Die goldene Hölle - Jo Zybell - E-Book

Die goldene Hölle E-Book

Jo Zybell

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Beschreibung

Ein Worgun erzählt seine Geschichte, und auf der Suche nach Rettung für die vom Untergang bedrohte Erde geht Ren Dhark in eine Falle, die so teuflisch ist wie keine zuvor: Die goldene Hölle.

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Ren Dhark

Bitwar-Zyklus

 

Band 5

Die goldene Hölle

 

von

 

Uwe Helmut Grave

(Kapitel 16, 17, 18, 19, 20)

 

Achim Mehnert

(Kapitel 7, 9, 11, 13, 15)

 

Conrad Shepherd

(Kapitel 6, 8, 10, 12, 14)

 

Jo Zybell

(Kapitel 1, 2, 3, 4, 5)

 

und

 

Hajo F. Breuer

(Exposé)

Inhalt

Titelseite

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

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Impressum

Prolog

Im Frühsommer des Jahres 2062 gehen drei ruhige Jahre des Aufbaus für die Erde zu Ende. Mit dem aus der Galaxis Orn mitgebrachten Wissen ist es den Menschen erstmals vergönnt, Ovoid-Ringraumer der neusten Entwicklungslinie zu bauen. Doch keinem dieser neuen Schiffe und nicht einmal der legendären POINT OF ist es noch möglich, die Galaxis der Worgun anzufliegen. Irgend etwas verhindert jeden weiteren Kontakt…

Ren Dhark ist nicht länger Commander der Planeten. Dieses Amt bekleidet nun Henner Trawisheim. Eine seiner ersten Amtshandlungen war es, Ren Dhark als Belohnung für dessen unzählige Verdienste um die Rettung der Menschheit zum privaten Eigentümer der POINT OF zu ernennen. Trawisheim glaubte, den unvergleichlichen Ringraumer auch in Zukunft für die Zwecke der terranischen Regierung einsetzen zu können, denn der Unterhalt eines Schiffes dieser Größe übersteigt Ren Dharks finanzielle Möglichkeiten bei weitem.

Doch der Großindustrielle Terence Wallis, der auf der im Halo der Milchstraße gelegenen Welt Eden seinen eigenen Staat gegründet hat, zog Trawisheim mit der Einrichtung der POINT OF-Stiftung einen dicken Strich durch die Rechnung. Denn die großzügigen Finanzmittel der Stiftung schenken Ren Dhark völlige Unabhängigkeit.

Und so bricht er im Frühjahr 2062 zu einem Forschungsflug nach Babylon auf, um endlich das Geheimnis des goldenen Salters ohne Gesicht zu lösen, der dort nun schon mehr als tausend Jahre im Vitrinensaal unter der ebenfalls goldenen Gigantstatue eines Menschen ohne Gesicht ausgestellt ist. Die Spur führt auf die vom Atomkrieg verseuchte Welt der Kurrgen – als die POINT OF einen Notruf erhält: Unbekannte Raumschiffe greifen die Zentralwelt der heute mit den Terranern verbündeten Grakos an. Die auf Grah stationierten Schiffe älterer Bauart sind für den unheimlichen Gegner keine echte Bedrohung. Als Ren Dhark eine Flotte hochmoderner neuer Ovoid-Ringraumer ins Gefecht führt, kommt es zu einer erbitterten Schlacht im All: Der unbekannte Gegner ist wesentlich stärker als vermutet!

Doch schließlich flieht er mit unbekanntem Ziel, und Ren Dhark kann seine Suche nach dem Geheimnis der Goldenen fortsetzen. Die führt ihn zu einer unbekannten Welt in den Tiefen des Alls, auf der er den Worgun Dalon trifft – jenen Boten der wohlmeinenden Mutanten, der einst vor über tausend Jahren auch Margun und Sola auf ihre Einzigartigkeit hinwies. Doch Dalon will nach Orn zurückkehren und trennt sich von Dhark. Der hat mittlerweile erfahren müssen, daß die heimat-liche Sonne nicht mehr genug Energie abgibt. Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird die Erde zum Eisplaneten gefrieren!

Etwa zur gleichen Zeit hat der legendäre Raumfahrer Roy Vegas, der einst als erster Mensch den Mars betrat, das Kommando über das neue Flottenschulschiff ANZIO übernommen. Der erste Ausbildungsflug führt das Schiff und seine Besatzung in ein Sonnensystem, in dem die unbekannten Robotschiffe, die auch das Grah-System angriffen, einen ihrer »Artgenossen« zusammenschießen und demontiert auf einem Wüstenplaneten zurücklassen. Als die Angreifer abgezogen sind, schickt Vegas zwei Männer los, um die Situation zu erkunden, Doch nicht einmal ihr Flash scheint ihnen ausreichend Schutz zu bieten…

Ren Dhark kennt inzwischen kein Halten mehr und läßt Kurs nach Terra setzen. Mit seinen besten Leuten macht er sich auf den Weg zu Henner Trawisheim, um gemeinsam nach einer Lösung zu suchen, die Sonne und somit auch die Erde zu retten. Dhark ist nicht wenig überrascht, als Dalon ebenfalls bei Trawisheim auftaucht. Und diese Überraschung wächst noch, als der Worgun behauptet, Arc Doorn zu kennen – seit mehr als zweitausend Jahren…

1.

Nach mehr als zweitausend Jahren sieht man sich wieder…

Einer jener Augenblicke, die jeder kennt und die kaum einer angemessen beschreiben kann: Man glaubt, die Zeit bliebe stehen, man weiß nicht, ob man träumt oder wacht, man hat das Gefühl, einen Film zu sehen und weiter nichts mit ihm zu tun zu haben. Wie still war es plötzlich in Trawisheims Büro…

Da stand also einer, der wie ein Cerade aussah und doch keiner war, einer, den der Regierungschef als »einen Überraschungsgast« angekündigt hatte, von dessen Rat er sich viel verspreche »für unser Problem«, einer, der Arc Doorn anstaunte und sagte: »Nach mehr als zweitausend Jahren sehe ich dich wieder…?«

Ren Dhark griff nach der Hand der Frau neben ihm. Amys Finger krochen in seine Faust. Also kein Film. Er blickte nach rechts, wo jenseits der Glasfront die nächtliche Silhouette Alamo Gordos mit den vom Großstadtlicht angestrahlten Wolken schmuste. Ein paar Meilen entfernt brach ein Ring aus Positionslichtern aus dem Himmel, ein Raumer. Er verschwand hinter erleuchteten Türmen und Fensterfronten, um irgendwo draußen auf Cent Field zu landen. Offensichtlich stand die Zeit also doch nicht still. Und der Mann da neben jenem Überraschungsgast, in seinem feinen Zwirn, mit seiner Siegermiene, war offensichtlich der Hausherr hier im Regierungspalast, war Commander der Planeten, hatte die Position, die Dhark früher selbst bekleidet hatte. Also träumte er auch nicht.

Nach mehr als zweitausend Jahren sieht man sich wieder…

Ren Dhark atmete tief durch. Er faßte den sogenannten Überraschungsgast mit den Ratschlägen für »unser Problem« ein zweites Mal ins Auge: Dalon – einsachtzig groß, blauhäutig, mit dichtem weißem Haarkranz auf dem kantigen Schädel – stand noch immer staunend neben Trawisheim; ganz so, als könnte er selbst nicht fassen, was er gerade gesagt hatte. Noch immer war es still im Raum, und noch immer standen alle bis auf einen: Doorn, der rothaarige Sibirier, schien in seinem Sessel festzukleben.

Endlich kam Bewegung in Dalon; zuerst in seine blaue Miene, dann in seine Beine und Arme. Er stieß einen Seufzer aus, ging auf den Mann zu, den er nach angeblich zweitausend Jahren wiederzuerkennen glaubte, und streckte die Hände nach ihm aus. »Sei gegrüßt, Arcdoorn! Ich freue mich!«

Doorn reagierte nicht gleich. Er war genauso verblüfft wie jeder hier im Büro des Regierungschefs. Endlich stand er auf, griff aber nur nach der Rechten des Blauhäutigen, drückte sie kurz und sagte mit auffallend heiserer Stimme: »Hallo.« Dann setzte er sich wieder und verschränkte die Arme vor der Brust.

Dhark registrierte die ratlosen Blicke seiner Vertrauten – Shanton, Bell, Amy und die beiden Rikers schienen nicht weniger geschockt als er selbst. Terras Geheimdienstchef Eylers musterte den Sibirier mit scharfem Blick, und Trawisheim beobachtete alles und jeden mit hochgezogenen Brauen. Nur Ted Bulton, der Marschall der irdischen Raumstreitkräfte, wirkte vollkommen unbeeindruckt.

Jimmy war es schließlich, der als erster reagierte: »Huch, wie emotional, Arc!« blaffte der Robothund blechern. »Was ein vulkanmäßiges, überschäumendes ›Hallo‹! Dabei habt ihr euch doch erst vor zweitausend Jahren gesehen…!«

»Gib Ruhe!« fuhr Shanton seinen Hund an, und während er selbst sein Glas ansetzte, um den Cognac in einem Zug hinunterzukippen, fanden auch die anderen ihre Sprache wieder. »Ich verstehe nicht«, sagte Dan Riker. »Was hat das zu bedeuten?« wollte Anja Riker wissen. »Kennen Sie den Mann, Mister Doorn?« fragte Monty Bell, und Dhark ging zu seinem Fremdtechnikspezialisten und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Wie meint Dalon das, Arc?«

»Was weiß denn ich?« Doorn schob Dharks Hand weg. »Keine Ahnung…« Er schoß einen unfreundlichen Blick auf den Worgun in Ceradengestalt ab.

Der schaute nach allen Seiten und suchte wohl nach einer Erklärung für die Verwirrung, die er angerichtet hatte. »Ja, wissen Sie denn nicht…?« Er sah Doorn ins Gesicht. »Hast du denn nicht…?« Und wieder an die anderen gewandt: »Aber Sie waren doch gemeinsam in der Galaxis Orn…?«

Da niemand reagierte, sah Trawisheim sich genötigt, einzugreifen. »Mir scheint, hier liegt ein gewisser Klärungsbedarf vor.«

»So könnte man das ausdrücken«, sagte Amy Stewart, und alle anderen nickten.

Doorn schüttelte stumm den Kopf. Wie meist, wenn er unter Druck stand, wirkte seine Miene noch verschlossener und ein wenig trotzig. »Bitte, lassen Sie mich in Ruhe… ich… ich habe keinen Klärungsbedarf, jedenfalls… jetzt nicht.« Er starrte das Parkett zwischen seinen und Dalons Stiefelspitzen an.

»Aber… aber hast du denn niemandem gesagt, wer du in Wirklichkeit bist?« Dalon sprach wie einer, der von einer Sekunde auf die andere gemerkt hatte, daß er auf dünnem Eis balanciert. »Nicht einmal deinen engsten…?« Er wies in die Runde.

»Warum sollte ich denn?!« Doorn sprang auf. »Habe ich nicht ein Recht auf meine Persönlichkeit?!« Er wurde richtig laut. »Habe ich nicht ein Recht auf meine Geheimnisse?!« Sein vorwurfsvoller Blick traf Dhark. »Warum erfahre ich nicht, daß dieser Worgun sich auf Terra aufhält?« Und dann mit zorniger Miene an Dalons Adresse: »Kommst hier einfach hereinspaziert und plauderst Dinge aus, die keinen etwas angehen!«

»Das tut mir leid.« Dalon hob beschwichtigend die Hände. »Das tut mir wirklich leid, aber wie hätte ich denn ahnen sollen, daß du deine Identität…!«

»Es ist gut jetzt!« fuhr ihm Doorn ins Wort.

»Für uns nicht, Arc«, sagte Ren Dhark. Betroffen sah er den Rothaarigen an. Da flog man jahrelang mit einem Menschen durch das halbe Universum, ging gemeinsam durch dick und dünn, meinte diesen Menschen zu kennen und ihm vertrauen zu können – und dann das. »Ich glaube, Sie sind uns wirklich eine Erklärung schuldig.«

Demonstrativ blickte Arc Doorn zum Fenster hinaus. »Und ich glaube, wir haben jetzt Wichtigeres zu besprechen als ausgerechnet meine Biographie.« Arc Doorn richtete seinen Blick auf den Regierungschef und sagte: »Ja, das glaube ich wirklich.«

Ratlose Blicke flogen hin und her. »Genau das wollte ich auch vorschlagen«, sagte Bulton.

Trawisheim hob die Achseln. »Wie Sie meinen. Dann fangen wir also an.« Er faßte nach dem Arm des Worgun in Ceradengestalt. »Dennoch möchte ich Dalon zuvor noch wenigstens angemessen begrüßen.« Er wandte sich an den Blauhäutigen. »Ich halte es für eine glückliche Fügung des Schicksals, daß Sie ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt den Weg zu uns nach Terra gefunden haben. Wir sind nämlich in großer Not, wie Sie gleich hören werden.«

Nacheinander drückten sie alle dem vorgeblichen Ceraden die Hand. Wortkarg und knapp fiel die Begrüßung aus. Die Bedrückung, die sich nach dem Vorfall auf sie gelegt hatte, ließ sich nicht so einfach abschütteln. Die so unverhofft aufgeworfenen Fragen nach Arc Doorns wahrer Identität hingen schwer im Raum und vergifteten die Atmosphäre. Und das würden sie solange tun, bis sie beantwortet waren.

Die Männer und Frauen nahmen an dem großen Konferenztisch in Trawisheims Büro Platz; jedoch nicht lange, denn Trawisheim kam sofort zum Punkt. »Nach allen Messungen, die in den letzten Wochen durchgeführt wurden, müssen wir uns mit folgenden Fakten auseinandersetzen. Erstens: Die Sonne strahlt seit zwei Jahren kontinuierlich weniger Energie ab. Zweitens: Eine Art Kettenreaktion scheint die Fusionsprozesse im Inneren unseres Zentralgestirns zu reduzieren, denn die Zeiträume, in der seine Energieabstrahlung um einen bestimmten Wert abnimmt, verkürzen sich rapide. Mit anderen Worten: Wir haben es mit einem exponentiellen Steigerungsfaktor zu tun. Oder sollte ich lieber von einem exponentiellen Sterbefaktor sprechen? Drittens: Falls sich an diesen beiden Befunden nichts Wesentliches ändert – und nichts spricht dafür –, wird die Sonne in neun Jahren erlöschen.«

»Waas…?!« Niemanden, bis auf Bell und Eylers, die schon Bescheid wußten, hielt es auf seinem Sessel. »Das kann doch gar nicht wahr sein!« rief Anja Riker, und Chris Shantons Baß dröhnte: »Nur noch neunhundert Jahre…?!«

*

Sie brachten ihn in eine Zelle. Die maß zwei mal zwei Meter. Ihre Wände waren drei Meter hoch und graugrün gekachelt. Auf manchen standen solch geistreiche Sprüche zu lesen wie: »Fick dich selbst« oder: »Ich will hier raus«. Es gab eine Pritsche, es gab ein Waschbecken, es gab eine Toilettenschüssel. Und eine Kamera an der Decke über der Metalltür gab es auch.

Die Arme im Nacken verschränkt lag Bert Stranger auf der Pritsche. Er hatte es aufgegeben, nach einem Anwalt zu schreien oder das Wachpersonal zu beschimpfen. Er war einfach zu heiser nach dem vielen Gebrüll.

Gern hätte er es auch aufgegeben, über den Grund seiner Verhaftung nachzugrübeln. Das klappte nicht; und je konzentrierter er es versuchte, um so kläglicher scheiterte er. Was er auch anstellte – Selbstsuggestion, Entspannungsübungen, Meditation –, nach spätestens einer Minute kreisten seine Gedanken wieder um eine einzige Frage: Warum haben sie mich verhaftet?

Auf so eine Frage gibt es üblicherweise eine Menge möglicher Antworten; vor allem, wenn einem beim besten Willen kein wirklich plausibler Grund einfallen wollte. Zur einzig naheliegenden Antwort gelangte Stranger immer dann, wenn er sich ein weiteres Mal im Labyrinth seiner Grübeleien verrannt hatte: ein Mißverständnis. Natürlich, was denn sonst? Nur ein lächerliches Mißverständnis, weiter nichts. Keine Sorge, alles wird sich klären.

Danach folgten ein oder zwei Minuten Entspannungsübung oder Autosuggestion, und dann ging es zurück ins Labyrinth all der möglichen Gründe für eine überraschende Verhaftung: Jemand hatte ihn möglicherweise verleumdet und mit Hilfe falscher Zeugen eine Anklage erreicht; jemand, über den er mal ein paar kritische Spalten geschrieben hatte. Oder das DNS-Profil eines Kinderschänders glich zufällig seinem. Oder sein DNS-Profil war mit dem eines Frauenmörders verwechselt worden. Oder ein Tyrann hatte sich in den Regierungspalast geputscht. Oder Veronique, seine Geliebte, war vergewaltigt und ermordet worden, und man hielt ihn für den Mörder. Und so weiter, und so weiter.

Kurz: In seinem Kopf kochte erneut die Hölle hoch.

Seit die Polizei in der Transmitterstation von Alamo Gordo über ihn hergefallen war, tickte sein Zeitgefühl nicht mehr richtig. Es kam ihm vor, als läge er bereits die halbe Nacht hier auf der Pritsche. Als er jedoch irgendwann auf seine Uhr blickte, war es erst anderthalb Stunden her, daß die Zellentür sich hinter ihm geschlossen hatte. Und ein paar Minuten, nachdem er das festgestellt hatte, schloß man sie wieder auf.

Bert Stranger, Chefreporter von Terra-Press, sprang von der Pritsche. Er glättete seinen Sommermantel, den er auch auf der Pritsche anbehalten hatte, denn es war empfindlich kalt in diesem Knast. Zwei Männer in Uniformen des Vollzugs traten ein. Sie stellten sich links und rechts der Zellentür auf und machten einem dritten Mann Platz, einem hochgewachsenen, schlanken Burschen von ungefähr fünfunddreißig Jahren. Er trug einen dunkelgrauen, teuren Anzug unter seinem weißen Trenchcoat.

»Ich will nicht irgendeinen Anwalt«, sagte Stranger. »Ich will mit Dr. Kowalski sprechen! Mit meinem persönlichen Anwalt!«

»Mein Name ist Perlman«, sagte der Fremde. »Ich bin kein Anwalt. Kommen Sie.«

»Sonst noch Wünsche?« Die Zornesröte stieg dem kleinen, dicklichen Stranger ins Gesicht. »Erstmal verlange ich eine Erklärung! Und dann – für wen arbeiten Sie überhaupt?«

Ein kurzer Blickkontakt zwischen dem Fremden namens Perlman und den Wachmännern, und schon stürmten diese in die Zelle, packten Stranger, drückten ihn an die Wand und fesselten ihm die Hände mit Handschellen auf den Rücken. »Seid ihr bekloppt?!« Stranger schrie seine Wut heraus. »Oder seid ihr einfach nur gottverdammte Scheißkerle?!« Sie zerrten ihn aus der Zelle und dann über einen langen Gang an unzähligen Zellentüren vorbei. »Was ist denn in diese Stadt gefahren? Haben Wahnsinnige die Regierung übernommen? Ich war doch nur ein paar Tage unterwegs…?!«

Er schimpfte und fluchte, während sie ihn hinter dem weißen Trenchcoat namens Perlman herschleppten. Seine abstehenden Ohren waren fast so rot wie sein Haar. Als Stranger sein Gezeter für ein paar Sekunden unterbrach, um Atem zu schöpfen, wandte Perlman den Kopf und sagte: »Ich bringe Sie an einen Ort, an dem man Ihnen alles erklären wird.«

»Na prächtig! Ich kriege eine Erklärung! Was bin ich doch für ein Glückspilz! Ich will Ihnen mal was sagen, Sie 007 für Hausfrauen, irgendwann bin ich wieder am Drücker, irgendwann werde ich eine Erklärung abgeben, die wird man auf allen Planeten lesen können, und darin werde ich in einem Nebensatz auch einen lächerlichen Möchtegern im weißen Trenchcoat erwähnen…«

Stranger schimpfte, bis sie ihn in einer Tiefgarage in den Laderaum eines großen Gleiters schoben und die Klappe hinter ihm zuwarfen. Er hätte eigentlich noch eine Menge zu sagen gehabt, doch sein Blick fiel auf einen Mann, der ebenfalls Handschellen trug. Er hing in einem der Sitze und sah ihn unfreundlich an. Hager war er und dunkelblond. Fünf Tage alte Bartstoppeln überwucherten sein schmales, kantiges Gesicht, und hellgraue Augen mit entzündeten Rändern lauerten aus diesem wahrhaftig unfreundlichen Gesicht.

»Ach du Schande«, stöhnte Stranger, denn der Anblick des Mannes beschwor eine Ahnung für den Grund seines Unglücks in ihm herauf: Es war Ian Carus, der Doktorand, den sie von der Universität Edinburgh gefeuert hatten, ein Astronom und Geophysiker. Stranger hatte ihn aufgesucht, weil der Nachwuchswissenschaftler über rätselhafte Veränderungen der Sonne geforscht und seine Ergebnisse in einem Buch mit dem Titel »Die Sonne stirbt« veröffentlicht hatte; ein Buch, das man nirgends mehr finden konnte, nicht einmal in Unibibliotheken. »Ist doch erst ein paar Stunden her, daß ich Ihr Haus verlassen habe«, sagte Stranger, nur um überhaupt etwas zu sagen.

Das Triebwerk des Gleiters summte, die Maschine nahm Fahrt auf und hob ab. Carus stierte Stranger an. Er trug noch immer die hellen Kordhosen und das lange, ungefärbte Baumwollhemd. »Hören Sie, ich habe selbst keine Erklärung.« Stranger ließ sich in den Sitz neben den Wissenschaftler sinken. »Es tut mir leid, aber stellen Sie mir bitte keine dummen Fragen.«

»Ich brauche Ihnen keine Fragen zu stellen, Stranger, weder dumme noch kluge.« Er hob die gefesselten Hände – ihm hatte man sie freundlicherweise vor dem Körper zusammengekettet. »Und da Sie ja so ein ganz besonders schlauer Bursche sind, haben Sie auch längst begriffen, warum wir diesen Schmuck hier tragen und warum wir uns so schnell unter demselben Dach wiederfinden.«

»Nun ja – ich ahne es.« Die Großstadtlichter flogen rechts und links vorbei, es war kalt. »Sie sind sauer auf mich, stimmt’s?«

»Ich könnte mir in den Hintern beißen, wenn ich daran denke, daß ich Sie in mein Haus gelassen habe! Gott, warum habe ich mich von Ihnen beschwatzen lassen! Ohne Sie würde ich es mir jetzt allmählich mit einer Tasse Tee vor meinem Wohnzimmerfenster gemütlich machen, um den Sonnenaufgang über dem Meer nicht zu verpassen.«

»Tut mir leid, ehrlich.« Stranger zog die Nase hoch, schloß die Augen und ließ seinen Kopf gegen die Nackenstütze sinken. »Ich fürchte auch, daß es irgendwas mit Ihrem Buch, mit der Sonne und mit dem Wetter zu tun hat. Aber als Erklärung für diesen behördlichen Überfall reicht mir das nicht. Von meiner Regierung bin ich eigentlich rechtsstaatliche Sitten gewohnt.«

»Im Hinblick auf Regierungen, Frauen und Vorgesetzte sollte man immer mit Überraschungen rechnen«, bemerkte der Brite.

Bis der Gleiter landete und stoppte, schwiegen sie. Vier Männer in Zivil öffneten die Heckklappe und holten sie heraus; Männer, die Stranger nie zuvor gesehen hatte. Wie aus dem Nichts tauchte auch Perlman auf. »Wir sind da«, sagte er. »Kommen Sie.« Er schritt einer Front mit Lifttüren entgegen. Seine vier Begleiter führten Stranger und Carus hinter ihm her.

Stranger sah sich um. Überall Parkbuchten, überall Gleiter – eine Tiefgarage, wie es in Alamo Gordo Tausende gab. Erst als sie im Lift nach oben rasten und er die Schilder der Regierungsabteilungen neben den Etagennummern las, wußte er, wo sie sich befanden. »Also doch«, seufzte er.

»Wie meinen, Sir?« Carus haderte immer noch mit seinem Schicksal.

»Also doch das Regierungsgebäude, meinte ich. Andererseits – wenn es einen Putsch gegeben hätte, wüßte ich das. Schließlich verfolge ich im Zweistundenrhythmus die Nachrichten.«

»Das ist Ihr Job, schätze ich.« Perlman beäugte ihn mit spöttischem Blick.

»Sie werden noch an mich denken, Agent Dreifachnull!« zischte Stranger.

Sie fuhren ganz nach oben, und Stranger schwante Übles. Die Geheimdienstler schoben ihn und Carus aus dem Lift. »Wie Sie sicher schon ahnen, können Sie sich gleich an höchster Stelle beschweren, Mr. Schmierfink«, höhnte Perlman. Er legte seine Handfläche auf den Sensor neben dem Vorzimmer zum Commander der Planeten, Henner Trawisheim. Die Türflügel öffneten sich, sie traten ein. Aus dem Büro des Regierungschefs drangen erregte Stimmen.

Stranger blieb stehen, weil er die von Ren Dhark erkannte. Und wo der Commander der POINT OF sich aufhielt, dürften auch gewisse andere Leute nicht weit sein. »Hören Sie«, sagte er zu Perlman. »Da drin sind Leute, über die ich geschrieben habe, bei denen ich einen gewissen Ruf genieße. Diesen Leuten werde ich nicht in Handschellen unter die Augen treten. Anders als Sie habe ich noch ein Image zu verlieren.« Er wandte Perlman den Rücken zu. »Also nehmen Sie mir die Dinger ab. Und Mr. Carus ebenfalls. Genau wie ich ist er ein unbescholtener Bürger mit einem ordentlichen Beruf. Machen Sie schon!«

»Geht nicht, ich hab meine Anweisungen.«

»Gut. Gehen wir wieder.« Dem kleinen, rundlichen Reporter schwollen sämtliche Zornesadern. Er fuhr herum, rammte dem linken Wachmann das Knie in den Unterleib und stieß den rechten mit der Schulter zur Seite.

Doch Carus’ Bewacher überholten ihn auf seinem Spurt zur Tür und schlugen beide Flügel zu.

»Tut mir leid, Stranger«, sagte Perlman. »Ich hab meine Anweisungen, wie schon gesagt.«

»Ihre Anweisungen?!« brüllte Stranger. »Und haben Sie außer Ihren Anweisungen eventuell auch etwas Hirn unter ihrer Designerfrisur?!«

*

Schnell wichen die allgemeinen Schreckensrufe und die spontanen Äußerungen des Zweifels und des Unglaubens einem geradezu lähmenden Entsetzen. »Nicht neunhundert Jahre, meine Herrschaften«, sagte Trawisheim, als alle sich wieder gesetzt hatten. »Auch keine neunzig, sondern neun Jahre. Aber schon in zwei Jahren ist es so kalt, daß die Erde unbewohnbar wird. Das ist die Galgenfrist, die uns zum Handeln bleibt.«

Er gab das Wort an Monty Bell weiter. Der kleine, hagere Akademiechef mit dem langen Blondhaar verteilte ein vierseitiges Exposé, doch nur Shanton blätterte darin. Alle anderen legten es vor sich auf den Tisch und rührten es nicht an. Mit wenigen Worten begründete der Wissenschaftler die erschütternden Thesen noch einmal. »Ich habe Ihnen die Entwicklung unserer Meßergebnisse zusammengefaßt. In diesem Papier finden Sie die monatlichen Veränderungen über einen Zeitraum von anderthalb Jahren dokumentiert. Alle maßgeblichen Parameter der Sonnenaktivität wie Oberflächentemperatur, Anzahl, Geschwindigkeit und Höhe von Protuberanzen, Koronadurchmesser und -temperaturen, Sonnenwindgeschwindigkeit, Anzahl und Ausdehnung von Sonnenflecken, Magnetfeldaktivitäten und so weiter – all das habe ich Ihnen in verschiedenen Diagrammen und Kurven veranschaulicht.« Er blickte auf und merkte, daß nur Shanton seine Arbeit in die Hand genommen hatte. »Bitte schauen Sie sich das Papier an!« Fast flehentlich klang das. »Ein Blick auf die Diagramme, und Sie werden sehen, daß für alle Parameter alle Werte Monat für Monat abgenommen haben, ja, in jüngster Zeit geradezu abgestürzt sind! Erst wenn der letzte Verantwortungsträger begreift, daß wir es hier nicht mit Gruselgeschichten, sondern mit der Realität zu tun haben, erst dann haben wir die Chance, wirksam an einer Lösung zu arbeiten!«

Nach dieser kurzen, aber flammenden Rede nahm zuerst Ren Dhark und dann nach und nach auch die anderen Anwesenden das Papier in die Hand. Eine Zeitlang hörte man es nur rascheln. Irgendwann kamen die ersten Fragen, und Bell beantwortete sie geduldig.

»Der nächste Winter auf der Nordhalbkugel bricht in drei bis vier Monaten an«, sagte Henner Trawisheim schließlich. »Und schon er wird keinem Frühling mehr Platz machen. In einem Jahr um diese Zeit, im nächsten August, werden wir heizen müssen, und die Eiszeit wird sich auch auf der Südhalbkugel bemerkbar machen.«

»Eiszeit…?« kam es aus zwei oder drei Mündern zugleich. Wieder ging ein Stöhnen durch die Runde.

»Ja, meine Damen und Herren – eine Eiszeit steht uns bevor; und im Augenblick spricht alles dafür, daß es die letzte sein wird, genau wie dieser Sommer vermutlich der letzte ist, den wir auf Terra zu sehen bekommen.«

»Ist diese Entwicklung denn niemandem aufgefallen, außer unseren Forschungseinrichtungen?« wollte Ren Dhark wissen.

»O doch, Commander.« Mit einer Kopfbewegung bedeutete Trawisheim dem Geheimdienstchef, die Frage seines Vorgängers zu beantworten.

Bernd Eylers legte seinen linken Arm etwas zu rasch auf den Tisch, so daß die auf den ersten Blick nicht erkennbare Prothese einen dumpfen Schlag auf dem Holz verursachte. Der blauhäutige Cerade runzelte die Stirn und musterte die Hand des Geheimdienstchefs neugierig. Raummarschall Bulton entlockte diese flüchtige Begebenheit ein müdes Grinsen. »Im Gegenteil, Mr. Dhark.« Eylers legte seine Rechte auf die künstliche Linke, als wollte er sie vor den Blicken Dalons schützen. »Immer häufiger erreichen uns Anfragen besorgter Bürger. Sie rufen die Raumfahrtakademie oder die großen Observatorien an. Sie melden sich bei den Lehrstühlen für Astronomie oder Astrophysik an den Universitäten ihrer Stadt oder bei den Medien. In den letzten zwei Wochen gab sogar ein knappes Dutzend Anrufer hier im Regierungsgebäude.« Der schlanke, bis auf seine Prothese so unauffällig wirkende Mann machte eine Geste des Bedauerns. »Anfang des Jahres konnte die GSO die Dissertation eines Nachwuchsforschers zu diesem Thema verhindern. Auch sein Buch haben wir gerade noch rechtzeitig vom Markt verschwinden lassen können. Es trug den damals noch reißerisch anmutenden Titel ›Die Sonne stirbt‹. Wir wissen nicht, wer es alles in die Finger bekommen hat. Jedenfalls kommen wir inzwischen mit der Arbeit kaum noch nach, und der Kreis der Mitwisser wird größer und größer.«

»Verzeihen Sie, aber…« Anja Riker bedachte erst den Chefagenten und nach ihm Trawisheim mit einem kritischen Blick. »Haben die Bürger Terras denn nicht das Recht zu erfahren, in welcher Gefahr sie sich befinden?«

»Sicher haben sie das, Dr. Riker«, sagte Henner Trawisheim. »Aber vor allem haben die Bürger Terras das Recht zu leben.« Er lächelte kühl, und Dhark fand ihn ein wenig arrogant in diesem Augenblick.

»Ich verstehe nicht ganz, Sir?«

»Nun ja, Anja«, sagte ihr Mann. »Stell dir mal vor, die frohe Botschaft macht Schlagzeilen – ›Die Sonne stirbt‹ oder ›Die nächste Eiszeit steht vor der Tür‹ oder ›Nur noch zwei Jahre Menschheit‹. Was glaubst du, was auf unserem Planeten los wäre?«

»Das wäre ein schreckliches Affentheater.« Chris Shanton nagte an seinem Daumennagel herum. »Bei allen schwarzen Löchern der Milchstraße – ein Horrorszenario gäbe das…«

»Eines?« Trawisheim stieß ein bitteres Lachen aus. »Bürgerkriege auf allen Kontinenten! Stadtfehden um Nahrung und Brennmaterial! Die Anarchie würde ihr blutiges Haupt erheben!«

»Die Infrastruktur wäre am Ende«, sagte Arc Doorn. »Die Regionalverwaltungen auch.«

»Recht und Ordnung würden zusammenbrechen.« Eylers hob die Stimme. »Die Wirtschaft würde kollabieren, und nur wenige Menschen würden überleben, denn uns würden die Mittel wegbrechen, um sie zu retten. Wir könnten schlicht und ergreifend unsere Ressourcen zur Rettung der Menschheit nicht annähernd ausschöpfen, wenn all diese schrecklichen Dinge einträfen.«

»Kurz und gut: Das Recht auf Leben scheint mir in diesem Fall schwerer zu wiegen als das Recht auf Information«, stellte Trawisheim fest.

Anja Riker nickte betreten.

»Sie sprechen von einer Evakuierung, wenn ich richtig verstehe.« Ren Dhark hielt es nicht länger in seinem Sessel. Niemand widersprach ihm, also fuhr er fort. »Ganz davon abgesehen, daß wir ein derart gigantisches Evakuierungsprojekt niemals anleiern könnten, ohne all die Teufel zu entfesseln, die gerade an die Wand gemalt wurden, frage ich mich, wie man dreißig Milliarden Menschen evakuieren will?« Er blieb mitten im Büro stehen und breitete halb ratlos, halb fordernd die Arme aus. »Wie zum Teufel kriegt man das in einem Jahr hin? Oder in zwei oder drei?«

»Nun, Commander – wir müssen einfach anfangen«, sagte Trawisheim. »Wenn wir die Transmitterverbindung nach Eden voll auslasten und zum Beispiel die größten Frachtcontainer für den Transport benutzen, würden wir täglich eine Millionen Menschen nach Eden schaffen können…«

»Das wären 365 Millionen bis nächsten August um diese Zeit«, warf Dan Riker ein. »Etwas mehr als ein Prozent der Menschheit.«

»Und auch das nur, wenn wir morgen anfangen«, sagte Dhark. »Doch um das tun zu können, müßten wir an die Öffentlichkeit.« Er blickte Trawisheim ins Gesicht. »Weiß man denn auf Eden überhaupt schon von solchen Plänen? Möglicherweise will Wallis seine Pforten ja gar nicht so weit öffnen?«

»Wir haben ihn noch nicht eingeweiht«, gab Eylers zu. »Aber ihm wird gar nichts anderes übrigbleiben, als uns aufzunehmen. Wir haben Mittel und Wege, um ihn notfalls zu zwingen.«

»So ist es«, bekräftigte der Regierungschef. »Aber wie Mister Rikers einfache Rechnung schon zeigt: Selbst wenn Wallis sogar zwei Jahre lang täglich eine Millionen Terraner nach Eden ließe, könnten wir auf diesem Weg nicht einmal eine Milliarde Menschen retten. Parallel zu dieser Maßnahme müssen wir die Erdbevölkerung in den großen Städten konzentrieren, diese mit Energiekuppeln vor der kommenden Kälte und dem Eis schützen und die Leute dann peu à peu in Raumschiffen auf Kolonialplaneten wie Babylon oder Hope transportieren.« Sein fragender Blick traf Ted Bulton.

»Die Flotte könnte sich relativ rasch auf so eine Aufgabe einstellen«, sagte der Marschall.

»In diesem Sommer und Herbst werden wir voraussichtlich die letzte Ernte einfahren«, fuhr Trawisheim fort. »Zumindest trifft dies für die Agrarregionen der Nordhalbkugel zu. Deswegen haben ich mit den zuständigen Ministern bereits geheime Landwirtschafts- und Ernährungsprojekte entwickelt. In diesen Tagen schon beginnen die Arbeiten an Biosphären für Gewächshäuser im Amazonasbecken und in Zentralasien und -afrika. In neunundvierzig Zentren der Nahrungsmittelproduktion wird der Ausstoß verzehnfacht, um ausreichende Konservenvorräte anzulegen, in…«

»Aber wie um alles in der Welt wollen Sie selbst diese punktuellen Geheimprojekte länger als drei Monate geheimhalten, Henner?« Dhark schlug einen beschwörenden Ton an.

»Nur so können wir es schaffen!« rief Trawisheim. Die bohrende Art seines Vorgängers nervte ihn sichtlich. »Und so werden wir es auch schaffen, mindestens achtzig Prozent der Menschheit zu retten!« Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Dazu aber brauche ich Ihr Vertrauen, Dhark, und die absolute Loyalität aller Anwesenden!«

»Wie bitte?« Dhark glaubte nicht recht gehört zu haben. »Achtzig Prozent?«

»Ich sagte ›mindestens‹. Vielleicht schaffen wir auch neunzig Prozent.«

»Vielleicht aber auch viel weniger als achtzig, nicht wahr?« Trawisheim wich dem Blick des Weißblonden aus und antwortete nicht. »Wir sollen einen Plan in Angriff nehmen, bei dem von Anfang an klar ist, daß mindestens sechs Milliarden Menschen auf der Strecke bleiben?« Dhark blickte sich in der Runde um. »Das kann es doch nicht sein, oder?« Seine Augen hefteten sich an Monty Bell. »Es muß doch einen Ausweg geben…!«

Der Professor hob ratlos die Achseln. Im Vorzimmer fiel donnernd eine Tür zu. Laute Männerstimmen waren zu hören, irgend jemand fluchte…

*

Stranger war außer sich vor Zorn. Carus dagegen schien kein Mann des Kampfes zu sein. Er wirkte reichlich zerknirscht, beobachtete aber seinen Leidensgenossen mit hochgezogenen Brauen und nicht ohne eine gewisse Schadenfreude. »Sie sind ein Arschloch, Perlman!« rief Bert Stranger. »Und falls Eylers Ihr Chef ist, werde ich dafür sorgen, daß er Sie rausschmeißt!«

Der GSO-Mann antwortete nicht. Er klopfte an die Cheftür und öffnete sie. Seine Männer zerrten Stranger in Trawisheims Büro. Eine Menge Leute saßen beziehungsweise standen da um den Konferenztisch, und wie befürchtet kannte er die meisten. Er beschloß, daß in dieser Situation nur Angriff eine gute Verteidigung sein konnte. Also stürzte er auf den Regierungschef zu und überschüttete ihn mit einer Flut von Vorwürfen. »Freiheitsberaubung, versuchte Körperverletzung, Verschleppung und Nötigung, verehrter Mr. Trawisheim! Und das alles regierungsamtlich sanktioniert! Glauben Sie etwa, Mr. Carus und ich kennen unsere Rechte als terranische Bürger nicht? Spätestens übermorgen weiß man auf dem entferntesten Kolonialplaneten, was von Ihrer Regierung zu erwarten ist, das verspreche ich Ihnen…!«

»Tut mir leid, Mr. Stranger.« Trawisheim verschränkte die Arme vor der Brust. Falls er überrascht war, den berühmten Reporter in Handschellen zu sehen, so verstand er seine Überraschung gut zu verbergen. »Selbstverständlich kennen wir die Rechte unserer Bürger.« Mit einer knappen Kopfbewegung bedeutete er Perlmans Männern, den beiden Gefangenen die Handschellen abzunehmen. »Aber die besonderen Umstände erfordern besondere Maßnahmen.«

»Dummes Gerede!« Stranger rieb sich die Handgelenke. »Was Sie unter ›besonderen Maßnahmen‹ verstehen, haben Mr. Carus und ich schmerzhaft erfahren müssen. Wenn Sie nun noch die Güte hätten, uns die angeblich so ›besonderen Umstände‹ zu erläutern?«

»Es ehrt Sie, daß Sie selbst als Verhafteter noch versuchen, an neue Informationen zu gelangen, Mr. Stranger«, sagte Trawisheim. »Aber ich denke, Sie wissen sehr gut, von welchen Umständen hier die Rede ist.«

»Verhaftet?« Stranger sah sich um. »Sie können mich nicht verhaften lassen, nur weil ich mich beruflich für das Wetter interessiere!« Mit einem Blick erfaßte der Reporter die Situation: Bis auf Eylers, Bell und den Regierungschef waren alle Anwesenden verblüfft, ihn hier und in Ketten zu sehen.

»Sie täuschen sich, Mr. Stranger.« Demonstrativ wandte Trawisheim sich von ihm ab. »Ich kann noch ganz andere Dinge veranlassen, denn ich habe den geheimen Notstand ausrufen lassen.«

»Den ›geheimen Notstand‹?« Stranger lachte spöttisch. »Hätten Sie etwas derartiges tatsächlich ausrufen lassen, wäre es nicht mehr geheim!« Er blickte sich nach Verbündeten um. »Oder sieht das irgend jemand hier anders?«

Ren Dharks Blicke flogen zwischen Stranger und dem Commander der Planeten hin und her, Doorn und Shanton brüteten über Professor Bells Papieren – wenigstens taten sie so – und die anderen beobachteten die Situation mehr oder weniger ratlos. Trawisheim fand es wohl unter seiner Würde, sich noch länger mit dem respektlosen Reporter abzugeben. Mit einem Blick forderte er seinen Geheimdienstchef auf, die Angelegenheit zu regeln.

Eylers räusperte sich und stand auf. »Meine Damen und Herren«, begann er, »das ist Ian Carus aus Rosemarkie.« Er wies auf den Briten, der ein wenig verloren zwischen den Geheimdienstmitarbeitern stand. »Er hat das vorhin erwähnte Buch über das Erlöschen unserer Sonne geschrieben. Ich habe es gelesen und kann Ihnen versichern, daß Mr. Carus vollständig im Bilde ist über den Ernst unserer Lage.« Er wies auf den kleinen Reporter. »Mr. Stranger dürfte Ihnen allen begannt sein, und so wird es Sie nicht wundern zu hören, daß er sich Anfang der Woche einen halben Tag und eine ganze Nacht in Mr. Carus’ Haus in Schottland aufgehalten hat. Mit anderen Worten: Auch er weiß, daß die Sonne erlischt.« Und dann wandte er sich an die beiden Festgenommenen. »Mr. Carus, Mr. Stranger – es tut mir aufrichtig leid, daß wir mit solcher Härte gegen Sie vorgehen mußten, aber das Leben unserer Bürger steht auf dem Spiel, das Überleben der Menschheit sogar. Die Sonne erkaltet, irgend etwas bremst die solaren Kernfusionsprozesse aus, in neun Jahren erlischt unser Zentralgestirn endgültig. Und schon in drei Jahren ist die Erde so kalt, daß die Atmosphäre gefrieren wird. Würden diese niederschmetternden Fakten auch nur gerüchteweise an die Öffentlichkeit dringen, würde unser Planet sich in eine Tollhaus verwandeln…«

Er skizzierte das Chaos von Bürgerkrieg und Anarchie mit knappen Worten und wiederholte die Schlußfolgerung aus diesem Szenario: Zusammenbruch der Ressourcen, die für die Rettung der Menschheit unverzichtbar waren.

Bert Stranger kühlte sichtlich ab. Vermutlich hatte er die Konsequenzen aus seinen neuesten Informationen so noch nicht zu Ende gedacht. Mit nachdenklich gerunzelter Stirn stand er da und blickte zur Fensterfront hinaus, wo der Nachthimmel über den Hochhausgipfeln schon von ersten Lichtschlieren des anbrechenden Morgens durchzogen war.

»Solange die Sache nur einem kleinen Kreis bekannt ist, können wir noch ungestört und zügig an der Rettung der Menschheit arbeiten«, sagte Trawisheim. »Jeder einzelne Tag, an dem das so bleibt, zählt. Deswegen müssen wir Leute wie Sie leider aus dem Verkehr ziehen, Mr. Stranger und Mr. Carus.«

»Ungeheuerlich…!« entfuhr es Stranger, aber seiner heiseren Stimme fehlte plötzlich die Kraft zu weiteren lautstarken Zornesäußerungen. »Ihr wollt uns tatsächlich wegschließen…?«

»Hören Sie, Henner«, griff Ren Dhark ein. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Wir nehmen Mr. Stranger mit an Bord der POINT OF. Ich würde mich persönlich dafür verbürgen, daß er das Schiff so lange nicht verlassen kann, bis sich die Situation sowieso nicht mehr verheimlichen läßt. Was halten Sie davon?«

Trawisheim machte eine Geste, die man als Einverständnis deuten konnte. Nur Stranger spielte nicht mit. »Vielleicht habe ich aber noch etwas anderes zu tun, als mit Ihnen durch die Milchstraße zu touren, Mr. Dhark«, sagte er. »Vielleicht habe ich noch einen Job zu erledigen, und vielleicht gibt es da noch Angehörige, die auf meine Anwesenheit Wert legen. Ich denke da insbesondere an eine gewisse Dame, wie Sie sich vielleicht denken können. Warum also fragen Sie mich nicht, was ich davon halte, Commander?«

»Möglicherweise, weil ich die einzige Alternative ahne«, antwortete Dhark.

»Die Alternative wäre Schutzhaft in einer Einzelzelle des Geheimdienstes«, sagt Eylers trocken.

2.

»Ich habe also die Wahl, mich unter die schützenden Fittiche des Geheimdienstes oder in die weltabgewandte Geborgenheit eines Raumschiffes zu begeben! Na, herzlichen Glückwunsch!« Stranger drehte sich einmal um sich selbst und hob in einer flehenden Geste beide Arme. »Hören Sie zu, Mr. Eylers!« Er blickte auf seine Uhr. »Ich habe meinem Chef mit noch keiner einzigen Zeile bewiesen, daß ich aus dem Urlaub zurück bin. Und um neunzehn Uhr bin ich mit meiner Verlobten verabredet!«

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