Die Ehre Roms - Simon Scarrow - E-Book
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Die Ehre Roms E-Book

Simon Scarrow

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Beschreibung

Einst kehrten die römischen Truppen siegreich aus Britannien zurück. Doch als Centurio Macro fünfzehn Jahre später erneut auf die Insel kommt, ist die Lage angespannt. Die britischen Stämme haben sich nur widerwillig ergeben, und selbst in der Hauptstadt Londinium werden die Gesetze Roms missachtet. Dass die heimlichen Herrscher der Stadt vor nichts zurückschrecken, erfährt Macro bei einem nächtlichen Überfall schmerzhaft am eigenen Leib. Doch die Unruhestifter haben die Rechnung ohne Macros alte Waffenbrüder gemacht, zu denen auch der Präfekt Cato zählt. Und so kämpfen die alten Freunde erneut Seite an Seite für Die Ehre Roms.

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Seitenzahl: 576

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DAS BUCH

Er räusperte sich und straffte die Schultern. »Danke, dass ihr gekommen seid, Jungs. Ich weiß, dass ihr euch alle freiwillig gemeldet habt, an diesem Kampf teilzunehmen, aber ich muss euch warnen: Das wird keine Schlacht, wie ihr sie gewohnt seid. Diese Aufgabe verlangt nicht nur Kraft und Entschlossenheit, sondern auch Köpfchen. Nicht nur Mut, sondern auch List und Verschlagenheit und wahrscheinlich eine Menge Geduld.

Ich will euch nicht anlügen – es wird gefährlich. Unser Feind tritt uns nicht auf dem Schlachtfeld entgegen – er kommt von allen Seiten, kann jederzeit zuschlagen und uns das Messer in den Rücken stoßen. Wir werden verdammt wachsam sein müssen. Es wird ein Kampf auf Leben und Tod gegen einen skrupellosen Feind, dem jedes Mittel recht ist, um seine Ziele zu erreichen. Unter den Feinden sind auch ehemalige Waffenbrüder, obwohl sie das Recht verwirkt haben, sich so zu nennen, seit sie ihre Seelen an die Banditen verkauft haben, die in Londinium ihr Unwesen treiben. Wenn es zum Kampf kommt, dürfen wir keine Gnade zeigen, ist das klar?«

Am Ende des Buchs findet sich ein ausführliches Werkverzeichnis von Simon Scarrow.

DER AUTOR

Simon Scarrow wurde in Nigeria geboren und wuchs in England auf. Nach seinem Studium arbeitete er viele Jahre als Dozent für Geschichte an der Universität von Norfolk, bevor er mit dem Schreiben begann. Mittlerweile zählt er zu den wichtigsten Autoren historischer Romane. Mit seiner großen Rom-Serie und der vierbändigen Napoleon-Saga feiert Scarrow internationale Bestsellererfolge.

Besuchen Sie Simon Scarrow im Internet unter www.simonscarrow.co.uk

SIMON SCARROW

DIE EHRE ROMS

Roman

Aus dem Englischen übersetzt von Norbert Jakober

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Die Originalausgabe THE HONOUR OF ROME erschien 2021 in der Headline Publishing Group, London

Deutsche Erstausgabe 02/2023

Copyright © 2019 by Simon Scarrow

Copyright © 2023 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Dr. Rainer Schöttle

Covergestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Trevillion Images/Nik Keevil; Shutterstock.com/Planeta Vinilo

Umsetzung E-Book: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-29319-2V002

www.heyne.de

Für Jonathan Mills, dem ich meine Liebe und mein Interesse für Geschichte verdanke

PERSONEN

Centurio Macro: ein römischer Held, der sich seinen Ruhestand etwas friedlicher vorgestellt hat …

Petronella: Macros Ehefrau, die das genauso sieht

DIE MANNSCHAFT DES HANDELSSCHIFFS DELPHIN

Androcus, Hydrax, Barco, Lemulus: nervöse Seeleute auf gefährlichen Gewässern …

Parvus: Schiffsjunge mit einem Herzen wie ein Löwe

IM GASTHAUS ZUM JAGDHUND

Portia: Macros Mutter und Geschäftspartnerin. Eine Wirtin, die sich zu wehren weiß

Denubius: ihr Helfer und noch einiges mehr …

IM PROVINZHAUPTQUARTIER VON LONDINIUM

Tribun Salvius: ein junger Aristokrat, der sich auf die Rückkehr nach Rom freut

Prokurator Decianus: ein hoher Beamter, der strafweise nach Britannien versetzt wurde

Statthalter Paulinus: ein ehrgeiziger Mann, der sich einen Namen machen will, indem er Britannien endgültig befriedet

DIE BANDEN VON LONDINIUM

Malvinus: Anführer der Skorpione, dem kaum jemand sich zu widersetzen wagt

Pansa: sein Stellvertreter

Cinna: Anführer der Schwerter, der seine Bande zur mächtigsten der Stadt machen will

Naso: einer von Cinnas Gefolgsleuten, der gern wehrlose Zivilisten drangsaliert

IN DER VETERANENKOLONIE VON CAMULODUNUM

Ramirus: Lagerpräfekt, der seinen Ruhestand am liebsten mit einem guten Krug Wein genießt

Cordua: Ramirus’ Ehefrau

Tibullus: Offizier, der für einen abgelegenen Außenposten in der Nähe von Camulodunum verantwortlich ist

Laenas, Herennius, Ancus, Vibenius: Veteranen im Ruhestand, die noch ein letztes Mal in die Schlacht ziehen

Cardominus: ein einheimischer Kundschafter, der mit den Einheimischen nicht gut auskommt

Mabodugnus: ein alter Häuptling der Trinovanten

DAS ICENISCHE KÖNIGSPAAR

Prasutagus: König der Icener, der nicht mehr lange zu leben hat

Boudica: Ehefrau des Prasutagus, die unermüdlich für die Interessen ihres Stammes kämpft

BESUCHER AUS ROM

Präfekt Cato: bester Freund von Centurio Macro. Ein vorbildlicher Soldat, der nicht in Britannien sein dürfte

Claudia Acte: Catos Geliebte; ehemalige Geliebte von Kaiser Nero, der glaubt, sie wäre im Exil gestorben

Lucius: Catos Sohn

Cassius: eine wild aussehende Promenadenmischung von Hund mit treuer Seele und gesundem Appetit

DES WEITEREN

Caius Torbulo: Leiter eines Arbeitstrupps mit gutem Auge fürs Geschäft

Camillus: ein Wirt an der Straße zwischen Londinium und Camulodunum

Gracchus: der Besitzer einer Gerberei in Londinium, dem die Banden das Fell über die Ohren ziehen

KAPITEL 1

Auf der Tamesis, Britannien, im Januar 59 n. Chr.

Da kommt ein Schiff.«

Centurio Macro deutete den Fluss hinunter. Die grau melierten Locken über der Stirn wehten im kalten Wind, als er aufs Wasser hinausblickte. Alle an Bord der Delphin drehten sich um und sahen ein kleines, niedriges Schiff, das von vier Ruderern angetrieben wurde. Drei weitere Männer saßen im Heck, einer stand vorn am Bug und hielt sich an einem Seil fest. Das Fahrzeug war etwa eine Viertelmeile entfernt an einer Flussbiegung aufgetaucht und näherte sich zügig. Macro schätzte, dass es das schwerfällige Handelsschiff bald überholen würde, das seine Frau und ihn flussaufwärts nach Londinium brachte. Obwohl die Männer keine Rüstungen trugen und Macro auch keine Speere oder sonstigen Waffen erkennen konnte, kam ihm irgendetwas an diesen Leuten nicht ganz geheuer vor.

»Sind wir in Gefahr?«

Er drehte sich zu seiner Gemahlin Petronella um, einer Frau von kräftiger Statur mit ovalem Gesicht und dunklem Haar, die fast so groß wie Macro war. Sie waren schon seit einigen Jahren ein Paar, und Petronella wusste, dass sein Instinkt noch genauso scharf war wie in seiner Zeit als Centurio der Armee.

»Ich glaube nicht, aber ein bisschen Vorsicht hat noch nie geschadet, oder?«

Während er das herannahende Fahrzeug nicht aus den Augen ließ, ging er zum Kapitän des Handelsschiffes. »Auf ein Wort, Androcus.«

Der Kapitän bemerkte Macros warnenden Blick und folgte ihm nach achtern, wo das Gepäck untergebracht war. Macro zog das Ziegenfell zurück, mit dem die Sachen bedeckt waren, und öffnete die Truhe mit seiner Ausrüstung. Er nahm seinen Schwertgürtel heraus, legte ihn rasch an und rückte ihn zurecht, sodass der Schwertgriff genau an der richtigen Stelle saß. Dann griff er noch einmal in die Truhe und gab Androcus einen Reservegürtel. »Leg den an.«

Der Kapitän zögerte und blickte zu dem sich nähernden Boot. »Die sehen mir recht harmlos aus. Hältst du es wirklich für notwendig, dass wir uns bewaffnen?«

»Ich hoffe, es wird nicht nötig sein. Aber ich weiß aus Erfahrung, dass es besser ist, eine Waffe zu tragen und sie nicht zu brauchen, als umgekehrt.«

Androcus überlegte einen Augenblick, dann nahm er den Gürtel und schnallte ihn sich um die schmale Hüfte. »Und jetzt?«

»Jetzt warten wir ab, was sie tun.«

Die Sonne schien matt durch den Dunstschleier und tauchte den Fluss und die eintönige Landschaft an den Ufern in ein trübes Licht. Das platschende Geräusch, mit dem die Ruder ins Wasser eintauchten, war nun ganz deutlich zu hören. Das kleine Schiff hielt seinen Kurs und schloss keine zehn Meter entfernt zu dem größeren Handelsschiff auf. Macro sah, wie der Mann am Bug herüberschaute, als würde er nach einer sichtbaren Fracht suchen, ehe sein Blick auf Macro und Androcus fiel. Wie die anderen trug er einen Umhang, und seine Haare waren mit einem Lederband zurückgebunden.

Macro räusperte sich und spuckte über die Reling, dann hob er die Hand zum Gruß. Er öffnete seinen Umhang weit genug, dass das Schwert zu sehen war. »Hallo, Freunde. Ein kalter Nachmittag hier draußen auf dem Fluss, was?«

Der Mann am Bug nickte grinsend und murmelte eine Anweisung in der hiesigen Sprache. Die Ruderer legten eine Pause ein, und das Boot wurde sofort langsamer. »Ja, verdammt kalt«, sagte er, nun in akzentgefärbtem Latein. »Seid ihr unterwegs in die Stadt?«

»Ja«, rief Androcus zurück. »Und ihr?«

Der Mann deutete den Fluss hinauf. »Zu einem Fischerdorf zwei Meilen weiter. Wir freuen uns schon aufs Essen. Möge der Flussgott euch beschützen.«

Er tippte sich zum Abschied mit dem Finger an die Stirn und wandte sich wieder den Männern an den Rudern zu. Sie legten sich in die Riemen, und das Boot beschleunigte flussaufwärts.

Androcus stieß einen erleichterten Seufzer aus. »Also doch kein Grund zur Sorge.«

Macro sah dem Boot nach, das sich bereits der nächsten Biegung näherte. Aus dem Schilfgürtel am Ufer stieg Nebel auf, in dem das Boot wenig später verschwand. »Ich bin mir nicht so sicher. Fragst du dich nicht, warum sie an einem so kalten Winternachmittag unterwegs sind?«

»Keine Ahnung. Genauso gut könnte man mich fragen, warum ich in dieser Jahreszeit die Überfahrt aus Gallien mache.«

Macro überlegte einen Augenblick. »Das Dorf, von dem er gesprochen hat – kennst du es?«

Androcus schüttelte den Kopf. Es gibt einige Dörfer am Fluss, aber nicht so nah, wie er gesagt hat.«

»Bist du sicher?«

Der Kapitän machte ein beleidigtes Gesicht. »Ich fahre jetzt seit fünf Jahren zwischen Londinium und Gesoriacum hin und her. Ich kenne die Tamesis in- und auswendig. Du kannst mir glauben, Centurio, das nächste Dorf ist mindestens zehn Meilen entfernt. Es kann natürlich sein, dass es irgendwo eine kleine Siedlung an einem Bach gibt, der in den Fluss mündet, aber mir ist nichts davon bekannt.« Er blickte in die Richtung, in der das kleine Schiff verschwunden war. »Vielleicht hast du recht. Sehr vertrauenerweckend hat mir der Kerl nicht ausgesehen.«

»Ganz meine Rede«, betonte Macro. »Ich fürchte, es wird Ärger geben. Sicherheitshalber sollten wir nicht haltmachen, wenn es dunkel wird.«

»Wir sollen im Dunkeln den Fluss hinauffahren?« Androcus schüttelte den Kopf. »Unmöglich.«

»Hast du nicht gesagt, du kennst den Fluss?«

»Ja, bei Tageslicht.«

»Er ist in der Nacht immer noch derselbe Fluss«, hielt Macro dagegen. »Ich habe vollstes Vertrauen in deine Fähigkeiten. Du wirst das Schiff sicher in die Stadt bringen. So gehen wir diesen Leuten aus dem Weg. Was kann denn schon passieren? Wenn wir auf Grund laufen, warten wir eben auf die Flut.«

»Wenn wir auf eine Sandbank laufen, kann durch den Aufprall der Mast knicken.«

»Dann fahren wir eben langsam. Und ein geknickter Mast wäre immer noch besser, als deine Fracht, deine Männer, die Passagiere und dein Leben zu verlieren, wenn uns eine Bande von Flusspiraten angreift.«

Der Kapitän rieb sich das Kinn. »Wenn du es so siehst …«

»Genau so sehe ich es. Wir dürfen nicht anhalten.«

Macro drehte sich um und ging zu seiner Frau zurück. »Wir legen heute Abend nicht an«, sagte er mit einem beruhigenden Lächeln.

»Warum? Wegen dieser Männer?«, fragte Petronella argwöhnisch.

Er nickte. »Nur um sicherzugehen.«

»Sind sie gefährlich?«

»Wir lassen es am besten nicht darauf ankommen.« Er hielt einen Moment inne und rief Androcus zu: »Habt ihr irgendwelche Waffen an Bord?«

»Ein paar Äxte, Messer und die Belegnägel.«

»Wie sieht es mit Rüstungen aus?«

»Wir sind Seemänner, Centurio, keine Soldaten. Warum sollten wir Rüstungen an Bord haben?«

»Auch wieder wahr«, räumte Macro ein. »Sorg wenigstens dafür, dass deine Männer bewaffnet sind, und bleib wachsam. Wenn wir angegriffen werden, wird es einen blutigen Kampf geben. Piraten lassen keine Zeugen am Leben. Das heißt, wir müssen genauso skrupellos kämpfen wie sie. Verstehst du?« Er schaute zu den Matrosen, um sicherzugehen, dass sie den Ernst der Lage begriffen.

»Was ist mit mir?«, fragte Petronella.

Macro betrachtete sie nachdenklich. Obwohl sie eine Frau war, verstand sie sich zu wehren. Macro hatte mehr als einmal gesehen, wie sie einen Mann mit einem satten Faustschlag niederstreckte. Er küsste sie auf die Wange. »Versuch aber, in der Dunkelheit nicht zu viele von unseren Leuten zu töten, ja?«

Als die Wintersonne sich dem Horizont zuneigte, hielten alle an Bord Ausschau nach irgendwelchen Anzeichen einer Bedrohung von den Ufern.

»Dafür haben wir unser angenehmes Leben in Rom aufgegeben?« Petronella deutete auf die karge Landschaft. Da die Tamesis ein Gezeitenfluss war, kamen bei Ebbe breite Schlammbänke zum Vorschein. Jenseits des Schilfgürtels erstreckten sich niedrige Hügel, die von Dornbüschen und kahlen Bäumen bewachsen waren.

Petronella schüttelte den Kopf und hüllte sich in den Pelzkragen ihres Umhangs, während Macro mit den Schultern zuckte. Er hatte vor fast zwei Jahren die Armee verlassen; wenig später waren sie nach Britannien aufgebrochen, hatten dann aber mehrere Monate in Massilia haltgemacht, weil Petronella erkrankt war. Nach ihrer Genesung hatte Macro die Reise so schnell wie möglich fortsetzen wollen, auch wenn es bedeutete, die Überfahrt mitten im Winter zu machen. Als Lohn für seinen langjährigen, aufopferungsvollen Dienst hatte er nicht nur eine großzügige Prämie erhalten, sondern auch ein Stück Land in der Veteranenkolonie von Camulodunum. Beste Voraussetzungen für einen angenehmen Ruhestand, überlegte er mit einem Lächeln.

»Also, ich finde es wirklich nicht schlecht hier«, meinte er.

»Ja? Findest du?« Sie hob eine Augenbraue. »Warum will Rom diesen riesigen Sumpf unbedingt zu einer Provinz machen?«

Macro lachte, und zwischen den Falten traten die Narben hervor, die er sich im Laufe der Jahre zugezogen hatte. Er legte einen Arm um ihre Schultern und drückte sie an sich. »Du siehst das Land nicht von seiner besten Seite. Im Sommer sieht es hier ganz anders aus. Der Boden ist fruchtbar, und in den Wäldern wimmelt es von Wild. Auf den Handelswegen kommen von überall aus dem Reich Waren ins Land, die einem das Leben angenehmer machen.« Er deutete mit einem Kopfnicken auf die Weinkrüge im Laderaum. »In ein paar Jahren wird es in Britannien wie in jeder anderen Provinz sein. Du wirst schon sehen. Hab ich nicht recht, Androcus?«

Der Kapitän stand auf der erhöhten Plattform am Bug und überblickte den Fluss vor ihnen. Er drehte sich um und nickte. »Ja. Es sind mit jedem Monat mehr Schiffe zwischen Gallien und Britannien unterwegs. Und Londinium ist innerhalb weniger Jahre von einer Handelsniederlassung zu einer großen Stadt gewachsen. Im Moment geht es noch ein bisschen rau zu, aber das wird sich alles legen. Dann lebt es sich dort sicher wunderbar.«

»Hmpf«, machte Petronella skeptisch und blickte wieder zum schlammigen, nebelverhangenen Ufer.

Macro runzelte die Stirn. Er hatte das ungute Gefühl, dass er es mit allem, was er sagte, nur noch schlimmer machen würde. So war das nun einmal mit den Frauen, dachte er. Wenn man ihre Gedanken nicht erraten und ihnen sagen konnte, was sie gern hörten, war es besser, den Mund zu halten. Das Problem war nur, dass man sich dann sehr leicht den Vorwurf einhandelte, ein unsensibler Klotz zu sein. Bei all seiner Erfahrung auf dem Schlachtfeld musste Macro akzeptieren, dass es in diesen Dingen keine Erfolg versprechende Strategie gab. In der Ehe stand man als Mann meist auf verlorenem Posten und konnte nicht viel mehr tun, als sich in die Ecke zurückzuziehen und die Niederlage mit Würde und Gelassenheit zu ertragen.

Der Kapitän blickte zu dem Wolkenband auf, das von Osten heraufzog. »Hoffentlich ist das kein Schnee.«

Macro folgte seinem Blick und nickte. In einer Stunde würde es dunkel sein; er freute sich nicht auf eine weitere eisige Nacht auf dem Schiff.

»Was erwartet dich in Londinium?«, fragte Androcus. »Ein Posten in einer der Legionen, nehme ich an?«

Macro schüttelte den Kopf. »Das Soldatenleben habe ich hinter mir. Meine Frau und ich wollen ein bisschen Geld verdienen und uns einen schönen Ruhestand machen. Mir gehört die Hälfte eines Gasthauses. Meine Mutter führt es schon seit einigen Jahren.«

»Wirklich? Vielleicht kenne ich es ja.«

»Das Gasthaus zum Jagdhund. In bester Lage, nicht weit vom Fluss. Sie schreibt, das Geschäft geht prima.«

»Jagdhund … nein, sagt mir nichts. Aber ich bin nie lange in der Stadt. Ich lade meine Fracht ab und nehme eine neue Ladung an Bord, dann geht es schon wieder zurück nach Gallien. Meistens trinke ich einen Schluck in einer Schenke im Hafen.«

»Wenn du uns mal besuchen willst, geht der erste Krug aufs Haus«, bot Macro an.

»Danke, Herr, sehr freundlich«, lächelte Androcus. »Darauf komme ich gern zurück.«

Beide Männer fuhren herum, als sich im Uferschilf etwas bewegte. Im nächsten Augenblick erhob sich ein aufgescheuchter Reiher in die Luft und flog übers Wasser. Die beiden Männer lächelten erleichtert und blieben wachsam.

Mit der Dunkelheit wurde es spürbar kälter. Androcus ließ das Segel reffen, um das Schiff zu verlangsamen. Die Delphin glitt in der Mitte des breiten Flusses stromaufwärts. Für Macros Geschmack kamen sie viel zu langsam voran, und er verfluchte Androcus wegen seiner übertriebenen Vorsicht. Doch es war sein Schiff, und Macro würde sich hüten, dem Kapitän zu sagen, wie er seine Arbeit zu tun hatte. Er beschränkte sich ganz darauf, nach Anzeichen einer Bedrohung Ausschau zu halten. Macro wusste, dass es im Falle eines Kampfes vor allem auf ihn ankommen würde, da er der einzige ausgebildete Kämpfer an Bord war. Er glaubte nicht, dass die Mannschaft imstande war, es mit skrupellosen Flusspiraten aufzunehmen.

Petronella stand hinter ihm und wog prüfend einen Belegnagel in der Hand. Macro nahm sie in die Arme und flüsterte ihr ins Ohr: »Falls es schlecht ausgehen sollte, versuch irgendwie davonzukommen. Und wenn du über Bord springen und schwimmen musst. Schlag dich nach Londinium durch, zum Gasthaus meiner Mutter. Sie wird sich um dich kümmern.«

Dann verstummten sie und hielten so wie der Kapitän und seine Mannschaft Ausschau nach dem kleinen Schiff, das sie vor zwei Stunden überholt hatte.

»Seht, dort.« Macro deutete zum Südufer, wo zwei schattenhafte Gestalten aus dem Gebüsch kamen und auf einen kleinen Hügel stiegen, von dem man den Fluss überblickte. Sie spähten auf das Handelsschiff herunter, dann liefen sie zurück und verschwanden zwischen den Büschen.

»Was haben die vor?«, sinnierte Androcus.

»Die wollten wissen, wo wir sind. Falls es eine Möglichkeit gibt, diesen Kahn ein bisschen schneller voranzubringen, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt dafür.«

Der Kapitän hob eine Hand und schüttelte den Kopf. »Es ist fast windstill. Im Moment treiben wir mit der Flut – und die hilft diesen Piraten mehr als uns, weil sie leichter sind.«

Die Angst in seiner Stimme war nicht zu überhören. Macro fasste ihn an den Schultern und redete leise auf ihn ein. »Hör zu, wenn es zum Kampf kommt, blickt die Mannschaft auf ihren Kapitän. Du bist es, an dem sie sich orientieren. Also atme tief durch und reiß dich zusammen, Androcus.« Er tätschelte ihm beruhigend den Arm. »Außerdem hast du auch noch mich, und ich habe mehr Schlachten erlebt als die meisten. Mit solchen dahergelaufenen Banditen nehme ich es immer noch auf. Also bleib ruhig, dann werden wir sicher nach Londinium kommen. Alles klar?«

»J-ja.« Der Kapitän räusperte sich. »Ich werde meine Pflicht tun.«

»Das freut mich.« Macro lachte aufmunternd. »Im Moment hilfst du uns am meisten, wenn du uns so schnell wie möglich den Fluss hinaufbringst.«

Androcus wandte sich an seine Männer, die sich auf der dem Südufer zugewandten Seite versammelt hatten, um nach den Piraten Ausschau zu halten. Er gab den Befehl, das Segel zu setzen. Augenblicke später hörte man das Rascheln von Leder, dann blähte sich das Segel im Wind. Macro schaute zu beiden Ufern und stellte fest, dass sie etwas schneller vorwärtskamen. Über ihnen näherten sich schwere Wolken von Osten, die Regen, vielleicht sogar Schnee bringen würden. Wenn sie Glück hatten, würde es das Wetter den Piraten schwerer machen, sie im Dunkeln zu finden. Andererseits konnte ein feindliches Boot bei diesen Bedingungen leichter unbemerkt herankommen. Angesichts der unsicheren Lage beschloss Macro, die Mannschaft einzuschwören, solange noch Zeit war, klar zu denken.

»Burschen, ich muss mit euch reden«, sagte er laut genug, dass alle ihn hören konnten. »Diese Piraten halten die Delphin bestimmt für ein Handelsschiff wie jedes andere, mit einer Mannschaft, die sich leicht überwältigen lässt. Sie setzen darauf, dass die Angst uns daran hindert, uns zu wehren. Das ist ihre größte Waffe. Darum müssen wir ihnen zeigen, dass wir keine Angst haben. Wenn sie angreifen, müssen wir ihnen von Anfang an klarmachen, dass sie hier an der falschen Adresse sind. Wir werden sie nicht erst bekämpfen, wenn sie an Bord sind. Sucht euch schwere Gegenstände, mit denen ihr sie unter Beschuss nehmen könnt, sobald sie nahe genug herankommen. Und wenn sie versuchen, an Bord zu kommen, empfangen wir sie an der Reling und dreschen mit allem, was wir haben, auf sie ein, bevor sie auch nur einen Fuß auf das Schiff setzen können. Falls einer von euch lieber weglaufen will – vergesst nicht, dass es hier nichts gibt, wo wir uns verstecken können. Das heißt, wir schlagen sie zurück oder gehen im Kampf unter. Alles klar?«

Er wartete einen Augenblick und musterte die dunklen Gestalten ringsum. Der Schiffsjunge stand noch an der Ruderpinne. Macro rief sich in Erinnerung, was er auf der kurzen Überfahrt von Gallien über die Besatzung erfahren hatte. Neben dem Kapitän gab es den Bootsmann Hydrax, einen gut gelaunten, stämmigen Kerl und fähigen Seemann. Er trug eine Axt in seinem breiten Ledergürtel. Neben ihm standen die beiden Matrosen Barco und Lemulus, die die beiden Passagiere sehr freundlich behandelt hatten. Barco hatte sich mit einem Bootshaken bewaffnet, Lemulus mit einem hölzernen Belegnagel. Der Kapitän trug Macros Reserveschwert und hatte eine Hand am Griff. Jetzt erst wurde Macro bewusst, dass er nicht wusste, wie der Schiffsjunge hieß. Er war zwölf oder dreizehn und hatte während der ganzen Überfahrt kein Wort gesprochen.

»Junge«, rief Macro ihm zu. »Hast du eine Waffe?«

Der Schatten im Heck griff mit der freien Hand an seine Seite. Es folgte ein dumpfes Raspeln, dann hob er die Hand, in der er einen Dolch hielt.

»Gut«, lobte Macro. »Dann wissen wir alle, was wir zu tun haben.«

»Was ist mit deiner Frau?«, fragte Androcus.

»Ich schneide ihnen die Eier ab«, knurrte Petronella drohend. Zufrieden registrierte Macro, dass die anderen über ihre Bemerkung lachten. Sie waren offensichtlich bereit, das Schiff und ihr Leben zu verteidigen; mehr konnte man von einem Haufen Zivilisten nicht erwarten.

Etwas streifte seine Stirn. Er blickte auf und sah feine Flocken aus der Dunkelheit fallen. Schnee, kein Regen. Die Flocken wurden größer und dichter und legten sich auf das Deck und die Umhänge derer, die im Dunkeln nach Anzeichen einer Bedrohung suchten. Macro schirmte die Augen gegen Schnee und Wind ab, während er aufs Wasser hinausblickte.

»Siehst du etwas?«, fragte Petronella.

»Nicht viel, aber den anderen geht es genauso.«

Der Schneefall dämpfte die Geräusche rund um das Schiff. Bald waren auch die Ufer nicht mehr zu erkennen, sodass es sich anfühlte, als treibe das Schiff, von der Welt abgeschnitten, ziel- und orientierungslos dahin.

»Wir müssen das Segel einholen«, sagte Androcus. »Wir segeln völlig blind. Wenn wir jetzt auf Grund laufen, verlieren wir einen Mast, wenn nicht das ganze Schiff und die Ladung.«

»Halte den Kurs«, erwiderte Macro entschieden. »Nur noch eine Weile, bis sich der Schneesturm legt.«

»Der legt sich nicht so schnell. Es ist zu gefährlich.«

Der Kapitän wandte sich seinen Männern zu und wollte ihnen ein Kommando zurufen, als der Schneesturm nachließ und sie die Ufer wieder sehen konnten. Mehr durch Glück als durch seemännisches Geschick fuhr die Delphin immer noch in der Mitte des Flusses. Es bestand im Moment nicht die geringste Gefahr, dass das Schiff auf Grund laufen könnte, wie Androcus befürchtet hatte. Vor ihnen zog das dunkle Band des Schneesturms rasch weiter.

Plötzlich tauchten die dunklen Umrisse des Piratenbootes aus dem Schnee auf. Die Mannschaft ruderte aus Leibeskräften, während ihr Anführer sie antrieb, sich ihre Beute zu holen.

KAPITEL 2

Da kommen sie!«, rief Macro, und die gesamte Mannschaft schaute in die Richtung, in die er deutete. Es war sofort klar, dass es kein Entkommen gab. Das Piratenboot würde direkt vor ihrem Bug vorbeilaufen.

Macro drehte sich zur Mannschaft um und musterte die Gesichter im schwachen Lichtschein des Schnees, der sich auf das Deck gelegt hatte und die Segel mit feinen weißen Linien vor dem Nachthimmel hervorhob. Zufrieden registrierte er, dass Androcus und seine Männer nun gar nicht mehr so ängstlich wirkten. Ihre Gesichter hatten vielmehr einen grimmigen Ausdruck; sie hatten die Tatsache akzeptiert, dass der Kampf unvermeidlich war. Petronellas Gesicht war furchterregend. Sie hatte den Kopf leicht gesenkt, biss die Zähne zusammen, und ihre dunklen Augen funkelten drohend.

»So kenne ich meine Dame«, lächelte Macro. »Verpass den Bastarden eine Tracht Prügel, die sie nicht vergessen werden.«

Sie schnaubte abschätzig. »Die werden nicht lange genug leben, um irgendwas vergessen zu können.«

Macro nickte und wandte sich wieder den herannahenden Piraten zu. Ihr Boot lief ein Stück vor der Delphin, doch sie machten keine Anstalten, direkten Kurs auf das Handelsschiff zu nehmen.

»Die Chancen sind ausgeglichen«, sagte Macro zu den Seeleuten. »Und sie müssen erst einmal an Bord kommen. Dadurch sind wir im Vorteil. Wir müssen nur die Nerven bewahren und sie daran hindern, aufs Schiff zu kommen. Sobald wir ein paar von ihnen töten oder verwunden, wird sie der Mut verlassen, und sie werden Reißaus nehmen. Alles klar, Jungs?«

Androcus und die anderen nickten unsicher.

Macro reckte sein Schwert in die Höhe. »Dann geben wir ihnen etwas, das ihnen Angst machen wird.«

Er holte tief Luft, dann brüllte er: »Für die Delphin!«

Sein Kriegsruf vermochte die anderen nicht mitzureißen. »Los, Burschen! Ich will es von euch hören! Delphin! Delphin!«

Endlich stimmten sie mit ein, zögernd zuerst, dann immer lauter und entschlossener, und schwenkten dabei drohend ihre Waffen. Die Männer im Boot blickten erstaunt herüber, bis ihr Anführer sie aufforderte, weiterzurudern und das größere Schiff zu überholen.

Macro ging zum Bug, um das Piratenboot im Auge zu behalten. »Die werden uns jeden Moment den Weg abschneiden.«

Das Boot behielt jedoch seinen Kurs bei und passte seine Geschwindigkeit dem Handelsschiff an.

»Worauf warten sie?«, fragte Androcus.

Macro spähte voraus und überlegte einen Augenblick. »Keine Ahnung. Oder vielleicht …«

Er stieg auf die kleine Plattform am Bug, schaute in die Dunkelheit und lauschte angestrengt. Alles, was er hörte, war das leise Knirschen der Takelage und das gedämpfte Platschen der Ruder vor ihnen. Dann hörte er von links einen Ruf aus dem Dunkeln, auf den eine Stimme aus dem Piratenboot antwortete. Macro spürte eine eisige Faust in der Magengrube. Nun war ihm klar, was die Piraten vorhatten. Das erste Boot würde warten, bis das zweite in der richtigen Position war, dann würden sie das Handelsschiff von beiden Seiten angreifen. Macro hatte den Abwehrkampf anführen wollen, doch nun musste er seine winzige Truppe aufteilen und Androcus das Kommando über die eine Hälfte überlassen. Er war sich nicht sicher, ob der Kapitän das Herz für einen solchen Kampf besaß.

»Hör zu, Androcus«, begann er ganz ruhig. »Du verteidigst mit zwei Männern die Backbordseite. Hydrax kann mit mir und meiner Frau kämpfen.«

»Und der Junge?«

Macro blickte zu der schmächtigen Gestalt an der Ruderpinne. »Sag ihm, er soll an seinem Platz bleiben und das Schiff auf Kurs halten. Im Kampf wird er uns kaum wirklich helfen können. Gib ihm trotzdem ein Messer, für alle Fälle. Vielleicht kann er es brauchen.«

»Wenn du es sagst«, murmelte Androcus widerstrebend.

Macro fasste ihn am Arm. »Vergiss nicht, das ist ein Kampf auf Leben und Tod. Wenn wir sie nicht zurückschlagen, bringen sie uns alle um. Piraten können keine Zeugen gebrauchen.«

Der Kapitän nickte. Macro ließ ihn los, und der Mann ging nach achtern.

»Glaubst du, wir können uns auf ihn verlassen?«, fragte Petronella leise.

»Was bleibt uns anderes übrig?« Macro zwang sich zu einem Lächeln. »Bist du bereit?«

»Hmpf.«

Die zwei Kampftrupps nahmen ihre Plätze auf beiden Seiten des Schiffes ein und beobachteten, wie das zweite Boot sich gegen die Strömung näherte. Die Anführer der Piratenboote tauschten kurze Zurufe aus, dann schwenkten beide Fahrzeuge zur Delphin und kamen flussabwärts auf das Schiff zu. Macro zog sein Schwert und testete seinen Griff in der eiskalten Luft, um sicherzugehen, dass seine Finger geschmeidig waren.

Als das erste Boot anrückte, sah er zwischen den Ruderern eine Gestalt mit angelegtem Bogen in den Händen. Im nächsten Augenblick surrte ein Pfeil über sie hinweg; Hydrax zuckte zusammen und duckte sich rasch. Ein zweiter Pfeil bohrte sich mit einem splitternden Geräusch in die Schiffswand. Dann umkurvte das Boot den Bug und trieb längsseits weiter. Augenblicke später flog ein Enterhaken über die Reling, landete auf dem Deck und wurde sofort angezogen, sodass er sich im Holz der Bordwand festkrallte.

Macro hob sein Schwert, um das dünne Seil zu durchtrennen, das sich über die Reling spannte, doch es verrutschte im letzten Moment, sodass die Klinge sich ins Holz schnitt. Er zog sie heraus, als bereits der erste Pirat von zwei Kameraden hochgehoben wurde und sich über die Reling schwang. Geschickt landete er an Deck, eine kurze Axt in der einen Hand, einen Dolch in der anderen. Auf der anderen Seite stieß das zweite Boot mit dumpfem Krachen gegen die Bordwand. Die Piraten stießen einen triumphierenden Schrei aus, doch Macro hatte keine Zeit, sich nach ihnen umzudrehen, sondern ging sofort auf den ersten Feind auf dem Schiff los. Tief geduckt schwang der Mann seine Axt, doch Macro war schon bei ihm, rammte dem leichteren Mann die Schulter gegen das Kinn und warf ihn zu Boden. Bevor der Pirat auch nur Atem holen konnte, stieß Macro ihm sein kurzes Schwert in den Hals, drehte es hin und her und zog es heraus, um sich dem nächsten Angreifer zuzuwenden.

Ein Pirat sprang zwischen Macro und Petronella über die Reling, während der nächste vor Hydrax auftauchte. Macro wollte auf die Angreifer losgehen, als sich eine Hand um seinen Fußknöchel schloss. Der Pirat, den er schwer verwundet hatte, kroch röchelnd übers Deck, während das Blut aus seinem Hals pulsierte und sich über die schneebedeckten Planken ergoss. Er hatte seine Axt verloren, doch den Dolch hielt er noch in der Hand und stieß zu. Die Spitze schnitt sich in Macros Hose und verursachte eine oberflächliche Wunde. Macro versetzte ihm einen Tritt gegen den Kopf, riss sich aus dem Griff des Verwundeten los und eilte Petronella zu Hilfe. Sie rang mit einem kleineren Mann, knallte ihm den Belegnagel auf den Hinterkopf, ließ einen Kopfstoß gegen seine Nase folgen und biss ihm in die Wange. Der Pirat schrie auf und holte aus, um mit der Faust zuzuschlagen, in der er eine Axt hielt.

»Du wirst meiner Frau nichts tun!«, brüllte Macro, packte den Mann an der Hand und riss sie so heftig zurück, dass die Axt gegen den Rücken des Piraten knallte und ihm den Atem nahm. Dann rammte er dem Mann das Schwert in die Seite und schleuderte ihn gegen die Reling. Petronella eilte hinzu und warf den Piraten über Bord.

Ihnen blieb keine Zeit, den Triumph auszukosten. Macro sah, wie Hydrax von einem Hieb mit einem nagelgespickten Knüppel auf die Knie geworfen wurde. Der Angreifer spürte die Gefahr von hinten und warf einen Blick über die Schulter zurück, als Macro an Petronella vorbeieilte und auf ihn losging. Der Pirat fuhr herum, schwang seinen Knüppel und schlug Macro das Schwert aus den klammen Fingern. Die Lippen des Piraten krümmten sich zu einem triumphierenden Grinsen, als er erneut ausholte. Im nächsten Augenblick verzerrte sich sein Gesicht vor Schmerz, als Hydrax ihm seinen Belegnagel gegen das Knie hämmerte. Während der Mann zur Seite taumelte, sprang Macro zu ihm und versetzte ihm einen mächtigen Schwinger. Der Pirat sackte zu Boden und blieb liegen.

»Macro! Hilfe!«

Macro schaute sich um und sah, wie ein Angreifer Petronella von hinten an den Haaren packte und zu sich zog. Macro schnappte sich den Knüppel des Piraten und versetzte dem Angreifer einen Hieb gegen den Ellbogen. Als der Mann sie losließ, packte Petronella ihn mit einem wütenden Schrei am Hals und stieß ihn gegen die Reling. Sie setzte nach, rammte ihm die Faust in die Nase und stieß ihn mit der anderen Hand über Bord. Er landete im Piratenboot und blieb stöhnend liegen.

Die drei Piraten, die sich anschickten, an Bord zu klettern, zögerten einen Augenblick. Macro nutzte die Gelegenheit, ließ den Knüppel fallen, hob die Axt des ersten Angreifers auf und hackte auf das Enterseil ein, das sich straff über die Reling spannte. Mit dem dritten Hieb durchtrennte er es, und das Piratenboot löste sich mit einem Ruck von der Bordwand der Delphin.

Schwer atmend drehte Macro sich um und blickte zur anderen Seite, wo Androcus und einer seiner Männer sich verzweifelt dem feindlichen Ansturm entgegenstemmten. Der Kapitän stand mit dem Rücken zum Schiffsmast und setzte sich gegen zwei mit Schwertern bewaffnete Angreifer zur Wehr. Als Macro ihm zu Hilfe eilte, sah er, dass einer der Piraten zu einer Finte ansetzte. Androcus wandte sich ihm zu, um den Angriff abzublocken, worauf der zweite Pirat ihm das Schwert in die Seite stieß. Der Kapitän sank auf die Knie, sein Schwert fiel in den Schnee, als die Piraten auf ihn zugingen, um ihr blutiges Werk zu vollenden.

Macro hob die Axt und schleuderte sie dem nächststehenden Angreifer in den Rücken. Mit einem tiefen Stöhnen taumelte der Mann nach vorn, und Macro nutzte die Gelegenheit, um das Schwert des Kapitäns aufzuheben. Dann versetzte er dem Piraten einen Stoß, sodass dieser mit dem anderen zusammenprallte. Macro setzte nach und hieb mit dem Schwert auf den Schädel des Piraten ein. Zitternd und zuckend sackte der Getroffene auf die Knie. Macro stieß ihn zur Seite und ging auf den zweiten Piraten los, der einen Schritt zurückwich und den Centurio argwöhnisch beäugte.

»Na, was ist?«, knurrte Macro. »Keine Lust auf einen ehrlichen Kampf?«

Plötzlich hellte sich die Nacht auf, als wäre das Schiff von einem Blitz getroffen worden, und ein grelles Licht blendete ihn. Er hörte Petronella seinen Namen rufen, dann krachte etwas gegen seinen Körper und streckte ihn nieder. Als das Licht erlosch, spürte er den Schnee an der Wange und konnte nicht mehr atmen. Er sah dunkle Gestalten, dann sprang eine kleinere Gestalt in sein Sichtfeld. Metall klirrte, Männer grunzten und stöhnten, dann fiel jemand auf Macros Beine. Er spürte heißen Atem an seinem Arm, der Mann atmete noch einige Sekunden, dann rührte er sich nicht mehr.

»Macro …«

Jemand hielt seinen Kopf, und er sah Petronella über sich im kalten Licht der Sterne, die nun am wolkenlosen Himmel zu sehen waren. Jeder Atemzug war eine Qual, er brachte nur ein heiseres Flüstern zustande. »Macht sie fertig …«

Hinter ihr sah er zwei Gestalten: einen Mann mit erhobenen Armen, um seinen Kopf zu schützen, und die kleinere Gestalt, die mit einer Axt auf einen Gegner einhieb. Petronella stützte Macros Kopf mit einer Hand und blickte sich mit dem Knüppel in der Hand um, dann legte sie die Waffe weg. »Es ist vorbei. Sie geben auf.«

Immer noch benommen, versuchte Macro die Situation zu erfassen. Er kämpfte gegen die Übelkeit an, die in ihm aufstieg.

»Warte, ich helfe dir auf.« Petronella zog den Toten von Macros Beinen herunter. Dann fasste sie ihren Mann unter den Armen und hob ihn mit einem stillen Fluch auf die Beine. Macro hielt sich an der Reling fest und blickte aufs Wasser hinaus, wo die zwei Boote das Südufer ansteuerten, mit den überlebenden Piraten an den Rudern. Dann schaute er sich auf dem Schiffsdeck um.

Hydrax saß auf der Steuerplattform und hielt sich den Kopf. Barco lag reglos da, sein Schädel von einem Axthieb gespalten. Lemulus stand vor der Leiche eines Piraten, den er getötet hatte. Androcus lehnte schwer atmend am Schiffsmast und drückte eine Hand auf die Wunde in der Seite. Der Schiffsjunge hockte an die Reling gelehnt, wiegte den Oberkörper vor und zurück, eine Hand auf einer Wunde am anderen Arm. Fünf Piraten lagen auf dem Deck, zwei davon stöhnten und bewegten sich noch, die anderen rührten sich nicht mehr. Macro erinnerte sich wieder an die kleine Gestalt, die den Piraten angegriffen hatte, der drauf und dran gewesen war, ihm den Rest zu geben. Er räusperte sich, beugte sich vor und tätschelte dem Jungen die Schulter.

»Danke, mein junger Freund. Ich schulde dir was.«

Der Junge blickte mit einem schüchternen Lächeln auf, dann verzog er das Gesicht und schaute auf seinen Arm hinunter.

»Lass mal sehen.« Macro nahm die Hand des Jungen von der Wunde, aus der sofort Blut über seinen Arm rann und in den Schnee tropfte. Der Schnitt war gut zehn Zentimeter lang, schien aber nicht allzu tief zu sein. Macro drückte die Hand des Jungen wieder auf die Wunde. »Es brennt höllisch, stimmt’s? Aber es wird wieder gut, glaub mir.«

Petronella hatte einem der toten Piraten den Umhang abgenommen und schnitt ihn mit einem Dolch in Streifen, die sie zum Verbinden der Wunden benötigten. Als Erstem legte sie dem Schiffsjungen einen Verband an, dann kümmerte sie sich um Androcus.

»Nimm den Gürtel ab und heb die Tunika«, forderte sie ihn auf.

Als er zögerte, schnalzte sie ungeduldig mit der Zunge. »Kein Grund, dich zu genieren, Kapitän. Ich habe schon ganz andere Dinge gesehen.«

Androcus hob die Tunika, und Petronella untersuchte die Wunde. Das Schwert des Piraten hatte den Oberkörper knapp unterhalb der Rippen durchbohrt, aber wahrscheinlich keine Organe verletzt.

»Sieht nicht schön aus«, murmelte sie.

»Werde ich sterben?«

»Jeder stirbt einmal. Aber ich glaube nicht, dass dein Tag schon gekommen ist. Vorausgesetzt, es kommt kein Wundbrand dazu. Jetzt verbinden wir dich erst einmal. In Londinium kannst du es von einem Wundarzt der Garnison behandeln lassen. Achtung, das wird jetzt ein bisschen wehtun.«

Sie knüllte etwas Wolle zusammen und drückte sie auf die Wunde. Der Kapitän biss die Zähne zusammen und zischte.

»Halt es da.« Sie schnitt einen breiten Streifen vom Umhang, verband die Wunde und ging zu Hydrax weiter.

»Eine tapfere Frau hast du, Centurio«, meinte Androcus bewundernd. »Sie kämpft wie eine Löwin und kennt sich auch noch mit Wunden aus. Hat sie zufällig eine Schwester?«

»Nein. Ich weiß sehr gut, was ich an ihr habe, und gebe sie sicher nicht wieder her.« Macro grinste und deutete auf den Schiffsjungen. »Wie heißt der Bursche?«

»Er hat keinen Namen. Ich habe ihn halb verhungert im Hafen von Gesoriacum gefunden. Er hat nicht geredet – dann hab ich herausgefunden, warum. Jemand hat ihm die Zunge herausgeschnitten. Er war Sklave. Ob er weggelaufen ist oder sein Herr ihn ausgesetzt hat, kann er uns nicht mehr sagen. Nachdem ich ihn etwas aufgepäppelt hatte, habe ich ihm leichte Arbeiten auf dem Schiff übertragen. Wie du gesehen hast, überlasse ich ihm in ruhigeren Gewässern auch mal das Steuer. Mehr kann er nicht tun.«

»Immerhin hat er mir das Leben gerettet.«

»Ich hab’s gesehen. Das hätte ich ihm nie zugetraut«, sinnierte Androcus. »Tapferer Junge.«

Der Wind drehte, und das Segel blähte sich. Androcus machte zwei Schritte zum Steuerruder, dann blieb er stöhnend stehend und drückte die Hand auf die Wunde.

»Setz dich hin«, befahl Macro und wandte sich an den Bootsmann. »Hydrax, übernimm du das Kommando. Bring uns hier weg, bevor diese Piraten auf die Idee kommen, es noch einmal zu versuchen.«

Hydrax schaute zum Kapitän, der zustimmend brummte, ehe er sich auf den Boden sinken ließ und die Zähne zusammenbiss, als die Schmerzen wieder stärker wurden. Der Bootsmann wandte sich an den Schiffsjungen. »Kannst du das Ruder übernehmen?«

Der Junge blickte auf und nickte, rappelte sich auf und ging nach achtern. Den verletzten Arm vor der Brust, hielt er die Ruderpinne mit der anderen Hand. Lemulus war immer noch benommen von dem blutigen Kampf, und Hydrax schüttelte ihn, bis der Matrose zu sich kam und sich um das Segel kümmerte.

»Kann ich irgendwas tun?«, fragte Macro.

»Du hilfst uns am meisten, wenn du und deine Frau uns nicht in die Quere kommt«, meinte Hydrax. »Jetzt müssen wieder die Seeleute ran.« Als ihm bewusst wurde, wie das für Macro klingen musste, senkte er entschuldigend den Kopf. »Was ich sagen will – du hast schon genug getan, Herr. Ohne dich wären wir alle tot.«

»Gut, wenn du es so siehst«, sagte Macro lachend.

Er führte Petronella nach achtern und ließ sich von ihr das Bein verbinden. Als sie fertig war, stand sie einen Augenblick da und betrachtete ihn im Sternenlicht.

»Wie geht’s deinem Kopf?«

»War nur ein kleiner Schlag, nicht mehr.«

»Für mich hat es gar nicht so harmlos ausgesehen. Lass mal sehen.«

Bevor er etwas sagen konnte, tastete sie vorsichtig seinen Kopf ab, bis sie die blutige Stelle fand.

Macro zuckte zusammen. »Vorsicht, eine Kopfwunde reicht mir.«

»Armer Junge«, spottete sie, schnitt einen weiteren Stoffstreifen zurecht und verband ihm den Kopf. »So, das hätten wir. Das stillt wenigstens die Blutung. Sobald es hell wird, sehe ich es mir noch einmal an.«

Sie schaute zum Ufer und versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. »Glaubst du, sie kommen wieder?«, fragte sie leise.

»Glaub ich nicht. Einen solchen Widerstand sind sie bestimmt nicht gewohnt. Wahrscheinlich ziehen sie sich erst einmal zurück, lecken ihre Wunden und betrauern ihre Toten, bevor sie nach leichterer Beute Ausschau halten. Da wir gerade von Toten reden …«

Macro griff nach seinem Schwert, schnitt den beiden verwundeten Piraten die Kehle durch und warf sie ebenso ins Wasser wie die drei Toten. Platschend tauchten sie in den Fluss ein und verschwanden in der Tiefe. Er rieb sich die Hände, um seine klammen Finger zu wärmen, und behielt den Fluss und die Umgebung im Auge, während das Schiff stromaufwärts Richtung Londinium fuhr.

Eine Stunde später zog von Osten das nächste Wolkenband heran und brachte frischen Schnee, der das Blut und die übrigen Spuren des Kampfes zudeckte. Barcos Leichnam mit dem gespaltenen Schädel lag bald unter einer blütenweißen Schneedecke.

Das erste Licht der Morgendämmerung machte es leichter, das Schiff auf Kurs zu halten. Von den Piraten war nichts mehr zu sehen, doch die ersten Handelsschiffe waren bereits unterwegs.

»So habe ich mir den friedlichen Ruhestand nicht vorgestellt«, murmelte Macro.

KAPITEL 3

Londinium gehörte zu jenen Grenzstädten, die man riechen konnte, bevor man sie sah. Der Gestank hatte verschiedene Ursachen: Abwasser, Rauch, Gerbereien und die Ausdünstungen von Tieren und den Menschen, die sie hielten. Die Geruchsmischung wehte die Tamesis hinunter, deren natürliche schlammige Farbe wenigstens das scheußliche Braun der Abwässer verbarg, die an verschiedenen Stellen in den Fluss geleitet wurden.

Androcus deutete auf den Rauchschleier, der sich über weite Teile des Horizonts erstreckte und den klaren blauen Himmel verdeckte. Der Rauch bildete einen unschönen Kontrast zur strahlend weißen Schneedecke, unter der die Landschaft zu beiden Seiten des dunklen Wassers der Tamesis lag. Der Kapitän der Delphin hatte den Jungen an der Ruderpinne abgelöst; Letzterer hatte sich unter ein paar alten Umhängen verkrochen und schlief tief und fest. »Noch zwei Biegungen, dann sind wir da. Noch nie war ich so froh, den Hafen am Ende der Fahrt zu erreichen«, gestand Androcus freimütig.

Petronella hatte sich die Wunden der Männer noch einmal angesehen, sobald es hell geworden war, und ihnen frische Verbände angelegt. Hydrax saß mit überkreuzten Beinen an Deck und nähte die beiden Umhänge zusammen, die als Leichensack für Barco dienten. Lemulus hatte die wenigen Habseligkeiten des toten Matrosen in einem Korb gesammelt, um sie seiner Familie zu überbringen, wenn das Schiff nach Gesoriacum zurückkehrte.

»Was passiert mit dem Leichnam?«, fragte Macro.

»Es gibt einen Hügel außerhalb von Londinium, wo sie die Toten einäschern. Die Asche nehmen wir mit, wenn wir nach Gallien zurückfahren. Aber zuerst brauche ich zwei neue Matrosen. Einen als Ersatz für Barco, den anderen als Aushilfe, bis ich wieder voll einsatzfähig bin.«

»Was ist mit dem Jungen?«, fragte Petronella. »Er braucht ein bisschen Zeit, damit seine Wunde gut verheilen kann. Mit einem Arm kann er fürs Erste nicht viel machen.«

Androcus nickte und überlegte einen Augenblick. »Vielleicht ist es Zeit, mich von ihm zu trennen. Ich kann es mir nicht leisten, ihn durchzufüttern, wenn er nicht arbeiten kann.«

»Ich glaube schon, dass du es dir leisten kannst«, widersprach Macro. »Wenn man bedenkt, was wir für die Überfahrt bezahlt haben und was du für die Ladung bekommst.«

»Na schön, ich könnte es mir leisten, aber ich werde ihn trotzdem nicht behalten, wenn er nicht richtig arbeiten kann. Ich bin Geschäftsmann, Centurio.« Die Lippen des Kapitäns krümmten sich zu einem verschlagenen Lächeln. »Wenn dir so viel an ihm liegt, kannst du ihn ja behalten.«

Macro hielt nichts von solchen Spielchen und wollte herausfinden, ob der andere nur bluffte. »Gut, wir nehmen ihn mit.«

Petronella hob überrascht eine Braue. »Wirklich?«

Macro warf ihr einen warnenden Blick zu, während der Kapitän einen Moment lang sprachlos war. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet. Dann schluckte er, richtete sich auf und zuckte vor Schmerz zusammen. Er sog den Atem zwischen den Zähnen ein. »Wenn ich sage, du kannst ihn behalten, dann meine ich natürlich, zu einem angemessenen Preis. Er ist jung und hat noch viele gute Jahre vor sich. Wenn er ordentlich isst und tüchtig arbeitet, wird er sicher groß und kräftig. Das Geld ist gut angelegt.«

»Wolltest du ihn nicht eben noch wegschicken?«

»Das habe ich nur so dahingesagt.« Androcus zwang sich zu einem Lächeln. »Also wirklich, Centurio, du hast doch nicht etwa geglaubt, dass ich den Jungen einfach so vor die Tür setze? Er gehört ja gewissermaßen zur Familie.«

Petronella schnaubte verächtlich. »Zu so einer Familie möchte ich nicht gehören.«

»Das sehe ich auch so«, bekräftigte Macro. »Ich glaube, wir tun dem Kapitän einen Gefallen, wenn wir ihm den Jungen abnehmen.«

»Na, hör mal«, protestierte Androcus. »Er ist mein Schiffsjunge. Das heißt, es ist immer noch meine Entscheidung, was mit ihm passiert.«

»Wie viel?«, fragte Macro knapp.

Der Kapitän kniff die Augen zusammen. Er wusste, dass Macro seinen ehrenhaften Abschied aus der Armee genommen hatte und mit einer hübschen Summe in den Ruhestand entlassen worden war. »Wenn man bedenkt, was in dem Jungen steckt, wird man ihn bestimmt gut verkaufen können. Ich würde sagen, zweihundert Denare sind angemessen.«

»Quatsch. Er hat keine Zunge mehr und kann nur für körperliche Arbeit eingesetzt werden. Ich nehme ihn dir für fünfzig ab.«

»Fünfzig!« Androcus klopfte sich theatralisch mit der Hand auf die Brust. »Das ist …«

»Fünfzig oder gar nichts. Mein letztes Wort.«

»Fünfzig?« Androcus kaute auf seiner Unterlippe herum. »Aber aus kaiserlicher Prägung. Nicht diese minderwertigen Münzen, die in Gallien in Umlauf sind.«

»Natürlich«, stimmte Macro zu. »Also, abgemacht?«

Der Kapitän zierte sich noch einen Augenblick, dann spuckte er sich in die Hand und streckte sie aus. »Also gut. Auch wenn ich mir damit selbst schade.«

Macro nahm die Münzen aus seiner Truhe und gab sie dem Mann. Androcus zählte sie sorgfältig, bevor er sie in den Lederbeutel klimpern ließ, der an einem Riemen um seinen Hals hing. »Er gehört dir. Jetzt hast du ihn an der Backe.«

Macro fragte sich einen Moment lang, ob es klug war, was er getan hatte. Es gab kein Dokument, nichts, was ihm den rechtmäßigen Erwerb des Jungen bestätigte. Er schaute zu dem Burschen, der, in ein paar alte Umhänge gehüllt, schlief, ohne zu ahnen, dass sein Leben sich soeben grundlegend verändert hatte. Macro fragte sich, wie er darauf reagieren würde.

Androcus wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Steuern des Schiffes zu, während der Centurio nachdenklich auf den Jungen hinunterschaute. Schließlich trat Petronella zu ihm und legte ihm den Arm um den Rücken.

»Also, damit habe ich jetzt nicht gerechnet, Centurio Macro. Du schaffst es immer wieder, mich zu überraschen.« Sie umarmte ihn und küsste ihn auf die stoppelige Wange. »Warum hast du es getan?«

»Wenn ich das wüsste.«

»Wirklich? Hat es vielleicht damit zu tun, dass der Junge dir das Leben gerettet hat?«

Macro zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Oder ich habe eine weiche Ader. Tatsache ist, wir haben einen Esser mehr. Sobald sein Arm verheilt ist, kann er im Gasthaus meiner Mutter arbeiten.«

»Ja, wahrscheinlich.« Petronella sah den Jungen einen Moment lang mitleidvoll an, dann bückte sie sich und strich ihm über die dunklen Locken. Der Junge stöhnte, bewegte sich im Schlaf und seufzte zufrieden. Petronella lächelte.

»Gewöhn dich nicht zu sehr an ihn«, warnte Macro. »Ich habe genau das vor, was Androcus gesagt hat. Ihn aufpäppeln und für uns arbeiten lassen, und wenn es so weit ist, verkaufen wir ihn weiter.«

Petronella sah ihn mit diesem wissenden Blick an, der Macro nicht geheuer war. Er gab sich gern hart und unsentimental; wer ihn jedoch besser kannte, wusste um sein warmes Herz. Es ärgerte ihn manchmal, dass er so leicht zu durchschauen war. Aber er war eben ein Soldat und kein Politiker oder Anwalt. Kein Mensch, der gelernt hatte, sich zu verstellen. Wann immer er es versuchte, machte seine Ehrlichkeit ihm einen Strich durch die Rechnung.

»Hmpf …« Er ging nach vorn zum Bug, und als das Schiff die letzte Flussbiegung vor Londinium hinter sich ließ, konnte er bereits das weitläufige Hafengelände erkennen. Jenseits des letzten schiffbaren Flussabschnitts spannte sich von einer Landzunge eine lange Holzbrücke über die Tamesis. Dahinter waren nur noch kleine Boote unterwegs. Im Hafen waren jede Menge größere und kleinere Schiffe vertäut, während andere weiter draußen vor Anker lagen und auf einen Liegeplatz warteten. Androcus’ Schiff musste sich hinten anstellen. Jenseits des Hafens standen die Lagerhäuser, wo die eingeführten Güter für die Steuer begutachtet wurden. Händler verdienten ein Vermögen damit, die Wünsche der wohlhabenderen Stämme zu erfüllen, die es vor allem auf Wein und andere Luxusgüter abgesehen hatten, die in verschiedenen Teilen des Römischen Reichs hergestellt wurden. Die Lagerhäuser beherbergten aber auch Sklaven, Hunde, Silber- und Goldschmuck, Getreide und Metalle aus den hiesigen Bergwerken, die für die Ausfuhr bestimmt waren.

Auf den Dächern lag eine dicke Schneedecke. Zwischen den Wohnhäusern, Werkstätten und Geschäften am Fluss war der Verlauf der Straßen kaum zu erkennen. Im Norden sah man, etwas höher gelegen, einen größeren Bau, allem Anschein nach eine bescheidene Basilika, und dahinter auf einer Erhebung die Mauern einer Festung mit einem hohen Gebäude, das vielleicht einmal das Haus des Garnisonskommandanten gewesen war. Falls es das Haus war, das Macro in Erinnerung hatte, war es in den letzten Jahren deutlich erweitert worden. Londinium schien kräftig gewachsen zu sein, seit er vor fast sieben Jahren zum letzten Mal hier gewesen war. Wahrscheinlich würde er das Gasthaus seiner Mutter gar nicht mehr wiederfinden.

Androcus lenkte das Schiff zu einem Uferabschnitt am Ende des Kais. »Centurio«, rief er, »ich lege hier an, damit du dein Gepäck abladen kannst, bevor ich auf dem Fluss vor Anker gehe.«

Macro blickte zu der Stelle, auf die der Kapitän deutete. Die Holzplanken am Ufer waren voller Schlamm und Dreck. »Ich würde lieber auf dem Liegeplatz an Land gehen.«

»Dann musst du warten, bis ein Platz frei wird.«

»Wie lange wird das dauern?«

Androcus zuckte mit den Schultern. »Schwer zu sagen. Ein paar Stunden, vielleicht auch Tage. Deine Entscheidung.«

Macro wechselte einen kurzen Blick mit seiner Frau, und Petronella nickte ohne große Begeisterung. »Dann steigen wir hier aus.«

Der Kapitän befahl Lemulus, das Segel einzuholen, während das Schiff auf das Ufer zutrieb. Im letzten Moment lenkte er den Bug flussaufwärts, und die Delphin stieß sanft an das befestigte Ufer. Lemulus senkte die Spiere und das Segel quer über das Deck, nahm die Leine aus dem Bug und warf sie über Bord, dann sprang er ins knöcheltiefe Wasser und zog die Schlaufe über den Anlegepfosten.

»Hilf mir mal mit der Laufplanke«, forderte der Kapitän Macro auf.

Sie ließen die Planke zum Kai hinunter. Ein Mann, der Arbeitskräfte vermittelte, stapfte ein paar Schritte auf das Schiff zu und hob die hohle Hand an den Mund.

»Braucht ihr Träger?«

Macro nickte, worauf der Mann ein paar Arbeiter herbeirief, die beim nächstgelegenen Lagerhaus standen, um sich vor dem kalten Wind zu schützen. Sie folgten seiner Aufforderung, während der Mann die Neuankömmlinge mit einem Lächeln begrüßte.

»Caius Torbulo, zu Diensten.«

Geschickt stieg er die Laufplanke herauf und sprang an Bord. Macro begutachtete den Mann. Torbulo hatte eine dunkel getönte Haut, seine Tunika und Stiefel waren abgetragen, doch er wirkte einigermaßen vertrauenswürdig. »Wir haben vier Truhen und ein paar Seesäcke.«

Torbulo blickte an ihm vorbei. »Ich habe acht Männer, das sollte genügen. Wohin sollen wir das Gepäck bringen, Herr? Falls du zum ersten Mal in Londinium bist, kann ich dir eine Unterkunft zu einem vernünftigen Preis verschaffen.«

»Ich bin nicht zum ersten Mal hier, und wir haben schon ein Quartier. Kennst du das Gasthaus zum Jagdhund?«

»Wer kennt es nicht?«, lachte Torbulo. »Es ist eines der wenigen Gasthäuser, wo der Wein nicht gewässert ist und die Huren dir nicht den Geldbeutel klauen, während du dich vergnügst.«

Macro hörte das Lob mit Stolz. Seine Mutter verstand es anscheinend, einen Gasthof erfolgreich zu führen.

»Nur vor der Frau, die den Schuppen führt, musst du dich in Acht nehmen. Glaub mir, mit Portia legt man sich besser nicht an.«

»Das glaub ich dir gern«, sagte Macro hastig. Er wollte nicht, dass der Mann sich vor Petronella noch länger über gewisse Eigenschaften seiner Mutter ausließ. »Dann sehen wir, dass wir das Gepäck von Bord bekommen. Meine Frau und ich wollen uns so schnell wie möglich an einem schönen Feuer wärmen.«

Während die Lastenträger an Bord kamen, beäugte Torbulo seinen Kunden einen Augenblick. »Du musst Soldat sein, Herr. Jedenfalls siehst du ganz so aus.«

»Das ist Vergangenheit.« Macro richtete sich auf. »Centurio Lucius Cornelius Macro, ehemaliger Angehöriger der Prätorianergarde.«

Torbulo hob anerkennend die Brauen, dann kniff er die Augen zusammen, und Macro ärgerte sich über sich selbst, dass er sich hatte hinreißen lassen, mit seiner militärischen Vergangenheit zu prahlen. Zweifellos würde der Mann zu dem Schluss kommen, dass sein ehrenwerter Kunde ruhig ein bisschen mehr als üblich für seine Dienste bezahlen konnte.

»Nach dem Kopfverband zu schließen, liegt deine letzte Schlacht noch nicht lange zurück, Herr.« Torbulo schaute sich um und sah nun, dass auch die anderen verwundet waren. Dann fiel sein Blick auf den Toten im Leichensack. »Bei Jupiters Schwanz, was ist geschehen?«

»In der Nacht haben uns Piraten angegriffen.«

»Piraten?« Er schnalzte mit der Zunge. »Diese Bastarde werden zu einer richtigen Plage. Ich frage mich, warum der Statthalter nichts dagegen unternimmt. Oder der neue Prokurator. Der ist jetzt schon über einen Monat im Amt und hat noch keinen Furz getan. Die Dame möge mir meine Ausdrucksweise verzeihen.« Er verbeugte sich vor Petronella.

»Kein Problem, ich hab schon Schlimmeres gehört.« Sie verdrehte die Augen.

Der Leiter des Arbeitstrupps blickte auf die Blutflecken im Schnee. »Das muss ein harter Kampf gewesen sein.«

»War es auch.« Macro nickte. »Aber für die Piraten ist es bedeutend schlechter ausgegangen als für uns. Ich glaube, diese Bastarde werden eine Weile brauchen, um sich davon zu erholen. Aber genug geschwatzt. Schafft unser Gepäck von Bord und bring uns zum Gasthaus.«

»Warte«, unterbrach Petronella. »Wir haben uns noch nicht auf den Preis geeinigt.«

»Was?«, fragte Macro stirnrunzelnd. »Gut, also, wie viel verlangst du dafür?«

»Eine Sesterze für jede Truhe und jeden Seesack ist der übliche Preis.«

Macro schüttelte den Kopf. »So nicht. Ich bin kein junger Adliger, der keine Ahnung hat, wie es auf der Welt zugeht.«

Torbulo deutete mit einem Kopfnicken zum Hafen. »Ich sehe weit und breit keine Arbeitstrupps, die ihre Dienste anbieten. Im Hafen herrscht selbst im Winter ein solcher Betrieb, dass wir mehr als genug zu tun haben. Wenn dir der Preis zu hoch ist, kannst du dein Gepäck gern selbst tragen, Herr.«

Petronella kniff die Augen zusammen und holte tief Atem. Macro kannte die Anzeichen und wusste, dass er eingreifen musste, bevor sie den Mann mit alles andere als damenhaften Flüchen zum Teufel jagte.

»Also gut, eine Sesterze für jedes Gepäckstück. Aber passt auf, dass ihr nichts fallen lasst. Wenn etwas bricht, mache ich euch dafür verantwortlich. Ist das klar?«

»Ja, Herr«, versicherte Torbulo lächelnd. »Du kannst dich auf meine Burschen verlassen.«

Als er sich umdrehte und seinen Männern, die unten an der Laufplanke warteten, Anweisungen zurief, nahm Petronella ihren Gemahl beiseite und stieß ihm den Finger in die Brust. »Warum hast du zugestimmt? Der Kerl haut uns übers Ohr. Das ist das Doppelte von dem, was sie in Rom dafür verlangen würden.«

»Wir sind aber nicht in Rom. So läuft das nun einmal in den Grenzprovinzen. Die Preise sind höher. Außerdem brummt mir der Schädel, mir ist schweinekalt, und ich bin total erledigt.« Macro seufzte. »Also bezahlen wir, was er verlangt, und bringen es hinter uns.«

Sie kaute auf der Unterlippe, und Macro fürchtete schon, dass sie protestieren würde, doch sie nickte. »Gut, gehen wir zu deiner Mutter.«

»Eins nach dem anderen. Zuerst müssen wir den Jungen wecken.«

Macro beugte sich über den leise schnarchenden Burschen und schüttelte ihn sanft. »Komm, Junge. Zeit zum Aufstehen.«

Der Junge schlug auf der Stelle die Augen auf, fuhr beunruhigt hoch und schaute zu den Fremden, die an Bord kamen.

»Keine Angst, das sind keine Piraten. Jedenfalls nicht solche, wie wir sie letzte Nacht hier hatten.«

Torbulo hörte die Bemerkung und machte ein gekränktes Gesicht.

Macro half dem Jungen auf die Beine und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Du kommst mit mir und Petronella. Der Kapitän ist damit einverstanden, dass wir uns um dich kümmern, während du dich von der Verletzung erholst.«

Der Junge blickte zu Androcus, der nur mit den Schultern zuckte, ehe er sich abwandte und Lemulus befahl, das Segel zu verstauen. Der Junge war überrascht von der unerwarteten Wendung, doch er akzeptierte es sofort und beugte zustimmend den Kopf.

»Wo sind die Sachen des Jungen?«, fragte Macro den Kapitän.

»Was für Sachen?«, schnaubte Androcus verständnislos. »Alles, was er hat, trägt er am Leib.«

Petronella nahm einen Reserveumhang aus einer Truhe, bevor die Männer sie an Land trugen, und breitete ihn über die schmalen Schultern des Jungen. »So, mein Lieber. Damit du nicht frierst.«

»Das ist ein Umhang von mir«, protestierte Macro. »Du kannst ihn nicht einfach so dem Jungen geben.«

»Es war deiner.« Sie lächelte unschuldig. »In den Grenzprovinzen läuft eben manches ein bisschen anders, nicht wahr?«

Sie verabschiedeten sich von Androcus und seiner dezimierten Mannschaft und gingen vorsichtig an Land, wo Torbulo und seine Männer sie erwarteten.

»Vorsicht«, warnte der Leiter des Arbeitstrupps. »Es ist verdammt rutschig hier.«

Fünfzehn Jahre zuvor war Londinium noch ein kleiner Handelsposten nahe einer Festung gewesen. Ein Ort, wo furchtlose Händler aus Gallien mit einheimischen Stammesleuten zusammentrafen, die neugierig auf Güter aus allen Teilen des Römischen Reichs waren. Mit den Legionen, die das Land Stück für Stück erobert hatten, waren ganze Scharen von Händlern – auch Sklavenhändlern – gekommen, die mit Geschäften in der neuen Provinz reich werden wollten.

Jenseits der langen Reihe von schindelgedeckten Lagerhäusern standen kleine, strohgedeckte Lehmfachwerkhäuser und größere, massive Holzhäuser. Trotz der Kälte und des Schneematschs waren die schmalen Straßen überfüllt. Macro und Petronella marschierten hinter den Lastenträgern, um ihren Besitz im Auge zu behalten. Bestimmt trieben sich hier Diebe herum, die auf leichte Beute aus waren und auf eine günstige Gelegenheit warteten, um ein Loch in einen Seesack zu schneiden und sich den Inhalt zu schnappen, bevor irgendjemand etwas merkte. Außerdem traute Macro auch Torbulo und seinen Männern nicht so ganz.

Petronella führte den Jungen durch die Menge, damit er nicht verloren ging. Die Menschenmassen, das Stimmengewirr und die Rufe der Straßenhändler schüchterten ihn ohnehin so sehr ein, dass er sich zwischen Macro und Petronella hielt.

Macro war erleichtert, als sie in eine breitere Straße einbogen, die parallel zum Fluss verlief. Der einen Meter breite Abflusskanal in der Straßenmitte ließ genug Platz für die schweren Wagen. Entlang der Straße hatten sich zahlreiche Geschäfte und Werkstätten angesiedelt. Die kalte Luft war von einem scharfen Geruch erfüllt, in den sich da und dort der Duft von frischem Gebäck, gebratenem Fleisch, aber auch von exotischen Gewürzen und Parfümen mischte, die aus den entlegensten Winkeln des Reichs in die Stadt gelangten. Ebenso präsent war der Gestank der Ochsen, Maultiere und Hunde, die sich zwischen den Menschenmassen durch den braunen Matsch kämpften.

»Es hat sich sicher sehr verändert, seit du zum letzten Mal hier warst«, sinnierte Torbulo. »Diese und die andere Hauptstraße fünfzig Schritte landeinwärts wurden unter dem früheren Statthalter angelegt. Viel mehr hat er nicht zustande gebracht hat, bevor er vor zwei Jahren starb. Aber das ist schon beeindruckend, was?«

»Beeindruckend?« Petronella rümpfte angewidert die Nase. »So würde ich es nicht unbedingt nennen.«

»Hör nicht auf sie«, lachte Macro. »Sie ist zum ersten Mal in den nördlichen Grenzgebieten. Die Kälte hier ist sie nicht gewohnt. Aber du wirst dich schon damit anfreunden, Liebling. Es ist ja nicht das ganze Jahr so. Sobald der Winter um ist, wirst du das Land von einer ganz anderen Seite kennenlernen.«

»Schlimmer als jetzt kann es ja kaum werden«, grummelte sie.