Die ANKUNFT der Raumsiedler - Michael Wächter - E-Book

Die ANKUNFT der Raumsiedler E-Book

Michael Wächter

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Beschreibung

Die Puntirjaner kommen. In unser Sonnensystem, mit einer Flotte von Raumstationen und Roboterschiffen – und einem gefährlich mächtigen General an Bord. Sie suchen den Kontakt. Zu uns Menschen. Der General aber plant einen Angriff. Raumschiff-Kapitän Jens will Frieden, nicht Krieg. Wird er den General aufhalten und den Kontakt friedlich aufnehmen können? Folge 2: Die ANKUNFT Jenis und seine Raumsiedler-Crew sind unterwegs zum Blauen Planeten. Er ist bewohnt. Der General auf der mitfliegenden Raumstation will ihn erobern und beherrschen. Jenis und die Raumsiedler wollen mit den Bewohnern friedlich Kontakt aufnehmen und zusammenleben. Bei ihrer Ankunft entdecken sie, dass sich die Sariahner "Menschen" nennen. Sie betreiben Funkverkehr und Raumfahrt, und sie bedrohen sich gegenseitig mit der atomaren Vernichtung, sind im "Kalten Krieg". Dennoch beschließen die Raumsiedler von Puntirjan, ein Landeteam zu entsenden. Gerade in dem Moment, wo es Kontakt mit den Menschen auf ihrem Planeten aufnimmt, gerät es in eine tödliche Falle …

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Die ANKUNFT der Raumsiedler

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Titel Seite

DIE ANKUNFT

                                                                   der Raumsiedler

Titel

Die  ANKUNFT der Raumsiedler

                                             Michael Wächter

Die Raumsiedler von Puntrjan, Folge 2

Impressum

Texte: © Copyright by Michael WächterUmschlag: © Copyright by Michael WächterVerlag: Michael Wächter

             Borsigweg 21a48153 Mü[email protected]

Druck:epubli, ein Service der

neopubli GmbH, Berlin

Printed in Germany

Kapitel 1

Die Invasion begann lautlos. Zu Abertausenden drangen die fremden Raumsonden und Roboterschiffe mit ihren high-tec-Einheiten in den interplanetaren Raum des Sonnensystems ein. Eine hochentwickelte Zivilisation hatte sie in einem fernen Exoplanetensystem mit künstlicher Intelligenz ausgestattet und losgeschickt. Sie waren Vorboten. Ihre Programmierung gab ihnen vor, das Planetensystem zu erkunden und Versorgungsdepots, Kraftwerke und Raumstationen mit Wohnzylindern für die Raumsiedler aufzubauen. Sie hatten alle Bahndaten gesammelt, von Planeten und Kometen, Planetoiden und Planetesimalen und von Monden, die um diese Himmelskörper kreisten. Nun sandten sie Datensätze zurück an ihre Heimatwelt. Es sollte zwar noch fast zwölf Erdenjahre dauern, bis dass der Datensatz dort empfangen und ausgewertet werden konnte, um über den weiteren Weg der Sonden und Roboterschiffe im Sonnensystem zu entscheiden.

Aber die Raumsiedler hatten schon beschlossen, ihnen zu folgen. Schließlich hatten ihre Vorboten eine neue, bewohnte Welt entdeckt: Sariah, den blauen Planeten. Später erfuhren sie, dass sich seine Bewohner „Menschen“ nannten. Doch die Raumsiedler ahnten noch nichts von ihrer Existenz. Noch war für sie alles offen: Konnten sie Sariah in Besitz nehmen? Gab es dort schon eine Zivilisation? Mussten sie sie in diesem Fall vernichten, um den Planeten besiedeln zu können? Oder gab es eine Möglichkeit des Zusammenlebens und –wachsens?

Die Raumsiedler von Puntirjan hatten Zeit. Viel Zeit. Sie würden diese Frage erst entscheiden, nachdem sie das Sonnensystem erreicht hatten. Danach würden sie die Zivilisation der Sariahner erst einmal gründlich erforschen, gegebenenfalls sogar kontaktieren. Dann aber, und erst dann, sollte sich ihr Schicksal erfüllen.

Kapitel 2

Jenis blickte in den Spiegel. Seine Kopf-Federn waren grau geworden, sein Schnabel spröde. Das Nasenbein über dem Schnabel bekam Falten, und seine Bewegungen wurden langsamer. Er fand, dass seine Flügel zu schlaff herabhingen, wenn sie seine Arme bedeckten, und sein linkes Bein schien sich an der Prothese zu reiben, die sein rechtes Bein ersetzte.

Er sah alt aus. Jahrzehnte waren vergangen, seit sie ihr Heimatsystem verlassen hatten. Es war Annu 28 d’IPO, das achtundzwanzigste puntirjanische Jahr des Fluges ihrer Flotte durch den endlosen, toten Raum. Das größte Projekt in der Geschichte ihrer Zivilisation. Oft hatte ein Scheitern gedroht, doch sie waren noch immer unterwegs. Drei der anfänglich sieben Raumstationen waren noch bewohnbar.

Jenis erblickte hinter dem Spiegel ein altes Kärtchen. Er zog es hervor und betrachtete es neugierig.

„Das steckt aber schon lange hier“, dachte er. Beiläufig las er den Text. Es war eine Funkbotschaft, die er sich damals ausgedruckt hatte.

Sehr geehrter Kommandantenkollege! Ich beglückwünsche Sie ausdrücklich und im Namen der Altakolia VII zur Beseitigung des feigen Attentäters Ssefaru Xing, stand da, Unterschrift: General Fazzuwär.

Erinnerungen kamen auf. Die Glückwunsch-Funkbotschaft – ob sie ehrlich gemeint war? Auch die Crew der Altakolia I unter Kapitän Jenis hatte den Tod Ssefaru Xings mit Beruhigung zur Kenntnis genommen. Sie hatte einige Überlebende seines Terror-Anschlags auf die Altakolia IV geborgen und in die Crews der Altakolia I, VI und VII integriert. Die Flüchtlinge hatten Xings Anschlag zufällig überlebt, weil sie dabei in größerer Entfernung auf Außeneinsätzen waren. Und sie waren in Raumanzügen, bevor der Terroranschlag alle elektrischen Anlagen mit einem nuklearen elektromagnetischen Impuls (EMP) zerstört hatte. Die Überlebenden hatten den Bergungsteams monatelang geholfen, alles noch brauchbare Gerät aus den zerstörten Raumstationen zu bergen, auch viele Habseligkeiten der Crew und Rohstoffe – Treibstoffreste, Sauerstoff- und Trinkwasser-Reste. Dann hatte die Kälte des Raumes die dunklen Stationsreste ergriffen. Kondenswasserreste erstarrten zu steinhartem Eis. Es glitzerte im Licht mitgebrachter Akku-Leuchten, und selbst Reste von Atemluft kondensierten in den Wohnzylindern sofort zu tiefkaltem Nebeln, die sich verflüssigen wollten.

Auch auf der Altakolia I hatte der Anschlag viele Solarzellen und Sonnensegel zerstört. Die Verbindungstunnel, Reaktoren und Wohnzylinder mit ihren Ökosystemen hatten den EMP zwar überstanden, aber die Raumsiedler hatten viele Annus lang kämpfen und Schäden reparieren müssen, die die Explosionstrümmer verursacht hatten. Hunderte von Quadratkilometern an Solarfolie und –paneelen waren zu kontrollieren gewesen, etliche Quadratkilometer zu reparieren. Die Mechatroniker-Teams hatten auf Hochtouren gearbeitet, um jede erdenkliche Ersatzkraft verstärkt. Sie hatten die Energie-Zusatzversorgung über die Solarzellen nicht mehr vollständig wiederherstellen können. Sie hatten vorher zwar noch ganz schwache Reste von Versorgungsstrahlen aus der Heimat empfangen können, doch es war ohnehin klar, dass diese Energiequelle bald versiegen würde. Schließlich hatten sie auf ihrer interstellaren Reise inzwischen über die Hälfte der Strecke zum Altakol-System zurückgelegt. Auf der anderen Seite hatten sie nun aber auch zusätzliche Rohstoffe in Reserve – geborgen von den unbewohnbar gewordenen Schwesterschiffen. Und die Rümpfe der toten Raumstationen, die neben ihnen herflogen. Einige Mechatronik-Roboter hatten sie inzwischen umgebaut. Es hatte sogar Versuche gegeben, einen der Wohnzylinder wieder mit einem Lebenserhaltungssystem auszustatten, doch es fehlte an Elektronik-Bauteilen. Zu viele davon hatte der Terroranschlag vernichtet.

Trotzdem: Jenis konnte sich im Spiegel anschauen, dankbar und stolz. Sie hatten überlebt. Gleich zu Expeditionsbeginn hatten sie die Altakolia II verloren. Ihre Ökosysteme waren kollabiert. Auch ihr Rumpf befand sich noch im Geschwader. Die durch den Anschlag unbrauchbar gewordenen, ausgeräumten Reste der Raumstationen III bis V waren noch im Gefolge. Und sie hatten noch immer drei bewohnbare Altakolia-Stationen zur Verfügung: Die I, die VI und die VII. Sie würden überleben und ihr Ziel erreichen.

Jenis wischte die Erinnerungen fort. Heute war ein guter Tag. Eine Feier stand an. Er hatte eine Feiertags-Einladung auf die Altakolia VI. Das erste Tringo-Erntedankfest. Nach irre langem Wachstum und hingebungsvoller Pflege hatte der Tringo-Baum im Wohnzylinder der Altakolia VI erste Früchte hervorgebracht. Von nun an würde es Annu für Annu eine immer reichere Ernte an Früchten geben, und das war wahrlich ein Grund zum Feiern!

Das Armband-smartphone auf der Spiegelkonsole ertönte. Jenis fluchte. Ein Eilsignal. Gerade jetzt, wo er seine Feder- und Schnabelpflege vornehmen wollte, erreichte ihn so eine lästige Eilnachricht. Er öffnete sie und las.

Bitte, mich auf der Altakolia VI zu entschuldigen. Arbeite an neuen Strategien zur Wahrung der Sicherheit der Raumflotte. General Fazzuwär.

Der General. Er kommandierte die militärische Raumstation der Altakolia-Flotte. Er war Sarkarier, und Jenis mochte ihn nicht. Damals auf Puntirjan hatte Fazzuwär im Krieg als junger Leibgardist auf Seiten der Sarkarier gekämpft. Nach dem Sturz seines Kaisers hatte er den Siegern plötzlich erklärt, er habe eigentlich schon immer eine demokratische Gesinnung vertreten. Er sei nur Mitläufer gewesen. Das Gericht sprach ihn frei. Er wurde Kommandant einer Militärstation. Schließlich wurde er von der I.P.O., der interplanetarischen Organisation der Puntirjaner, im Rahmen des Friedensabkommens als Expeditionsteilnehmer anerkannt – dem IPO-Megaprojekt der ersten interstellaren Reise von Raumsiedler-Kolonien. Jenis musste das akzeptieren. Aber er traute ihm nicht.

„Auch gut“, murmelte Jenis, „soll er doch.“ Doch als er wieder in den Spiegel sah und seinen Schnabel öffnete, um ihn zu reinigen, hielt er vor Schreck den Atem an. Schnabelfäule! Er starrte auf den pelzigen, weißgelben Belag, der sein Schnabelinneres befallen hatte. Daher das Kribbeln. Er war dabei, eine deftige Schnabel- und Halsinfektion auszubrüten. Für die langlebigen Vogelmenschen von Puntirjan war das ein ernstes Warnsignal. Über IPO-Interfunk rief er Dr. Keush an und ließ sich einen Arzttermin geben. Jetzt konnte er also nur noch eine weitere Absage hinterherschicken und den Schiffsarzt aufsuchen. Sein Raumflug hinüber zur Altakolia VI war beendet, noch bevor er begonnen hatte. Er war sauer. Er hatte nicht einmal mehr Lust, seinen Stellvertreter zur Altakolia VI zu entsenden. Verdammte Schnabelinfektion! Missmutig begab er sich in die Krankenstation.

An Bord der Altakolia VI lief Festmusik im Hintergrund, als die Crew und ihre Gäste zusammenkamen. Eine volle Festbeleuchtung verzauberte den gesamten Wohnzylinder. Die Schiffskommandanten und weitere, höhere Repräsentanten der Altakolia VI und VII waren voller Freude zusammengekommen, um das erste Tringo-Erntedankfest zu feiern. Kapitän Jenis von der Altakolia I war erkrankt, hörte man, und die Station befand sich momentan in zu großem Abstand von den Schwesterschiffen, um kurzfristig eine Ersatz-Delegation zu entsenden. Auch General Fazzuwär vom Militärschiff Altakolia VII ließ sich entschuldigen – er arbeite an neuen, dringenden Strategien zur Wahrung der Sicherheit der Raumflotte. Die Feierstimmung jedoch trübte das nicht.

Die gesamte Crew der Altakolia VI war auf dem Agrarfeld des Wohnzylinders angetreten. Kapitän Barloff flog zum Rednerpult. Die Festmusik verstummte und es wurde leise.

„Werte Offiziere, geehrte Mannschaftsmitglieder, sehr geehrte Gäste von der Altakolia VII: Der Kommandant der Altakolia VI!“, kündigte ihn sein Schiffsstabschef an.

„Sehr verehrte Anwesende!“, eröffnete Kapitän Barloff die Festrede. „Wir haben uns hier versammelt, um einen großen Erfolg zu feiern und die Züchterin zu ehren! Wir begrüßen die Züchterin der ersten an Bord geernteten Tringo-Frucht unserer Altakolia-Mission, Leutnant Leydi Lilli!“

Die Anwesenden jubelten, erhoben sich und klatschten. Viele zwitscherten und flatterten freudig auf. Ihre Begeisterung war echt. Dann wurde es wieder ruhiger. Leutnant Leydi Lilli flog auf das Podium neben den Kapitän, eine Tringo-Frucht auf einem silberglänzenden Tablett präsentierend. Die Tringo war in den alten puntirjanischen Ökosystemen ebenso wie in den Ökosystemen der Cosmocity-Wohnzylinder von zentraler Bedeutung: Genau wie die großen Ravrokyl-Pflanzen spendete sie nicht nur Sauerstoff, sie lieferte auch noch Bauholz (wenn sie alt genug war) und Nahrung. Tringo-Früchte gehörten neben Ravrokylkörnen und Flugechsenkeulen zu den wichtigsten, naturnahen Nahrungsmitteln der Crew. Als der Jubel und der Beifall endlich verstummten, lobte Kapitän Barloff den Erfolg seiner Schiffsbiologin. Ihr war schon kurz nach dem Expeditionsstart ein erster Saaterfolg geglückt: Aus den Tringo-Kernen wuchsen Sämlinge. Viele Annus lang hatte sie die Sämlinge auf der Altakolia VI gehegt und gepflegt, gedüngt und begossen, belichtet und belüftet. Dann endlich war der Puntirjanday gekommen, da sie erstmals die ersten Früchte von dem mannshohen, jungen Bäumchen ernten wollten.

„Dieses Erntedankfest wollen wir heute feiern!“, schloss der Kapitän, „wir eröffnen die Zeremonie!“

Die Früchte wurden in kleinste Portionen zerteilt, und jedes Crewmitglied bekam ein Tringo-Stück Marke Eigenanbau-Altakolia-VI.

„Ein Lob dem Schöpfer, eine Ehrung der Züchterin!“, sprach der Kapitän, hob das erste Stück Fruchtfleisch in die Höhe und führte es zum Schnabel. Die Anwesenden taten es ihm gleich. Gerade als sie die Stücke ehrfürchtig verkosten wollten, erschütterte ein lauter Knall den Wohnzylinder. Eine Art Lichtblitz folgte. Dutzende Anwesende begannen zu kreischen und zu flattern – andere waren zu Boden gefallen durch die Erschütterung. Nebel kondensierte. Atemluft aus dem Wohnzylinder entwich in den leeren Raum.

„Verdammt!“, schrie einer der Offiziere in das Chaos, „Ein Impakt!“

„Hilfe! Wir dekomprimieren!“, kreischte eine Kadettin.

„Atemmasken!“, schrie ein Anderer, „Masken anlegen! Raumanzüge!“

Von da an ging alles rasend schnell: Alarmsirenen ertönten, alle Crewmitglieder hasteten zu den Atemgeräte- und Raumanzug-Depots. Das Bereitschafts-Notfallteam jagte im Shuttle um den Zylinder, um das Leck zu suchen und schnellstmöglich abzudichten. Es waren zwei Lecks. Ein Meteorit hatte den Wohnzylinder durchschlagen – wohl ein Brocken aus der vor ihnen liegenden Kometenwolke. Er hatte die zentrale Versorgungsachse erwischt. Die Stromzufuhr zu den Xenonleuchten war unterbrochen, es wurde dunkel. Die Beregnungsanlage war getroffen, die Leitungen entleerten sich. Die aufgescheuchten Crewmitglieder, die Raumanzüge oder Atemmasken hatten greifen können, flatterten im Dunkel aufgeregt umher, und sie wurden nass. Der Unterdruck ließ das Wasser verdampfen und es wurde kalt. Der Sog wurde immer heftiger. Das Notfallteam hatte nur eines der Löcher rechtzeitig schließen können. Als das Reparaturshuttle am anderen Ende ankam, ein Zweites war nicht rechtzeitig startklar gewesen, schoss mittlerweile eine richtige Fontäne aus dem Inneren des rotierenden Zylinders. Die Luftfeuchtigkeit kondensierte beim Austreten blitzartig zu Schnee, dessen Flocken ins All abtrieben. Sie bildeten Spiralen um den leckgeschlagenen Wohnzylinder, der zur Erzeugung künstlicher Schwerkraft noch immer rotierte. Der Druck der Gasfontäne stieß das Abdeckmaterial, das die Notteams des Feuerwehrshuttles außen befestigen wollten, jedoch jedes Mal gleich wieder fort. Die Zentrifugalkraft tat ein Übriges hinzu. Also mussten sie ins Innere des Wohnzylinders dringen. Dieser aber war schon fast evakuiert. Als sie dort Titan- und Graphen-Platten anbringen wollten, kamen sie in ihren Raumanzügen kaum voran. Ein Bagger musste Ackerboden-Substrat um die Einschlagstellen wegräumen, damit sie an die Wandteile kamen, wo sich die Platten befestigen ließen. Der Sekundenkleber aus den Stahlspritzflaschen hielt aber nicht schnell genug. Die Platten drohten, sich seitlich zu verschieben. Als sie dann endlich hielten, war es zu spät. Der Wohnzylinder frei von Wasser und Atemluft. Die Crew hatte sich in Notkabinen gerettet – die Bepflanzung jedoch und die tierischen Mitbewohner konnten das nicht. Der Meteoritentreffer hatte das Ökosystem der Altakolia VI vernichtet. Wieder war ein Wohnzylinder unbewohnbar geworden. Wieder musste eine Station evakuiert werden. Und wieder galt es, Überlebende auf der Altakolia I unterzubringen.

Kapitän Jenis trug plötzlich die ganze Verantwortung. Kapitän General Fazzuwär ließ sich von der Altakolia VII aus entschuldigen. Ein weiterer, angeblicher Notfall. Eine sofortige Neuprogrammierung der vorausgesandten Raumsonden sei nötig. Jenis begann, ihn zu verfluchen. Sicherlich hätte er noch weit mehr getan als nur das, wenn er gewusst hätte, was der General in diesem Moment tat. Er hatte sich wieder seinen heimlichen Plänen zugewandt – der Inbesitznahme des Zielplaneten ihrer Mission für das Militär. Sariah war bewohnbar. Theoretisch könnte es dort schließlich sogar intelligentes Leben geben, eine Zivilisation. Für diesen Fall, dachte Fazzuwär, ist deren Vernichtung erforderlich. Auf Puntirjan hatte man darüber nachgedacht, ob spätere Raumsiedler gegenüber etwaigen Bewohnern des Altakolsystems friedlich auftreten sollten. Oder sollten sie den Zielplaneten „Sariah“ lieber gleich gewaltsam besetzen? Letzteres wurde damals von sarkarischen Militärs befürwortet. Sie schlugen vor, eine eventuelle technisierte Zivilisation dort präventiv anzugreifen. Zum Beispiel Interfunk in deren Cyberspace. Über nukleare elektromagnetische Impulse, die Xing eingesetzt hatte. Oder über gentechnisch manipulierte Mikroben, die ihr Ökosystem infizieren und destabilisieren. Die IPO-Gremien daheim verhandelten noch immer. Symbiose oder Okkupation, das war die Frage. Für Fazzuwär jedoch war sie schon entschieden. Jenis aber ahnte nichts davon.

Kapitel 3

Die alte IPO-Raumsonde „Intersystemar 1“ war als Erste in das Planetensystem des Fixsternes Altakol eingedrungen. Sie kam an der Spitze eines ganzen Schwarmes von Raumsonden, aus der fremden Welt Puntirjan. Seit ihrem Start war sie auf das Altakolsystem zugerast, jahrzehntelang und mit fast unvorstellbarer Geschwindigkeit. Hier hatten ihre Absender ihr Ziel entdeckt: Sariah, den blauen Exoplaneten. Die interstellaren Robotersonden dorthin waren jahrzehntelang beschleunigt worden, zuerst chemisch und mit Sonnensegeln, dann mit einem Xenon-Ionentriebwerk, nuklear und am Ende mit Hilfe von Antimaterie. Dann waren sie jahrzehntelang abgebremst worden, wiederum mit all diesen Arten von Antriebskräften.

Zunächst gab es hin und wieder einige Kometenkerne oder Gesteinsbrocken, die in den kalten, dunklen Weiten des Weltalls vorbeizogen, zusammen mit etwas interstellarem Staub. Die Brocken zogen beim Abbremsvorgang der Sonden noch immer mit einigen Promille der Lichtgeschwindigkeit vorüber. Die Sondenformation begann abzubremsen. Sie hatte eine Wolke aus einigen Hundert Milliarden Gesteins-, Staub und Eiskörpern erreicht. Sie gehörte bereits zum System des noch fast ein Lichtjahr entfernten gelben Zwergsterns Altakol.

Plötzlich geschah es, dass dort zufällig zwei dieser tiefgekühlten Brocken frontal kollidierten. Sie prallten nicht nur voneinander ab, sie zerbrachen in viele, kleine Fragmente. Ein winziges Teilchen dieser Eisfragmente geriet in den Weg der fremden Sonde. Es berührte sie leicht. Die Sonde streifte es kurz, ohne dass ihre Bahn groß verändert wurde, aber ein äußeres Blech der Sonde bekam einen Kratzer. Dadurch gab es mechanische Spannungen in der Außenhaut der Sonde. Ein Stück Außenhaut sprang ab. In Folge dessen lockerten sich einige der Befestigungsschrauben, gefertigt aus einer permanent magnetisierten, außerirdischen Neodym-Legierung. Langsam lösten sie sich vom Blech, zusammen mit Dschersis Modul, der kleinen Kommunikationsbox an der Intersystemar 1. Das Modul driftete langsam ab, zusammen mit einer der Schrauben. Sie wurden von einem der vorbeischießenden Eisfragmente aufgenommen und verschwanden mit ihm in den Tiefen des Raumes. Das Eisfragment wurde von weiteren Bruchstücken getroffen. Sie lenkten es ab. Und so geriet es auf eine Bahn, die es langsam aber sicher in die Nähe des Fixsternes Altakol führte, in das Zentrum der Kometenwolke.

Es piepte. Kapitän General Fazzuwär sah auf sein Display. Eine die Mitteilung von der Astronavigation. Die der Altakolia-Flotte vorausgesandten „Intersystemar“- und „Altakol-Späher“-Raumsonden hatten das Planetensystem von Altakol erreicht. Neue Holo-Aufnahmen des inneren Planetensystems trafen ein. Die vier Gesteinsplaneten waren deutlich erkennbar: außen ein roter Planet, dann Sariah, der blaue Planet, danach ein grell-weißer und ganz innen ein schneller, kleiner Planet. Weiter außen die vier Gasriesen. Und zwischen ihnen und dem roten Planeten lag einen Trümmergürtel, ideal zum Aufsammeln von Rohstoffen für die automatische Konstruktion der Versorgungsstationen.

Auch Kapitän Jenis auf der Altakolia I erhielt die Daten. Er hatte gerade ein paar Ravrokylkörner aufgepickt, zusätzlich zu Dr. Keushs Antibiotikum gegen die Schnabelfäule, als Tüngör ihm die Dateien übermittelte. Tüngör war der Offizier der Raumsonden-Steuerzentrale, und er sandte eine weitere Kopie der Datensätze zu den Relaistationen im interstellaren Raum, zur Weiterleitung in die nun viele Lichtjahre ferne Heimatwelt.

„Perfekte Arbeit!“, lobte Jenis. Dankbar sah er Tüngör an. Sie verband eine so lange Geschichte. Bevor Tüngör damals zum Expeditionsteam kam, war er Geheimagent der I.P.O., der Interplanetarischen Organisation. Im Krieg gegen die Sarkarier hatte er seine Schwester verloren, bei einem Bombenangriff der Sarkarier. Auch sein großer Bruder, der Abenteurer Gugay, war in den immer weiter ausufernden Konflikt mit dem sarkarischen Gouverneur Aru geraten. Nach dem Sieg der IPO hatten sie sich in Jenis‘ Augen für die Teilnahme am Projekt Altakolia qualifiziert. Jenis war damals sein Kollege. Schließlich ist er auch der beste Freund von Tüngör geworden. Jenis war wie Tüngör überzeugter Demokrat, und er war ein liebevoller Familienvater. Im Einsatz für die IPO war er über sich hinausgewachsen, hatte anderen Mut gemacht und Führungsqualitäten entwickelt – aber auch eine Abneigung gegen seinen damaligen Widersacher, den sarkarischen Kapitänskollegen General Fazzuwär. Dank seiner Spezialausbildung zum Agenten des IPO-Geheimdienstes behielt er trotz allem ruhiges Blut – auch dann noch, als es zu einer sarkarischen Cyberattacke auf eine IPO-Raumstation kam. Seine damalige, mutige Besonnenheit, sie wurde zum Motto seiner Crew: „Hier gibt es kein draußen, nur die Leere des Alls. Wir räumen daher jetzt erst einmal die eigene Station auf – und dann auch noch Puntirjan!“ Dann, nach dem Sturz des Kaisers von Sarkar, war ihr Aufatmen groß: Nie wieder Krieg, die IPO-Demokratie hatte gesiegt. Doch der Untergrund-Terror der radikalen Sarkarier blieb. Kurz vor dem Start der Flotte verlor der junge Jenis bei einem ihrer Attentate ein Bein. Er überlebte und konnte mit Tüngör am großen, interstellaren Projekt „Altakolia“ teilnehmen. Nach einem Giftmord an seinem Schiffskommandanten auf der Altakolia I. wurde er sogar dessen Nachfolger. Er ermittelte den Mörder. Es war Ssefaru Xing, der Attentäter, dem trotz aller Bemühungen noch dieser schreckliche Terroranschlag auf die Flotte gelungen war. So viele Leben hatte er gekostet, so viele Raumstationen! Trotzdem: Jenis hatte die Mission retten können. Und jetzt waren sie im Anflug auf Altakol.

Tüngör zeigte Jenis ein neues Bild. „Schau, Sariah! Dort, bei Altakol!“

Jenis fühlte Glück und Stolz warm wie einen Blutstoß durch seinen Körper strömen. „Altakol!“, flüsterte er. Seit puntirjanischen Urzeiten war er das Ziel aller Träume. Die puntirjanische Religion war zudem extrem wissenschaftsfreundlich. Die Kleripapyri von Monastair, ihre heilige Schrift, sagte es voraus: „Die Natur offenbart die Größe ihres Schöpfers. Darum: erforsche sie. Untersuche ihre Phänomene. und du wirst nicht mehr allein sein!“. Schon in der Antike der uralten, puntirjanischen Zivilisation hatten die Vogelmenschen naturwissenschaftliche Arbeitsweisen entwickelt, industrielle Strukturen, der Interfunk und die Raumfahrt-Technologien und Mond-Kolonien der Orbital-Pioniere und Raumsiedler. Einer ihrer antiken Wissenschaftsingenieure hatte in der instrumentell-analytischen Astronomie sogar das Verfahren der Spektralpolarimetrie entdeckt, mit dem man im Lichtspektrum fremder Planeten Anzeichen von Photosynthese nachweisen konnte – und somit Biosignaturen für das Vorhandensein von Leben. Beim Altakol hatte man einen Gesteinsplaneten entdeckt, einen Exoplaneten in der Lebenszone. Sariah. Hier gab es flüssiges Wasser, Photosynthese und auch Sauerstoff. Sariah wurde das Zentrum aller religiösen und auch populärwissenschaftlichen Mythen, bei allen Völkern Puntirjans. Ganze Nationen und Generationen arbeiteten daran, den interstellaren Raumflug einer Sonde zu planen und zu ermöglichen. Und dann den ersten Flug bemannter Raumkolonien dorthin – die große Expedition der Altakolia-Flotte.

Das Eisfragment mit dem Modul der fernen, puntirjanischen Sonde und der Schraube driftete an den Rand der Kometenwolke. Hier traf er auf einen umgelenkten Kometenkern. Dieser nahm ihn in sich auf und setzte seine Reise in das Innere des Sonnensystems fort.

Die Raumsonde selbst leitete ein weiteres, automatisches, nukleares Abbrems-Manöver ein. So gelangte auch sie in eine Umlaufbahn um das gelbe Zentralgestirn, dessen System sie erforschen sollte. Weitere Schwärme puntirjanischer „Intersystemar“- und „Altakol-Späher“-Raumsonden folgten. Noch im Anflug nahmen sie detailliertere Holo-Bilder und -Spektren der noch fernen Planeten auf, auf die sie zurasten. Sie wurden gespeichert, gebündelt, verstärkt und der Altakolia-Flotte zugesendet. Auch die Roboterschiffe und ihre Mikro-Raumsonden hatten Positions- und Vollzugsmeldungen an die Altakolia-Flotte gefunkt. Ihr automatisches Abbremsmanöver hatte einige Monate gedauert. Dann waren auch ihre Ionentriebwerke ausgebrannt. Sie hatten den Ringplaneten registriert und dort planmäßig ein Swingby-Manöver vollführt. Sie gerieten in den Planetoidengürtel. Hier befanden sie sich in einer stabilen, elliptischen Umlaufbahn. Ihre Funktionsfähigkeit war nicht beeinträchtigt. Der Verlust des Kommunikationsmoduls „Dschersi“ und einiger Neodymschrauben in der Kometenwolke hatte bei „Intersystemar 1“ damals keinen weiteren Schaden verursacht. Ohne dass sich jemand Sorgen machen musste, konnten die Sonden in Ruhe einige Jahre Solarenergie tanken und abwarten, bis dass neue Funkbefehle der Raumsiedler aus Puntirjan bei ihnen eintrafen. In dieser Zeit verfolgten sie ihre Forschungs- und Konstruktionsprogramme. Nach und nach gesellte sich der ganze Schwarm von Begleitsonden und puntirjanischen Roboterschiffen zu ihr. Vollautomatische Sammelsonden schwärmten zur Rohstoffsuche im Planetoidengürtel aus. Die Roboterschiffe konstruierten daraus die Bauteile und –module, aus denen weitere Roboterschiffe und Raumkolonien gefertigt wurden, Versorgungsdepots für die demnächst eintreffenden Raumsiedler aus Puntirjan.

Auch die Schwestersonden vom Typ „Altakol-Späher“ erreichten stabile Umlaufbahnen, viel näher bei Altakol. Spähersonde 34 näherte sich dem blauen Planeten. Ein Funkbefehl weckte sie aus ihrem Energiesparmodus. Er aktivierte die Energiespeicher hinter den Radionuklid-Batterien. Sie gaben ihre elektrische Energie an viele, technisch hoch komplizierte Messgeräte, die das Ziel weiter analysieren sollten. Die Sonde fuhr die Solarpaneele aus, das Spektralpolarimeter sowie die Mikroteleskope und –spektroskope. Sie sammelte genauste Daten des blauen Planeten, in fast allen Bereichen des elektromagnetischen Spektrums. Sie registrierte und analysierte die auf Sariah vielfältigen Biosignaturen. Alles funktionierte reibungslos und plangemäß.

Anschließend setzte die Raumsonde ein Landegerät ab. Vollautomatisch drang es in die Atmosphäre des blauen Planeten ein und suchte auf der Nordhalbkugel einen geeigneten Landeplatz. Es fand ihn am Strand eines Wattenmeeres. Es bremste ab, düsengefeuert und mit Landefallschirm. Ein sanfter Windstoß ließ das Landegerät etwas abtreiben, aber es korrigierte den Kurs, so gut es noch ging. Dann setzte es sanft auf, bei Ebbe im weichen Schlick.

Tüngör schreckte auf. Der Pieper an seinem Armband-smartphone meldete sich. Er blickte auf das Display. Es war die Raumsonden-Steuerzentrale. „Lander des Altakol-Spähers 34 erfolgreich gelandet!“, stand da. Die erste weiche Landung auf Sariah war geglückt.

„Schau!“, zwitscherte Tüngör stolz und flatterte mit den Flügeln. Jenis beugte sich zu ihm herüber, sah auf das Display. „Gratuliere!“, flötete er zurück. „Das werden wir feiern! Dafür spendiere ich dir eine Portion Ravrokylkörner, einen Krug feinsten Krøgs und ein Flugechsen-Steak!“

Schiffsjunge Ernst Köller sah über die Nordsee. Er dachte an seine Familie zuhause, seine Mutter, seinen Vater Otto, Schwesterchen Charlotte …

„Nimm schon!“, ermunterte ihn der Offizier neben ihm an der Reling. „Du darfst!“

Schüchtern sah der Junge ihn an und bedankte sich. Die SMS Vineta hatte Gefechtspause, und der 2. Offizier hatte dem jungen Ernst Otto Wilhelm Friedrich Köller ein Fernglas geborgt. Der junge Mann war glücklich, einmal hindurchsehen zu dürfen. Es war Flaute, die See lag ruhig. Eine kleine, sanfte Brise zog vorüber, und Otto Köller blickte zur Küste hinüber. Die Mannschaft der SMS Vineta genoss die kurze Pause. Ihr Schiff der kaiserlichen Marine war das vierte Schiff der Victoria-Louise-Klasse, einer Klasse von fünf Panzerdeckskreuzern II. Klasse. Anfang 1906 in Kiel als Torpedoversuchsschiff hergerichtet war es dem Torpedo-Versuchskommando zugeteilt worden.

Im Frühjahr 1907 hatte sie an funktelegraphischen Versuchen teilgenommen und war als Schulschiff für Seekadetten und Schiffsjungen ins Auge gefasst worden. Die zwölf Dürr-Kessel sollten in zwei Jahren noch gegen acht Marinekessel ersetzt werden, um den Wegfall eines Schornsteins zu ermöglichen. Und es sollte eine neue Bewaffnung bekommen. Ihr Knallfunkensender sollte dazu sogar noch gegen einen neuartigen Löschfunkensender ausgetauscht werden, der gedämpfte, hochfrequente Schwingungen nutzte. Er taktete sie mit der Morsetaste nach dem Morsecode, speiste sie in eine Antenne ein und strahlte sie als Funkwellen ab. Diese Sendetechnik war die neuste Errungenschaft (Seit Juni 1906 gab es in Norddeich eine Küstenstation für den öffentlichen Verkehr. Ihr Rufzeichen KND wurde allgemein bekannt und geschätzt). Doch es war Herbst 1907, und die Vineta hatte beim Herbstmanöver der Hochseeflotte als Aufklärer zu dienen. Es nicht so weit.

Ernst Köller war stolz, auf ein solches Schiff zu dürfen. Marine-Oberzahlmeister Wagner hatte ihm dazu verholfen, und Wagner war es auch, der ihn dem 2. Offizier anvertraut hatte (Wagner war ohnehin ein Improvisationstalent: seine damals provisorisch hergestellten 3-Pfennigs-Briefmarken wurden von der Reichspost anerkannt und später unter Sammlern berühmt – bei einer Auktion in Zürich 2002 kamen sie auf über 5000 Schweizer Franken).

Als der aufgezogene Sturm wieder abgezogen war blickte Ernst von der Vineta aus Richtung Küste. Irgendwie war ihm, als hätte er im Fernglas etwas Schwarzes herabschweben gesehen, viereckig und mit vier Beinen. Es konnte kein Vogel sein, es war wesentlich größer. Es schien an einem Tuch zu hängen, oder einem Fallschirm.

„Ob ein Zeppelin einen Tauchkörper für Torpedo-Versuche abgeworfen hat?“, fragte er sich. Er blickte hoch. Er suchte den Himmel ab, sah aber nichts. Und es gab auch keinen Zeppelin. Zwischen den vier Beinen des seltsamen Teils erschien ein blaues Leuchten, flackernd wie eine Flamme. Ernst Köller kannte so etwas nicht. Er war unsicher und rieb sich die Augen. Dann reinigte er sein Fernglas und die seltsame Erscheinung war weg.

Der Offizier, der ihm das Fernglas geliehen hatte, beobachtete ihn. Er sah ihn in den Himmel stieren.

„Na, Hans-Guck-in-die-Luft? Was machst du da?“

Ernst zuckte zusammen. Er gab er ihm schüchtern das Fernglas zurück, schwieg über den Vorfall und maß ihm auch keine weitere Bedeutung mehr bei. Die SMS Vineta beendete ihre Pause, das Manöver ging weiter.

Zwei Kilometer weiter, im Schlick, stand das fremde Objekt, das der Schiffsjunge gesehen hatte. Das Landegerät des Altakol-Spähers 34 fuhr seine Antenne aus, um den Vollzug der Landung zu melden. Daraufhin empfing es Funksignale. Sie kamen vom Altakol-Späher im Orbit des Planeten. Aber sie wurden gestört. Auch am Landeplatz auf der Erde gab es Radiowellen – elektromagnetische Wellen im Radiofrequenzbereich. Und die künstliche Intelligenz des Altakol-Spähers erkannte, dass sie künstlichen Ursprungs waren. Die Sonde speicherte es ab und gab es mit den Radiosignalen weiter an die Raumsiedler ins All. Die Daten erreichten die Altakolia-Flotte und gingen weiter zurück an das Lichtjahre entfernte Heimatsystem. Die Sensation würde in ein paar Jahren die alte Debatte dort anheizen, wie die fremde, bewohnte Welt um Altakol besiedelt werden könnte – in partnerschaftlich-demokratischer Vereinigung mit den Einwohnern, wie es die I.P.O. propagierte, oder durch Akte imperialer Okkupation und Assimilation, wie es einst der Kaiser von Sarkar im Sinn hatte.

So oder so, die erste außerirdische Raumsonden jedenfalls waren auf der Erde gelandet und hatte erstmals Funksignale ihrer Bewohner empfangen.

Die beiden Kommandanten der Reise-Welten und ihre Raummechatroniker-Teams hatten viel zu tun. Die Vorbereitungen für die letzte Abbremsphase standen an, die Vorbereitungen zum sanften Zünden weiterer Ionentriebwerke zwecks Abbremsung. Die Schub- und Energieversorgung durch die Laser- und Mikrowellen-Übertragungsstationen von Puntirjan aus war versiegt. Die Lichtkollektoren und Laserstationen im Orbit des zweiten Planeten Altakols hatten eingesetzt, das aufgefangene Licht des Fixsternes zu bündeln und der Altakolia-Flotte entgegenzuschicken. Die ISR-II-Einheiten, die Roboterschiffen und KI-bestückten Mikro-Raumsondenschwärme, die der Altakolia-Flotte vorausgejagt waren, hatten sie zur Energieübertragung installiert, und der ständige Lichtdruck bewirkte ein stetiges Abbremsen der Flotte.

Auch auf Tüngörs Empfangsstation war alles vorzubereiten, um die weiteren, lebenswichtigen Signale der Vorboten im Zielsystem erfassen zu können. Jenis besuchte Tüngör täglich. Er bekam mit, dass Tüngör und seine Leute bei aller Geschäftigkeit ungeduldig waren. Sie träumten von der Landung auf Sariah, vom Leben auf einem Planeten. Sie waren das Leben im Wohnzylinder leid. Sicher, die Cosmocity-Wohnzylinder waren ganze Reise-Welten, kilometergroß wie Städte mitsamt ihrer Vororte. Sie rotierten und hatten künstliche Schwerkraft. Sie hatten Luft, künstlichen Regen, ganze Raumsiedler-Ökosysteme voller Tiere, Pflanzen und Agrareinheiten. Aber sie waren isolierte, begrenzte Lebensräume, umgeben von der toten Leere des Alls. Das Team wollte endlich und möglichst bald neue Lebensräume besiedeln können. Lebensräume von planetarer Größe.

Jenis und Tüngör setzten ein Mannschaftstreffen an. Es wurde diskutiert.

Gras wächst nicht schneller wenn man daran zieht, dachte Jenis. Er wies die Crew auf die Schönheit des Wohnens in den gigantischen Wohnzylindern hin. „Es geht nicht schneller. Außerdem hatten wir auf dem Flug schon über 12% der Lichtgeschwindigkeit erreicht – noch niemals hatten Puntirjaner das geschafft!“, warf er ein, als er ein Maulen hörte. Doch die Ungeduld blieb.

„Wir wollen endlich ans Ziel“, drängte ein Mannschaftssprecher.

Da flüsterte Jenis Tüngör etwas zu.

Tüngör war begeistert. Er antwortete wie ein Raummechatroniker: „Stimmt: Nur wer selber brennt, kann andere anfeuern!“.

„Ja, gehen wir es an!“, erwiderte Jenis und wandte sich an die Crew.

„Also: Wir feiern unsere baldige Ankunft mit einem großen Fest! Wir sind zwar noch inmitten der kosmischen Leere, doch wir sind dem Ziel schon wesentlich näher – ein Grund zum Feriern!“

Tüngör dachte an General Fazzuwär. Der trieb seine Crew an mit Drill und Druck. Mit Angst vor Strafe. Welch ein Dummkopf!

„Also, ich finde, ihr habt ein Fest verdient!“, ereiferte sich Jenis.

„Er hat recht“, dachte Tüngör. „Engagierte Mitarbeiter muss man nicht motivieren – man muss sich davor hüten, sie zu demotivieren. Und eine Mannschaft von Raumfahrern kann man auf Dauer nicht mit Angst motivieren, sondern mit Zielen und persönlicher Anerkennung.“.

Tüngör ergriff das Wort und übersetzte seine Gedanken in die Sprache der Raummechatroniker:

„Ja, Motivation ist der Zündschlüssel zum Erfolg, und Leidenschaft der beste Treibstoff!“, antwortete er.

„Genau! Feiern wir, dass wir uns weiter treiben lassen können zum Ziel! Unser Ziel ist eine ganz neue Welt!“

Der Bordrat stimmte zu. Schon bald war ein Buffet angerichtet. Flugechsen, Ravrokylen und Tringo-Früchte aus dem Versorgungsdepot, und dazu sogar eine Runde Krøg-Punsch an die Besatzung. Es wurde ein einen Unterhaltungsfilm über die große Holo-Videowand im Speise- und Versammlungsraum gezeigt, aber schon am Abend hatte sich die alte, wortkarge Stimmung wieder eingeschlichen. Tüngör hatte den Nachmittag am Tisch mit Jens und Ma-Ting Coqey verbracht, seiner Gefährtin. Sie machte sich als Schiffsversorgungsoffizier SVO Sorgen: Die Nahrungsmittelproduktion der Altakolia I lief zwar gut, aber der letzte Rest der vor dreißig Annus eingelagerten heimischen Lebensmittelkonserven und Getränke ging zur Neige. Es gab Begehrlichkeiten in Bezug auf diese speziellen Feinkost-Rationen in den Depots und Tiefkühlkammern, trotz des heutigen Festbüffets.

Tüngör flog an diesem Abend mit Jenis und seiner Gefährtin nachdenklich heim. Tüngör fand seine Frau Scharla schon schlafend vor, und auch Tochter Jauke schlief in ihrer Kabine.

Tüngör hockte sich neben Scharla und versuchte zu schlafen. Doch zuviel ging ihm durch den Kopf. Diese letzten Reste originalverpackter, puntirjanischer Gewürze. Sie konnten auf der Altakolia nicht produziert werden. All diese nicht nachwachsenden Spezialitäten waren nun fast aufgebraucht. Und Reserven davon im Depot aufzufüllen, das ging natürlich erst in ein paar Annus, bei der Ankunft an den vorab im Altakolsystem eingerichteten Orbital-Depots. Das musste zu einem Engpass an Bord führen – kein lebensbedrohlicher Zustand, aber ein zu knappes Angebot. Das hatte natürlich eine Steigerung der Nachfrage zur Folge, möglicherweise ins Unermessliche – nicht nur einen Boom, sondern eine Gier. Diese Begehrlichkeiten könnten sogar den sozialen Frieden an Bord stören, da hatte Jenis Recht. Und im Zentrum dieser Begehrlichkeiten stand Güngör, sein großer, alter Stiefbruder. Er war Versorgungsdepot-Offizier, der VDO. Und er war genussfreudig, korpulent und trank gerne einen über den Durst. Tüngör sorgte sich, dass Gugay zur Zielscheibe von Kritik und Misstrauen werden könnte. Er nahm sich vor, morgen mit ihm über seinen Job als Versorgungsdepotoffizier zu reden, noch bevor SVO Ma-Ting Coqey es aus dienstlichen Gründen tun musste.

Dann döste er ein. Er träumte. Er schwebte durch die heimischen Regenwälder auf Puntirjan. Er sah Gugay, wie er unter einem Tringo-Baum saß und von einer der Früchte kostete. Einer magischen Frucht. Plötzlich verwandelte Gugay sich in seinen damaligen Widersacher, den sarkarischen Provinzgouverneur Arfazzu Aru. Er fraß alle puntirjanischen Feinkostreserven leer, die es noch im Proviantkorb gab. Dann die im Depot, in seinen Tiefkühlkammern und den Regalen. Jenis und seine Ma-Ting mussten ihn daraufhin inhaftierten. Er, Tüngör, musste Gugay-Aru bewachen. Er saß vor der Arrestzelle und schlummerte ein.

Als Tüngör wieder wach wurde, war die Arrestzelle weg. Scharla Fisca, sein Schatz, lag neben ihm. Sie schlief noch immer. Sie hatte ihren freien Tag. Es war Morgen, und sein Dienst wartete nicht. Hastig erhob er sich, zog sich an und eilte an seinen Arbeitsplatz, die Funkstation, zu der die Sensationsmeldung der Landesonde unterwegs war.

Der Komet, der einst das Eisfragment mit dem Dschersi-Modul und der Neodymschraube aus Puntirjan aufgenommen hatte, erreichte das innere Sonnensystem. Der große Gasplanet, den die Menschen Jupiter nannten, hatte ihn dorthin umgelenkt. Von der Erde aus gesehen schoss der Komet daher relativ nahe und schnell hinter der Sonne vorbei. Dabei entwickelte er einen hell leuchtenden Schweif, den man neben der hell leuchtenden Sonne jedoch nur mit viel, viel Glück entdecken konnte. Die Gase im Inneren verließen den Kometenkern, und das weniger flüchtige Material kristallisierte bei der anschließenden Abkühlung neu aus. Die Neodymschraube und das Dschersi-Modul gelangten dabei weiter in das Zentrum des Kometenkerns. Der Kern hingegen flog nicht nur hinter der Sonne vorbei – in Folge der Umlenkung durch Jupiter hatte er eine Bahn um die Sonne eingenommen, die eines Tages die Bahn der Erde kreuzen sollte. Die Erde kam ihm entgegen. Die Kollision war vorprogrammiert.

Der Kometenkern erhitzte sich weiter, denn er kam der Sonne näher und näher. Er geriet in Bewegung, schmolz, und die Neodymschraube wurde vom Modul wegbewegt. Das Modul kam näher an die Oberfläche des Kometenkerns und seine Solarzelle empfing etwas Sonnenlicht. Der Akku konnte elektrische Energie abgeben. Der Mikrosender gab daraufhin programmgemäß einen Funkimpuls ab, doch er verfehlte den Altakol-Späher nur um einige Hundert Kilometer und verschwand im Nichts des leeren Raumes. Das Modul im Kern des Kometen, es blieb verschollen. Der Komet raste weiter durch das Sonnensystem. Sein Schwung ließ ihn die Umlaufbahn des dritten Planeten kreuzen. Und niemand konnte erahnen, welche Katastrophen das auslösen würde.

Kapitel 4

Auf der Funkstation der Altakolia I herrschte reger Betrieb. Die Datenauswertung lief auf vollen Touren. Das Nachtteam hatte während der letzten Schlafperiode alle Quantenrechner programmiert, die neuen, von den Vorboten eingetroffenen Datenpakete aufzubereiten. Eine erste Auswertung. Ihr Ergebnis wartete darauf, auf Tüngörs Desktop angeklickt zu werden.

Als Tüngör kam, traf er auf SFmO Häga Oharam, den Schiffsfernmeldeoffizier. Er saß neben Wølknu Külkopp und Tomalchaiman Casnochmal, seinen beiden Stellvertretern. Das Trio hatte die ganze Nacht verfolgt, wie der Quantenrechner die Daten durcharbeitete. Sie waren wie im Rausch. Wølknu Külkopp flatterte aufgeregt mit den Flügeln. Casnochmal starrte aufgeregt auf sein Display, auf dem Zahlenkolonnen herunterratterten. Die Euphorie hatte ihre Müdigkeit hinweggespült, als die ersten Daten kamen. Casnochmal grüßte erregt.

„Tüngör, das ist sensationell! Schau, was da kommt!“