DIE FRIESENPIRATEN - Kai-Uwe Wedel - E-Book

DIE FRIESENPIRATEN E-Book

Kai-Uwe Wedel

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Beschreibung

DIE FRIESENPIRATEN freuen sich gerade in dem idyllischen Hafenstädtchen Aalstedt auf ihren ersten Ferientag. Durch Zufall beobachtet der verwegene Oberpirat Till, wie der alternde Seebär Käpt´n Boje von zwei brutalen Männern auf seinem Fischkutter bedroht wird. Das ist der Beginn einer spannenden Detektiv-Geschichte, in deren Verlauf es Till und seinen neugierigen Kameraden gelingt, den zwielichtigen Machenschaften eines Grundstückspekulanten aus Hamburg auf die Spur zu kommen. Der hat es mit seinen Spießgesellen auf Boje´s Fischklause abgesehen. Die Bodyguards schrecken vor keinem Verbrechen zurück, weder vor Brandstiftung noch vor Entführung. Allerdings haben sie nicht mit den mutigen Friesenpiraten gerechnet, die den Dunkelmännern durch ihre abenteuerlichen Nachforschungen auf die Schliche kommen. Jedoch geraten sie dabei am Ende selbst in große Lebensgefahr.

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Kai-Uwe Wedel

Die Friesenpiraten

Abenteuerroman

Detektiv-Geschichte

Das Buch

Die Friesenpiraten freuen sich gerade in dem idyllischen Hafenstädtchen Aalstedt auf ihren ersten Ferientag. Durch Zufall beobachtet der verwegene Oberpirat Till, wie der alternde Seebär Käpt'n Boje von zwei brutalen Männern auf seinem Fischkutter bedroht wird. Das ist der Beginn einer spannenden Detektiv-Geschichte, in deren Verlauf es Till und seinen neugierigen Kameraden gelingt, den zwielichtigen Machenschaften eines Immobilienhais aus Hamburg auf die Spur zu kommen. Der hat es mit seinen Spießgesellen auf die Fischklause von Boje abgesehen. Die Bodyguards schrecken vor keinem Verbrechen zurück, weder vor Brandstiftung noch vor Entführung. Allerdings haben sie nicht mit den sechs mutigen Friesenpiraten gerechnet, die den Dunkelmännern durch ihre abenteuerlichen Nachforschungen auf die Schliche kommen. Dabei geraten sie am Ende in höchste Lebensgefahr.

Der Autor

Kai-Uwe Wedel legt hier seine erste Detektiv-Geschichte für Kinder in Buchform vor. Er ist auch als Schauspieler aus dem Kinofilm Timebrakers bekannt und hat in vielen Web-Serien und TV-Filmen in Schleswig Holstein mitgespielt, wo er bis heute immer wieder als Darsteller und Drehbuchautor an Filmprojekten mitwirkt. Seine spannende und zugleich lustige Krimi-Farce Die Tote im Unterholz, worin er die Hauptrolle spielt, lief 2015 in einigen ausgewählten Programm-Kinos. Das Schreiben ist eine Passion, der er sich immer wieder gerne widmet und der hier vorliegende Abenteuerroman ist Zeugnis eines besonderen Talents.

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Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Ungekürzte Ausgabe imVerlag: tredition GmbH, Hamburg1. Auflage September 2015Copyright © Kai-Uwe WedelNach einer Idee von Lars AppelFilm-Konzept Lars Appel, Ines KrögerUmschlaggestaltung bei K.U. Wedel Titelbild © Rahel LeschnikISBN: 978-3-7345-6053-8

Dieses Buch ist den angehenden Schauspiel-Kidsgewidmet, die sich schon in jungen Jahren fürGesang, Tanz und Rollenspiel auf der Bühne, odervor der Kamera entschieden haben. Ganzbesonders aber Antonia, Amelie, Tom und Bryenvom Hamburger Stagecoach-Theater, die sich alsechte Friesenpiraten auf dem Fischkutter PräsidentFreiherr von Maltzahn im MuseumshafenHamburg für das Buch-Cover erwiesen haben.

Vorgeschichte

Eine unheimliche Stille lag an diesem Morgen über dem Hamburger Hafen. An einigen Sommertagen lastete das schwüle Klima wie eine Glaskuppel auf der Stadt und ließ die Muskeln der Schauermänner erschlaffen. Sie trieb die Arbeiter in den Docks zu ermüdeten Gruppen zusammen, die sich heimlich eine Pause gönnten und dabei verstohlen über die Schulter nach ihrem Vorarbeiter blickten.

Rolf Rüdiger Knubbe saß in seinem Büro nahe der Hafencity am Schreibtisch und sah aus dem offenen Fenster. Er paffte genüsslich eine Havanna und beobachtete die Faulpelze im Trockendock, die vom Vorarbeiter rüde angetrieben wurden, um wieder ihre Schweißarbeiten an einem mächtigen Containerschiff aufzunehmen.

Knubbe war ein berüchtigter Immobilienhai aus dem zwielichtigen Kiez-Milieu und außerdem der stolze Besitzer zwei gutgehender Fischrestaurants. Er rollte den abgebrannten Stummel seiner Zigarre zwischen Daumen und Zeigefinger, während die säuselnde Stimme seiner aufreizenden und jungen Sekretärin Tippsi in der Gegensprechanlage auf dem Schreibtisch ertönte.

»Martin Lorenz ist jetzt da.«

»Na endlich«, erwiderte Knubbe mürrisch.

Kurz darauf öffnete Tippsi die Bürotür. Sie machte eine einladende Handbewegung und trat beiseite, um einen hageren Mann im schwarzen Anzug und mit Bürstenhaarschnitt hereinzubitten.

Knubbe sah sich nicht genötigt aufzustehen, um seinen Anwalt zu begrüßen. Er drückte die Glut am Stummel seiner Havanna im Aschenbecher aus und gebot Lorenz mit lässiger Handbewegung in dem Ledersessel vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen, während Tippsi sich wieder zurückzog und die Bürotür lautlos ins Schloss fallen ließ.

»Ich hoffe es ist wichtig, Martin. Ich hab jetzt keine Zeit für Banalitäten!«

»Der Inspizient von der Gesundheitsbehörde hat die Klage vor dem Hamburger Verwaltungsgericht gegen Sie zurückgezogen.«

»Das hätte ich dem Vollpfosten auch geraten«, sagte Knubbe in einem überheblichen Unterton.

Lorenz fühlte sich bei dem, was er nun zu sagen gedachte, sichtlich unwohl in seiner Haut, und rutsche nervös in dem Ledersessel herum.

»Aber auch nur deshalb weil alle Küchenhilfen mit prekären Arbeitsverhältnissen ihre Aussagen vor Gericht revidiert haben.«

»Dann haben die Überredungskünste der Gebrüder Dämel anscheinend doch was geholfen«, erwiderte Knubbe verschmitzt.

Martin Lorenz starrte wie hypnotisiert auf seinen Aktenkoffer und wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Eigentlich mochte er keine überheblichen Menschen, die sich hemmungslos alles Mögliche einverleibten, was in ihre gierigen Fänge geriet.

Dennoch hatte er vor Knubbe höllischen Respekt. Sein maßloses Geltungsbedürfnis verlieh ihm die Aura eines anmaßenden Befehlshabers. Außerdem bezahlte er ihn für seine Anwaltstätigkeit sehr gut, weshalb er seine moralischen Bedenken zu unterdrücken versuchte.

Lorenz öffnete seinen Aktenkoffer und nahm eine Dokumentenmappe heraus.

»Allerdings ist mir vollkommen schleierhaft, weshalb ich bei einer Bank in dem unbedeutenden Städtchen Aalstedt, die Hypothek einer heruntergekommen Fischklause erwerben sollte?«

»Das werden Sie noch früh genug erfahren! Ich hoffe, Sie haben das diskret für mich abgewickelt«, erwiderte Knubbe mit strenger Miene.

Lorenz begann aufgeregt in seinen Unterlagen zu blättern, bis er endlich fand, was er suchte. Danach überreichte er ihm in untergebener Haltung und mit einer übertriebenen Geste ein Schriftstück.

»Ähm – selbstverständlich Boss. Hier habe ich den Kaufvertrag über die gesamte Hypothek. Sie müssen nur noch unterschreiben, dann gehört das Grundstück Ihnen.«

Knubbe setzte umständlich eine Lesebrille auf und überflog kurz das Dokument. Er wollte gerade in die Innentasche seines Jacketts greifen, um einen Füllfeder herauszuholen, als sich auf seiner Stirn dunkle Wolken abzuzeichnen begannen.

Der kritische Blick war Lorenz nur allzu bekannt. »Stimmt was nicht?«

»Hier steht, dass ich innerhalb von einer Woche die Kaufsumme überweisen muss, sonst wird der Vertrag ungültig.«

Martin Lorenz versank augenblicklich in dem schwarzen Ledersessel und versuchte vergeblich, den böse funkelnden Augen seines Mandanten auszuweichen. Er begann hektisch im Aktenkoffer zu wühlen, als ob es dort entlastendes Material zu finden gäbe.

»Das sind die üblichen Konditionen. Der Vertrag wird erst rechtskräftig, wenn die Bank ihr Geld hat.«

Knubbe begann innerlich vor Wut zu kochen. Die ersten zwei Knöpfe am Hemdkragen sprangen auf und landeten klirrend in dem vor ihm stehenden Aschenbecher auf seinem Schreibtisch.

»Ganz genau, mein Geld! Woher soll ich so schnell fünfundsiebzig Tausend Euro … ?«

»Ich kann den Vertrag wieder rückgängig machen. Auf der zweiten Seite gibt es eine Ausstiegsklausel die … .«

»Unterbrechen Sie mich nicht, verdammte Axt! Jetzt reicht´s, verschwinden Sie, bevor ich mich vergesse!«, schrie Knubbe außer sich vor Wut.

Lorenz hüpfte aus dem Ledersessel, wodurch ihm der Aktenkoffer vom Schoß rutschte und sich der Inhalt auf dem Boden verteilte.

Auf allen Vieren suchte er die herausgefallenen Dokumentenmappen zusammen und durchquerte danach hektisch das Büro. Vor seiner Nase wurde plötzlich die Tür aufgerissen.

Tippsi blickte dem panisch flüchtenden Anwalt verwundert hinterher und wendete sich erstaunt an Knubbe.

»Chef, Sie wünschen?«

»Verbinden Sie mich umgehend mit den Gebrüdern Dämel!«

»Mit ihren Bodyguards?«, fragte Tippsi ungläubig.

»Zum Kuckuck, jetzt machen Sie schon!«

KAPITEL 1

Von dem feuchtschwülen Klima in der Hansestadt Hamburg war in dem idyllisch gelegenen Aalstedt wiederum nichts zu bemerken.

Umgeben vom Marschland, direkt in der Husumer Bucht an der Nordseeküste, wehte eine Brise den Geruch von gesalzenem Meerwasser und Algen über den Deich.

Till fuhr wie an jedem Wochentag auf seinem Mountainbike an der Vorlandkirche entlang zur Schule und grüßte dabei Pfarrer Johanson, der gerade einige Besucher der Morgenmesse an der schmiedeeisernen Pforte verabschiedete. Der Weg führte ihn weiter an alten Häusern mit urtümlicher Backsteinfassade vorbei, bis er schließlich auf dem Gelände der Gesamtschule ankam.

Dort stellte er sein Fahrrad in einem dafür vorgesehenen Unterstand ab und mischte sich unter die Kinder, die auf dem Pausenhof herumstanden oder liefen, um ihre überschüssige Energie vor dem Unterricht loszuwerden.

Er sah sich suchend nach seinen Kameraden um, mit denen er in dieselbe Klasse ging, konnte aber niemanden auf Anhieb unter den vielen Schülern ausmachen. Er entschloss sich noch schnell einen Blick auf den Spielplatz hinter dem Schulgebäude zu wagen.

Dort tobten wie gewöhnlich die jüngeren Kinder auf einer Schaukel oder Rutsche herum. Auf einem Klettergerüst entdeckte er Finn, wie er flink an den Streben bis zur Spitze hochzog. Mattes versuchte ihm mühsam zu folgen, rutschte jedoch mehrmals mit den Füßen auf dem Gerüst ab.

Till gesellte sich zu einer Gruppe Schülern, die Mattes anfeuerten nicht aufzugeben und bei dem Wettkampf mit Zurufen unterstützte.

Darunter waren auch seine Freunde, die ziemlich enttäuscht drein blickten, da Finn sich bereits auf dem Rückweg nach unten befand und an Mattes vorbei hangelte. Er machte ein gekonnten Sprung und landete direkt vor Niklas, Jette und Nele.

»Habe ich die Mutprobe endlich bestanden«, fragte Finn neugierig.

»Du bist zweifellos so flink, wie ein Wiesel«, sagte Niklas anerkennend.

In dem Augenblick bemerkte Nele, dass Till sich unauffällig in die Menge der Zuschauer gemischt hatte, die sich jetzt enttäuscht über den Ausgang des Wettkampfes aufzulösen begann.

»Moin Till, stehst du schon länger hier? Ich hab dich gar nicht gesehen.«

»Nein, bin gerade eben erst dazugekommen. Was soll das ganze Spektakel, dass hier veranstaltet wird?«, fragte Till verwundert.

Nur mit Mühe schaffte es Mattes endlich wieder zurück auf die Erde, der sich sofort keuchend und nach Luft schnappend an Till wendete.

»Die halbe Portion hat Glück gehabt. Ich hab heute nicht die richtigen Schuhe für diese Turnerei an.«

»Tut mir leid Mattes, ich weiß gar nicht, worum es hier eigentlich geht?«, erwiderte Till gleichgültig.

Niklas und Jette drehten sich überrascht um, weil sie Tills Stimme hörten. Sie waren die ganze Zeit viel zu abgelenkt gewesen und hatten nur Augen für den Wettkampf.

Wie schon so oft hatte es Till durch sein zurückhaltendes Auftreten geschafft, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, denn er war auch insgeheim der Anführer der Friesenpiraten.

»Du hast wohl nicht ausgeschlafen, Till? Erkennst du unser Aufnahmeritual nicht wieder, dass alle Mitglieder der Friesenpiraten machen müssen?«

Niklas sah Till verschmitzt an und zwinkerte ihm dabei mit einem Auge zu. Er nickte mit dem Kopf in Finns Richtung, der jetzt von seinen Kameraden betont kritisch gemustert wurde.

Jette versuchte Till aus der Patsche zu helfen und klopfte Finn anerkennend auf die Schulter.

»Mutig bist du, aber ob du auch den nötigen Grips hast, wird sich erst noch zeigen«, sagte Jette.

»Dann bin ich jetzt ein Friesenpirat?«, fragte Finn und sah ungläubig jedes einzelne Mitglied in der Gruppe an.

Till ahnte, das es nun seine Aufgabe als Anführer war, hier und jetzt eine Entscheidung zu treffen, obwohl er nicht wusste, ob sich seine Kameraden nur einen Scherz erlaubten.

Finn war eine Klasse unter ihnen und mindestens ein Jahr jünger, möglicherweise sogar zwei, wenn man seine Größe in Betracht zog.

»Erst, wenn du die letzte Prüfung bestanden hast«, sagte Till bestimmt.

Die Mädchen waren ebenso erstaunt wie Finn, der die Jungs etwas verunsichert ansah, aber Niklas und Mattes wussten sofort, worauf ihr Oberpirat hinaus wollte.

»Was denn, noch eine«, erwiderte Finn enttäuscht.

»Wo die Flagge im Nordwind weht, der Pirat ins Geheimversteck geht«, enthüllte Niklas stolz die neue Aufgabe.

»Und wo ist dieses Geheimversteck?«, fragte Finn unsicher und kratzte sich dabei nachdenklich am Hinterkopf.

»Wenn du das Rätsel gelöst hast, bist du ein echter Friesenpirat«, setzte Till abschließend hinzu.

In dem Augenblick ertönte die Schulglocke. Die Friesenpiraten machten sich auf den Weg über den Pausenhof zum Eingangsportal der Gesamtschule.

Alle Schüler rannten wild jauchzend an dem Hausmeister vorbei, als könnten sie die erste Schulstunde kaum erwarten. Seine Ermahnungen „leise zu sein“ halfen absolut gar nichts, aber weil es der letzte Unterricht vor den Ferien war, wartete er geduldig bis alle das Gebäude betreten hatten und machte danach hinter ihnen die Tür zu.

Die Schulklasse der Friesenpiraten befand sich im zweiten Stock auf der Vorderseite des Gebäudes. Von dort hatte man einen herrlichen Blick auf die Nordseeküste und das Wattenmeer.

Till war vom hektischen Treiben auf den Fluren und in der Klasse, wo sich die Schüler immer noch auszutoben schienen, ein bisschen schwindelig zu mute. Er durchquerte zielstrebig den Klassenraum und setzte sich ermattet auf seinen angestammten Fensterlatz in der letzten Reihe. Mattes trottete hinter ihm her und wurde von Niklas überholt, der sofort seinen Platz neben Till einnahm. Die Mädels saßen bereits in der gleichen Sitzreihe und sahen irritiert zu den Jungs herüber.

Till ließ sich nichts anmerken, denn er war mit seinen Gedanken schon ganz woanders. Er blickte verträumt auf die Krabbenkutter und Fischtrawler in dem kleinen Hafen von Aalstedt. Dieser lag etwas abseits, wogegen sich einige Häuser der Gemeinde schützend an den alten Nordseedeich schmiegten.

Der strahlend blaue Himmel tauchte die Husumer Bucht in eine sommerliche Atmosphäre, während gerade die Flut im Wattenmeer langsam zu steigen begann.

Plötzlich wurde es ganz still um ihn herum. Alle Schüler saßen auf ihren Plätzen und holten ihre Hefte und Schreibsachen aus den Schulranzen.

Die Geschichtslehrerin Laura Hansen schrieb mit Kreide und in Großbuchstaben STÖRTEBEKER an die Tafel.

»Wer von euch hat den Namen Störtebeker schon mal gehört?«, fragte Laura und sah gespannt die Kinder in der ganze Klasse an.

Eine ganze Weile traute sich niemand etwas zu sagen. Mit der Konzentration von Kindern in der ersten Schulstunde war es im allgemeinen nicht weit her.Schließlich meldete sich Jette zu Wort und Laura nickte ihr aufmunternd zu.

»Störtebeker war ein legendärer Pirat.«

Laura Hansen ging wieder zur Tafel und ergänzte den Namen Störtebeker mit dem Vornamen Klaas, oder auch Nikolaus Storzenbecher genannt.

»Der berüchtigte Kapitän war ein Freibeuter! Weiß jemand von euch, wann und wo er gelebt hat?«, fragte Laura weiter in der Hoffnung, damit die Aufmerksamkeit der Klasse geweckt zu haben.

»Ich glaube im Mittelalter. Da hat er mit seiner Mannschaft die Nordsee unsicher gemacht!«, rief Niklas einfach in den Unterricht hinein.

»Ganz richtig Niklas, aber das nächste Mal meldest du dich bitte. Genauer gesagt, hat er gegen Ende des 13. Jahrhunderts mit den Vitalienbrüdern König Albrecht von Schweden unterstützt. Als Kapitän der Likedeeler überfiel er zunächst nur die Schiffe der Dänen in der Ostsee. Etwas später kaperte er auch die Handelsschiffe der Hanse in der Nordsee«, schilderte Laura ausführlicher die Geschichte.

Die meisten Schüler in der Klasse machten sich Notizen. Till schrieb ebenfalls fleißig mit, obwohl er sich mit der Legende des Seeräubers schon recht gut auskannte. Der Krabbenkutter von seinem Opa hieß nämlich auch Störtebeker. Er wurde von allen liebevoll Käpt´n Boje genannt. Mit ihm war er oft zum Fischen gefahren und dabei hatte sein Opa manchmal etwas von dem gefürchteten Freibeuter-Kapitän erzählt.

Ausgeschmückt mit ein bisschen Seemanns-Garn schilderte er ihm, dass er den Spitznamen von den verwegenen Vitalienbrüdern aufgrund seiner Trinkfestigkeit bekommen hatte. Der Sage nach konnte er einen Humpen mit Bier oder Wein in einem Zuge leeren. Deshalb bekam er den lustigen Spitznamen „Storzenbecher“ (Stürze den Becher).

Nach vielen Abenteuern wurde er dann doch von einer Armada Friedeschiffe aus Hamburg gestellt. Darauf folgte ein erbittertes Seegefecht, bei dem das Blut vieler Matrosen vergossen wurde.

Störtebeker kämpfte tapfer mit seinen Seeräubern gegen eine Übermacht. Fast wäre er noch einmal durch ein kluges Manöver entwischt. Unter vollen Segeln navigierte er sein Schiff mutig zwischen Felsen und Klippen hindurch, und entkam bis nach Helgoland. Dort erwartete ihn jedoch eine Überraschung. Ein Schiff mit dem Namen Bunten Kuh lauerte Störtebeker auf und zerstörte mit einem gezielten Kanonenschuss den Hauptmast. Jetzt war sein schnelles Schiff manövrierunfähig und Störtebeker musste aufgeben.

Till träumte den ganzen Unterricht hindurch von dem spannenden Seegefecht. Plötzlich wurde er durch einen An-Stupser aus seiner Phantasiewelt gerissen.

Niklas sah ihn mit großen Augen an und wies dabei mit einer kurzen Kopfbewegung nach vorne, wo die Geschichtslehrerin mit den Händen in der Hüfte auf die Antwort einer Frage wartete.

»Till – ist mein Unterricht langweilig, oder hast du heute noch nicht genug geschlafen?« fragte Laura enttäuscht.

»Ähm, T´schuldigung, hab gerade nicht aufgepasst weil …«, begann Till sich gerade zu rechtfertigen, als ihn plötzlich ein Papierball am Kopf traf.

»Pascal – das habe ich gesehen! Noch so´n Ding und ich lass dich am letzten Schultag nachsitzen«, rief Laura einem Schüler in der Klasse zu.

Pascal saß auf der gegenüberliegende Seite am vorletzten Tisch. Er machte eine Unschuldsmiene und zeigte mit dem Finger auf sich selbst. Seine beiden Freunde kicherten blöde, während Till ihm mit zusammengepressten Lippen die rechte Faust entgegenhielt.

Er und Pascal hatten sich in der Vergangenheit auf dem Schulhof schon einmal kräftig in den Haaren.

„Wenn Jette damals nicht dazwischen gegangen wäre, dann wäre das eben nicht passiert“, dachte Till gerade als Laura erneut eine Frage an ihn richtete.

»Till – wenn du nicht die ganze Stunde verpasst hast, dann wiederhole doch bitte nochmal für uns, wie Störtebeker zu Tode kam.«

»Er wurde vor vielen Schaulustigen in Hamburg, direkt an der Hafeneinfahrt von einem Schafrichter enthauptet. Danach sahen alle ungläubig dabei zu, wie er Kopflos an einem Dutzend seiner treuen Gefährten vorbeilief, um ihnen sein Schicksal zu ersparen«, schilderte Till ausführlich.

Die Geschichtslehrerin war für einen Augenblick sprachlos. Mit einer so präzisen Antwort von Till hatte sie nicht gerechnet, zumal er ein paar Fakten erwähnte, die sie bisher selbst ignoriert hatte.

Laura nickte wortlos, ging an die Tafel, die nun schon fast voll beschrieben war, und ergänzte die Geschichte an der Stelle, wo Störtebeker Kopflos an seinen Gefährten vorbeilief. Danach wendete sie sich wieder der Klasse zu.

»Das hast du eindrucksvoll beschrieben, Till. Es wurde so dokumentiert, auch wenn die Historiker sich noch heute darüber streiten. Als Störtebeker enthauptet wurde, soll er tatsächlich an elf seiner Gefährten vorbeigelaufen sein, bevor ihm der Scharfrichter einen Fuß stellte«, erzählte Laura schmunzelnd und legte die Kreide währenddessen beiseite.

»Und dabei schleppte er seinen abgehackten Kopf mit sich herum«, bemerkte Mattes süffisant.

Pascal nahm seinen Kumpel, der neben ihm saß, in den Schwitzkasten. Dabei zog er ihn von dem Sitzplatz und stolperte mit seinem Opfer wie ein Zombie, der einen Kopf im Arm trägt, durch die Stuhlreihen. Die halbe Klasse fing daraufhin an zu grölen.

»Ruhe bitte - setzt Euch wieder! Der Bürgermeister von Hamburg hatte versprochen, die elf Piraten zu begnadigen, woran er sich dann … .«, sagte Laura vergeblich, um den Unterricht weiterzuführen, aber die Schüler kicherten und kasperten jetzt nur noch herum. Sie gab sich geschlagen und beendete die Schulstunde etwas früher als geplant.

»Ich wünsche allen schöne Ferien, und hoffe das ich Euch gesund und genauso munter, im nächsten Schuljahr wiedersehe.«

Die Klasse begann zu Jubeln. Die meisten Schüler packten schnell ihre Schulhefte weg und rannten über den Flur durch das Treppenhaus hinunter auf den Pausenhof.

Till wartete bis sich der Klassenraum gelehrt hatte und holte etwas aus seiner Schultasche. Es war eine kleine Ampulle mit einem Mundstück. Er machte verstohlen zwei kurze Atemzüge. Dann steckte er es in die Hosentasche und versuchte sich lautlos nach draußen zu schleichen.

Laura wischte gerade die Tafel mit einem nassen Schwamm sauber, doch als Till am Pult vorbeikam, drehte sie sich plötzlich um.

»Hey Till, du scheinst eine Menge über Störtebeker zu wissen?«

Till erstarrte. Er fühlte sich ertappt und sah Laura verlegen an. Er mochte die junge Lehrerin ganz gerne, wollte sich aber nicht anmerken lassen, dass er heimlich für sie schwärmte.

»Ähm – normalerweise hört man immer nur von Seeräubern und Piraten, die vor ein paar hundert Jahren die Ozeane des Mittelmeer und der Karibik verunsichert haben.«

»Wenn du willst, bringe ich dir nach den Ferien ein Buch zu diesem Thema mit, in dem du ein bisschen schmökern kannst.«

Till wurde auf einmal rot im Gesicht und wusste nicht was er sagen sollte. Irgendwie schaffte er es dennoch schnell etwas zu erwidern, bevor er sich danach auf den Pausenhof begeben wollte.

»Das wäre nicht übel«, erwiderte Till verlegen.

Auf dem Flur kam ihm Niklas entgegen gelaufen. Irgendetwas an seinem Gesichtsausdruck verriet Till, dass er ein Problem hatte.

»Wo bleibst du denn solange? Mattes steckt in der Klemme. Pascal und seine Kumpels haben ihn in der Mangel«, sagte Niklas aufgeregt.

»Was wollen sie diesmal – seine Turnschuhe?«, fragte Till erbost.

»Komm mit. Die sind ziemlich übel drauf!«

Niklas zog Till in das Treppenhaus und bedeutete ihm leise zu sein. Sie schlichen sich lautlos in das Erdgeschoss. Vom Kelleraufgang drangen deutlich hämische Bemerkungen nach oben.

»Jetzt bist du nicht mehr witzig, du Komiker. Hast wohl geglaubt, du könntest mit dem MP-3 Player die Ferien verbringen.«

Till erkannte sofort die raue Stimme von Pascal. Ohne zu zögern rannte er mit Niklas die Treppe hinunter. Als sie ins Kellergeschoss kamen, wurde ihnen von Pascal´s Freunden breitbeinig der Weg verstellt.

»Haut ab! Ihr habt hier nichts zu suchen«, sagte der größere Junge von den beiden.

Till kniff wütend die Augen zusammen und trat ihm mit dem Absatz auf die Fußspitze. Dem folgte ein Aufschrei. Der Klassenkamerad humpelte mit schmerzverzerrter Miene zur Seite.

Pascal drehte sich überrascht um. Als er Till sah, ballte er sofort die Fäuste.

»Ach sieh mal einer an. Du hast mir gerade noch gefehlt.«

»Tatsächlich? Dann kannst du Mattes ja den MP3-Player jetzt wieder zurückgeben«, entgegnete Till forsch.

»Warum sollte ich? Den hat er verloren, und der Finder darf ihn behalten!«

»Du und deine Kumpels sind Erpresser. Rückt sofort das Teil wieder raus, oder ihr fliegt von der Schule, bevor die Ferien angefangen haben!«

Pascal blickte verunsichert zu seinen Freunden, die Niklas bis jetzt erfolgreich in Schach hielten. Doch dann wurde ihm schlagartig bewusst, dass sie bei einer Auseinandersetzung den kürzeren ziehen würden. „Niklas könnte es locker mit beiden aufnehmen und würde nicht mal ein blaues Auge abkriegen“, überlegte Pascal rasch.

Er holte widerwillig den MP3-Player aus seiner Hosentasche und übergab ihn zähneknirschend an Mattes.

»Hier, Fettbacke! Das nächste Mal haste nicht so viel Glück«, murmelte Pascal herablassend und machte sich gleich darauf mit seinen Kumpels auf den Weg nach oben.

Till, Niklas und Mattes sahen den vermeintlichen Klassenkameraden dabei zu, während die sich mit eingezogenen Schwänzen verdrückten.

Dann legten sie die rechten Hände aufeinander und riefen ihnen gemeinsam im Chor hinterher.

»Wir sind mutig und halten zusammen. Gemeinsam sind wir tapfer und nicht zu schlagen, denn wir sind die Friesenpiraten!«

KAPITEL 2

Die Sommerferienzeit war auch die Zeit, in der Till so oft wie möglich mit seinem Opa hinaus auf die See fahren durfte. Darauf hatte er sich am letzten Schultag schon sehr gefreut, weshalb er mit seinen Gedanken oft woanders zu sein schien, und bis in die letzte Unterrichtsstunde abwesend wirkte.

Die Ermahnung des Mathematiklehrers klangen noch immer in seinen Ohren, während er jetzt auf dem Mountainbike durch die Altstadt in den Hafen radelte. Käpt´n Boje hatte versprochen auf ihn zu warten, bevor er die Leinen losmachte, um mit seinem Fischkutter einen kleinen Ausflug zu den Sandbänken vor Aalstedt zu machen.

Der Motor lief schon, als Till über den langen Bootssteg rannte und gerade noch rechtzeitig über die Reling an Bord der Störtebeker sprang.

Boje kam sofort aus der Kajüte und zündete sich eine frisch gestopfte Meerschaum-Pfeife an.

»Mach die Leinen los, mein Junge. Ich dachte schon, du kommst nicht mehr.«

Till löste schnell die Leinen am Bug und Heck der Störtebeker, womit der Fischkutter vertäut wurde, während sein Opa im Führerhaus das Funkgerät überprüfte. Dies gehörte mit zu einer der goldenen Regeln an Bord eines Boots, bevor man losfuhr.