Die erstaunliche Miss Hatherleigh - Carolyn Miller - E-Book

Die erstaunliche Miss Hatherleigh E-Book

Carolyn Miller

0,0

Beschreibung

Wenn das Herz auf Entdeckungsreise geht London 1818: Caroline Hatherleigh hat alles, was sich eine junge Dame der feinen Gesellschaft wünschen kann – Reichtum, Ansehen und die Aussicht auf eine standesgemäße Ehe. Doch ihr Herz sehnt sich nach mehr als nur gesellschaftlichen Verpflichtungen und oberflächlichen Konversationen. An den wilden Klippen von Devon begegnet sie Gideon Kirby, einem Wissenschaftler auf der Suche nach fossilen Schätzen vergangener Welten. Seine Leidenschaft für die Geheimnisse der Erdgeschichte und seine aufopfernde Liebe zu seiner schwermütigen Schwester Emma faszinieren Caroline mehr als alle Ballsäle Londons zusammen. Doch kann eine Verbindung zwischen zwei so verschiedenen Welten gelingen? Während Caroline zwischen Pflichtgefühl und Herzenswunsch schwankt, kämpft Gideon nicht nur mit den Gefahren der Fossiliensuche, sondern auch gegen seine eigenen Zweifel. Als Emmas tyrannischer Ehemann Lord Pratt auftaucht und sowohl Emma als auch Caroline bedroht, müssen beide erkennen: Die wertvollsten Entdeckungen macht man nicht in alten Gesteinsschichten – sondern im menschlichen Herzen. Eine Geschichte über Mut, Vertrauen und die Erkenntnis, dass wahre Liebe alle gesellschaftlichen Grenzen überwindet.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 515

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Carolyn Miller

Die erstaunliche Miss Hatherleigh

 

 

Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG (»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.

© der deutschen Ausgabe 2025

Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbH

Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen

haenssler.de

Originally published in English under the title: A Hero for Miss Hatherleigh

© 2019 by Carolyn Miller.

Originally published in the USA by Kregel Publications, Grand Rapids, Michigan.

Translated and printed by permission. All rights reserved.

Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen: Neues Leben. Die Bibel © der deutschen Ausgabe 2002/2006/2024 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Holzgerlingen

Übersetzung unter Verwendung eines Textgenerators.

Lektorat: Renate Hübsch

Umschlaggestaltung: Umschlaggestaltung: Jan Henkel, www.janhenkel.com

Titelbild: Frau: © Joanna Czogala / Trevillion Images; Mann: © lia Koltyrina, shutterstock; weiße Klippen © wirestock/freepik

Satz und E-Book-Erstellung: Satz & Medien Wieser, Aachen

ISBN 978-3-7751-7669-9

Bestell-Nr. D396298000

 

Für meine Söhne Jackson und Tim

Gott hat euch mit Intelligenz, Kreativität und

Forscherdrang ausgestattet.

Ich liebe euch!

Inhalt

Über die Autorin

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Nachwort der Autorin

Dank

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Über die Autorin

CAROLYN MILLER lebt in New South Wales in Australien. Sie ist verheiratet, hat vier Kinder und liebt es, zu lesen und Bücher zu schreiben. Ihre Romane handeln von Vergebung, Liebe und anderen Herausforderungen. Millers Lieblingsautorin ist natürlich Jane Austen.

www.carolynmillerauthor.com

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Kapitel 1

LondonNovember 1818

Ohne Zweifel musste ein potenzieller künftiger Ehemann doch ein Mehr an Gefühlen auslösen als das Behagen, das man spürt, wenn man seine Lieblingspantoffeln trägt? Caroline Hatherleigh strich ihre Röcke glatt, während der Türklopfer am Berkeley Square dreimal betätigt wurde, und warf dann einen Blick auf den Gentleman neben sich. Mit seinem hochgeschlossenen Stehkragen und dem sorgfältig in Form gelegten blonden Haar gab der ehrenwerte Edward Amherst die Verkörperung der Seriosität ab. Und das sollte er besser auch, denn als zweitem Sohn des Grafen von Rovingham war ihm die gleiche gesellschaftliche Stellung bestimmt, der auch sie selbst angehörte.

Wirklich, dachte sie, während sie ihn musterte, wäre Ned nicht ein zweiter Sohn und jemand, den sie eher als Bruder betrachtete, würde er beinahe zum Ehemann taugen. Er war ihr offensichtlich gewogen und zumeist ebenso erfreut wie bereit, der kleinsten Aufforderung ihrerseits nachzukommen, wie die Tatsache, dass er sie auf ihrem heutigen Ausflug begleitete, bewies. Wäre da nicht der leise Verdacht, dass eine gewisse andere junge Dame ihr das niemals verzeihen würde, wäre sie fast versucht, einen Finger zu rühren, um zu sehen, ob die Wertschätzung, die sie immer in seinen Augen fand, sich zu etwas Süßerem erwärmen könnte.

Bevor sie diesen Gedanken weiterverfolgen konnte, öffnete sich die Tür und ein Bediensteter erkundigte sich nach ihrem Anliegen. Jeglicher Gedanke an Eheschließung wurde aufgegeben, und sie kündigte sich und ihren Begleiter an. »Ich bin sicher, dass Lady Carmichael mich empfangen wird, schließlich sind wir frühere Schulkameradinnen.«

»Wenn Sie so freundlich wären, hier zu warten.« Der ältere Bedienstete wies auf einen kleinen Raum, der mit Kunstwerken von der Art ausgestattet war, die sicher das Gefallen der frischgebackenen Braut fanden – Serena hatte schon immer einen Hang zu eigener künstlerischer Betätigung gehabt. Bei Caroline dagegen hatte seit jeher mehr Wertschätzung für Kunst besessen als eigenes Geschick dafür.

Sie lächelte, als Erinnerungen an ihren ehemaligen Kunstlehrer in ihr aufstiegen. Mr Goode hatte sich als recht guter Lehrer erwiesen, was sich daran gezeigt hatte, dass er ihre Zeichenkünste von mittelmäßig zu passabel weiterentwickelt hatte. Allerdings hatten seine Bemühungen in anderer Hinsicht offenbart, dass er seinem Namen alles andere als Ehre machte. Seine späteren Aufmerksamkeiten gegenüber Serena hatten Anfang des Jahres zu einem nicht unerheblichen Skandal geführt, als man beobachtet hatte, wie er sie auf der Sommerausstellung mit sich in einen versteckten Winkel gezogen hatte – zumindest hatte das Lord Burford Snowstrem behauptet, ein Mann, dessen Neigung zu Gerede sogar die ebensolche von Caroline in den Schatten stellte. Aber diese Situation hatte irgendwie dazu geführt, dass Serena die Aufmerksamkeit von Lord Henry Carmichael auf sich gezogen hatte, der, wie man in der Gesellschaft flüsterte, sehr bald Graf von Bevington sein würde, da es mit der Gesundheit seines Vaters nicht zum Besten stünde. Vielleicht schadete ein kleiner Skandal den Aussichten einer jungen Dame doch nicht ganz so sehr, wie Mutter glaubte.

»Was bringt Sie zum Lächeln?«, flüsterte Ned. »Dieser Blick macht mich immer misstrauisch.«

»Eine Tatsache, die weit mehr über Ihre traurige, misstrauische Natur aussagt als über mich«, entgegnete Caroline, wobei sich ihre Mundwinkel hoben. »Ich freue mich einfach nur, meine Freundin nach ihrer kürzlichen Heirat – zudem einer äußerst vorteilhaften – endlich besuchen zu können.«

»Wird sie es nicht seltsam finden, dass ich und nicht Ihre Mutter oder Schwester Sie begleite?«

»Vielleicht. Aber Serena ist zu wohlerzogen, als dass sie jemals Verwunderung über solche Dinge zeigen würde. Außerdem war es Mutter, die mir klargemacht hat, dass ich meinen Verpflichtungen nachkommen und heute einen Besuch abstatten soll.« Allerdings hatte ihre Mutter wohl nicht damit gerechnet, dass Caroline auf dem Weg zum Berkeley Square auf Ned treffen und ihn bitten würde, anstelle von Mary, Carolines Kammerzofe, ihr Begleiter zu sein. Nicht, dass es eine Rolle gespielt hätte. Mama betrachtete Ned als so gut wie ihren Sohn.

Caroline zuckte mit den Schultern und bemühte sich um Nonchalance. »Mama ist im Moment zu sehr mit Cecilia beschäftigt und damit, sie auf ihr Debüt im nächsten Jahr vorzubereiten.«

Ein Knoten bildete sich in ihrer Brust. Würde ihre jüngere Schwester in ihrer ersten Saison erfolgreicher sein, als Caroline es in ihrer gewesen war? Mama war nicht verstimmt gewesen. Nicht ausdrücklich. Aber sie hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass sie wünschte, ihre älteste Tochter möge so bald wie möglich einen Ehemann ins Haus bringen. Wie sollte man Mama erklären, dass kein junger Mann jemals mehr als eine allgemeine Wärme in der Nähe ihres Herzens hervorgerufen hatte? Nicht, dass sie erwartete, aus Liebe zu heiraten – solche Gefühle waren gewöhnlich und weit unter der Würde einer Aynsley, wie Mama immer sagte. Aber wenn man schon heiraten musste, würde Caroline doch viel lieber ein gewisses Maß an gegenseitigem Respekt und an Wertschätzung für ihre Person spüren können als nur Respekt und Wertschätzung für ihre Mitgift.

»Verzeihen Sie mir, Caro, aber Ihr Stirnrunzeln lässt vermuten, dass ich als Eindringling betrachtet werden könnte.«

Sie schüttelte ungeduldig ihre kastanienbraunen Locken. »Das wird niemand denken, denn schließlich sehen sie ja, dass Sie mich begleiten.«

Er gluckste. »Ihre Selbstsicherheit erschüttert nichts so schnell, was?«

»Natürlich nicht. Warum auch?«

Ned schüttelte den Kopf, sein Lächeln wurde breiter, aber sie wusste, dass er es nicht böse meinte. Denn sie sprach nur die Wahrheit. Als Tochter von Lord Aynsley war ihre Stellung im Leben von ihrer Geburt an gesichert gewesen. Sie würde vorteilhaft heiraten – wie auch nicht, wenn ihr eine Mitgift von fünfzigtausend Pfund garantiert war? Sie würde in einem großen Anwesen nicht allzu weit entfernt von ihren Eltern leben, und sie würde die Rolle ausfüllen, für die ihre Eltern sie seit ihrer Kindheit erzogen hatten: als Hochgestellteste in ihrer Gemeinde, als Frau eines Adligen und eines Tages als Mutter seiner Kinder. Das war die Rolle, die man ihr zugedacht hatte. Sie lächelte, nicht ohne Selbstzufriedenheit.

»Caroline!«

Sie blickte zur Tür und sprang rasch auf. »Serena.« Caroline streckte die Hände aus. »Ich wusste, du würdest mich nicht abweisen. Wie geht es dir?«

Während sie sprach, musterte sie ihre einstige Schulfreundin schnell. Ein Hauch von Unzufriedenheit stieg in ihr auf. Wenn Caroline ganz ehrlich sein sollte, dann sah Serena nicht allzu erfreut aus, sie zu sehen, ja, Caroline meinte sogar einen vagen Ausdruck von Ungeduld in ihrem Gesicht zu erkennen. Ihr wurde eng ums Herz. Gewiss hatte Serena ihre letzte Begegnung in Somerset House vor sechs Monaten doch nicht falsch verstanden?

»Gut geht es mir«, sagte Serena. »Was machst du in London?«

»Oh, wir sind hier, um Cecilias Debüt vorzubereiten.« Sie bemerkte den Blick ihrer Freundin auf Mr Amherst und stellte ihn vor. »Ich glaube, ihr kennt euch noch nicht.«

»Nein.« In Serenas Augen lag kein fragender Ausdruck, nichts, was auf irgendein Interesse an dem jungen Mann hindeutete. Aber das war nicht weiter verwunderlich, überlegte Caroline, denn Serena hatte sich schon immer mehr für ihre Kunst interessiert als für irgendetwas – oder irgendjemanden – sonst.

Nach einem höflichen Austausch von gemeinsamen Erinnerungen gelang es Caroline schließlich, Serena zu überzeugen, dass ein längerer Besuch durchaus etwas Gutes hätte, und sie wurden in einen blauen Salon gebeten. Dort traf sie zu ihrer Überraschung nicht, wie sie gehofft hatte, auf Lord Carmichael – es wäre schon etwas Besonderes, wenn sie vor Mama und Cecilia damit prahlen könnte, mit dem schneidigen jungen Lord gesprochen zu haben, den Serena sich geangelt hatte –, sondern auf eine junge Dame, der sie noch nie begegnet war, eine sehr blasse Blondine mit angestrengten Gesichtszügen, deren komischer Ausdruck der Überraschung vermuten ließ, dass sie jemand anders erwartet hatte.

»Verzeihung, dass ich dich störe«, sagte Serena. »Eine ehemalige Schulfreundin von mir kam vorbei, und ich dachte, ich könnte dich ihr vorstellen. Caroline, das ist Mrs Julia Hale. Julia, das ist die Tochter von Lord Aynsley, Miss Caroline Hatherleigh.«

Mrs Hale? Warum kam ihr dieser Name so bekannt vor? Caroline bemühte sich, sich ihre Verblüffung nicht anmerken zu lassen, und deutete einen Knicks an. »Erfreut, Sie kennenzulernen.«

Sie warf einen Blick auf Ned, während Serena mit der Vorstellung fortfuhr, und das offensichtliche Interesse, das sie in seinen Augen las, verblüffte sie. Sie selbst hatte er jedenfalls noch nie auf diese Art angesehen.

»Angenehm«, bot er mit einer Verbeugung an.

Caroline warf einen Blick auf Mrs Hale, bevor sie sich wieder Serena zuwandte. »Du musst mir verzeihen, aber als ich erfuhr, dass du in der Stadt bist, konnte ich die Gelegenheit nicht auslassen, dich wiederzusehen. Es ist schon so viele Monate her seit unserer Zeit bei Miss Haverstock, und ich wünschte wirklich, wir hätten im letzten Jahr engeren Kontakt gehalten.« Sie erwähnte noch irgendeinen Klatsch in der Stadt, bevor sie sagte: »Oh, es ist so schön, dich wiederzusehen, Serena.«

Es dauerte nicht lange, bis die anfängliche Frostigkeit ihrer Freundin auftaute, und bald schwelgten sie in Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse aus ihrer Zeit in Miss Haverstocks Pensionat und bei Gelegenheiten, bei denen Serena Aynsley Manor besucht hatte.

Caroline musterte ihre Freundin und versuchte, hinter die unergründliche Maske zu blicken, die ihr eben den gleichmütigen Gesichtsausdruck verlieh, den ihr Name andeutete. Aber Serena blieb gelassen, ja, sie schien über einen neuen, etwas befremdlichen inneren Frieden zu verfügen. Im Gegensatz zu der anderen jungen Lady, an der Ned völlig unerwartet Gefallen zu finden schien. Hatte er nicht gehört, dass sie als verheiratete Frau vorgestellt worden war?

Als ob er ihren Unmut spürte, sah er sie an und nickte ihr kurz zu, bevor er sich wieder der jungen Frau zuwandte und sich leicht verbeugte. »Caroline, ich glaube, es ist Zeit für uns zu gehen. Vielen Dank, Lady Carmichael, für die Gelegenheit, Sie und Ihre reizende Freundin kennenzulernen.«

Serena neigte den Kopf in einer Geste, die einer Duchess zur Ehre gereicht hätte, und murmelte etwas davon, wie sehr sie sich über den unerwarteten Besuch gefreut habe. Dass sie hoffe, den Besuch bald erwidern zu können, erwähnte sie nicht.

Hm. Caroline hob das Kinn. Nun, wenn Serena sich für Menschen wie diese unscheinbare Mrs Hale entschied – wo hatte sie diesen Namen schon einmal gehört? –, dann bitte sehr. Serena sollte wissen, dass sie nicht noch einmal eine Einladung nach Aynsley zu erwarten hatte.

»Und das nach allem, was wir für sie getan haben«, murmelte sie, als sie die Stufen zum wartenden Wagen hinunterstiegen.

»Wie bitte, meine Liebe?«

Sie schüttelte den Kopf und wartete, bis sie in der Kutsche waren und die Bediensteten sie nicht mehr hören konnten. »Ich bin einfach nur überrascht, das ist alles. Immerhin haben wir uns nicht wenige Male herabgelassen, sie nach Aynsley einzuladen, und das, obwohl ihr Vater sich als ein höchst unwürdiger Mann erwiesen hat, der seine Familie durch Wetten in den Ruin getrieben hat. Und das ist der Dank, den wir erhalten sollen!«

»Aus meiner Unterhaltung mit ihrer recht liebenswürdigen Freundin schließe ich, dass es nicht als Beleidigung gemeint war, sondern dass sie bald die Ankunft weiterer Verwandter erwartete.«

»Oh. Nun, das ist dann etwas anderes.« Etwas besänftigt glättete Caroline ihren Rock und sah ihren Begleiter an. »Jedenfalls scheinen Sie die Zeit ja wirklich genossen zu haben.«

»Mrs Hale ist eine wirklich reizende junge Dame.«

»Eine wirklich reizende junge Dame, die verheiratet ist.«

»Ja, nun, das ist ein bisschen bedauerlich.«

Sie blinzelte. Das war eine Seite an ihrem Begleiter, die sie bisher noch nicht gekannt hatte. »Sie würden doch sicher nicht einer verheirateten Frau den Hof machen wollen?«

»Nein.« Er seufzte. »Ich gebe allerdings zu, dass es amüsanter wäre, Zeit mit einem so hübschen Geschöpf zu verbringen, als …« Er zog die Stirn in Falten.

»Als was?«

»Ach, Sie wissen schon. Als mich der jungen Damen zu erwehren, die so gern ihre Reize in meine Richtung spielen lassen.«

»Das muss so anstrengend sein.«

»Nun, Sie müssen es wissen. Ich habe schon mehr als ein paar junge Männer gesehen, die sich für Ihr Vermögen interessieren.«

Ein Gefühl des Gekränktseins ließ ihr das Blut ins Gesicht schießen. »Und für meinen guten Namen und meine Beziehungen«, wies sie ihn scharf zurecht.

»Und dafür natürlich auch«, beschwichtigte er. »Das versteht sich von selbst.«

Aber auch nachdem sie sich wieder im Stadthaus ihrer Familie am Hanover Square eingefunden hatte, fochten seine Worte noch immer ihre frühere Selbstzufriedenheit an. Stimmte es, dass die Gentlemen, mit denen sie gern ein wenig kokett flirtete, mehr in ihr Vermögen verliebt waren als in ihr Gesicht? Zugegeben, sie war nicht so attraktiv wie Serena oder Mrs Hale, aber sie hatte schon so manches nette Kompliment für ihr gutes Aussehen erhalten. Nein, dachte sie, und betrachtete sich prüfend im Spiegel. Sie war vielleicht nicht ganz so hübsch, aber eine Schreckschraube war sie bestimmt nicht. Außerdem, warum sollte das eine Rolle spielen? Es war ihr bestimmt, jemanden zu heiraten, der dieselben Werte vertrat und dem familiäre Verbindungen ebenso wichtig waren wie der Betrag, den sie in die Ehe einbringen konnte. Eine solche Verbindung würde ihr Sicherheit und Zufriedenheit bringen, so wie es bei ihren Eltern der Fall war. Sie betrachtete ihr Spiegelbild genauer, bemerkte die Andeutung eines roten Flecks neben ihrer Nase und runzelte die Stirn.

Warum flüsterte dann etwas tief in ihrem Inneren, dass es sie nach mehr verlangte?

Sidmouth, Devon

Wenn er nur noch diesen einen nächsten Felsen erreichen könnte …

Der Wind pfiff und peitschte an seinem Kragen, sein Haar war feucht von der salzigen Gischt. Erasmus Gideon Kirby Carstairs spürte, wie sein Griff um die Felsen sich lockerte. Seine Finger verkrampften sich. Sein Atem ging schneller. Die Beine baumelten im Freien. Sein Puls raste wie das wütende Tosen der Wellen weit unter ihm. Haut schabte an Fels, doch er wollte nicht fallen, konnte nicht fallen – nicht, wenn die Pflicht, nicht, wenn die Liebe erforderte, dass er lebte.

Er biss die Zähne zusammen und presste sich an die Schichten aus Schiefer und Gestein, während der neblige Regen immer stärker wurde, seine Haut peitschte, seine Kleidung durchnässte und die Tropfen wie Kugeln aus einer Schrotflinte brannten. Wie hätte er wissen können, dass das Wetter so schnell umschlagen würde? Wie hätte er wissen können, dass die Flut so schnell ansteigen würde, dass ein Entkommen nur über einen Aufstieg an den Klippen möglich war?

Er murmelte ein Gebet um Kraft, zog sich – Zentimeter um ersehnten Zentimeter – weiter die Klippe hoch und stieß sich über die Kante auf das rutschige Gras. Nahm einen tiefen Atemzug. Zerrte Sack und Tornister von seinen Schultern. Wartete, bis sich sein rasender Puls beruhigte.

Als der Atem etwas ruhiger kam, rollte er sich auf den Rücken und starrte in den triefenden Himmel. Das war knapp gewesen. Vielleicht hätte er auf Emmas Warnung hören sollen, denn die heutige Expedition war gefährlich nahe daran gewesen, seine letzte zu sein. Aber woher sollte er wissen, dass die Klippe so drastisch abbröckeln würde?

Er verzog die Lippen. Doch, er hätte es wissen müssen, hätte auf Belchers Warnungen hören sollen, dass die Klippen um Sidmouth um diese Jahreszeit nicht allzu sicher waren. Gideon hatte gedacht, Belcher hätte sich auf etwas bezogen, das man noch eher verheimlichen würde als eine bloße Suche nach Fossilien – an diesem Küstenabschnitt waren die Klippen voller Höhlen und Schluchten, die weniger gewissenhafte Männer gern nutzen würden. Trotzdem – er warf einen Blick auf den Sack, der schlaff auf dem durchweichten Gras lag – er hätte mehr darauf geben sollen, dass er von den Einheimischen, die er über die Umgebung von Sidmouth befragt hatte, den einen oder anderen fragenden Blicke geerntet hatte.

Er kam auf die Füße, stolperte und starrte auf den tückischen weißen Schaum unter ihm hinunter. Schuldgefühle stiegen in ihm auf. War seine Suche wirklich so unumgänglich gewesen? Was, wenn das Undenkbare passiert und Emma allein zurückgeblieben wäre? Wie wäre sie damit fertiggeworden? Was wäre aus ihr geworden?

»Gott, bitte beschütze sie«, flüsterte er in den Wind.

War es so leichtsinnig, alles, was sie kannten, für seine Suche nach dem noch Unbekannten zu verlassen? Er vermutete, dass ihr Bruder das glaubte, aber er hatte gebetet und die Gewissheit verspürt, dass es gelingen könnte, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Und sicher war diese Sehnsucht in seinem Inneren nicht völlig egozentrisch, war mehr als der Wunsch nach persönlicher Aufmerksamkeit und Anerkennung.

»Gott«, wandte er sich an den Himmel, »du weißt, ich tue das, um dich besser zu verstehen.«

Er spürte, wie ihn Zuversicht erfüllte, und stieß einen langen Atemzug aus, doch schon bald spürte er die vertraute Entmutigung in seiner Seele. Vielleicht wollte Gott Gideon wissen lassen, dass er sich nicht auf eine Ebene mit einem Menschen herabziehen ließ, dass seine Wege für Wesen, die aus dem Staub der Erde geformt waren, immer unverständlich bleiben würden. War das der Grund, warum Gideon immer noch keinen Fund gemacht hatte?

Der Regen ließ nach, der Nebel lichtete sich, sodass man die Küstenlinie und in der Ferne die weißen Klippen von Beer Head sehen konnte. Die intensive Beschäftigung mit William Smiths stratigrafischer Karte der Erd- und Gesteinsschichten von England und Wales hatte ihn davon überzeugt, dass dieser Küstenabschnitt ebensolche Geheimnisse bergen könnte wie die weiter östlich gelegenen. Die Geologie war schließlich gar nicht so verschieden. Und die kürzlich von William Buckland veröffentlichte Tabelle der Gesteinsschichten deutete darauf hin, dass diese Klippen Ähnlichkeiten mit bestimmten Abschnitten des Kontinents aufwiesen – Abschnitten, von denen der französische Naturforscher Georges Cuvier glaubte, dass sie Arten enthielten, die für die moderne Welt völlig verloren waren.

Warum also waren seine Expeditionen ergebnislos geblieben? Ja, er hatte hier und da das eine oder andere Exemplar gefunden, aber noch nichts Außergewöhnliches. Es war nur logisch, anzunehmen, dass dieser Küstenabschnitt ähnliche Schätze bergen würde wie die, die man vor sieben Jahren in Lyme Regis gefunden hatte. Sein Herz schlug höher. Wenn doch nur er derjenige sein könnte, der sie ausgrub.

Nachdem er sich den ärgsten Schlamm von Händen und Ärmeln gewischt und seine Kleidung etwas zurechtgerückt hatte, sammelte er seine Sachen ein und machte sich auf den Weg nach Hause. Der mit Gras bewachsene Pfad führte vom Klippenrand in die weniger wilde Umgebung des Dorfes. Er wusste, dass sein Erscheinungsbild für eine Überraschung sorgen könnte.

Beherzt nahm er die letzte der grob behauenen Stufen zur Hütte oben auf dem Hügel. Beim Anblick der dicht eingemummten jungen Frau, die auf einem Stuhl im Garten ihres neuen Domizils saß, musste er unwillkürlich lächeln.

Sie blickte auf. »Gideon!« Der leidvolle Ausdruck ihres Gesichts milderte sich ein wenig durch das Aufleuchten ihrer Augen. »Du hast viel früher Schluss gemacht, als ich erwartet habe.«

»Und viel früher, als ich geahnt hatte.« Oder gewollt. Er verbarg seine Enttäuschung hinter einem Lächeln. »Aber solche Dinge erlauben es mir, dich umso früher zu sehen.«

»Du bist goldig.«

»Obwohl ich zugeben muss, dass ich nicht damit gerechnet habe, dich im Freien sitzen zu sehen.«

»Ich bin erst seit einer Minute hier«, versicherte sie ihm. »Ich brauchte einfach etwas frische Luft.«

Gideon warf einen Blick auf die Frau mittleren Alters, die hinter Emma stand. Sie nickte ihm fast unmerklich zu. Sein Herz beruhigte sich, und er signalisierte sein Einverständnis mit einem Kopfnicken.

»Welche aufregenden Entdeckungen hast du heute gemacht?«

Er seufzte und ließ sich in den Stuhl neben ihr sinken. »Nichts allzu Dramatisches, fürchte ich. Ein paar Fischgräten, glaube ich, aber nichts, was die Bezeichnung aufregend rechtfertigen würde.«

»Es warten noch neue Entdeckungen auf dich.« Sie tätschelte seine Hand.

Er lächelte sie an. »Und deshalb liebe ich dich. Du bist immer so schnell dabei, das Positive zu sehen und mir Mut zu machen. Du bist ein wahrer Segen.«

»Jetzt bist du albern. Wie könnte ich nicht begeistert sein, wo wir doch so viel Glück haben, eine solche Situation zu genießen?« Emma wies in Richtung Meer, das jetzt silbrig glänzte und die bleiernen Wolken spiegelte.

»Trotzdem – du solltest nicht im Freien sein …«

»Ach was!«, sagte sie und wischte seine Besorgnis mit einer überraschenden Energie zur Seite. »Ich hatte keine Lust, im Haus zu bleiben, egal, was Mrs Ballard sagen würde.«

»Sie will nur gut auf dich aufpassen.«

»Ich weiß, aber ich bin stärker, als es scheint.«

»Es ist nur so, dass ich mir Sorgen um dich mache.«

»Ich weiß. Aber du weißt genau, dass du das nicht solltest.« Ihr Lächeln verzog sich ein wenig. »Weißt du nicht mehr, was Vater immer gesagt hat? Sollen wir unsere Sorgen nicht Gott überlassen?«

»Ich versuche es.«

»Ich weiß«, sagte sie, und ihre grünen Augen funkelten. »Und ich weiß auch, dass du manchmal recht ermüdend sein kannst.«

Ein leises Lachen überwand die Spannung, und es erfreute sein Herz, dass sie wieder etwas von dem verschmitzten Wesen erkennen ließ, das er an ihr von früher kannte. »Aber das wird mich nicht davon abhalten, alles zu tun, was ich kann, um deine Gesundheit so lange wie möglich zu erhalten.«

Ein Hauch von Nachdenklichkeit zog über ihr Gesicht. »Das hast du schon allein dadurch getan, dass wir alles hinter uns gelassen haben und hierhergekommen sind.« Ihr Blick streifte seine Wange, auf der sich die rote Narbe von der Wunde, die er sich vor zwei Wochen zugefügt hatte, deutlich abzeichnete.

Er schüttelte den Kopf, wie um sie zu bewegen, sich die Schuldgefühle, von denen er wusste, dass sie ihr auf der Zunge lagen, zu verbieten.

»Ich muss mich jeden Tag kneifen, um zu begreifen, dass dies hier wirklich ist. Oh, Gideon, du weißt nicht, wie froh ich bin, dass du mich hierhergebracht hast.«

»Ich habe eine Idee«, sagte er und lächelte aufmunternd, auch wenn sich ein Hauch von Traurigkeit in sein Inneres stahl. Er würde alles in seiner Macht Stehende tun, um Emmas Tage mit so viel Helligkeit wie möglich zu füllen. Denn eine Welt ohne sie …

»Bitte nicht«, murmelte sie, als ob sie ahnte, wohin seine Gedanken drifteten.

»Ich kann nicht anders«, murmelte er. »Ich wünschte, ich könnte mehr tun, die Ärzte könnten mehr tun.«

»Womit du schon wieder bei einer Sorge bist, oder?« Sie drückte sanft seine Hand, zu sanft. »Glaub mir, ich weiß, wie sehr dir an mir liegt. Und ich bin einfach nur dankbar, dass dir genug an mir liegt, um mich hierherzubringen, und wir mehr Zeit miteinander verbringen können.«

Etwas schnürte ihm die Kehle zu, und er schüttelte den Kopf, um die Emotion zu verdrängen und den scherzhaften, launigen Ton zurückzuzwingen. »Lieb von dir, das zu sagen. Vor allem, wenn ich dich jeden Tag stundenlang allein lasse, um in Klippen und Buchten herumzuklettern.«

»Oh, ich bin ja so verständnisvoll, nicht?« Sie seufzte. »Ich vermute, wenn ich dich das nicht tun ließe, würdest du im Haus herumlaufen wie der Löwe im Käfig, den wir vor Jahren in der Menagerie gesehen haben, und ich wäre gezwungen, die Qualen zu ertragen, mir zum hundertsten Mal anzuhören, wie du die Bedeutung wissenschaftlicher Entdeckungen verkündest, und dabei so zu tun, als hätte ich Interesse an etwas, von dem ich nicht zugeben will, dass es mich tödlich langweilt.«

Ein Glucksen verdrängte seine Melancholie von eben. »Ja, wie sehr es dich langweilt, das habe ich gesehen, wenn du gar nicht mehr aufgehört hast, mir Fragen zu meinen Ausführungen zu stellen. Du, meine Liebe, magst ja vor aller Welt behaupten, eine fromme junge Lady zu sein, aber ich weiß genau, was für eine Lügnerin und Intrigantin du sein kannst.«

»Intrigantin? Ich?«

»Du. Intrigantin. Du brauchst gar nicht so die Augen zu verdrehen, als würde ich dich nicht kennen. Ich weiß, dass du Briefe an potenzielle Gönner geschrieben und dich um Gelder für eine Expedition nach Frankreich bemüht hast. Das kann ich dir niemals verzeihen, weißt du.«

»Niemals?« Ein Lächeln umspielte ihre Lippen.

»Niemals!«

Sie lachte. »Ja, nun, ich habe gesehen, wie sehr du es gehasst hast, hier zu sein, an mich gebunden zu sein.«

Er rückte näher, umarmte sie liebevoll und küsste ihre Stirn. Wie schön, dass ihre Lebensgeister zurückkehrten.

»Oh! Bevor ich es vergesse: Ein Brief ist für dich gekommen.«

»Weißt du, von wem er ist?«

»Nun, da der Brief an E. Carstairs adressiert war, habe ich vielleicht zufällig die Rücksendeadresse gelesen, zumal er ein Siegel trug.«

Sein Interesse war geweckt. »Sagtest du: ein Siegel?«

»Ja, ich sagte: ein Siegel.« Sie nickte feierlich. »Und natürlich konnte ich nicht zulassen, dass eine Korrespondenz dieser Art in deine Hände gelangt, ohne mich vorher zu vergewissern, dass sie nicht in meine Hände gehört …«

»Natürlich nicht.«

»… und so sah ich mich gezwungen, ihn zu öffnen, wobei ich feststellte, dass er korrekterweise in deine Hände gehört. Also hier ist er.«

Er nahm den Brief entgegen, faltete ihn auf und überflog die eng beschriebenen Seiten. »Er ist von Lord Kenmore.«

»Ja.« Etwas an der Art, wie sie das sagte, veranlasste ihn, sie prüfend zu betrachten, aber ihre dunkelgrünen Augen blickten nur harmlos zurück. »Und? Was schreibt er?«

Trotz ihrer neckenden Worte hätte er wissen müssen, dass sie sich an den Ehrenkodex halten würde, der für sie beide von klein auf gegolten hatte. Schnell überflog er den Inhalt und stieß einen leisen Pfiff aus. »Tja.«

»Tja was?« Sie musterte ihn wissbegierig.

»Es scheint, dass unser irischer Freund uns im Frühjahr besuchen will.«

»Tatsächlich?«

Er betrachtete sie mit zusammengekniffenen Augen, aber ihr Blick blieb unbeeindruckt. »Das ist nicht etwa auch dein Werk, oder?«

»Aber, Gideon. Wie kannst du so etwas fragen? Du kannst mich doch nicht für so hinterhältig halten, dass ich deinen engsten Freund zu einem kurzen Aufenthalt an der wunderbaren Küste von Devon einlade?«

»Ich weiß nicht, wie ich auf diese Idee kommen konnte.«

»Und du kannst gewiss nicht denken, dass ich jeden Anstand verloren habe und einem unverheirateten Mann schreibe?«

»Na, ganz sicher bist du nicht der Unschuldsengel, den du den Leuten vorzuspielen versuchst.«

»Jetzt stellst du mich schon wieder als Intrigantin hin, obwohl ich alles andere bin als das. Sieh mich nicht so an! Aber wenn du es denn unbedingt wissen musst – vielleicht habe ich in meinem Brief an Lady Cardross die Möglichkeit einer Einladung erwähnt, und wenn sie es zufällig ihrem Bruder gegenüber erwähnt hat, nun, dafür kann ich nicht verantwortlich gemacht werden. Auch nicht für irgendeine Neigung seinerseits, dich sehen zu wollen. Und ebenfalls nicht für die Tatsache, dass Aidan deine Arbeit hier höchst interessant finden könnte.«

»Ach, ist er jetzt Aidan?«

»Nun, das ist sein Name. Wirklich, ich finde, du bist sehr unfreundlich zu deiner armen Emma.«

»Arme Emma. allerdings«, sagte er und blätterte den Brief noch einmal durch.

»Nun, wenn dir die Idee nicht gefällt, dann schreib ihm und sage ihm ab. Mir ist das egal.«

»Ach ja?«

Ein Hauch von Farbe stieg ihr in die Wangen. »Ja, ist es. Und mit gegenteiligen Behauptungen tust du dir keinen Gefallen.«

»Ja, dann gibt es nur eine Lösung.« Gideon reichte ihr die Hand und half ihr auf die Beine. »Wir gehen am besten hinein, bevor die Wolken den Regen bringen, den sie zu versprechen scheinen, damit ich ihm meine Antwort schreiben kann.«

Ihre Hand umfasste seinen Unterarm ein wenig fester. »Und diese Antwort wäre?«

»Dass es mir lieb wäre, wenn er so bald wie möglich kommt.«

Die Hand, die seinen Arm umklammerte, entspannte sich. »Im Ernst?«

»Völlig im Ernst«, sagte er und führte sie ins Haus, gerade als der Regen wieder einsetzte.

Denn was sollte er dagegen haben, dass sein wissenschaftlicher Kollege und engster Freund ihn unterstützte und sie gemeinsam versuchten, eines der größten Geheimnisse der Natur zu entschlüsseln?

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Kapitel 2

Aynsley, Somerset Dezember 1818

Caroline lauschte dem Knistern und Fauchen des Feuers im Kamin, das ihr ein Lächeln auf die Lippen zauberte, während sie gemächlich den schlafenden Mops auf ihrem Schoß streichelte. Mittens schnarchte leise vor sich hin. Es gab wirklich nichts Schöneres, als es zu Hause warm und gemütlich zu haben, und jetzt, wo sie den Lärm und die Hektik Londons hinter sich gelassen hatten, konnten sie sich auf eine schöne Weihnachtszeit freuen, bevor im nächsten Jahr die eigentliche gesellschaftliche Saison wieder begann.

Sie lehnte sich an die Sofalehne zurück, eine nachlässige Haltung, die sie niemals in Gegenwart ihrer Mutter einnehmen würde, denn unweigerlich würde das eine Gardinenpredigt nach sich ziehen, wie die arme Verity, die sich nicht im Geringsten um die feineren gesellschaftlichen Gepflogenheiten zu kümmern schien, sie ständig zu hören bekam. Erst gestern war ihre jüngste Schwester von der Schule zurückgekommen und hatte, ohne ein Wort der Begrüßung für ihre Familie oder deren Gäste zu äußern, darauf beharrt, zuerst ihr Pferd zu begrüßen! Carolines Lächeln verflog. Mama war so aufgebracht gewesen. Aber Verity musste lernen, einige ihrer unbedachten Impulse zu kontrollieren. Wie sollte sie sonst jemals einen Ehemann finden?

Die Tür öffnete sich, und Caroline setzte sich aufrecht, als ihre Mutter in den Raum segelte, im Schlepptau Cecilia, die ihr folgte wie ein kleiner verlorener Welpe.

»Ah, hier bist du. Nun, meine Liebe, es scheint, dass die gute Lady Heathcote gleich unser Gast sein wird. Ich habe die Kutsche gesehen, die die Auffahrt herauffuhr.«

Caroline nickte. »Ich bin sicher, sie wird die neuesten Nachrichten mitbringen.«

»Ja. Es ist doch wirklich gut, eine Nachbarin zu haben, die verlässlich darin ist, einem mitzuteilen, was im Leben wirklich wichtig ist.«

»Wirklich wichtig« war ein Euphemismus für gesellschaftlichen Klatsch und Tratsch, jedenfalls würde Verity das sagen. Aber wenn man sich wirklich um andere kümmern sollte, wie Reverend Poole predigte, dann war es sicherlich wichtig, so viel wie möglich über seine Nachbarn zu wissen. Und wenn einem wirklich etwas an den anderen lag, dann war man verpflichtet, Neuigkeiten zu teilen. Das war in der Tat das einzig Richtige. Caroline wechselte einen vielsagenden Blick mit ihrer Schwester und strich ihre Röcke glatt.

Wenige Minuten später wurde Lady Heathcote hereingeführt, und die beiden Matronen wechselten Begrüßungsworte und die sonstigen Floskeln, die sich gehörten.

Caroline erkundigte sich nach Lady Heathcotes Kindern, Stephen und Sylvia, und erfuhr, dass sie bei guter Gesundheit waren. Stephen war in ihrem Alter und eine recht gute Gesellschaft, auch wenn er manchmal zu kindischem Benehmen neigte, was ihn dazu veranlasste, die Jüngeren in der Gesellschaft zu absurden und albernen Streichen zu provozieren. Einmal hatte er Verity überredet, die Hintertreppe von Aynsley hinaufzureiten! Mama war außer sich gewesen und hatte Veritys Beteuerungen, die Idee sei nicht von ihr gewesen, nicht geglaubt. Zugegeben, Caroline hatte es auch nicht geglaubt, bis Stephen kurz darauf auf einem Ball ein bisschen zu viel getrunken hatte und zugab, dass er die Sache als Mutprobe vorgeschlagen hatte. Natürlich war es da schon viel zu spät, um noch mehr Aufheben um die Sache zu machen, also hatte sie es auf sich beruhen lassen und Mama nichts gesagt. Sonst würde ihre Mutter einen solchen Gentleman sicher nicht mehr in ihr Haus lassen, und Stephen konnte sehr amüsant sein …

»Nun, es ist gut, Sie alle wieder hier zu haben«, sagte Lady Heathcote schließlich. »Die Nachbarschaft fühlte sich ohne Sie doch recht trostlos an.«

»Das will ich meinen«, sagte Mama selbstgefällig.

»Ich nehme an, Sie hatten noch keine Gelegenheit, die neuesten Nachrichten zu hören?«

»Dafür zählen wir auf Sie, meine liebe Lady Heathcote.«

»Nun, ich weiß, das mag Sie überraschen, denn soweit ich weiß, war er erst vor wenigen Wochen mit Ihnen in London, aber es betrifft unseren lieben Freund und Nachbarn Mr Amherst.«

»Mr Amherst?« Mama riss interessiert die Augen auf.

»Allerdings. Ihren Briefen, Lady Aynsley, habe ich entnommen, dass er bei einigen jungen Damen der Stadt durchaus in Gunst stand.«

Letzteres wurde mit geneigtem Kopf und einem so sehr auf Caroline fixierten Lächeln geäußert, dass diese sich gezwungen sah, die Wahrheit mit einem Nicken anzuerkennen, auch wenn ein Unbehagen in ihr aufstieg.

»Ja, ja, aber was ist passiert?«, fragte Mama.

»Allem Anschein nach« – Lady Heathcote hielt inne, als ob sie dem Moment die größtmögliche dramatische Wirkung verleihen wollte – »wurde auf ihn geschossen!«

Allen schien der Atem zu stocken. Was?

»Nein!«

Caroline warf einen Blick auf Cecilia, die plötzlich blass geworden war.

»Nun, ich fürchte doch, Miss Cecilia. Heute Morgen stand es in den Zeitungen. Und da er ein Mann ist, den wir alle kennen und der uns so sehr am Herzen liegt, wusste ich, dass ich sofort kommen musste, da wir das Glück haben, unsere Zeitungen ein Weilchen früher zu erhalten als Sie hier. Stephen hat den Artikel vor einer Stunde entdeckt.«

Caroline konnte nicht umhin, sich zu fragen, wie diese Nachricht wohl von Stephen aufgenommen worden sein mochte. In örtlichen Kreisen war bekannt, dass es nie ein sehr herzliches Verhältnis zwischen Stephen und dem Mann gegeben hatte, den er als eine Art Rivalen zu betrachten schien. Sie schüttelte den Kopf über ihren Zynismus und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihrer Schwester zu, die ihren Schock noch immer nicht ganz überwunden hatte.

»Es scheint nicht ausgeschlossen«, fuhr Lady Heathcote fort, »dass er sterben könnte!«

Cecy zog hörbar die Luft ein.

Oh nein! Wie furchtbar! Ein Schauer der Angst durchlief sie. »Sicher kann es doch nicht ganz so schlimm sein«, sagte Caroline, ebenso sehr um sich selbst wie um Cecilia zu beruhigen.

»Nun, ich weiß nicht, ob Sie sich da so sicher sein können, meine Liebe«, sagte Lady Heathcote. »Es scheint ein schlimmer Fall zu sein. Der Magistrat ist hinter dem Schurken her.«

»Das ist schrecklich. Einfach schrecklich!«, sagte Mama.

»Ich weiß«, bekräftigte Lady Heathcote, aber in ihren Augen war kein Zeichen des Entsetzens zu erkennen. Vielmehr hatte sie eine fast raubtierhafte Miene angenommen wie eine jener bösartigen Krähen, die die Hunde des Aynsley-Anwesens peinigten – eine war sogar so weit gegangen, dem armen Bunty das Auge auszuhacken.

Caroline blinzelte. Sie musste wirklich langsam so viel Fantasie entwickeln wie Cecy, um so etwas zu denken.

Aber Lady Heathcote lehnte entspannt in ihrem Stuhl, Augen und Zähne funkelten, und sie schien ein wenig zu froh zu sein, eine derart saftige Neuigkeit zerpflücken zu können. »Man kann nur hoffen und beten, dass er überleben wird.«

Caroline blickte Cecy an, deren Gesicht einen weißlichen Schimmer angenommen hatte, und runzelte die Stirn in ihre Richtung. Man machte keine Szene, schon gar nicht vor Lady Heathcote, die nicht zu weiteren Spekulationen verleitet werden musste.

»Ja, wir sollten für ihn beten«, sagte Mama zustimmend. Caroline wusste, dass sie es nur sagte, weil es sich so gehörte. Ihre Eltern hielten nichts von Gebeten und hatten schon immer Leute verachtet, die ihren persönlichen Glauben anderen andienen wollten. Man stelle sich vor, da erzählen sie der Welt, dass sie Trost in einem unsichtbaren Wesen finden! Solche Dinge waren die Krücke der Armen und Schwachen, aber völlig überflüssig für die, die einen gesunden und starken Verstand hatten.

»Es scheint, dass der junge Mann eine gewisse Mrs Hale durch den Hyde Park begleitet hat. Mrs Hale! Wer ist diese Person? Und ich dachte schon, er hätte durchaus etwas für Sie übrig, meine Liebe.«

Die Worte waren von einem Seitenblick auf Caroline begleitet, der sie dazu nötigte, gegen das Erröten anzukämpfen, und sie erwiderte steif: »Ich bin sicher, dass es eine harmlose Erklärung gibt.«

»Oh, da bin ich mir auch sicher«, stimmte Lady Heathcote schnell zu, doch in ihrer Stimme lag ein Hauch von Zweifel. »Es, nun ja, es macht einen nur nachdenklich, das ist alles.«

»Ich habe Mrs Hale in London kennengelernt«, fuhr Caroline fort. »Sie machte einen sehr ehrbaren Eindruck.«

»Nun, ganz so ehrbar kann sie nicht sein, wenn sie die Begleitung eines anderen Gentleman als die ihres Ehemanns akzeptiert. Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass Amherst so etwas tut und ein derart unbedachtes Verhalten an den Tag legt. Aber es gab auch ziemlich wilde Gerüchte über andere Aktivitäten, in die er verwickelt war. Etwas über eine Wette, die einen armen Mann ins Grab gebracht hat? Ich kenne die Einzelheiten nicht, also wage ich keine Spekulationen, aber wirklich – können Sie sich das vorstellen? Und dabei ist er der Sohn eines Grafen! Die arme Lady Rovingham.«

»Hmm.« Mama sah Caroline mit leicht zusammengekniffenen Augen an. »Ich könnte so etwas auch nie gutheißen. Ein solches Verhalten ist jenseits dessen, was man akzeptieren kann.«

»Allerdings.«

Caroline begegnete dem prüfenden Blick ihrer Mutter mit einem Blick, von dem sie hoffte, dass er ihr Unbehagen nicht verriet. Mama würde nicht gerade erfreut sein, wenn sie erführe, dass Mr Amherst Caroline begleitet hatte – auf ihren Wunsch hin.

Cecy erhob sich etwas schwankend. »Bitte, Mutter, darf ich mich entschuldigen? Ich habe ziemliche Kopfschmerzen.«

»Natürlich.« Mutter winkte zustimmend. »Das sind schockierende Neuigkeiten, und ich möchte nicht, dass du beunruhigt bist, meine Liebe.«

Cecilias schmerzlichem Gesichtsausdruck nach zu urteilen war sie mit Sicherheit schon sehr viel mehr als beunruhigt. Caroline würde nach dem Abschied ihres Gastes nach ihrer Schwester sehen müssen.

»Die Ärmste. Ich fürchte, die letzten Wochen in London waren eine ziemliche Nervenprobe für sie«, sagte Mama mit einem weiteren Winken. »Cecilia ist ein gutes Mädchen, aber sie ist so viele Menschen einfach nicht gewöhnt.«

»Natürlich«, murmelte Lady Heathcote. »Sie war schon immer ein wenig schüchtern.«

»Wir haben uns in London gut unterhalten, nicht wahr, Caroline?«, fuhr Mama fort, als wolle sie unterbinden, dass Lady Heathcote sich weiter abfällig über eine ihrer Töchter äußerte. »Dir fiel es noch nie schwer, neue Bekanntschaften zu machen, nicht wahr, meine Liebe?«

»Nein, Mutter«, sagte Caroline und entspannte sich wieder, als sie die Anerkennung in Mamas Augen sah. »Tatsächlich genieße ich es.« Wirklich, dachte Caroline, sie und Verity unterschieden sich in dieser Hinsicht so sehr von Cecy, wie Caroline und Cecys kastanienbraune Locken sich von Veritys glattem schwarzen Haar unterschieden. Diese Selbstsicherheit im Umgang mit Menschen hatte Caroline immer glauben lassen, dass sie eines Tages eine perfekte Gastgeberin sein würde, genau wie Mama. Jetzt musste sie nur noch einen Mann finden, der diese ausgezeichneten Eigenschaften erkennen und schätzen konnte.

Ihre Mutter und Lady Heathcote nahmen ihre Konversation wieder auf, und Caroline versank in ihrem vertrauten Tagtraum von ihrem perfekten Verehrer. Er wäre reich, wenn irgend möglich gut aussehend, jemand, der die schönen Dinge des Lebens genauso schätzte wie sie, jemand, der wünschte, dass sie bis ans Ende ihrer Tage in angemessenem Komfort leben konnte. Und wenn sie dann noch ein gewisses Maß an gegenseitiger Zuneigung teilen könnten, umso besser. Einen solchen Mann zu finden, würde sich nicht allzu schwierig gestalten, oder? Immerhin war ihre erste Saison nur ein Probelauf gewesen, um sich an die Gepflogenheiten der Gesellschaft zu gewöhnen. In der nächsten Saison würde sie sich ernsthaft auf die Jagd nach dem perfekten Ehemann machen. Jagd! Sie unterdrückte ein Lächeln. Wie lächerlich, zu denken, dass sie diejenige sein würde, die das Jagen übernahm …

Mamas Erwähnung ihres Namens unterbrach sie in ihrer Träumerei. »Dir hat die vergangene Saison gut gefallen, nicht wahr, Caroline, meine Liebe? All deine Besuche in den Salons und Begegnungen mit den Mitgliedern des Königshauses.«

»Ich habe mich sehr gut unterhalten«, sagte Caroline mit einem höflichen Lächeln, als hätten sie diese Unterhaltung nicht schon häufig geführt.

»Das kann ich mir gut vorstellen«, sagte Lady Heathcote mit einem leichten Anflug von Verärgerung in den Augen.

Ah. Am besten wechselte man das Thema. Mama schien nicht zu bemerken, dass ihre Geschichten nicht immer frisch genug waren, um anhaltendes Interesse zu garantieren. »Ich hoffe jedenfalls, Mr Amherst wird wieder gesund.«

»Oh ja. Natürlich hoffen Sie das. Schließlich sind Sie ja so gute Freunde. Und natürlich wünschen wir alle dem jungen Mann eine schnelle Genesung.«

Mama räusperte sich. »Dieses Gesprächsthema ist ein wenig grausig. Ich für meinen Teil würde doch lieber über angenehme Dinge reden, wie zum Beispiel über die Pläne der lieben Cecilia für ihr Debüt.« Entschlossen steuerte Mama zurück zu ihrem vorherigen Thema. »Ich frage mich, ob sie den Debütantinnenball im nächsten Jahr überhaupt abhalten werden. In den letzten Jahren war es ziemlich unsicher, na ja, die Krankheit von Königin Charlotte und dann der Tod der armen Prinzessin und der Königin.«

»Eine traurige Zeit für sie alle«, murmelte Caroline. Man konnte sich nur fragen, ob es den König auch bald treffen würde.

»Ich hoffe, dass die Salongesellschaften auch nächstes Jahr stattfinden werden«, sagte Mutter. »Ich weiß, Sylvia hat noch ein paar Jahre Zeit bis dahin, aber ich möchte nicht, dass Cecilias Debüt noch länger verschoben werden muss.«

»Ja, das wäre höchst bedauerlich«, sagte Lady Heathcote förmlich. Sie erhob sich abrupt. »Sie müssen mich entschuldigen. Ganz gewiss haben Sie jetzt vor Weihnachten genauso viel zu tun wie wir. Ich wollte nur nicht versäumen, Ihnen eine schöne Adventszeit zu wünschen.«

Caroline starrte sie an. Indem sie ihnen diese schreckliche Nachricht über Mr Amherst überbrachte?

»Und wir hoffen ebenfalls, dass Sie die Adventswochen angenehm verleben«, sagte Mama. »Vielen Dank, dass Sie gekommen sind.«

»Es war mir ein Vergnügen.« Mit einem Nicken raffte Lady Heathcote ihre Röcke und verließ den Raum.

»So!«, sagte Mama und ließ sich in ihren Stuhl sinken. »Das war höchst unerwartet. Der arme Mr Amherst. Ich sollte wohl an Lady Rovingham schreiben und unser Beileid bekunden.«

»Ned ist nicht tot, Mama«, sagte Caroline und unterdrückte einen Anflug von Angst.

»Aber sehr bald könnte er es sein. Und was wird dann passieren?« Sie seufzte. »Das ist eine schreckliche Angelegenheit. Er war schon immer etwas zu gern in der Gesellschaft von euch Mädchen. Und ich kann nicht umhin, zu bedauern, dass wir ihm im Umgang mit euch so viele Freiheiten gelassen haben. Nicht auszudenken, wenn ihr dadurch nun gesellschaftlichen Schaden nähmt und sich kein Mann mehr fände, der um euch anhält.«

Caroline wurde es eng ums Herz, als ihre schönen Tagträume von vorhin zerplatzten. »Wir wussten nicht, was passieren würde, Mama.«

»Was wäre, wenn die Leute erfahren würden, dass er dich allein begleitet hat?« Mama wusste es.

»Oh, sieh mich nicht an wie ein Einfaltspinsel. Ich weiß, dass du Serena mit ihm besucht hast.«

»Es tut mir leid, Mama.«

Ihre Mutter winkte ungeduldig ab. »Schon gut. Wir müssen jetzt deutlich machen, dass er für diese Familie nichts bedeutet. Die Leute könnten anfangen, über dich zu spekulieren, so wie sie über den armen Amherst mutmaßen.«

Caroline kontrollierte ihre Miene, während Panik in ihr aufstieg. Hatte Mutter wirklich Angst um ihren Ruf?

»Es will mir einfach nicht gefallen«, fuhr diese fort. »Ich sehe jetzt ein, dass wir Fehler gemacht haben, und ich kann nicht zulassen, dass diese Angelegenheit deine Heiratsaussichten beeinträchtigt. Ich halte es für das Beste, wenn du dich erst einmal aus seiner Nähe entfernst, damit niemand auf falsche Gedanken kommt. Vielleicht sollten wir sehen, ob deine Großmutter damit einverstanden ist, dass du eine Weile bei ihr bleibst.«

»Großmutter?«

»Ja. Ich will nicht verschweigen, meine Liebe, dass mir die Art und Weise, wie Lady Heathcote dich musterte, nicht besonders gefiel. Und auch nicht, wie sie deine Schwester ansah. Ich hätte von Cecilia mehr Selbstbeherrschung erwartet, als sie heute gezeigt hat! Eine Aynsley bringt weder sich selbst noch andere in peinliche Lagen und meidet auch den kleinsten Anflug eines Skandals! Wenigstens kann ich darauf vertrauen, dass du, Caroline, dich immer unseres Namens würdig verhältst.«

Mit dieser Streicheleinheit für ihren Stolz wollte sie zweifellos Carolines Einwände gegen den Plan, sie zu verbannen, besänftigen. »Mutter, ich habe wirklich nicht den Wunsch fortzugehen. Vielleicht würde Cecy …«

Mama seufzte. »Es ist offensichtlich, dass deine Schwester mehr Anleitung in Sachen Anstand braucht und von der sorgfältigen Führung einer Mutter profitieren würde, was vielleicht leichter zu erreichen wäre, wenn ihre Schwestern dabei nicht anwesend wären. Wenn Verity im neuen Jahr in die Schule zurückkehrt und dein Vater seine Mutter davon überzeugen kann, dass dir ein Aufenthalt am Meer gut tun würde …«

»Aber es ist Winter!«

»Das tut nichts zur Sache. Ja.« Mama nickte entschlossen. »Wenn Weihnachten vorüber ist, wirst du sicher feststellen, dass ein Besuch in Saltings für dich von großem Nutzen sein wird.«

Protest stieg in Caroline auf. Warum wurde sie verbannt, wenn sie nichts falsch gemacht hatte? »Verzeih mir, Mutter, aber ich finde das nicht fair und kann dir nicht zustimmen.«

»Aber du würdest mir zustimmen, dass es das Beste ist, weitere Spekulationen über deine angebliche Verbindung mit einem solchen Mann zu vermeiden, nicht wahr?«

»Es hat nie eine Verbindung gegeben«, betonte sie.

»Ganz genau. Deshalb müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun, damit kein Gentleman durch den Gedanken abgeschreckt wird, es gäbe sie vielleicht doch.« Sie erhob sich. »Ich werde sofort mit deinem Vater sprechen.«

Mutter rauschte aus dem Raum und ließ Caroline in einem Gefühlsgemisch aus Verwirrung, Abgelehntsein und dem sicheren Wissen zurück, dass sie auf keinen Fall nach Saltings gehen wollte. Süd-Devon im Winter? Es schauderte sie.

Dieses Weihnachtsfest brachte für Gideon eine Reihe von Premieren mit sich. Es war das erste, das er in Devon verbrachte. Das erste – er spürte einen Stich im Herzen – ohne ihre Eltern. Und doch auch das erste seit einer gefühlten Ewigkeit, das ein wenig Hoffnung in sich trug. Er warf einen Blick auf Emma, die dem Pfarrer auf der Kanzel pflichtbewusst ihre Aufmerksamkeit schenkte, und wandte ihm dann ebenfalls den Kopf zu, um es ihr gleichzutun. Die letzten Wochen, in denen er die Gottesdienste besucht hatte, hatten ihn zu der Überzeugung gebracht, dass Reverend Holmes’ sonorer Tonfall Aufmerksamkeit verlangte, wenn schon keinen Respekt. Nicht, dass Gideon etwas gegen den Mann gehabt hätte – sein Vater war Pfarrer gewesen, bevor sich die Umstände geändert hatten, und Gideon schätzte Geistliche im Allgemeinen durchaus –, aber dieser Pfarrer schien sich seiner Sache ein wenig zu sicher zu sein, als ob seine Version der Welt die einzig richtige sein müsse und jeder, der ihr nicht zustimmte, ein Sünder größten Ausmaßes sei.

Diese Einstellung war Gideon schon öfter begegnet bei Menschen, deren Gelehrsamkeit nur ihre Abneigung gegen jeden zu verstärken schien, der es wagte, die Welt auf andere Weise zu sehen. Er konnte nicht umhin, eine solche Haltung für pharisäerhaft und engstirnig zu halten. Doch sein eigenes Verständnis der Bibel war in letzter Zeit infrage gestellt worden, und das hatte ihn gezwungen, sich tiefer mit der Bedeutung und dem Kontext der Schriften zu befassen, während er darum kämpfte, seinen Glauben mit seiner Wissenschaft in Einklang zu bringen. Und er wusste, dass Argumentation und Logik nicht jedermanns Stärke sind.

»Lasset uns beten.«

Gideon zuckte schuldbewusst zusammen, senkte ergeben den Kopf und hörte zu, wie der Pfarrer Gott anflehte, beschwor und ihm Ratschläge gab.

Amüsement spielte um seine Lippen, und er blendete das Gebet des Pfarrers aus und schickte seine eigenen Bitten zum Himmel.

Himmlischer Vater, danke für all deine Segnungen, für unser neues Zuhause und für Emmas Gesundheit. Beschütze sie und hilf uns, dir zu dienen und uns für dein Reich einzusetzen.

»Amen.«

Gideons »Amen« kam eine Sekunde später, und er erntete einen Blick von Emma. Er tätschelte ihr Knie, dann half er ihr, sich für den Schlusschoral zu erheben.

Wenige Minuten später waren sie draußen und warteten darauf, dass eine ältere Dame endlich ihr Gespräch mit dem Pfarrer beendete, eine ältere Dame, die sich offensichtlich für wichtiger hielt als den Rest der Gemeinde, da es ihr nichts auszumachen schien, alle anderen in der Warteschlange zittern zu lassen.

Er schluckte eine Beschwerde hinunter und sah wieder Emma an. Kaltes Wetter war nie gut für ihren Zustand, und hier so stehen gelassen zu werden …

»Beeil dich, meine Beste«, nörgelte eine Stimme hinter ihnen in der unverkennbaren Mundart, für die dieser Teil von Devon bekannt war.

Gideon zog Emma an sich und tätschelte sanft ihren Arm. »Sicher dauert es jetzt nicht mehr lange.«

»Da würd’ ich nich’ drauf wetten.« Die verärgerte Frauenstimme erklang erneut, und Gideon warf einen Blick über die Schulter. »Ihre Hoheit hält’s für ihre Pflicht, ’s besser zu wissen als der Pfarrer, damit er’s beim nächsten Mal besser machen kann.«

»Ihre Hoheit?«, sagte Emma mit großen Augen.

»Nun, eigentlich is’ sie wohl ’ne Herzogin oder Gräfin. Hier in der Gegend is’ sie für die Leute nur ›die Witwe’sche‹. Glaubt, sie kann die Predigten diktieren, nur weil sie dem Pfarrer sein Gehalt zahlt.«

»Man stelle sich das vor!«

Emma kniff ihn in den Arm und flüsterte: »Es gibt keinen Grund, so zu reden.«

»Wie zu reden? Kann ich etwas dafür, dass wir beide jemanden kennen, der sich ganz ähnlich verhalten hat?«

»Vater war nicht der einzige Mann in der Familie, dessen Methoden manchmal als ein wenig selbstherrlich angesehen werden konnten.«

»Du verletzt mich.«

Sie lächelte, und schließlich setzte sich die Schlange wieder in Bewegung, und die Gräfin oder Herzogin oder was auch immer sie war schritt majestätisch auf eine wartende Kutsche zu.

»Tja, und da wären wir. Hallo, noch einmal.« Der Pfarrer drückte Gideon kurz die Hand, aber sein Blick war – wie üblich – direkt zu Emma geglitten. Das war nicht überraschend, dachte Gideon. Auch wenn sie wohl den meisten nicht als Schönheit galt, besaß sie eine außerordentliche Liebenswürdigkeit, die gewöhnliche Männer dazu brachte, sich auf eine Art und Weise zu verhalten, die zu Unbehagen und einem nicht geringen Maß an Befangenheit führen konnte.

Und schlimmer.

Gideon legte seinen Arm besitzergreifend um Emma. »Danke, Reverend Holmes. Wir werden Sie nächste Woche im Gottesdienst sehen. Schönen Tag noch.«

»Ah, ja, natürlich. Ich danke Ihnen. Und Ihnen natürlich auch.«

Gideon lotste Emma zu der großen Eibe, die den Mittelpunkt des Friedhofs bildete, wo andere Kirchgänger noch beisammenstanden und sich unterhielten. Dahinter konnte er eine Reihe von Kutschen sehen, die das Feld auf der anderen Seite der Grabsteine säumten. »Ich komme zurück, sobald ich nach Nancy gesehen habe.«

»Du kannst beruhigt sein. Ich werde hier vollkommen zufrieden sein.«

Nachdem er Nancy die Decke abgenommen und den offenen Einspänner abfahrbereit gemacht hatte, kam er zurück und fand Emma im Gespräch – oder besser als Zuhörerin – ihrer etwas kritisch gesonnenen Mitkirchenbesucherin. Emma zog ihn an ihre Seite. »Gideon, ich möchte dir Mrs Baker vorstellen. Mrs Baker, das ist mein …« Gideon warf ihr einen warnenden Blick zu. »Das ist Mr Kirby«, schloss sie und errötete leicht.

»Ah«, sagte die Frau und musterte ihn neugierig. »Hab Sie in den letzten Wochen gesehen. Wie Sie sich in der Nähe der Klippen rumtreiben.«

Er senkte den Kopf. »Ich interessiere mich für die Versteinerungen.«

»Ach, das is’ es? Hab mir so meine Gedanken gemacht. Nun, sei’n Se einfach vorsichtig. Es gibt Steinschläge und anderes, wovor man sich in Acht nehmen muss.« Sie warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu und watschelte dann mit einem »Mrs Belcher!« davon, um mit jemand anderem zu sprechen.

»Was meint sie mit ›anderes‹?«, fragte Emma.

Gideon führte sie an der niedrigen Steinmauer des Kirchhofs entlang bis dahin, wo Nancy geduldig wartete. Ihr Atem stand weiß in der frostigen Luft, während sie ihre Mähne schüttelte. »Ich glaube, das war eine versteckte Anspielung auf die Freihändler.«

Emma riss die Augen auf, sodass das Grün noch intensiver wurde. »Schmuggler?«

»Ich glaube nicht, dass das ein Begriff ist, den diese Leute besonders schätzen. Aber« – er half ihr in das Gefährt – »darüber kann man sich kaum wundern, so wie diese Buchten beschaffen sind.«

»Wohl nicht«, sagte sie und blickte zurück zu den letzten Gemeindegliedern, die noch herumstanden. »Glaubst du, dass jemand von den Leuten hier darin verwickelt ist?«

»Zweifelsohne.«

Sie schmunzelte. »Du glaubst also, dass mehr oder weniger jedermann …«

»Dass jedenfalls mehr daran beteiligt sind, als man denken würde? Ja, ich glaube, so ist es.« Er schlug sanft mit den Zügeln. »Ich habe sogar schon Geschichten gehört, dass der Pfarrer erlaubt hat, französischen Branntwein und Ähnliches in den Kellern der Kirche zu lagern.«

»Du machst Witze!«

Er lächelte, schüttelte aber den Kopf. »Ich fürchte nicht. Manche Leute umgehen lieber das Gesetz, als Steuern zu zahlen, und wenn man an die lächerlichen Summen denkt, die für alle möglichen Dinge verlangt werden« – er deutete auf die Fenster eines großen Gebäudes aus solidem Stein, an dem sie vorbeikamen – »dann kann es nicht verwundern, dass manche Leute protestieren – auf ihre Weise.«

»Nein, da hast du wohl recht. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass Reverend Holmes sich an einem solchen Unterfangen beteiligen würde.«

»Vielleicht nicht.« Aber Gideon konnte sich vorstellen, dass er genötigt werden könnte, ein Auge zuzudrücken. Geld hatte so eine Art, solche Dinge zu bewerkstelligen.

Emma atmete aus und kuschelte sich in ihren warmen Mantel, während Gideon zum Trab anspornte. Je schneller Emma wieder drinnen sein konnte, desto besser. Wenigstens war das Wetter milder als das, mit dem sie aufgewachsen waren.

»Wir müssen nur sehr vorsichtig sein.«

»Nun, du musst das sein«, erwiderte sie. »Es ist ja nicht so, dass ich viel Gelegenheit für Begegnungen mit Schmugglern haben werde.«

»Das will ich nicht hoffen.« Er warf ihr einen Blick zu, dann dirigierte er Nancy durch die weiß getünchten Steine, die ihre Einfahrt markierten. »Aber ich halte es trotzdem für wichtig, die Fiktion fortzusetzen, auf die wir uns geeinigt haben.«

Sie sah ihn an und biss sich auf die Lippe. »Aber was ist, wenn Lord Kenmore kommt?«

»Er kennt die Wahrheit, also müssen wir die Sache natürlich noch einmal überdenken.«

»Aber wird uns das nicht in eine sehr heikle Lage bringen?«

Ihre Augen hatten etwas Flehendes, was ihn veranlasste, sie eindringlich zu betrachten. War es möglich, dass Emma eine gewisse Zuneigung zu seinem irischen Freund hegte? Er schüttelte den Kopf. Nein, so etwas war unmöglich, konnte niemals funktionieren. Da konnte er ja gleich der gebieterischen Gräfin Duchess aus dem Gottesdienst den Hof machen.

Sein Lächeln erstarrte. Nicht, dass einer von ihnen beiden so etwas überhaupt tun könnte. Nicht, solange sie diese Illusion einer Ehe aufrechterhielten.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Kapitel 3

Januar

»Ich finde es nur wichtig, dass du vorsichtig bist, Cecy«, sagte Caroline und strich ihre Pelisse glatt. »Du solltest nicht zulassen, dass ein Gentleman sich deiner Zuneigung zu sicher ist, sonst wird er selbstgefällig und behandelt dich nicht so, wie du es verdienst.«

Cecilia warf ihr einen rebellischen Blick zu, sagte aber nichts. Wirklich, dachte Caroline, das Kind hätte es fast verdient, von Ned Amhersts entschiedenem Desinteresse zu erfahren. Vor allem nach all ihrem Getue beim Besuch von Lady Heathcote. Du meine Güte, sie hatte sich benommen, als ob sie sich in irgendeiner Weise an den jungen Mann gebunden sah – einen jungen Mann, der sie höchstwahrscheinlich nicht einen Moment lang beachtet hatte!

Ein solches Verhalten war einer Aynsley gewiss nicht würdig, hatte Mama später gesagt. Den niederen Gefühlen gab eine junge Dame nun einmal nicht nach – und schon gar nicht zeigte sie diese Gefühle jungen Männern, denen wenig an dieser jungen Dame lag. Nicht, dass sie so etwas ihrer Schwester gegenüber äußern würde. Na ja, zu Verity würde sie es vielleicht sagen – sehr wahrscheinlich würde sie Verity so etwas sagen, aber nicht Cecilia. Cecilia, die schüchterne, herzensgute, sensible Schwester.

Cecy wandte den Blick ab, ihre zusammengepressten Lippen verrieten, dass sie sich einen weiteren Kommentar verkniff und nicht die Absicht hatte, sich mit ihrer älteren Schwester auseinanderzusetzen. Und das ausgerechnet an dem Tag, an dem diese Schwester abreisen wollte. Irritiert über Cecys entschlossenes Schweigen sagte sie schließlich: »Es tut mir leid, Cecy, aber Ned ist einfach nicht an dir interessiert.«

Ihre Schwester sah sie entgeistert an, ihre Augen wurden feucht und schließlich flossen Tränen, sodass es Caroline einen Moment lang leidtat, was sie gesagt hatte. Offenbar war Cecy doch so ein Sensibelchen. Aber war es nicht besser, in der Realität zu leben, als von Unmöglichkeiten zu träumen?

»Es tut mir leid, wenn das, was ich sage, hart klingt.«

»Du klingst nicht so sehr zerknirscht«, sagte ihre Schwester und wischte sich über ihre feuchten Wangen.

»Cecy, es tut mir leid. Mir liegt einfach zu viel an dir, als dass ich zulassen könnte, dass du dich in törichten Fantasien ergehst. Ned Amherst ist nicht der Mann, für den wir ihn gehalten haben, und ich kann dir einfach nicht dazu raten, ihn aufzusuchen.«

»Aber er ist unser Freund, und er ist verletzt – er hätte sterben können!«

»Und sein Verhalten hat seine Familie in große Verlegenheit gebracht, und – das muss ich ja wohl nicht extra betonen – auch uns durch unsere Verbindung zu ihm. Wie es aussieht, ist Mama nicht allzu erfreut darüber, dass Lady Heathcotes Getratsche andeutet, ich sei gezwungen, wegzugehen« – der Gedanke gab ihr einen Stich ins Herz; Mama wollte doch nicht wirklich, dass Caroline wegging, oder? – »also denke ich nicht, dass es klug ist, ihren Unmut und Kummer noch zu vergrößern, indem wir über den Mann sprechen, der für diese Trennung verantwortlich ist.«

Cecilia warf einen Blick auf die Uhr auf dem Kaminsims, als könne sie es kaum erwarten, Caroline abreisen zu sehen.

Jetzt erfüllte Caroline ehrliches Bedauern, sie zwang sich zu einem Lächeln und schlug einen versöhnlichen Ton an. »Ich möchte nicht gehen, wenn zwischen uns so ein Zwist herrscht. Ich wünsche mir nur, dass du glücklich bist.«

»Ich weiß«, murmelte ihre Schwester.

Caroline umarmte sie. »Dann lass uns Lebewohl sagen. Du sollst wissen, dass ich an dich denken werde.«

»Ich auch an dich.«

Wie genau dieses An-sie-Denken ihrer Schwester aussehen würde, wollte Caroline sich lieber nicht ausmalen.

Es klopfte an der Tür, und ein Bediensteter erschien. »Miss Hatherleigh, Ihre Mutter lässt Ihnen mitteilen, dass die Kutsche bereit ist.«

Caroline nickte und wandte sich dann mit einem Lächeln an ihre Schwester. »Wir sehen uns in ein paar Wochen.«

»Wunderbar«, erwiderte Cecilia ohne jeden Funken von Begeisterung.

Caroline warf ihr einen knappen Blick zu, zuckte die Schultern und verließ den Raum, um sich von ihren Eltern zu verabschieden. Verity war, wenig überraschend, nirgends zu sehen.

»Wir hoffen, du hast eine gute Reise.«

»Danke, Mama, das wird sicher so sein.«

»Mary und unser guter John wissen, was zu tun ist.«

Mary, Carolines Kammerzofe, und Aynsleys altgedienter Kutscher – von dem Caroline sich ziemlich sicher war, dass er nicht John, sondern Timothy hieß – als Begleitung würden den Erfordernissen der Schicklichkeit genügen.

Ihre Mutter umarmte sie flüchtig und richtete sich sofort wieder kerzengerade auf, als hätte sie in einem Moment der Schwäche ihre Gefühle gezeigt. »Wir sehen uns im Frühjahr wieder.«

Caroline musste gegen das Aufflackern des Unmuts ankämpfen, den die Worte ihrer Mutter auslösten. Sie wusste, warum sie gehen musste – jede weitere Verbindung mit Ned würde ihrem Ruf schaden –, aber es erschien ihr dennoch etwas drastisch und ein wenig ungerecht, weggeschickt zu werden. Und wenn schon, dachte sie, hob das Kinn und setzte ein Lächeln auf. Sie würde diese »Verbannung« einfach als eine kurze Abweichung von ihren Plänen betrachten und als ein Abenteuer ansehen. Sie entriss Mittens den dienstbeflissenen Armen eines Dieners und nickte.

»Auf Wiedersehen.«

Man half ihr in die Kutsche, und nachdem sie sich eingerichtet hatte, warf sie einen Blick zurück auf das palladianische Herrenhaus von Aynsley. Die lange imposante Fassade – über hundertzwanzig Meter, wie sie ihren Vater stolz hatte rühmen hören – leuchtete golden im winterlichen Sonnenschein, und sie zeugte vom Erbe der Familie, die hier seit ungezählten Generationen lebte. In etwas mehr als sieben Wochen würde sie zurückkehren, das Leben würde weitergehen wie bisher, und die Saison – ihre Saison, in der sie einen Ehemann finden würde – würde beginnen. Und wer weiß? Vielleicht hatte sie sogar ein paar Tipps von Großmutter im Gepäck, wie sie den richtigen Mann, wenn sie ihn endlich traf, dazu bringen konnte, um ihre Hand anzuhalten.

Die Kutsche bog aus der Einfahrt in Richtung Süden ab. Caroline lächelte Mary an und straffte die Schultern. Das Abenteuer konnte beginnen.

Lyme Regis, Dorset