhalte zu beschränken. Das ist kommunikationsfördernd. Allerdings kann ein zu häufiger Gebrauch auch stören, weil man als Hörer nicht jede gedankliche Anstrengung und jeden Selbstzweifel des anderen nachvollziehen will, vor allem dann nicht, wenn er sich auch bei der Schilderung einfachster Sachverhalte wie es scheint besonders anstrengen muss. Freilich kann der Selbstzweifel, der mit genau vorgetragen wird, manchmal durchaus sympathisch wirken: Hier ist jemand ohne Scheu ehrlich zu sich selbst und zu anderen, was wiederum der offenbar so beliebten Gefühlsäußerung im Deutschen entspricht.

Erfrischende Neuzugänge

Die deutsche Sprachgemeinschaft ist erfinderisch. So kommen neue Partikeln hinzu. Das gilt auch für eine besondere Klasse, die die Intensität einer Äußerung hervorheben, man nennt sie Gradpartikeln. Wir kennen zum Beispiel die Gradpartikeln sehr, ganz, höchst oder ziemlich.

Nun sind gerade Kinder und Jugendliche immer auf der Suche nach markanten Aussagen, für die sie Hervorhebungen erfinden. Und so haben sie das Deutsche durch eine Fülle von jugendsprachlichen und inzwischen auch umgangssprachlichen Partikeln bereichert, angeführt von der Gradpartikel voll. »Mama, das ist voll schön!«, ruft ein Mädchen angesichts eines sich rasch drehenden Karussells im Schaufenster eines Spielzeugladens aus. »Echt megakrass«, kommentiert die ältere Schwester. Jede junge Generation findet ihre eigenen altersgemäßen Hervorhebungen und Tönungen. Das belebt die Jugendsprache. Und auch als Erwachsener kann man in ausgesuchten Kontexten durchaus einen Effekt erzeugen, wenn man etwas voll unfair findet.

Kommunikativen Zwecken dienen auch Ausrufe und Gesprächskommentare wie der Ausdruck ganz ehrlich, der gewöhnlich am Anfang eines Satzes steht. Seine Verwendung hat enorm zugenommen, wobei es hier sowohl auf die Partikel ganz als auch auf das Adjektiv ehrlich ankommt.

Ganz ehrlich leitet ein emotionales Geständnis ein. Meist handelt es sich um eher alltägliche Widrigkeiten, die spontane Reaktionen hervorrufen:

A: »Da hat sie ihren Urlaub in letzter Sekunde dann doch noch verlegt.«

B: »Echt jetzt? Ganz ehrlich: Das geht so was von gar nicht.«

C: »Voll unfair! Aber mal ganz ehrlich: Ist auch nicht das erste Mal, dass sie so was bringt!«

 

In den meisten Fällen kann sich die Empörung auch rasch wieder legen oder sich ohne Umstände einem neuen Gegenstand zuwenden. Denn so ernst war sie nun auch wieder nicht gemeint. Deshalb ist die moderne Geständnisformel eben das, was die meisten neuartigen Hervorhebungen auszeichnet: leicht übertrieben – so als ginge es um die Offenbarung einer brisanten Wahrheit, die nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit geäußert werden kann, ja in manchen Fällen nachgerade um eine Art moderner Beichte (so wie die Liedautoren der Schlagersängerin Helene Fischer sie denn auch gleich mit gutem Gespür für Populäres in dem Titel »Mal ganz ehrlich« verarbeitet haben). Tatsächlich aber ist ganz ehrlich eine Kurzformel für alltägliche Aufgeregtheiten aller Art und genau deshalb so beliebt.

Wie gesagt, ist die Sprachgemeinschaft in der Erfindung oder Umwidmung von Partikeln ausgesprochen produktiv. Die deutsche Sprache begünstigt es. Der Gesprächskultur kann es eigentlich nur nützen, eben gerade dann, wenn es – genau! – wieder einmalvoll ums Gefühl geht. Ganz ehrlich!

Zweiter Vorzug: geschmeidig in der Wortbildung

Auf eines versteht sich die deutsche Sprache vorzüglich, ja besser als alle anderen: auf die Bildung von Nominalkomposita.

Ilma Rakusa

Wörter erfinden? Wörter lernen? Das ist im Deutschen nicht sehr schwer. Das Deutsche macht es uns leicht, neue Wörter aus bestehenden zusammenzusetzen. Man hat es deshalb auch »Lego-Sprache« genannt, und darum ist der deutsche Wortschatz so umfangreich. Deutsch hat einen der größten Wortschätze. Das ist ein großer Vorzug. Denn in den Wörtern erfahren wir die Welt, in ihnen bestimmen wir unsere Welt, und mit ihnen sprechen wir über unsere Welt.

 

Sagen wir es gleich: Wir brauchen keinen riesigen Wortschatz zum schieren Überleben. Wir kommen zur Not auch mit ganz wenigen Wörtern aus. Forschungen haben ergeben, dass etwa 750 Wörter den alltäglichen Sprachgebrauch ausmachen. Nicht umsonst umfasst der Grundwortschatz der Sprachen nicht mehr als 2800 Wörter. Damit kommt man schon weit. Und wenn wir 10 000 Wörter nutzen, verwenden wir schon den aktiven Wortschatz eines Muttersprachlers mit gutem Bildungsabschluss. Ist es also ein Vorteil, wenn uns eine Sprache mehr als jene 10 000 Wörter bietet?

Wir Sprachwesen – und das sind wir unzweifelhaft und glücklicherweise, seit unsere Vorfahren vor etwa 170 000 Jahren (wir wissen es nicht genau) die Anfänge der Lautsprache entwickelten – haben die besondere Fähigkeit, ein Zeichen für eine Vorstellung zu setzen. Man nennt dies das Stellvertreterprinzip: An die Stelle einer Vorstellung, einer Idee, einer Empfindung, eines wahrgenommenen Gegenstandes setzen wir ein Zeichen. Dieses Zeichen hat einen Doppelcharakter. Es hat eine lautliche und eine inhaltliche Seite. Aus beidem formen wir ein Wort. In der Kombination beider Seiten des Zeichens sind wir grundsätzlich frei. Zwar gibt es einige Wörter mit lautmalerischem Charakter (wie Wauwau), aber bei den meisten Wörtern ist das Verhältnis zwischen Laut und Zeichen willkürlich. Eine Einschränkung: Da wir in bestimmten Sprachen aufwachsen, sind wir allerdings von der Lautstruktur der jeweiligen Sprache und den Regeln ihrer Wortbildung beim Bilden neuer Wörter beeinflusst.