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„Diamonds in your eyes: Fremdes Verlangen“ Der zweite Band der leidenschaftlichen Liebesroman-Reihe Diamonds in your eyes – ein erotisches Spiel zwischen Nähe und Kontrolle, Sehnsucht und Selbstbestimmung. Ein Blick. Ein Spiel mit dem Feuer. Und eine Entscheidung, die alles verändert. Ignaz – souverän, kontrolliert, erfolgreich in der Werbebranche. Hinter seiner kühlen Fassade verbirgt sich ein Mann, der nichts dem Zufall überlässt – vor allem nicht seine Gefühle. Als Viktoria, eine kluge und selbstbestimmte Frau aus seinem engen Umfeld, immer tiefer in sein Leben drängt, kämpft er gegen die aufkeimende Leidenschaft an. Sie ist nicht die Art Frau, die sich auf seine Wünsche einlässt. Davon ist er überzeugt. Doch das, was er in ihrer Nähe spürt, lässt sich nicht mehr ignorieren. Viktoria hingegen hat schon lange Gefühle für Ignaz. Als sie endlich eine Nacht mit ihm verbringt, hofft sie, ihm näher zu kommen – doch er stößt sie fort, ohne eine Erklärung. In einem impulsiven Moment sucht sie Trost bei einem anderen Mann, was alles nur noch komplizierter macht. Erst als sie auf Distanz geht, wird Ignaz klar, wie viel sie ihm wirklich bedeutet. Als Viktoria zurückkehrt, offenbart er ihr sein wahres Ich – und macht ihr ein ungewöhnliches Angebot: „Bist du bereit, freiwillig mit mir zu spielen und mir dein Vertrauen zu schenken?“ Zwischen Nähe und Rückzug, Verlangen und Vernunft, beginnt für Viktoria eine emotionale Achterbahnfahrt. Sie spürt, wie sehr sie sich nach ihm sehnt – und muss doch herausfinden, ob sie ihren eigenen Prinzipien treu bleiben kann, ohne ihn zu verlieren.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Naila Halfbody
Diamonds in your eyes: Fremdes Verlangen
Impressum:
Diamonds in your eyes
Fremdes Verlangen
ISBN:978-3-00-082642-9
Naila Halfbody
Anschrift:
Naila Halfbody
c/o Block Services
Stuttgarter Str. 106
70736 Fellbach
Website:
https://naila-halfbody-autorin.jimdosite.com
Texte © 2025 Copyright by Naila Halfbody
Bilder © 2025 Copyright by Naila Halfbody
Lektorat: Calin Noell
www.calin-noell.com
Coverdesign: Saskia Lackner
www.saskia-illustration.de
Alle Rechte vorbehalten
Diese Geschichte ist frei erfunden. Die in diesem Buch beschriebenen Personen und Ereignisse sind das Produkt der Vorstellungskraft der Autorin. Einige der beschriebenen Orte basieren auf realen Schauplätzen, wurden jedoch für die Zwecke der Geschichte teilweise verändert oder frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten der beschriebenen Charaktere und Handlungen mit tatsächlichen Personen, lebenden oder verstorbenen, sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.
Naila Halfbody
Biografie:
Ich wurde in Hamburg geboren und lebe derzeit in Berlin. Mit 46 Jahren entdeckte ich meine Leidenschaft für das Schreiben und verfasste während einer Überfahrt von Belgien nach Großbritannien meinen ersten Erotikroman.
Nach einer Zeit des Zögerns entschied ich mich im Alter von 50 Jahren, meine erste Liebesgeschichte zwischen Tian und Kaya zu veröffentlichen, die den ersten Band meiner Diamonds-in-your-eyes-Reihe darstellt.
Doch nach der Veröffentlichung des ersten Bandes spürte ich einen innerlichen Drang, weiterzuschreiben und die Geschichte von Tian und Kaya sowie die Abenteuer der anderen Charaktere weiter zu entfalten. So entstand die Fortsetzung, die tiefere Einblicke in ihre Welt und die Entwicklung ihrer Beziehungen bietet.
In meinen Geschichten geht es nicht nur um die flüchtigen Ebenen menschlicher Beziehungen, sondern um die tiefen, oft schmerzhaften Reisewege. Diese Erzählungen sind keine einfachen Liebesgeschichten, sondern tiefgründige, transformative Reisen in die Dunkelheit und ins Licht des Selbst.
Das Schreiben ist für mich eine Möglichkeit, meine Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen und in neue unbekannte Welten einzutauchen.
Es ist nicht nur ein kreativer Prozess, sondern auch eine Form der Selbstreflexion, die mir persönlich sehr viel bedeutet.
Dabei möchte ich nicht nur meine Geschichten erzählen, sondern auch meine Leser mitnehmen, sie fesseln und sie auf eine Reise durch Emotionen und Fantasie entführen. Es ist meine Leidenschaft, Geschichten zu erschaffen, die nicht nur unterhalten, sondern neugierig machen.
Diamonds-in-your-eyes-Reihe:
Band 1: Turbulenzen
Die Geschichte zwischen Tian und Kaya
Band 2: Fremdes Verlangen
Die Geschichte zwischen Ignaz und Viktoria
Band 2.1: Fremdes Verlangen: Die Reise zur Burg Bycott
(erscheint voraussichtlich im Sommer 2025)
Band 3: Ungebrochen
Die Geschichte zwischen Otis und Prim
(erscheint voraussichtlich im Winter 2025)
Für eine ganz besondere Seele: V., deren Freundschaft mir mehr bedeutet, als ich es ihr je gesagt habe. Danke für die Ruhe, die du mir geschenkt hast, für den Raum, in dem ich schreiben konnte, und für die Kraft, das Leben zu genießen. Ohne dich wären diese Bücher nicht möglich gewesen.
Erreichbarkeit:
Schaut auch gern auf meiner Website vorbei:
https://naila-halfbody-autorin.jimdosite.com
Diamonds in
your eyes
Fremdes Verlangen
Band 1
von
Naila Halfbody
Viktoria
Viktoria wusste, dass es keine gute Idee war, die Augen nicht von ihm abzuwenden. Es würde ihr nur wieder das Herz brechen, so wie all die anderen Male.
Das ging nun schon seit Monaten so.
Sie konnte es einfach nicht lassen, ihn anzuhimmeln, war sich sicher, dass sie sich in ihn verliebt hatte.
Über ihre eigene Dummheit schüttelte Viktoria den Kopf. Sobald Ignaz in ihre Nähe kam, um sie kurz freundschaftlich in den Arm zu nehmen, konnte sie nicht mehr klar denken. Sie bekam dann jedes Mal ein dumpfes Gefühl in der Magengegend und in ihre Gesichtszüge schlich sich ein Dauergrinsen. Ihr Herz fing an schneller zu schlagen, ihr Körper fühlte sich heiß an und gleichzeitig war ihr eiskalt.
Wohin soll das nur führen?, fragte sie sich stumm. Sie war sich bewusst, dass die Symptome nur die Auswirkungen der Glückshormone waren, die ihren Körper durchströmten, wenn sie ihn sah. So wie Dopamin, Östrogen, Serotonin und Testosteron, die durch ihren Körper fegten. Immerhin hatte sie all dies während ihres Psychologiestudiums auswendig gelernt, aber jetzt, da diese Empfindungen Realität geworden waren, half ihr dieses Wissen auch nicht weiter. Sie war ihren Gefühlen wehrlos ausgeliefert. Und er, was machte er, während sie sich all das durch den Kopf gehen ließ? Er baggerte schon wieder die nächste Frau seiner Begierde an, für diese Nacht.
Heute Abend war es eine Rothaarige, Arielle verwandte, da konnte Viktoria mit ihrem schwarzen Pagenschnitt und ihrer Brille natürlich nicht mithalten.
Jedes Wochenende schleppte er eine andere Frau ab, ohne zu bemerken, dass er sie damit verletzte. Jede Frau, die er verführte, war irgendwie anders, sie wirkten alle scheu, nicht so taff, wie sie es war. Vielleicht wollte er, so wie viele andere Männer auch, keine starke Frau an seiner Seite.
Selbst schuld, bejammerte Viktoria ihren Zustand wütend. Nur weil du einfach zu feige bist, ihm zu sagen, was du für ihn empfindest. Würdest du es tun, dann müsstest du nicht länger irgendwelche Mutmaßungen anstellen.
Sie gab dem Barkeeper ein Zeichen, ihr einen weiteren Kurzen zu servieren. Er grinste sie schmachtend an, was Viktoria nicht mal wirklich wahrnahm, holte aus dem Kühlschrank die gewünschte kleine Flasche und schob sie ihr quer über den Tresen zu. Viktoria fing sie auf, öffnete den Verschluss und hielt abrupt inne. Ein Augenpaar auf der Flasche starrte sie an, darunter die Aufschrift: Kleiner Feigling.
Feigling! Ja, genau das bin ich!
Niedergeschlagen klopfte sie den Flaschenkopf auf den Tresen, schob sich die kleine Öffnung zwischen die Lippen und trank den Inhalt in einem Zug aus.
Einige Male hatte sie kurz davorgestanden, Ignaz die Wahrheit zu sagen, doch die Angst vor der Zurückweisung hatte sie immer im letzten Moment davon abgehalten. Das hätte sie nicht ertragen, und es wäre noch schlimmer gewesen, als ihm Woche für Woche dabei zuzusehen, wie er eine nach der anderen abschleppte. Zudem befürchtete sie, dass ihre Freundschaft durch ihr Geständnis leiden und er sich von ihr distanzieren würde. Das war das Letzte, was sie wollte, ihn als Freund zu verlieren.
Der Club, der gerade als en vogue in Berlin galt, war sehr überfüllt. Es wurde Kuschelmusik gespielt, zu der flirtende, sich aneinanderschmiegende Paare tanzten.
„Hat dir schon mal jemand gesagt, wie schön du bist? Deine glänzenden Augen, dein roter Mund, so sinnlich und ergeben, zum Küssen gemacht“, hörte Viktoria ihn seiner neuen Eroberung zurufen, während sie nur zwei Schritte von ihr entfernt standen.
Viktoria verdrehte ihre Augen, steckte symbolisch den Zeigefinger in den Mund und gab ein würgendes Geräusch von sich. Darüber mussten ihre besten Freundinnen Klara, Anne und Kaya, die mit ihr am Tresen saßen, lachen.
„Mir wird schlecht. Wie kann man nur auf so etwas reinfallen? Wie blöd muss die Frau denn sein?“
Wie kann man sich in einem Club nur abschleppen lassen?, dachte sie.
Diese Frauen müssten doch wissen, dass es nichts Ernstes sein kann und dass die Männer nur hinter einer schnellen Nummer her waren. Auch Ignaz bildete da keine Ausnahme.
„Das sind Frauen, die heute Nacht nicht allein schlafen wollen“, gab Otis mit einem kritischen Kopfnicken in ihre Richtung zu bedenken. Nach dieser Aussage begab auch er sich hüftschwingend auf die Tanzfläche. Otis war der Fünfte im Bunde, Ignaz, der sich mit seiner neuen, rothaarigen Errungenschaft inzwischen ebenfalls auf die Tanzfläche begeben hatte und mit ihr engumschlungen Trockenübungen vollzog, der sechste ihrer engsten Freunde.
Ach, was soll’s, was hat der Dalai Lama noch dazu gesagt? Glücklichsein ist nichts Vorgefertigtes, es ergibt sich aus deinen eigenen Handlungen.
Und heute Nacht möchte ich glücklich sein, beschloss Viktoria.
Sie erhob sich, vielleicht etwas zu schwungvoll, denn plötzlich fing alles um sie herum an sich zu drehen. Für einen Moment musste sie sich festhalten, um wieder die Kontrolle über ihren Körper und den sich drehenden Club zu erlangen.
Der letzte Feigling war definitiv schlecht.
Sie grinste in sich hinein. Die anderen, die sie davor getrunken hatte …
Wie viele sind das insgesamt gewesen? Fünf oder sechs? Oder doch mehr?
Viktoria fing leise an zu kichern. Sie konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern.
Als der Schwindel nachließ, sah sie immer noch grinsend zu ihren Mädels und fragte sich, woher das nur kam und wie sie es abschalten könnte.
„Dann wollen wir heute Nacht mal nicht allein schlafen gehen“, brachte sie nuschelnd hervor. „Da geht bestimmt noch was.“
Viktoria kämpfte sich den Weg zur Tanzfläche frei und fing an zu tanzen. Dabei lächelte sie ihren Freundinnen aufmunternd zu, die sie mit hochgezogenen Augenbrauen und erstaunten Blicken ansahen. Viktoria gab ihnen ein Handzeichen, auch auf die Tanzfläche zu kommen, doch Klara, Anne und Kaya hielten simultan ihre Cocktails hoch, steckten dann ihre Köpfe zusammen und vertieften sich in ein Gespräch. Viktoria hingegen blieb dort und spürte, wie sie immer ausgelassener und leidenschaftlicher wurde. Ihre Bewegungen passten sich dem Rhythmus der Musik an. Zum ersten Mal seit langem fühlte sie sich befreit und leicht, mit sich im Einklang. Sie wollte nicht mehr an Ignaz denken, er war ja sowieso beschäftigt und nahm sie nicht einmal mehr wahr.
Er war ein gescheiter und schlagfertiger Mann, auch wenn er manchmal wie ein Sonnyboy und Softie wirkte, war er sehr scharfsinnig und beherrscht. Wieso also machte er sich immer an zurückhaltend wirkende Frauen heran?
Während Viktoria eine Antwort auf diese Frage suchte, spürte sie einen Arm, der sich fest um ihre Taille legte und sie an eine muskelbepackte Brust zog. Sie griff zu und fuhr mit ihren Fingern leicht seinen Unterarm hinab, bis sie seine Hand erreichte und ihre in seine legte. Sie schmiegte sich an die Brust des Fremden und ging mit seinen Hüftbewegungen mit, wechselte dann langsam in die Hocke, immer darauf bedacht, die Verbindung zwischen sich und ihm nicht zu lösen. Der Tänzer legte seine Hände auf ihre Schultern, drückte sie behutsam noch ein Stück tiefer und rieb dabei seinen Schritt zwischen ihren Schulterblättern. Erst als er ein wenig Druck unterhalb ihrer Oberarme ausübte, erhob sie sich, ohne den Rhythmus des Songs zu verlieren. Sofort legte er wieder seinen Arm um sie und drückte sie an seine Brust. Seine rechte Hand ging auf Erkundungstour, sehr unsanft. Er streichelte ihre Taille, ließ seine Hand bis an ihre Hüfte gleiten, umklammerte sie und drückte sie fest gegen seine Lenden. Viktoria spürte seine Erektion an ihrem Hintern, ihr Verstand riet ihr, diesen Mann wegzustoßen und die Tanzfläche zu verlassen, doch ihr Körper reagierte nicht.
Der Mann klemmte seine beiden Daumen links und rechts in ihrem Hosenbund und kraulte ihren Bauch entlang, bis sich seine Finger in der Mitte trafen. Von dort glitten sie zu ihrem Brustansatz. Ihm schien zu gefallen, was er in den Händen hielt, denn er stöhnte ihr ins Ohr, bevor er sie schwungvoll zu sich herumdrehte und seine Hände besitzergreifend auf ihren wohlgeformten Hintern legte.
„Hallo Babe, so eine schöne Frau und so allein auf der Tanzfläche?“ Seine Stimme klang unglaublich tief und männlich, das hätte sie bei seinem Aussehen nicht erwartet. Blonde, kurze Haare, an den Seiten seiner Schläfen mit wellenförmigen Mustern rasiert, was ihm etwas Groteskes verlieh, weil das Hemd und die Anzughose überhaupt nicht dazu passten.
„Ich bin doch nicht mehr allein“, antwortete sie, auch wenn sie die Anmache von ihm nicht gerade besonders einfallsreich fand. Sie grinste zuckersüß, woraufhin er seine Hände fester auf ihre Pobacken drückte und anfing sie zu kneten. Sein Lächeln wurde immer breiter, als würde er sich mehr von diesem Abend versprechen. Innerlich zuckte Viktoria mit den Schultern.
Warum nicht, hätte mich auch viel schlechter treffen können.
Viktoria ließ sich weiter auf das Spiel mit dem Fremden ein, fiel in seine Arme und wurde von der Musik sowie von seinen Bewegungen fortgetragen. Sie legte beide Arme um seinen Hals und presste ihren Körper an seinen, um ihm zu signalisieren, dass auch sie nicht abgeneigt war.
Ein plötzlicher Druck an ihrer linken Schulter brachte sie aus dem Takt und plötzlich wurde sie aus den Armen ihres Tanzpartners gerissen. Es ging alles so schnell, dass sie ihr Gleichgewicht verlor und unsanft an die Brust eines anderen prallte. Viktoria stütze sich daran ab, um wieder Halt zu finden, und konnte durch dessen T-Shirt jeden einzelnen festen Muskel ertasten. Dieser Mann war durch und durch trainiert und sie wusste gleich, ohne die Augen zu öffnen und ihn anzusehen, dass sie sich in Ignaz’ Armen befand.
Sie ließ ihre Hände langsam über seine Brust gleiten, bis an seine muskelbepackten Oberarme. Sie klammerte sich daran fest, ihren Kopf legte sie an seine Halsbeuge. Mit geschlossenen Augen atmete sie seinen Duft ein. Warum konnte es nicht immer so sein, warum konnte sie nicht diejenige sein, die er haben wollte?
Für immer.
Ignaz verschaffte sich Abstand zu ihr, indem er sie grob von sich wegdrückte. „Was machst du da?“, fauchte er.
Viktorias Verstand versuchte fieberhaft zu verstehen, warum er sie so anschrie, aber es gelang ihr nicht, einen klaren Gedanken zu fassen. Um sie herum drehte sich alles und sie wollte wieder zurück in seine starken Arme. Ihr war kalt, sie fühlte sich einsam und unerwünscht. Also machte sie das einzig Logische, das ihr einfiel: Sie trat wieder direkt vor ihn und schmiegte sich erneut an ihn. Viktoria spürte, wie sich seine Muskeln anspannten, ehe er sie fest an sich drückte.
„Verschwinde, sie gehört zu mir“, sagte er.
Ja, dachte Viktoria, das tue ich.
Ignaz löste sich und musterte sie. „Was hast du dir nur dabei gedacht?“ Er klang, als würde er ein kleines Kind tadeln, dabei war sie erwachsen!
Okay, vielleicht nicht jetzt gerade. „Ich will nicht allein schlafen“, gab sie wie ein trotziges Kind von sich.
Ignaz runzelte die Stirn und gab einen leicht frustrierten Seufzer von sich. „Ist es das, was du willst? Dich von irgendeinem Mann, der dich nicht kennt und liebt, flachlegen zu lassen? Du hast etwas Besseres verdient als einen Dahergelaufenen, der nur eine flüchtige Nacht sucht.“ Viktoria beobachtete, wie sich Ignaz mit der Hand durch die langen, blonden Haare fuhr, was er immer tat, wenn sie ihn zur Verzweiflung trieb. „Wie viele von den Kleinen hast du getrunken?“, wollte er gereizt wissen.
„Die heißen Feiglinge“, nahm sie ihm kichernd den Wind aus den Segeln.
Ignaz sah sie resigniert an, sie spürte, dass er kurz davor stand zu explodieren. „Komm, ich bring dich nach Hause.“ Er zog sie in seine Arme und gab den anderen, die etwas außerhalb der Tanzfläche alles beobachtet hatten, das Zeichen zum Aufbruch.
Ignaz
„Was machen wir jetzt?“, fragte Otis und deutete mit einem Kopfnicken auf Viktoria. Sie alle standen vor dem Club und eigentlich war es für ihre Verhältnisse viel zu früh, um aufzubrechen. Doch Viktorias Verhalten machte deutlich, dass der Abend zumindest für sie gelaufen war.
„Ich bringe sie nach Hause. Wir können sie so nicht allein in ein Taxi setzen“, antwortete Ignaz gereizt, da seine Pläne mit der Kleinen von der Tanzfläche damit ins Wasser fielen.
Alle stimmten zu und Ignaz winkte für Viktoria und sich ein Taxi herbei, packte unsanft ihren Arm und schob sie schließlich hinein.
Ständig muss ich sie vor anderen Männern beschützen. Sie ist der Grund, warum ich immer durch die Clubs ziehe, um ein Auge auf sie zu haben, ging es ihm frustriert durch den Kopf.
Anschließend war er derjenige, der eine abschleppte, um seinen Frust abzulassen, und das half dann nur, wenn er seine Vorlieben dabei ausleben konnte.
Genau da lag das Problem, er wusste, dass Viktoria so etwas nie mitmachen würde. Sie war viel zu verkrampft und von ihrem Verstand geleitet, um sich auf ihn und seine Wünsche einzulassen.
Viktoria ist auf eine heile Familie aus, das ist aber genau das, was ich ihr nie bieten könnte, dachte er resigniert.
Ignaz bettete Viktorias Kopf an seiner Schulter. Anstatt sich zu wehren, kuschelte sie sich tief seufzend bei ihm an. Es dauerte nicht lange und sie war eingeschlafen, was ihm ihre gleichmäßigen Atemzüge verrieten. Ignaz gab ihr einen Kuss auf den Scheitel.
Was mache ich nur mit dir?
Es war ihm nicht entgangen, dass Viktoria ihn schon eine ganze Weile ungeniert beobachtet hatte. Seine Hoffnung, ihr Interesse an ihm würde nachlassen, wenn sie fast jedes Wochenende zusehen musste, wie er eine andere abschleppte, hatte sich zerschlagen. Nicht nur, dass sie weiterhin jeden seiner Schritte verfolgt hatte, er hatte zudem gespürt, dass er sie mit seinem Verhalten immer mehr kränkte.
Ich muss es ihr sagen, ich muss ihr sagen, dass es zwischen uns beiden nicht funktionieren wird.
Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Innerlich kämpfte er mit sich. Er wollte ihre Freundschaft nicht aufs Spiel setzen.
Viktoria war eine gebildete und starke Frau, er hingegen hatte noch nicht mal sein Abitur beendet und die Schule frühzeitig abgebrochen. Ignaz wäre dazu in der Lage gewesen, nur hatten ihn seine damaligen Verhältnisse dazu getrieben, so schnell wie möglich auf eigenen Füßen zu stehen. Jetzt war er Inhaber einer kleinen und gut laufenden Werbeagentur mit zwölf Mitarbeitenden.
Sie gab ein wohliges Seufzen von sich und schmiegte sich an seine Brust, schob dabei ihr Bein über seines.
Verflucht, so kann das nicht weitergehen!
Er sah aus dem Fenster, um herauszubekommen, wie weit sie es noch bis zu ihrer Wohnung hatten. Obwohl er versuchte, sich zu entspannen, gelang es ihm nicht, da ihre Nähe ihn erregte. Schließlich hielt das Taxi vor ihrer Haustür und er bemerkte, dass sie bereits fest eingeschlafen war.
Ignaz beglich erst die Rechnung und versuchte danach sie zu wecken. „Hey, Kleines, komm, aufwachen, wir sind da.“ Viktoria nuschelte nur etwas in sein Hemd, regte sich ansonsten aber nicht. „Hey, Viktoria, wenn du nicht gleich aufstehst, dann nehme ich dich huckepack und trage dich rein“, versuchte er es weiter.
„Mach doch“, entgegnete sie verschlafen und aufmüpfig.
Er schob sie sanft, aber bestimmend von sich herunter und stieg aus, bevor er Viktoria auf seine Arme hievte. Sie war ein Fliegengewicht im Vergleich zu dem, was er fast täglich im Fitnessstudio stemmte.
An der Haustür stemmte er sein Bein angewinkelt gegen die Wand, um sie besser halten zu können. Mit der anderen Hand suchte er in ihrer Handtasche nach den Hausschlüsseln, bekam sie zu fassen, schloss die Eingangstür und schließlich ihre Haustür auf. Mit ihr im Arm ging er quer durch ihre Wohnung in ihr Schlafzimmer.
Da war er wieder, der Unterschied zwischen ihnen. Ihr Schlafzimmer war in Rosa und hellen Lilatönen gehalten, etwas, das nicht in sein Leben passte, jedenfalls nicht in sein Schlafzimmer.
Ignaz stellte Viktoria auf die Füße und versuchte sie wach zu bekommen. „Hey, Kleines, komm, mach die Augen auf, du solltest dich noch ausziehen, bevor du ins Bett gehst.“
„Ich will nicht“, nuschelte sie.
„Komm schon, so kannst du nicht schlafen“, beharrte er.
„Will nicht.“
„Viktoria, jetzt mach endlich die Augen auf und sieh zu, dass du dich ausziehst, Herrgott noch mal“, gab Ignaz strenger von sich, als es seine Absicht gewesen war.
Aber es erzielte die erhoffte Wirkung, denn Viktoria riss plötzlich die Augen weit auf. „Ausziehen?“, fragte sie verwirrt.
Ignaz schmunzelte über ihren verdatterten Ausdruck. „Ja, Kleines, ausziehen. Du kannst nicht in voller Bekleidung und diesen Waffen an den Füßen schlafen gehen.“
Irgendwie wirkte sie enttäuscht, aber worüber, konnte er nicht genau sagen. Mürrisch stieg sie aus den Schuhen und war damit gleich viel kleiner als er, denn sie reichte ihm jetzt nur noch bis an die Brust.
„Komm, die Bluse und die Hose auch noch“, befahl Ignaz, doch Viktoria reagierte nicht, sah ihn nur ausdruckslos an. „Ausziehen, Viktoria, ich sag es nicht noch einmal“, drängte er, dieses Mal mit mehr Nachdruck.
Mit zittrigen Fingern versuchte sie ihre Bluse aufzuknöpfen, was ihr einfach nicht gelingen wollte. Ignaz wusste, dass es an seiner unerwarteten Autorität lag, die sie zum ersten Mal zu spüren bekam. So reagierten die meisten Frauen, sobald er sein wahres Ich zeigte.
Dann endlich war es geschafft und die Bluse war aufgeknöpft. „Und jetzt ausziehen.“ Sie tat es widerwillig. „Die Hose auch.“ Sie hielt kurz inne, folgte dann aber seinen Anweisungen ohne Widerrede.
Was war das? Ignaz war verwundert, so fügsam kannte er sie nicht. Das schrieb er dem vielen Alkohol zu, den sie getrunken hatte. Nüchtern hätte sie seine dominante Art nicht geduldet.
Nachdem sie sich entkleidet hatte, half er ihr ins Bett, nahm ihr die für seinen Geschmack viel zu große Brille von der Nase und deckte sie liebevoll zu.
„Ignaz, ich will nicht, dass du gehst, bleib heute Nacht bei mir“, flehte sie leise, dabei flatterten ihre Augenlider, was sie immer taten, wenn sie nervös war.
„Nein“, antwortet Ignaz ruhig.
„Warum nicht, bin ich nicht schön genug für dich? Warum kannst du die anderen Frauen abschleppen, würdigst mich aber keines Blickes?“, beschwerte sie sich weinerlich.
„Die sind nicht wie du“, knurrte er zwischen zusammengepressten Lippen.
„Ich weiß, die sind alle schöner als ich.“
Da war es wieder, das Flackern ihrer Augenlider. „Nein, Kleines, keine von ihnen könnte dir in Sachen Schönheit je das Wasser reichen.“ Sanft legte er seine Hand an ihr Gesicht und strich behutsam ihre Gesichtskonturen entlang, bis an ihre vollen Lippen.
Wie kann sie das nur denken? Sieht sie denn nicht, wie wunderschön sie ist?
Mit seinem Daumen berührte er ihre Lippen und liebkoste sie. Sie waren so unglaublich weich und voll. Wie gerne würde er sie jetzt küssen, doch wenn er das täte, könnte er nicht mehr aufhören, davon war er überzeugt.
Viktoria holte Atem, als würde sie ihm widersprechen wollen. „Heute Nacht wird geschlafen, und zwar allein. Schließ die Augen“, kam er ihr zuvor, mit viel zu viel Autorität in der Stimme.
„Du kannst mir doch nicht befehlen, wann ich zu schlafen habe, das ist etwas, das mein Körper …“
Ignaz legte ihr seinen Zeigefinger auf den Mund, um sie zum Schweigen zu bringen. Er wollte nicht diskutieren, nicht heute Nacht. „Jetzt sage ich dir, was du machen sollst, verstanden?“ Seine bestimmende Art ängstigte sie, das erkannte er deutlich. Sie zog ihre Bettdecke bis über ihr Kinn. „Mach die Augen zu, morgen früh hole ich dich zum Brunch mit den anderen ab, also wage es nicht, vorher zu frühstücken, klar?“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, löschte er das Licht und ließ sie allein.
Nachdem er ihre Wohnung verlassen hatte, haderte er mit sich, weil er sie eingeschüchtert hatte. Ihre Furcht und Nervosität hatte er förmlich spüren können, dabei war das Letzte, was er wollte, ihr Angst zu machen.
Sein Körper hatte unleugbar auf sie reagiert. Das Verlangen, sie zu kosten und unanständige Dinge mit ihrem Körper anzustellen, hatte Besitz von ihm ergriffen, als er ihren halb nackten Körper gesehen hatte. Er hatte einen Ständer, den er jetzt irgendwie bändigen musste.Dabei verstand er gar nicht, warum sein Körper so auf sie reagierte. Schließlich wollte er sich nicht mit ihr einlassen.
Ignaz entschied sich, zu Fuß zu seiner Wohnung zu gehen. Die Nacht war angenehm mild und er hatte es nicht weit. Auf dem Weg wollte er versuchen, seine Gedanken zu ordnen.
Bisher hatte er seinen Körper immer sehr gut unter Kontrolle gehabt, doch jetzt wollte er ihm nicht mehr gehorchen. Er führte sich vor Augen, wie unterschiedlich sie waren, wie entgegengesetzt ihr beider Begehren war. Sie würde sich nie auf ihn einlassen, wenn sie wüsste, was er von ihr verlangen würde.
Er seufzte. Er musste mit ihr darüber reden, wusste nur nicht, wie. Und was sollte er ihr sagen?
Viktoria
Viktoria lag noch lange, nachdem Ignaz gegangen war, wach. Sie dachte angestrengt über das Geschehene und, wie immer, über Ignaz nach. Mit seinen strahlend blauen Augen, den blonden, schulterlangen, leicht gelockten Haaren und den Grübchen auf seinen Wangen, die jedes Mal, wenn er frech grinste, verführerisch zum Vorschein kamen, ließ er jedes Frauenherz höherschlagen, davon war sie fest überzeugt. Er war der geborene Sonnyboy.
Heute Abend hatte er jedoch verändert gewirkt. Seine leicht freche Art war wie weggeblasen gewesen und eine ihr unbekannte Person war zum Vorschein gekommen. Das passte überhaupt nicht zu ihm. Eine Stärke und noch etwas anderes hatte Besitz von ihm ergriffen, aber was?
Hätte ich doch bloß nicht so viel getrunken, dann würde mein Verstand viel besser arbeiten, rügte sie sich.
Ignaz hatte sich eigenartig verhalten, so viel stand fest, so hatte sie ihn bisher noch nie reden gehört. Er war ihr immer entspannt und ausgeglichen vorgekommen, heute Nacht jedoch war jeder Satz wie ein Befehl gewesen, der keine Einwände geduldet hatte.
Viktoria drehte sich stöhnend auf den Rücken. Warum hatte sie ihm einfach gehorcht? Das war doch sonst nicht ihre Art. Sie schüttelte den Kopf, weil sie sich selbst nicht wiedererkannte. Sie liebte Diskussionen, bei denen verschiedene Meinungen aufeinanderprallten, ärgerte sich aber über Menschen, die keinen Raum für andere Ansichten ließen. Sie mochte es, wenn man ihr die Wahl ließ, Befehle hingegen gingen ihr gegen den Strich.
Genervt drehte sie sich wieder auf die Seite und zog sich die Decke bis zum Kinn. Ein unerwartetes Prickeln durchfuhr ihren Körper. Er war mit ihr umgegangen wie mit einem ungezogenen Mädchen und irgendwie hatte es ihr gefallen, obwohl sie noch immer nicht verstand, weshalb er so reagiert hatte. Hatte sie ihn so wütend gemacht? Vielleicht hatte es ja an ihrer Frage gelegen, ob er bei ihr bleiben könnte.
Genau in diesem Moment wurde ihr klar, dass sie ihn förmlich angefleht hatte.
O Gott.
Sie konnte noch immer die Wärme seiner Hand auf ihrem Gesicht spüren. Wären es doch nur seine Lippen gewesen, die sie liebkosten. Für einen kurzen Moment hatte er seine zurückhaltende Art vergessen, stattdessen war ein sanfter Mann zum Vorschein getreten. Er hatte ihr versichert, dass die Frauen, mit denen er sich sonst einließ, nicht so waren wie sie, ohne dass es negativ geklungen hatte.
Viktoria stöhnte frustriert in die Dunkelheit ihres Zimmers hinein. Wenigstens hatte er nur gesagt, dass heute Nacht geschlafen werden würde, das ließ Freiraum für eine andere Nacht.
Für viele andere Nächte, dachte Viktoria grinsend.
Sie sehnte den Morgen herbei. Sie musste mit Ignaz reden, hatte so viele Fragen, auf die sie dringend Antworten brauchte. Leider gehörte Geduld nicht unbedingt zu ihren Stärken, daher grübelte sie noch lange darüber nach und schlief erst gegen Morgen endlich ein.
Kurz nach zehn stand Ignaz vor ihrer Tür, wie immer mit diesem Lächeln im Gesicht, das seine kleinen Grübchen noch mehr zum Vorschein brachte. Mit seinen offenen Haaren, die durch den Wind durcheinandergeraten waren, kam der Sonnyboy in ihm perfekt zur Geltung. Er lehnte lässig am Türrahmen und musterte sie aufdringlich. Das wiederum führte dazu, dass ihre Augenlider flatterten. Ignaz schien ihre ungewollte Unsicherheit amüsiert zur Kenntnis zu nehmen, denn er grinste verschmitzt.
Viktoria hasste dieses Verhalten an sich, das ihre Nervosität verriet, aber sie konnte es einfach nicht abschalten. Und Ignaz kannte sie zu gut, um sie nicht zu bemerken. Eine Zeitlang hatte sie versucht, ihren Blick abzuwenden und ihr Gegenüber nicht anzusehen, aber das wurde ihr als größere Schwäche ausgelegt.
„Na, du Trunkenbold, bist du bereit?“
Sie fand seine Bemerkung unpassend. „Angeheitert, bitte. Immerhin hatte ich mich ja unter Kontrolle.“
Ungefragt trat Ignaz ein und machte die Tür hinter sich zu. Er stellte sich dicht neben sie. „Unter Kontrolle nennst du das? Dich einem Fremden an den Hals zu werfen? Nicht mal vor mir hättest du haltgemacht, hätte ich es zugelassen. Dann hättest du mich gestern Nacht mit Haut und Haaren verschlungen.“
Offensichtlich versuchte er zwar, seinen vorwurfsvollen Tonfall mit seinem charmanten Lächeln zu überspielen, verfolgte jedoch jede Reaktion, die er damit bei ihr hervorlockte.
Viktoria war sich seiner Musterung durchaus bewusst. „Ein Betrunkener spricht aus, was er nüchtern denkt“, konterte sie unerwartet mutig. Dabei strich sie ihren Pagenschnitt glatt, fixierte seinen Blick und hoffte, dass er verstand, wie sehr sie gewollt hatte, dass er bei ihr geblieben wäre. Sie beobachtete, wie Ignaz tief Luft holte, und ihr Herz sackte ihr in die Knie, weil sie wusste, dass ihr nicht gefallen würde, was sie jetzt zu hören bekommen würde.
„Bevor wir uns mit den andren treffen, sollten wir noch reden.“ Ignaz machte eine kurze Pause und sah ihr tief in die Augen. Sanft legte er seine Hände auf ihre Schultern. Sie schluckte. Ihre Angst stieg und ließ ihr Herz nervös pochen. Ihren Blick unverändert auf ihn gerichtet, biss sie sich auf die Lippe. Bitte, spann mich nicht so auf die Folter.
„Ich möchte nicht, dass du denkst, dass ich dich nicht beachte, weil ich dich nicht attraktiv finde, das Gegenteil ist der Fall.“ Er fuhr sich mit der Hand durch seine Haare. Seine Haltung, sein Blick, selbst die Spannung in seinen Schultern verrieten, wie schwer ihm fiel, was er nun sagen wollte. „Ich bin nicht auf der Suche nach etwas Festem. Ich kann mir nicht vorstellen, mit einer Frau mehr als einmal zu schlafen. Dafür bin ich nicht der Typ. Du kennst mich jetzt lange genug, um das zu wissen. Wenn ich gestern geblieben wäre, hätte unsere Freundschaft darunter gelitten. Und ich möchte dich nicht verlieren.“
Seine Worte wirkten wie Messerstiche in ihrer Brust und Viktoria wünschte sich für einen kurzen Moment, nicht hier zu sein. Sie wusste, dass er versuchte, an ihrer Mimik abzulesen, wie tief er sie gerade verletzte und ob sie deswegen in Tränen ausbrechen würde. Doch sie war noch nie jemand gewesen, der beim ersten Hindernis, das sich ihr in den Weg stellte, aufgab. Sie würde ihm schon zeigen, dass sie das Beste war, was ihm je passieren konnte.
Viktoria lächelte keck, klimperte anzüglich mit ihren Wimpern, setzte ihre Brille gerade auf die Nase und ging schleichend auf Ignaz zu. Sie war sich sicher, dass er mit dieser Reaktion nicht rechnete. Wie denn auch, nicht einmal sie selbst hätte sich das vor ein paar Sekunden zugetraut. Sie legte einen Arm um seinen Hals und presste ihre Lippen leicht auf seine.
Sie fühlten sich so unglaublich gut an, waren im Gegensatz zu seinem restlichen Körper weich und geschmeidig. Sie spürte den Kuss in ihrem ganzen Körper, der mit leichten Stromschlägen zum Leben erwachte. Ihr Pulsschlag beschleunigte sich und in ihrem Bauch fing es an zu prickeln. Genauso hatte sie es sich immer vorgestellt, wenn sie davon geträumt hatte.
Ihr Kuss war schüchtern und zaghaft, ein zarter Hauch auf ihren Lippen, der für einen flimmernden Moment mehr versprach, als er hielt. Ein leises Versprechen von Leidenschaft, das in der Stille zwischen ihnen schwebte. Doch dann spürte sie plötzlich Ignaz’ festen Griff, der sie sanft, aber bestimmt von ihm wegdrückte. Der Moment zerbrach.
Wie konnte ihr Körper ihr nur so deutlich vermitteln, dass er der Richtige war, wenn er es doch anders zu empfinden schien? Die Erkenntnis, dass er sich von ihr zurückgezogen hatte, traf sie mit einer Wucht, die sie nicht erwartet hatte. Ein unerwarteter Schmerz schnürte ihr die Brust zu, und obwohl alles in ihr nach seiner Nähe schrie, versuchte sie, ihre Verletztheit zu verbergen.
Offensichtlich frustriert fuhr er sich mit der Hand durch seine Haare. „Verdammt, Vik, was machst du da? Habe ich dir erlaubt, mich zu …“ Mitten im Satz brach er ab und biss sich auf die Unterlippe. „Wenn du damit testen wolltest, ob ich auf deinen Kuss anders reagiere als auf all die Küsse anderer Frauen, dann nein, tue ich nicht!“
Für einen Augenblick wusste Viktoria nicht, was sie antworten sollte. Erlaubt?
Ihre Verwirrung verflog sehr schnell, abgelöst von Bestürzung. Nicht, weil sie ihn aus heiterem Himmel geküsst hatte, sondern weil er nicht das gleiche Begehren gespürt hatte wie sie. Ihr Körper hatte sich immer noch nicht beruhigt, ihre Gefühle fuhren selbst jetzt noch Achterbahn. Sie hatte ihn mit jeder Faser gefühlt, es hatte sie in einen Rausch ihrer Hormone versetzt, der ihr völlig fremd war.
Ich bin ein Junkie, dachte sie, und mein Rauschmittel ist Ignaz, der nichts gespürt haben will.
Sie hatte sich immer als starke und unabhängige Frau gesehen, jemanden, der niemals leicht zu erschüttern war. Doch in diesem Moment, in dem sie versuchte, ihre Gefühle zu verbergen, merkte sie, wie sehr er sie verletzt hatte.
Viktoria setzte ein künstliches Lächeln auf. „Es ging mir gestern Abend nicht um dich, Ignaz, es hätte jeder sein können, das sollte dir aufgefallen sein, als du mich aus den Armen dieses Typen gerissen hast.“ Erzwungen gelassen schob sie ihre Brille wieder gerade auf die Nase und wandte sich ab. „Ich setze mir nur schnell die Kontaktlinsen ein, bin gleich wieder da.“
Sie brauchte dringend Abstand zu ihm, erreichte mit zittrigen Beinen das Badezimmer und schloss die Tür hinter sich. Erschöpft lehnte sie sich gegen das Waschbecken und hielt sich mit beiden Händen daran fest.
Himmel noch mal, sie hatte ihm gerade gesagt, dass sie es dringend nötig hatte, flachgelegt zu werden.
„Beruhige und entspann dich, Viktoria, alles wird wieder gut“, sprach sie ermutigend auf ihr Spiegelbild ein.
Ignaz
Er hatte sie gekränkt, das wusste er. Sie hatte wieder versucht, die starke Frau zu spielen, auf die sie so stolz war. Stark, unabhängig und überlegen.
Es war richtig, sie von sich zu stoßen. Warum nur fühlte es sich trotzdem so schmerzhaft an und zerriss fast sein Herz? Der Kuss war nur ein flüchtiger Moment gewesen, und doch hatte er etwas in ihm ausgelöst, das er nicht erwartet hatte. Es war nicht nur die Intensität der Berührung, sondern auch die plötzliche, unerklärliche Reaktion seines Körpers gewesen. Die Nähe, die er so lange vermieden hatte, ließ seinen Köper die Kontrolle verlieren.
Dieser Kuss war mehr gewesen, als er sich je hatte eingestehen wollen. Seine Hände hatten sich instinktiv geballt und er wusste, dass er die Grenze zu ihr zu überschreiten drohte.
All die Jahre hatte er es vermieden, sie zu küssen, genau aus diesem Grund, aus der Befürchtung, sich nicht mehr beherrschen zu können, wenn er einmal von ihr gekostet hatte. Er hatte damit richtig gelegen. Viktoria schmeckte süß und bitter zugleich, wie Honig und Zimt, unbeschreiblich köstlich. Er hätte sich zu gerne in diesem Kuss verloren, hatte jedoch gewusst, dass es falsch wäre. Deswegen hatte er sie auch mit aller Willenskraft, die er besessen hatte, von sich gestoßen, damit sie nicht spürte, wie sehr er auf sie reagierte. Wieder fuhr er sich frustriert mit der Hand durch seine Haare. Er musste dringend wieder zu sich kommen.
Viktoria kam ohne Brille aus dem Bad und schnappte sich im Wohnzimmer ihre Handtasche. Sie wirkte noch immer angespannt und er verfluchte sich dafür, dass er ihr wehgetan hatte.
Ohne ihn anzusehen, ging sie an ihm vorbei. „Wollen wir oder brauchst du noch länger?“
Viktoria
Wie fast jeden Sonntag traf sie sich auch heute mit ihren Freunden zum Brunch. Sie hatten vereinbart, sich im Café Butterblume zu treffen. Es kam häufig vor, dass Ignaz sie abholte und sie gemeinsam fuhren, da sie sehr nahe beieinander wohnten, doch diesmal war die Situation im Auto anders. Es war sehr still und bedrückend. Beide hingen ihren eigenen Gedanken nach und sie war froh, dass er nicht versuchte, quälenden Smalltalk zu führen. Es wäre das Letzte, was sie gerade wollte. Sie wünschte sich weit weg, denn alles wäre jetzt besser, als mit Ignaz allein in diesem Auto zu sitzen. Sie spürte noch immer seine warmen Lippen und verstand nicht, dass er nichts empfunden hatte. Wie konnte das nur sein?
Als sie endlich einen Parkplatz gefunden hatten und sich auf den Weg zum Café machten, legte Ignaz ihr wie immer ganz ungezwungen seinen Arm um die Schultern, ließ aber sofort wieder von ihr ab, vermutlich, weil er ihre körperliche Anspannung gespürt hatte. Viktoria fluchte innerlich über ihre unbewusste Reaktion.
Inständig hoffte sie, dass sie das überstehen würden, sie wollte ihn als Freund nicht verlieren. Wenn sie ihm doch nur irgendwie klarmachen könnte, dass sie die Richtige für ihn war.
Das Café Butterblume mit Blick auf die Spree war bereits gut gefüllt. Beim Eintreten roch es furchtbar nach einer Mischung aus unterschiedlichen Zutaten. Viktoria war nie eine gute Esserin gewesen, sie hatte immer etwas auszusetzen. Oft war sie diejenige, die das berühmte Haar in der Suppe fand. Heute jedoch war der Geruch von Essen für sie unerträglich, vermutlich eine Folge des vielen Alkohols, den sie am Vorabend konsumiert hatte.
„Ihr seid spät dran, wir haben uns schon Kaffee bestellt“, beklagte sich Otis und die anderen am Tisch nickten zustimmend.
„Viktoria, geht’s dir gut? Du wirkst irgendwie mitgenommen“, begrüßte Kaya sie mit mitfühlender Stimme.
„Zu viele Kurze“, antwortete sie nur knapp, setzte sich, griff nach der Menükarte vor sich und blickte stur darauf.
„Wir haben gestern Abend noch einen Absacker im Glutton getrunken“, begann Otis mit einer spöttischen Note in der Stimme und wandte sich an Ignaz. „Dabei ist uns Susanna über den Weg gelaufen. Wir sollen dich gaaaanz herzlich von ihr grüßen. Du sollst dich mal wieder bei ihr melden.“
„Schon gehabt, nicht mehr interessant“, konterte Ignaz.
„Männer!“, stöhnte Anne und verdrehte die Augen. Klara fing an zu kichern.
„Wenn du so weitermachst, Ignaz, gibt es in Berlin bald keine mehr, die du nicht gehabt hast“, hänselte Otis ihn.
„Die Welt steht mir offen, Großer“, entgegnete Ignaz nur achselzuckend.
Bevor er weiter ins Detail gehen konnte, gab Kaya ein energisches Hüsteln von sich. „Könnten wir uns jetzt wieder dem Ernst des Lebens widmen, meine Herren?“ Kaya war mit ihren neunundzwanzig Jahren die älteste der Mädels, die verklemmteste und die beste von Viktorias Freundinnen. Seit Kaya ihren damaligen Freund Peter mit einer anderen im Bett erwischt hatte, war sie Single. Das lag jetzt schon fast zwei Jahre zurück, in denen sie sich in ihrer Arbeit verkrochen hatte und als Auditorin einer Pharmafirma in der Weltgeschichte herumreiste. Ihr Job nahm ihr viel von ihrer privaten Zeit, daher genoss sie die Momente, die sie mit ihren Freunden hatte, in vollen Zügen und versuchte jede Streitigkeit zwischen ihnen zu glätten. Sie schien ein Gespür dafür entwickelt und bemerkt zu haben, dass Ignaz nicht über seine Verflossenen reden wollte.
Merkwürdig, eigentlich macht ihm das doch sonst auch nichts aus, überlegte Viktoria und beobachtete, wie sich Kayas Stirn nachdenklich in Falten legte, doch bevor sie den Gedanken weiterverfolgen konnte, wurde sie von Klara abgelenkt.
„Kaya, bist du nächste Woche hier in Berlin oder unterwegs?“, fragte Klara.
Klara und Anne waren ein weiterer wichtiger Teil ihres Freundeskreises. Die beiden waren sehr aufeinander fixiert, hatten für einen kurzen Zeitraum sogar denselben Freund gehabt, doch das war nicht gut ausgegangen. Ihre Freundschaft schien deswegen ein wenig ins Straucheln geraten zu sein, aber Viktoria war sich sicher, dass die zwei es wieder hinbekommen würden.
„Ich muss nach Mexiko.“
„Och, nö“, erklang es unisono.
„Warum denn das? Da hast du Geburtstag! Mensch, Kind, da hättest du doch nun wirklich auch mal freinehmen können“, nörgelte Otis. Er war mit seinen einundvierzig Jahren der Älteste in der Gruppe und führte sich auch oft als der weise und ergraute Vater auf, meistens mit einem verschmitzten und lausbübischen Lächeln auf den Lippen. Er war auch der Einzige unter ihnen, der schon mal verheiratet gewesen war, leider hielt die Ehe nur sehr kurz. Seine Frau Prim, die er auf mysteriöse Weise kennengelernt und geheiratet hatte, war über Nacht aus der gemeinsamen Wohnung, aus der Stadt, aus dem Land, aus seinem Universum verschwunden. Sie hatte ihm nur eine kleine handschriftliche Nachricht dagelassen, die ihn noch immer verfolgte, weil sie nichts darüber aussagte, warum sie ohne Erklärung verschwunden war. Irgendwann hatte sie ihm per Anwalt die Scheidungspapiere zugesandt. Obwohl Otis viele Versuche unternommen hatte, sie zu finden, war seine Suche erfolglos geblieben. Es hatte Otis damals den Boden unter den Füßen weggerissen und er hatte lange gebraucht, um zu begreifen, dass sie wirklich einfach weg war.
„Nach Mexiko habe ich nur noch einen kurzen Auftrag in Barcelona, danach bin ich drei Wochen in Berlin“, versprach Kaya.
„Na, dein Wort in Gottes Ohren“, kamen die ersten Worte von Viktoria.
Alle starrten sie erwartungsvoll an, doch sie konzentrierte sich wieder auf die Speisekarte, ohne etwas zu sagen. Der Druck, den Blicken standhalten zu müssen, war zu unangenehm. Sie spürte, dass Ignaz sie ebenfalls ansah, reagierte jedoch nicht darauf. Aus dem Augenwinkel konnte sie erkennen, dass Kaya ihre Schulter hob und Ignaz musterte. Vik seufzte stumm und versank noch tiefer in der Karte, als könnte sie sich darin verstecken.
„Nach dem Brunch wollen wir noch an der Spree entlang Richtung Museumsinsel spazieren, kommst du mit?“, fragte Otis Kaya.
„Sorry, aber meine Mutter wartet mit ihrem berühmt-berüchtigten Orangen-Kürbis-Kuchen, ich möchte sie nur sehr ungern enttäuschen“, gab Kaya neckisch von sich, weil sie wusste, dass sie die anderen damit eifersüchtig machte. Der Sonntagnachmittag war grundsätzlich für ihre Eltern reserviert, die sie mit hausgemachtem Kuchen zu locken wussten, eine Einladung, der sie nur allzu gerne folgte.
„Kuchen“, gab Viktoria seufzend von sich und leckte sich verträumt über die Lippen, was dazu führte, dass Ignaz leise neben ihr aufstöhnte, während er dieses Spiel gebannt verfolgte. Alle am Tisch fingen an zu lachen.
Klara kicherte. „Wir sollten etwas zu essen bestellen, bevor sich einige von uns nicht länger beherrschen können.“
Am Donnerstagnachmittag saß Viktoria in ihrem Büro und versuchte, sich eine Strategie für den kommenden Abend zurechtzulegen. Heute trafen sich alle außer Kaya, da sie sich gerade beruflich in Mexiko aufhielt. Sie wollten sich in einem der angesagtesten After-Work-Clubs in Berlin treffen. Man wurde nur hereingelassen, wenn man sehr gute Beziehungen hatte, berühmt war oder ganz viel Geld besaß.
Gut, dass wir für diese Art von Veranstaltungen Ignaz und seine Agentur haben, dachte Viktoria. Sie fand es sehr interessant, sich auf solchen Events aufzuhalten, da einem immer etwas Neues geboten wurde.
Viktoria lehnte sich in ihrem Bürostuhl zurück, unfähig, ihren Kuss zu vergessen, egal, wie sehr sie es auch versuchte. Je länger sie darüber nachdachte und sich dieser Vorstellung hingab, umso mehr spürte sie seine Lippen, nicht nur auf ihren, sondern auf jedem Zentimeter ihrer Haut. Jedes Mal durchströmte sie ein Prickeln und sie bekam eine Gänsehaut. Wie kann er nur nichts empfunden haben? Jede Faser und jeder Nerv ihres Körpers sehnten sich so sehr nach ihm, noch immer. Im ersten Moment hatte sie gedacht, dass er es genauso wie sie gewollt, dass er sich auf sie eingelassen hatte, weil er sie sogar an sich gezogen hatte, nur kurz, dennoch unbestreitbar.
Was ist nur falsch gelaufen?
Sie war definitiv keine schlechte Küsserin und so wie er ihren Kuss am Anfang erwidert hatte, konnte es nicht daran gelegen haben, aber was war es dann?
„Frau Miller, Herr Harper, ihr Sechzehn-Uhr-Termin ist hier“, ertönte die Stimme ihrer Sprechstundenhilfe Monica über den Lautsprecher.
„Ja, danke, ich komme gleich.“ Ihre Strategieplanung musste warten. Viktoria wusste sowieso nicht, wo sie ansetzen sollte, also konnte sie sich auch Herrn Harper widmen. Sie öffnete ihren Rollcontainer, holte seine Akte hervor und warf einen kurzen Blick hinein, um sich seinen Fall noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Er suchte aufgrund emotionaler Belastungen, die durch eine gescheiterte Ehe und Liebeskummer verursacht worden waren, Unterstützung in ihrer Praxis. Die damit verbundenen Symptome wie Schlafstörungen, Angstzustände und emotionale Erschöpfung hatten sein tägliches Leben erheblich beeinträchtigt und nun erhoffte er sich therapeutische Hilfe. Leider viel zu spät, wie sich herausgestellt hatte. Als er das erste Mal zu ihr gekommen war, hatte er leider schon einiges hinter sich. Seine Frau hatte ihn nach siebzehn Ehejahren wegen eines anderen verlassen. In den ersten Wochen nach der Trennung tat er, was viele Männer tun, er verdrängte alles. Er war ein wohlhabender Geschäftsmann, der es mit viel harter Arbeit sehr weit gebracht hatte. Nachdem seine Frau ausgezogen war, hatte er sich ganz in seine Arbeit gestürzt, als hätte er damit den Schmerz betäuben und die Leere füllen können. Er hatte seine eigenen Bedürfnisse völlig vernachlässigt und exzessiv Raubbau an seinem Körper betrieben. Lange Stunden, wenig Schlaf und keine Zeit für sich selbst. Doch irgendwann hatte sein Körper nicht mehr mitgemacht. Der Herzinfarkt, der so oft in ähnlichen Geschichten vorkam, war die unerbittliche Folge gewesen.
Als er dann endlich zu Viktoria in die Praxis gekommen war, hatte er seine Frau für seinen schlechten Gesundheitszustand verantwortlich gemacht, war von Racheplänen heimgesucht worden und wollte nichts mehr, als seine Frau zu vernichten. Dieser Gedanke hatte seinen ganzen Alltag bestimmt. In kleinen Schritten hatte Viktoria einige Erfolge erzielt und jetzt befand er sich in den Anfangszügen der Phase drei der Trennungsaufarbeitung, der langsamen Neuorientierung. Die ersten beiden Phasen, die des Nicht-Wahrhaben-Wollens und die der aufbrechenden Emotionen, waren sehr schwer für ihn gewesen. Es hatte sehr viel Zeit, Zuspruch und Geschick gefordert. In der Therapie hatte Viktoria mit Herrn Harper viele Rückschläge hinnehmen müssen, aber jetzt schien es voranzugehen. Von Phase vier, der adaptiven Phase, war er jedoch noch meilenweit entfernt. Er konnte sich noch nicht an die veränderte Lebenssituation anpassen. Hatte noch Schwierigkeiten, sich seinen Emotionen zu stellen und die Trennung zu akzeptieren.
Viktoria wollte in der heutigen Sitzung die Hoffnung auf eine Versöhnung mit der Expartnerin ansprechen und damit endlich die emotionale Trennung erreichen sowie für ihn den Weg für einen Neuanfang ebnen. Es war immer schwierig, loszulassen, seine Gefühle neu zu ordnen und von vorne anzufangen. Vielleicht sollte sie sich ein Beispiel daran nehmen und sich gleich selbst therapieren, dachte sie verbittert.
Ich sollte Monica bitten, mir Termine für meine eigene Couch freizuhalten. Was bei anderen hilft, kann mir selbst ja wohl nicht schaden.
Sie grinste vor sich hin, stand auf und ging in den Wartebereich, um ihn persönlich abzuholen. Das tat sie immer, da es Vertrauen und Offenheit signalisierte. Herr Harper war trotz seiner Probleme ein sehr netter und umgänglicher Mann mittleren Alters, mit leicht ergrauten Schläfen und mintgrünen Augen, die ihre Leuchtkraft noch nicht wiedererlangt hatten.
Als Viktoria den Wartebereich betrat, um ihn abzuholen, stand er am Fenster und sah nach draußen. Als er sie hereinkommen hörte, drehte er sich zu ihr um und kam ihr mit ausgestreckter Hand zur Begrüßung entgegen. „Hallo Frau Miller.“
„Hallo Herr Harper, kommen Sie doch mit.“ Sie lächelte ihm aufmunternd zu. Viktoria ging den schmalen, langen Flur entlang und ließ ihren Klienten als Erstes in das Sitzungszimmer eintreten, das wunderbar für Einzelsitzungen geeignet war. Es war sehr schlicht gehalten. Mitten im Raum befanden sich zwei einander gegenüberstehende braune Lederohrensessel, auf einen Tisch in der Mitte hatte sie mit Absicht verzichtet. Sie hatte keine Barriere zwischen sich und den Klienten errichten wollen. Seitlich neben den Sesseln stand eine Liege für diejenigen, die sich lieber hinlegen wollten. Drei Wände waren schlicht in Weiß gestrichen, die vierte als Kontrast in Ercolano-Rot. Für eine gemütliche Atmosphäre standen noch zwei Palmen in einer Ecke. Viktoria hatte auf jegliche Art von Elektronik in diesem Zimmer verzichtet, darauf legte sie sehr viel Wert. Sie betrat es auch stets ohne ihr Smartphone.
„Wo möchten Sie heute Platz nehmen, Herr Harper?“, fragte Viktoria in einem freundlichen und ruhigen Tonfall.
„Hier.“ Er setzte sich auf einen der Ohrensessel, überkreuzte seine Beine, faltete seine Hände und legte sie locker in seinen Schoß, um zu signalisieren, dass er gelassen und bereit für seine Sitzung war.
Viktoria registrierte seine Geste schmunzelnd und nahm ihm gegenüber Platz, seine Akte in der Hand. Sie sah in die mintgrünen Augen. „Wie ist es Ihnen ergangen?“
Er holte weit aus, erzählte viel von seiner Arbeit, dass er einen neuen Klienten an der Angel hatte, auf den er sehr stolz war und der ihm viel Geld einbringen würde. Trotz seiner am Anfang betonten Lässigkeit bemerkte Viktoria die Anspannung in seiner Haltung und fragte sich, was wohl der Grund dafür war und wann er damit rausrücken würde.
„Das klingt doch alles sehr gut. Sie haben bisher nicht erwähnt, dass Sie irgendeine Form von Racheplänen ihrer Exfrau gegenüber hatten“, hinterfragte sie.
Herr Harper räusperte sich und rutschte unruhig im Sessel hin und her. „Ja, richtig, die hatte ich wirklich nicht.“
„Das ist ein gutes Zeichen. Sie sollten sich darüber freuen.“
„Das tue ich. Es ist mir nur, wie soll ich es sagen? Es ist mir unangenehm, dass ich überhaupt so gedacht habe. Wissen Sie, ich habe meine Frau“, er räusperte sich erneut entmutigt und bedacht darauf, Viktoria nicht anzusehen, „meine Exfrau, geliebt, und warum ich ihr diese schlimmen Sachen gewünscht und mir diese auch noch tagelang ausgemalt habe, weiß ich nicht. Ich bin eigentlich kein grausamer Mensch, jedenfalls habe ich gedacht, dass ich keiner bin. Bis zu diesem Vorfall.“ Beschämt sah er auf seine Hände, die immer noch ruhig in seinem Schoß lagen.
„Hat Ihnen jemand gesagt, dass Sie grausam sind?“
„Nein, ich dachte nur, weil ich meine Gedanken nicht mehr so unter Kontrolle hatte und sich alles gegen meine Exfrau gerichtet hat“, versuchte er seine Gedankengänge zu erklären.
„In Extremsituationen und bei Trennungen, die diese beinhalten, geraten Mechanismen im Körper durcheinander, wodurch ein Aufbrechen der Gefühle wie Wut, Trauer und Schuldzuweisungen entsteht, und wir sind dem für einige Zeit ausgeliefert. Das macht Sie noch lange nicht zu einem grausamen Menschen. Das sind Phasen, die jeder durchlebt, der eine früher, der andere später, selbst die Intensität unterscheidet sich, je nach Lebenslage.“ Um ihren Worten mehr Nachdruck zu verleihen, schob sie ihre Brille gerade auf die Nase und sah ihn direkt an. „Somit befinden wir uns in der nächsten Phase, der Selbstfindungsphase. Wie der Name schon sagt, sollen Sie sich selbst finden. Das ist die Aufgabe, die ich Ihnen für unser nächstes Treffen mitgeben möchte.“ Viktoria machte eine kurze Pause. „Ihren eigenen Weg beschreiten und sich als Einzelperson akzeptieren.“ Sie legte bewusst eine lange Pause ein und ließ ihm Raum zum Nachdenken.
„Sie meinen, ich soll die Hoffnung auf alte Zeiten aufgeben?“
Ja, dachte Viktoria euphorisch, aber sie antwortete nicht, sondern sah ihn nur an. Raum für Pausen lassen, ermahnte sie sich.
Herr Harper schloss die Augen, sein Schmerz war ihm deutlich anzusehen. „Mir fehlt die Zweisamkeit mit meiner Frau. Wir haben uns damals, als wir uns kennengelernt haben, viel geküsst. Meine Frau hat es geliebt, sich stundenlang mit mir zu küssen.“
Schade, dachte Viktoria. Bis hierhin hätte sie sagen können, dass sie heute einen Riesenschritt nach vorne gemacht hatten, aber jetzt ging es gerade wieder rapide bergab.
„Am Anfang hat sie jeden Kuss genossen, das war mir gar nicht so bewusst, bis ich die Veränderung bemerkt habe.“
„Wie?“ Kaum hatte sie diese Frage ausgesprochen, hätte sie sich am liebsten selbst getreten. Anstatt ihn dazu anzuhalten, nach vorn zu schauen, hatte sie ihn gerade ermutigt, weiter in der Vergangenheit herumzustochern.
„Sie schloss die Augen nicht mehr, sah zu oder sah sich um, während wir uns geküsst haben. Ich habe die Veränderung wahrgenommen, aber nicht verstanden, erst als es zu spät war.“
Viktoria schluckte stark und spürte, wie ihre Kehle rau wurde. Die Trauer in seiner Stimme erschütterte sie zutiefst. In ihrem Berufszweig war es immer schwierig, Abstand zu den Klienten zu halten und deren Sorgen und Ängste nicht in die eigene Welt eindringen zu lassen. Für diese Fälle erlernte man methodische Maßnahmen, um das zu erkennen und abzuschalten.
Bis jetzt hatte Viktoria alles gut unter Kontrolle gehabt.
Sie spürte, dass sie sich damit wohl noch länger auseinandersetzen würde. Unwillkürlich glitt ihr Blick ins Leere, während ihre Gedanken abschweiften, weil sie der Moment unerwartet tief berührte.
„Es gibt doch diesen Spruch“, redete er einfach weiter, „wie ging der gleich noch mal? Liebende schließen beim Küssen die Augen, weil sie mit dem Herzen sehen möchten.“
Viktoria sah durch ihn hindurch, befand sich nicht mehr in diesem Sitzungszimmer, sondern in ihrer Wohnung, war dabei, ihren Kuss mit Ignaz zu erforschen. Hatte Ignaz seine Augen geschlossen? Es dauerte einen Moment, ehe sie sich dessen bewusst wurde. Sie holte tief Luft und zwang sich dazu, sich wieder dem Gespräch zu widmen. „Herr Harper, man definiert seine Beziehung nicht nur durch das Küssen allein.“
„Es ist definitiv ein schöner Zeitvertreib.“
„Haben Sie mal darüber nachgedacht, sich ein Hobby zu suchen? Irgendeine Form von Gemeinschaftsaktivitäten, vielleicht mit anderen außerhalb der Firma?“ Erleichtert, weil es ihr gelungen war, in die Realität zurückzukehren, lehnte sich Viktoria in ihrem Sessel zurück. „Vielleicht lernen Sie ja dort jemanden kennen, mit dem Sie über Zweisamkeit und Küssen nachdenken können.“
Im Geiste schlug sie sich gegen die Stirn. Was für ein Kardinalfehler! Niemals die Klienten mit falschen Hoffnungen motivieren. Sie fragte sich, wer bloß auf die Idee mit dem Küssen gekommen war; der gehörte ausgepeitscht und danach aufgehängt. „Was ich Ihnen sagen möchte, ist, dass Sie nach vorne blicken müssen. Suchen Sie sich etwas, das Ihnen Spaß macht, woran Sie Freude haben. Erst wenn Sie mit sich im Reinen sind und sich selbst akzeptieren, können Sie sich für alles andere öffnen, was Ihnen das Leben noch zu bieten hat, egal, was es sein mag.“
Ohne weiter auf ihre Worte einzugehen, stand Herr Harper mit einem leichten Seufzer auf. Er schien noch nicht recht überzeugt, gab aber keine Widerworte. Zum Abschied und als Zeichen, dass er die Sitzung hiermit beendete, reichte er Viktoria die Hand. „Ich werde nach etwas Ausschau halten, das nur für mich ist, Frau Miller.“ Er versuchte zuversichtlich zu klingen, das war doch schon mal ein Schritt in die richtige Richtung.
Als die Tür hinter ihrem Klienten ins Schloss fiel, sackte sie in ihren Sessel zurück und gab einen langen, erleichterten Seufzer von sich. Das war anstrengender gewesen als erwartet. Immer wieder waren ihr ihre eigenen Gefühle in die Quere gekommen. Sie brauchte Abstand.
Urlaub, irgendwohin weit, weit weg.
Viktoria rieb sich mit ihren Fingern über ihre pochenden Schläfen. Warum hatte sie seine Bemerkung nur so mitgenommen? Es war doch normal, dass sich Pärchen in der Anfangsphase ihrer Beziehung dem Körperlichen mehr hingaben und die Finger nicht voneinander lassen konnten. Insbesondere Frauen widmeten sich dem Küssen ausgiebig, auch dies wurde in Beziehungsratgebern beschrieben.
Unvermittelt erstarrte Viktoria, dann fing sie an, stoßweise auszuatmen. Ignaz. Er hatte ihren gemeinsamen Kuss genauso wie sie gefühlt! Er hatte sich dem Kuss hingegeben. Er hatte sich von ihr abgewendet, weil sein Körper darauf reagiert hatte. Das war die einzig logische Erklärung für sein Verhalten.
Aber warum kämpft er gegen seine Gefühle an?
Trotz aller Intelligenz fühlte sie sich manchmal, als hätte sie ein Brett vor dem Kopf.
Natürlich wollte er genauso wenig wie sie ihre Freundschaft aufs Spiel setzen, trotzdem war es an der Zeit, Ignaz zu zeigen, dass sie bereit war, ein Risiko einzugehen.
Nachdem sie diese Entscheidung getroffen hatte, überschwemmten ihre Endorphine ihren Körper und sie verfiel in eine regelrechte Euphorie. Den nächsten Abend mit ihren Freunden – und mit Ignaz – konnte sie kaum noch erwarten.
Viktoria
Ihr Terminkalender war so voll, dass sie ihre Freunde schon vorab informiert hatte, dass sie es nicht zu ihrem Lieblingsitaliener schaffen und erst im Club zu ihnen stoßen würde. Das gab ihr die Möglichkeit, einen Plan auszuarbeiten. Ignaz sollte endlich seine Gefühle eingestehen, nur wie sollte sie ihn dazu bringen? Je länger sie darüber nachdachte, umso sicherer war sie sich, dass es keinen einfachen Weg gab, nichts, was sie umschreiben oder, keine Andeutungen, die sie machen könnte.
Ich sollte ihm offen und ehrlich sagen, dass ich mich in ihn verliebt habe.
Sie hoffte, ihn dadurch dazu zu bringen, offen mit ihr zu reden.
Ich bin eine starke, unabhängige Frau. Ich kann das!
Das sagte sie wie ein Mantra auf, kaum dass sie Feierabend und sich auf den Weg in den Club gemacht hatte. Der bloße Gedanke, ihm gleich in seine strahlenden, blauen Augen zu schauen und seine Reaktion abzuwarten, jagte ihr eine Heidenangst ein. „Ich bin stark, ich kann das!“, wiederholte sie, lauter als gewollt.
Der Taxifahrer blickte ein wenig besorgt in den Rückspiegel, Viktoria lächelte und nickte ihm kurz zu, um ihm zu signalisieren, dass mit ihr alles in Ordnung war.
Der Club Blancanieves war überfüllt, aus den Lautsprechern ertönte gedämpft Rockmusik. Mit einem schnellen Rundumblick scannte sie die tanzenden Gäste, konnte aber ihre Freunde nicht ausfindig machen. Also ging sie schnurstracks an die Bar, setzte sich an den Tresen und bestellte sich einen Woo-Woo, um sich Mut anzutrinken. Sie bezweifelte nämlich sehr stark, dass sie es ohne etwas Mut schaffen würde, ihm auch nur in die Augen zu blicken.
Der Barkeeper reichte ihr den Cocktail und sie trank ihn in einem Zug aus, verzog aber sofort das Gesicht, da ihre Geschmacksnerven überfordert waren. Der Wodka, gemischt mit Pfirsichlikör und Cranberrysaft, sorgte für eine Explosion auf ihrer Zunge, während ihr die zermahlenen Eiswürfel eine Abkühlung verschafften. Der Barkeeper betrachtete sie verblüfft und kräuselte seine Stirn. Mit einem Kopfnicken deutete er auf ihr Glas. Viktoria verneinte lächelnd. Heute wollte sie sich nicht betrinken.
Seine Wärme spürte sie bereits an ihrem Rücken, noch bevor er ihr seine Hände auf die Schultern legte. „Wie viele hattest du schon?“, fragte er mit einer extremen Schärfe in der Stimme. „Was ist in letzter Zeit nur in dich gefahren, dass du so viel trinkst?“ Der letzte Satz klang etwas versöhnlicher.
Sie wandte sich ihm zu. „Das ist der Erste und ich trinke nicht mehr als sonst. Ich vermute nur, dass du mich neuerdings mehr beachtest“, gab sie ihm zwinkernd zur Antwort.
Ignaz sah ihr direkt in die Augen „Warum sollte ich? Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich nicht mehr für dich empfinden werde!“
„Das, mein lieber Ignaz, war und ist gelogen“, gab Viktoria kokett zurück und streckte ihm provokant ihr Kinn entgegen. Sie hoffte inständig, dass er ihre flatternden Augenlider nicht bemerkte.
Ignaz war kurz überrascht, das verrieten ihr seine für einen Moment aufgerissenen Augen. Normalerweise ging er Frauen, die sich keck und eigenwillig verhielten, aus dem Weg, so viel war ihr bereits aufgefallen. Doch dann huschte ein leichtes Schmunzeln über sein Gesicht, weil er nun mal wusste, dass sie war, wie sie war, frech und selbstsicher.
Er machte einen Schritt auf sie zu, nahm ihr Kinn grob in seine Hand und zwang sie, ihn anzusehen. Ganz langsam beugte er sich zu ihr, ohne den Blick von ihr zu nehmen. „Ach was, Frau Miller, so sehr von Ihrem Kuss überzeugt, ja?“, hauchte er ihr zu.
Viktoria, die gerade noch rebellisch geklungen hatte, war durch seine Nähe nicht mehr spontan genug, um auf seine Neckerei zu antworten. Sie schaffte es nur noch, leicht zu nicken.
Natürlich entging es ihm nicht und er quittierte ihre Reaktion mit seinem charmanten Sonnyboy-Lächeln. „Komm, lass uns tanzen.“ Er zog sie auf die Beine, legte eine Hand fest an ihren Rücken und führte sie zur Tanzfläche.
Ja, dachte Viktoria. Endlich!
Auf der Tanzfläche angekommen, drehte er sie sanft um ihre eigene Achse, zog sie dann nah an sich heran und legte ihr einen Arm um ihre Taille, seine andere Hand legte er sanft auf ihren Nacken. Sein sicherer Griff fühlte sich für sie richtig an, weil sie nirgendwo lieber sein wollte. Glücklich darüber, ließ sie sich im Rhythmus der Musik treiben.
In der Ferne nahm sie die chaotischen Klänge von Gitarre, Bass und Schlagzeug wahr, die in lauten, unregelmäßigen Abfolgen erklangen, doch Ignaz bewegte sich mit ihr in einem eigenen, ruhigeren Rhythmus, der ausgeglichen und fließend wirkte, als wären sie beide ganz allein, nicht nur in diesem Club, sondern auf dieser Welt.
Ignaz
Ignaz lehnte seine Stirn an ihre und atmete tief ein, als wollte er den ihm so vertrauten Duft auf ewig einfangen. Sie in seinen Armen zu spüren, war ein Moment der Vertrautheit und Nähe, der ihn alles andere vergessen ließ.
Was sollte er jetzt nur tun? Er wollte sie, allerdings auch zu seinen Bedingungen. Nur wusste er zu gut, dass Viktoria das nie zulassen würde.
„Bitte, küss mich“, drang ihre Stimme zu ihm durch.
Ignaz hob den Kopf und sah sie an, voller Verlangen, aber auch von einer Unruhe erfüllt, die ihm die Kehle zuschnürte. Was konnte daran so schwierig sein? Es wäre doch nur ein Kuss, versuchte er sich zu beruhigen. Er wollte sie so sehr wie niemanden zuvor, so sehr, dass ihm das Risiko, sie zu verlieren, fast unerträglich erschien.
Langsam beugte er sich vor, legte seine Lippen leicht auf ihre, als sei sie eine Seifenblase, die bei zu viel Druck zerspringen könnte. Beinahe im selben Moment stöhnte sie leise auf. Erschrocken wich Ignaz zurück und starrte sie an. Sie musterte ihn, als könnte sie in diesem Moment bis tief in seine Seele blicken, seine Angst wahrnehmen.
Viktoria überbrückte die Distanz, neigte sich vor und küsste ihn, als hätte es die Unterbrechung nie gegeben. Seine Angst, zu forsch zu sein, hielt ihn weiterhin zurück und ließ ihn fast passiv bleiben. Er wollte ihr nicht wehtun.
Behutsam fasste er ihren Hintern. „Ist es das, was du willst, Viktoria?“, fragte er mit rauer Stimme.
Mit verschleiertem Blick sah sie ihn an und nickte leicht, schien nicht in der Lage zu sein, ihm zu antworten.