Hoffnung der Verdammten - John Gray - E-Book

Hoffnung der Verdammten E-Book

John Gray

0,0

Beschreibung

Der Autor steht für einen unverwechselbaren Schreibstil. Er versteht es besonders plastisch spannende Revolverduelle zu schildern und den ewigen Kampf zwischen einem gesetzestreuen Sheriff und einem Outlaw zu gestalten. Er scheut sich nicht detailliert zu berichten, wenn das Blut fließt und die Fehde um Recht und Gesetz eskaliert. Diese Reihe präsentiert den perfekten Westernmix! Vom Bau der Eisenbahn über Siedlertrecks, die aufbrechen, um das Land für sich zu erobern, bis zu Revolverduellen - hier findet jeder Westernfan die richtige Mischung. Lust auf Prärieluft? Dann laden Sie noch heute die neueste Story herunter (und es kann losgehen). »Du mußt dich verstecken, Conchita!« Von draußen war Hufschlag zu hören. Der Wind von der Sierra San Jose brachte ihn mit. Der alte Mann bewegte sich durch die niedrige Hütte und öffnete die Hintertür. »Bis jetzt haben sie uns verschont«, sagte der Junge. Er war höchstens achtzehn, schmal, sehnig, die Hände so schwielig wie die seines Vaters. »Du hast jeden Monat die Steuern bezahlt«, fügte er hinzu. »Obwohl wir dafür gehungert haben.« Er schüttelte verzweifelt den Kopf: »Was sollen wir denn noch alles tun?« Der alte Mann antwortete nicht. Er blinzelte in die Sonne hinaus. »Beeil dich, Conchita. Versteck dich!« Der Hufschlag wurde immer lauter. Das Mädchen stand am Tisch, vor sich eine Schüssel mit Kartoffeln. Von der Kochstelle trat die grauhaarige Frau zu dem Mädchen und legte ihm die Hände auf die Schultern. »Im Namen der Madonna von Guadelupe! Tu, was Vater sagt!« Das Mädchen ließ das Schälmesser fallen, warf die Schürze zur Seite und lief durch die Hintertür auf den Hof. »Vorn sind sie schon!« rief der Junge von einem der Fenster. Der Alte eilte mit seiner Tochter zu dem kleinen Stall. Seitlich der Box für das Maultier öffnete er eine Falltür im Boden. Darunter war ein Vorratskeller. Das Mädchen stieg hinunter. Der Ranchero schloß die Tür und schob eine Futterkiste darüber. Als er aus dem Stall trat, waren die Reiter da. Sie waren auf dem Hof vor dem strohgedeckten Haus ausgeschwärmt. Einer war abgestiegen, ein großer Mann mit starken Schultern und eckigem Kinn. Der alte Mann kannte ihn. Als er die Hütte umrundete und hinter der Westecke des Hauses

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 142

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die großen Western – 242 –

Hoffnung der Verdammten

John Gray

»Du mußt dich verstecken, Conchita!«

Von draußen war Hufschlag zu hören. Der Wind von der Sierra San Jose brachte ihn mit.

Der alte Mann bewegte sich durch die niedrige Hütte und öffnete die Hintertür.

»Bis jetzt haben sie uns verschont«, sagte der Junge. Er war höchstens achtzehn, schmal, sehnig, die Hände so schwielig wie die seines Vaters. »Du hast jeden Monat die Steuern bezahlt«, fügte er hinzu. »Obwohl wir dafür gehungert haben.« Er schüttelte verzweifelt den Kopf: »Was sollen wir denn noch alles tun?«

Der alte Mann antwortete nicht. Er blinzelte in die Sonne hinaus. »Beeil dich, Conchita. Versteck dich!«

Der Hufschlag wurde immer lauter. Das Mädchen stand am Tisch, vor sich eine Schüssel mit Kartoffeln.

Von der Kochstelle trat die grauhaarige Frau zu dem Mädchen und legte ihm die Hände auf die Schultern.

»Im Namen der Madonna von Guadelupe! Tu, was Vater sagt!«

Das Mädchen ließ das Schälmesser fallen, warf die Schürze zur Seite und lief durch die Hintertür auf den Hof.

»Vorn sind sie schon!« rief der Junge von einem der Fenster.

Der Alte eilte mit seiner Tochter zu dem kleinen Stall. Seitlich der Box für das Maultier öffnete er eine Falltür im Boden. Darunter war ein Vorratskeller. Das Mädchen stieg hinunter. Der Ranchero schloß die Tür und schob eine Futterkiste darüber.

Als er aus dem Stall trat, waren die Reiter da. Sie waren auf dem Hof vor dem strohgedeckten Haus ausgeschwärmt. Einer war abgestiegen, ein großer Mann mit starken Schultern und eckigem Kinn.

Der alte Mann kannte ihn. Als er die Hütte umrundete und hinter der Westecke des Hauses auftauchte, standen sein Sohn und seine Frau bereits in der Tür.

»Wir haben unsere Steuern bezahlt«, sagte die Frau.

»Don Fernando ist sehr zufrieden mit euch«, sagte der Mann. Er musterte den Alten stechend. »Don Fernando mag dich, Munez. Du kannst stolz darauf sein.«

»Gracias, Señor Doro«, sagte der Alte.

»Er wird euch eine große Ehre erweisen«, sagte der andere.

»Wir sind mit allem zufrieden, was wir haben«, sagte die Frau.

»Wenn Don Fernando jemandem Ehre erweisen will, dann gibt es kein überlegen, ob diese Ehre angenommen wird oder nicht«, erwiderte Doro scharf. Er hakte die Daumen hinter den breiten Gürtel, an dem ein großes Messer und ein Holster mit einem langläufigen Revolver hingen. »Wo ist deine Tochter, Munez? Wie war doch gleich ihr Name? Conchita, nicht wahr?«

»Sie ist nicht da!« Die Stimme der Frau klang etwas schrill. »Wir haben sie zu meiner Schwester geschickt. Nach Alisos.«

»Wie ist sie dorthin gereist, Munez?« fragte Doro.

»Ein – ein Nachbar hat sie mitgenommen«, sagte der Junge.

»Seht euch um!« befahl Doro. Er winkte seinen Männern zu. »Pronto, Amigos!«

Sie sprangen aus den Sätteln. Männer mit breitrandigen Sombreros und weiten, dunkelroten Leinenhemden, die Revolver, Gewehre und Messer trugen. Ihre dunklen Gesichter waren hart und grausam.

Doro lächelte. Er fixierte Carlo Munez und sagte: »Du bist ein Lügner, Munez. Don Fernando mag keine Lügner. Ich hasse sie.«

Er ging langsam auf den Alten zu. Als er zuschlug, schrie die Frau auf. Die Faust traf den Ranchero gegen die Stirn. Der Kopf des Alten wurde zurückgeschleudert. Er breitete die Arme aus und stürzte auf den Rücken.

Der Wind von der Sierra strich wimmernd um die Ecken des kleinen Rancho. Das hohe, von der Sonne versengte Gras wiegte sich in sanften Wellenbewegungen.

Die Männer, die das Haus und den Stall betreten hatten, waren vorn zu hören. Sie warfen polternd Möbelstücke um und schlugen mit ihren Gewehrkolben gegen Wände und auf den Fußboden, um nach Hohlräumen zu suchen.

Carlo Munez richtete sich auf. Er blickte Doro demütig an und verharrte in gebeugter Haltung vor ihm, während Doro die Fäuste in die Hüften gestemmt hatte.

Doro lächelte noch immer. Er sagte: »Weißt du, daß ich dich abknallen könnte, Munez?«

»Si, Señor«, sagte Munez.

»Kein Mensch würde mir etwas tun, Munez. Weißt du das?«

»Si, Señor.«

»Weißt du auch, warum?«

Der Ranchero schüttelte den Kopf.

»Weil du eine Wanze bist, Munez. Wenn Don Fernando will, daß du zu atmen aufhörst, dann sorge ich dafür. Niemand würde sich darum kümmern. Um Wanzen kümmert man sich nicht.«

Hinter dem Haus war Lärm zu vernehmen. Eine helle Frauenstimme war zu hören.

»Conchita!« rief der Junge. Seine Mutter packte ihn von hinten an den Schultern und hielt ihn fest.

»Mir scheint, Conchita ist noch nicht nach Alisos abgereist«, sagte Doro. »Das erspart uns einen langen Weg.«

Sie brachten das Mädchen nach vorn und lachten dabei. Zwei Männer hielten sie rechts und links an den Armen. Ihre Bluse war eingerissen, so daß ein Teil ihrer rechten Brust freilag.

»Sie hat in einem Keller unter dem Stall gesteckt«, sagte einer der Männer.

»Ein böses Mädchen«, sagte Doro. »Deine Mutter hat gedacht, du seist in Alisos. Don Fernando wartet auf dich. Du solltest dich über diese große Ehre freuen.«

»Laßt sie hier!« Munez warf sich auf die Knie und hob flehend die Hände. »Verschont Conchita! Haga el favor! Ich bitte euch, laßt mir meine Tochter. Erhöht die Steuern, nehmt mich mit, aber…«

Doro sagte kein Wort. Er versetzte dem Alten einen Tritt. Carlo Munez wurde in den Staub geworfen, während das Mädchen zu den Pferden gezerrt wurde.

»Laßt meine Schwester!« Der Junge riß sich von der Mutter los und stürzte dem Mädchen nach. Er packte einen der Männer, die sie festhielten, riß, ihn herum und warf ihn zu Boden. Er wollte Conchita hinter sich her zerren und mit ihr davonlaufen.

Ein Kolbenhieb traf ihn in die Seite. Der Junge drehte sich und sackte auf die Knie. Ein weiterer Hieb schleuderte ihn nach vorn.

Das Mädchen schrie noch immer. Ihm hing das dichte seidigschwarze Haar strähnig um den Kopf. Es war schmal, zierlich, mit feinen Zügen und großen Augen.

»Bindet ihr die Hände zusammen«, sagte Doro. »Wir werden die kleine Katze schon bändigen, bevor Don Fernando sie kriegt.«

Der Junge sprang ihn an. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Er umklammerte Doros Beine, versuchte, ihn zu Fall zu bringen und ihm das Messer aus dem Gürtel zu reißen.

»Den Jungen bringen wir nach San Lazaro.« Doro rückte seinen Sombrero gerade und wandte sich seinem Pferd zu.

»Nicht nach San Lazaro!« Die Frau stolperte über den Hof. Einer der Männer stellte ihr ein Bein. Sie stürzte der Länge nach hin.

Das Mädchen saß bereits auf einem Pferd. Der Junge wurde über ein anderes Tier geworfen, so daß er mit dem Kopf an der einen, mit den Beinen an der anderen Seite herunterhing. So wurde er festgebunden.

Die Reiter stiegen in die Sättel. Als die Kolonne den Hof verließ, richtete sich Carlo Munez auf und taumelte zum Haus. Das graue Haar hing ihm strähnig ins Gesicht. Als er mit einem Gewehr in die Tür trat, stand seine Frau vor ihm. Sie umklammerte seinen Oberkörper, so daß er das Gewehr nicht heben konnte.

»Tu es nicht!« Ihre Augen schwammen in Tränen. »Sie töten dich. Dann bin ich ganz allein.«

Seine Schultern sackten nach unten. Er drehte sich um, setzte sich in einen Korbstuhl am Fenster und senkte den Kopf in die Hände. Irgendwann spürte er die Nähe seiner Frau. Sie kniete vor ihm.

»Er hat sich schon viele Campesino Töchter geholt«, sagte Munez. »Du weißt, was aus den Mädchen geworden ist, wenn sie zurückgekehrt sind. Don Fernando ist ein Teufel.«

»Wenn sie nur zurückkehrt«, sagte die Frau. »Einige sind nie wieder gesehen worden. Aber vielleicht schickt er Conchita eines Tages zurück. Juan wird er nicht zurückschicken. In den Bleiminen von San Lazaro lebt keiner lange.« Sie konnte nicht mehr sprechen.

Carlo Munez strich ihr über den Kopf und sagte: »Ich werde heute abend in die Berge reiten und ein Feuer anzünden.«

»Du glaubst, daß wir Hilfe erhalten werden?«

Er blickte sie an. Sein Gesicht war ausgemergelt. Er sagte: »Anderen ist auch geholfen worden.«

*

Er hatte Angst. Seit er die Ausläufer der Sierra Espuela erreicht hatte, wurde er von Zweifeln geplagt, ob das, was er vorhatte, richtig war. Aber das war es nicht allein, was ihm Kopfzerbrechen bereitete. Er war nicht einmal sicher, ob er nicht seine Hoffnungen an ein Phantom gehängt hatte, ob es nicht besser war, nach Hause zurückzukehren und der Madonna eine Kerze zu opfern.

Er dachte an die Geschichten, die er auf den Feldern oder in den Bodegas von Casita und San Lazaro gehört hatte. Wenn das alles stimmte, dann gab es jemanden, der Don Fernando Valdez nicht fürchtete, der den Campesinos half, wenn sie der Hilfe bedurften.

Gab es ihn wirklich? War er nur eine Legende? Eine dieser Geschichten, die Menschen erfinden, wenn sie keine Hoffnung mehr haben?

Carlo Munez war immer sicherer, je weiter er ritt, daß die Gerüchte nichts wert waren. Er dachte, daß er sich zum Narren machte. Trotzdem ritt er weiter. Gleichzeitig mit der Unsicherheit wuchs seine Angst.

Er stieg irgendwann vom Maultier und führte es am Zügel hinter sich her. Längst hatte er den schmalen Reitweg durch das Hügelland verlassen. Die Anhöhen wurden steiler und unwegsamer. Zugleich wurde der Busch- und Strauchbewuchs immer dichter.

Im Westen sank die Sonne. Die Spitzen der Berge glühten, als stünden sie in Flammen. Nach und nach hüllte sich das tiefer liegende Land in den schützenden Schleier der Abenddämmerung.

Die Dunkelheit, die Carlo Munez umgab, wurde für ihn bedrohlicher, je höher er in die Sierra stieg. Irgendwann erreichte er ein Hochplateau, wo er sich keine Rast gönnte, sondern sofort begann, trockenes Reisig zu sammeln.

Wieder befielen ihn Zweifel, ob sein Tun irgend etwas an seiner Lage ändern und Conchita und Juan helfen konnte.

Endlich brannte das Feuer.

Menez kauerte davor und fachte die Flammen immer wieder an, während es um ihn herum Nacht wurde.

Er war sicher, daß das Feuer weithin zu sehen war, und er fürchtete, daß die falschen Leute das Signal sehen und ihn holen würden. Dann wäre seine Frau ganz allein.

Munez verließ den Lichtkreis des Feuers und hockte sich unter eine Grannenkiefer. Er lehnte sich gegen den schuppigen, zerfurchten Stamm des alten Baumes und spähte zum Himmel. Er sah keinen Mond, nur einige Sterne. Das Knistern und Knacken des Feuers klang zu ihm herüber.

Munez zog die Beine an den Leib und fühlte, wie die Anspannung in ihm nachließ. Gleichgültigkeit erfaßte ihn. Nichts geschah. Seine Frau hatte es ihm vorhergesagt. Zumindest hatte er es versucht.

Wer sollte schon einem armen Ranchero helfen? Nicht einmal der Himmel half ihm. Geholfen wurde nur den Starken, Männern wie Don Fernando Valdez. Vielleicht war es besser, sich in sein Schicksal zu ergeben.

Conchita würde eines Tages zurückkehren, wenn Don Fernando ihrer überdrüssig geworden war. Nur Juan – Juan würde die Bleiminen von San Lazaro nicht mehr verlassen.

Tiefe Trauer befiel Carlo Munez. Die Hilflosigkeit, die er empfand, bedrückte ihn. Er fragte sich, wann Don Fernando Conchita gesehen hatte. Hatte er nicht immer scharf aufgepaßt, daß sie sich nie weit vom Haus entfernte?

Aber einmal – als sie alle auf dem Westfeld gearbeitet hatten, da war der Wagen von Don Fernando vorbeigefahren und hatte kurz angehalten. Das mußte Wochen her sein, aber Don Fernando vergaß nichts.

Carlo Munez sah das Feuer kleiner werden. Er hörte das Singen des Nachtwindes und das Flattern eines Vogels, der in niedriger Höhe über das Plateau zog…

Er war eingeschlafen und schreckte plötzlich hoch. Tintige Finsternis umgab ihn. Das Feuer war erloschen. Ein eisiger Hauch kroch dem Alten den Rücken hoch. Er blickte sich um und suchte sein Muli. Er wollte heim. Da sah er den Mann: Er stand unweit des kalten Feuers. Carlo Munez wollte sich erheben, aber er war wie gelähmt.

Die Angst war wieder da. Sie kroch wie heißes Blei durch seine Glieder.

Der Mann war groß. Einzelheiten seiner Gestalt waren nicht zu erkennen, denn er trug einen knielangen schwarzen Umhang. Auch vom Gesicht sah Munez nicht viel, der breitrandige, flachkronige Hut saß tief in der Stirn.

Obwohl das Gesicht des Fremden im Dunkel lag, wußte Munez, daß der Mann ihn anblickte. Munez fragte sich, wie lange der andere schon da war.

Auf einmal war die Angst wieder da.

Der Mann im schwarzen Umhang näherte sich ihm. Erst jetzt erkannte der Alte, daß der Fremde ein Gewehr in den Fäusten hielt, wie er es noch nie gesehen hatte. Es war kurz und zierlich, hatte einen Bügel unter dem Kolbenhals und ein Schloß aus schierem Silber.

»Du hast mich gerufen.« Die Stimme des Fremden war tief. Die Art seines Sprechens verriet, daß er ein gebildeter Mann war. »Ich bin da.«

»Si, Señor«, sagte Munez. Er wußte nicht, was er sonst sagen sollte. Seine Kehle war wie zugeschnürt.

»Warum hast du das Signalfeuer angezündet?« fragte der Mann in Schwarz.

»Wir – wir dachten… Wir haben geglaubt, daß… Wenn keiner uns mehr hilft…«

»Wer ist wir?«

»Meine Frau und ich.«

»Weshalb braucht ihr Hilfe?«

»Sie haben unsere Tochter geholt… Conchita! Sie ist gerade siebzehn… Unseren Sohn haben sie auch mitgenommen. Sie haben gesagt, sie bringen Juan nach San Lazaro, in die Bleiminen, wir…«

»Wer sind sie?« fragte der Fremde.

»Die Männer von – von Don Fernando.«

»Und wer bist du?«

»Carlo Munez.«

»Don Fernando hat deine Tochter holen lassen?«

»Si, Señor.«

»Und deinen Sohn?«

»In die Bleiminen, Señor.«

»Woher hast du gewußt, wie du mich rufen kannst?«

»Andere Rancheros haben es gesagt. Campesinos in Casita. Sie haben gesagt: Wenn einer Hilfe braucht, wenn er wirklich nicht mehr weiter weiß, dann hilft ihm El Moro…«

Als Munez den Namen ausgesprochen hatte, überlief ihn ein erneuter Schauer. Er blickte furchtsam zu dem großen Mann im schwarzen Umhang hoch. Der Umhang klaffte ein wenig auseinander, als eine Windböe über das Plateau strich. Munez sah, daß er innen dunkelrot gefüttert war.

Der Mann bückte sich. Munez keuchte vor Schreck: Der andere trug eine schwarze Gesichtsmaske, die den ganzen Kopf einhüllte. Nur die Augen, die Nase und der Mund lagen frei.

»Wann haben sie euch überfallen?«

»Gestern nachmittag.«

»Ich kann keine Wunder tun«, sagte der Schwarze. »Wenn ich dir helfe, wirst du weder deine Tochter noch deinen Sohn so bald wiedersehen. Sie dürfen nicht in Mexiko bleiben. Don Fernando würde sie jagen lassen.«

»Wenn sie nur frei sind… Ich wür­de­ mein eigenes Leben dafür hergeben.«

»Du hast recht daran getan, mich zu rufen«, sagte der andere. »Deine Tochter heißt Conchita, dein Sohn Juan?«

»Si, Señor.«

»Das genügt. Sag niemandem, daß du mit El Moro gesprochen hast. Wenn ich mit dir reden will, werde ich mich bei dir melden. Wenn du mich brauchst, zünde ein Feuer an. Aber merk dir…! Ruf mich niemals ohne schwerwiegenden Grund. Rufe mich nicht, nur weil du wissen willst, ob ich etwas für deine Kinder tun konnte. Du wirst Nachricht erhalten, wenn ich es für richtig halte. Sonst wirst du warten. Hast du verstanden?«

»Si, Señor. Aber – Conchita… Sie ist noch so jung. Sie ist jetzt bei Don Fernando, diesem Teufel!« Es brach aus ihm heraus. Er hob flehend die Hände. »Er darf Conchita nicht schänden!«

»Geh nach Hause, Munez«, sagte El Moro.

Er reckte Carlo Munez seine Hand hin. Er trug einen schwarzen Handschuh. Zögernd griff der Alte danach.

Der Druck der Hand war kraftvoll. Auf einmal empfand Carlo Munez Trost und Vertrauen.

Der Mann in Schwarz drehte sich um und schritt über das Plateau. Die Dunkelheit war so dicht, daß er nach wenigen Yards kaum noch mit bloßem Auge wahrzunehmen war. Munez hörte nur seine Schritte.

Auf einmal war es still. Munez lauschte. Er vermutete, daß El Moro das Plateau zu Pferde erreicht hatte. Aber er vernahm keinen Hufschlag.

Nur der Nachtwind war zu hören. Er hatte aufgefrischt und blies einige Wolken weg. Der Mond tauchte unvermittelt auf und spendete milchiges Licht.

Das Plateau war leer.

Carlo Munez richtete sich auf. Er fragte sich, ob alles nur ein Traum gewesen sei. Aber er fühlte noch den Druck der Hand des Maskierten.

Der Alte ging zu seinem Maultier. Er nahm es am Zügel und trat den Weg zu Tal an. Es war schwierig, denn trotz des Mondlichts war die Sicht in dem zerklüfteten, bewaldeten Bergland schlecht. Munez gelangte nur langsam voran. Er strauchelte oft. Und immer wanderten seine Gedanken zurück zu der schwarzen Gestalt.

Es gab ihn also wirklich: El Moro. Er war nicht nur eine Phantomgestalt. Er hatte versprochen, zu helfen.

Carlo Munez wußte nicht, wie irgend jemand etwas gegen Don Fer­nando tun konnte. Don Fernando war der mächtigste Mann, von dem er je gehört hatte. Trotzdem glaubte er dem Fremden.

Die nächtliche Ebene öffnete sich vor ihm. Carlo Munez stieg auf den Rücken des Maultiers. Er drehte sich um und hoffte, El Moro noch einmal zu sehen. Aber die Sierra war voller Schatten und voller Geheimnisse. Sie gab nichts davon preis.

*