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Kannst Du dir vorstellen, ein gesellschaftliches Leben führen zu müssen? Kannst Du dir vorstellen, einen Mann zu heiraten, den du nicht liebst? Lara Duvall will beides nicht. Sie will ihre Freiheit. Sie will ihre eigenen Entscheidungen treffen. Doch das kann sie nicht. Sie muss den Mann heiraten, dem sie versprochen wurde, und soll als Dame der Gesellschaft glücklich werden. Aber als Lord James MacGuire in ihr Leben tritt und sich dann auch noch ihre Träume bewahrheiten, hofft sie, dass sich ihr langweiliges Schicksal ändert.
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Seitenzahl: 413
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Abgeschlossene Romane
Tabula Smaragdina – Eine chymische Hochzeit
Dash – Direkt in die Hölle
Trilogie »Unheiliges Blut«
Von Vampiren entführt
Von Vampiren beschützt
Von Vampiren besessen
Alexandra de Leeuw entwickelte schon früh eine Leidenschaft für das Schreiben. Sie bewegt sich in verschiedenen Genres und fesselt ihre Leser mit Herz, Humor und Ungewissheit.
Prolog
JÄGER UND BEUTE
BEI DEN LEXINGTONS
DIE HÖHLE DER BESTIA
EIN LORD ZUR VERLOBUNG
UNZÜCHRIGES VERHALTEN
DAS LAGER DER YAKUSH
EIN LEBEN ALS HEILSBRINGERIN
VON PRIESTER UND VERFÜHRUNG
DER SKANDAL
KEINE UNSCHULD
DER WIEDERGÄNGER
HOCHZEIT WIDER WILLEN
NEUE SPIELREGELN
LESEPROBE
Prolog
Philomena
Samtig rot schimmerte die Phiole im Feuerschein. »Hier ist das Blut eines Heilsbringers. Es war nicht einfach zu beschaffen. Hast du den Dolch?« Vorsichtig bettete die dunkelhaarige Hexe das Glasröhrchen griffbereit neben sich auf dem Waldboden. Sarina wusste genau, was sie zu tun hatte, sie war schließlich die mächtige Hexe des Stamms der Yakush.
»Was denkst du denn, Sarina? Ein Anch’usoah’yan. – Ein Seelenfänger. Sei froh, dass ich noch einen besitze.«, erwiderte die blonde Hexe, sie war Französin und bewandert in den dunklen Künsten. Prüfend hielt sie den Ritualdolch ins Mondlicht. Die beiden Hexen mochten sich nicht, aber der Zauber erforderte diese Allianz. Jede für sich konnte ihn nicht erfolgreich durchführen.
»Und du bist dir sicher, dass es funktionieren wird, Oriane?«, hakte Sarina nach. Sie hatten sich auf dieser geschützten Lichtung verabredet, tief verborgen im Wald. Die einzigen Zeugen ihres Schaffens, die hohen dunklen Tannen, die ehrwürdig im Kreis um die beiden Frauen in ihren schwarzen, schweren Mänteln aufragten.
Das kleine Feuer, dass auf dem Boden zwischen ihnen brannte, knisterte verheißungsvoll, als die blonde Hexe eine Hand voll Kräuter hineinwarf und die Flammen daraufhin in einem kräftigen Rot aufloderten.
»Sarina, ich bitte dich. Wir sind nicht die besten Freundinnen, aber hier geht es um Magie und der vertraust du doch? Wozu die Zweifel? Du sagtest, dass er Verluste erlitten hat, dass er wegen seiner Schuldgefühle geradezu perfekt sei für den Zauber sei.«, erklärte Oriane vorwurfsvoll.
Sarina nickte. »Seine Anlagen sind gut, aber darauf verlassen können wir uns nicht. Wir sind nicht in Besitz des Engelssplitters.«, erinnerte sie an ein, ihrer Meinung nach nicht unwesentliches, Problem. »Ich weiß doch auch nur, was mein Bruder Pierre, möge er in Frieden ruhen, mir erzählt hat.«, gab Oriane seufzend zu bedenken.
»Die Confrérie du Soleil waren die letzten Hüter des Engelsplitters. Als der Zirkel mit einem Schlag ausgelöscht wurde ist die Feder, dieser vielgerühmte Splitter, verschwunden. Es ist nicht zu mehr ändern und auch nicht wichtig, wenn du mich fragst.
Wir brauchen dieses Artefakt nicht. Wir sind mächtig! Ein Bund aus Hell und Dunkel. Außerdem würde dieses unreine Geschöpf es nicht überleben, wenn wir den göttlichen Funken in es senken würden. Dazu bräuchte es schon einen echten Helden. Einen lebendigen und, vor allem, tugendhaften Mann.«
Sarina wog den Kopf hin und her. »Ist überhaupt abzusehen, was der Bestia widerfährt, wenn dieser Zauber schief geht?«, brummte sie und die Blondine lachte glockenhell auf. »Ist dir das wirklich wichtig?« »Er muss mir dienen. Er ist wertvoll.« »Er hat fast deine gesamte Familie ausgelöscht. Deinen ganzen Stamm. Mir ist ohnehin nicht ganz klar, warum wir das hier tun.«
»Das habe ich dir erklärt, Oriane, es muss sein. Ohne seine Hilfe wird der nächste Heilsbringer oder die nächste Heilsbringerin nicht lange überleben und das Böse ist viel zu mächtig geworden in der Welt. Wir haben eine Pflicht. Wir müssen die Menschen schützen, so gut es geht und wer weiß, vielleicht erlangt die Bestia dadurch einen Hauch seiner Menschlichkeit zurück?«
Oriane kicherte. »Naturellement. Die Bestia und Menschlichkeit, was für ein köstlicher Witz. Das ist ja noch komischer, als ich es mir ausdenken könnte.« »Darum geht es nicht!«, fauchte Sarina eingeschnappt. Hell und golden loderten die Flammen auf, als sie eine Handvoll Harze ins Feuer warf.
»Ist ja gut. Ihr Gutmagier seid immer so empfindlich. Kannst du überhaupt noch lachen?«, scherzte die Französin ungehemmt weiter. »Die Ankunft des neuen Heilsbringers…« »Ich weiß, Sarina, ich weiß. Aber aus diesem herzlosen Monster einen Bewahrer zu machen, halte ich für gleichermaßen amüsant und gefährlich. Wenn der Zauber seine Eigenschaften verstärkt, verstärkt er dann nur die Guten?«
»Willst du mich ärgern, Oriane? Im Prinzip geht es ja auch nicht um die Bestia oder darum, dass es ihm gut geht. Es geht um den Heilsbringer. Der Mensch, den dieses Schicksal ereilt, ist hilflos dem Bösen ausgeliefert und die Lebenserwartung daher gering, wir müssen versuchen, dieses Wesen zu schützen und ihm einen Bewahrer zur Seite stellen, der stark genug ist, diese Aufgabe zu erfüllen. So wie es das Schicksal vorsieht.«, erklärte Sarina.
»Wir müssen eingreifen und da das ursprüngliche Ritual ist nicht durchführbar ist, werden wir diesen Zauber sprechen, aus keinem anderen Grund. Es muss sein. Die Gefahren sind zu groß es muss einen Bewahrer geben, der den Heilsbringer schützt. Wenn etwas schief geht, gibt es noch immer den Bann. Die Bestia muss meinen Befehlen gehorchen, so oder so.«, verkündete Sarina.
Die Blondine nickte bedächtig. »Wie willst du die beiden überhaupt zusammenbringen?« Abfällig schnalzte Sarina mit der Zunge. »Das ist wohl kaum ein Problem. Ich werde dafür sorgen, dass er in der Nähe ist und der Zauber, um den neuen Heilsbringer aufzuspüren, wird seine Wirkung ebenfalls entfalten. Sobald ich eine Verbindung hergestellt habe, werde ich ihn rufen. Wenn er erst die Nähe des himmlischen Wesens wittert, wird er ohnehin nicht mehr anders können.«
Oriane stutzte. »Das Blut. Angeblich riecht es unwiderstehlich, Oriane. Schließlich soll es ja das Böse anziehen.« »Ah! Tre bien!«, antwortete die Französin. »Und du glaubst wirklich, dass er sich freiwillig an diesen Menschen binden wird, denn nur das vollendet den Zauber, Sarina.«
Sarina lächelte nachsichtig. »Selbst, wenn nicht, der Zauber zwingt ihn dazu das Leben des Heilsbringers bis in dessen Tod zu schützen.« »Und vermutlich auch dessen, der dem dann folgt, no?«, mutmaßte die Französin und kicherte erneut amüsiert.
Sarina hob wissend eine ihrer dunklen Brauen. »Außerdem muss auch der Heilsbringer sich an ihn binden wollen und ihm vertrauen.« »Dem vertrauen! Das ich nicht lache. Mit Strafen kennt ihr Yakush euch wirklich aus. Dann lass uns endlich anfangen. Nein! Warte. Eines noch: Was machen wir mit den Aufzeichnungen, Sarina? Wenn sie ihm in die Hände fallen, könnte das Folgen haben.«
Die Zigeunerin nickte ernst. »Bei mir kann ich sie nicht aufbewahren. Ich traue ihm nicht.« »Dann werde ich sie verschwinden lassen. Ich habe einen Freund in London. Er arbeitet dort in der Bibliothek. Eine Abschrift mehr zwischen diesen Wälzern wird sicher nicht auffallen.« »Gut, das funktioniert.«
»Er darf es nie erfahren, hörst du, Sarina. Schwöre es mir! Dein Leben kann er nicht bedrohen, der Bann schützt dich, aber ich bin ihm ausgeliefert.«, flehte die Französin eindringlich. »So ausgeliefert man als Schwarzmagierin sein kann, meinst du, Oriane?« »Schwöre es mir! Mein Leben ist mir lieb geworden.« »Kein Wort, ich schwöre es dir, Oriane.« »So sei es denn. Gib mir deine Hände.«
Auch wenn ihre blauen Augen zart und unschuldig unter der feuerroten Mähne in die Welt blickten, jeder, der Lara Duvall näher kannte, wusste, dass sie keineswegs ein naives Dummchen war. Sie war eine Herausforderung und den meisten jungen Gentlemen damit viel zu anstrengend. So auch Alexander Russel, dem passabel aussehendem, jungen Mann, dem sie versprochen war.
Doch das war Lara gleichgültig. Vor ein paar Wochen war sie achtzehn geworden und da sie bisher auch frei und fern von jeglichen Regeln und Zwängen aufgewachsen war, dachte sie nicht daran das zu ändern, selbst wenn ihre Verlobung mit Alex sozusagen unmittelbar bevorstand.
Aufgewachsen ist Lara auf Ciel Bleu. So hieß die Plantage in der Nähe von Charleston, die ihr zu Hause war. Das weitläufige Gelände bot eine Menge Freiraum. Daher lernte sie auch früh und obwohl sich das für ein Mädchen nicht gehörte, reiten, fechten und die Qualität eines guten Brandys zu schätzen. Sehr zur Freude ihres Vaters Maximilian und sehr zum Leidwesen ihrer Mutter Henriette.
Lara war eben anders als die anderen jungen Damen. Nicht so verträumt und auch nicht so dämlich und einfältig. Im Vergleich schnitt sie, ihrer Meinung nach, auf jeden Fall am besten ab. Sie war gebildet, abenteuerlustig, neugierig und - naja - etwas forsch vielleicht.
Missbilligend beobachtete sie gerade ihren »Versprochenen«, Alexander Russel, dabei, wie er mit seinen Augen den anziehenden Anblick eines weiblichen Hinterteils folgte. Besagtes Hinterteil gehörte zu India de Foix, die sie immer an eine Bohnenstange erinnerte, dennoch fand Alex ihre knabenhafter Statur ganz eindeutig attraktiv.
Er vertrat die Meinung, dass er trotz der vereinbarten Ehe mit der wilden und drallen Lara Duvall, dennoch das Recht hatte sich als Mann der Augen hatte, im Vorfeld umzusehen, sich zu amüsieren und jede Menge Trophäen zu sammeln. Lara schnaubte abfällig, da dazu natürlich nichts geeigneter war als eine Tanzveranstaltung wie diese.
Die meisten der gleichaltrigen Mädchen hatten sich schon von ihm begrapschen lassen. Stacy Fishbourne hatte sich sogar hemmungslos küssen lassen und Thelma Witherspoon hat ihn ihre intimste Stellen berühren lassen, das Flittchen. Wie weit die dumme Gans wohl gegangen wäre, wäre Lara nicht aus heiterem Himmel in den Stall gekommen und die beiden in der Sattelkammer entdeckt?
Das würden sie wohl nie erfahren. Alex hatte nicht damit gerechnet, dass Lara den Sommerball der Lacys mitten in der Nacht verließ, um einen Ausritt zu machen. Er konnte es nicht ausstehen, dass Lara so unberechenbar war. Unter den jungen Männern war sie berüchtigt für ihre unziemlichen und oft auch sehr undamenhaften Streiche.
Oft schien er sich dort zu brüsten damit, dass sich das schon legen würde und er das in den Griff bekäme, weil er nicht zulassen würde, dass sie durch Lara die Stellung, den ihre Familien in der Gesellschaft genossen, aufs Spiel setzte, wenn sie erst verheiratet wären. Doch darüber konnte Lara nur grinsen. Sie hielt Alexander nicht für die Art von Mann, für die eine Frau alles aufgeben würde.
Als sie seinen Blick auf sich fühlte, reagierte sie bewusst nicht. Alex war keine schlechte Partie, immerhin waren sie miteinander aufgewachsen, aber je älter sie beide wurden, je mehr erkannte Lara, dass sie nicht zusammenpassten. Gar nicht! Alex wollte nicht tolerieren, wie sie war, mäkelte ständig an ihr herum oder triezte sie, als wäre sie noch ein kleines, unmündiges Kind.
Außerdem war Alexander kein Gentleman, sondern ein Weiberheld und, wenn man den Gerüchten glaubte, kein besonders aufmerksamer obendrein. Wieder dachte sie an Thelmas helles Gestöhne, das sie im Stall hatte hören können.
Sie selbst würde er jedenfalls nicht einfach im Stroh entehren, soviel stand für Lara fest, sondern - wenn überhaupt - erst im Ehebett.
Tief seufzte sie auf, schob die Unterlippe vor und langweilte sich. Ein Ausritt wäre auch jetzt wahrscheinlich genau das richtige. Dem seichten Geschwätz der gleichaltrigen Mädchen folgte Lara schon eine Weile nicht mehr.
Außerdem wartete Krösus, ihr Hengst, sicher schon ungeduldig auf sie. Das prachtvolle Tier brauchte Bewegung, wäre da nicht ihre Pflicht von hier zu verschwinden?
Ihre Mutter würde sagen, eine Lady würde das nicht tun. Aber Lara war das egal, sie wollte auch keine Lady sein. Unruhig stieß sie sich von der Wand ab und suchte Tristan, ihren Halbbruder, in der Menge. Tristan, den blonden Wuschelkopf, den ihre Mutter nicht leiden konnte.
Lara erblickte ihn auf der Tanzfläche mit Clarissa Reese. Abfällig schnaubte sie und schloss zielstrebig zu dem tanzenden Paar auf. Das Tristan sich überhaupt noch mit ihr abgab. Schließlich war ihr Bruder bereits verlobt, sogar glücklich verliebt.
»Tristan!«, rief sie und ärgerte sich, als er nicht sofort reagierte und sie sich wie eine Idiotin mitdrehen musste. »Tristan hörst du nicht! Du entschuldigst, Clarissa, ich habe mit meinem Bruder etwas zu besprechen!«, wiederholte sie deutlicher, drängte sich zwischen die Tänzer und schob das dickliche Engelchen einfach bei Seite, das daraufhin beleidigt die Tanzfläche verließ.
»Du tanzt hier mit Pausbäckchen? Hast du deine Verlobte vergessen?«, rügte Lara ihren Bruder, der sie in die Arme nahm und sich mit ihr im Takt weiterdrehte. »Ich wüsste zwar nicht, was es dich angeht, aber mein Interesse an Clarissa ist nur dem Anstand geschuldet. Ich bin nicht so ein Perlenfischer wie dein Alex.«, brummte er zweideutig und Lara verdrehte die Augen.
»Man könnte glatt behaupten, er hätte nur Augen für dich, wenn ihm nicht andauernd andere Röcke die Sicht verstellen würden.« Lara gab ihrem Halbbruder einen empörten Klapps auf die Schulter. »Wir sind so gut wie verlobt. Er wird meinen Rock sein Leben lang sehen müssen.«, erinnerte sie ihn und hörte selbst ihren Missmut heraus.
Sie konnte und wollte sich einfach mit ihrer Situation nicht abfinden. Sie wollte sich verlieben können, sie wollte die Chance haben, sich selbst den Mann auszuwählen, dem sie ihr Herz schenkte und mit dem sie ihr Leben verbrachte. So wie die Frauen, die sie aus den Geschichten im Klatschteil der Gazette kannte.
»So ist das eben, Schwesterlein, wir erwachsen und heiraten. Was willst du denn jetzt von mir?«, wollte Tristan wissen und Lara widerstand dem Drang ihm die Zunge zu zeigen. »Ich wollte dich davon in Kenntnis setzen, dass ich gedenke dieses Fest zu verlassen um reiten zu gehen.« »Und jetzt brauchst du einen Aufpasser, damit du keinen Ärger bekommst?«, neckt er sie.
»Wenn Mutter oder Vater davon erfahren bekomme ich auf jeden Fall Ärger. Nein, ich wollte dich bitten, mir Alex vom Leib zu halten. Er soll nicht auf die Idee kommen mir zu folgen.«, sagte sie mit einem Blick auf ihren Versprochenen, der ihr in diesem Moment zuprostete. »Wie bitte? Sicher nicht. Ich bin schließlich nicht euer Babysitter.«, beschwerte Tristan sich sofort.
»Tristan, bitte!«, flehte Lara. »Vergiss es, Lara. Ihm bist du versprochen, ihn wirst du heiraten. Vielleicht solltest du mit ihm auch reiten gehen.«, erwiderte Tristan und Laras Gesicht verdunkelte sich umgehend, weil das ihrer Ansicht nach unfair war.
Tristan liebte seine Schwester. Lara hatte ihm überhaupt erst ermöglicht ein Mitglied der Familie zu werden. Nur sie hatte ihm damals geholfen, von seinem Vater anerkannt und von Lady Duvall zumindest irgendwie akzeptiert zu werden. Aber sie ging zu oft zu weit, wollte nicht erwachsen werden, und dann war er der leidtragende. Aber jetzt war sie erwachsen und er nicht mehr bereit den Kopf für sie hinhalten.
»Das will ich nicht. Ich weiß gar nicht, ob ich irgendwas davon will!«, ätzte sie aufgebracht und ihr Satinschuh tappte aufgeregt auf dem Marmor. »Das ist bald irrelevant. Du wirst seine Frau.«, antwortete Tristan ihr stirnrunzelnd. Verärgert zogen sich Laras Brauen noch etwas mehr zusammen.
»Das sehen wir noch.«, fauchte sie und Tristan lächelte gezwungen. »Aber Lara, halte dich ein wenig zurück, was sollen die Leute von dir denken? Soll aus der kleinen Lara Duvall denn nie eine Dame werden? Du siehst heute Abend bezaubernd aus, jetzt benehme dich doch auch so.«
Lara schnaubte leise. Wieder kreuzte ihr Blick Alex‘. Es war Zeit zu gehen. »Gut. Dann gehe ich allein. Adieu, Tristan.«, sagte sie, drückte ihrem Bruder einen flüchtigen Kuss auf die Wange und ging entschlossen auf die Balkontüren zu.
Befreit von der Gesellschaft und ihren müßigen Klischees trat sie auf die Terrasse. Gierig sogen ihre Lungen die frische Nachtluft in ihr zu knappes Korsett ein. Mit geübten Fingern lockerte Lara es auf dem Weg zum Stall ein wenig.
Sie wäre ihm nicht entgangen, wenn sie eine unter hunderttausend Frauen gewesen wäre. Seit drei Wochen folgte er ihrem süßlichen, verführerischen Duft. Weil er es musste. Weil man ihn dazu zwang. Wie einen räudigen Köter hatte man ihn zurück in die neue Welt gerufen. Fort aus Prag, fort aus den Betten der bezaubernden Mädchen dort, um hier einen Erzieher zu spielen, einen Lehrmeister, einen Babysitter!
Verächtlich zuckte seine Oberlippe. Falls diese unglaubliche Geschichte hier überhaupt stimmte. Bisher hatte er noch nicht entschieden, ob er Sarinas Wunsch entsprechen soll oder nicht. Die Sache abzulehnen war vermutlich den Ärger nicht wert, den er sich damit aufhalste.
Außerdem zog es ihn ohnehin immer öfter in die Nähe des ungewöhnlichen Rotschopfs und er musste zugeben, dass sie ihn auf unangenehm enervierende Art und Weise interessierte. Gefährlich. Da er ein Jäger durch und durch war. Vermutlich der Beste seiner Klasse. Zumindest war er noch nicht vielen seiner Art begegnet, die der Jagd mit so viel Genuss entgegengetreten waren, wie er.
Bei so einem besonderen Fall wie dem Rotschopf, hätte er sich früher Zeit genommen. Früher. Also vor dem Fluch. Inzwischen jagte er hauptsächlich schnell und schmucklos. Früher hätte die Hexe ihm allerdings niemals freiwillig verraten, wo sich dieser Leckerbissen aufhielt.
Angeblich die nächste Heilsbringerin und damit sein natürlicher Erzfeind und ausgerechnet er sollte sie jetzt ausbilden. Ein durchtriebenes Lächeln zuckte um seine Mundwinkel Eigentlich wäre heute Nacht der beste Zeitpunkt sie sich zu holen. Es wäre so leicht für ihn ein so unerfahrenes Wesen zu erlegen.
James lebte schon recht lange, dennoch war er noch nie einem so mächtigen Menschen begegnet. Er sollte sie sich gönnen und im Anschluss nach Charleston aufbrechen, um der Hexe unter die Nase zu reiben, dass er sie umgebracht hatte. Und dann? Sarina würde ihn vernichten. Sie würde ihren Fluch gegen ihn einsetzen und er würde brennen.
Aber, wenn die Hexe sich doch irrte und die Kleine gar keine Heilsbringerin war? Als er erfuhr, warum Sarina ihn hergeholt hatte, hatte er sich sofort wieder die wenigen alten Schriften angesehen, die er dazu zusammengetragen hatte, aber wie schon in der Vergangenheit, war er nicht richtig schlau geworden aus den Abstammungslinien oder den Informationen zu den angeblich variierenden Kräften.
Vom Garten aus sah James, dass die rothaarige Schönheit das Fest allein verließ, bei dem sie heute war. Ihre weiße Haut schimmerte verlockend im Mondlicht. Glatt wie Seide. James wollte ihr zuerst nicht folgen, dennoch tat er es. Er konnte gar nicht anders. Sein gieriger Blick saugte sich an dem Rotschopf fest, sobald seine Augen sie erfasst hatten.
Natürlich ging sie in den Stall. Das hatte er erwartet. Schon mehr als einmal war er ihr bei ihren nächtlichen Ausritten gefolgt. Sie ritt gut, aber auch leichtsinnig und unüberlegt. Doch soweit wollte er es heute nicht kommen lassen. Gleich im Stall würden sich ihre Wege kreuzen.
Genervt verzog er kurz drauf das Gesicht, als ihm ein Hauch von billigen Zigarren in die Nase stieg. James seufzte. Ein Jüngling tauchte auf und folgte der angeblichen Besonderheit.
Tristan schloss zu Chris und Alex auf. Alex hatte Lara und ihn die ganze Zeit über beobachtet und sicher war auch ihm klar, was vor sich ging, als seine Schwester den Saal verließ. »Meine Holde will also reiten gehen?«, fragte er ohne eine Antwort zu erwarten, dennoch nickte Tristan knapp, weil es an der Zeit war, dass Lara sich mehr mit Alexander zu beschäftigen.
»Dann werde ich ihr folgen müssen. Bald sind wir verlobt. Ich muss ihr endlich zeigen, wer in unserer Ehe die Hosen anhaben wird.«, hörte er Alex auch prompt sagen. »Vielleicht findest du Zugang zu Lara.«, räumte er ihm eine Chance ein, wenn er sich nicht zu tölpelhaft anstellte. »Sicher hast du Glück, wenn du unten beim Bootshaus nachsiehst oder beim alten Kloster.«, mutmaßte Tristan und nahm sich ein Glas Scotch.
»Genau, Alexander. Kümmere dich um deine zukünftige, sonst tanzt sie dir genauso wie allen anderen auf der Nase herum.«, brummte Chris und klopfte seinem Bruder auf die Schulter. »Sabrina ist auch kein Schäfchen.«, urteilte Alex grinsend über Chris Verlobte und handelte sich einen Schlag in den Nacken ein.
»Sabrina ist vorbildlich und wundervoll. Wage es nicht ihren Ruf in Frage zu stellen, Alexander.«, rügte Chris ich sofort. »Zwei Jahre habe investiert und bald ist es an der Zeit die Lorbeeren für meine Arbeit einzustreichen wir werden endlich heiraten«, erinnerte er sie an seine Buhlschaft und Tristan verstand seinen Freund.
Er selbst war auch äußert zufrieden endlich Sil‘s Zustimmung erhalten zu haben. Sein Blick glitt zu Lara, die in diesem Moment den Saal verließ. »Ich muss los.«, sagt auch Alex eifrig. »Lara hat mich und Clarissa letztens im Stall erwischt und meine Zukünftige schien neugierig. Vielleicht habe ich Glück.«
»Kann das nicht warten?«, stellte Tristan in Frage, schließlich wären die beiden ohnehin bald verlobt. »Pass bloß auf.«, sagte auch Chris warnend, doch Alex zuckte gleichgültig die Achseln. »Was solls, ich muss sie doch so oder so heiraten.«, lachte er, exte seinen Cognac und verschwand.
Der Rotschopf ritt so schnell und waghalsig, wie er es erwartet hatte, so, also ob sie ganz genau wüsste, dass der Teufel hinter ihr her war. James, dessen Hengst Satan ebenfalls unglaublich schnell war, hatte große Mühe ihr unauffällig zu folgen. Sie schlug Haken wie ein verdammtes Karnickel. Warum hielt er sich nicht einfach von ihr fern? Warum hatte er sie sich nicht längst geholt? Verdammt!
Lara rechnete nicht damit, dass ihr jemand folgte. Sie genoss das Gefühl von unendlicher Freiheit. Die sternenklare Nacht. Den schnellen Ritt. Nichts konnte sie aufhalten. Kühler Wind wehte ihr ins Gesicht, dunkle Schatten flogen an ihr vorüber. Sie schmiegte sich dichter an ihr Pferd, das gleichmäßig unter ihr seine Muskeln bewegte.
Satan wieherte hell auf, weil James ihm die Sporen wieder und wieder in die Flanken stieß. Er wollte den Rotschopf nicht verlieren. Ging es nach ihm, war es an der Zeit endlich herauszufinden, ob stimmte, was die Hexe behauptete. Ob der Rotschopf tatsächlich so besonders war.
Lara hörte den hohen Schrei eines anderen Pferdes und blickte sich um. War sie nicht allein? Waren Tristan oder Alex ihr doch gefolgt? Eine unbestimmte Unruhe erfasste sie, die sie rücksichtslos ihren Hengst weitertreiben ließ. Ein stetig ansteigender Druck erfüllte sie, wie eine unangenehme Ahnung von etwas Schrecklichem, fast Bösartigem.
Krösus griff weit aus und seine Hufe trommelten im schnellen Takt. Sie hätte sich jetzt sicherer gefühlt, wenn Tristan bei ihr wäre. Auch wenn sie bezweifelte, dass irgendein Pferd auf der Welt schneller war als ihres.
Dann kam ihr eine Idee. Geschickt lenkte Lara Krösus in die angrenzenden Wälder und ließ ihn in leichten Trab fallen. Sollte ihr jemand folgen, würde er hier sicher ihre Spur verlieren.
James hatte den Sichtkontakt zu ihr verloren und richtete sich witternd im Sattel auf, bis er ihren unverkennbaren Duft wieder fand. Süßer Schweiß und blanke Furcht mit einem leichten Hauch von Zitrone und Rosen. »Sie macht es uns einfach, Satan, sie ist im Wald.«, murmelte James. Ein diabolisches Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit, als der Jäger seiner Beute ins Gehölz folgte.
Moos bedeckte den Boden und die Büsche und die alten Bäume knarzten im Takt des Windes. Lara war schon als kleines Mädchen oft mit ihrem Bruder und den Nachbarsjungen hier gewesen. Es war ihr geheimer Ort. Ein kleiner alter Friedhof zwischen den Ruinen der Klostermauern. Dieser Platz hatte ihr schon häufig Zuflucht gewährt. Hier fühlte sie sich seltsam sicher.
Lara kannte jeden einzelnen der zum Teil verwitterten und umgestürzten Grabsteine. Früher hatten sie oft hier gespielt und sich Geistergeschichten erzählt, doch mittlerweile schenkte Lara solchem Firlefanz natürlich keinen Glauben mehr. Vermutlich, weil Tristan zu oft versucht hatte sie zu erschrecken.
Sie stieg ab und lauschte in die Stille um sich. Ihre Ohren machten kein ungewöhnliches Geräusch aus, aber der Druck und das unangenehme Gefühl, nicht allein zu sein, ließen sich dennoch nicht vertreiben. Ein kalter Schauer jagte ihr über den Rücken, als sie langsam vorwärts ging.
Erschrocken drehte sie sich in alle Richtungen. »Tristan?«, rief sie und erschrak, vor dem Lärm den ihre Stimme machte, bevor sie trotzig ihr Kinn hob. »Verschwinde, wer auch immer du bist, ich habe dich gesehen, du kannst dich nicht länger vor mir verstecken!«, rief sie mutig und hörte ihre Stimme im Wald verhallen.
Lara wartete ab. Aber nichts geschah. War sie denn irre? Sie war allein. Wer sollte ihr hier auch antworten? Unsicher kicherte sie auf. Tristan hatte wohl recht damit, dass starker Alkohol und Brandy nicht gut für eine junge Lady sind. Sie machte sich hier allein im Mondlicht lächerlich.
James hörte ihre Gedanken, roch wie ihre Angst schwoll und genoss ihre Furcht. Offenbar fühlte sie seine Gegenwart. Das konnte durchaus ein Anzeichen dafür sein, dass sie besonders war oder aber sehr empathisch. Noch einmal sog er ihren Duft in seinen toten Brustkorb und hätte fast gefaucht, als er erneut den Jüngling witterte. Scheinbar hatte es auch den auf diesen alten Friedhof verschlagen.
»Die toten Seelen lachen über dich!«, flüsterte es plötzlich irgendwo her. Erschrocken fuhr Lara herum. Da war eine Stimme! Eindeutig! »Wer ist da? Wer hat das gesagt? Komm ins Licht! Zeig mir wer du bist!«, rief sie mutig und versuchte vergebens etwas in der Dunkelheit zu erkennen.
James dachte schon, er wäre in eine intime Verabredung geplatzt, aber der Jüngling veralberte den Rotschopf nur mit einem dummen Jungenstreich. Vielleicht war er ja nicht ganz richtig im Kopf oder Frauen eher abgeneigt, denn auch, wenn James sie nicht töten wollen würde, würden ihm hundert sinnvollere Amüsements in ihrer Anwesenheit einfallen, als ein kindischer Streich.
»Hahaha, Lara! Du solltest dein Gesicht sehen! Das ist ja zu köstlich.«, trat plötzlich Alex Russel lachend hinter einem Baum hervor. »Alexander! Schäm‘ dich!«, fauchte Lara sofort. »Was machst du hier? Wozu bist du mir gefolgt?« »Ich wollte sehen, was du hier machst. Nachts. Allein. Auf einem Friedhof.«, ließ er verlauten und kam näher.
»Das geht dich gar nichts an.«, zischte Lara. »So? Bist du vielleicht eine Schwarzmagierin? Willst du eine dunkle Messe abhalten und nackt auf einem Besen reiten?«, sagte Alex kichernd. »Was fällt dir ein, Alexander! Hör‘ auf dich lustig zu machen. Ich wäre fast gestorben vor Angst. Schickt Tristan dich?«, tadelte Lara ihn.
»Nein. Aber er weiß, dass ich dir gefolgt bin. Ich bin um deine Sicherheit in großer Sorge. Ich hoffte wir könnten...« »…die einzige Hoffnung die du hegst, Alex, ist unter meine Röcke zu kommen. Als ob es nicht genügen würde, dass du mich jede Woche mit einer anderen vorführst, bis wir verlobt sind!«, schimpfte Lara.
James, der die Szene beobachtete, verzog unwillentlich amüsiert den Mund. An Mut und Feuer mangelte es dem Rotschopf nicht. Eine Schande, dass dieser Tölpel sie heiraten sollte. Sie passte gar nicht zu ihm. James leckte sich über die Lippen. Andererseits kam es dazu vielleicht gar nicht.
»Lara, sei doch nicht so schrecklich spröde. Wir sind doch ohnehin bald verlobt. Vielleicht würde dir ja auch gefallen, was ich mit dir anstellen würde.«, sagte Alex mit schmeichelndem Ton, stieg ab und ließ sein Cape zu Boden gleiten. »Ich will nicht, dass du irgendwas mit mir machst! Tristan weiß wo ich bin und er…«
»Dein Bruder würde uns nicht verraten, Lara, auch er weiß schließlich, dass du mir versprochen bist. Alle wissen es. Wie würdest du vor deinen Eltern dastehen? Immerhin bist du doch eine vollendete, junge Lady, die ihnen keinen Kummer machen will, oder?«, verklang Alex‘ vor Ironie triefende Stimme.
Stolz reckte Lara ihre Nase in die Höhe. »Wenn du dich da mal nicht verschätzt.«, sagte sie hilflos, weil sie Alex offenbar nicht loswurde. »Natürlich nicht. Von Nahem siehst du ganz passabel aus. Etwas kräftig vielleicht.«, brummte Alex, machte unbeholfen einen Schritt auf sie zu und streckte die Hand nach ihrem Busen aus, den er schon die ganze Zeit über taxierte.
Augenblicklich wich Lara einen Schritt zurück und funkelte ihn angriffslustig an. »Was fällt dir ein, Alex? Hältst du das für charmant oder ein Kompliment? Denn das war weder das eine noch das andere!«, schnappte sie möglichst unhöflich und schlug seine Hand mit Nachdruck zur Seite.
Wie konnte dieser Taugenichts es wagen sie so zu beleidigen? Beinahe hätte James erschüttert geknurrt. Nicht, dass es von Bedeutung wäre, aber besonders geschickt stellte sich der Jüngling nicht an. Nicht verwunderlich, dass die Schönheit da ihren beeideten Zukünftigen nicht besonders leiden konnte. James mochte ihn auch nicht. Das machte ihm den Rotschopf fast sympathisch.
Alex schien sich zu besinnen, dachte Lara als er sich aufrichtete. »Und jetzt, Lara? Solltest du mir nicht eine Ohrfeige verpassen und abrauschen?«, neckte er sie. Lara streckte ihren Rücken durch. »Nicht ich sollte gehen, du solltest gehen, Alexander, bevor du deine Erziehung vergisst.«, zischte Lara. »Deine Neugierde lässt dich zögern!«, singsangte Alex im nächsten Moment.
James stöhnte lautlos auf, als jugendliche Neugier und die irrationale Angst, sonst nie von einem Mann geküsst zu werden in ihrer Gedankenwelt auftauchen. Er sollte dazwischen gehen und kurzen Prozess machen. Mit beiden. Heilsbringerin hin oder her! Sarina konnte ihn ruhig vernichten, wenn er sich dafür dieses schlechte Schauspiel nicht mehr ansehen musste.
»Neugierig? Auf was sollte ich wohl neugierig sein? Das ich nicht lache!«, prustete Lara verunsichert. Sie hatte gar keine Erfahrung und es wäre nur ein Kuss. Mehr nicht, versuchte sie sich zu überzeugen. Ihr Herz pochte schneller, als Alex seinen Blick erneut vertiefte. »Vielleicht auf das hier!«, sagte er und zog sie an sich.
Lara stemmte Ihre Fäuste gegen seine Brust, weil ihr das plötzlich zu schnell ging. »Alex, lass mich los!«, keuchte sie, doch er dachte gar nicht daran. Seine Hand streichelte unnachgiebig über ihr Kreuz und kam dort zum Liegen.
James, der noch immer an seinem Baum lehnte, zog eine Braue in die Höhe. Weiber! Sie waren alle gleich. Sobald man nur ein bisschen nett zu ihnen war, gaben sie einem alles und für ihn persönlich galt wirklich alles.
»Wehr dich nicht, Lara. Lass mich nur machen. Bald sind wir verlobt!«, redete Alex auf sie ein und auch wenn sie das alles wusste, half es nicht, sie zu überzeugen. Entsetzt blickte sie ihn an als er seine Hand über ihr Gesäß gleiten ließ und wurde schon von seinen widerlich feuchten Lippen in Empfang genommen.
Alex seufzte leise und – hell. Lara fühlte seinen Atem, der ihr warm über die Wangen strich, und seinen – Speichel auf ihren Lippen, als er wieder von ihr abließ. Ihr erster Kuss. Auf einem Friedhof. Mit Alexander Russel, diesem Weiberhelden, diesem opportunistischen Arsch, ihr beeidigter Verlobter. Sie prüfte, was diese Tatsache mit ihr anstellte.
Gefallen hatte es ihr nicht besonders. Trotzdem hatte es sich gar nicht so schlecht angefühlt und neugierig war sie noch immer. Aber richtig war es nicht. Energisch stemmte sie ihm die Hände gegen die Brust. »Alex! Alexander! Lass mich los!«, wehrte sie sich.
»Aber Lara, du willst es doch auch!«, lachte er lediglich leise. Wieder wollte er sich ihr nähern. Er ergriff ihre Taille und drückte sie mit seinem Gewicht zurück auf den nächstbesten Grabstein.
»Alex! Was soll das!«, rief Lara und wand sich bemüht ihr Kleid wieder zu ordnen, dass er unbedingt nach oben schieben wollte. Seine Hände waren überall und er schien sich nicht daran zu stören, dass sie das nicht wollte, stattdessen griff er in den Stoff ihres Rockes beherzter und setzte ihre Schenkel dem blassen Mondlicht aus.
Makellos. James Kehlkopf hüpfte, als sein Mund trocken wurde und er schluckte. Sie sah zum Anbeißen aus. Dem Tier in seinem Inneren, gierte es nach ihrem Blut mehr als jemals bei einer Jagd zuvor. Er war in letzten Wochen drei, viermal nachts in ihr Gemach eingebrochen und hatte sie im Schlaf beobachtet.
Düster zogen sich seine Brauen zusammen. Und jetzt sollte dieser Jüngling mit seinen plumpen Avancen sie bekommen? James schüttelte sich. Das ging ihn nichts an. Woher kamen bloß diese Gedanken? Noch bevor er das herausfand, erkannte er, dass er sich bereits bewegte.
Er musste verhindern, was da vor sich ging. Sie schien gänzlich unerfahren und würde sich vermutlich vergessen. Er musste sie davor bewahren. Warum zur Hölle wollte er das überhaupt? Eigentlich wollte er sich doch gegen diese unsinnige Anweisung der Hexe wehren?
Was war nur los mit ihr? Was machte Alex mit ihr? Sie wollte nicht, dass er sie berührte und doch reagierte ihr Körper auf seine Berührungen. Lara war unfähig einen klaren Gedanken zu fassen, auch wenn ein Teil von ihr wusste, dass sie weit über die Grenzen der Schicklichkeit hinaus war.
Sicher, sie waren einander versprochen, aber sie liebte ihn nicht. Sie wollte ihn nicht heiraten. Sie konnte ihn nicht einmal besonders gut leiden, wenn sie ehrlich war. Wieder fühlte sie Alex‘ Lippen auf ihren. Fordernd, feucht, drängend. Er drückte einen seiner Schenkel zwischen ihre und wollte nach ihrer Brust greifen.
»Alex, hör auf damit.«, verlangte Lara, doch es hörte sich schwach an. »Bleib ganz ruhig, mein Schatz, es wird dir sicher gefallen!«, hörte sie Alex säuseln und fühlte sich wie eine Gefangene ihrer Neugier. Als sie aber hörte, wie er sich an seiner Hose zu schaffen machte, schrillten alle Alarmglocken in ihr auf.
»Alex! Lass mich los! Ich will das nicht!«, verlangte sie jetzt deutlich und wollte ihn von sich schieben, aber Alex ignorierte sie und wollte sich gerade an ihrem Dekolletee zu schaffen machen.
»Die Lady hat nein gesagt!«, verklang plötzlich eine grollende, tiefe Männerstimme mit derbem Dialekt, dann verschwand Alex, prallte zwei Reihen weiter gegen einen Grabstein und sackte dort ohnmächtig zusammen.
Lara erstarrte zu einer Salzsäule. Da war noch jemand! »Was?«, sagte sie erschrocken, weil sie nicht verstand, was eben passiert war. Wieder fühlte sie diesen Druck, dieses ungute Gefühl - dann entdeckte sie die große, dunkle Gestalt vor sich.
Sie konnte ihn nicht erkennen, da war James sich sicher, denn er stand mit dem Rücken zum Mond. Den Moment ihrer Verblüffung nutzte er, um einen genussvollen Blick über sie gleiten zu lassen, dabei floss der atemberaubende Duft ihrer Erregung in seine untoten Lungen und ließ es in seinen Lenden angenehm ziehen.
»Alex?«, fragte sie zaghaft nach dem Jüngling, der soeben eine Flugstunde erhalten hatte. Aber James musste ein paarmal kräftig schlucken, bevor er zu einer Antwort fähig war. »Nein, der schläft, und du, kleine Lady, solltest schleunigst nach Haus laufen, wenn du nicht willst, dass ich beende, was das Bürschchen begonnen hat!«, knurrte er dunkel.
Lara blickte an sich herunter, sprang auf und brachte hastig ihre völlig derangierte Garderobe in Ordnung. »Wer sind sie? Was haben sie gesehen? Sie werden es doch nicht verraten?«, fragte sie nervös und schmälerte die Augen, aber sie konnte im Mondlicht nur erkennen, dass der Kerl groß war.
Und vielleicht gefährlich? Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals! Würde er sie gehen lassen? Was für ein Teufel hatte sie nur geritten, dass das alles passieren konnte! »Hallo!?«, fragte sie nochmals, als sie keine Antwort erhielt, doch als sie sich umsah, war der fremde Mann verschwunden.
Sie war bei einer Unsittlichkeit beobachtet worden! Dabei hatte sie doch ohnehin schon keinen besonders guten Ruf. Wenn ihre Mutter davon erfuhr, würde sie sicher auf eine sofortige Verlobung drängen. Dann wäre die Chance, diese Ehe noch aufzuhalten, endgültig verspielt.
Das war alles Alex Russels schuld! Sie blickte sich nicht mehr nach Alex um. Sie schwang ihren zitternden Leib auf den Rücken ihres Hengstes machte sich schleunigst auf den Heimweg.
Die folgenden Tage fielen Lara schwer, da sie nachts keine Ruhe fand. Immer wieder hatte sie Alpträume von einer dunklen Gestalt, von einem Verfolger, den sie aber nicht zu Gesicht bekam.
Natürlich handelte es sich um Alex oder diesen Kerl. Das war ihr klar. Dennoch konnte sie diesen Träumen und den Vorgängen darin nicht entkommen. Sie begannen ähnlich und endeten gleich. Lara versuchte zu fliehen, doch es gelang ihr nicht, denn ihr Häscher blieb ihr auf den Fersen, packte sie grob an den Schultern und – sie erwachte.
Auch jetzt fand sie sich auf dem Friedhof wieder. Verschwitzt. Atemlos. Mit gelüpften Röcken rannte sie vor ihrem Verfolger davon. Fühlte kalte Finger, die sich um ihre Schulter schlossen und erwartete den Moment ihres Erwachens.
Doch so kam es nicht. Stattdessen fühlte Lara wieder diesen unbestimmten Druck in sich wachsen und - hörte jemanden rufen. »Die Bestia! Finde sie!« Ihren Bruder vielleicht? Sie lauschte innehaltend. »Nimm dich vor Bardunov in Acht.« Es klang nicht nach Tristan. »Wehre dich, Mädchen!«, sagte die Stimme. Lara schmälerte die Augen. Wehren?
Ihr Unterbewusstsein erinnerte sich an die Hände, die auf ihren Schultern lagen. Lara nutzte die Chance, drehte sich zu ihrem Verfolger und versteifte sich. Nicht Alex stand vor ihr, sondern der Kerl vom Friedhof. Aber er war nicht menschlich!
Er sah aus, wie ein Monster mit rotleuchtenden Augen und einem bedrohlichen Raubtiergebiss, dass sie jeden Moment beißen wollte. »Wehre dich! Du kannst das. Du allein hast die Macht dazu. Das ist deine Aufgabe. Wehre dich!«, forderte sie erneut die fremde Stimme auf.
Eindeutig eine Frauenstimme, erkannte Lara und wandte sich ab von dem grausigen Kerl. Sie sah Feuer. Sie erkannte eine Kochstelle an der eine Frau in einfacher, bunter Kleidung saß. »Du musst dich wehren, Kind! Jetzt!«, verlangte die Frau eindringlich. Sie musste eine Hexe sein, dachte Lara verblüfft, da sie die Frau noch nie in ihrem Leben gesehen hatte, dann gab sie dem Druck in sich nach.
James wurde zurückgeschleudert und landete unsanft einige Meter entfernt vor dem Bett der rothaarigen Schönheit. Wie schon ein paarmal zuvor, hatte er ihr Zimmer über den Balkon erreicht.
Er wollte endlich herausfinden, ob das Mädchen wirklich eine Heilsbringerin war, bevor er nach Charleston ritt, um die Hexe zu sehen.
Zumindest redete James sich das ein. Der wahre Grund, warum er hier war, war wesentlich profaner. Jetzt hatte er einen Beweis dafür, dass sie eine Heilsbringerin war, denn eine derart abwehrende Aura kannte er sonst höchstens von Dämonen oder sakralen Dingen wie Weihwasser.
Ein Magier oder eine Hexe hätte vielleicht mit einem Amulett oder Talisman einen ähnlichen Schutzschild erzeugen können, aber hier ging es nicht um Magie. Hier ging es um echte Kraft.
James nahm den unschuldigen Anblick dieser außergewöhnlichen Frau, mit diesem speziellen Duft, in sich auf. Eine Heilsbringerin. Eine wahrhafte Legende.
Er leckte sich die Lippen, als er sah wie das dunkelrote Blut unter ihrer milchig weißen Haut pulsierte. Er schmeckte es fast auf seiner Zunge. Kopfschüttelnd rappelte er sich auf.
Er sollte besser zusehen, dass er der Hexe Bericht erstattete und - vielleicht wurde er diese Aufgabe ja doch noch irgendwie los.
Was auf dem Friedhof geschehen war, saß ihr tief in den Knochen. Lara beschäftigten die immer gleichen Fragen. Wer war dieser Fremde? Hatte er ihr gedroht? Hatte er sie beschützt? Hätte er wirklich beendet, was Alex angefangen hatte? War es jemand aus der Gesellschaft? Warum träumte sie von fremden Frauen und fremden Namen und davon, dass sie sich wehren musste?
Leuchtend rote Augen folgten ihr, starrten sie gierig an. Dachte sie nicht an den Kerl, dann an die Szene am Lagerfeuer, an die seltsam gekleidete Frau, die sie ermahnte, eine Aufgabe zu erfüllen. Die ihr sagte, dass sie nach jemanden sollte. Nach Bardunov oder der Bestia, wer auch immer das war.
Vor ein paar Tagen war Alex dann hier erschienen, um sich bei ihr zu entschuldigen. Er hatte mit ihr geredet. Über die Feier und das ungewisse Ende auf dem Friedhof, von dem er einen ordentlichen und schmerzhaften Bluterguss zurückbehalten hatte, aber sich nicht so recht erklären konnte, wie es dazu gekommen war. Lara wollte nicht darauf eingehen, weil ihr das alles ohnedies schon peinlich genug war und weil sie der Meinung war, dass Alex den blauen Fleck durchaus zu Recht trug.
Dann gab ein Wort das andere und plötzlich hatte sich Alex über ihren Aufzug beschwert, da sie noch ihre Reithosen anhatte, und sich furchtbar besserwisserisch und arrogant benommen. Natürlich hatte Lara sich das nicht bieten lassen und daraufhin hatten sie sich - wie üblich - gestritten, bis ihr Bruder dazwischen gegangen war.
Dem Desaster folgte ein grauenvolles Abendessen bei dem es nur zwei Themen gab, ihre bevorstehende Verlobung und die Feier bei den Lexingtons. Alexanders Abschiedskuss konnte Lara ebenfalls nicht verhindern und auch nicht, dass Tristan es mitbekam und sie seither damit aufzog.
Dennoch verbrachte sie ihre Zeit am liebsten mit ihm. Auch heute Morgen streifte Lara sich schnell ihre Reithosen über und tänzelte kurz drauf in ihren Stiefeln durch die Halle, um schnellstens zu Tristan auf die Felder zu kommen. Leider erwischte ihre Mutter sie auf dem Weg zum Stall.
»Lara!«, rief sie streng aus dem Speisesaal und sie zuckte zusammen. »Lara, komm gefälligst her, wenn ich nach dir rufe!«, fügte Lady Henriette hinzu und Lara folgte nur ungern der Aufforderung. »Guten Morgen, Mama.« »Guten Morgen, dass ich nicht lache, es ist schon fast nach Mittag.«, antwortete Lady Henriette und zog unheilvoll ihre Stirn in Falten.
»Vielleicht solltest du dir nicht zu viel zumuten. Du bist etwas blass. Erkläre mir das, junge Dame!«, verlangte sie nach einem weiteren eingehenden Blick. »Ich schlafe etwas unruhig derzeit, Mutter. Mehr nicht.«, relativierte Lara die Situation. »Die Hochzeit?«, hakte ihre Mutter nach, aber Lara zuckte nur die Achseln.
»Ich erwarte mehr von dir. Der Bastard deines Vaters schafft es doch auch beim Frühstück zu erscheinen und meine Tochter nicht. Du solltest vielleicht abends nichts Starkes trinken oder warst du etwa wieder reiten nachts?« »Nein, Mutter!«, brummte Lara, doch ihre Mutter hörte sie gar nicht. »Und damit noch nicht genug, nun hält es mein Fräulein Tochter nicht einmal mehr für notwendig mir einen schönen Tag zu wünschen…«
Eigentlich war Lara froh darüber, dass ihre Mutter in ihrer Aufregung ganz vergaß, Laras Antwort abzuwarten, doch langsam begann ihr der Schädel zu brummen. »…und was hast du da nur wieder an? Seit Jahren versuche ich dir zu verbieten, Sachen aus Tristans Schrank zu tragen. Aber vergebens! Aus dir will einfach keine Lady werden!«, fauchte Lady Henriette auf.
Es hatte keinen Zweck zu widersprechen, also blickte Lara schuldbewusst zu Boden und hoffte inständig dem Gezeter damit bald ein Ende setzen zu können.
»Der Fehler liegt in deiner Erziehung. Immer haben wir dich frei entscheiden lassen. Viel zu oft durftest du ausreiten und deinen Vater und deinen vermaledeiten Halbbruder, diesen Bastard, begleiten.«, keifte sie weiter und griff pikiert ihre Teetasse.
»Dürfte ich vielleicht erfahren, wo du hinmöchtest, noch dazu mit nassen Haaren?!«, wollte ihre Mutter dann wissen, doch auch darauf wollte Lara ihr lieber keine Antwort geben und blieb stumm, bis ihre Mutter stöhnte. »Manchmal habe ich das Gefühl, bei dir ist Hopfen und Malz verloren! Wenn wir bei den Lexingtons sind, wirst du dich benehmen, verstanden, Lara?«, sagte sie schließlich abwartend.
»Selbstverständlich, Mutter.«, erwiderte Lara artig. »Du wirst dich anständig verhalten, dich in charmanter Konversation mit dem zurückgekehrtem Marcus üben und dich etwas mehr um Alex Russel kümmern. Immerhin bist du ihm versprochen. Am kommenden Samstag feiert ihr Verlobung. Zeige ihm, worauf er sich freuen kann. Schließlich werdet ihr eine Familie gründen! Es wird Zeit, dass ihr euch verliebt!«, ermahnte ihre Mutter sie.
Jedes Wort schnürte Lara etwas mehr die Kehle zu. Als ob diese Alpträume nicht schon verwirrend und schlimm genug waren, musste ihre Mutter sie auch bei jeder Gelegenheit an ihre Verlobung erinnern. »Wenn wir demnächst Monsieur Jaques aufsuchen, werden wir uns endlich auch um dein Brautkleid kümmern.«, fuhr Lady Henriette unbeirrt fort, als Lara alles zu viel wurde.
»Vielleicht will ich mich gar nicht in Alexander verlieben!«, murrte sie und schob trotzig ihr Kinn nach vorne. Genau diese Unterhaltung hatte Lara vermeiden wollen. Sofort verzogen sich Lady Henriettes Gesichtszüge. Aber das war jetzt auch nicht mehr zu ändern. Noch immer wurde Lara ganz schlecht, wenn sie an Alexanders feuchten Abschiedskuss dachte, da half alles Schönreden nichts.
»Und jetzt entschuldige mich bitte. Ich muss zu Tristan.«, legte Lara schnell nach und machte auf dem Absatz kehrt. »Immerzu bist du mit diesem Bastard unterwegs. Wann wirst du endlich andere, vernünftige Interessen entwickeln, Lara. Lara! Lara?!«, rief ihre Mutter ihr jammernd nach, als sie das Haus bereits mit großen Schritten verließ.
Manchmal musste Lara noch zurückdenken an die Zeit, in der Tristan damals zu ihnen gekommen war. Seine leibliche Mutter hatte ihn einfach auf Ciel Bleu zurückgelassen, in der Hoffnung, dass Laras Vater den Jungen als seinen Sohn annimmt.
Natürlich wollte Maximilian Duvall genau das tun. Allerdings hatte niemand mit Laras zorniger Mutter gerechnet.
Lady Henriettes Herz erstarrte zu Eis, als sie verstand, dass ihr Mann sie betrogen hatte und wollte das Kind sich selbst überlassen. Sie verbot sogar, Tristan weiter auf dem Grundstück wohnen zu lassen. Ihr Vater aber holte Tristan ins Haupthaus. Daraufhin reiste ihre Mutter wütend für mehrere Monate nach Virginia zu ihrer Schwester. Zwar versöhnten sich ihre Eltern. Dennoch ließ ihre Mutter all ihre Wut an Tristan aus.
Lara hingegen war immer schon glücklich gewesen ein Brüderchen zu haben. Die Zeit mit Tristan genoss sie besonders. Auch heute schloss sie schleunigst zu ihm auf, um so viel Zeit wie möglich mit ihm zu verbringen. Wer wusste schon, wie lange sie noch Gelegenheit sie dazu hatten.
Tristan war schließlich verliebt in Silvia Darson. Auch er würde sich bald verloben und dachte darüber nach, möglichst bald zu heiraten. Er plante sogar mit Silvia nach Charleston zu gehen und wollte dort einen Handelsposten für Ciel Bleu zu eröffnen, wenn Vater damit einverstanden war.
Lara hielt Silvia zwar für ein ruhiges und unscheinbares Mauerblümchen, aber sie sah auch den glücklichen Glanz in den Augen ihres Bruders und erkannte, dass er mit seiner Entscheidung zufrieden war, also war sie es auch, da sie ihn liebte und wollte, dass Tristan glücklich wurde.
Eine ganze Weile arbeiteten sie friedlich nebeneinander, ritten die Felder ab und prüften Stecklinge und Boden, doch als auch Tristan davon anfing, dass sie mehr Interesse an Alex zeigen sollte, wollte Lara davon nichts wissen. Stattdessen setzte sie ihren Bruder davon in Kenntnis, dass sie am liebsten gar nicht heiraten wollte. Viel lieber wollte sie sich ebenfalls in Charleston selbstständig machen. So wie er.
Das war in seinen Augen natürlich vollkommen lächerlich und absurd, weswegen Tristan auch laut auflachte, so laut, dass Lara errötete und unruhig im Sattel zappelte, bis er sich endlich wieder beruhigte. Im Anschluss an seinen Lachanfall empfahl er ihr nochmals eindringlich, sich endlich in Alexander zu verlieben, da sie damit definitiv besser beraten wäre, als mit ihren selbstständigen Geschäftsideen.
Daraufhin erwähnte Lara die Sache auf dem Friedhof oder ihre schrägen Alpträume erst gar nicht mehr, selbst wenn ihre Gedanken ständig zu diesen Geschehnissen glitten oder ihr schauderte, weil sie die tiefe Männerstimme und die große Gestalt einfach nicht mehr aus ihrem Kopf bekam.
Also begnügte sie sich mit stummer Wut. Wut auf sich selbst. Wut, auf den fremden Kerl, der Gelegenheit gehabt hatte, die ganze Geschichte zu beobachten. Die Wut brodelte in ihrem Bauch und wollte sie zu Aktionen zwingen, die sinnlos und unüberlegt waren, wie den großen Kerl zu suchen.
»Freust du dich auf das Fest?«, fragte Tristan. Er verfolgte die Regungen seiner Schwester. Seit ihrem Ausritt vor ein paar Nächten schien sie verändert. Sie war ungewohnt blass und unkonzentriert. »Fest?«, entgegnete sie abwesend. »Bei den Lexingtons. Immerhin ist Marcus wieder hier.«, half er ihrem Gedächtnis aus.
»Alle tun so, als ob er eine großartige Leistung vollbracht hat. Er war nur in Europa und jetzt kommt er wieder.«, kommentierte seine Schwester gleichgültig, doch ihre Hände zitterten unruhig. Sie war nicht bei der Sache. Deutlich sah er, dass sie mit sich kämpfte und fragte sich, was vorgefallen sein könnte. Was Alex, dieser schwanzgesteuerte Idiot, mit ihr gemacht haben könnte.
Lara darauf anzusprechen machte keinen Sinn, denn immer, wenn er versuchte etwas in der Richtung anzudeuten, machte sie zu und wechselte das Thema. Er hätte Alex gleich fragen sollen was vorgefallen war, als er vor ein paar Tagen unangemeldet aufgetaucht ist, um Lara zu sehen.
Leider konnte er sich nicht an die Worte erinnern, die Lara Alex entgegenschrie. Wäre er nur etwas früher zu den beiden Streithälsen gestoßen, wüsste er den Grund für Laras Benehmen jetzt sicher ganz genau. Sein Blick glitt in die Ferne.
Vermutlich war es ohnehin nur weibisches Getue oder stand im Zusammenhang mit Laras anstehender Vermählung, gegen die seine Schwester derzeit revoltierte. Schließich wäre sie nicht zum ersten Mal trotzig, weil sie ihren Willen nicht erzwingen kann.
»Was hältst du davon, nach Hause zu reiten?«, fragte er und Lara nickte achselzuckend. »Wer zuerst da ist?«, fragte er grinsend und gab seinem Hengst bereits die Sporen. Trotz ihrer düsteren Gedanken ließ sich seine Schwester ein Wettrennen nicht nehmen. Sekunden später war ihr schwarzer Hengst neben ihm und dann auch schon vor ihm.
So kannte er seine Schwester. Lara würde sich schon noch an den Gedanken gewöhnen zu heiraten und dann würde sie erkennen, dass Alex gar keine so schlechte Partie war und dann wären die Geschwister Duvall wieder glücklich und zufrieden. So war es schließlich immer.
Laut stöhne Lara auf als sie den Säbel ihres Angreifers kreuzte. Das scharfe Metall schlug Funken. Sie wehrte mit all ihrer Kraft einen Hieb ab und ging zum Angriff über und drängte ihren Gegner, eine große Gestalt, zurück. Trieb ihn einem Licht entgegen, dass sie weiter hinten erkannte.
Nach einem kurzen Gerangel hatte sie ihn da, wo sie ihn haben wollte. Lara drückte ihm den Säbel in das weiche Fleisch am Hals und zwang ihn sein Gesicht ins Licht zu drehen. Erschrocken keuchte sie auf, als sie den dunkelhaarigen Kerl erkannte. Grimmig lächelte der sie an.
»Damit hast du wohl nicht gerechnet, mein Herz?«, sagte er, packte sie grob an den Schultern und stieß sie zurück. Ihr Säbel war verschwunden. Lara fiel, doch sie kam nicht auf dem Boden auf. Bestürzt erkannte sie, dass sie plötzlich unter dem unheimlichen Kerl in einem großen Bett lag. Er hatte sie an den Handgelenken gepackt und musterte sie mit eindringlicher Neugier.
Sie musste etwas tun. Ihre Nackenhaare richteten sich auf und ansteigender Druck erfüllte sie. Lara spannte sich an und fühlte, wie Kraft aus sie erfüllte, aus ihr herausdrängte, als sie bemerkte, dass der Kerl sie nicht länger festhielt. Blitzschnell drehte sie sich nach ihm um und runzelte überrascht die Stirn.
»Marcus!? Marcus Lexington«, sagte Lara erstaunt, als sie ihren ehemaligen Klassenkameraden auf einer Lichtung erkannte. Die Zeit stand still. »Lara, du riechst so gut!«, murmelte er zusammenhanglos. Was sollte das? Wo war der unheimliche Kerl hin verschwunden?
Plötzlich hörte sie wieder die Stimme der seltsam gekleideten Frau. »Er will dich holen! Du musst es verhindern! Es ist deine Aufgabe.« Lara schüttelte den Kopf »Was? Was sagst du?«