2,99 €
In 30.000 Fuß Höhe hätte Kaya nie gedacht, dass ihr dreißigster Geburtstag mit einem Anfall von Angst beginnen würde. Ihre schlimmsten Befürchtungen werden wieder wahr, als sie in einer Metallröhre gefangen ist, die durch den Himmel rast – bis sie in einem turbulenten Moment einem Typen begegnet, der Geheimnis und Kontrolle ausstrahlt. Sie hätte nie gedacht, dass sie Tian Bianchi treffen würde, geschweige denn, dass sie sich mitten in der Luft an ihn klammern würde. Das Schicksal ist jedoch nicht vorhersehbar. Kayas und Tians Wege kreuzen sich auf unerwartete Weise, von einem unerwarteten Treffen im Himmel bis hin zu den glitzernden Straßen von Mexiko-Stadt. Er ist stark, geheimnisvoll und daran gewöhnt, seine Ziele zu erreichen. Sie ist selbstständig, vorsichtig und nicht bereit, irgendjemandem, nicht einmal einem gefährlich schönen Geschäftsmann, ihr Schicksal diktieren zu lassen. Was Sie in dieser unvergesslichen Romanze entdecken werden: - Eine widerwillige Anziehung: Kayas Angst, ihr Herz zu öffnen, ist noch schlimmer als ihre Angst vor dem Fliegen. Kann sie einem Mann vertrauen, der es zu mögen scheint, das Sagen zu haben? - Ein Kampf zwischen Angst und Verlangen: Kaya und Tian müssen ihre Emotionen kontrollieren, bevor sie ihnen um die Ohren fliegen, von flüchtigen Blicken bis hin zu bedingungsloser Leidenschaft. - Eine Liebe, die jeder Logik trotzt: Manchmal hält sich die Liebe nicht an die Regeln. Aber wird ihre Verbindung stark genug sein, um den Turbulenzen des Schicksals standzuhalten? Umgang mit Einwänden: - Ist das nur eine weitere Romanze zwischen Milliardären? Nein, dies ist die Geschichte zweier unabhängig denkender Menschen, die lernen, sich zu lieben, zu vertrauen und sich gemeinsam ihren schlimmsten Ängsten zu stellen. - Geht es nur um Romantik? Dieses Buch erforscht persönliche Entwicklung, vergangene Traumata und die Entscheidungen, die uns definieren, auch wenn die Seiten voller Begeisterung sind. Diamanten in Ihren Augen: Turbulenzen ist das ideale Buch für Sie, wenn Sie spannende Romantik, intensive Spannung und liebenswerte Charaktere mögen. Holen Sie sich jetzt Ihr Exemplar und tauchen Sie ein in eine Romanze, die Sie zu neuen Höhen führen wird!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Naila Halfbody
Diamonds in your eyes: Turbulenzen
Impressum:
Diamonds in your eyes
Turbulenzen
ISBN: 978-3-9827535-0-8
Naila Halfbody
Anschrift:
Naila Halfbody
c/o Block Services
Stuttgarter Str. 106
70736 Fellbach
Homepage:
https://naila-halfbody-autorin.jimdosite.com
Texte © 2024 Copyright by Naila Halfbody
Bilder © 2024 Copyright by Naila Halfbody
Lektorat: Calin Noell
www.calin-noell.com
Coverdesign:
Saskia Lackner,
www.saskia-illustration.de
Alle Rechte vorbehalten
Diese Geschichte ist frei erfunden.Die in diesem Buch beschriebenen Personen und Ereignisse sind das Produkt der Vorstellungskraft der Autorin. Einige der beschriebenen Orte basieren auf realen Schauplätzen, wurden jedoch für die Zwecke der Geschichte teilweise verändert oder frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten der beschriebenen Charaktere und Handlungen mit tatsächlichen Personen, lebenden oder verstorbenen, sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.
Naila Halfbody
Biografie:
Naila Halfbody wurde in Hamburg geboren und lebt derzeit in Berlin. Mit 46 Jahren begann sie, ihre Leidenschaft für das Schreiben zu entdecken, und verfasste während einer Überfahrt von Belgien nach Großbritannien ihren ersten Liebesroman/Erotikroman. Nach einiger Zeit des Zögerns entschied sie sich im Alter von 50 Jahren, ihre Liebesgeschichte zwischen Tian und Kaya zu veröffentlichen, die den ersten Band ihrer Diamonds-in-your-eyes-Reihe darstellt.
Diamonds-in-your-eyes-Reihe:
Band 1: Titel des ersten Buches – Die Geschichte zwischen Tian und Kaya
Band 2: Titel des zweiten Buches – Die Geschichte zwischen Ignaz und Viktoria
Band 3: Titel des dritten Buches – Die Geschichte zwischen Otis und Prim
Erreichbarkeit:
Schaut auch gern auf meiner Homepage vorbei:
https://naila-halfbody-autorin.jimdosite.com
Diamonds in your eyes
Turbulenzen
von
Naila Halfbody
Kaya
Bereits seit drei Stunden sitze ich im Flieger nach Mexiko und fühle mich immer mehr wie eine Gefangene in einer Blechbüchse. Das Bedauerliche daran ist, dass noch viele weitere Stunden vor mir liegen. So habe ich mir meinen dreißigsten Geburtstag nicht vorgestellt. Ängstlich kralle ich meine Finger in die Armlehnen. Ich hasse Fliegen! Hoffentlich kann ich mich auch den Rest des Flugs zusammenreißen.
Ich werfe einen Blick nach links. Mein Sitznachbar ist ein älterer Herr, vermutlich Mitte sechzig, aber damit könnte ich auch völlig falsch liegen, denn im Schätzen bin ich nicht gerade ein Genie. Er macht einen sehr ruhigen und gelassenen Eindruck. Ob ich ihn vorwarnen soll? Nur, wie könnte ich ihm das erklären, ohne dass er mich für vollkommen verrückt hält?
„Entschuldigen Sie bitte, ich leide unter extremer Flugangst, und falls ich Sie berühren sollte, dann nur, weil ich mich während auftretender Turbulenzen nicht unter Kontrolle halten kann und mich an jemandem festhalten muss. Ich bevorzuge dabei meist Oberschenkel oder andere Körperteile, die nicht zu mir gehören und die als unsittliche Berührung missverstanden werden könnten.“
Nicht, dass ich meine Sitznachbarn nicht schon des Öfteren vorgewarnt hätte. Meistens habe ich anschließend jedoch nur in verständnislose Gesichter geblickt. Ein Passagier war sogar der Meinung, ich würde das nur sagen, um ihn anzubaggern. Damals ist es nur ein turbulenter Inlandsflug gewesen, trotzdem war er bereits kurz nach dem Start eines Besseren belehrt worden. „Sehr geehrte Fluggäste“, hatte der Flugkapitän nur monoton durch die Lautsprecher verlauten lassen, „leider fliegen wir durch eine Schlechtwetterfront. Dabei umschmeicheln die Gewitterwolken die Tragflächen und sorgen für Auftrieb. Dies führt gerade dazu, dass Sie in Ihren Sitzen kräftig durchgeschüttelt werden. Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass die Turbulenzen für das Flugzeug nicht gefährlich sind. Sie sind nur unangenehm für Sie. Wenn wir unsere Flughöhe erreicht haben, werden sie nachlassen.“ Der Kapitän hatte Recht behalten. Kaum hatten wir unsere Flughöhe erreicht, war der Flug ruhiger verlaufen, allerdings nur bis kurz vor der Landung. Ich hatte meine Hände also häufig überall, nur nicht bei mir, wo sie hingehört hätten.
Wenn ich es mir hätte aussuchen können, ich hätte mich gerne wieder neben eine ältere Frau gesetzt. Viele ältere Damen haben einen ausgeprägten Beschützerinstinkt. Sie neigen bei Turbulenzen dazu, meine Hand zu halten und beruhigend auf mich einzureden. Männer hingegen sind mit meiner Flugangst meist gänzlich überfordert.
Ich nehme mir vor, meinen Sitznachbarn nicht zu belästigen und mich dieses Mal zu beherrschen. Mit all den Techniken, die ich während der Trainings zur Bewältigung meiner Flugangst erlernt habe, sollte es schließlich irgendwann funktionieren, also warum nicht heute?
Obwohl ich nicht mal selbst daran glaube und bereits das Schlimmste befürchte, zwinge ich mich zu einem Lächeln. „Wären Sie bitte so nett, mich durchzulassen? Ich muss mir mal kurz die Beine vertreten.“ In extremen Situationen muss ich immer sehr auf meine Freundlichkeit achten.
Diese Extremsituationen machen sich bei mir glücklicherweise nur im Flugzeuginneren bemerkbar, meistens dann, wenn so ein Flugzeug anfängt, von Gewitterwolken umschmeichelt zu werden.
Heute scheine ich jedoch Glück zu haben. Bis auf ein kurzes Ruckeln eben ist alles ruhig, zumindest bisher. Das Glück verlässt mich auch nicht, als ich den Gang entlang zur Toilette gehe, denn es stehen keine Passagiere an und ich kann sofort eintreten. In der Business Class, die ich bei längeren Flügen nutzen darf, ist die Toilettenkabine zwar nicht größer als in der Economy Class, aber dafür gibt es hier gut riechende Seifen, deren Düfte meinen Geschmack zwar nicht treffen, doch trotzdem finde ich diese Aufmerksamkeit sehr ansprechend.
Kaum sitze ich auf der Toilette, da fangen die Turbulenzen an.
Das warja klar.
Ich sehe den Zeitungsartikel vor mir: „Passagierin in der Flugzeugtoilette zu Tode geturbulenzt!“
Ich versuche, mich zu entspannen. Es geht nicht. Stattdessen wird meine Atmung hastiger und meine Muskeln ziehen sich zusammen. Ich betätige den Wasserhahn. Umsonst. Vor lauter Flugzeuglärm kann ich das Plätschern, von dem ich mir Entspannung erhofft habe, kaum hören.
Die Turbulenzen werden nicht weniger und ich frage mich, warum der Pilot die Anschnallzeichen nicht anmacht. Eine mögliche Antwort in meinen Gedanken verschlimmert meine Angst: Was, wenn er so sehr damit beschäftigt ist, das Flugzeug unter Kontrolle zu halten, dass er keine Durchsage machen kann?
Ich kneife die Augen zu und zwinge mich, ruhig zu atmen, während ich mir das Hirn zermartere, welche Tipps wir zur Beruhigung in diesen dämlichen Kursen gelernt haben, doch mir fällt kein einziger ein. So kann ich jedenfalls nicht pinkeln. Hastig ziehe ich mich wieder an. Ich will bei einer eventuellen Bruchlandung später nicht mit heruntergelassener Hose aufgefunden werden.
Es ruckelt und ich kann mich gerade noch mit einer Hand abstützen, ohne mir den Kopf anzuschlagen. Mein Herz rast, ich atme angestrengt.
Ich muss zurück zu meinem Platz!
Kaum öffne ich die Kabinentür, ruckelt es erneut. Ich schließe meine Augen, versuche, die Panik zu verdrängen und den Angstschrei zu unterdrücken, als ein Luftloch meinen Magen einen Purzelbaum schlagen lässt. Ich packe blindlings zu, um mich an irgendetwas festzuhalten. Was habe ich in diesem verdammten Flugangstseminar gelernt? Was?
Angst ist nicht real, es ist nur meine Komfortzone, die sich unbeachtet fühlt.
Nicht die Luft anhalten, weiter atmen, ermahne ich mich, anstatt mich erneut über diesen dämlichen Leitsatz aufzuregen, der mich ganz und gar nicht beruhigt.
Mir bricht der kalte Schweiß aus, meine Hände werden feucht. Doch es fühlt sich irgendwie warm an.
Nein, es fühlt sich heiß an.
Oh, bitte nicht!
Langsam öffne ich die Augen und schaue auf ein weißes Hemd oder das, was mal ein weißes Hemd gewesen ist. Jetzt wird es von einem riesigen Kaffeefleck geschmückt.
Zu dem Hemd gehört ein schwarzer Anzug, Versaces unverkennbare Handschrift!
Noch immer von Panik ergriffen schließe ich erneut die Augen. Meine Gedanken wirbeln durcheinander, trotzdem frage ich mich plötzlich, warum, um Himmels Willen, jemand in einem Flieger einen solch teuren Anzug trägt. Auf einem Flug, der gute acht Stunden dauert. Mir wäre das viel zu unbequem, selbst wenn ich mir so ein edles Designerteil leisten könnte
Das hast du nun davon! Hättest dir den Kaffee mal in die erste Klasse bringen lassen sollen, wo sicher noch mehr Schickimicki-Leute sitzen, geht es mir durch den Kopf.
Als die Panik etwas abklingt, sehe ich mich um. Mein Blick gleitet von dem immer noch sichtbaren Kaffeefleck weiter nach oben und plötzlich schaue ich in die dunkelsten Augen, die ich je gesehen habe.
Gibt es eine so schwarze Regenbogenhaut wirklich? Wo hört sie auf und wo fängt die Pupille an? Ich kann sie nicht voneinander unterscheiden und frage mich unwillkürlich, ob seine Augen vielleicht auch nur vor Zorn so wirken, weil ich sein teures Designeroutfit ruiniert habe.
Erneut erfolgt ein Beben unter meinen Füßen. Panisch kralle ich mich einfach fest, kneife meine Augen zusammen und versuche, mich auf meine Atmung zu konzentrieren, doch meine Gedanken schweifen sofort wieder zu dem Mann vor mir, an dem ich mich noch immer verzweifelt festhalte.
Wir befinden uns in einem Flieger, tausende Kilometer über Mutter Erde, da sind Turbulenzen völlig normal.
Ich atme tief durch.
Dieses Missgeschick hätte also durchaus auch ohne mich passieren können.
Das Ruckeln lässt ein wenig nach, was mich daran erinnert, dass ich ihm sein Versace-Hemd ruiniert habe und dringend irgendetwas Nettes, Versöhnliches sagen müsste.
Ich sehe auf. „Das wäre vermutlich nicht passiert, wenn Sie sitzen geblieben wären und sich den Kaffee hätten bringen lassen.“ Zwar klingt meine Stimme peinlich berührt, trotzdem schlage ich mir gedanklich kräftig gegen die Stirn. Meine Worte waren zwar sicherlich wahr, hatten mit nett und versöhnlich aber wenig zu tun. Mein schlechtes Gewissen nagt an mir, doch ich versuche, mir einzureden, dass meine Unfähigkeit nur an der Höhe liegt, oder an dem viel zu niedrigen Luftdruck in der Kabine.
Ich beobachte, wie sich seine linke Augenbraue nach oben bewegt und sich sein Kopf zur Seite neigt, als würde er jeden Moment etwas wirklich Schlimmes sagen wollen.
„Es, es … tut mir leid!“, krächze ich hastig, um zu verhindern, dass er mich anbrüllt. „Ich bin sonst nicht so. Ich, ich … habe Flugangst und bin hier nicht zurechnungsfähig.“
Seine Haltung verändert sich schlagartig. Er richtet sich auf, die Muskeln in seinem Körper versteifen sich, sein Blick wird ernsthafter und durchbohrt mich förmlich. Seine Arroganz tropft aus jeder einzelnen Pore und die außergewöhnliche Macht, die er ausstrahlt, prallt komplett auf mich herab.
Obwohl er noch gar nichts gesagt hat, ist mein schlechtes Gewissen schlagartig wie weggeblasen. Was bildet er sich ein?
Nun komm mal wieder runter, Schwarzauge, denke ich stumm und folge der Kaffeespur, die eindeutige Flecken auf Hemd und Hose hinterlassen hat.
Hose …
Mir stockt der Atem.
O nein, bitte nicht die Hose!
Ich werde rot und starre sein gutes Stück an. Ich habe ihn verbrüht.
Was mache ich jetzt? Tuch? Abtupfen?
Nein, so neben mir stehe ich nun auch wieder nicht. „Brauchen Sie kaltes Wasser? Wenn Sie in die Toilettenkabine gehen wollen …“, brabbele ich los.
Er starrt mich an und die zweite Augenbraue schnellt nach oben. Sie sind wirklich schön. Schwarz, wie seine Haarfarbe, gerade und voll, was seinem Gesicht etwas Markantes verleiht.
Was stimmt bloß nicht mit mir?
„Was dann?“, brummt er mit erstaunlich tiefer Stimme, die mir einen Schauer über den Rücken treibt. „Gehen Sie mit mir zusammen in die Kabine, um mir Abkühlung zu verschaffen?“ Ein herausforderndes Lächeln umspielt seine vollen Lippen.
„Was? Nein! Ich dachte nur …“
Er neigt mir seinen Kopf zu. Ungeniert mustert er mich. Sein Blick gleitet träge meinen Körper hinab, dann langsam wieder hinauf und bleibt an meinen Brüsten hängen, viel zu lange für meinen Geschmack.
Ich glaube plötzlich, dass die Klimaanlage in diesem Flieger defekt ist, spüre, wie mir heiß wird und die Hitze in mein Gesicht steigt. „Hallo? Hier oben ist mein Gesicht und ich habe mich bereits entschuldigt. Es gibt also keinen Grund, mich derart unverschämt anzustarren. Ich dachte nur, Sie sind heiß, ähm, nein, Ihnen.“ Ich atme tief durch. „Ich dachte, Ihnen wäre heiß. Wegen des Kaffees …“
O Erde, tu dich auf und nimm mich.
„Sie gehen aber ganz schön ran, junge Frau. Vielleicht sollten wir uns erst miteinander bekannt machen? Ich heiße Tian“, erwidert er mit lässiger Stimme.
Mir ist nicht ganz klar, was von meinen Gedanken ich gerade laut ausgesprochen habe und was sich lediglich stumm in meinen Hirnwindungen abgespielt hat, aber ich muss hier weg, solange ich noch ein letztes bisschen meiner Würde besitze.
Ich trete gänzlich aus der Toilettenkabine, halte ihm die Tür auf und deute mit einer kecken Kopfbewegung und einem angedeuteten Lächeln ins Innere. „Sie können ja schon mal vorgehen, und falls Sie nicht allein klarkommen, gehe ich Ihnen selbstverständlich zur Hand. Dieser Service ist im Angebot der First Class inbegriffen.“ Ich klimpere lasziv mit meinen Augenlidern und drehe mich langsam um, stelle dabei sicher, dass er all meine Vorzüge zu sehen bekommt, und gehe, meine Hüften gekonnt in Szene setzend, wieder zurück zu meinem Platz. Meine Angst ist weg und ich muss grinsen. Dem habe ich es aber gegeben!
Tschüss, Kaya, schüchternes Mädchen. Hier gibt es ab sofort nur noch die selbstbewusste Version!
Trotz dieser Gedanken setze ich mich und rutsche vorsorglich ein wenig tiefer in meinen Sitz, stecke mir die Kopfhörer in die Ohren und bete, dass mir dieser Typ nie wieder über den Weg läuft.
Kaya
In Mexiko City gelandet, suche ich als Erstes das stille Örtchen auf, da sich meine Blase mittlerweile schmerzhaft bemerkbar macht. Der Flughafen ist überschaubar und die Wege sind nicht weit. Schnell dränge ich mich mit meiner Handtasche und meinem Laptoprucksack in die viel zu kleine Kabine und schaffe es gerade noch rechtzeitig. Nach der mittelschweren Kaffeepanne im Flugzeug habe ich mich nicht mehr auf das stille Örtchen getraut. Wenigstens war das Bordentertainment so gut, dass es mich vom weiteren Nachdenken abgehalten hat.
Nachdem ich mich wieder aus der Kabine gezwängt und meine Hände gewaschen habe, suche ich nach meinem Koffer. Auf dem Weg zum Gepäckband merke ich, dass sich langsam Müdigkeit bemerkbar macht. Schlafen konnte ich während des Fluges so gut wie gar nicht. Zwar sind mir ein paar Mal für kurze Momente die Augen zugefallen, aber das war auch alles.
Am Gepäckband lasse ich meinen Blick durch die Halle schweifen. Von Schwarzauge ist nichts zu sehen. Die plötzliche Enttäuschung überrascht mich und ich schüttle über dieses absurde Gefühl den Kopf.
Natürlich wird die First Class bevorzugt abgefertigt, während wir Normalsterblichen aus Holzklasse und Business am Gepäckband darauf hoffen, uns nicht anschließend an der Schlange für Lost and Found anstellen zu müssen.
Lost verstehe ich ja noch, aber Found?
Ist es schon mal vorgekommen, dass das Personal rumgegangen ist und gerufen hat: „Ihr Gepäck ist vor Ihnen angekommen und kann am Found-Schalter abgeholt werden!“?
Diesmal geht mit meinem Gepäck alles gut. Mein Koffer ist weder verloren gegangen noch der letzte auf dem Band. Ich greife ihn mir und mache mich auf den Weg zum Taxistand. Dem Fahrer reiche ich die ausgedruckte Hotelanschrift und steige ein, während er meine Sachen verstaut. Erleichtert lehne ich mich zurück.
Die Fahrt nach jedem Flug nutze ich dazu, mich darüber zu freuen, dass ich es erneut unbeschadet auf die Erde geschafft habe, und denke wieder darüber nach, ob es nicht doch an der Zeit ist, mir einen anderen Job zu suchen. Einer mit weniger als achtzig Prozent Reisetätigkeit wäre gut. Zurzeit arbeite ich bei einer Pharmafirma in der Qualitätsabteilung als Auditorin und eigentlich ist es nicht so, dass es mir keinen Spaß macht. Das akribische Suchen nach Fehlern und die anschließende Ausarbeitung von Trainingsmethoden, damit sie nicht mehr auftreten, liegen mir und erfüllen mich.
Meine Aufgabe ist die Überprüfung und Sicherstellung, dass die gesetzlichen Standards der „Food and Drug Administration“, kurz FDA, für klinische Studien in den USA und der europäischen Arzneimittelbehörde EMA angewandt werden.
Praktisch gesehen ist es ganz einfach: Ein forschendes Pharmaunternehmen hat ein Präparat, das es auf den Markt bringen will. Davor gibt es bestimmte Phasen, die eingehalten werden müssen. In der Präklinik werden mehrjährige Laborforschungen betrieben. Die Phase I wird mit circa zwanzig gesunden Probanden durchgeführt. Meistens erklären sich gesunde junge Männer freiwillig dazu bereit. Im Vordergrund stehen vor allem die Pharmakokinetik und die Pharmakodynamik. Das sind die sogenannten FIH-Studien, wobei FIH für First-In-Human steht. Phase IIa wird weltweit bei circa einhundert erkrankten Patienten durchgeführt. Hier werden erstmals höhere Medikamentendosen, wie sie für die therapeutischen Anwendungen erwartet werden, gegeben. Im Fokus stehen die Verträglichkeit und die Sicherheit des Präparats. Phase IIb wird weltweit bei etwa bis zu fünfhundert erkrankten Patienten durchgeführt. Die wichtigsten Punkte sind die Dosisfindung und die ersten Untersuchungen der Wirksamkeit. Die Phase III wird bei bis zu zehntausend erkrankten Patienten durchgeführt. In dieser Phase muss der Nachweis erbracht werden, dass die klinische Studie eine signifikante therapeutische Wirkung gezeigt hat und unbedenklich ist. Phase-IV-Studien sind Langzeitbeobachtungen, die nach der Zulassung des Präparats erfolgen. Dort werden seltene Nebenwirkungen dokumentiert, um Spätfolgen einschätzen zu können.
Für jede dieser Phasen muss die forschende Pharmafirma ein Protokoll erarbeiten und das Personal der beteiligten Prüfzentren muss die Aufgaben exakt verfolgen. Das interne Personal mit der Berufsbezeichnung Klinischer Monitor, das an die jeweiligen Studienzentren fährt und die Einhaltung des Protokolls und der Gesetzgebungen überwacht, wird ebenfalls geschult. Somit stellt man sicher, dass alle bestmöglich vorbereitet sind.
Die Monitore sind die Bindeglieder zwischen den Prüfzentren und der Pharmafirma. Sie achten zudem darauf, dass das Wohl des Patienten immer im Vordergrund steht. Und dann komme ich, überprüfe, ob die klinischen Studien in allen Ländern und Prüfzentren einheitlich gehandhabt werden. Leider finde ich häufig diverse Abweichungen. Zudem werden in vielen Fällen die Protokolle nicht eingehalten oder auch die Gesetze, die die Patienten schützen sollen. Natürlich ist es frustrierend für die Monitore, dass ich trotz deren Überwachung immer noch etwas finde. Da ich auch mal Klinischer Monitor war, kann ich ihre Frustration sehr gut nachvollziehen. Fehler sind jedoch menschlich und ich würde mir größere Sorgen machen, wenn ich jemandem begegnen würde, der keine macht.
Mich hat damals extrem gestört, dass ständig mit dem Finger auf die Monitore gezeigt und die Schuld auf sie geschoben wurde, anstatt die Fehler in Verbesserungsmöglichkeiten umzuwandeln. Denn auch ich bin nicht fehlerlos gewesen. Ehrlich gesagt hat es auch nicht viel gebracht, außer meine eigene Frustration zu steigern. Es wurden damals keine Verbesserungen ausgearbeitet, sondern die Schuld wurde von einem auf den anderen geschoben.
Das Studienprotokoll ist unverständlich … Der Monitor hat nicht alles korrekt überwacht … Das Studienzentrum hat das Protokoll nicht verstanden … und viele weitere, bedeutungslose Bemerkungen.
Der Taxifahrer biegt links in eine große, lebhafte Straße ein. Nach einigen Metern taucht vor mir der Nationalpalast auf und ich werde aus meinen Gedanken gerissen. Es ist ein sehr großes und imposantes Gebäude mit vielen kleinen Bögen. Ich habe gelesen, dass sich im Innern wunderschöne Malereien befinden sollen.
Leise seufzte ich. Ich würde sie mir gerne ansehen, weiß jedoch, dass mir dazu keine Zeit bleiben wird.
Wieder schweifen meine Gedanken zurück. Nach einer Auseinandersetzung mit dem damaligen Auditor, der einen Flüchtigkeitsfehler von mir entdeckt und stundenlang darauf herumgekaut hat, bin ich mit einem Verbesserungsvorschlag zu meinem Vorgesetzten gegangen. Er beinhaltete ein globales Konzept und eine dazu passende Trainingsmethode, damit die Fehler, die in Deutschland passiert sind, nicht in Großbritannien oder in Mexiko wiederholt werden. Die lesson learned meetings, ein globales Konzept für das gesamte, beteiligte Personal, ausgearbeitet von der Belegschaft unserer Pharmafirma, die die jeweiligen Fehler entdecken. Um Reisekosten zu sparen, kam ich auf die Idee, diese Meetings auch via Videokonferenz durchzuführen. Ein Vorschlag, der von allen begeistert angenommen wurde, selbst vom Management. Ich wurde damals sehr dafür gelobt.
Glücklich bei diesem Gedanken, schaue ich wieder aus dem Fenster und beobachte, wie Menschen die Straße entlanggehen. Einige von ihnen unterhalten sich, andere machen Fotos von Gebäuden und manche schlendern still vor sich hin.
Das von mir ausgearbeitete Konzept hat mir einen neuen Job als Auditorin mit achtzigprozentiger Reisetätigkeit und der Aussicht gebracht, die Qualitätsabteilung zu übernehmen. Eigentlich habe ich mich sehr darüber gefreut, verzichte nun jedoch beinahe komplett auf ein Privatleben. Mit Freunden ausgehen ist eine Seltenheit geworden und einen festen Freund habe ich seit etwa zwei Jahren nicht mehr, genauso lange keinen Sex.
Kein Wunder, dass ich dem Mann im Flugzeug ungewollt gesagt habe, dass er ein heißer Typ ist. Seine ungewöhnlich dunklen Augen erinnern mich an einen pechschwarzen Turmalin.
„Aquí estamos!“, reißt mich der Taxifahrer aus meinen Gedanken, was wohl heißen soll, dass wir unser Ziel erreicht haben. Ich zahle, bedanke mich freundlich und gebe ihm ein saftiges Trinkgeld.
An der Hotelrezeption angekommen, lege ich automatisch meine Firmenkreditkarte und meinen Ausweis auf den Tresen, während ich mich frage, warum man nicht auch online einchecken kann, so wie im Flugzeug. Dann könnte man sich das lästige Formularausfüllen vor Ort sparen und direkt mithilfe eines Zahlencodes das Hotelzimmer betreten.
Da ist es wieder, das Suchen nach Fehlern und das Ausarbeiten von Verbesserungen, das mir einfach im Blut liegt.
„Entschuldigen Sie, Señora, aber ich kann keine Buchung auf Ihren Namen finden.“
Entsetzt schaue ich auf. „Das kann nicht sein.“ Ich krame in meiner Reisemappe, die von unserem Teamassistenten zusammengestellt wurde und alle wichtigen Informationen wie Flugdaten, Hotelreservierung, Adresse des Prüfzentrums, Name des Prüfarztes und die Agendapunkte für das Audit beinhaltet.
Endlich finde ich den ausgedruckten Zettel, den ich von unserer Travel Agency erhalten habe, und lege ihn auf den Hoteltresen. Der Empfangsmitarbeiter des Hotels gibt die Reservierungsnummer ins System ein. Seine Augen huschen unruhig umher, als würde er auf dem Monitor irgendetwas suchen, und schließlich schüttelt er den Kopf. Dann wendet er sich an seinen Kollegen und bespricht etwas mit ihm, woraufhin der auf seiner Tastatur herumhämmert, ehe mich beide mitleidig ansehen. „Tut mir leid, Ihr Zimmer wurde von einer Señora Meier angefragt, jedoch nicht bestätigt, trotz unserer Nachfrage. Diese Woche findet die GAIT in Mexiko City statt, daher wurde Ihr Zimmer anderweitig vergeben.“
„Vergeben?“, wiederhole ich schockiert. „Dann geben Sie mir ein anderes.“ So schwer kann das ja schließlich nicht sein.
„Es tut mir aufrichtig leid, aber aufgrund der GAIT sind wir ausgebucht.“ Seine zerknirschte Miene macht die Endgültigkeit seiner Aussage nicht besser.
„Die was, bitte?“, frage ich, um etwas Zeit zu gewinnen.
„Die Globale Ausstellung für Informationstechnologien und Telekommunikation.“ An seinem Gesichtsausdruck erkenne ich, dass er darüber verwundert ist, dass ich noch nichts davon gehört habe. „Wir sind wirklich komplett ausgebucht“, erklärt er mit einem professionellen Lächeln.
Ich spüre Panik in mir aufsteigen. „Sie werden doch irgendein Zimmer freihaben. Ich nehme auch ein kleines, irgendwo neben der Wäschekammer.“ Schon während ich es ausspreche, ist mir klar, dass er beim wilden auf der Tastatur rumhacken genau danach gesucht hat und mir kein Zimmer anbieten kann.
„Es tut mir wirklich sehr leid, Señora Singer, aber wir haben nichts mehr frei.“
Ein Haufen auf den Bildschirm schauender, Algorithmus-tippender Leute wollen mir mein Hotelzimmer wegnehmen?
„Sie haben für solche Fälle doch bestimmt einen Notfallplan? Oder ein Zimmer, das so groß ist, dass man es sich mit jemandem teilen kann“, versuche ich es weiter und spüre, dass ich immer wütender werde.
Iker, dieser Name steht auf dem Namensschild, betrachtet mich lüstern und lächelt dabei, doch bevor er ausspricht, was ich denke, das kommen wird, nehme ich meinen Koffer, drehe mich um und verlasse hastig das Hotel. Vor der Tür versuche ich mich erst mal etwas zu beruhigen.
Konzentriere dich auf die zu lösende Aufgabe. Dies ist nicht das Ende der Welt. Du wirst deinen Geburtstag schon nicht irgendwo in Mexiko auf der Parkbank feiern. Oder doch?
Diese Gedanken sorgen dafür, dass ich anfange leicht zu hyperventilieren. Ein dumpfes Kribbeln in meinen Beinen setzt ein.
Seit heute bin ich dreißig Jahre alt, habe somit die magische Drei erreicht, bin ungebunden und seit zwei Jahren ungevögelt.
Denk nach, ermahne ich mich. In diesem Moment fällt mir ein, dass unsere Reiseabteilung eine Notfallnummer hat.
Na, wenn das mal kein Notfall ist.
Also suche ich nach der Telefonnummer und rufe dort an. „Hier ist die Reiseabteilung der TervElth, Susanne Meier am Apparat, wie kann ich Ihnen helfen?“, fragt eine piepsige Frauenstimme. Aufgrund ihrer Euphorie vermute ich, dass sie die Ausbildung zur Reisekauffrau grade frisch abgeschlossen hat und sich über jeden Reisenden freut, den sie beglücken kann.
„Hallo, mein Name ist Kaya Singer, ich bin hier in Mexiko City am Galaria City Hotel. Bedauerlicherweise ist mein Zimmer vergeben worden, da es nicht bestätigt wurde, und durch eine Veranstaltung ist auch kein anderes mehr frei“, versuche ich, mein Problem ungeschönt und so freundlich wie möglich zu schildern. „Ich möchte, dass Sie mir ein Zimmer besorgen, und zwar noch heute“, füge ich bestimmter als beabsichtigt hinzu.
Frau Meier lässt sich von mir nicht aus der Ruhe bringen und fragt mich nach meinem Namen und meiner Buchungsnummer. Ich gebe ihr die Daten und höre sofort das Klackern ihrer Fingernägel auf der Tastatur. Anschließend atmet sie laut durch und ich warte immer angespannter. „Einen Moment bitte, Frau Singer, ich bin gleich wieder für Sie da“, sagt sie, ohne ihre Stimmlage zu verändern, und im gleichen Augenblick ertönt eine Melodie in der Leitung, die vermutlich beruhigend wirken soll.
Ich stelle meinen Koffer an die Seite und laufe vor dem Hotel auf und ab.
Meier, irgendwas sollte mir dieser Name sagen, ich kann mich aber beim besten Willen nicht erinnern.
Geschlagene fünf Minuten später, ich habe die Hoffnung schon fast aufgegeben, verstummt die Melodie abrupt. „Hallo Frau Singer, danke, dass Sie so lange gewartet haben“, sagt Susanne Meier, diesmal weniger euphorisch. Ich würde eher sagen, sie klingt geknickt oder ernüchtert. „Leider habe ich“, sie räuspert sich, „leider wurde tatsächlich vergessen, Ihr Zimmer zu bestätigen.“
Ah ja, so weit war ich auch schon.
„Ich habe jetzt jedoch ein anderes Hotel gebucht“, fügt sie etwas versöhnlicher hinzu, noch bevor ich etwas äußern kann. „Ich konnte für Sie sogar ein Upgrade herausschlagen. Das Palacia de Cristal befindet sich mitten in der Stadt. Ein wirklich sehr schönes Hotel. Ich möchte mich für die Unannehmlichkeiten entschuldigen und schicke Ihnen die Unterlagen gleich per Mail. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“
Kann sie. Ich erkläre ihr, dass ich der Internetverbindung hier nicht traue und befürchte, dass ich mir die Daten vielleicht nicht über mein Smartphone abrufen kann. Also teilt sie mir vorsorglich alles am Telefon mit und ich notiere mir den Hotelnamen, die neue Buchungsnummer und die Anschrift.
Ich bedanke mich und diesmal habe ich das Gefühl, dass es meine Stimme ist, die piepsig und euphorisch klingt, da ich mich total über das Upgrade freue.
„Sehr gerne. Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt.“
Ich beende das Gespräch, steige in das nächste freie Taxi und lasse mich zu der neuen Adresse fahren.
Das ist doch mal eine positive Wendung.
Normalerweise dürfen wir nur innerhalb eines festgelegten Budgets buchen, was meist ein gutes Businesshotel mit vier Sternen ist. Das ist immer noch besser als das, was ich mir privat leisten würde, doch mit dem Upgrade erhoffe ich mir ein Fünf-Sterne-Hotel mit einem Luxuszimmer, das einen Whirlpool beinhaltet. Schließlich wird Träumen ja noch erlaubt sein.
Am Hotel Palacia de Cristal angekommen, verschlägt es mir den Atem. Bereits die Einfahrt, links und rechts von Palmen eingebettet, ist ein Traum. In der Mitte der Fahrbahn befinden sich beleuchtete Wasserspiele, die mich zum Staunen bringen.
Kaum haben wir angehalten, wird mir die Tür des Taxis von einem Pagen geöffnet, ein zweiter holt wie selbstverständlich meinen verbeulten Koffer aus dem Kofferraum und trägt ihn bis an die Hotelrezeption.
Der Page, der mir die Tür aufhält, wünscht mir im Vorbeigehen einen schönen Aufenthalt, und ich betrete lächelnd die Lobby. Eine Wasserfontäne mit einer griechischen, in Kristall gemeißelten, nackten Frau, die sich an eine Palme aus Kristall lehnt, ziert den Mittelpunkt. Die Palme ist beleuchtet und um die Fontäne herum stehen Sitzplätze aus weißem Leder. In gerader Linie dazu befindet sich eine spanische Treppe, die in den ersten Stock führt. Das Treppengeländer ist mit Kristall verziert und die Stufen sind durchsichtig, als wären sie aus Glas.
Mein Blick wandert nach oben zur Hoteldecke. Beeindruckt betrachte ich die wunderschönen, römischen Malereien und ermahne mich, den Mund zu schließen und mich wieder zu besinnen, damit meine Erscheinung nicht geistesgestört wirkt. Vorsorglich schaue ich an mir hinab. Zum Glück habe ich mich für eine schwarze Stoffhose und eine rote Bluse entschieden. Die drei kleinen Knöpfe, die in Höhe meines Brustbeins verlaufen, stehen offen. Ich traue mich aber nicht, sie mitten in der Hotellobby zu schließen, und atme einmal tief durch. Immerhin ist mein Dekolleté nicht undamenhaft tief. Zudem hätte ich noch sehr viel unpassender gekleidet sein können und bin froh, nicht bloß eine Jeans zu tragen; dennoch befürchte ich, dass mir jeder sofort ansieht, dass ich nicht wirklich hierher zu passen. Verstohlen blicke ich mich um. Die Gäste hier sind alle wie aus dem Modekatalog von Chanel oder Dior bekleidet. Selbst die Angestellten an der Hotelrezeption wirken stilvoll.
Es wirkt, als würde der Manager einmal stündlich seine Runde drehen und alles zurechtziehen, was nicht ordentlich sitzt, um anschließend mit der Fusselbürste durch die Kleidung seiner Belegschaft zu bürsten. Und ich stehe fasziniert hier, in dieser schimmernden Lobby, als befände ich mich in einer anderen Zeit, und komme mir leider deplatzierter vor. Ich hoffe nur, dass man mir nicht ansieht, dass mir mein Erscheinungsbild etwas unangenehm ist.
Okay, Frau Singer, dies ist nicht deine erste Geschäftsreise, rufe ich mir ins Gedächtnis. Du weißt, wie es geht. Lächeln, Hintern zusammenkneifen, Brust raus, nicht zu viel, sonst sieht es bei meiner Oberweite zu gewollt aus, Arm anwinkeln und die Handtasche von „Lydias Taschenladen“ für neunundzwanzigneunzig darüber hängen, als hätte sie das Zehnfache gekostet, und los geht’s an die Rezeption.
In meinem L-förmig geschnittenen Zimmer angekommen, bin ich von der Größe hingerissen. Man läuft direkt auf die große, bodentiefe Fensterfront zu. Ihr gegenüber steht ein luxuriöses Kingsize-Bett mit emporragenden Pfosten im Kolonialstil. Sowohl das prachtvolle Kopf- als auch das Fußteil sehen aus, als wären sie aus Mahagoniholz, mit wunderschön geschnitzten Verzierungen. Im Bett liegend hat man sicherlich eine atemberaubende Aussicht auf die pulsierende Stadt.
Schade nur, dass ich Bauchschläferin bin.
Schräg gegenüber vom Bett an der großen Fensterfront steht ein Longchair, mit rotem Samt bezogen, farblich perfekt auf die Tagesdecke auf dem Bett abgestimmt. Links, wenn man das Zimmer betritt, befindet sich ein Schreibtisch mit passendem Stuhl und einem riesigen Bildschirm zum Anschließen für einen Laptop oder etwas Ähnliches. Dem gegenüber befindet sich ein Zweisitzer aus schwarzem Leder, daneben gibt es eine Tür, die vermutlich in das Badezimmer führt.
Rechts vom Eingangsbereich wurde eine mindestens fünf Meter lange Schrankfront eingebaut, bestimmt für die vielen Kleidungsstücke, die man für so ein Wochenende braucht, wenn man sich das Zimmer selbst leisten kann. Als ich sie öffne, fällt mir ein Zettel ins Auge, auf dem steht, dass der Wäscheservice inbegriffen ist, dass auf ökologisches Waschen Wert gelegt wird und dass keine chemischen Reinigungsmittel verwendet werden. Bei den Gästen, die hier vermutlich ständig einkehren, kann ich mir den Bedarf für diesen Service sehr gut vorstellen. Das ist für meinen Geschmack dann doch zu viel des Guten.
Obwohl …
Plötzlich reizt mich die Idee, nächstes Wochenende zu Hause mal keine Wäsche waschen zu müssen. Hier könnte ich bestimmt auch das Hemd von Schwarzauge reinigen lassen.
Wo Tian wohl untergekommen ist?
Für ihn wäre das hier bestimmt nichts Ungewöhnliches. Am Gepäckband und am Ausgang habe ich ihn nicht gesehen. Bestimmt ist sein Koffer mit VIP gekennzeichnet gewesen und wurde ihm persönlich übergeben.
Von wegen Hemd waschen.
Das kann er selbst in Auftrag geben oder sich in der Hotelboutique gleich ein neues kaufen. Was er bestimmt schon längst gemacht hat. Obwohl mir all das durch den Kopf geht, seufze ich. Es ist mir immer noch furchtbar unangenehm, deswegen hoffe ich, dass ich ihn nie wiedersehe, und doch macht mich genau dieser Gedanke ein wenig traurig. Denn eigentlich wäre es sehr schade, da ich ihn wirklich ziemlich anziehend fand, auch wenn er wahnsinnig arrogant gewirkt hat.
Kopfschüttelnd über den Wirrwarr meiner eigenen Gedanken öffne ich die Tür neben dem Sofa und stehe vor dem Bad. Es ist größer als mein gesamtes Schlafzimmer zu Hause.
Wenn ich mal nicht in der großen, weiten Welt unterwegs bin, lebe ich in meiner Heimatstadt Berlin. Ich bin eine waschechte Berlinerin, habe dort auch studiert. Anfangs war ich froh, dass ich diesen Job bekommen habe und viel von der Welt sehen kann, weil ich es sonst vermutlich nie dort herausgeschafft hätte.
Nachdem ich mich entschieden hatte, aus meinem Elternhaus auszuziehen, habe ich mir mit der Unterstützung meiner Mutter und meines Vaters eine Eigentumswohnung mit einhundertzwanzig Quadratmetern gekauft. Eigentlich bin ich auf der Suche nach etwas Kleinerem gewesen, doch als ich diese Wohnung gesehen habe, habe ich mich in diesen Altbau mit den vier Meter hohen Decken verliebt. Auf den ersten Blick, wenn man es so nennen will. In allen vier Zimmern ist verschnörkelter Stuck an den Decken, wie es in den Altbauten von Berlin nun mal so üblich ist. Das größte Zimmer hat einen Erker, aus dem ich eine gemütliche Lese- und Arbeitsecke gemacht habe. Die Küche ist so groß, dass ich einen Esstisch mit sechs Stühlen hinein stellen konnte und trotzdem Platz habe, um mit mehreren Leuten in der Küche zu kochen. Etwas, das mir sehr wichtig ist, da ich für andere Unternehmungen mit Freunden meistens keine Zeit habe. In der Woche bin ich auf Geschäftsreise und an den Wochenenden bin ich dann mit Wäschewaschen und mit dem Packen für den nächsten Trip beschäftigt. Dadurch hat es sich ergeben, dass samstagabends in geselliger Runde bei mir gekocht und gegessen wird, und da ich mich nicht um das Einkaufen kümmern muss und sogar für den Sonntag noch Reste zum Aufwärmen übrig sind, kam mir dieser Lauf der Dinge sehr entgegen. Fast immer ziehen meine Freunde anschließend noch um die Häuser und genießen das Nachtleben von Berlin. Manchmal kann ich mich aufraffen und gehe mit, häufiger jedoch nicht. Ich genieße die wenigen, ruhigen Momente allein zu Hause viel zu sehr. Die ständige Leier, dass ich so niemals meinem Traummann begegnen werde, überhöre ich inzwischen geflissentlich. Ich bezweifle ohnehin sehr stark, dass ich ihm in irgendeiner Bar oder einem Club über den Weg laufen würde, da mich weder laute Musik noch Tanzen besonders gesellig macht.
Sonntag ist Familientag, da unternehme ich nachmittags gewöhnlich etwas mit meinen Eltern, zumindest, wenn ich das nicht auf meiner Couch liegend verschlafe.
Es ist erst fünf Uhr am Nachmittag, also lasse ich mir vor dem Abendessen noch ein Bad ein und genieße die Entspannung mit Blick auf Mexiko City.
Ein Sekt wäre jetzt schön.
Ich habe gesehen, dass es Champagner in der Hausbar dieses Zimmers gibt, aber da ich keine Preisliste finden konnte, traue ich mich nicht, eine der vielen, exotisch klingenden Flaschen zu öffnen. Ich nehme mir fest vor, mir wenigstens zwei dieser exquisiten Markennamen zu merken. Meinen Freunden zu Hause werde ich von diesem Hotel jedoch nichts erzählen, da sie eh schon immer darüber witzeln, dass ich jede Woche in einer anderen Stadt bin und zwischen den kurzen Arbeitsphasen ganz viel Zeit für ausgedehnte Wellnessbesuche und Sightseeing-Touren habe, doch leider sieht meine Realität ganz anders aus.
In der Regel sitze ich in irgendwelchen dunklen Büros, die ich eher als Abstellräume bezeichnen würde, weit weg von allem, damit keiner mitbekommt, dass gerade jemand da ist, der auditiert. Den meisten stehen bereits die Schweißperlen auf der Stirn, sobald sie mich nur von weitem hören oder sehen. Sie gehen davon aus, dass ich wie ausgehungert darauf warte, dass irgendjemand vorbeikommt oder den Flur entlanggeht, um ihn dann mit Fragen zu löchern.
Nach Arbeitstagen von zehn bis zwölf Stunden unter Hochkonzentration ist an Sightseeing jedenfalls nicht mehr zu denken. In einem netten Lokal gemütlich essen? Meistens kaufe ich mir in einem Supermarkt lediglich einen Salat oder einen Joghurt oder, wenn ich selbst das nicht mehr schaffe, lasse mir vom Zimmerservice etwas kommen, um anschließend nur noch ins Bett zu fallen.
Leider kann ich mich nicht so gut entspannen, wie ich mir erhofft habe. Die schwarzen Augen des Fremden, die sich wie Saugnäpfe in meinem Bewusstsein festgesetzt haben, und sein arrogantes Lächeln, beschäftigen mich so sehr, dass ich viel zu spät bemerke, dass das Badewasser bereits fast kalt geworden ist. Meine Hände sind schon völlig verschrumpelt und beginnen leicht zu zittern. Also wasche ich mir schnell die Haare und steige aus der Wanne.
Mit einem Handtuch bekleidet, stehe ich schließlich vor dem Schrank und überlege, was ich anziehen soll. Meine Auswahl ist nicht besonders groß. Das, was ich an Kleidung eingepackt habe, sind Hosenanzüge mit verschiedenen Blusen, ein T-Shirt für den Rückflug sowie ein Kleid für den Fall eines Geschäftsessens.
Auf Geschäftsreisen trage ich lieber Hosenanzüge, weil ich mich damit nicht immer auf den richtigen Sitz konzentrieren muss, und wenn ich allein in einem Zimmer bin, kann ich auch mal die Knie anziehen, ohne dass ich befürchten muss, in einer unvorteilhaften Sitzhaltung ertappt zu werden. Zwar finde ich Kostüme weiblicher und habe mir auch einige zugelegt, trage sie aber viel zu selten, was ich dringend ändern sollte.
Zwei Paar schwarze und ein Paar dunkelbraune High Heels sowie ein Paar Sandalen stehen an der Wand gegenüber dem Bett. Daneben Sportschuhe für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich mal laufen gehen will. Ist bis jetzt noch nie vorgekommen, aber man kann ja nie wissen.
Unschlüssig breite ich meine Unterwäsche vor mir aus. Ich liebe schöne Wäsche in den unterschiedlichsten Formen und Farben, da sie mir das Gefühl von Weiblichkeit vermittelt, auch wenn sie in den letzten zwei Jahren niemand außer mir zu sehen bekommen hat.
Ich entscheide mich für das einzige Kleid, das ich eingepackt habe. Es ist dunkelblau und außer der vorderen Knopfleiste ohne Schnörkel. Trotzdem – oder gerade deswegen, gehört es zu meinen Lieblingsstücken, da es schlicht und trotzdem elegant wirkt, nicht viel Platz im Koffer braucht und die dunkelblaue Farbe meine hellblauen Augen unterstreicht. Dazu wähle ich weiße Unterwäsche mit blauer Spitze, die meine weiblichen Kurven, oder wie ich in manchen Fällen zu sagen pflege, meine erotische Schwungmasse umschmeichelt. Zwar habe ich einen flachen Bauch, aber zu breite Hüften und meine Pobacken gleichen viel zu groß geratenen Kirschen. Für meine ein Meter sechsundsiebzig habe ich zu große Brüste. Vermutlich sind einige Frauen neidisch auf meine Doppel-D Körbchen. Obwohl ich eine Handvoll vollkommen ausreichend finde, wurde ich mit Körbchengröße Doppel D gesegnet.
Angezogen betrachte ich mich im Spiegel, streiche erst den Stoff glatt und mir anschließend durchs Haar. Meine Korkenzieherlocken scheinen ständig ein Eigenleben zu entwickeln, sie stehen wie immer in alle Richtungen ab und fallen nie so, wie ich sie haben möchte. Trotzdem sagt mir der Blick in den Spiegel, dass ich mich so in das Hotelrestaurant wagen kann, ohne mir allzu sehr fehl am Platz vorzukommen.
Zu meiner Überraschung ist das Restaurant nicht überfüllt und ich ergattere sogar einen schönen Platz direkt am Fenster. Die Aussicht ist herrlich. Zur Feier des Tages bestelle ich mir ein Hüftsteak mit Gemüse als Beilage, das sich zu meinem Verdruss als drei kleine Bohnenstangen entpuppt. Immerhin ist das Fleisch schön saftig und zart, nur leider ist es viel zu klein. Wie soll man bei so einem übersichtlichen Teller nur satt werden?
Zum Steak habe ich einen Merlot aus Chile mit Aromen von schwarzen Johannisbeeren gewählt, das lieblich-süße Bukett bringt meine Geschmacksknospen zur Explosion. In Gedanken stoße ich auf mich und meine Gesundheit an und wünsche mir, dass endlich wieder ein Mann in mein Leben tritt. Jemand, der mit meinem Job und den damit verbundenen Reisen umgehen kann, und nicht so ist wie Peter, mein letzter Freund. Er war der Meinung, dass er häufiger Sex braucht, benutzte mich als Vorzeigefreundin, suchte sich jedoch während meiner Abwesenheit regelmäßig Bettgespielinnen. Dumm nur, dass ich von einer meiner Geschäftsreisen früher zurückgekommen bin. Ich erwischte ihn dabei, wie er sich schmatzend am Schoß einer Rothaarigen bediente und ihr lustvolle Geräusche entlockte. Allein der Gedanke an seine Zunge bringt mich dazu, feucht zu werden. Oh, das konnte er wirklich gut, mich so zum Orgasmus bringen. Das hat er mit seinem Penis leider nie geschafft.
Ich spüre, wie aufgrund meiner eigenen Gedanken meine Wangen zu glühen beginnen und sich mein Herzschlag etwas beschleunigt. Verlegen rutsche ich auf dem Stuhl hin und her und versuche, meine Gedanken von Peter und seinen Künsten abzubringen. Ich brauche wirklich dringend einen Freund. Ich sollte mir den Rat meiner Freunde endlich einmal zu Herzen nehmen und öfter ausgehen. Nur wann, frage ich mich, trinke den letzten Schluck und bitte um die Rechnung. Auf ein Dessert verzichte ich, möchte mir dafür aber an der Bar einen Cocktail genehmigen, um meinen Geburtstag ausklingen zu lassen. Allzu lange kann ich ohnehin nicht mehr aufbleiben, da morgen früh schon um neun Uhr mein erstes Meeting beginnt. Dadurch, dass dieses Hotel nicht mehr in der Nähe der Klinik liegt, habe ich einen längeren Anfahrtsweg und der kann zur Rush Hour in Mexiko City schon mal einige Zeit in Anspruch nehmen.
Die Rechnung bestätigt mir, dass das Fleisch wirklich sehr gut gewesen sein muss, da ich noch niemals zuvor so viel Geld für ein Essen bezahlt habe.
Die Hotelbar ist nur schwach beleuchtet. Kaum bin ich eingetreten, stelle ich zu meinem Entsetzen fest, dass hier sogar geraucht werden darf. Ich entscheide mich aber trotzdem, zu bleiben, und lasse meinen Blick durch den Raum schweifen. An einem Tisch, mittig zur Bar, sitzt ein jüngeres Paar. Er liest in der Zeitung und sie beschäftigt sich mit ihrem Smartphone, was man wohl kaum als sinnvoll verbrachte Zweisamkeit betrachten kann.
Na ja, solange es beiden nichts ausmacht, geht es mir durch den Kopf.
Auf der linken Seite vom Tresen sitzt eine blonde Frau in einem roten, aufreizenden Kleid, das hinten offen ist und ihre zarten Schulterblätter zeigt. Ihr Gesicht kann ich nicht sehen, da sie mit dem Rücken zu mir sitzt. Ich gehe aber stark davon aus, dass sie zu den Frauen gehört, die immer perfekt zum Outfit passend geschminkt sind. Neben ihr steht ein Mann, ich schätze ihn auf Mitte vierzig, in einem etwas in die Tage gekommenen Anzug, der an einigen Stellen ein wenig zu eng anliegt. Vermutlich hat ihm der Anzug vor einiger Zeit noch gut gestanden. Mit einem Arm locker am Tresen angelehnt, kann ich seine Gesichtszüge nicht erkennen, seinem Profil sowie den schwarzen Haaren und der dunklen Haut nach zu urteilen, gehe ich davon aus, dass er Mexikaner ist. Die Art, wie er am Tresen lehnt, leicht schwankend, lässt mich vermuten, dass er Halt braucht. Die arme Frau hat sich ihren Abend bestimmt anders vorgestellt. Der Mann redet auf die blonde Frau ein, sie macht verneinende Gesten, sowohl mit ihren Händen als auch mit ihrem Kopf, und versucht sich immer wieder von ihm abzuwenden.
Warum glauben Männer ständig, dass, wenn eine Frau allein an der Bar sitzt, sie automatisch Frischfleisch ist und der Mann ihr ein Getränk aufdrängen kann? Männer hingegen können locker an der Bar sitzen und den Tag Revue passieren lassen, ohne dass sich ihnen gleich eine betrunkene Frau an den Hals wirft und unerwünscht ein Gespräch anfängt.
Auf der anderen Seite des Tresens sitzt ein junger Mann, Mitte dreißig. Nach seinem Äußeren zu urteilen ein Gast, der sich problemlos ein Zimmer in diesem Hotel leisten kann. Vor ihm steht ein Glas, in das er verträumt hineinschaut. Gefüllt mit einer goldbraunen Flüssigkeit, an der er genüsslich nippt.
Ich entscheide mich für die Mitte des Tresens, setze mich und hoffe, von beiden Seiten weit genug entfernt zu sein, um nicht angesprochen zu werden. Der Barkeeper, ein älterer Mann mit vernarbtem Gesicht, fragt mich freundlich, mit einer halb ausgebrannten Zigarette zwischen den Lippen, was ich trinken möchte. Meine Entscheidung fällt spontan auf einen Cosmopolitan. Der sorgt in der Regel dafür, dass ich mich hinterher wohlig warm fühle und die nötige Bettschwere habe, da reicht mir einer völlig aus. Der Barkeeper nickt freundlich und beginnt mit geübten Fingern, ihn mir zu mixen, ohne auch nur ein einziges Mal die Zigarette aus dem Mund zu nehmen. Erst jetzt fällt mir die Musik im Hintergrund auf. Leise genug, um nicht aufdringlich zu sein, dennoch laut genug, um eine gemütliche Atmosphäre zu schaffen.
Ich ziehe aus meiner Handtasche die Agenda der nächsten drei Tage heraus, um mich auf morgen vorzubereiten, und gehe in Ruhe die Punkte durch, überfliege den Grund des Audits, suche nach der Adresse und lese sie mir mehrfach durch, um sie mir einzuprägen:
Sondora Health Klinik, Sondora Avenida, La Sondorado, Mexiko.
Hoffentlich ist der Weg vom Hotel zur Klinik nicht so weit. Frau Meier hat die Entfernung nicht erwähnt und ich habe in dem ganzen Durcheinander vergessen, danach zu fragen.
Nachdenklich suche ich nach den Angaben, für welchen Zeitrahmen der Beginn des Audits geplant wurde, und überfliege die Eckdaten:
Montag, 27. März 2023
09:00-09:45 Uhr
- Einleitungstreffen mit dem Prüfarzt Prof. Dr. med. Antonio Calderon und dem Studien-Team
- Vorstellung des Auditors
- Zielsetzung und Umfang des Audits
- Planung der Interviews und des Rundgangs durch die Einrichtungen
09:45-12:30 Uhr
- Interview mit Prof. Dr. med. Antonio Calderon
- Interview mit dem stellvertretenden Oberarzt Dr. Garcia Santoro über die Organisation und die Durchführung der Studie
Mittwoch, 29. März 2023
13:30-16:00 Uhr
- Bewertung und Zusammenfassung der Audit-Ergebnisse
- Abschlussgespräch
Somit habe ich für das Audit drei volle Tage Zeit.
Ich schrecke zusammen und sehe auf, als ich jemanden neben mir spüre. Der Mann mit dem zu eng anliegenden Anzug. Auch wenn mich seine aufdringliche Art etwas ängstigt, finde ich, dass er eigentlich sehr angenehme Gesichtszüge hat. Braungebrannte Haut, die davon zeugt, dass er keinen Bürojob ausübt, braune Augen, die beruhigend wirken, eine leicht gebogene Nase und dünne Lippen. Unterhalb des Kinns, auf der rechten Seite, bemerke ich eine Narbe, die sich bis zum Kehlkopf durchzieht.
„Hallo, schöne Signora, darf ich Ihnen etwas zu trinken bestellen?“, fragt er in gebrochenem Englisch und sehr stark lallend.
Ich beuge mich etwas nach hinten, da mich sein mit Alkohol geschwängerter Geruch schüttelt. „Nein, ich habe bereits etwas zu trinken“, versuche ich, souverän von mir zu geben, merke jedoch, dass meine Stimme etwas zittert. Um meine Unsicherheit zu überspielen, wende ich mich wieder der Agenda in meiner Hand zu. Ich muss mich unwillkürlich fragen, ob er über noch mehr Englischkenntnisse verfügt als nur diesen einen Anmachspruch.
Er lässt jedoch nicht locker. „Eine hübsche Signora wie Sie sollte nicht ohne einen männlichen Begleiter an einer Bar sitzen. Kommen Sie, ich spendiere Ihnen noch einen Drink.“ Er scheint der englischen Sprache doch mächtig zu sein, auch wenn sein Lallen seine Aussprache schwer verständlich macht. Seine aufdringliche Art fängt an, mich nervös zu machen. Unsicher und etwas hilfesuchend schaue ich den Barkeeper an, doch er scheint von meinem Dilemma nicht viel mitzubekommen. Am anderen Ende des Tresens stehend, ist er damit beschäftigt, das Glas in seiner Hand zu polieren.
So ein Mist, denke ich. Wäre ich doch nach dem Essen direkt auf mein Zimmer gegangen und hätte mir etwas aus der Hotelbar genehmigt. Doch dann ärgere ich mich über meine eigenen Gedanken. Da ich dem Betrunkenen nicht gleich widerspreche, rückt er noch ein wenig vor, sodass ich seinen unangenehmen Geruch nach Alkohol, Zigarettenrauch und Schweiß erneut aufnehme. Er fängt an, meinen Oberarm zu streicheln, und ich zucke erschrocken zusammen. „Hey, so nicht!“, gebe ich mit fester Stimme von mir und versuche, seine Hand von meinem Arm zu schieben, doch er hält mich fest. Langsam bekomme ich Angst.
Bevor ich mich aus seinem Griff befreien kann, drängt sich der Mann von der anderen Seite des Tresens zwischen uns. „Die Dame ist nicht allein und Ihre Drinks zahle ausschließlich ich“, sagt er freundlich, aber bestimmt in einwandfreiem Englisch.
Erleichtert darüber, dass mir endlich jemand hilft, atme ich auf und setze mich aufrecht hin. Der Mexikaner gibt etwas auf Spanisch von sich und verlässt dann fluchend und kopfschüttelnd die Bar, als wäre dieser Abend nicht ganz so verlaufen, wie er sich das gewünscht hat.
„Danke für Ihre Hilfe, aber mit ihm wäre ich schon klargekommen.“ Innerlich trete ich mich selbst. Warum bekomme ich es nicht hin, einfach mal etwas Nettes zu sagen? Ich hole tief Luft, lächle und atme langsam wieder aus. „Ich bin Kaya.“
„Ich wollte nur galant sein und einer jungen Dame in Not zu Hilfe eilen. Ich bin Ethan. Unser mexikanischer Freund hat recht, eine junge Dame sollte nicht allein in einer Bar sitzen, wenn sie nicht angesprochen werden will.“
Was soll das denn jetzt?
„Ach, aber ein Mann darf das?“, entgegne ich wütend, bevor ich mich zurückhalten kann. „Vielleicht brauche ich ja jetzt jemanden, der mich vor Ihnen rettet.“
Er lacht erheitert, hebt seine linke Hand und zeigt mir seinen Verlobungsring. „Vor mir sind Sie sicher.“
So schön poliert wie der Ring glitzert, scheint er ihn noch nicht lange zu tragen.
Schade, schießt es mir durch den Kopf. Ich bin mal wieder zu spät.
Kopfschüttelnd frage ich mich, was nicht mit mir stimmt. Wieso komme ich auf solche Gedanken, ohne diesen Mann zu kennen? „Okay“, höre ich mich langsam sagen, „dann hätte ich jetzt nichts gegen den Drink, den Sie mir in Aussicht gestellt haben.“
Sein Lächeln wird breiter und er dreht sich zu dem Kellner. „Bitte noch einen Cosmo für die Dame und einen Whiskey für mich.“
Sein Lächeln ist ansteckend und bringt auch mich zum Grinsen. Ich hoffe nur, dass ich damit einigermaßen intelligent und nicht nach verzweifelter Frau, dreißig und suchend, aussehe. „So, Sie sind also verlobt. Wenn ich raten darf, ist die Verlobung noch nicht so lange her?“, frage ich neugierig.
„Ja, stimmt. Es ist erst ein paar Wochen her, kommt mir aber schon wie Jahrzehnte vor. Liegt wohl daran, dass ich sie bereits im Kindergarten kennengelernt habe.“
„Das ist in der heutigen Zeit echt bemerkenswert“, gebe ich beeindruckt zu und wünsche mir insgeheim auch endlich so jemanden an meiner Seite.
„Oh, glauben Sie mir, es ist nicht immer einfach gewesen. Wissen Sie, an Beziehungen muss man arbeiten und das nicht nur, wenn es gut oder mal schlecht läuft, sondern immer. Jeden Tag.“ Ethan hat eine angenehme, ruhige Art. Ich kann mich ungezwungen mit ihm unterhalten, ohne dass ich anzügliche Blicke wahrnehme oder Bemerkungen erhalte. Das bringt mich dazu, ihm aufmerksam zuzuhören. „Auch wir hatten unsere schwierigen Phasen, sind sogar eine Zeitlang eigene Wege gegangen, doch das Schicksal hat uns wieder zusammengeführt. Wir sind einfach füreinander geschaffen.“
„Es ist sehr schön zu hören, dass es solche Geschichten noch gibt. Ich wünsche Ihnen ein langes und glückliches Leben zusammen“, dann grinse ich etwas frech und kann es nicht lassen, noch „und hoffe, Sie werden mit vielen kleinen Kindern gesegnet“ einzuwerfen.
Ethan hebt sein Glas und prostet mir zu – „Das wünschen wir uns auch“ – und genehmigt sich einen großen Schluck. „In acht Wochen ist erst einmal die Hochzeit und danach sind wir für alles offen, was uns das Leben zu bieten hat.“
Ich nippe an meinem Cosmo und schaue mich kurz in der Bar um. Außer Ethan und mir ist niemand mehr da. Vertieft in unser Gespräch habe ich gar nicht mitbekommen, dass die anderen Gäste gegangen sind. Ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf Ethan.
„Ich hätte nicht geglaubt, dass es davor so viel zu organisieren gibt.“
Als er anfängt, von den Vorkehrungen zu erzählen, leuchten seine Augen und ich hänge gebannt an seinen Lippen. Es ist schön, ihm zuzuhören und zu sehen, dass auch Männer so gefühlvoll sein können. Ich hoffe, mein Romantiker lässt auch nicht mehr allzu lange auf sich warten. Da ich gern eine eigene Familie gründen möchte, ohne dass meine Kinder später Oma zu mir sagen, sollte ich ihn bald kennenlernen. Dreißig ist zwar wirklich noch kein Alter, bei dem ich mir Sorgen machen muss, dennoch höre ich meine biologische Uhr deutlich ticken.
„Was machen Sie hier in Mexiko?“, fragt er mich und reißt mich aus meinen trüben Gedanken. „Sind Sie wegen der GAIT hier?“
„Ich? Nein! Sehe ich etwa aus wie ein Computerfreak? Ich habe ein Meeting in der Sondora Health Klinik.“
„Oh, sind Sie Ärztin?“
„Nein, ich bin Pharmakologin und bei einer Pharmafirma tätig“, antworte ich vage, um unschöne Diskussionen zu vermeiden. Vorwürfe wie „Können Sie das überhaupt mit Ihrem Gewissen vereinbaren, Versuche am Menschen zu unterstützen?“ gab es in der Vergangenheit bereits genug. Und ja, kann ich, ohne Menschen wie mich und diese Arbeit würde es viele Medikamente gegen alle möglichen Erkrankungen schließlich nicht geben oder, viel schlimmer, es gäbe sie, aber keiner hätte sie kontrolliert.
„Und Sie? Sind Sie so ein Algorithmus-tippender Freak?“
Ethan lacht herzhaft. „Schlimmer noch, ich bin Anwalt. Ich betreue einen Klienten, der hier investieren will, und fungiere als sein Berater. Sagt Ihnen die GiBi Telecommunication Software Holding etwas?“
Ich weiß nicht viel über die Firma und kenne mich in der Telekommunikationsbranche nicht aus, aber ich erinnere mich, erst kürzlich etwas über sie gelesen zu haben. „Wurde nicht gerade erst ein Artikel über sie in der Forbes veröffentlicht?“
Ethan nickt und wirkt imponiert.
„Ich bin oft unterwegs und lese bei meinen Reisen hier und da mal eine Zeitung“, versuche ich, ihm mein Halbwissen zu erläutern. „Soweit ich mich erinnern kann, ist es ein Familienunternehmen, ich hatte in dem Artikel gelesen, dass der Senior während des Zweiten Weltkriegs aus Sizilien in die USA ausgewandert ist.“ Dass in dem Artikel auch stand, dass die Firma vor fünf Jahren noch vollkommen unbekannt war, lasse ich unter den Tisch fallen.
„Der Bericht war wirklich interessant.“ Er ist mir vor allem deswegen in Erinnerung geblieben, weil darin stand, dass nun der Enkelsohn die Firma leitet, obwohl der Senior nicht immer mit dessen Umgangsformen einverstanden ist. Trotzdem hat er es geschafft, das Unternehmen innerhalb kürzester Zeit erfolgreich in der Telekommunikationsbranche global und führend aufzustellen.
Ethan nippt verlegen an seinem Glas und ich trinke ebenfalls einen Schluck.
„Sie kaufen marode Unternehmen auf. Wenn sie fähig sind, Profit abzuwerfen, investieren sie in das Unternehmen, behalten es oder es wird in Einzelteile aufgesplittert und gewinnbringend verkauft.“ Ethan räuspert sich.
„Oh, das ist aber nicht gerade die feine englische Art“, antworte ich und merke, wie sich sein schlechtes Gewissen weiter vertieft.
„Ja, der Senior ist auch nicht immer mit der Vorgehensweise seines Enkels einverstanden“, murmelt er leise.
„Er scheint ein cleverer Mann zu sein.“
Ethan lacht. „Na, wenn Sie den Senior für clever halten, dann sollten Sie mal was über den Junior in Erfahrung bringen. Ein Genie im Bereich Telekommunikation.“ Bewunderung klingt eindeutig in seiner Stimme mit. „Leider fehlt es ihm manchmal an sozialer Kompetenz“, fügt er weniger begeistert hinzu.
Um seine trüben Gedanken zu lindern, lege ich kurz meine Hand auf seinen Arm und ziehe sie gleich wieder weg, da mir das doch zu persönlich erscheint. Obwohl ich Ethan gerade erst kennengelernt habe, kommt er mir vertraut vor. „Ist er der Grund, weshalb Sie hier an dieser Bar sitzen?“, frage ich.
„Wer ist der Grund deines ausgiebigen Trinkens?“, höre ich hinter mir eine tiefe Stimme, bevor Ethan mir antworten kann.
Noch bevor ich mich umdrehe, weiß ich genau, wem diese Stimme gehört.
Schwarzauge. Das kann doch nicht wahr sein!
Ich glaub, ich bin im falschen Film, und im ersten Moment bin ich mir nicht sicher, ob ich mich freuen oder lieber davonlaufen soll.
Er zieht sich einen Barhocker heran, setzt sich elegant und lässig zwischen uns und winkt dem Barkeeper zu. Dabei durchbohrt er mich mit seinem Blick aus seinen tiefschwarzen Augen.
Warum komme ich mir vor wie ein Reh, dessen letzte Stunde geschlagen hat? Ich hätte nicht erwartet, dass er immer noch wütend auf mich ist, doch sein Verhalten lässt keinen anderen Schluss zu.
„Was darf es sein?“, unterbricht der Barkeeper seine Musterung, allerdings nur für einen winzigen Moment.
„Einen Springbank Whiskey auf Eis“, entgegnet er mit frostiger Stimme, schaut aber bereits wieder zu mir, als hätte er mich damit gemeint, und anschließend zu Ethan, ehe er seinen Blick an mir heruntergleiten lässt. „Wollte die junge Dame dir etwa auch zur Hand gehen?“
Tian
Noch immer hänge ich in dieser Telefonkonferenz fest, dabei wollte ich längst mit Ethan und einem kleinen Drink an der Hotelbar sitzen, um in Ruhe unser Vorgehen für morgen zu besprechen. Leider zieht sich dieses Gespräch so in die Länge, dass ich immer größere Schwierigkeiten habe, mich darauf zu konzentrieren. Meine Gedanken wandern ständig zu der Frau im Flugzeug. Große, blaue Augen, die wie Saphire glänzen, in denen ich mich gerne verlieren würde. Weiße, unglaublich weiche Haut. Immer wieder stelle ich mir vor, wie ich sie streichle. Ihre sinnlichen, vollen Lippen, die sich danach sehnen, von mir erobert zu werden, sie gehen mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Vermutlich einer der Gründe, weshalb ich mich so schlecht konzentrieren kann und sich das Meeting derart in die Länge zieht. Trotzdem kann ich nicht anders. Ihr Gesicht, umschmeichelt von schwarzen, langen Locken … Ich werde schon wieder hart, das geht bereits den ganzen Tag so. Ich sollte zusehen, dass dies hier endlich ein Ende findet und ich noch unter die kalte Dusche komme, bevor ich in die Bar gehe. Nicht, dass ich aus lauter Verzweiflung die Nacht mit irgendeiner Dahergelaufenen verbringe.
„Was sagen Sie zu diesem Vorgehen, Mister Bianchi?“, ertönt es aus dem Lautsprecher.
„Was?“ Ich räuspere mich. „Können Sie das bitte noch einmal wiederholen? Die Verbindung ist verdammt schlecht, Sie kommen hier ganz abgehackt an“, versuche ich, die Situation zu retten. Als Inhaber eines weltweit führenden Telekommunikationsunternehmens nicht gerade die beste Ausrede. Ich zwinge mich dazu, mich zu sammeln, damit mich meine Abgelenktheit nicht auch noch ein Vermögen kostet.
„Wir sollten die Firma in zwei Bereiche teilen und erst danach verkaufen. Der Markt ist zu voll mit solch kleinen Firmen. In ihrem gegenwärtigen Zustand wird sie uns keinen Gewinn einbringen.“
Das ist David MacCoy, Leiter der Abteilung Marketing und Research. Seine Einschätzungen haben mir bereits ein beachtliches Vermögen eingebracht und auch hier muss ich ihm recht geben.
„Ja, leiten Sie bitte alles Weitere ein. David, wir werden den Papierkram erledigen, sobald ich wieder in Boston bin.“ Damit beende ich das Gespräch und lege auf, endlich.
Der Blick auf die Uhr sagt mir, dass die kalte Dusche warten muss, wenn ich Ethan noch antreffen will. Also mache ich mich gleich auf den Weg zur Hotelbar. Kurz vor dem Fahrstuhl kommt mir eine große Blondine entgegen, ganz nach meinem Geschmack: groß, schlank und kleine, runde, pralle Brüste. Ihre Figur wird in ihrem roten, enganliegenden Kleid gekonnt in Szene gesetzt. Ein Blick in ihre Augen bestätigt mir, dass ich leichtes Spiel hätte.
Heute nicht, Süße, denke ich bedauernd, weil ich ohnehin schon viel zu spät dran bin, und drücke den Knopf für den Aufzug.
Mir ist es nie schwergefallen, Frauen ins Bett zu kriegen. Ich würde nicht sagen, dass es an meinem Aussehen liegt. Nein, da gibt es weiß Gott schönere Männer. Nicht, dass ich hässlich wäre, aber auch nicht gerade ein hervorstechender Adonis. Ich bin eher der Durchschnittstyp. Ein Meter sechsundachtzig, sportlich, dunkle Haare, schwarze Augen, die mir von meinen italienischen Vorfahren vererbt wurden.
Durchschnittlich.
Aber Geld macht attraktiv.
Das war eine Lektion, die ich sehr früh lernen musste, was auch der Grund ist, weshalb ich die Firma übernommen habe und nicht, wie es eigentlich hätte sein sollen, mein Vater. Seitdem halte ich mich von Beziehungen fern, die über das Körperliche hinausgehen. Ich brauche keine feste Bindung, aufgebaut auf Heucheleien und falschen Versprechungen.
Pah, von wegen langfristige Beziehung. Es sollte vorübergehende Fusionierung heißer Leidenschaft heißen.
Ich habe nicht immer so gedacht, auch ich habe mal an Liebe geglaubt, doch ich wurde eines Besseren belehrt. Und nicht eine einzige Ehe meiner Freunde ist glücklich oder hat gehalten und die anschließenden Scheidungen waren immer sehr kostspielig. Nein, danke! Da bleibe ich lieber bei meiner Devise, nur kurze, heiße Bekanntschaften zuzulassen.
Als sich die Türen der Fahrstuhlkabine öffnen, stelle ich erleichtert fest, dass sie leer ist, gehe hinein und wähle das Erdgeschoss. Vor meinem Auge taucht die Szene im Flugzeug auf und ich sehe Miss Ich habe Flugangst sofort vor mir. Ich hoffe, dass sie nicht so leicht zu haben ist, was eine unglaubwürdige Überraschung wäre. Etwas das mich mal zur Abwechslung staunen lassen würde. Sie hat mich an ein kleines Kätzchen erinnert, das gerne mal seine Krallen ausfährt, wenn es in die Ecke getrieben wird, und sich dabei immer wieder ermahnen muss, nicht zu kratzen.
Frechheit gepaart mit Verlegenheit und Verunsicherung.