Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen - Dana Grigorcea - E-Book

Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen E-Book

Dana Grigorcea

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Beschreibung

Anna ist Tänzerin. Gut verheiratet lebt sie ein schönes Leben. Dann trifft sie auf Gürkan. An der Seeprome­nade spricht er sie an. Und nichts ist mehr wie zuvor. Die Dame mit dem maghrebinischem Hündchen erzählt von einer ungewöhnlichen Liebe in Zürich, aus dem Herzen einer Gesellschaft, die dem schönen Leben frönen will. In einer hellen, flirrenden Atmosphäre entsteht das Bild einer heterogenen Gesellschaft, in der Exotik und Zugehö­rigkeit sowie die Rolle der Kunst neu ausgehandelt werden. Eine hinreißende Geschichte über die Sehnsucht nach Sinn und Sinnlichkeit und über die Zeiten hinweg eine Hom­mage an Anton Tschechow.

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Dana Grigorcea

Die Damemit demmaghrebinischen Hündchen

Novelle

DÖRLEMANN

eBook-Ausgabe 2018Alle Rechte vorbehalten© 2018 Dörlemann Verlag AG, ZürichUmschlaggestaltung: Mike BierwolfSatz und eBook-Umsetzung: Dörlemann Satz, LemfördeISBN 978-3-03820-955-3www.doerlemann.com

Inhalt

CoverTitelei und ImpressumPorträtWidmungIIIIIIIVDankZur AutorinZum Buch

Dana Grigorcea

 

Für Perikles

I

Es war an einem dieser betriebsamen Werktage, an denen die Seepromenade trotz der ersten Frühlingssonne menschenleer geblieben war.

Auf dem glitzernden Wasser trieben Boote mit weißen Segeln, dort vorn glitt ein Schwan vorbei.

Durch die grünen Laubhecken drang ein gleichmäßiges leises Rauschen von der Bellerivestraße herüber. Es rührte vom dahinfließenden Stadtverkehr her. Zürich, doch mit geschlossenen Augen wähnte Anna sich am Meer.

Als sie die Augen öffnete, erblickte sie am Nebentisch einen Mann, der ihren Hund anzulocken versuchte.

»Er wird nicht kommen«, sagte sie.

Der Mann hob den halben Keks auf, den er mit einer Bewegung des Handgelenks dem Hund zugeworfen hatte.

»Kommen Sie öfters her?«

Anna rührte ihren Kaffee um, den sie ohne Sahne und ohne Zucker nahm.

»Wenn ich in der Nähe bin«, sagte sie.

Sie konnte ihre Wirkung auf Männer längst einschätzen. Das Interesse an ihrer zierlichen Erscheinung ermutigte sie zusätzlich mit grazilen, getakteten Gesten.

Als Ballerina, die sie schließlich noch war, obschon sie nur noch Charakterrollen – thronende Königinnen, ehrwürdige Mütter und Ammen – tanzte, hatte sie ein Gefühl für den Pas de deux.

Anna hatte sich für die ehrwürdigen Ballettnebenrollen entschieden, bevor man sie ihr hatte nahelegen müssen. Ein paar Jahre war das nun her. Auf den Empfängen – die sie mit ihrem Mann, einem gestandenen Arzt, des Öfteren gab – scherzte sie, dass sie nun, als Nebenrolle, dem Solistentanz näher sei als früher, als sie selbst noch Solistin war. Von außen lässt sich alles viel besser beobachten.

Die Gäste hörten ihr andächtig zu. Sie schätzten die Künste; zumindest mochten sie es, von sich zu sagen, dass sie die Künste überaus schätzten, auch wenn sie als Juristen oder Ökonomen in Kunstdingen meist ahnungslos waren. Nach den Toasts sprach man von der einen oder anderen Rolle Annas, wann und mit wem sie getanzt, wer dabei dirigiert hatte, wie das Wetter am Abend der Premiere gewesen war.

Anna hatte mit wechselnden Tanzpartnern überall auf der Welt das verliebteste Bühnenpaar gegeben. Und auch jenseits der Bühne bewies sie stets Taktgefühl für den schönen Abgang, damit ihr Liebhaber sie in teurer Erinnerung behielt.

Ihr Gatte hatte eine Praxis, die wie eine Wohnung eingerichtet war, mit gerahmten Aufnahmen aus Annas Ballettaufführungen an der Wand. Er trat mit einer Steifheit auf, die er für vornehm hielt und durch die er sich der Körperspannung seiner Frau anzupassen suchte. Zu den Premieren sandte er ihr einen riesigen Blumenstrauß in die Garderobe, der inzwischen unangemessen groß ausfiel – sehr zur Belustigung der Garderobieren und Maskenbildnerinnen.

Die jüngeren Tänzer bewunderten Anna sehr, wenn sie, mit kerzengeradem Rücken und raumgreifenden Schritten, den Blumenstrauß über den Arm gelegt, in Begleitung ihres Hündchens das Opernhaus verließ.

Es war Annas Art, so manche Verehrung, den Austausch von zärtlichen Gesten, zu befeuern und dabei so zu tun, als würde ihr die Kontrolle über die Situation entgleiten. So half sie dem Liebhaber, seinen Platz als eifriger Verehrer einzunehmen, der ihr bald auf Schritt und Tritt folgte. Erst dann gab sie sich ihm hin, wie sie sich nur einem einzigen hingeben wollte: dem Jeweiligen.

Sie tue das für die Liebe, sagte sie sich, um dem Leben nichts schuldig zu bleiben.

Sie spürte nun wieder den musternden, abschätzenden Blick des fremden Mannes vom Nebentisch.

»Es ist noch sehr kühl. Trotz der Sonne«, sagte sie, den Blick auf den See gerichtet.

»Ach, dieses Wetter«, sagte er scherzhaft. »Immer gegen uns.«

Sie lachte leise. Er fing ihren Blick auf und lachte mit. Dann rührten sie beide in ihren Tassen und tranken, schauten auf den glitzernden See.

Nach dem Kaffee standen sie gleichzeitig auf, in perfekter Synchronizität, und gingen in Richtung der Quaibrücke nebeneinanderher. Und es begann dieses beschwingte Geplauder zufriedener Menschen, die nichts als einsehen, dass es ein schöner Tag ist, mit einer hellen Sonne und weißen Schwänen auf dem See, in einer der schönsten Städte der Welt, mit freundlichen, sorglos wirkenden Menschen. Sie redeten und liefen die Promenade hinauf, den Zürichsee entlang. Die Reflexe auf dem Wasser blendeten sie, und die wenigen Passanten hatten leuchtende Konturen.

Anna erzählte von ihrem Hündchen, das ihr in Algerien am Strand zugelaufen war. Es hatte sie angeschaut, als hätte es auf sie gewartet. Sein Fell war gelb wie der Sand – es musste nur die Augen schließen, und man konnte es nicht mehr unterscheiden. Der zierlichen Statur nach musste es sich um eine Mischung aus einem maghrebinischen Windhund und einem dahergelaufenen Spitz handeln. Sie möge die Bezeichnung Promenadenmischung für ihr Hündchen, das klinge so antiquiert. Sie hatte es in ihr Hotelzimmer geschmuggelt und schließlich nach Zürich mitgenommen.

Und dann erzählte Anna, dass sie Balletttänzerin war und sich auch als Choreografin auf der Studiobühne des Opernhauses versuchte. Und dass ihr Mann Arzt war, mit einer eigenen Praxis, Hausarzt, falls er einen guten suchen sollte.

Von ihm erfuhr sie, dass er Kurde war, aus der Türkei, aus einem kleinen Dorf an der Grenze zu Syrien, und dass er im Gartencenter in L. arbeitete, als Gärtner und Zulieferer. Vor kurzem war er zum Projektleiter bei der Begrünung des oberen rechten Zürichseeufers befördert worden, vom Bellevue bis zum Zürichhorn. Sie pflanzten vor allem Immergrün, Wetterfestes, aber auch zarte, saisonale Blumen. Er lebte in L. im Kanton Aargau, vierzig Bahnminuten von Zürich entfernt, war verheiratet, mit seiner Cousine natürlich – Anna lachte, und er auch –, und sie hatten drei Kinder, zwei kleine Mädchen und einen Jungen im Schulalter. Außerdem erfuhr Anna, dass er Gürkan hieß.

Später, als sie auf dem Nachhauseweg die Klosbachstraße hinaufging, dachte sie an ihn, und dass sie ihn sicher auch am nächsten Tag treffen würde. Vermutlich würde er wieder an der Seepromenade arbeiten, wo Stiefmütterchen gepflanzt wurden.

Als sie das große Tor zu ihrem Anwesen öffnete und sich ein wenig dagegenstemmen musste, dachte sie, wie scheu dieser Mann doch war – und dass er sehr viel jünger sein musste als sie.

Sie hatte bemerkt, dass er seinen Schritt an den ihren hatte anpassen wollen und dabei zweimal aus dem Tritt geraten war. Er hielt die Hände auf dem Rücken verschränkt, was ihm eine rührend altbackene Erscheinung verlieh. Sie dachte an seine Art, sie von der Seite anzusehen. Er zeigte die gespielte Männlichkeit eines Heranwachsenden, lachte herzhaft, wie ein fröhlicher Mensch. Und doch empfand sie etwas Bedauernswertes an ihm.

II

Eine Woche war vergangen, seit sie sich kennengelernt hatten. Jeden Tag trafen sie sich seitdem am Zürichsee.

Es war ein Freitag und Föhnwetter, der Himmel blau, die Sonne schien. Die schneebedeckten Alpen zum Greifen nah, der warme Fallwind hatte die Temperatur schlagartig steigen lassen. In der Hornanlage in Küsnacht liefen die Gymnasiasten mit um die Hüfte gebundenem Pullover und hochgekrempelten Hemden um die Wette. Einige sprangen gleich mit den Hosen in den See und johlten.

Anna und Gürkan saßen auf der Bank im Schatten einer Eibe und schauten den Gymnasiasten zu. Vom grellen Licht brannten ihnen die Augen, und sie hatten vom Wind trockene Lippen. Mehrmals hatte Gürkan zum Brunnen gehen müssen, um Annas Trinkflasche aufzufüllen. Er lief jetzt über die Seestraße zum Supermarkt, um Erdbeeren zu kaufen.

Im Schatten war es Anna zu kühl, in der Sonne allerdings zu heiß. Sie setzte sich mehrfach um, stand auf und lief durch den Park. Im Gehen streifte sie die angerostete Eisenbrüstung, roch an einem blühenden Flieder, griff mehrfach nach Pappelflaum und hob einen gefalteten Bahnfahrschein vom Boden auf. Dabei erschien ihr jede Geste bedeutungsvoll, orchestriert, als würde sie von vielen Augen beobachtet – die sie selbst aber zu beachten nicht gewillt war, war sie doch frei zu tun und zu lassen, was ihr beliebte.

Sie dachte an die Dernière, die vergangene Woche stattgefunden hatte, und war versucht, sich von der Musik, die sie noch im Ohr hatte, treiben zu lassen zur kühnsten Pirouettenfolge, die sie allerdings auf Kieseln und in Sandalen lächerlich vollführt hätte, im Ansinnen aber berührend und ja, erhaben.

Sie meinte bald, in der unentwegten Drehung die Luftstöße an immer anderen Körperstellen zu spüren; dann erschien ihr ein kleines Lindenblatt an den Rändern gezackter, als sie es kannte. Das Grün der weiten Wiese schimmerte auf ihren Fingernägeln wider, und sie versuchte, sich zu merken, was sie Gürkan erzählen wollte, wenn er zurück war, aber dann vergaß sie es gleich.

Sie hakte sich bei ihm unter, und so, Arm in Arm, gingen sie durch den Park, langsamer, als ihnen zumute war, vorbei an den Gymnasiasten und an jungen Müttern mit ihren zugedeckten Kinderwagen. Die Schatten der Äste schienen sich bei jedem Windstoß zu verknoten, lösten sich alsdann voneinander und streiften Anna und Gürkan unter den Füßen.

Vom blauweiß beflaggten Rundfahrtschiff nach Rapperswil winkten die Passagiere, und sie winkten ihnen zurück, mit einer Hingabe, als wären das gute Freunde.

Als sie am Ende des Parks angelangt waren und ihnen eine grüne Hecke den Weg zum Privatgrund versperrte, schauten sie einander an und lachten. Anna schaute in Gürkans leuchtende Augen und dann auf seinen Mund mit den weißen Zähnen. Er nahm sie in die Arme, drückte sie an sich, ihre Schneidezähne stießen aneinander. Anna lachte auf, fasste Gürkans Kopf und küsste ihn nochmals. Er roch nach einem Parfüm, das sie bei den Bühnentechnikern und neulich auch am Flughafen wahrgenommen hatte, als sie nach Rom geflogen war.

Als sie ihn losließ, schaute sich Gürkan ängstlich um.

»Lass uns irgendwo hingehen«, sagte er.

In Annas altem VW-Käfer fuhren sie die Seestraße ab, in der Hoffnung auf eine geeignete Abzweigung zum Wald hin oder zu einer einsamen Wiese. Anna fuhr sonst immer mit dem Navigationsgerät, wollte sich jetzt aber ohne orientieren.

»Hier war doch eine Wiese«, sagte sie.

»Wir sind vorbeigefahren, glaube ich.«

Licht besprenkelte die Scheiben, durch die geöffneten Fenster drang das von den Bäumen und Büschen modulierte Rauschen des Fahrtwinds.

»Schau mich nicht so an«, sagte Anna und lachte.