Die Glücksbäckerei – Die magische Schule - Kathryn Littlewood - E-Book + Hörbuch

Die Glücksbäckerei – Die magische Schule Hörbuch

Kathryn Littlewood

0,0

Beschreibung

Die perfekte (Back-)Mischung aus magischem Abenteuer und spannendem Schulgeheimnis!Rose reist mit ihrer neuen Freundin Nevika zu einem Kurs für junge Meisterbäcker in eine exklusive Zauberbackschule. Dort lernen die beiden andere junge Bäcker und Bäckerinnen aus der ganzen Welt kennen. Dem Besten von ihnen winkt eine Lehrstelle bei einem Magischen Bäckergroßmeister – natürlich wollen alle den Preis gewinnen. Als Rose in der ersten Prüfung mit magischem Kuchen Unsichtbares sichtbar macht, entdeckt sie in den Gängen der alten Zauberbackschule geheimnisvolle Rezepte an den Wänden. Und es dauert nicht lange, da stecken Rose und Nevika mitten in einem magischen Schul- und Backabenteuer voller Überraschungen ...Im achten Band der »Glücksbäckerei« wird die Schule zum leckersten Ort der Welt!Alle Bände über »Die Glücksbäckerei«:Band 1: Das magische RezeptbuchBand 2: Die magische PrüfungBand 3: Die magische VerschwörungBand 4: Die magische VerwandlungBand 5: Die magische RettungBand 6: Die magische ZeitBand 7: Das magische FestBand 8: Die magische SchuleBand 9: Die magischen ZwillingeSerie bei Antolin gelistet

Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS

Zeit:5 Std. 14 min

Sprecher:Sascha Icks
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Kathryn Littlewood

Die Glücksbäckerei

Die magische Schule

Aus dem Amerikanischen von Eva Riekert

Mit Vignetten von Eva Schöffmann-Davidov

FISCHER E-Books

Inhalt

WidmungPrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Epilog

Für Bastian und Rike,

Roses Stiefeltern

Prolog

Total verrückt

Die Sonne verschwand langsam am Horizont nach einem vollkommen durchschnittlichen und belanglosen kalten und grauen Februarnachmittag in Calamity Falls.

Trotzdem konnte Rosmarin Glyck kaum an sich halten.

Oben in ihrem Zimmer über der Bäckerei der Familie Glyck wippte sie aufgeregt auf ihrem Schreibtischstuhl herum, kritzelte mit einem lila Gelschreiber in ihr Notizbuch und versuchte mit aller Macht, nicht an den Postboten zu denken.

Auf dem Bildschirm des Computers beschrieb Roses neue beste Freundin Nevika Baridi eine ungewöhnlich leckere Nachspeise. »… Und auf die Schokoladencreme kommen genau zweiundvierzig französische Macarons, hochkant, und zwar in folgendem Muster – hör doch bitte zu wippen auf, du machst mich ganz verrückt.«

»Ich kann nicht anders«, sagte Rose. »Heute ist der letzte Tag für die Benachrichtigungen!«

»Konzentrier dich!«, sagte Nevika.

»Na gut.« Rose zeichnete das von Nevika beschriebene Muster auf. Sie und Nevika liebten es, neue Rezepte zu erfinden, und dank des Internets spielten alberne Kleinigkeiten wie die geographische Entfernung keine Rolle. »Vielleicht sollten wir noch mit Himbeeren ein paar rote Punkte setzen?«, überlegte Rose.

Als keine Reaktion von Nevika kam, blickte Rose auf. War die Verbindung abgebrochen? Aber Nevika war noch da, sie hatte die Augen aufgerissen. »Hast du das gehört?«

Jetzt hörte es auch Rose. Bei Nevika klingelte es, und zwar bereits ungeduldiger.

»Die Tür! Ich geh schnell!«, rief Nevika und war im nächsten Moment vom Bildschirm verschwunden.

Fast im selben Moment wurde das Haus der Glycks ebenfalls von einem melodiösen Ding-Dong erfüllt.

Rose sprang so schnell auf, dass sie mit den Knien von unten gegen die Schreibtischplatte polterte. Sie schoss durch die Tür, nahm immer zwei Stufen auf einmal nach unten und rannte auf ihren gelbgestreiften Socken durch den Bäckerladen.

Ihr älterer Bruder Tymo, der an der Ladenkasse saß, blickte von seinem Handy auf. »Donde esta el fuego?«

Doch Rose war schon vorbei und eilte in die Backstube, wo sie auf ihre Mutter Polly stieß, die ein Päckchen beäugte, während sich die Hintertür zur Backstube gerade wieder schloss.

Gebannt sah Rose, wie ihre Mutter das Päckchen auf den Küchenblock mitten in der Küche legte. Polly strich sich die Locken zurück und betrachtete neugierig den Adressaufkleber.

»An Miss Rosmarin Glyck«, las sie laut vor. Sie warf Rose einen Blick zu. »Es kommt ein bisschen zu spät für Weihnachten und ist zu früh für ein Geburtstagsgeschenk.«

»Ähm …«, stammelte Rose.

Polly entdeckte das auffallende Siegel und zog die Luft ein: ein silbriger Stempel – ein hölzerner Kochlöffel, gekreuzt mit einem Schneebesen, über einer blassblauen Wappen-Lilie. Rose konnte von dort, wo sie stand, den Absender nicht lesen, aber das musste sie auch nicht; sie kannte ihn genau.

»Akademie für gehobene Gastronomie und Backkunst«, las Polly mit einer Hand auf dem Herzen vor. »Ach, davon habe ich in deinem Alter geträumt, aber ich habe es nie geschafft. Warum schreiben sie …« Sie riss die Augen auf und starrte Rose an. »Rosmarin Glyck, hast du dich etwa beworben?«

Rose und Nevika waren bereits offiziell anerkannte Meisterbäckerinnen, Rose mit dreizehn und Nevika mit vierzehn Jahren. Soweit sie wussten, waren sie die einzigen zwei Meisterbäckerinnen im Teenageralter, die es hier in den USA gab – aber das bedeutete nicht, dass sie nicht noch viel zu lernen hatten. Die Akademie für gehobene Gastronomie und Backkunst bot einen Intensivkurs mit abschließender Prüfung für solche Meisterbäcker an, die sich auf den nächsten Schritt vorbereiten und Großmeister werden wollten. Nach erfolgreichem Abschluss der Prüfung stellte die Akademie einem oder mehreren Teilnehmern eine Fortbildung bei einem Großmeister der Backkunst irgendwo auf der Welt in Aussicht.

So ein Stipendium für einen Ausbildungsplatz war wie ein Sechser im Lotto.

Rose holte tief Luft. »Es tut mir leid, Mom, ich weiß, ich hätte es dir sagen sollen, aber ich möchte diese Prüfung unbedingt ablegen, und wir – ich und Nevika – haben befürchtet, dass ihr – du und Dad und Mr und Mrs Baridi – es verbieten würdet, deswegen haben wir lieber nicht gefragt, weil es ja ohnehin völlig unklar ist, ob wir überhaupt eine Chance haben, zu dieser Prüfung zugelassen zu werden. Daher –«

Polly schob Rose das Päckchen zu und sagte: »Ich glaube kaum, dass sie bei einer Absage ein Päckchen schicken würden. Worauf wartest du, mach’s schon auf!«

Zitternd nahm Rose ein Messer aus einem Schubfach, zerschnitt den Bindfaden, der um das Päckchen gewickelt war, und streifte das Packpapier ab. Sie öffnete den Karton. Darin lag ein rechteckiges Blatt Filo-Teig, wie ein leckeres Stück Papier. Vorsichtig nahm Rose das Blatt heraus und versuchte zu entziffern, was in Schokoladenschreibschrift auf den hauchdünnen Teigschichten draufstand. Polly blickte ihr über die Schulter, und sie lasen:

Liebe Rosmarin Glyck, geschätzte Meisterbäckerin,

es ist uns von der Akademie für gehobene Gastronomie und Backkunst eine große Freude, dich offiziell zu dem Intensivkurs hier in unserer Schule in Basel in der Schweiz einzuladen.

Rose blieb fast das Herz stehen. »Ich bin angenommen«, flüsterte sie.

Polly stupste sie gegen die Schulter. »Selbstverständlich!«

Um unsere Einladung anzunehmen, solltest du mit Schokolade unterzeichnen (nimm am besten deine feinste Spritztülle), die vier Ecken des Briefes nach innen falten, die Oberfläche mit geklärter Butter bestreichen, ihn backen, bis er braun und knusprig ist, und das fertige Backwerk danach verspeisen.

Das kündet uns dein baldiges Eintreffen an – wobei wir selbstverständlich alle Ausgaben für die Anreise nach Europa und die Unterbringung im Internat übernehmen.

Bewirke Wunder und backe gut!

Hochachtungsvoll

Prof. Margaux Macaron

Direktorin

AGGBK

Rose biss sich auf die Lippe und fragte: »Darf ich –«

Polly lachte. »Ja, du darfst fahren. Ich treffe die Vorkehrungen.« Sie hob den Finger. »Aber jetzt erst mal schnell unterzeichnen!« Sie schaltete einen der Backöfen ein.

»Danke!« Rose flitzte in die Kühlkammer, in der gefüllte Spritzbeutel mit allen möglichen Kuchenglasuren bereitlagen. (Um Roses Vater Albert zu zitieren: »Zweierlei Dinge dürfen uns nie ausgehen: Lächeln und Glasuren.«) Rose wählte einen Beutel mit der Aufschrift SCHOKOLADE und spritzte damit sorgfältig ihre Unterschrift auf die dafür vorgesehene Linie. Dann klappte sie die Ecken zu einer perfekten Raute nach innen, bestrich das Teigstück von der Größe eines Briefkuverts mit zerlassener Butter, legte es auf ein Blech und schob es in den Ofen.

Die Küche wurde sofort vom Duft nach Butter und Schokolade erfüllt.

Doch noch ein anderes Aroma stieg auf, etwas Prickelndes, das Roses Nase kribbeln ließ.

»Riecht nach … Magie«, flüsterte Polly.

Zwölf gespannte Minuten vergingen, dann zog Rose das Gebäckstück heraus und wartete weitere zehn Minuten, bis es abgekühlt genug war, um verspeist zu werden. Rose verschlang es in drei großen Bissen.

»Und jetzt?«, fragte sie und leckte sich die Krümel von den Fingern.

»Wir warten«, sagte Polly.

Rose spürte, wie sich etwas in ihrem Bauch rührte und drehte. Die Härchen auf ihren Armen stellten sich auf, und etwas kitzelte sie hinten im Schlund.

»Oh –«, sagte sie, wurde jedoch durch einen riesigen, donnernden Rülpser am Weitersprechen gehindert. Er blähte ihre Wangen auf und hielt sekundenlang an und endete in einer solch heftigen Gasexplosion, dass es fast schmerzte.

»Rosmarin Glyck!«, sagte Polly und wedelte sich vor dem Gesicht herum. »Benimm dich!«

Nach vollendetem Rülpser schlüpfte etwas Hartes aus Roses Mund, kraxelte über ihre Lippen und purzelte auf den Küchenblock.

»Igitt!«, rief sie und wischte sich den Mund. »Das lebt ja!«

Eine Schildkröte aus Blätterteig, die in etwa so groß war wie eine der Badeenten ihrer vierjährigen Schwester, reckte den Kopf und sagte: »Hallo!« Die Augen waren Schokoladenkleckse, und ihr Schokoladenmund war zu einem Cartoon-Grinsen aufgespritzt. Der Panzer war goldbraun geriffelt und die Sechsecke braun umrandet. Ihr kleiner Stummelschwanz wedelte wie der eines Hundes.

»IchmeldedeineAnkunft!«, quiekte die Schildkröte. Beim Reden verzogen sich die gemalten Lippen der Schildkröte zu A’s und U’s wie in einem Cartoon, und die Worte purzelten so schnell heraus, dass Rose sie kaum verstehen konnte.

Dann kroch das kleine Wesen ganz, ganz langsam über den Küchenblock in Richtung Küchenfenster.

»Bist du –« Rose hustete wieder und spuckte ein paar Krümel aus. »Bist du mir gerade aus dem Mund gekrochen?!«

Die Schildkröte blickte über ihren blättrigen Panzer zurück. »Wasdennsonst, woherwohlsonst –«

»Entschuldige, aber du redest so schnell«, sagte Polly. »Geht es auch etwas langsamer?«

Die Schildkröte blinzelte mit den Knopfaugen, die von kleinen Kreisen zu zwei Querstrichen wurden, dann wieder zu Kreisen. »Ich … mache … nichts … langsam«, brachte sie mühsam hervor. »Aber ich werde es versuchen. Aber jetzt muss ich zur Akademie – und zwar blitzartig!«

Mit langsam kreisenden Beinchen, als würde sie durch Matsch stapfen, kam sie an den Rand des Küchenblocks, dann hielt sie an.

»Ich helfe dir mal weiter«, sagte Polly. Vorsichtig hob sie die goldbraune Schildkröte hoch und trug sie auf die Fensterbank.

Während Polly das Fenster öffnete, brummte die Schildkröte: »Ich hatte es doch fast schon geschafft, aber danke trotzdem, Schätzchen.« Dann reckte sie ihren braunen Kopf und zwinkerte Rose zu. »Also bis zum Kurs!« Und damit ließ sie sich aus dem Fenster in den kühlen Abend nach draußen fallen.

Rose starrte ihr perplex nach. »Das war vielleicht seltsam!«

»Allerdings!«, gab Polly zu. »Soweit ich gehört habe, ist die Akademie auf sehr, sehr Seltsames spezialisiert.«

»Wird mir das wohl gefallen?«, fragte Rose.

»Hängt davon ab, wie seltsam du bist«, sagte Polly und zauste Rose durchs Haar.

 

Oben in ihrem Zimmer glitt Rose wieder auf ihren Schreibtischstuhl. Nevika erwartete sie bereits mit einem breiten Grinsen.

»Ich bin angenommen!«, sagten beide Mädchen gleichzeitig, um im nächsten Augenblick in lautes Kreischen auszubrechen.

Als Rose sich wieder beruhigt hatte, entdeckte sie etwas in Nevikas Haar und deutete darauf. »Was ist das?«

Nevika neigte den Kopf etwas. Ein kleiner Fuchs lag zusammengerollt in ihren dunklen Locken. »Eine Füchsin. Sie heißt Kit«, sagte Nevika. »Sie sammelt Kraft für die lange Reise nach Europa.«

»Meins war eine Schildkröte!«, sagte Rose. »Sie hat sich schon auf den Weg gemacht, aber ich nehme an, sie braucht einen Vorsprung.« Rose beugte sich zum Bildschirm und flüsterte: »Deine Zähne sind voller Schokolade. Ist dir Kit, äh, aus dem Mund geschlüpft?«

Nevika verzog das Gesicht zu einer Grimasse und streckte die Zunge heraus. »Das ist mein Stichwort, ich sollte mich wohl mal langsam fertigmachen!«

»Ich auch«, sagte Rose, dann musste sie wieder grinsen. »Wir sehen uns in der Schweiz!«, rief sie und rannte ins Badezimmer, um die Zähne zu putzen.

Kapitel 1

Trau, schau, wem!

Die nächste Woche verging wie der Wind, und am folgenden Mittwochmorgen befanden sich Rose und Nevika auf einem Boot, das den Rhein hinabfuhr.

Sie waren in ihre wärmsten Kleider gepackt – Nevika in ihren schicken Webpelz und ihre hellblaue Kappe –, und sie hielten sich fest bei den Händen, die in Handschuhen steckten. Roses Wangen wurden im beißenden Februarwind ganz rot, und jeder aufgeregte Atemzug, den sie ausstieß, bildete ein weißes Wölkchen.

Nach dem langen Flug war Rose so groggy, dass sie kaum wusste, wie sie auf das Boot gekommen waren, aber die kalte Luft machte sie munter. Sie betrachtete die Uferböschungen des ruhigen Stroms.

»Das ist ja so hübsch«, flüsterte Nevika. »Wie die Spielzeugstädtchen in einer Schneekugel.«

Rose stimmte ihr gerade zu, doch schon wurden die alten Bauten an den Ufern spärlicher und von hohen Tannen abgelöst. Ihr Bootsführer lenkte den Kahn in einen verborgenen Kanal, der sich in gerader Linie durch die Tannen zog.

»Das muss es sein!« Rose holte tief Luft und fing einen leichten Duft nach Pasteten und Zimt auf.

Der Kanal endete vor einer breiten Wiese.

»Ihr seid angekommen«, sagte der Bootsführer. Er half den Mädchen hinaus auf den perfekt gemähten, saftig grünen Rasen. Dann tat er, als zöge er eine Kappe vor ihnen und wendete das Boot, noch bevor sie ihm zum Abschied zuwinken konnten.

Rose und Nevika befanden sich am Rand eines weitläufigen Vorplatzes. Mittendrin stand ein riesiger Baum – zwei Stockwerke hoch und ebenso breit –, der, wie es wirkte, aus Dutzenden von kleineren Stämmen bestand, die verschlungen waren, geflochten wie ein Strang von Lakritzschlangen. Dunkelblaue Schoten, die im Morgenlicht wie langgezogene Regentropfen schimmerten, baumelten an silbrigen Fäden von den Ästen. Seitlich hinter dem Baum blinkte ein großes Glashaus und hinter diesem die Akademie.

Das Gebäude war ein großes Holzhaus, ein sogenanntes Chalet, ausladend und mintgrün, und ähnelte mit seinen drei Stockwerken einer großen, rechteckigen Schichttorte. Das überhängende, flache Dach sah aus wie aus Schokolade. Fast wie aus einem Bilderbuch, dachte Rose und konnte es kaum erwarten, das Chalet zu betreten. Die Akademie für gehobene Gastronomie und Backkunst. Sie waren endlich angekommen.

»Wow.« Nevika breitete die Arme aus. »Es riecht nach … frischem Brot … und Zuckerplätzchen … und Obstkuchen!« Sie grinste Rose an. »Du weißt, was das heißt.«

»Dass die Leute in der Schweiz auf Backwaren stehen?«, sagte Rose.

»Nein, dass die Backöfen schon an sind. Komm!«, sagte Nevika und stürmte los. »Wir können nicht zulassen, dass sie ohne uns anfangen!«

Rose rannte ihrer Freundin nach. Sie umrundeten den großen Baum mitten im Hof und stürzten durch den Eingang des Gebäudes und durch eine weiße Doppeltür unter dem Emblem der Akademie, das ihnen ja bereits vertraut war.

Die dunklen Holzböden und Wände im Inneren der Eingangshalle – auch der abgewetzte rote Teppich unter ihren Füßen –, alles wirkte uralt, als ob es schon Hunderte von Jahren existierte, viel länger, als es ein amerikanisches Städtchen wie Calamity Falls überhaupt auf der Landkarte gab. Vor den Mädchen erhoben sich zwei geschwungene Holztreppen in die zweite Etage. Und auf einem runden Mahagonitisch am Fuß der Treppen standen zwei silberne Speisehauben und zwei cremefarbene Kärtchen, auf denen in goldener Schrift ihre Namen prangten.

Rose öffnete ihre und las vor: »Willkommen, Rosmarin Glyck. Unter der silbernen Speisehaube –«

Nevika beendete den Satz: »– findest du eine vertraute Freundin. Sie führt dich zu dem Zimmer, das du während der Examenszeit mit deiner Mitbewohnerin teilen wirst.« Nevika ließ die Schultern hängen.

Rose wusste, warum, als sie ihren Brief zu Ende gelesen hatte. »Marie-Claire Dufour?« Sie sah Nevika an und sagte: »Ach je, ich dachte, sie würden uns zusammen in ein Zimmer stecken …«

»Ich auch«, sagte Nevika. »Ich bin mit einer Lucy Banerjee im Zimmer.«

»Na ja, wir sind ja auch hier, um neue Freundschaften zu schließen, nicht?«, sagte Rose, wie um sich selbst zu trösten, auch wenn sie hörbar enttäuscht war.

»Kann schon sein«, sagte Nevika. »Und es sind ja auch nur vier Tage.« Sie deutete auf die Teller mit den Hauben. »Sollen wir?«

Beide streckten die Hände nach dem Griff auf den Hauben aus.

»Auf drei«, sagte Rose und zählte.

Schwungvoll hoben sie die Hauben hoch. Darunter befanden sich tatsächlich vertraute Freunde: Nevikas winzige Füchsin aus Blätterteig und Roses Schildkröte im Taschenformat.

»Kit!«, rief Nevika und kniete sich hin, um auf einer Höhe mit dem Füchslein zu sein.

Die winzige goldene Füchsin gähnte und streckte die Vorderpfoten aus. »Nevika!«, flüsterte sie mit einer Stimme, die Rose an ihre kleine Schwester Nella erinnerte. »Wie schön, dass du es geschafft hast.« Sie blinzelte schläfrig.

»WurdeauchendlichZeit!«, ratterte Roses kleine Schildkröte los. Sie räusperte sich, dann wiederholte sie: »Ich meine, auch endlich Zeit.« Ihr kleiner daumenförmiger Kopf wackelte hin und her. »Ich bin so an schnellschnellschnell gewöhnt, dass es hart wird, für dich langsamer zu sprechen.«

Rose kniete sich hin. »Gibt es dich nicht erst seit Freitag?«

»Kleinigkeiten, Kleinigkeiten!«, blaffte die Schildkröte. »Ich heiße übrigens Zippo. Folge mir und ich bring dich auf deine Bude. Falls du mithalten kannst, heißt das!«

Damit machte die Kuchenschildkröte langsam kehrt. Rose, Nevika und Kit warteten. Es kam ihnen wie eine ganze Minute vor, bis sich die Schildkröte endlich zur Treppe umgedreht hatte.

»Wir wär’s, wenn ich dich tragen würde?«, fragte Rose. »Ich bin sicher, dass deine Beine nach der langen Überseereise müde sind.«

Die Schildkröte seufzte. »Hast wohl Angst, dass ich dir davonlaufe, was?«

Mit ihren Kuchentieren in den Händen stiegen Rose und Nevika die Treppe in den ersten Stock hinauf. Die Stufen knarrten unter ihren Schritten, was jedoch schon bald übertönt wurde vom Lärm einiger Jungen, die oben irgendwo lachten.

»Nach rechts, dann erste Tür links!«, verkündete Zippo, als sie den ersten Stock erreichten. Der Treppenabsatz war ein Übergang zwischen zwei Korridoren, die in entgegengesetzte Richtungen gingen.

»Und du bist links, erste Tür rechts«, sagte Kit zu Nevika.

»Ich komme rüber zu dir, sobald ich Marie-Claire begrüßt habe«, versprach Rose und wandte sich nach rechts.

Die Tür zu Roses Zimmer stand einen Spalt offen, und Rose trat vorsichtig ein. Vor ihr lag ein großes Zimmer mit zwei Betten zu beiden Seiten eines hohen Fensters, das den Blick auf die Wälder hinter dem Chalet freigab.

In der Mitte des Zimmers saß Marie-Claire mit übergeschlagenen Beinen an einem weißen Kaffeetisch. Sie trank eine dampfende Tasse Tee und beäugte Rose mit einer hochgezogenen blonden Braue aus ihren blauen Augen. »Du bist – äh – ganz anders, als ich mir dich vorgestellt habe.«

Das Mädchen war zart und puppenhaft und so klein, dass die Spitzen ihrer violetten Schuhe kaum den Teppich unter ihr erreichten. Sie trug ein pinkfarbenes Kleid mit weitem Rock, und ein winziger weißer Hut saß auf ihrem blondierten Haar.

»Ich bin Rose, Rosmarin Glyck. Wir teilen uns wohl das Zimmer.«

Marie-Claire blickte herunter auf Roses ausgestreckte Hand. »Mit Vergnügen, nehme ich an«, sagte sie mit leicht französischem Akzent, der Rose an Jacques erinnerte, ihren Mäusefreund daheim. »Und zwar für dich.«

Rose ließ verlegen den Arm sinken. Sie sah sich im Zimmer um und entdeckte ihren buttergelben Koffer mit Zutaten auf dem linken Bett. Auf dem Kopfkissen stand ein geflochtener Korb, geschmückt mit Seidenpapier und verschnürt mit Seidenbändern.

Das andere Bett war bereits mit Marie-Claires Sachen bedeckt – einem schicken Chenille-Überwurf, einigen Kleidern und mit Büchern, die sich auf dem Nachttisch stapelten. Ein ähnlicher Geschenkkorb stand halb geöffnet auf der Bettdecke.

»Ich kenne dich von der Gala des Gataux Grands«, sagte Marie-Claire mit einem Naserümpfen. »Nachdem du jetzt aber den Status einer Meisterbäckerin hast, habe ich jemanden erwartet, der etwas – äh – eindrucksvoller aussieht.«

»Oh-kay, na gut«, sagte Rose. Sie schluckte und hielt Zippo hoch. Die Schildkröte hob ein Stummelbein zum Gruß. »Das ist Zippo, mein Vertrauter. Was für ein Tier hast du bekommen?«

Marie-Claire deutete auf eine weitere Speisehaube mitten auf dem Kaffeetisch. »Ich musste ihn wegschließen, damit er einen Moment zur Ruhe kommt.«

Das Mädchen hob die Haube hoch. Dort saß ein aufgeschrecktes Teig-Eichhörnchen, kaum größer als eine Actionfigur, auf dessen Rücken ein tiefbrauner Streifen das goldbraune Fell zierte. Es blinzelte verstört in die plötzliche Helligkeit.

»Aahhh!«, seufzte das Eichhörnchen, erhob sich auf die Hinterbeine und breitete die Vorderpfoten weit aus. »Mes chéries! Willkommen in der Schweiz – wo die Berge richtige Berge sind, die Schokolade dekadent köstlich schmeckt … und wo man sich nicht in die Politik anderer Länder einmischt. Ich bin –«

»Ein Nager«, sagte Marie-Claire säuerlich.

Das Eichhörnchen schüttelte den Kopf. »Ah, nicht ganz akkurat, aber dicht dran, chérie! Du würdest dich doch auch nicht als homo sapiens bezeichnen, oder?« Es sah Marie-Claire mit schiefem Blick an. »Und moi … ich bin Reynard. Meine Freunde nennen mich Raffer statt Nager, aber …« Reynard zwinkerte. »Versteht ihr? Weil ich Nüsse raffe. Ich bin der verrückte Raffer.«

»Mein Bruder Basil würde dir gefallen«, sagte Rose. »Der findet sich nämlich auch komisch.«

»Verstehst du jetzt, warum ich ihn weggesperrt hatte?«, sagte Marie-Claire und musterte ihre perlmuttfarbenen Fingernägel. »Mir ist jetzt langweilig. Du kannst wieder gehen.«

»Aber das ist doch auch mein Zimmer«, entgegnete Rose mit einem Lachen. »Übrigens«, fuhr sie fort, »ist dir Reynard auch aus dem Mund gefallen?«

Das Eichhörnchen lachte herzlich. »Wo sollte ich denn sonst hergekommen sein? Du stellst vielleicht dumme Fragen!«

»Reynard ist nicht herausgefallen«, sagte Marie-Claire, ohne Rose anzusehen. »Er ist geflogen.«

»Geflogen?«, wiederholte Rose.

»Gesegelt!«, verkündete Reynard. »Ich bin nicht einfach ein Eichhörnchen, ma chère. Ich bin ein Gleithörnchen!«

Wie zum Beweis breitete Reynard die Beinchen aus, so dass sich zu beiden Seiten seines Körpers zwei goldene Hautfalten ausbreiteten. Er sprang von Kaffeetisch, und die Hautmembrane füllten sich mit Luft. Anmutig glitt er dahin und landete auf Marie-Claires Kopfkissen.

»Et voilà!«, rief Reynard mit einer Verbeugung.

Rose setzte Zippo ab und klatschte höflich.

»Angeber«, murmelte Zippo.

Mit einem entrüsteten Aufschrei sprang Marie-Claire auf und stapfte auf Reynard zu. »Du verschmierst mein Kopfkissen ja mit Schokolade!«, rief sie. Und in der Tat hatten die braunen Schokoladenkrallen des Eichhörnchens braune Spuren auf dem Satin hinterlassen.

Ehe Reynard antworten konnte, riss Marie-Claire eine Tasche vom Fußende des Bettes, schnappte ihn und stopfte ihn hinein. Mit einem Klick ließ sie die Tasche zuschnappen. »Ekliges Viech.«

Unbeeindruckt begann Reynard zu singen. Seine kräftige Stimme klang laut und kräftig aus der Tasche. »Non, je ne regrette rien!«

Marie-Claire schüttelte die Tasche und zischte: »Du wirst wissen, was bereuen heißt, ehe ich mit dir fertig bin!«

»Na gut, nett, dich kennengelernt zu haben«, sagte Rose, packte Zippo und ging zur Tür. »Ich werde mal nachsehen, wie meine Freundin Nevika zurechtkommt.«

»Vielleicht ist sie doch ganz nett«, sagte Zippo und zappelte mit seinen Stummelbeinchen sinnlos in der Luft umher, während Rose die Tür schloss.

»Aber hallo!«, sagte Rose. Weiter hinten im Korridor konnte sie wieder die unsichtbaren Jungen lachen hören. Wenigstens die schienen sich zu vertragen. »Hier geht’s doch zu Nevika, oder?«

»Das hat das schläfrige Füchslein gesagt!«, bestätigte Zippo. Rose kam an der Tür an, als Nevika gerade aus ihrem Zimmer trat.

»Und, wie ist Marie-Claire?«, fragte Nevika.

Ehe Rose antworten konnte, erschien ein dunkelhaariges, offenbar indischstämmiges Mädchen. Sie hatte ihre braunen Augen neugierig aufgerissen und machte jetzt einen kleinen Satz. »Oje – wo bleiben meine Manieren!« Sie schüttelte Rose die Hand. »Lucy Banerjee. So schön, noch eine Meisterbäckerin kennenzulernen!« Sie sprach ein perfektes britisches Englisch.

»Absolut!«, sagte Rose lächelnd und erwiderte Lucys Händedruck. »Ich bin Rose Glyck.«

Lucy wackelte neckisch mit dem Finger. »Du bist so bescheiden, Rosmarin Glyck. Jeder weiß, wer du bist! Du warst letztes Jahr das Clubgespräch im Wompshire Hills.« Erschrocken schlug sie die Hand vor den Mund. »Vergiss, dass ich den Namen des Clubs erwähnt habe. Das ist äußerst privat.«

»Schon gelöscht«, sagte Nevika mit verschränkten Armen. Sie sah den Korridor entlang, aber sonst war keiner in Sicht. »Also, was sollen wir jetzt –«

Ehe sie die Frage vollenden konnte, wurde der zappelige Zippo in Roses Hand still. Seine Schokoladenaugen wurden zu großen, runden, ausdruckslosen O’s. Eine seltsame Stimme drang aus seinem verzerrten Mäulchen – eine Stimme, die ebenfalls aus dem Zimmer von Nevika und Lucy drang.

»AUFGEPASST, JUNGBÄCKER«, sagte Zippo. »BITTE TRETET IN ZWEI MINUTEN IM VORHOF ZUR EINWEISUNG UND ZUR AUFWÄRMPRÜFUNG AN.«

Zippos Augen wurden wieder normal und sein Mund verzog sich. »Uff, was hab ich da gesagt?«, klagte er. »Ich hasse es, wenn sie das machen!«

Lucy klatschte in die Hände. »Gehen wir! Ich kann es kaum erwarten, alle kennenzulernen!«

Aus dem Zimmer piepste eine quäkende Stimme: »Mich nicht vergessen!«

Und die Stimme von Nevikas Füchsin setzte hinzu: »Wir sollen ständig bei euch bleiben.«

»Natürlich!«, sagte Lucy und stürmte zusammen mit Nevika ins Zimmer. Kurz darauf kamen sie wieder heraus, Nevika mit Kit und Lucy mit einem süßen kleinen Igel. Eine Matrosenmütze mit blauem Zuckerguss, ebenfalls aus Kuchenteig, saß schief auf seinem stacheligen Kopf.

»Rupert«, stellt ihn Lucy vor. »Geht’s los?«

»Bist du so weit?«, sagte Nevika zu Rose und konnte ihr Grinsen nicht unterdrücken.

»Aber so was von!«, erwiderte Rose.

»Ich bin immer so –«, sagte Lucy und stolperte auf der obersten Stufe.

Nevika streckte schnell den Arm aus und hielt das Mädchen am Kragen, ehe es die Treppe hinunterfallen konnte. »Schön langsam, Tiger.«

»Danke, Nevika«, sagte Lucy mit einem nervösen Kichern. »Ich und Tiger! Ha! Nicht zu fassen!«

 

Auf dem Rasen vor dem Chalet hatte sich bereits eine kleine Menge versammelt. Auf einer Seite des riesigen Baumes war inzwischen ein weißes Zelt aufgebaut worden. Die Zeltklappen waren geschlossen.

Vor dem Zelt standen vier Jungen beieinander, jeder mit seinem gebackenen Vertrauten in Händen: die anderen Schüler. Als die Mädchen herauskamen, drehten sich die Jungen nach ihnen um und musterten sie neugierig.

Der Älteste schien fast im Alter von Tymo zu sein. Er hatte breite Schultern, eine dunkle Haut und lächelte, nicht nur mit dem Mund, sondern auch mit blitzenden Augen. Neben ihm stand ein stämmiger, blasser Junge mit pechschwarzen Haaren. Und hinter ihm lehnten lässig ein etwas kleinerer Junge mit dunkler Haut und einem spöttischen Grinsen sowie ein ziemlich zierlicher, schlanker blonder Junge, der mit der Schuhspitze im Gras scharrte und den Blick schüchtern abgewendet hatte.

Rose stellte sich mit einem leisen »Hallo« neben den blonden Jungen – Nevika und Lucy folgten ihr.

Mit einem lauten »Hallo! Hallo!« traten zwei Lehrer in frischen weißen Kochjacken aus dem Zelt und verbeugten sich. Der eine, ein rundlicher Mann mit rosigem Gesicht und schütteren weißblonden Haaren, band schnaufend die Zeltklappen zurück. Der andere war dünn, hatte dunklere Haut und dunkle Haare sowie eine spitze Nase und sah die versammelten Schüler von oben herab an.

In dem Zelt befanden sich ein Arbeitstisch mit Holzplatte und ein riesiger Backofen auf Rädern, der vor Hitze rot glühte. Und vor dem Ofen stand eine große, silberhaarige Frau in schwarzem Talar mit ausgestreckten Armen. Eine runde blaugrüne Sonnenbrille verdeckte ihre Augen.

»Willkommen alle miteinander!«, sagte die ältere Dame und lächelte breit. »Ihr acht Schüler seid die vielversprechendsten Meister –«

»Äh, Margaux, eine fehlt noch«, sagte der rundliche, rotwangige Ausbilder.

»Habt ihr jemanden zurückgelassen?«, fragte der dünne Lehrer.

Erst jetzt stellte Rose fest, dass ihre Mitbewohnerin fehlte. »Marie-Claire!«, flüsterte sie Nevika zu.

Wie auf ein Stichwort waren hinter ihnen Schritte zu hören. Alle drehten sich um und sahen das rosa gekleidete Mädchen über den Rasen gleiten. Sie hielt Reynard mit spitzen Fingern von sich und passte auf, dass seine Schokoladenverzierung nicht an ihre Hände kam.

»Ich bin da«, sagte Marie-Claire. »Wir können beginnen.«

»Mit vornehmer Verspätung!«, sagte der rundliche Mann.

»Wie ich bereits sagte«, nahm die weißhaarige Frau ihre Ansprache wieder auf. »Ich bin Professorin Margaux Macaron und bin, wie auch das restliche Kollegium, überglücklich über die diesjährige Auswahl an Bäckerinnen und Bäckern, die an unserer Prüfung teilnehmen. Es gibt Jahre, in denen wir nur zwei oder drei Kandidaten für würdig befinden, an diesem Wettbewerb teilzunehmen; ihr acht seid die größte Gruppe seit zwei Jahrzehnten, die wir jemals aufgenommen haben. Selbst wenn ihr kein Stipendium gewinnt und somit keinen Ausbildungsplatz bei einem Großmeister bekommt, solltet ihr sehr stolz auf euch sein, weil ihr es bis hierher geschafft habt.« Sie klatschte lebhaft, und die beiden Lehrmeister fielen ein.

»Das hier ist Hans« – Professorin Macaron deutete auf den rundlichen, blonden Mann –, »der die Vorräte unter sich hat.«

Hans wedelte kurz mit dem Handgelenk.

»Und das hier ist Thierry, der Küchenmeister.«

Der schlanke, dunkelhäutige Mann verneigte sich feierlich, die Hände immer noch auf dem Rücken.

Als im Zelt ein Timer klingelte, drehte Professorin Macaron sich zu dem Backofen um und zog ein Blech heraus. Der buttrige Duft nach frischen Scones – englischen Teebrötchen – schwebte durch die warme Luft.

Professorin Macaron stellte das Blech mit den Scones auf den Arbeitstisch und holte einen gläsernen Messbecher hervor, der mit einem schimmernden, glitzernden Sirup gefüllt war. Sie goss den Sirup über die Scones, wobei sie etwas vor sich hin murmelte.

Rose bemerkte, dass der Sirup bereits verdampft war, ehe er auf die Scones fiel – Magie, stellte sie fest.

»Die Akademie für gehobene Gastronomie und Backkunst hat eine lange und ereignisreiche Tradition darin, angehenden Meisterbäckerinnen und Meisterbäckern Ausbildungsplätze zu vermitteln und zu finanzieren, die ihnen zum Aufblühen verhelfen«, sagte die Professorin. »Einige der berühmtesten Zauberbäcker der Welt haben unsere Hallen durchlaufen.«

Sie wählte drei der Scones aus und setzte sie auf Porzellanteller. »Aber für Geschichten haben wir später noch Zeit. Zunächst haben wir uns als Aufwärmprüfung eine nicht ganz ernst gemeinte Herausforderung ausgedacht, die uns zeigen wird, was ihr alles könnt … und die euch hilft, euch miteinander bekannt zu machen.«

Die Professorin reichte Thierry einen der Teller und Hans den anderen. Den letzten nahm sie selbst. »Im Erdgeschoss unseres Anwesens«, fuhr sie fort, »findet ihr unsere Küche und die Vorratskammern.« Sie knabberte an ihrem Scone, die beiden anderen Lehrer ebenso. »Die Herausforderung für euch ist, ein Gebäck herzustellen. Dazu verwendet ihr unsere vorhandenen Zutaten und Zauberzutaten nach eurer Vorstellung. Die einzige Bedingung ist, dass diese Zauberkuchen euch in die Lage versetzen müssen, Dinge zu sehen, die man sonst nicht sehen kann.«

Der stämmige, dunkeläugige Junge runzelte verwirrt die Stirn. »Aber warum? Was suchen wir?«

Margaux Macaron lächelte breit. Die drei Lehrmeister verspeisten den Rest ihrer Scones, und während die Schüler sie noch neugierig beobachteten, setzte sie hinzu: »Uns natürlich, wen sonst?«

Und von einem Augenblick auf den nächsten waren die drei Lehrer verschwunden.

Kapitel 2

Der böse Blick

»Wohin sind sie –?«, fing der blonde Junge neben Rose an.

»Sollte das vielleicht –?«, sagte Lucy gleichzeitig.

Doch Rose wusste sofort, was sie tun sollten.

Genauso schien der schwarzhaarige Junge mit dem kantigen Kinn Bescheid zu wissen. Wortlos machte er auf dem Absatz kehrt und eilte zielstrebig zum Schulgebäude zurück. Marie-Claire schlurfte mit geschürzten Lippen hinterher, gefolgt von dem gutmütigen kleineren Jungen.

»Wartet!«, schrie Lucy und stolperte fast über die eigenen Füße, so schnell rannte sie hinterher.

Der schlanke Junge neben Rose trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Ähm, ich weiß nicht so recht, was da vor sich geht.« Wie die meisten anderen Schüler sprach er mit ausländischem Akzent – dänischem vielleicht?

»Das ist unsere erste Prüfung«, erläuterte ihm Nevika. »Wir machen also genau das, was uns befohlen wurde: die Lehrer suchen. Komm schon, Rose, wir wollen nicht die Letzten sein.«

Nevika rannte auf den Eingang der Schule zu, und Rose folgte ihr. Der blonde Junge, vermutlich ungefähr in ihrem Alter, hielt sich an ihrer Seite.

»Ich heiße Rose«, sagte sie und schüttelte ihm die Hand, während sie die Stufen hinaufstiegen. »Rose Glyck.«

»Hrrmm«, machte ihre kleine Schildkröte.

»Ach, und das ist Zippo«, sagte Rose und hielt das kleine Wesen hoch.

Der Junge entspannte sich etwas. »Ich heiße Emil Bagersen.« Er neigte den Kopf nach rechts. Ein kleiner goldbrauner Oktopus saß wie eine frisch gebackene Schulterklappe auf seiner Schulter und ließ seine acht Tentakel an seinem Arm herabhängen. Er gluckste wie ein Baby, und aus seinem o-förmigen Mund stieg eine kleine Schokoladenblase auf. »Es ist eine Sie. Ich weiß nicht genau, wie sie heißt. Sie ist wohl noch zu klein, um sprechen zu können. Ich nenne sie Stella.«

»Nett, dich kennenzulernen«, sagte Rose. »Und dich auch, Stella!«

Rose schüttelte einen der Tentakel zwischen Daumen und Zeigefinger. Er war buttrig und warm, wie das schmale Ende eines Croissants. Der Oktopus gurrte.

Rose entdeckte Nevika in dem Gang, der nach links führte. Sie hatte gerade einen bogenförmigen Durchgang erreicht, und der gutaussehende ältere Junge hielt eine Tür auf und lächelte.

»Ich weiß, wie man eine Tür aufmacht.« Nevika verschränkte die Arme. »Ist schließlich nicht so schwierig.«

Der Junge zuckte mit den Schultern.

Nevika blickte mit zuckenden Lippen zu Rose zurück und schlüpfte an dem Jungen vorbei in die dahinter liegende Küche.

»Ich heiße übrigens Rose, und das da war Nevika«, sagte Rose, als sie in die Küche trat. »Mach dir nichts draus, sie braucht immer etwas Zeit, ehe sie sich für jemanden erwärmt.«

»Meine Schwestern und Tanten hätten das Gleiche gesagt«, meinte der Junge, und Rose konnte von ihrer letztjährigen Reise nach San Caruso sofort den singenden italienischen Akzent erkennen. »Trotzdem halte ich immer Türen auf, denn wenn ich es nicht mache, sagen sie noch schlimmere Sachen!« Er lachte, und seine perfekt weißen Zähne blitzten auf. Dann fuhr er fort: »Ich heiße übrigens Milo.«

Sie stellten ihre Kuchentiere vor – Milo hatte einen kleinen Affen, einen Kaiserschnurrbart-Tamarin namens Confucius –, doch ehe sie weiterreden konnten, hörten sie aus dem Raum den Lärm von herunterkrachenden Töpfen.

»Oh, Entschuldigung! Ich bin ja so tollpatschig!«

Die Küche hinter dem Bogendurchgang war so lang und breit wie eine Turnhalle. Durch die Mitte zogen sich zwei lange Tischreihen mit hölzernen Arbeitsflächen. Davor stand Lucy, zu ihren Füßen ein Haufen von Backblechen und Messingtöpfen. Sie kniete sich hin und stellte sie nacheinander wieder auf ihren Platz.

Am nächsten Tisch lehnte der kleinere Junge, der sich vor Lachen den Bauch hielt.

Nevika seufzte und trat zu Lucy, um ihr zu helfen. Milo folgte ihr rasch. Mit strafendem Blick sah er den kleineren Jungen an, der sofort zu lachen aufhörte und auch mithalf, zusammen mit Rose und Emil. Zu sechst hatten sie die Unordnung schnell wieder beseitigt.

Lucy wischte sich die Hände an ihrer grauen Bluse ab. »Danke. Ich wusste nicht, was hier auf mich zukommt, denn wir liegen ja alle im Wettstreit um diese Fortbildung und so, aber ihr wart alle wirklich nett!«

»Nett ist untertrieben«, murmelte Marie-Claire. »Ich bin eigentlich nur wegen dem Ausbildungsplatz hier.«

»Man kann im Wettstreit liegen und trotzdem nett zueinander sein«, sagte der kleinere Junge, und Rose konnte ihm nur zustimmen.

»Das glaubst du wirklich? Wir werden ja sehen«, sagte Marie-Claire und stolzierte davon.

Der Junge sah ihr nach und verdrehte die Augen. »Ich heiße Gustavo«, sagte er zu Rose. Dann nickte er zu seinem Küchenplatz, auf dem ein kleines Faultier aus Teig lag, das die Arme über die Tischkante baumeln ließ. »Das ist Gorda. Sie ist ziemlich cool.«

Während sie sich unterhielten, bemerkte Rose, dass Marie-Claire und der Junge mit dem schwarzen Haar an Lucy vorbei ans Ende des Raumes gegangen waren und durch die Türen, die, wie sie annahm, zu den Vorratskammern führten, raus- und reinflitzten. An den Wänden zwischen den Vorratskammern waren schwarze Wandbacköfen, die Hitze ausstrahlten.

Auch Nevika hatte es bemerkt, und sie machte ein entschlossenes Gesicht. »Komm, Rose, Lucy hat recht, hier geht’s um einen Wettstreit. Wir wollen nicht die Letzten werden.«

Sie suchte sich einen freien Arbeitsplatz und zog Rose mit sich.

»Ich bin schließlich hergekommen, um Großmeisterin zu werden«, erklärte sie. »Und du auch. Wir müssen ganz vorne sein und einen guten Eindruck auf die Lehrmeister machen.« Sie deutete auf Marie-Claire, die bereits etwas in einer Schüssel verrührte. Das vermutete Rose zumindest. Es schien nämlich nichts in der Schüssel zu sein, auch wenn Marie-Claire so tat, als rührte sie angestrengt.

Rose ergriff die Hand ihrer Freundin und drückte sie. »Wir sind Meisterbäckerinnen. Wenn wir den Hund beeindrucken konnten, dann schaffen wir das auch mit einer Handvoll Lehrer.«

»Den Hund?«

Nevika und Rose zuckten zusammen und sahen, dass Lucy hinter ihnen stand. Zerstreut kraulte sie ihren kleinen Igel zwischen den Ohren und bekam Trauerränder aus Schokolade unter die Nägel.

»Schleich dich gefälligst nicht so an!«, sagte Nevika.

»Entschuldigung!«, sagte Lucy. »Ich konnte nicht umhin, das mitanzuhören. Ihr seid also tatsächlich Meisterbäckerinnen?«

»Ja«, sagte Nevika. »Und wir haben hart dafür gearbeitet.«

Lucy nickte lebhaft. »Das glaube ich gern! Ich bin auch Meisterbäckerin, wenn auch erst seit kurzem. Ich wusste nicht, dass es so viele von uns gibt!« Sie kam näher. »Die Mentorin meiner Mutter ist die berühmte Backfürstin Lillian Davies-Hughes, daher hat sie mich schon so früh hier reingebracht.«

»Backfürstin …?«, fragte Rose.

»Wer ist das?«, fragte Nevika etwas unverblümter.

»Ihr kennt Backfürstin Davies-Hughes nicht?«, fragte Lucy. »Sie ist die oberste Backfürstin von ganz England. Sie ist eine Legende und macht alle Geburtstagstorten für die Queen. Ihre und unsere Familie gehören zum englischen Backadel seit unzähligen Generationen.« Lucy runzelte die Stirn. »Ich muss großen Erwartungen gerecht werden.«

Rose schmunzelte. Lucy war echt süß in ihrer treuherzigen Art, wenn auch zweifellos etwas seltsam.

»Tja«, sagte Nevika, »wir sollten jetzt wirklich anfangen.«

»Oh, natürlich! Tschüs erst mal!« Kichernd eilte Lucy an ihren Arbeitstisch zurück.

»Viel Glück«, sagte Rose zu Nevika.

»Dir auch«, erwiderte Nevika.

Das Geplapper in der Küche war erstorben, als Rose an den letzten freien Arbeitstisch trat. Löffel, die in Schüsseln klapperten, Töpfe, die auf Tische gestellt wurden, Teig, der von Hand geschlagen wurde, war alles, was sie noch hören konnte. Ihr Magen flatterte – es war aufregend (und ein bisschen beängstigend), unter so vielen talentierten Bäckern und Bäckerinnen zu sein.

Rose setzte Zippo an die Ecke der hölzernen Arbeitsfläche. Die kleine Schildkröte fragte: »Wie sieht denn nun dein Plan aus, Schätzchen?«

»Ich bin mir noch nicht sicher.« Rose biss sich auf die Lippe. »Ich muss etwas backen, das Unsichtbares sichtbar macht.«

Wenn sie zu Hause gewesen wäre, hätte sich Rose jetzt in das magische Backbuch ihrer Familie vertieft, um die vielen Hundert Zauberrezepte darin zu Rate zu ziehen. Aber eine Regel der Akademie lautete, dass man keine Rezeptbücher mitbringen durfte – die Herausforderung bestand darin zu beweisen, dass man eigenständig Rezepte erfinden konnte, was zum Bereich eines offiziellen Großmeisters der Backkunst gehörte.

Rose würde sich also auf ihr Gedächtnis verlassen müssen.

»Das Unsichtbare sichtbar machen«, murmelte sie wieder vor sich hin und versuchte, sich zu konzentrieren.

Schlagartig kam ihr eine Idee, und sie machte einen kleinen Satz.

»Was ist los?«, fragte Zippo. »Du hast dich gerade fast so schnell bewegt wie ich!«

Rose stützte die Ellbogen auf die Arbeitsfläche. »Ich habe am falschen Ende angefangen«, flüsterte sie. »Um etwas zu sehen, das nicht da ist, muss ich erst mal herausfinden, wie es überhaupt verschwunden ist.«

Damit kannte sich Rose allerdings aus!

Es war noch keine drei Wochen her, da hatte sie an einem faulen Sonntagnachmittag Spüldienst in der Backstube der Glücksbäckerei gehabt. Als sie verträumt über dem Spülbecken aus dem Fenster starrte, war auf der anderen Seite der Fensterscheibe plötzlich ein Paar glühender gelber Augen aufgetaucht.

Erschrocken hatte Rose fast einen seifigen Teller aus den Händen fallen lassen. Aber es war nur eine hübsche getigerte Katze gewesen, die auf die Fensterbank gesprungen war.

Einen Moment später war eine weitere Katze anmutig heraufgesprungen, schwarz wie die Nacht und mit grünen Augen. Beide Katzen hatten an der Fensterscheibe gescharrt.

Rose hatte plötzlich ein Räuspern vernommen, und als sie sich umgedreht hatte, lag da ihr großer, dicker grauer Kater Gus wie eine pelzige Pfütze auf dem Küchenblock.

»Freunde von dir?«, hatte Rose gefragt.

Gus hatte sich lässig eine Pfote geleckt und sich damit die Schnurrhaare glattgewischt. »Stimmt tatsächlich. Ich habe ihnen und den anderen gesagt, ich würde dich zu ihnen schicken, sobald du Zeit hättest, aber Kitty und Kitty waren noch nie die geduldigsten aus ihrem Wurf.«

»Kitty und … Kitty?«, fragte Rose und ließ den Teller ins Seifenwasser sinken. »Sie haben denselben Namen?«

Gus blinzelte träge. »Ja, und draußen warten noch Kitty, Kitty, Kiiietty, kleine Kitty, Schmusekitty, Kitty, Kitty …« Er ratterte noch fünfzehn weitere Namen herunter, alles Kittys oder etwas Ähnliches. »Alle vierundzwanzig benötigen dringend die Dienste einer Meisterbäckerin.«

Er führte Rose hinaus in den Garten, wo sich die Katzen versammelt hatten. Einige hingen an der Schaukel, eine ganze Menge saß mit geziert baumelnden Schwänzen auf dem Gartentisch, und noch weitere kauerten auf den Stufen zur Hintertür. Einige lagen auf dem Dachvorsprung über der Tür, während eine besonders mutige weiße Katze auf einen Baum in der Nähe geklettert war und es sich auf den kahlen Winterästen gemütlich gemacht hatte.

»Hallo!«, sagte Rose und winkte allen zu. »Wie kann ich euch helfen?«

Ein Chor verzweifelter Miaus und Jaulrufe und Schnurrlaute war die Antwort.