Die Dombibliothek zu Mainz - Erik Schreiber - E-Book

Die Dombibliothek zu Mainz E-Book

Erik Schreiber

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Beschreibung

Dies ist die Geschichte der Dombibliothek zu Mainz. Ihre Gründung im Jahre 1479, ihr Höhepunkt und schließlich ihr Untergang 1793. Die wechselvolle Geschichte der Dombibliothek wurde 1897, also mehr als 400 Jahre nach der ersten Erwähnung und 100 Jahre nach ihrem Untergang, niedergeschrieben von Dr. Franz Falk. Er war ein profunder Kenner des Domes und der Bibliothek. Das Buch erscheint in der Reihe "Historisches Deutschland". Es ist nicht nur als e-book, sondern auch als Taschenbuch lieferbar. Mehr Informationen über die Buchreihe gibt es unter [email protected]

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Herausgeber

Erik Schreiber

Mainz

Die ehemalige

Dombibliothek

e-book 082

Erscheinungstermin: 01.11.2020

© Saphir im Stahl

Verlag Erik Schreiber

An der Laut 14

64404 Bickenbach

www.saphir-im-stahl.de

Titelbild: Simon Faulhaber

Lektorat: Peter Heller

Vertrieb: neobooks

Herausgeber

Erik Schreiber

Mainz

Die ehemalige

Dombibliothek

Historisches Deutschland

Saphir im Stahl

Vorwort

Mit der Reihe „historisches Deutschland“ möchte der Verlag den interessierten Lesern einen Einblick in die Geschichte einer Stadt, eines Ortes oder einer Landschaft zu bieten. Es sind Texte aus vergangener Zeit, buchstabengetreu von der Frakturschrift übertragen.

Das vorliegen Manuskript ist eine Niederschrift von Dr. Franz Falk über die ehemalige Dombibliothek des Mainzer Domes. Er greift tief in die Vergangenheit um die Geschichte dem Leser nahe zu bringen. Es geht um den Ruhm der Bibliothek, den Aufbau und den Niedergang.

Es ist Dr. Franz Falk viel zu verdanken, dass er vor mehr als 120 Jahren sich die Mühe machte, die Geschichte zu erforschen und den Lesern bekannt zu geben. Lange vergessen, wird dieses Buch neu aufgelegt.

Der Verlag wünscht sich, dass das Buch genau so viel Anerkennung enthält, wie es verdient.

Erik Schreiber

Die

ehemalige Dombibliothek zu Mainz

ihre

Entstehung, Verschleppung und

Vernichtung

nach gedruckten und ungedruckten Quellen

von

Dr. Franz Falk

XVIII. Beiheft zum Centralblatt für

Bibliothekswesen

Leipzig

Otto Harrassowitz

1897

Vorwort.

Der Ruhm der ehemaligen Dombibliothek zu Mainz war nachgerade zu einem sagenhaften geworden, besonders seit ihrem Untergange im Jahre 1793. Es schien mir an der Zeit, der Geschichte dieser bedeutenden Büchersammlung nachzugehen, da überhaupt bibliographische Arbeiten heute mehr Wertschätzung als früher erfahren.

Bei der Dombibliothek entspricht der Ruhm den thatsächlichen Verhältnissen. Wenn ich allein vier Handschriften nehme, den Palatincodex 577 der Vaticana, die Gothaer Handschrift 84, die Münchener Handschrift 8112 mit der Bonifatianischen Briefsammlung und den erst vor kurzem zur rechten Würdigung gelangten Palatincodex 1447 mit der altsächsischen Bibeldichtung, so begründen diese allein schon das hohe Ansehen, in welchem die Bibliothek ehemals und immer stand. Welch reichen Stoff zu gelehrten Arbeiten haben diese Handschriften geboten!

Nachdem die gedruckten Quellen zu vorliegender Darstellung genugsam erschöpft schienen, ergab sich eine ungeahnte Bereicherung durch Vermittelung des Vorstandes des Kgl. Kreisarchivs zu Würzburg, da die in diesem Archive beruhenden Sitzungsprotokolle des Domkapitels höchst interessante Belege zu der Thatsache lieferten, daß die Sammlung selbst stets den Gegenstand der Fürsorge des Metropolitankapitels bildete. Es liegen 36 Halbbogen mit Auszügen aus den genannten Protokollen vor mir, doch ist sofort die Bemerkung nötig, daß nicht in allen Fällen die Protokolle die Zeitereignisse, so weit sie mit der Bibliothek überhaupt in Beziehung stehen, abspiegeln; sie gehen manchmal über wichtige Vorkommnisse fast schweigend weg.

Vielfache Aufklärung bot der handschriftliche Katalog des Domkaplans Weyer von 1727, welchen — was kaum bekannt war — die Kgl. Hof- und Staatsbibliothek zu München besitzt (Codex bav. cat. 537) und mir in den Räumen der Mainzer Stadtbibliothek zur Benutzung zustellte.

Eine oder die andere Frage genügend zu beantworten, sah ich mich außer stände, so die Frage, wo die zahlreichen und wichtigen Handschriften des 9. und 10. Jahrhunderts hergestellt wurden, ob in Mainz selbst oder nach der Meinung einiger Gelehrten in der Schreib- und Kunstschule zu Fulda. Die bis jetzt für Fulda geltend gemachten Gründe scheinen mir nicht durchschlagend, ja hinfällig, wie der Verlauf der Arbeit zeigen wird. Vielleicht gelingt es Herrn Kustos Julius von Schlosser zu Wien (J. V. Schlosser, Eine Fuldaer Miniatur-Handschr. der Wiener Hofbibl., im Jahrbuch der kunsthist. Sammlungen des ah. Kaiserhauses Bd. XllI mit Studien über die Fuldaer Kunstschule.), ein bestimmteres Ergebnis zu erzielen.

Außerdem ließ sich die Zahl der Mainzer Domhandschriften in der Vaticana nicht feststellen. Das gedruckte Verzeichnis der Palatincodices wird erst in seinem zweiten Teile die Provenienz der einzelnen Handschriften angeben.

Meine Arbeit erfreute sich reger Teilnahme, ich möchte sagen gewisser Begünstigung seitens verschiedener Vorstände, was mir die angenehme Pflicht auflegt, ihnen hier meinen Dank auszusprechen. Wohin ein besonderer Dank sich richtet, wird aus dem Buche an betreffender Stelle ersichtlich.

Was der Arbeit mangelt, möge seine Entschuldigung unter anderem finden in der Entfernung von großen Büchersammlungen, wodurch gerade bibliographische Arbeiten sehr erschwert werden.

Dr. Franz Falk

Erster Abschnitt.

Die Entstehung und Vermehrung der

Dombibliothek.

Die wissenschaftlichen Bestrebungen am

Mittelrhein.

Ein Kloster, ein Stift, ein Dom im Mittelalter ohne eine mehr oder weniger reiche Sammlung von Büchern läßt sich nicht leicht denken. Allezeit erkannte man den Vorrat von Büchern als notwendig für jene Ziele, welchen eine geistliche Gesellschaft diente. In der Büchersammlung spiegelt sich das geistige Leben des einzelnen wie einer Genossenschaft ab. Den Sinn des ganzen Mittelalters in dieser Hinsicht spricht der französische Kanonikus Geoffroy von Sainte-Barbeen-Ange gegen Ende des 12. Jahrhunderts aus, wenn er sagt: Claustrum sine armario quasi castrum sine armamentario, und noch am Ausgange derselben mittleren Zeit hören wir den gleichen Grundsatz ausgedrückt in den Worten des Kartäusers Jacob Louber (1480 — 1501) zu Klein-Basel: Monasterium sine libris est sicut Civitas sine opibus — Castrum sine muro — Coquina sine suppellectili — Mensa sine cibis — Hortus sine herbis — Pratum sine floribus — Arbor sine foliis. (Infor-matorium bibliothecarii carthusiensis domus vallis b. Marg. in Basilea minori ex autographo fratris Georgii Carpentarii ed. L. Sieber, Basileae 1888.) Dem frommen Thomas a Kempis kommt ein Kloster ohne Bücher vor wie „eine Küche ohne Spülfaß, eine Tafel ohne Speisen, ein Hof ohne Blumen und eine Börse ohne Geld.“ (Moll-Zuppke. Vorreformatorische Kirchengeschichte der Niederlande (1895), 2. Periode, S. 336.)

Für die ältesten christlichen Zeiten gruppierte sich die wissenschaftliche Thätigkeit des Mittelrheines jedenfalls um die alten Bischoßsitze Mainz, Worms und Speyer. Davon hat die Völkerwanderung kaum eine Spur übrig gelassen. Neues kirchliches und zugleich wissenschaftliches Leben erblüht mit der Thätigkeit und den Stiftungen des hl. Bonifatius. Von zwei Seiten treten nun alsbald die Klöster als neue kräftige Stützen regen geistigen Lebens an die Bischoßsitze, besonders Mainz, heran, nämlich nördlich Fulda (mit Fritzlar, Hersfeld), in entgegengesetzter Richtung Lorsch an der Bergstraße.

In Fulda läßt sich die nördliche angelsächsische Bildung nieder, um weitere Sprossen zu treiben, während in Lorsch eine von Westen her kommende Strömung sich geltend macht, denn es nimmt seine ersten Mönche von Gorz bei Metz an der gallischen Grenze (764). Während Lorsch (Lauresham) seine Thätigkeit mehr auf sich selbst beschränkt und in seinem unvergleichlich wertvollen Handschriftenschatz (Codices Laureshamenses oder Nazariani) eine kostbare Blüte treibt, bildet sich Fulda aus als die Pflanzstätte für das ganze Frankenland, steht wie St. Gallen da als unübertroffenes Muster ehemaligen Klosterschulwesens und universeller Kulturthätigkeit. Sein Einfluß äußert sich besonders kräftig und wohlthuend in Bezug auf Mainz, das ihm vortreffliche Hirten, tüchtige Lehrer, in wertvollen Handschriften niedergelegte reiche Geistesschätze verdankt.

Mit dem ersten Dome innerhalb der Stadtmauern, einem Mariendome (loannis II, 211; Bockenheimer, Der Dom zu Mainz, 1879, S. 3. 4. Eine Handschrift, bezeichnet als Liber s. Marie Mog., ist mir nicht begegnet.), der jetzigen St. Johanneskirche, war jedenfalls der Anfang einer Dombibliothek gegeben. Neben dem Dome erscheint in Urkunden des 8. Jahrhunderts eine Kirche ecclesia s. Martini, in welcher wir die erzbischöfliche Hauskapelle zu erblicken haben. Als Erzbischof Willigis einen neuen Dom (Dicht bei der erzbischöfl. Kapelle.) baute, weihte er ihn in honorem b. Martini episcopi (1009). Der Dom brannte am Weihetage ab, Bardo weihte den wiedererbauten Dom 1036 ein und übertrug aus dem alten Dome res cunctae cum dote et congregatione, wobei wir auch an eine Übertragung sämtlicher Bücher, sei es des Domes, sei es der erzbischöflichen Hauskapelle, zu denken haben.

Wohl den ältesten Buchvermerk und zwar zugleich den einzigen vor 1479 trägt eine in Würzburg befindliche Handschrift, nämlich Manuscriptum theol. q. 65 des 8.-9. Jahrhunderts; hier findet sich auf der Rückseite eines früher aufgeklebt gewesenen Pergamentblattes der Eintrag:

Liber sancti Martini.

Alle übrigen Handschriften tragen auf der ersten Seite des Textes das von dem Domsyndikus Macarius von Buseck eingetragene Inskript; Iste über pertinet ad librariam sancti Martini Moguntinensis. M. synd. ssit 1479, d. i. Macarius Syndicus hat dies hier eingeschrieben 1479.

Die Frage, wie des näheren wir uns die Entstehung und das Anwachsen des Büchervorrates an der Metropolitankirche in Mainz zu denken haben, findet zur Genüge ihre Beantwortung. Zunächst und in der ersten Zeit entstand und wuchs die Sammlung durch diejenigen, welche der Bücher in vorderster Reihe aus irgend einem Grunde bedurften, das ist also durch die Stiftsgeistlichen selbst, welche die Bücher teils für Schulzwecke, teils für kirchlich-liturgische Zwecke herzustellen hatten. Dabei kommt die unten näher zu behandelnde Domschule besonders in Betracht. Schon allein die stattliche Augustinhandschrift (Jetzt zu Gotha in der Herzoglichen Bibliothek.), welche zu Willigis’ Zeit hergestellt wurde, legt ein bedeutsames Zeugnis dafür ab, was die Stiftsgeistlichkeit zu leisten im stande war.

In späterer Zeit, als das Schreibwesen mehr zu einer eigenen Gewinn bringenden Beschäftigung und Kunst sich herausbildete, konnte die Geistlichkeit die Bücher durch Bestellung und Kauf erwerben und sie der Stiftskirche oder einem Beneficium derselben schenkungsweise überlassen. An Bücherschenkungen hat es im Mittelalter nie und nirgends gefehlt; sie bekunden so recht die Liebe der Stiftsgeistlichkeit zu ihrem Stifte.

Für Mainz überhaupt, oder den Dom, läßt eine hochangesehene Schreibschule, scriptorium, wie die des Klosters Fulda, allerdings sich nicht nachweisen, aber an Sclireibschulen in Mainz fehlte es nicht. Beachtenswert ist dabei, daß dieselben so nahe am Dome liegen. Auf dem sog. Leichhofe, dessen eine Häuserreihe dem alten Dome (jetzt St. Johann) gegenüber liegt, (Die Häuser F211. 212. 213. 215 (Schaab, Mainz I, 563), jetzt das Hänsereck, gebildet durch die Häuser Johannisstraße 12. 14. 16 und Leichhof 21. Vgl. Gudenus, Cod. dipl. II, 551: ad scriptorem, in vulgari zum großen Schreibhauß, e regione s. Johannis, altera zum kleinen.) dessen andere Seiten an den jetzigen Dom sich anschließen, lagen die Gebäude, welche „zum Schreibhaus, großen und kleinen“ hießen, „ad scriptorem“. Das „zum großen Schreibhaus“ war der Dombrüderschaft Präsenzhaus.

Auf der Ostseite des Domes, dem Rheine zu, lag das ins 10. Jahrhundert zurückreichende Liebfrauenstift zu den Staffeln B. M. V. ad gradus, nur durch eine Straße vom Dome getrennt; dasselbe zählte unter seinen Stiftsgebäuden eines mit der Bezeichnung; Curia scriptorum librorum; dieses Stiftsgebäude kommt 1315 urkundlich vor. (Schaab, Buchdr. III, 363. — Die Obliegenheiten eines scripturarius und librarius in den Fraterhäusern finden sich im Reformatorium vitae als Anhang zu Commendatio ... communis vitae clericorum, Basel 1494.)

Die Erzbischöfe als Pfleger und Beschützer der Wissenschaft

(bis Mitte des 13. Jahrhunderts).

Wie überhaupt die religiöse Überzeugung vergangener Jahrhunderte von der Verdienstlichkeit der guten Werke in Verbindung mit dem ehemals so stark ausgeprägten Sinne für korporatives Wirken die kunstvollen Gotteshäuser schuf und ihr Inneres prachtvoll ausschmückte, dabei die Altäre mit kostbaren Gefäßen versah und die Sakristeien mit feinen Gewändern füllte, so wurde auch „des Stiftes Liberei“, libraria, von den Stiftsherren mit besonderer Liebe bedacht und ihr an Büchern zugewiesen, so viel zur wissenschaftlichen Weiterbildung nötig erschien. An Belegen hierfür fehlt es auch in der Geschichte unseres St. Martinsdomstiftes nicht.

Mit dem wissenschaftlichen Sinne und der Bücherliebe der Erzbischöfe und Prälaten des Domes selbst hängt dann auch die Mehrung der Bücherschätze innig zusammen, weshalb eine diesbezügliche möglichst summarische Übersicht folgen soll.

Der hl. Bonifatius findet neben seinen Romreisen und apostolischen Arbeiten die Muße, eine lateinische Grammatik zu schreiben, Rätsel in Verse zu fassen u. a. Von seiner Bücherliebe im besonderen zeugt ein Brief, worin er die Äbtissin Eadburg vom Kloster Thanet bittet, mit goldenen Buchstaben die Briefe des hl. Paulus für ihn zu schreiben; auch spricht er von dem solamen librorum, wie er solches den Zusendungen Eadburgs verdanke. (Ep. 32 vom Jahre 735 bei Jaffé, Moguntina p. 98. In ep. 64 (Jaffé p. 183) mahnt Bonifaz die Fritzlarer Mönche nach Abt Wigberts Tode 747: Wigbert der Priester und Megingot der Diakon sollten Kinderlehrer sein, magistri sint infantium, wohl die ältesten in Deutschland vorkommenden Lehrernamen.)

Lull, gestorben 786, ersuchte noch als Diakon seinen ehemaligen Lehrer Dealwin um einige Werkchen des Bischoß Aldhelm in Prosa oder Versen, während der Bischof Cinehard von Winchester um „Hilßmittel geistlichen Wissens in Büchern, aber auch weltlichen Inhalts, wie medizinische“, ersucht (755). ln einem Briefe an Abt Cuthbert von St. Peter in Wiremuth und an Erzbischof Coena von York (767 bis 781) hält er, weil leidend, um Gebet an, aber auch um einige

Werke Bedas. Letzterer schickt ihm auch Bedas Buch über den Tempelbau; was er (Lull) aber über „die ans Land schlagenden Meeresfluten“ (Ebbe und Flut?) aus Büchern wissen wolle, so seien diese ihm (Coena) — wenn solche Bücher überhaupt existierten — unbekannt, und die kosmographischen Werke seien ihm nicht zu handen gekommen. Der Abt Cuthbert sendet ihm Bedas Werkchen über den Gottesmann Cudbertus und außer den Büchern zwei Mäntel und eine Glocke und bittet um einen Glasmacher und Zitherspieler. (Ep. 76. 110. 122. 125.)

Wenn Erzbischof Richulf (787 — 813) an der Hoßchule Karls des Großen den Namen Flavius Damoetas trägt, so berechtigt uns das zur Annahme, daß es ihm nicht an geistiger Bildung und wissenschaftlichem Sinne fehlte, was ihn des engeren Verkehrs mit den hervorragenden Männern seiner Zeit würdig machte. (Will, Regesten I, XVI.)

Sein zweiter Nachfolger, Otgar“ (Ihn bittet Mönch Tatto von Reichenau um Pergament für ein Lektionar und Gregorian. Sakramentar. Jaffé, Mog. p. 323.) (826—847), stand mit Rabanus Maurus in regem Verkehr, wie sich aus den Brieffragmenten Rabans an den Erzbischof ergiebt, der auch an Rabans litterarischer Thätigkeit lebhaftes Interesse zeigte. Raban nennt ihn in sacris literis apprime eruditus und widmet ihm mehrere seiner gelehrten Arbeiten. Auf Otgars Anregung hin verfaßte Raban sein über poenitentium. (Will, Regesten I, XVIII.) Unter Otgar wird ein scrinarius s. Mogonciacensis ecclesiae genannt, nämlich Hartmuodns presbiter, welcher eine Schenkungsurkunde des Jahres 842 schreibt und mit Tag und Datum versieht. (Cod. dipl. Nassoic. ed. Sauer I, 25. — Die Acta synodi mog. 1071 sollen in archivis sanctae moguntinae ecclesiae verwahrt werden ad perpetuam memoriam et eruditionem venturae posteritatis. Jaffé, Bambergensia p. 76.) Nicht unerwähnt bleibe, daß der viel besprochene Benedikt Levita sein Material in diversis schedulis, in zerstreuten Aufzeichnungen, und zwar hauptsächlich in scrinio sanctae magontiacensis metropolis ecclesiae viele Kapitularien gefunden haben will, die Richulf daselbst niedergelegt und Otgar gefunden habe. (Will, Regesten V, 43.)

Mit dem Fuldaer Mönche Rabanus Maurus (847—855), gebürtig aus Mainz, aber von früh an in Fulda (Raban und die Schule zu Fulda, im Freiburger Diüzesan-Archiv III, 336.) erzogen und in Tours unter Alcuin weitergebildet, besteigt einer der gelehrtesten Männer jener Zeit den erzbischöflichen Stuhl (847). Es genügt, hier an seinen glänzenden Namen zu erinnern und an den Umstand, daß seine Werke in der Migne’schen Patrologie fünf Bände füllen. (Die Abfassung so mancher Verse auf Kirchen, Altäre, Kreuzen, s.w. machen ihn zu einem Mainzer Damasus.)

Wattenbach (I, 227.) findet es höchst wahrscheinlich, daß Raban bei seiner Erhebung auf den Mainzer Stuhl den Mönch Rudolf von Fulda nach Mainz mitnahm, welcher hier die von Einhard begonnenen Reichsannalen unter dem Namen Annales Fuldenses fortsetzte (838—863). Der Aufenthalt in der erzbischöflichen Stadt und die Nähe des kaiserlichen Hofes zu Ingelheim befähigten Rudolf besonders zur Abfassung dieser Annalen.

Rudolf ist es auch, dem wir die kurze Nachricht über den zu St. Alban weilenden Mönch Probus verdanken, welcher, befreundet mit Lupus von Ferrieres (Lupus läßt durch Abt Ratleich in Seligenstadt von einem Buche Abschrift herstellen. Lupi opp. ed. Baluzius, Paris 1664, S. 102 epist. 60.) und Walafrid Strabo, die Mainzer Kirche durch heiligen Wandel und wissenschaftlichen Eifer“ verherrlichte. Probus, gestorben am 25. Juni 859, liegt zu St. Alban begraben. (Rudolfi Ann. Fuld, ad a. 859: ... cujus (Probi) casta conversatio et doctrinae sanctae Studium Moguntinam illustravit ecclesiam; Trith. Chron. Hirs. ad a. 860; Poetae lat. aevi Carol. cd. Dümmler II, 393; Schannat, Hist. Fuld. I, 61).

Die seit Rudolß Tode — er starb in Fulda — liegen gebliebenen Annalen setzte der Mönch Meginhard von Fulda fort und zwar wiederum in Mainz, wohin Erzbischof Liutbert ihn berufen hatte mit dem Auftrage, diese Annalen fortzusetzen, wie Wattenbach annimmt; Meginhards Tod fällt ins Jahr 888.

Meginhard schrieb um 856 auf den Mainzer Heiligen Ferrutius eine Lobrede, Sermo nennt er selbst diese seine Schrift.) welche zwar über den gefeierten Blutzeugen wenig berichtet, (Kraus in den Inscriptt. rhenauae II, 129 glaubt, daß der historische Kern des Sermo mit dem knappen Inhalte einer (mißdeuteten) Grabinschrift in Castel sich decke. Wie sind dann aber die Besuche des Grabes zu erklären? Meginhard sagt nirgends, daß erst durch die Grabinschrift die Ehre des Heiligen aus der Vergessenheit gerettet sei.) aber über den Stand der Studien zu Meginhards Zeit einigen Außchluß giebt. Mögen seine Worte an Überschwänglichkeit leiden, so geht doch soviel daraus hervor, daßman damals nicht in Mainz wie in einer Wüste herumtappte; er sagt: „Mainz nähret in seinem Schoße seine Ambrosius (Ambrosios fovet), von deren Haupte himmlischer Wohlgeruch honigfließenden Nektars duftet; Mainz nähret seine Augustinus (fovet Augustinos), die, in Cherubins Höhen der Göttlichkeit nachforschend, die Bücherei mit wunderbaren Traktaten füllen; es nähret Gregore, die die Nahrung göttlichen Wortes auß wachsamste wiedergeben und zum Gebrauche für gelegene Zeit außpeichern und vorrätig halten; hier quillt der Born der Philosophie, der in siebenfachem Bächlein grünende Auen bewässert und die unentgeltlich Schöpfenden mit vielfältiger Süßigkeit berauscht. (Acta SS. Boll. 28. Oct., p. 541 § 11, auch loannis I, 122.)

Er beklagt den Verlust der Acta s. Ferrutii, was nicht daher komme, daß man etwa in Mainz (Er nennt die Stadt: Moguntia, excellentissimis Galliarnm civitatibus conferenda.) überhaupt niemanden zur Abfassung der Geschichte des Heiligen gehabt habe, sondern die Kriegsunruhen u. s. w. hätten dabei das Ihrige gethan. „In genauer untersuchten Chroniken haben wir gefunden, daß zu den Zeiten des Arcadius und Honorius und Theodosius d. J., unter Pharamund, Clodius, Meroveus, Königen der Franken, als die Römer noch regierten, Gallien von verschiedenen Völkerschaften zerstört, die Städte dem Erdboden gleich gemacht, die Einwohner gefangen genommen worden seien, wobei dann disciplina liberalis, si qua fuerat, poterat aboleri.“ (In chronicis curiosius requisitis invenimus, Archadü ... temporibus, sub Pharamundo etc. loannis I, 184.)

Wie sehr dem Erzbischöfe Liutbert (863 — 889) wissenschaftliche Bildung eigen war, dürfen wir daraus entnehmen, daß Bischof Salomon II. von Constanz ihn als Lehrer preist, daß ferner die westfränkischen Bischöfe ihn zum Konzil von Soissons 866 einladen und zwar pro sanctitatis eius reverentia et sapientiae amplitudine. Wir dürfen auch Wert legen auf den Umstand, daß Otfrid, Mönch von Weißenburg, ihm seine. Evangelienharmonie zur Beurteilung vorlegte (stylum comprobare) und ebendemselben sowie Salomon I. von Constanz dieses sein Werk widmete. Die Grabschrift endlich bezeichnet ihn als

Litterulis doctis doctior ille fuit. (Will S. XXVI.)

In Liutberts Zeit reichen bereits die immer schrecklicher werdenden Einfälle der Normannen, infolge dessen wissenschaftliche Bestrebungen in den Hintergrund treten. (Das Mainzer Konzil von 888 gestattet die Meisfeier in Kapellen, bis die durch die Normannen zerstörten Kirchen hergestellt sind. Hartzheim, Conc. Germ. II, 372. So klagt über die damalige Lage des Reiches auch die Synode zu Firnes 881. Hefele, Conciliengesch. IV, 543. 547.)

Sein Nachfolger Sunderold (Sunzo), dem Meginhard die Translatio s. Alexandri widmet, muß sogar am Kampfe gegen die Normannen sich beteiligen und verliert dabei sein Leben 891. Die Geistlichkeit des Niederrheins flüchtet Kirchenschätze und Heiligenleiber nach Mainz, wo man die Stadtmauern in besseren Stand setzt und mit Gräben umgiebt 882; (Annal. Fuld. in Mon. hist. Germ. 1, 395.) obdachlose Mönche von St. Medard bei Soissons flüchten und suchen Schutz bei Karl dem Dicken zu Ingelheim 887. (Benkard, Die Reichspaläste zu Tribur, Ingelheim und Gelnhausen S.28.)

Von Hatto I. (891 — 913) rühmt Regino von Prüm in dem diesem Kirchenfürsten gewidmeten Buche De synodalibus causis, daß er in omni genere philosophiae artis groß sei und als Repräsentant dieses Wissenszweiges gelten dürfe in hac decrepita aetate. (Will S. XXVIll.)

Um 900 arbeitet der kunstfertige St. Galler Mönch Tutilo im Kloster St. Alban an einem unvergleichlich kostbaren Altaraußatze von Gold: der thronende Heiland auf dem Himmelsbogen sitzend und mit den Füßen auf der Erdkugel als Schemel ruhend, darauf die Verse;

Ecce polo potior solio terraque scabello. (Ekkehardi Casus s. Galli in Mon. hist. Germ. II, 98.)

Hildubert (927 — 957) gilt den Chronisten jener Zeit nicht bloß als ein vir mirae sanctitatis, sondern auch als studiis litterarum satis clarus. (Will S. XXXII.)

Für Erzbischof Friedrich (937 — 954) wurden die Annales Augienses abgeschrieben, in Mainz 937 mit einer Notiz über Friedrichs bischöfliche Weihe versehen und 953, 954 von Erzb. Wilhelm mit kurzen Aufzeichnungen vermehrt. Die Handschrift blieb im Dome und wurde vom Fortsetzer des Regino, von Marianus Scotus und nebst den eingehefteten Annales s. Albani vom Verfasser der Annales Dissibodenbergenses benutzt. (Wattenbach I, 287; Jaffé, Mog. p. 700—706. Später kam die Handschrift nach St. Stephan in Mainz, wo sie im 14. Jahrhundert war; hier benutzte sie Cochläus; sie kam dann nach Paris, wo sie als Nummer 4860 die Bibliothcque nationale ziert.)

Auf Erzbischof Wilhelms Veranlassung kam im Jahre 965 der Hirschauer Mönch Wernher als Abt nach St. Alban oberhalb Mainz. Trithemius berichtet dieses und sagt, daß der Abt pro doctrina et vitae merito viel in Mainz gegolten habe. (Chron. Hirsaug. 1, 109.) Zu gleicher Zeit muß der andere Mönch Wunibald von Hirschau als scholasticus nach St. Alban gekommen sein, welchen der Erzbischof propter eloquentiam ac pariter doctrinae praestantiam als „magnus Wunibaldus“ bezeichnete und schätzte. (Papiere des Abts Parsimonius, in Württemb. Jahrbb. für Statistik 1863 S. 237.)

Noch mehr, Wilhelm soll die Seele des litterarischen Kreises am königlichen Hofe gewesen sein. Kotsuit von Gandersheim übergab ihm 968 das Carmen de gestis Odonis I imperatoris, deren Widmung dem Erzbischöfe und der Äbtissin Gerberga von Gandersheim das Urteil überläßt, quomodo (hoc carmen) factum sit. In Bezug hierauf weist Köpke dem Erzbischöfe Anteil an den Gesta Odonis zu und bemerkt, daß durch seine Direktion ein Buch dieser Art erklärlich werde. Derselbe Köpke meint in Bezug auf Widukinds Ees gestae Saxoniae, daß Wilhelm hierzu den Stoff geliefert habe, was sich jedoch nur schwer erweisen läßt. (Will S. XXXV.)

Unter Erzb. Wilhelm verließ der Dompropst Theodorich, ein Mann von Adel und hohem Ansehen, (loannis 11, 270.) die Metropole, um seinen Verdiensten gemäß den Stuhl von Trier zu besteigen; er starb daselbst 970 und ließ in seiner Stiftung, St. Gangolf zu Mainz, sich beisetzen. (Alle Epitaphien der zu St. Alban beigesetzten Erzbischöfe (Riculf, Haistulf, Otgar, Karl, Liutbert, Sunderold, Friedr., Wilh., Hatto II.), also von 813 — 970, sind in lat. Versen gesetzt.) Theodorich, vir studiosus et eruditus, schrieb de laudibus beatissimae Dei genitricis et virginis Mariae, auch eine Vita s. Lindrudis (gest. im 6. Jahrh.) und anderes. (Trith., Cat. illnstrium, in loannis I, 122.)

Von Dompröpsten des 10. und 11. Jahrhunderts bestieg Thietmar den Stuhl von Osnabrück 1003, Megingoz den zu Trier 1008, Embricho den von Augsburg 1064.

Willigis (975 — 1011), in so vielem groß, bewährte sich besonders auch auf dem Gebiete des Unterrichtes und des Wissens. Der uns später beschäftigende prächtige Pergamentfoliant in der Herzoglichen Bibliothek zu Gotha, welcher des hl. Augustin Buch De Civitate enthält, bezeugt es, daß er unter Willigis’ Auge geschrieben und korrigiert wurde:

Hos (sc. libros) presul summus nec honore

minore colendus

Willisus theca conscribi iussit in ista

Ipseque cum propriis emendans cautus alumnis (Alnnini Knaben oder Domherren? Die Autopsie der prächtigen Handschrift schließt die ersteren aus. „Man macht viel Aufhebens mit der Schreibsütbe, die Bernward von Hildesh. unterhielt; eine ähnliche Einrichtung zur Vervielfältigung alter Texte wird auch in Mainz bestanden haben,“ sagt H. Böhmer, AVilligis von Mainz S. 148 Note 4 (Leipziger Studien I, 3).)

Servicio sancti Martini iure perenni

Tradidit — —

Wie erweitert sich aber diese kurze metrische Notiz, wenn wir von dem ungenannten Biographen und Schüler des Willigis hören, wie letzteren die vielfache Sorge für Kirche und Reich nicht abhielt, der zu Unterrichtenden und der zu unterstützenden Armen sich anzunehmen. „Mich und sehr viele andere — schreibt der Anonymus — machte er teilhaftig des ganzen Wissensschatzes der Zeit, (Im Jahre 976 bestimmt Willigis unter anderem, daß, welcher Lehrer zwei, drei und mehr Jalire auf der Hochschule studieren wolle, dies ohne Gefährdung seiner Einkünfte thun könne. Gudenus I, 957.) und unsere Fortschritte waren der Art, daß die meisten zur bischöflichen Würde erhoben wurden, mehrere zur propsteilichen gelangten.“ (Mon. hist. Germ. XV, 2, 749. — „Daß Willigis in gleicher Weise wie für die Aschaffenburger Stiftsschule auch für das Gedeihen der Mainzer Kathedralschule besorgt war, bezeugt die Lobrede des Ungenannten,“ sagt H. Böhmer, Willigis von Mainz a. a. 0.)

In dieselbe Zeit fällt die Berufung des als Redner, Gelehrter und Ratgeber der Fürsten gleich ausgezeichneten Ekkehard II. (Palatinus) nach Mainz, wo er die Würde eines Dompropstes bekleidete. Einst wohnte Ekkehard einer Provinzialsynode (Es wird die des Jahres 976, Apr. 28 sein. Will XVII, 13. Zugegen waren die Bischöfe von Worms, Speyer, Prag (für Olmütz). Gudenus, Cod. dipl. I, 352.) bei; bei seinem Eintreten erhoben sich sechs Bischöfe von ihren Sitzen, eilten auf ihn zu und begrüßten ihn als ihren Lehrer. Erzbischof Willigis umarmte ihn vor Freude und sprach: „Du bist wohl würdig, mein Sohn, einst neben diesen auf einem bischöflichen Stuhle zu sitzen.“

Von Ekkehard, welcher am 23. April 990 zu Mainz starb, weiß man, daß er die Minderbefähigten zum Bücherabschreiben und zum Zeichnen verwandte, in welchem beiden, besonders in der Kapitalschrift und im Vergolden der Buchstaben, er selber Ausgezeichnetes leistete.

In dem auf Willigis’ Betreiben errichteten Stifte St. Victor, einer alten von Lullus und Rabanus Maurus besuchten Gebetsstätte, schrieb ein Nichtgenannter die Passio scti Bonifatii nieder.

Mit Willigis’ Tode (1011) erlosch der wissenschaftliche Eifer zu Mainz keineswegs. Sein Nachfolger Erchambald, der als Abt von Fulda dem Bischöfe Heinrich von Würzburg ein jetzt in Vercelli befindliches, sehr schönes Sakramental lieh, hat Predigten hinterlassen (Sermones Erchanbaldi aepi).

Ihm folgte Aribo (1020 — 1031), von welchem man Traktate über einige Psalmen kannte. (Will, Regesten XIX, 83.) Er berief den St. Galler Mönch Ekkehard IV. (den Jüngeren), die Domschule zu leiten. Hier besserte Ekkehard den Text des Gedichtes auf Walther von Aquitanien — wie er selbst sagt, Aribone aepo jubente Mogontiae positi ... correximus (Die sorgfältige Kritik, welche Ekkehard IV. den Handschriften zu teil werden liels, ist betont von Diimmler, Ekkehard v. St. Gallen in Haupts Zeitschr. f. dtsch. Altert. XIV, 4, 12.) er dichtete ferner für die geplante Ausmalung des Domes zu Mainz viele lateinische Verse zur Auswahl u. a., wie Aribo ihn auch veranlaßte, eine Abhandlung über den liturgischen Ausdruck: lube, Domine, benedicere zu schreiben. Dem Erzbischöfe widmete Ekkehard eine auf seinen Psalmenkommentar anspielende Grabschrift:

Psalmigraphus suauis qui adhuc vivit in ore;

ebenso auf den zu St. Alban beigesetzten Ekkehard II. (Wenn Wattenbach II, 114 sagt: „Ferner ist jetzt ein Mainzer Embricho bekannt geworden, Sohn einer Mainzerin, sehr gepriesen als vielseitiger Gelehrter und als Lehrer, aber wir wissen nicht, an welchem Orte, der Verfasser der Vita Mahumeti in Versen“ —, so bedarf das weiterer Aufhellung.) Ekkehard starb vermutlich 1060, Okt. 21.

Nach Bardo, der endlich zur vollen Herstellung des unter Willigis abgebrannten Domes und seiner Einweihung gelangte (1036) und darin eine von Papst Leo IX. präsidierte Synode hielt (1049), sehen wir wieder unter Erzbischof Lupoid (1051—59) ein reges wissenschaftliches Leben. Er veranlaßt seinen Kaplan Vulculd, das Leben seines Vorgängers Bardo zu schreiben, und beruft aus Lüttich den Scholaster Goswin (mit dem Kosenamen Gozechin), (N. Archiv XIII, 11 —21: Gozwdn und Gozechiu, Domscholaster von Mainz.) und wie lebhaft hier das Leben war, erhellt aus der gelehrten Disputation, welche der Italiener Anselm zu Mainz mit deutschen Gelehrten hielt. Anselm nennt Mainz das „Diadem des Reichs“, (Düramler, Anselm der Peripatetiker S. 9.) Goswin „Goldenes Haupt des Reichs“. Gleichwohl wünscht der letztere, über die Zeitverhältnisse verstimmt, sich von Mainz weg, wo ihm nicht möglich war, die strenge Zucht unter Handhabung des Stabes zu üben. Das Domstift wahrt in seinem Nekrolog Goswins Andenken: 4 cal. Oct. Gunzuuinus prep. s. Marie et magister scolarum s. Martini. (Correspondenzbl. des Gesamtver. 1878 S. CO; Jatte, Mog. p. 72C.)

Erzbischof Sigfrid I. (1060—1084), wieder ein Abt von Fulda, besaß — wenn die im Briefcodex Udalrici enthaltenen Briefe von ihm herrühren und nicht von einem besonders befähigten Koncipienten — eine ausgezeichnete Bildung. (Wattenbach II, 114.) Ihm schreibt ein sonst nicht näher bekannter Mönch Guibert von Gembloux, er habe nun auf jenes Geheiß hin Schriften zur Belehrung und Erbauung zu schreiben sich entschlossen; in einem späteren Briefe ermuntert er den Erzbischof zur standhaften Ertragung der Leiden des über ihn verhängten Exils. (Will, Regesten XXll, 157. 161.)

Im Jahre 1069 kam der Schotte Marianus auf Berufung Sigfrids nach Mainz, um hier als Incluse nahe am Dome zu leben und seine Studien fortzusetzen. Nach der Gewohnheit seiner Landsleute eifrig mit mathematischen und astronomischen Studien beschäftigt, schrieb er hier ein kritisch- chronologisches Werk, Chronik, deren Originalhandsclirift aus der Dombibliothek über Heidelberg nach Rom kam. Marianus Scotus starb zu Mainz 1082 (oder 1083) und wurde im Dome beigesetzt. Das Domnekrolog hat seinen Namen zu XI Kal. lan.: Marianus inclusus. (Correspondenzblatt des Gesamtvereins 1878 S. 61. Annal. Dissibod. Mar. Sc. et inclusus ob. et apud S. Mart, sepelitur. — Wenn Wattenbach II, 115 sagt: „Gewiß konnte keine Lage weniger geeignet sein für einen Historiker“ (als die eines Inclusen) —, so kann ich das nicht finden, wenn ich das Inclusenleben nach Kirchenlexikon² VI, 631 beurteile und an die ganz nahe und für seine Studien ausreichende, gut versehene Dombibliothek zu Mainz denke.)

An dieser Stelle muß ich auf eine mehrfach ventilierte Frage eingehen, woher nämlich die Handschriften des 9. und 10. Jahrhunderts, also der älteste und kostbarste Teil, stammen, ob aus Mainz selbst oder aus Fulda. Am ausführlichsten ging Herr Professor Dr. Nürnberger in Breslau auf die Frage ein (Zur handschriftl. Überlieferung der Werke des hl. Bouifatius im Gymn.-Progr. zu Neiße 1883 S. IV. V.) unter Zusammenfassung der mit ihm übereinstimmenden oder von ihm abweichenden Ansichten (Seiters, Giesebrecht, Maßmann, Müllenhoff und Scherer, Bethmann, sowie Mommsen in den Prolegomena p. xlvii zu der jüngsten Jordanes-Ausgabe). Um kurz zu sein. Nürnberger sagt:

„Wir haben zwei entgegengesetzte Meinungen, die eine (Hahns), daß diejenigen Handschriften, welche älter sind als das neue Kloster (d. i. Dom St. Martin) zu Mainz, aus dem älteren Kloster stammen —, die andere, daß Fulda die Heimat der Bücher sei, ja man kann einen Schritt weiter gehen und annehmen, daß die Transferierung der Codices anläßlich der Translokation des Marianus von Fulda nach Mainz erfolgt sei.“

Es ist vor allem zu bemerken, daß das hier gemeinte Kloster nichts anderes ist als der Dom St. Martin, monasterium s. Martini, (Das Domkapitel kommt wegen des gemeinsamen Lebens der Geistlichkeit unter dem Nameu fratres s. Martini vor.) von Willigis begonnen, von ihm 1009 vollendet, nach dem Brande 1009 weitergeführt, aber erst von Erzbischof Bardo vollendet und geweiht 1036. Bardo übertrug aus dem alten Dome (St. Maria, die jetzige Kirche St. Johann) res cunctas cum dote et congregatione, alle Sachen nebst Dotation und Priesterschaft, jedenfalls auch das Archiv und den Büchervorrat. (Jaffé, Mog. p. 529.)

Dem sei, wie ihm wolle, alle diese Handschriften können ebenso gut in der Dombibliothek zu Mainz vorhanden gewesen und in Mainz geschrieben sein als in der Klosterbibliothek zu Fulda. Unter und mit Bonifatius erhielt der Dom sicher angelsächsisch geschriebene Bücher, und angelsächsische Federn werden noch eine Zeit lang nach Bonifaz und Lull in Mainz thätig gewesen sein, ln Mainz herrschte Jahrhunderte lang und schon vor Marianus ein reiches litterarisches Leben, wovon die fast ununterbrochene Reihe von Gelehrten auf und um den erzbischöflichen Stuhl Zeugnis ablegen.

Keine einzige der in alter Zeit im Dome vorhanden gewesenen Handschriften bekundet eine andere Provenienz als Mainz: Iste über pertinet etc. 1479, keine einzige giebt Fulda an. (Wenn Mar. Sc. die Annal. Augienses mit den eigenhändigen Notizen des Erzbischof Wilhelm (954 — 968) benutzte, war dann diese Handschrift auch aus Fulda? Siehe oben zu Erzbischof Friedrich.) Es müßte als ein ganz eigenes Verhängnis bezeichnet werden, wenn alle alten Buchdeckel mit dem Provenienzvermerk „Fulda“ zu Verlust geraten wären.

Will man das allerdings blühende Scriptorium Fulda als erste Heimat der Mainzer Handschriften nicht aufgeben, so müssen bessere Gründe dafür geltend gemacht werden.

Um den unterbrochenen Faden aufzunehmen, so nahm Sigfrids Nachfolger Wezilo (1084 — 1088) in dem Streite zwischen Papsttum und Kaisertum Partei für den Kaiser und verfocht die Sache des Gegenpapstes Clemens. Von den damals ergangenen Streitschriften soll eine von Wezilo verfaßt sein, wie Sdralek, Die Streitschriften Altmann’s von Passau und Wezilo’s von Mainz, 1890, annimmt. Das wird jedoch bestritten von Thaner im Neuen Archiv XVI, 535.

Im folgenden werden wir nur mehr einzelne, weniger zusammenhängende Belege für unser Thema registrieren können, um dann diesen Teil des ersten Abschnittes zu schließen.

Als eine ebenso vereinzelte als interessante litterarische Erscheinung dürfen wir die Karte des (Domherrn?) Heinrich zu Mainz betrachten; sie befindet sich in dem Pergamentcodex LXVI (In dem Codex stehen 24 Abhandlungen theologischen und geographischen Inhalts verschiedener Autoren.) des Corpus Christi-College zu Cambridge. Nach dem dortigen Manuskriptenkatalog enthält dieser Codex: Imago mundi contexta per Henricum canonicum ecclesiae S. Mariae civitatis Moguntiae de rerum naturis, imperatoribus, regnis, regibus et pontificibus usque ad Henricum imperatorem filium Henrici Libri II. (Die Karte (29 ½ x 20 ½ cm) ist nicht Original, sondern Kopie des 13. Jh. und war ehedem Liber sec. Mariae de Salleia, d. i. Kloster Sawley in Yorkshire.) Nach dem Prologe soll das Original im Jahre 1110 geschrieben und der Kaiserin Mathilde, der Gemahlin Heinrichs V., der Tochter des englischen Königs Heinrich I., gewidmet sein. (Erzbischof Friedrich von Cöln krönt 25. Juli 1110 diese englische Prinzessin zur Königin. Annal. Colon, in Mon. hist. XVII, 748.)

Über die Person des Verfassers läßt sich kaum eine biographische Notiz aus den Mainzer Quellen gewinnen; unter canonicus ecclesiae S. Mariae muß am ehesten ein Stiftsherr von Liebfrau zu den Staffeln verstanden werden.

In neuester Zeit hat Professor Dr. Miller in Stuttgart die Karte photographisch wiedergegeben in den Mappae mundi II Tafel 13, restituiert und kommentiert in: Die ältesten Weltkarten, Heft HI: Die kleineren Weltkarten (Stuttgart 1895) Seite 21: Die Weltkarte des Heinrich von Mainz, (Unterhalb der Karte: Henrici canon. Moguntini mappamundi Cantabrigiensis.) woselbst die weitere Litteratur verzeichnet steht. Dr. Miller bemerkt: Die Karte enthält 229 Legenden (Städte, Fluß- u. s. w. Namen), zu welchen noch eine große Anzahl ungenannter Flüsse, Städte und Gebirge hinzukommen, welche nach den verwandten jüngeren Karten sicher gedeutet werden können. Sie ist deshalb nach den Hieronymuskarten unter den kleineren Mappaemundi nicht bloß die reichhaltigste, sondern auch die bestüberlieferte.

Wuttke, Zur Geschichte der Erdkunde in der letzten Hälfte des Mittelalters S. 8 (In: Jahresberichte des Vereins für Erdkunde zu Dresden 1873.) bemerkt zu dieser Karte: „Der erste, welcher das Schema (Im Mittelalter kannte man nur Zonenkarten, runde (die Welt vom Ozean umflossen) und länglich viereckige.) durchbrach und mit Aufgabe der Symmetrie eine gegliederte Gestalt zu zeichnen versuchte, d. h. eine Ausführung im Einzelnen nach der wirklichen Beschaffenheit, war ... entweder der Verfasser einer Karte des Britischen Museums oder der Mainzer Domherr Heinrich im Jahre 1110. ... Wie roh und dürftig auch seine Karte ausfiel, so war sie doch selbständig und bezeichnet einen großen Fortschritt, eine neue Stufe.“

Erzbischof Adalbert (gest. 1141) fand einen Biographen in Anselm, welcher sich nicht näher zu erkennen giebt, er „scheint ein Mainzer Schulmeister gewesen zu sein, der mit ungemessener Bewunderung zu dem Grafensohne hinaußchaute, ohne ihm jedoch nahe gestanden zu haben“ (Wattenbach II, 405; doch kann diese Annahme nicht aufrecht erhalten werden, wenn an einen Domscholaster gedacht wird.). Anselm faßte seine Biographie in Verse (leoninische Hexameter unterbrochen durch je zwölf künstlich gebaute und doppelt gereimte Verse). Geschichtliche Aufklärungen gewährt der Verfasser nicht, jedoch seine Angaben über die Studien des 12. Jahrhunderts sind lehrreich. Nach der Meinung Anselms bot Mainz vortreffliche Lehrer, aber hier trat hindernd der Chordienst entgegen, und nur Fremden gewährte dort selbst die Mainzer Schule rechten Vorteil. Adalbert geht nach Hildesheim und später nach Fi-ankreich (Rheims, Paris, St. Gilles, Montpellier). (Aus dieser Zeit haben wir einen vom Stephansstiftsprobst Hartmann ausgehenden, die Verehrung Willigis’ betreifenden Plan, dem ein Formular für das Brevierofficium beigegeben ist. Das Original, 25. Mai 1799 von Bodmann in St. Stephan gesehen und kopiert, befindet sich jetzt in Moskau und hat zwei schöne Miniaturen: Erzbischof Willigis (mit Nimbus) und Propst Hartmauu, Erzbischof Willigis und Erzbischof Heinrich. Der ganz in der Bibelsprache redende Verfasser ist nicht bekannt. Die Worte der Schriftafel: Ego Willigisus conservus tuus apoc. 19, 10 leiten den Sermo an Hartmann ein, die der anderen Tafel: Venerabili et dilecto fratri Heinrico sce magontinae sedis setzen sich fort auf S. 3: digno episcopatu etc.)

Das „Leben des 1160 ermordeten Erzbischoß Arnold“ erweist sich als eine sehr bedeutende Quelle für die Reichs- und Mainzer Specialgeschichte; über ihren Verfasser, ob er der Domgeistlichkeit angehörte oder nicht, wissen wir nichts zu berichten. Eine andere Beurteilung Arnolds findet sich in dem Chronicon Moguntinum, gewöhnlich Christiani zubenannt, von ihrem Verfasser gilt dasselbe wie von dem vorausgehenden. (Über beide Biographieen Wattenbach 11, 405 If.)