Deutungsverlust - Werner Hummel - E-Book

Deutungsverlust E-Book

Werner Hummel

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Beschreibung

"Denken ist ein Funke, der vom Schlag des Herzens entfacht wird." (Weish 2,2). Im Gegensatz zu dem Vorwurf an die Frevler im Buch Weisheit ist dieser Satz heute Ausgangspunkt für die Wiedergewinnung der Empathie als Voraussetzung für gelingende Kommunikation. Vor Gedanken liegen unsere eigenen, ganz unterschiedlichen, Bilder. Das Gefühl des zunehmenden Deutungsverlustes innerhalb der eigenen Kultur kann durch die Aufnahme epigenetischer Beschreibungen und die Abweisung kommunikationsstörender Theorien aus den Bereichen der Zoologie, Linguistik und Philosophie minimiert werden. In religiöser und psychopolitischer Hinsicht gilt es Dominanzstreben und die Angst vor argumentativer Auseinandersetzung zu vermeiden.

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Seitenzahl: 66

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhaltsverzeichnis:

Metaphorische Sprengsel: Unerledigte Zeit

Eigentliches bleibt fremd: In-sich-bleiben

Verloren im Schweigen

Paradoxie des Schweigens. Der Mensch in der Schwebe

Schwatzhaftigkeit der Moral: Phänomen sinnlosen Machterhalts

Theo dizee unter dem Diktat des Virus

Pädagogik des Entzugs

Grenzverlust: „Medien“ als Plattformen Ich-Auflösung

Unbehagen an der zunehmenden Leere – „Mustration“

Hoffnung in einer erneuerten Ethik?

Empathie begründet Tradition. Unerledigtes bedrängt die Zukunft

Die unbemerkte Revolution: Symmachus und die Religion.

Freiheit als Urtrieb der Zivilisation

Die Gewichte verschieben sich: Freiheit oder Gleichheit?

Am Bett des Patienten: Rettung im „Pathos“. Gegen falsche Weichenstellungen in Philosophie und Linguistik.

Literaturverzeichnis

1. Metaphorische Sprengsel: Unerledigte Zeit

Alles hat seine Zeit1. Das Unerledigte, Schattenhafte, Verdrängte, Beschämte, Übertragene, Überhöhte, Missachtete, Übergangene, Geworfene drängt aus den Kerkern der Vergangenheit in die Gegenwart. Die Fackeln in den tiefen Abgründen unseres Lebens verlieren mit dem Gang in die Höhe ihre Leuchtkraft. Licht von Oben wirft schemenhaft eine Leiter als „Blaupause der Rettung“ in das Grau des Steins, dem die Schritte folgen. Rückblick bedeutet Lebensverlust auf dem Weg in die Erfahrung, dass Licht nicht Erkenntnis, sondern zunächst Blindheit erzeugt. Gedanken, Sätze entfliehen ohne Konjunktionen einer unsagbaren Leere. Ihre Fesseln, die die Blickrichtung allein auf das Schattenhafte zwangen, ziehen die Masse des Körpers nach unten. Das Gravitationszentrum des Menschen liegt im Schemenhaften, dem Halbdunkel, das die Grenzen zum Abyssus, dem Absturz in die Nacht des Nichts verdeckt. Dort war – mythisch – noch niemand und ist doch jeder. Nicht das Geworfensein ins Leben ist der Urtrieb der Existenz, der Gang in die Höhe und der immer drohende Absturz, das schwarze Loch der Vergangenheit richtet den Menschen, die Angst vor dem unendlichen Fall in eine bodenlose Sphäre der resonanzlosen Stille, ohne Wiederkehr. Der Verlust der Freiheit ist einmalig und endgültig, so wie die Verheißung. Nicht alle riskieren den Fall wie Platon2 und Orpheus3 in den „unsagbaren“ Ἅιδης (Hades). Wenige denken, sie liefen – wie Camus4 – im Kreisel eines ebenen Irrgartens ohne Mitte. Persephone findet sich mit dem mythischen Wechsel der naturhaften Gezeiten und damit der Bestimmung der ἀνάγκη (Ananke) ab. Sie hat – ohne es zuzugeben – von der Frucht des Granatapfels gegessen. Hier wird das Licht im Reich der körperlosen Schatten mysterienhaft existenzial identifiziert. Schatten waren sie alle immer – auch im Wechsel der Kräfte des sichtbaren Universums – und ihre wesenlosen Körper, Opfer der τύχη (Tyche)5 oder eines anonymen fatums, bleiben gegenwärtig. Doch erreichen sie nicht den Saum einer Welt, deren Kraft nach oben zieht: ein Traktorstrahl einer Leichtkraft, die die willige, nicht zurückblickende Gestalt, ein Singularwesen, in ein Gleichgewicht emporhebt. Ein Ankerpunkt des Lebens als Erfahrung der Schwerkraft der Gnade6: anima quodammodo omnia7.

Das Leben geht auf und über im verlöschenden Hauch oder tritt ein und unter im Haus einer ständigen Durchdringung, Eigen- und Anderssein in einem dritten Element vermittelt. Der Schatten des griechischen und existenzialistischen Denkens wird hier in der Gedankenwelt des albertinischen Schülers zum Leib und die Schwerkraft zur Leichtkraft eines in sich stehenden, aus sich heraustretenden und rettenden, unzerstörbaren Geistes. Doch wir Heutigen bleiben desillusioniert zurück, vom Tod der Geliebten verstört: „Che faro senz‘ Euridice?“

1 Kohelet 3,1.

2 Platon, Politeia VII, 514a - 517a.: „Nächstdem, sprach ich, vergleiche dir unsere Natur in Bezug auf Bildung und Unbildung folgendem Zustande. Sieh nämlich Menschen wie in einer unterirdischen, höhlenartigen Wohnung, die eine gegen das Licht geöffneten Zugang längs der ganzen Höhle hat.“ Ausgabe von Günther Eigeler, Platon, Werke in acht Bänden, Bd. 4, Darmstadt 1971.

3 Ovid, Metamorphosen X, 1-105. Das Motiv seines Abstiegs ist die Liebe (X 25-27a): „posse pati volui nec me temptasse negabo:/vicit Amor. supera deus hic bene notus in ora est; /an sit et hic dubito.“ In der Übersetzung von Michael von Albrecht: „Ich wollte es ertragen und bekenne: ich hab’s versucht; doch Amor hat gesiegt. In der oberen Welt ist dieser Gott wohlbekannt; ober er es auch hier ist, weiß ich nicht.“ Vgl. Michael von Albrecht (Hrsg.) , P. Ovidius Naso, Metamorphosen, Stuttgart 1994, 511f.

4 Camus, Der Mythos des Sisyphos, Hamburg 1959.

5 Göttin des Schicksals, der guten oder bösen Fügung.

2. Eigentliches bleibt fremd. In-sich-bleiben.

In allem Eigentlichen werde ich, sind wir, von der Zeit umfangen. Freiheit in diesem temporalen Garten oder Gefängnis umhegt uns als Bewusstsein der Endlichkeit. Sich fallen lassen in die Unvermitteltheit des bloßen Daseins, einer Stille, in der die Ansprüche einer lauten Welt ihre Zügel verlieren. Bindungslosigkeit als Ergebnis des Verzichts auf Willen, Erkenntnis. Liebe im Wartezustand. Fehlende Moral. Grundgütiges Einverständnis mit dem DA-SEIN. Schweigen, in dem die Blicke nicht nach außen gelangen. Fehlende Angst vor dem Erblickt-Werden, vor den lauten Tönen eines anspruchsvollen Draußen. Relativierung, die im eigenen Ich behaust bleibt. Widerstand auch gegen das meditative, augustinische „foras exi“8. Verharren beim „in te ipsum redi9.“ Einfaltung statt Entfaltung.

Diese Richtung genügt als Fels des Widerstandes gegen die Diktatur des Andersseins, der Entfremdung, des Auswärtigen, gegen die Zwangsvollstreckung des eigenen Ichs durch die Banken des Zorns und die Agenten der Securitate. Sie leben von der Angst und Denunziation ist die Rückseite des Opportunismus, den sie erzeugen. Der Verlust der Freiheit ist schon auf dem Weg in den Kerker eingetreten. Doch: wurzelhafte Einzelheit gegen die Winde des Wandels in einem mainstream der Machtbesessenheit, des Anspruchs auf absolute Geltung. Geraffte Segel und gelegter Anker gegen den Zug einer aufgewühlten, leeren See. Beschränkung auf das Einzige gegen das ozeanische Gefühl des Aufgehobenseins im Vielen. Jeder Zeit formulierter Gesetze gilt es sich zu entledigen. Weigere Dich, dem Diktat zu folgen. Schreibe die Töne nicht auf. Lass sie in der Leere des Raums verhallen und schütze Dein Gehör gegen die Resonanz, die Deine Weigerung auslöst. Schlage die Töne auf der Klaviatur des Innern und verharre. Leiste dem, der Deine Grenzen bedrängt, keinen Widerstand. Sie sind für ihn undurchdringlich und du verweigerst dem Schlag seine Wirkung. Wenn Du fliegst, vermeide den Widerstand der Luft. Schwebe im Ich. Bleib im Borghetto und sieh mit Zuneigung auf die Mauern, die Dich umgeben. Nimm nur die Innenseite wahr .Setze das Ausrufezeichen Deines DASEINS. Die Diktatur beginnt immer draußen. Der Vergleich mit dem Besseren ist der Höllensturz Satans. Gott ist der Gute ohne Maß. Das Endliche ist das, was Dich im Innern festhält, Dich umfängt, wie die Zeit: ein zu bestellender Garten der Freiheit, der sich nur als Geschenk für Andere aufschließen darf. Taste die Blumen des Guten nicht an. Sie blühen von selbst. Sei ein Kontinent, an dem die Wogen des Ozeans ihr Ende finden. Lass das Rauschen der Brandung an den Dämmen Deiner Orte verebben. So hat die Diktatur keine Macht über Dich und Du bleibst frei: Indivisum in se, divisum a quolibet alio. nihil alium est unum quam indivisum.10

Siste paulisper, homuncio! Halte an, Menschlein! Verweile im Ungeteilten.

6 Simone Weil, Schwerkraft und Gnade, München 1989.

7 „Die Seele ist auf irgendeine Weise Alles“. Vgl. Thomas v. Aquin, De anima III l lectio 13 n. 4: „Et similiter anima data est homini loco omnium formarum, ut sit homo quodammodo totum ens ,inquantum secundum animam est quodammodo omnia". Vgl. http://www.corpusthomisticum.org/can3.html,11.08.2020, 11.44.

8 „Geh nach draußen!“

9 „Kehre in dich selbst zurück!“

3. Verloren im Schweigen

Die „bocca della verità“11 spricht nicht und wird nicht besprochen. In dieser leeren Stille spiegelt sich der Mensch,