Die Erde ist mir Heimat nicht geworden - Dagmar von Gersdorff - E-Book

Die Erde ist mir Heimat nicht geworden E-Book

Dagmar von Gersdorff

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Beschreibung

Karoline von Günderrode (1780–1806) war eine begabte, intelligente und hoffnungsvolle Dichterin der Romantik – und eine leidenschaftliche und radikale junge Frau, die für ein unabhängiges Leben kämpfte. Dagmar von Gersdorff erzählt das einzigartige und aufwühlende Schicksal der Dichterin. Karoline von Günderrode sah Bildung und Dichten als ihre einzige Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen und die engen Grenzen ihres weiblichen Lebens zu sprengen. Damit entfachte sie Empörung und Ablehnung. Als selbst ihre große Liebe, der verheiratete Friedrich Creuzer, sich von ihr abwandte, sah sie nur einen Ausweg: Mit nur 26 Jahren tötete sie sich mit ihrem Dolch, den sie als Zeichen der Freiheit und Selbstbestimmung stets bei sich trug.

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Karoline von Günderrode (1780-1806) war eine begabte und hoffnungsvolle Dichterin der Romantik – und eine leidenschaftliche und radikale junge Frau, die für ein unabhängiges Leben kämpfte. Das einzigartige und aufwühlende Schicksal der jungen deutschen Dichterin hinterließ bis heute tiefe Spuren in Literatur und Geschichte. Karoline von Günderrode sah Bildung und Dichten als ihre einzige Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen und die engen Grenzen ihres weiblichen Lebens zu sprengen. Damit entfachte sie Empörung und Ablehnung. Als selbst ihre große Liebe, der verheiratete Friedrich Creuzer, sich von ihr abwandte und sie verließ, sah sie nur noch einen Ausweg: Mit nur 26 Jahren tötete sie sich mit ihrem Dolch, den sie als Zeichen der Freiheit und Selbstbestimmung stets bei sich trug. Dagmar von Gersdorff zeichnet in dieser Biographie ein eindringliches Bild der hochbegabten, sensiblen und leidenschaftlichen jungen Frau.Dagmar von Gersdorff wurde 1938 in Trier geboren. Die promovierte Germanistin lebt heute als Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin in Berlin. Sie ist Mitglied des Internationalen PEN. Bekannt wurde sie u. a. durch die Lebensbeschreibung von Goethes Mutter, die die Bestsellerlisten erreichte. Von Dagmar von Gersdorff liegen im insel taschenbuch außerdem vor: Goethes Mutter (it 2925); Dich zu lieben kann ich nicht verlernen. Das Leben der Sophie Brentano-Mereau (it 3235); Goethes Enkel (it 3350); Marianne von Willemer und Goethe. Geschichte einer Liebe (it 4059); Caroline von Humboldt. Eine Biographie (it 4158).

Dagmar von Gersdorff

»Die Erde ist mirHeimat nicht geworden«

Umschlagabbildung: Moritz Michael Daffinger, Marie Daffinger.Um 1830. Detail. Österreichische Galerie Belvedere, Wien

eBook Insel Verlag Berlin 2014© Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 2006Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragungdurch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlagesreproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.Vertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch Verlag

Inhalt

i.

»Heut hab ich die Günderode gesehen …«

ii.

Die Familie von Günderrode

iii.

Eine Stiftsdame von siebzehn Jahren. 1797

iv.

Der Freund Friedrich von Savigny. 1799

v.

Warten auf Antwort

vi.

Der zwanzigste Geburtstag. 1800

vii.

»Hand in Hand« – Bettine Brentano. 1801

viii.

Eine Haßliebe: Gunda Brentano

ix.

Charlottes Tod. Erste Gedichte

x.

Erotische Anträge: Clemens Brentano. 1802

xi.

Ausflug im Gewitter: Achim von Arnim

xii.

Eine Frauenfreundschaft. 1803

xiii.

»Eine arme vom Schicksal verfolgte Person«

xiv.

»Gedichte und Phantasien«. 1804

xv.

Mögliche Begegnung: Heinrich von Kleist

xvi.

Die Hochzeiten der Freunde

xvii.

»Vom ersten Augenblick an Liebe«: Friedrich Creuzer

xviii.

Täuschung, Enttäuschung

xix.

»Ein Bund auf Leben und Tod«

xx.

»Poetische Fragmente«. 1805

xxi.

Eine Zimmerbeschreibung

xxii.

Heimliche Heiratspläne

xxiii.

Betrogen

xxiv.

»Das Abendrot der kurzen Liebesfreude«. 1806

xxv.

Untreue und Verrat

xxvi.

Der Tod. 26. Juli 1806

Anmerkungen

Literatur

Personenregister

Bildnachweis

So habe ich immer Biographien mit eigener Freude gelesen, und es ist mir dabei stets vorgekommen als könne man keinen vollständigen Menschen erdichten, man erfindet immer nur eine Seite, und die Complicirtheit des menschlichen Daseins bleibt stets unerreicht …

I.»Heut hab ich die Günderode gesehen …«

Bettine Brentano liebte diese Freundin. Sie bewunderte ihr poetisches Talent, fand sie klug und faszinierend, phantasievoll und liebenswert, nannte sie Einzige unter den Sternen. Karoline von Günderrode war groß und schlank, eine hochgewachsene Gestalt mit weichen, geradezu fließenden Bewegungen, graziös, mit einem schmalen Gesicht und lebendigen Augen, die beim Sprechen aufzuleuchten schienen. Sie war die Verfasserin ernster Dramen und elegischer Gedichte, und für Bettine klangen ihre Verse wie Musik: Einstens lebt ich süßes Leben … Und die schönen hellen Strahlen / liebten all und küßten mich …

Das Glück der Freundschaft wird lebendig in einem Briefroman, den Bettine mehr als dreißig Jahre nach Karolines Tod verfaßte: Die Günderode.1 Darin beschreibt sie die Jugendgefährtin, die Herrscherin im Reich des Geistes, die Gesprächspartnerin und Poetin, und schildert damit auch sich selbst, die aufnahmebereite und wissensdurstige Bettine Brentano, Enkelin der Schriftstellerin Sophie La Roche, in deren Garten sie Karoline von Günderrode kennenlernte.

Bemerkenswert sind schon die ersten Sätze, mit denen die tote Freundin in die Gegenwart geholt wird. Wie ich erzählte, daß Du mitgefahren warst bis Hanau, da hätten sie Dich all gern hier haben wollen. Wer ist die interessante Frau, fragt man, die alle bei sich haben wollten? In ihrem Buch spricht Bettine die Freundin wie früher als Günderödchen an und erreicht dadurch unmittelbare Nähe. Wie sehr hab ich an Dich gedacht und Deine Worte … wie ich Dich gesehen hatte zum allerersten Mal …

Das Entzücken, mit dem Bettine von der Freundin spricht, läßt erkennen, daß Karoline für sie der Inbegriff einer schönen Frau war. Sie war so sanft und weich in allen Zügen wie eine Blondine. Sie hatte braunes Haar, aber blaue Augen, die waren gedeckt mit langen Augenwimpern; wenn sie lachte, so war es nicht laut, es war vielmehr ein sanftes gedämpftes Girren, in dem sich Lust und Heiterkeit sehr vernehmlich aussprachen. Sie ging nicht, sie wandelte … Ihr Wuchs war hoch; ihre Gestalt war zu fließend, als daß sie in der Gesellschaft sich bemerkbar gemacht hätte …2

Lieblich wie eine Silberbirke, so lautet die Formulierung, mit der Bettine die Freundin einem Besucher schilderte. Ich musste ihm auf dem Weg von Dir erzählen, von unserm Umgang, von Deinem Wesen … Sie beschreibt das lange, schwärzlich glänzend braune Haar, das in freien weichen Locken, wie sie wollen, sich um ihre Schultern legt, die stark gewölbte Stirn so sanft und weiß wie Elfenbein, die dunklen Augenbrauen, die wie zwei schwarze Drachen die blauen Augen bewachten – sogar das Grübchen im Kinn bleibt nicht unerwähnt – ein kleiner Eros habe da ein Dellchen drin gelassen, das der Finger eingedrückt.3

Mit Wärme und Glanz umgibt Bettine ein Freundinnenleben. Was haben wir gelacht, Günderode; – und haben unter Zimmetbäumen eine Tasse Schokolade getrunken, die wir in Deinem Öfchen kochten mit wohlriechendem Sandelholz; … Wir waren doch so glücklich; wie schwärmte mein Kopf von brennenden Farben der Blütenwelt … Sieben Spaziergänge haben wir so gemacht, Günderode, ich hab mir sie gezählt, sie kamen mir wie das Köstlichste im Leben vor.4

Nicht nur bei Bettine hinterließ Karoline von Günderrode einen unauslöschlichen Eindruck. Friedrich von Savigny fing Feuer, als er die Neunzehnjährige kennenlernte. Clemens Brentano suchte in ihr die erotische Partnerin, die er mit leidenschaftlichen Anträgen überschüttete. Achim von Arnim setzte ihr in seiner Novelle Isabella von Ägypten ein poetisches Denkmal. Er hatte sie im Arm gehalten und war überrascht, wo sie so hübsch aussah, daß wir uns alle verwunderten. Als Minerva, Tochter des Zeus, behielt sie ein Verehrer in Erinnerung. Goethe, der seiner Ottilie in den Wahlverwandtschaften viele ihrer Wesenszüge verlieh, fand ihre Gedichte erstaunlich. Friedrich Creuzer schließlich, der Gelehrte aus Heidelberg, war hingerissen von dieser Frau, sie war seine Geliebte, seine Entsprechung, sein Glück. Lebe wohl, Süßeste, wäre es mir doch nur erlaubt, die leuchtenden Sterne Deiner Augen zu sehen! Und: Du weißt es selber nicht wie reich Du bist und wie schön.

Es war aber dann doch nur Bettine, die Karoline von Günderrode vor dem Vergessen bewahrte. Sie liefert in ihrem Günderode-Buch ein phantasievolles, an Begeisterung kaum zu übertreffendes Porträt in Briefen. Allerdings entspricht ihre Darstellung nicht immer den Tatsachen. Hauptpersonen wie Creuzer fehlen, Briefe werden willkürlich eingestreut, ergänzt oder auch frei erfunden. Ihr Buch beleuchtet die glücklichen Phasen der Gemeinsamkeit und Übereinstimmung – von Trennung ist darin nicht die Rede.

Wenn jemals eine junge Dichterin eine Verehrerin besaß, die sie glühend bewunderte und ihre Gedichte auswendig kannte, dann Karoline von Günderrode in ihrer Schülerin Bettine Brentano, die es unternahm, mit leuchtenden Worten an die kaum mehr bekannten Verse der Lyrikerin zu erinnern: Durch Dich feuert der Geist, wie die Sonn durchs frische Laub feuert … Bettine war es auch, die das Entstehen der ersten Gedichte und Balladen miterlebt hatte: … unser Zusammenleben war so schön, es war die erste Epoche, in der ich mich gewahr ward …

Verse, die sie besonders liebte, werden von ihr zitiert:

Drum laß mich, wie mich der Moment geboren.In ew'gen Kreisen drehen sich die Horen;Die Sterne wandeln ohne festen Stand –

Der Tod der Freundin bleibt in Bettines Buch unerwähnt, als habe er nicht stattgefunden. Das ist bemerkenswert. Bettine empfand Karolines Selbstmord wie eine Schuld, die sie mit zu verantworten habe. Zu Achim von Arnim sagte sie: Sie traf mich auch mit dieser Untat, ich werde den Schmerz in meinem Leben mit mir führen. Die »Untat« des freiwilligen Todes, Schmerz und Schuldgefühle konnten nur schreibend bewältigt werden.

Für Bettine blieb die Freundschaft wirkungsmächtig bis zuletzt. Die Beziehung sei einmalig und unwiederholbar gewesen, erklärte sie. Das Meiste und Beste, was ich geworden bin, habe ich der Günderode zu danken. Bettine läßt Karoline in ihrem Buch so auftreten, als lebe sie noch immer in der Gegenwart. Heut hab ich die Günderode gesehen, es war ein Geschenk von Gott. Sie, die in ihrem Leben mit den interessantesten und geistvollsten Menschen zusammengetroffen war, begriff am Ende, wie ungewöhnlich und unvergleichlich diese Dichterin gewesen war.

II.Die Familie von Günderrode

Ein frühes Blatt, noch unveröffentlicht, hat sich erhalten, darauf in kindlich exakter Schrift ein kleines Gedicht, offenbar gedacht als ein Stammbuchblatt.

Edle Freundschaft nur verbindetSeelen zu der schönsten Pflicht.Und die Kränze, die sie windetModern selbst im Grabe nicht.Einst beim Klang der Engellieder,Unter Himmels-Amaranth,Finden wir uns alle wiederIn der Tugend Vaterland.

Hanau den 13ten April 1797Erinnere Dich an Deine Freundin Caroline v G.5

Freundschaft und Tod – es sind die Themen, die das Werk der Karoline von Günderrode von nun an durchziehen. Die Verfasserin war siebzehn Jahre alt. Sie lebte in Hanau inmitten einer großen Familie mit der Mutter, den vier Schwestern und einem jüngeren Bruder. Die Briefe der jungen Mädchen klingen sorglos und witzig. Sie handeln von der Ballsaison, von neuen Kleidern und Maskenkostümen, künstlichen Blumen, halben Perücken und braunen Toupets, Musselin zu hochgegürteten leichten Gewändern, von Unterröcken, Teetischchen, von Büchern, unerschwinglichen goldenen Ohrringen, unleidlichen Freundinnen wie der Apothekerstochter Sophie Blum, diversen Vettern und anderen Besuchern zum Abendbrot, über die man spötteln und albern kann.

Karoline von Günderrode wurde am 11. Februar 1780 in Karlsruhe geboren. Ihr Vater Hektor Wilhelm von Günderrode hatte mit vierundzwanzig Jahren eine Frau geheiratet, die den gleichen Namen trug, aber aus einem anderen Zweig der Familie stammte: Louise Sophie Victorine Auguste von Günderrode, zum Zeitpunkt der Eheschließung zwanzig Jahre alt. Sie war zart und feinsinnig gebildet, dichtete auch selbst, dafür besaß sie keine Kenntnisse in der Hauswirtschaft und war in Geldangelegenheiten so unerfahren, daß es darüber zwischen ihr und den Töchtern, wie sich noch zeigen wird, zu schweren Auseinandersetzungen kam.

Abb. 1 oben: Johann Maximilian von Günderrode, Karolines Großvater.Stich von J. M. Bernigeroth nach einer Zeichnung von J. R. Reuling, 1742.unten: Hektor Wilhelm von Günderrode, Karolines Vater.Stich von J. C. Schleich nach einem Gemälde von Kisling.

Der Name des Geschlechts derer von Günderrode deutet auf die Herkunft aus Thüringen hin, möglicherweise aus dem Dorf Günterode im Eichsfeld. Tilemann Günterrode, Stammvater der hessischen Linie, erhielt schon 1549 Burg und Hofgut Schotten als Lehen, seither zählte die Familie, die drei Jahrhunderte hindurch Ratsherren und Bürgermeister, Diplomaten, Offiziere und Gelehrte hervorbrachte, zum hessischen Adel. Die urkundlich belegte Schreibweise des Namens ist Günderrode.6

Das junge Paar zog nach der Hochzeit in die Residenzstadt Karlsruhe, wo Louise von Günderrode Jahr für Jahr ein Kind zur Welt brachte:

1780 Karoline Friederike Louise Maximiliane

1781 Louise Henriette Wilhelmine

1782 Wilhelmine Louise Auguste Justine

1783 Charlotte Friederike Christiane Wilhelmine

1784 Amalie Karoline Louise Henriette

1786 Friedrich Karl Hektor Wilhelm von Günderrode

Als der einzige Sohn zur Welt kam, lebte der Vater schon nicht mehr. Er war einer fiebrigen Erkrankung erlegen, erst dreißig Jahre alt. Hektor von Günderrode, Sohn des Juristen Johann Maximilian von Günderrode, hatte früh Karriere gemacht und die Stelle eines Regierungsassessors, schließlich Regierungsrats beim Markgrafen von Baden bekleidet. Außerdem war er als Verfasser historischer Biographien und »Idyllen« hervorgetreten, die zu Hause vorgelesen wurden. Das Porträt des eleganten Kammerherrn blieb bis heute im Privatbesitz seiner Nachkommen erhalten. Karoline muß mit Verehrung am Vater gehangen haben. Entsetzlich der Tag, an dem die hölzerne Lade mit seiner Leiche aus dem Haus gebracht wurde, ein Vorgang, der auf das sechsjährige Kind traumatisch gewirkt haben muß: es hatte den Tod gesehen.

Das hochbegabte Mädchen hatte sich gewiß zu diesem klugen, überlegenen Vater besonders hingezogen gefühlt. Sein früher Tod bedeutete einen radikalen Einschnitt in Karolines Leben, eine Trennung, die sie nie verwand. Es blieb die Sehnsucht, ihn wiederzusehen – vielleicht auch eine Ursache ihres immer wieder aufsteigenden Todeswunsches. Von der Mutter, die Jahr für Jahr schwanger war und sich um das jeweils jüngste Kind kümmern mußte, konnte sie die nötige Zuwendung nicht erwarten. Für die fünf heranwachsenden Töchter war wechselndes Hauspersonal zuständig.

Nach des Vaters Tod fehlte das bisherige Einkommen; von Sorgen war die Rede, das Kind wird die soziale Veränderung gespürt haben. Die Witwe erhielt als Pension 300 Gulden im Monat, was immerhin dem Jahresgehalt eines Kammerherrn entsprach, doch mit sechs Kindern nicht gerade glänzend war. Sie verließ Karlsruhe und zog in die Residenzstadt Hanau, wo sie bei der Prinzessin Auguste von Hessen-Kassel, einer Schwester des Königs von Preußen, eine Stelle als Gesellschafterin zu erlangen hoffte, zumal sie sich nicht nur als Vorleserin, sondern auch selbst literarisch betätigte, Gedichte und Erzählungen schrieb. Es hieß, die poetische Begabung beider Eltern habe sich auf ihre Tochter Karoline vererbt, ein hochbegabtes und liebenswürdiges, schönes Mädchen von weichem, träumerischem Wesen, aber tiefinnerlichem, reizbarem Gefühlsleben …7

Karoline: die Älteste, die Ernste, die Zuverlässige. Die Mutter, die als Gesellschaftsdame viel Zeit bei Hofe verbringen mußte, war häufig abwesend. Bei ihr fand Karoline auch nie die Geborgenheit und den Zuspruch, den sie nötig gehabt hätte. Daß das Verhältnis nicht von Zuneigung getragen, sondern im Gegenteil von früh an gestört war, geht aus einem unveröffentlichten Brief hervor, worin die Mutter ihre Tochter »in recht kühlen und distanzierten Wendungen zu Wohlverhalten« auffordert, auch daraus, daß sie sie unverhältnismäßig jung in ein Stift gab.8 Karolines Beziehung zu ihrer Mutter verschlechterte sich im Lauf der Jahre erheblich, so daß der Kontakt – wie sich zeigen wird – schließlich völlig abbrach.

Die Kinderkrankheiten – dazu zählten damals Masern, Typhus und der Scharlach, an dem Clemens Brentano zwei kleine Kinder verlor – hat Karoline wohl recht und schlecht überlebt. Kindersterben war an der Tagesordnung. Fünf Schwestern der Mutter waren als Säuglinge gestorben. In einem Brief der Schwester Wilhelmine ist von drei Nachbarskindern die Rede, die alle am gleichen Tag an der noch unerprobten Pockenimpfung starben. Daß auch Karoline schwere Krankheiten durchmachte, bezeugen ihre lebenslangen Beschwerden, die vielen Kopfschmerzen, der Druck auf der Brust, die schwachen Augen, die durchsichtige Blässe und Zartheit.

Die Residenzstadt Hanau als neuer Wohnort der Familie lag auch deshalb günstig, weil im nahen Butzbach die Eltern der Mutter lebten: der Jurist Christian Maximilian von Günderrode (1730-1813) und seine energische Ehefrau Louise Dorothea Agathe, geborene von Drachstedt (1736-1799). Bei ihnen war die älteste Enkelin häufig zu Gast, und es stammen die ersten erhaltenen Briefe von den Butzbacher Großeltern, Briefe, die in einer spätbarocken, geradezu abenteuerlichen Schreibweise die Enkelin ermahnen und ihr frisch gestrickte, leider zu große Strümpfe ankündigen. Ein Schreiben stammt aus dem Jahr 1794, als die dreizehnjährige Louise qualvoll gestorben war. Man hatte die vierzehnjährige Karoline, wohl um sie abzulenken, nach Butzbach geschickt, das erklärt ihre Zuneigung zu den Großeltern, besonders zum Großvater, bei dem sie später wochenlang ausharrte, um ihm die Einsamkeit zu erleichtern. Insgesamt blieben elf Briefe der Großeltern an Karoline erhalten.9

Großmutter Louise sandte gutgemeinte Ratschläge an ihre Lina und mahnte an, was Großmütter in berechtigter Sorge um das sittliche Wohl ihrer Enkelinnen schon immer anmahnten. Daß nächtliche laufen bringt Keine Ehre, weil sich alsdann hier und da Etwas anfedelt, wo durch ich nichts gewönne. Nein, vielmehr meine Ehre, Wo doch ein Megden, und Jeder Vernünftige alles aufsetzen mus ins Spiel setzen. Ach Gott regiere dich mit dem heiligen Geist, werde und Sey eine recht Schaftene Christin, so würst du dich auch bestreben eine Tugendhafte Person Zusein, und daß gehet über alles. Hast du noch Liebe vor mich, so verwürf meine Ermahnung nicht und denke daran, wenn ich schon lang Erkald bin, Gott seegne dich.10

Es war den Großeltern also zu Ohren gekommen, daß die Enkelin nachts zu lange aufblieb, abends noch auf der Straße gesehen wurde und womöglich im Begriff stand, sich mit einem nicht standesgemäßen Freund zu versehen – es sollte sich nämlich nichts anfedeln, und sie sollte um Gottes willen »das nächtliche Laufen« unterlassen, sich nicht herumtreiben, sondern ihr Betragen so einrichten, daß du uns alle Ehre machst. Der großmütterliche Brief stammt vom 1. August 1797 und enthält die Ermahnungen, durch die man bei Töchtern lebenslange Schuldgefühle bewirken konnte: der Familie »um Gottes willen« keine Schande zu machen. Frühe Restriktionen, frühe Drohungen, sich sittsam

III.Eine Stiftsdame von siebzehn Jahren. 1797

Es kam zu dem einschneidendsten Ereignis im Leben der heranwachsenden Karoline seit des Vaters Tod: sie verließ das Elternhaus. Allerdings ging sie weder als Erzieherin in eine andere Familie noch, wie andere ihres Alters, in die Ehe. Sie wurde ins Stift gegeben. Dabei wirkt das drängende Bittgesuch der Mutter merkwürdig: die Tochter war erst siebzehn Jahre alt.

Es werden finanzielle Gründe gewesen sein, die die Mutter bewogen, ihre Älteste aus dem Haus zu geben. Sie lag ihr auf der Tasche, das Leben war teuer, und Frau von Günderrode konnte nicht mit Geld umgehen. Das Mutter-Tochter-Verhältnis ließ überdies zu wünschen übrig; die Mutter kam mit Karolines Wesen, ihren »unglücklichen Anlagen«, nicht zurecht. Auch war das Mädchen viel krank, die Rede ist von , es heißt: Und immer wieder sind es die Augen: oder:

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