Unheiliges Blut - Von Vampiren entführt - Alexandra de Leeuw - E-Book

Unheiliges Blut - Von Vampiren entführt E-Book

Alexandra de Leeuw

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Beschreibung

Du musst dir sicher sein. Er wird dich nie wieder gehen lassen... Scheinbar grundlos werden Phils Eltern ermordet und sie selbst von Vampiren ent- führt. Sie weiß nicht, warum sie hier ist. Sie weiß nicht, warum sie noch immer lebt. Sie weiß nicht, warum der Boss persönlich sie aus ihrem Kerker holen lässt. Wird sie endlich Antworten erhalten? Lest den ersten Teil der spannenden Vampir - Trilogie und taucht ein in eine seelenlose Welt voller Dunkelheit.

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Seitenzahl: 534

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Philomena

Rope

Philomena

Rope

Philomena

Rope

Philomena

Rope

Philomena

Rope

Philomena

Rope

Philomena

Rope

Philomena

Rope

Philomena

Rope

Philomena

Rope

Philomena

Rope

Philomena

Rope

Philomena

Rope

Philomena

Rope

Philomena

Rope

Philomena

Rope

Philomena

Rope

Philomena

In diesem Buch

Prolog

Sie kamen an unsere Haustür als Vertreter für Wasserentkalker. Vater bat sie herein. Dann brach die Hölle los. »Nicht! Lassen sie meine Frau in Ruhe!«, höre ich seine vertraute Stimme rufen.

Ich mache mich klein.

Verstecke mich im Wandschrank.

Vor mir die eingelegten Tomaten. Neben mir die frisch gebügelte Bettwäsche. Sie duftet frisch nach Lavendel, ich rieche es nicht. Mein Herz schlägt unglaublich schnell.

»Wo ist es, Schlampe, wo ist das Amulett!«

Ich zittere.

Meine Mutter schreit gequält auf.

Ich höre die Männer lachen, höre wie sie meine Mutter schlagen. Höre, wie sie Schränke aufreißen und Schubladen samt Inhalt auf dem Boden landen. »Nein! Bitte nicht! Lassen sie uns in Ruhe!«, verlangt mein Vater gequält und ängstlich. Dann schreit er - unmenschlich.

Irgendetwas rumpelt.

Meine Mutter schluchzt. »Nicht! Warum tun sie das!«, ruft sie verzweifelt.

Ich versuche meinen Atem zu beruhigen.

Lausche.

Lausche den schrecklichen Geräuschen unten im Haus, die sich für immer in meine Seele brennen.

»Halts Maul, nutzloser Mensch!«

Als nächstes höre ich ein Knurren, den hohen, langgezogenen Schrei meiner Mutter, schmatzende Geräusche. Es knackt kurz und dann ist es still. So still, dass mein lauter Herzschlag den Wunsch in mir weckt mir die Ohren zuzuhalten.

Glas splittert, Holz bricht und Sachen fliegen durch die Gegend. Ich zucke zusammen, als etwas die Tür zu meinem Versteck trifft und presse mir die Hände vor den Mund. Ich habe Angst, ich will, dass es aufhört, dass sie endlich verschwinden. Ich will hier raus. Will mich versichern, dass es meinen Eltern gut geht.

Mein Blick fällt auf die Tomaten und ich beginne sie zu zählen. Draußen wird es still. Angestrengt lausche ich.

Nichts.

Erdrückende Stille.

Beängstigende Ruhe.

Gerade, als ich Mut fasse, als ich aufstehen will, um nachzusehen, was geschehen ist, wird die Tür zum Wandschrank aufgerissen. Seine schwarzen Augen werde ich niemals wieder vergessen.

Hysterisch schreie ich auf.

Philomena

»Na, du hässliches Ding? Schaffst du es immer noch nicht, was Vernünftiges zu essen?«

Ich kenne sie. Ihre Gesichter, die sich nie verändern. Ihre beängstigende, kalte Schönheit. Ihre Namen und ihren seelenlosen Charakter.

Abfällig schnaubend betreten sie zu viert den Speisesaal, in dem ich allein mit meinem Folterknecht sitze, um zu essen, und reißen ihre dämlichen Witze.

Eigentlich sehe ich die anderen selten. Nur zu besonderen Anlässen. Wenn mein Peiniger schlechte Laune bekommt oder der Meinung ist, mir eine seiner Lektionen erteilen zu müssen, weil ich mich danebenbenommen habe. Die andere Zeit über vermeidet er es weitgehendst, dass ich mit den anderen in Kontakt komme.

Jason Allingson ist so was wie mein fucking Babysitter seitdem man mich in seine Obhut gegeben hat, meine persönliche Mary Poppins des Grauens. Er hasst es und das lässt er mich mal mehr, mal weniger spüren.

Auch ihn widert mein Essen an. Auch er ernährt sich wie die anderen von Blut. Von menschlichem Blut. »Marco, halt die Klappe und verzieht euch wieder.«, antwortet er dem Blutsauger, der mich angesprochen hat, gelangweilt.

»Können wir nicht. Soll dir sagen, dass der Boss im Haus ist.«, erklärt er und stochert schon im nächsten Augenblick mit seinen kalten Drecksfingern in meinem Eintopf herum.

Der Boss ist Rope Langley, der Obervampir mit den eisblauen Augen, der nur selten hier ist, doch wenn er es ist, werden alle ganz nervös.

Ich nicht. Ich kenne ihn nicht. Ich interessiere ihn nicht. Er ist ein gnadenloses, unbarmherziges Arschloch. Er hat mich an Jay, den Vampir mit den schwarzen Augen, verschenkt, hat meine Eltern ermordet und mich hierher verschleppt.

Ich zucke zurück und blicke Marco Marietti böse an, als er seinen Finger in seinen Mund schiebt und dann angewidert seine Fresse verzieht. »Maaann! Wie kann man diesen Fraß nur essen!« Wütend knalle ich den Löffel auf den Tisch und schiebe den Teller ein Stück von mir weg, mir ist der Appetit vergangen.

»Danke, Mister Allingson, ich bin fertig, Sir.«, presse ich hervor und ignoriere meinen knurrenden Magen. Er verdreht die Augen und mustert mich streng. »Bist du nicht, iss!« Ich blicke ihn an. »Nein, Sir!«, erwidere ich stur. Die Anderen lachen, nur mein Peiniger lacht nicht. Seine Augen werden schwarz wie die Nacht.

»Iss, verdammte Scheiße nochmal!«, faucht er aggressiv. Mit einem Ruck schiebt er den Teller wieder näher an mich heran und der Eintopf schwappt über den Rand. Trotzig strecke ich mein Kreuz durch. »Nein! Ich. Werde. Nicht. Essen!«, betone ich jedes Wort.

»Teufel, Jay! Das lässt du dir gefallen?«, fragt ein weiblicher Vampir, der mit den anderen hereinkam. Elvira Mansfield ist ihr Name. Elvira! Klingt wie eine Figur aus der Adams Family und so sieht sie auch aus mit ihren dürren, endlosen Spinnenbeinen und ihrem zerfledderten schwarzen Haar.

»Vielleicht will sie ja gefüttert werden?«, fragt Marietti. Schnell fasst er nach meinen Armen und fixiert sie hinter der Lehne, während Elvira sich den Löffel schnappt, ihn mit Essen füllt und mir vor den Mund hält. Ich presse meine Lippen fest zusammen und schaue sie feindselig an.

Mein Folterknecht verdreht die Augen. »Du solltest tun, was sie von dir verlangen, Mistkröte.«, säuselt er. Er hilft mir nicht, das hat er nie. Er beschützt mich nicht. Er ist genauso wie die anderen hier. Wie alle Vampire! Kalt und herzlos und ich bin auf mich alleingestellt, so wie immer.

Zögerlich öffne ich meine Lippen und mit einem entzückten Kichern schiebt mir Elvira den Löffel in den Mund.

»Na? Kleines Menschlein, war doch gar nicht so schlimm, oder?«, kichert sie zufrieden, füllt den Löffel wieder auf und schaut mich erwartungsfroh an, als ich ihr den Eintopf ins Gesicht spucke. »Ich – habe – NEIN – gesagt!«, rufe ich ätzend, dann geht alles sehr schnell.

Elvira quiekt empört auf, Marco in meinem Nacken knurrt und lässt meine Arme los und Jason, der mich am Genick packt und mein Gesicht ungerührt in den Teller rammt. »Was ist das für ein Benehmen, Mistkröte!«, zischt er dabei.

Eintopf schießt mir in Mund und Nase, kommt in meine Luftröhre. »Ja! Zeig’s ihr Jay! Zeig ihr, dass man so nicht mit uns umgeht!«, höre ich die anderen euphorisch rufen. Hustend setze ich mich auf und grinse meinen Peiniger an. »Genau, Jay. Zeig’s mir!«, provoziere ich ihn weiter, weil ich nicht anders kann, weil ich tief in mir hoffe, dass er heute endlich die Kontrolle verliert und mich umbringt, ich endlich - frei bin.

Das war nicht immer so. Anfangs habe ich mich gewehrt, versuchte zu entkommen. Sinnlos. So als würde man wieder und wieder mit dem Kopf durch eine Wand rennen wollen, also habe ich irgendwann aufgegeben und verstanden, dass nur ein Weg hier rausführt.

Er packt mich am Kragen und zieht mich auf die Beine. Ich lasse es geschehen. Balle meine Hand zur Faust und schleudere sie ihm in seine untote Visage. Aus seiner Nase schießt Blut und spritzt auf mein Shirt. »Scheiße Jay! Gib’s ihr!«, verlangt Marietti nachdrücklich. Das muss er ihm nicht zweimal sagen und mein Peiniger holt aus.

»Steh auf!« Jason tritt mich in die Seite. Ich liege am Boden des Speisesaals, bestehe nur noch aus Schmerz, blute und weiß genau, wie gefährlich das ist. Um mich herum stehen die Vampire und feuern meinen Peiniger ungerührt weiter an.

»Hörst du nicht, Scheißmensch! Steh auf!« Er spuckt blutig neben mir aus, bevor er seinen Kampfstiefel erneut in meine Seite jagt. Ich krümme mich zusammen, mache mich klein und versuche bei Bewusstsein zu bleiben.

»Töte mich.«, wimmere ich matt. Ein Raunen geht durch die Vampire und es wird still um uns. Ich fühle, wie er mich am Kragen packt. Wehrlos fallen meine Arme zur Seite und mein Kopf in den Nacken. Ich bin bereit, bereit zu sterben.

»Ich verachte dich, Phil! Deine Schwäche! Deine Menschlichkeit!«, zischt er bösartig. Angewidert starrt Jason mich an und lässt mich achtlos auf den Boden fallen.

»Jay! Genug jetzt! Bring sie auf ihr Zimmer.«, donnert eine tiefe Stimme durch den Saal.

Es ist das erste Mal, dass Rope Langley etwas wie Interesse an mir zeigt, ich ihn überhaupt etwas sagen höre. Bis heute war mir nicht klar, dass er mich überhaupt wahrnimmt.

Leise stoße ich die Luft aus und übergebe mich dem Schmerz und der Dunkelheit.

######

Mein Körper schmerzt nicht mehr, als ich aufwache. Mein Folterknecht hat mir sein Blut gegeben und mein Körper hat sich geheilt. So läuft das immer. Immer, wenn sie es mit ihren Spielen wieder übertrieben haben und ich mich damit abfinde, endlich zu sterben.

Ich weiß nicht, wann mich mein Peiniger zurück in mein Zimmer gebracht hat. Mein Zeitgefühl habe ich schon vor Jahren verloren. So ist das, wenn man in einem Vampirnest lebt. Sie haben dafür gesorgt, dass ich mich ihrem Rhythmus anpasse.

Deswegen und weil ich im Keller in einem kleinen Raum ohne Fenster eingesperrt bin wie ein Tier, weiß ich nie, wann es Tag oder wann es Nacht ist. So geht das jetzt seit ungefähr sieben Jahren. Anfangs dachte ich, dass es mich wahnsinnig machen würde, bis ich mich damit abgefunden habe, dass das jetzt mein Leben ist.

Hier sitze ich in dem hässlichen hellen Licht, das von einer nackten Glühbirne in der Mitte der Zimmerdecke strahlt. Auf dem alten harten Feldbett, das bei der kleinsten Bewegung empört quietscht und starre an die kahlen dreckigen Wände mir gegenüber. So wie immer, wenn ich darauf warte, dass Jay kommt, um mich zu holen, sei es zum Essen oder zum Bewegen.

Jason Allingson, mein Folterknecht, unterrichtet mich unter anderem im Nahkampf. Warum weiß ich nicht genau, denn es ist nicht so, dass ich eine Chance gegen ihn oder einen der anderen Vampire hätte. Doch er sagt, dass es wichtig sei. Ich mag die Trainingsstunden mit ihm, auch wenn ich ihm das niemals sagen würde. Es ist neben dem Essen die einzige Beschäftigung, die ich habe.

Neben dem Bett gibt es in den knappen acht Quadratmetern, die sie mir zur Verfügung stellen, noch ein kleines Waschbecken mit einem winzigen Spiegel darüber, eine Duschkabine, einen Schrank in dem die wenige Kleidung liegt, die man mir gegeben hat, einen knarzenden, unbequemen Holzstuhl und ein kleines Brett mit Büchern. Ich kenne sie alle auswendig.

Wenn ich mich in ihren und vor allen in Jasons Augen gut benehme, dann belohnt er mich mit einem neuen Buch oder gutem Essen. Benehme ich mich nicht, werde ich bestraft. So ist es eben.

Die einzige Erinnerung, die mir an meine Kindheit geblieben ist, ist das Amulett meiner Mutter, das ich an einem schlichten Lederband um meinen Hals trage, seitdem er es mir gegeben hat. Das und ihren durchdringenden Schrei, bevor die Vampire ihr das Genick gebrochen haben, werde ich nie in meinem Leben vergessen.

Ich höre keine Schritte auf dem Gang vor meiner Tür, doch ich fühle, dass jemand auf dem Weg zu mir ist, noch bevor der Schlüssel in das schwere Schloss gesteckt wird und der Riegel mit einem lauten Knacken nachgibt, um mein Gefängnis zu öffnen.

»Komm mit, er will dich sehen!«, befiehlt Jason. Ich zucke nicht mit der Wimper. »Alter! Bist du taub? Steh auf!« Meine Lippen verziehen sich zu einem breiten Grinsen. »Fick dich, Jay!« Er packt mich und drückt mich schon im nächsten Moment gegen die kahle Wand, eine Hand in meinem Nacken, die andere an meiner Hüfte und presst seinen kalten, untoten Körper an mich.

Mein Herzschlag trommelt gegen meinen Kehlkopf. »Sieben Jahre und noch immer hast du keinen Respekt vor mir, kleines Miststück. Was soll ich nur mit dir anstellen?!« »Wie wäre es, wenn du mich endlich einfach laufen lässt oder besser noch – umbringst! Dann hab‘ ich endlich meine Ruhe vor dir, du Scheißparasit!«, zische ich.

Ich weiß, dass ich ihn weder mit meinen Worten noch mit meinen Fäusten verletzen kann. Er hat keine Seele, er kann nicht sterben. Ich höre sein leises Lachen dicht an meinem Ohr, bevor er von mir ablässt, grob meinen Oberarm packt und mich einfach mit sich zerrt.

######

Jay bringt mich nach oben in den ersten Stock, in einen Bereich des Hauses, in dem ich noch nie war, in dem ich nicht sein darf.

Es gibt für mich strenge Regeln. Wo ich mich aufhalten darf und mit wem. Eigentlich darf ich nur in meinem Zimmer sein, im Speisesaal und im Trainingssaal und auch immer nur mit meinem Wärter und Folterknecht Jason Allingson, der mich überall hinbegleitet, sogar aufs Scheißhaus. Naja, zumindest war es am Anfang so, aber er bleibt immer in meiner Nähe.

Seine strähnigen, dunkelbraunen Haare, die ihm immer etwas verwegen vom Kopf abstehen sind das Erste, was ich jeden Tag sehe und auch das letzte bevor ich schlafen gehe. Er ist sicher das, was man als gutaussehend bezeichnen würde. So sehen sie alle aus - verstörend hübsch.

Aber darüber mache ich mir echt keinen Kopf, weil er schließlich nur ein Drecksvampir ist. Er ist einen Kopf größer als ich und – ein durchtrainiertes, sehniges Kraftpaket.

Der weiche, dunkelblaue Teppich unter meinen Füßen schluckt jegliches Geräusch. Die Einrichtung hier, wie auch im Rest des Hauses, ist klassisch modern und teuer. Hübsch und sauber. »Nicht trödeln, komm weiter.«, knarzt Jay und zieht mich unbarmherzig vorwärts, so dass mir kaum Gelegenheit bleibt mich umzusehen.

Auch wenn ich seit sieben Jahren jede Gelegenheit nutze, um einen Ausgang zu finden, einen Fluchtweg, doch er bleibt mir verborgen.

Nichts hier würde auf die Bewohner dieses Hauses hindeuten, auf ihre widerlichen Eigenschaften und Gewohnheiten. Es wirkt alles völlig normal. Er öffnet eine Tür und zieht mich mit sich in ein Arbeitszimmer.

Es ist groß. Dunkle Vorhänge verdecken hohe Fenster, mehrere Lichtquellen fallen auf antike Nussholzmöbel mit Intarsien. Er zieht mich weiter zu einem großen Schreibtisch. »Bleib hier sitzen und rühr dich nicht. Er wird gleich hier sein.«, brummt er.

Grob drückt er mich auf einen der zwei weichen Sessel, die vor dem Schreibtisch stehen. Das samtige Polster gibt nach und schmeichelt meinem Po, der so viel Luxus gar nicht kennt. »Wer?«, frage ich und kann es mir eigentlich schon denken.

»Der Boss, also benimm dich besser.«, schnappt er. Grob fasst er mein Kinn und zwingt mich ihm in die Augen zu sehen. In genau die schwarzen Augen, die ich damals gesehen habe, als sie mich im Wandschrank anstarrten, die mich seit sieben Jahren auf die gleiche, gelangweilte Art ansehen, die mich nachts in meinen Träumen verfolgen und mich schweißgebadet aufwachen lassen.

Ich hasse ihn so sehr.

Ich hasse das alles hier.

»Vielleicht leckst du mich auch einfach am Arsch, Jay!«, nuschle ich. Er kann es nicht leiden, wenn ich ihn so nenne. Die Augen meines Folterknechts blitzten auf.

Ich habe sie respektvoll anzusprechen, mit Sir oder ihren Familiennamen.

Es ist mir scheißegal.

Er lehnt sich nach vorne und bringt sein Gesicht ganz dicht vor meines. »Vielleicht will ich das ja, Phil.«, raunt er und ich kann es nicht leiden, wenn er mich so nennt. »Es heißt Phiiii – looo – meee – naaa!«, betone ich jede Silbe, als würde ich zu einem geistig Debilen sprechen.

»Halt die Schnauze, kleine Blutkonserve, sonst wird es ungemütlich für dich. Hast du schon vergessen, was vorhin beim Essen passiert ist?«, schnaubt er abfällig. Um seine Aussage zu unterstreichen wird der Griff um mein Kinn unerträglich hart.

Als Kind habe ich mir immer eingeredet, dass er mir nichts tun dürfte, dass er mich nicht anfassen dürfte oder mich nicht verletzen darf. Aber so ist es nicht. Jason Allingson darf alles mit mir tun, was ihm gefällt – alles!

Ok, mein Blut darf er nicht trinken, keiner hier, aber das war es auch schon, schätze ich. Rope Langley, der Boss, hat mich ihm anvertraut, damals vor sieben Jahren, nachdem er mich aus dem Wandschrank gezerrt hat.

Noch heute fühle ich seine kalten Finger, die sich um meinen Nacken legten und mich achtlos wie eine Puppe in der Luft hielten. Seine schwarzen Augen, die mich angewidert musterten.

Damals habe ich panisch geschrien, geweint und mit den Beinen nach ihm getreten, doch er hat nur gelacht und mich mit einem gezielten Schlag schlafen geschickt, so einfach hat er es heute nicht mehr mit mir – nicht ganz - zumindest rede ich mir das ein.

»Und wenn ich nicht höre?«, erwidere ich trotzig. Er versetzt mir eine schallende Ohrfeige. »Wenn nicht, kleine Blutkonserve, werde ich mich später mit dir amüsieren. Also benimm dich.« Wenn Jason Allingson von amüsieren spricht, bedeutet das für mich Schmerz und Qual.

Meine Nackenhaare richten sich auf, doch ich weiche seinem Blick nicht aus. »Benimm dich.«, wiederholt er, lässt mich los und geht. Lässt mich einfach hier zurück in dem großen, feudalen Arbeitszimmer mit den bequemen Sesseln.

Rope

»Wo?«

»Im Alkazira.«

»Wann?«

»Gestern Nacht.«

»Wie viele?«

»Lässt sich schwer sagen, Master Rope. Ungefähr 23 Menschen und vier von unseren Leuten.«

»Fuck.«, fluche ich und reibe mir über die Nasenwurzel. »Declan?« »Wir gehen davon aus.«

Ich sehe wie die Tür aufgeht und Jay, der mir zunickt, bedanke mich bei Marco Marietti und folge Jay zurück zu meinem Arbeitszimmer. »Was war vorhin los?« »Was meinst du, Rope?« »Im Speisesaal. Du hast sie halb totgeprügelt.« »Sie war frech.«, antwortet er knapp.

»So?« Verwundert hebe ich meine Augenbraue und mustere ihn von der Seite. Er lässt sich nicht gerne etwas sagen, schon gar nicht, wenn es um Philomena geht. Immerhin steht sie unter seiner Obhut. Aber sie ist nun mal etwas Besonderes und das darf er nicht vergessen.

»Ja. Sie wollte nicht essen.«, erklärt er mir und meine Mundwinkel zucken amüsiert nach oben. Wir kennen uns echt schon lange, gute 200 Jahre.

»Jay, wenn Marco in meinem Essen herumfingern würde, würde auch mir der Appetit vergehen.«, erkläre ich. Ertappt weiten sich die Augen meines Freundes. Ja, Junge, ich habe die Show gesehen, von Anfang an.

Meine Mundwinkel ziehen sich in die Breite, während ich auf seine Antwort warte. »Es ist doch nur, weil… sie kann sich einfach nicht unterordnen!«, zischt Jay aufgebracht. »Sie hat kein Benehmen, ist wie ein verfluchter Dragoner – unkontrollierbar, Maaann.«

»Deine Erziehung, Jay.«, zucke ich locker die Achseln und mein Freund brummt missbilligend irgendwas von nicht und fucking und Vater. »Warum sollte sie sich dir unterordnen, Jay?« »Weil sie ein verdammter Mensch ist!« »Na und? Dann solltest du vielleicht lernen das endlich zu respektieren.« Er mustert mich zweifelnd.

»Vielleicht willst du nach all der Zeit mal deine Taktik ändern? Denn offensichtlich kommst du so nicht weiter bei ihr.«, nicke ich. Er schweigt und geht mit gesenktem Kopf neben mir her. »Wie geht es ihr jetzt?«, erkundige ich mich und mein Freund zuckt die Achseln. »Hab ihr mein Blut gegeben, also so wie immer, sie hasst uns, sie hasst das alles hier, Rope.«

Was nur zu logisch ist, wenn man bedenkt, wie sie hier die letzten Jahre behandelt wurde. Aber Jay mit dieser Aufgabe zu betrauen war damals die beste Lösung. Die Einzige.

Keiner der anderen hätte sie solange am Leben gelassen und diese Geduld bewiesen. Keinem der anderen traue ich so, wie ihm. Meinem General, meinem besten Freund. Jay ist in allem was er tut ausdauernd, stur und konsequent. »Gut.« »Na ich weiß nicht, ob das so gut ist. Sie wird immer kräftiger.«, murmelt er.

Ich weiß, dass es ihm nicht gefällt, dass er für die kleine Philomena den Aufpasser spielen muss. Auch er hat Probleme sich unterzuordnen, auch er revoltiert sich durch sein Dasein. Er sieht die Parallelen nicht, er will sie nicht sehen, weil sie für ihn nur ein lästiger Mensch ist, den er ausbilden soll. Ich hingegen sehe sie, denn ich habe schon viel gesehen.

Ich bleibe vor der Tür meines Arbeitszimmers stehen und mustere meinen Freund belustigt. »Hast du Schiss vor ihr?«, reize ich ihn. »Was? Spinnst du? Warum sollte ich Schiss haben?« »Warum erwähnst du es dann?« Er schnaubt gereizt.

Das gefällt mir, ich habe ihn wohl zum Nachdenken animiert. »Ich dachte, du willst über alles informiert sein.«, brummt er und sieht mich bockig an. »Ich habe Augen im Kopf, Jay. Ich sehe selbst, was für Fortschritte sie gemacht hat, aber auch, dass sie noch immer keine Chance gegen dich hat.«, halte ich fest.

»Sie ist ein Mensch, Rope!« »Sie hat Ausdauer und Charisma, Jay. Du weißt was in ihr steckt. Wir müssen es nur aus ihr herauskitzeln.« »Dann sollten wir sie mehr unter Druck setzen.« Trocken lache ich auf. »Nein. Keinesfalls.«

»Warum nicht? Sie hasst uns doch ohnehin schon.« »Weil ich denke, dass es auch anders gehen wird.« »Bei allem Respekt, Rope, ich glaube nicht, dass uns die Zeit dazu bleiben wird.«, sagt er überzeugt.

Überrascht halte ich inne. »Wie kommst du drauf?« »Lysander Declan. Er ist in der Stadt. Und deswegen bist auch du hier und willst sie plötzlich persönlich sehen. Ich bin nicht dumm. Was denkst du, wie lange er brauchen wird um herauszufinden, wen du da seit sieben Jahren in deinem Keller versteckst?«

Jay hat recht. Es ist langsam an der Zeit, an der Zeit Ernst zu machen. Zu sehen, ob ich richtig liege und sich die Prophezeiung erfüllt. »Und wie soll er es erfahren, Jay? Nur du und ich wissen davon.« Verunsichert schaut er den Gang entlang.

»Die Leute reden viel, das weißt du oder traust du ihnen allen?« »Nein. Aber das ist unwichtig, denn ich traue dir und ich vertraue darauf, dass du jeden in ein Häufchen Staub verwandelst, der nicht nach meinen Regeln spielen möchte. Nicht umsonst hast du die Aufgabe sie anzuleiten und auf sie aufzupassen.«, damit öffne ich die Tür zu meinem Büro und lasse ihn stehen.

Sieben Jahre sind für einen Menschen eine lange Zeit. Für mich, der diesen Sommer 653 Jahre auf dieser Welt ist, waren sie nicht mehr als ein Augenblick. Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen habe und das Zimmer durchquere, werfe ich automatisch einen Blick in den Spiegel und sehe das Gesicht, dass mich immer anblickt. Ein junger Mann von 23 mit schwarzem Haar und eisblauen Augen, mit Augen, die vieles gesehen haben. Ein Mann, der ein seelenloses Monster in seinem Inneren birgt.

Ich richte meinen Blick nach vorne auf den dunkelbraunen Schopf von Philomena. Ihr Körper ist angespannt, ihr Kreuz aufrecht, ihr Blick herausfordernd stur nach unten auf den Boden gerichtet. Sieben Jahre und Jay hat es nicht geschafft, dieses Mädchen zu brechen, selbst wenn sie jetzt respektvoll ihren Kopf senkt, ist ihr Aufruhr in ihrer ganzen Statur erkennbar.

Vier Mal im Jahr komme ich hierher, um zu sehen, wie es ihr geht und ob sie sich gut entwickelt. In der ganzen Zeit habe ich nie ein einziges Wort mit ihr gewechselt.

Mit dem pummeligen Mädchen, das zu einer jungen Frau gereift ist und deren graue Augen mich jedes Mal, wenn sie mich entdeckten, unendlich feindselig mustern.

Nur heute nicht – noch nicht.

Philomena

Schon vor langem habe ich aufgehört zu zählen.

Ich weiß nicht mehr wie oft ich mir vorgestellt habe, Rope Langley gegenüberzustehen, was ich zu ihm sagen werde, wie ich ihn vernichten werde. Hab mir sogar ein paar Mal überlegt einfach zu ihm rüber zu gehen, wenn er wie immer aus dem Nichts hier auftauchte, um ihn anzubrüllen, um auf ihn einzuschlagen.

Selbst wenn ich keine Chance gegen ihn hätte, ich würde es zumindest versuchen. Aber seine Wachhunde und mein Folterknecht allen voran, hätten sicher verhindert, dass ich überhaupt an ihn drankam, an diesen untoten Arsch.

Ich kenne ihn nicht, aber für mich ist er an allem schuld.

Die Wurzel allen Übels.

Er ist der Grund, warum ich hier festsitze und gequält werde. Dass Wichser wie Jay und die anderen Vampire hier ihre erniedrigenden Spiele mit mir treiben können. Alle paar Monate taucht der große Boss auf, zeigt sich seinem Volk, zeigt sich mir, aber spricht mich nie an.

Ich hasse ihn aus tiefstem Herzen und das zeige ich ihm auch. Sicher ist es ihm gleichgültig, so wie allen anderen Drecksblutsaugern. Seine blauen Augen sind hart und unnachgiebig und beobachten mich immer, wenn sie mich sehen, eiskalt und irgendwie wissend.

Was will er jetzt plötzlich von mir? Die Anderen haben immer erzählt, dass er mich zu seinem Puella sanguinis, seinem Blutmädchen, machen will. Zu seiner persönlichen Blutkonserve, wie Jay, der Drecksack, es nennt. Ich würde dann ihm gehören und müsste ihm gefügig sein. Was auch immer das heißen soll.

Sicher nicht.

Eher würde ich sterben.

Ich weiß irgendwie, dass er allein ist, als er das Büro betritt und die Tür hinter ihm ins Schloss fällt. Ich kann fühlen, wie er durch das geräumige Zimmer auf mich zugeht, wie er mich mustert, selbst wenn ich es nicht höre. Ich zucke nicht mit der Wimper, richte mich auf und blicke stur auf den Boden, als er in mein Blickfeld tritt.

Er ist groß, das weiß ich. Sogar größer als mein Peiniger, der mich schon um etwas mehr als einen Kopf überragt und hat breite Schultern. Lässig und arrogant hat er seine Hände in seinen Hosentaschen, geht um den Schreibtisch und sieht mich an.

Sein Blick brennt auf meinem Scheitel. Angestrengt kralle ich meine Finger ineinander und lausche meinem Herzschlag, der schneller wird in dem Wissen, dass der Arsch es mitbekommt.

»Sieh‘ mich an, Philomena.«

Ich zucke zusammen beim Klang seiner Stimme und ärgere mich darüber. Sie ist tief, weich und warm, nicht harsch und kalt, so wie ich es mir vorgestellt habe und das überrascht mich. Langsam hebe ich meinen Kopf, bis ich diese blauen, kalten Augen finde und schlucke. Sie mustern mich wie ein Wolf seine Beute. »Du musst deinen Blick nicht senken, solange ich es nicht ausdrücklich von dir verlange, ok?«

Fuck was? Die Haut an meiner Stirn runzelt sich. Meine Wut verpufft und ich kann nichts dagegen tun. »Ok.«, hauche ich verunsichert– wie ich feststelle. »Möchtest du etwas zu trinken? Cola? Wein? Da vorne auf dem Tisch, nimm, was du möchtest.«

Was soll das hier?

Was soll diese Höflichkeit?

Mein Peiniger oder die anderen sind nie nett zu mir. Nie! »N-Nein.«, antworte ich vorsichtig. »Nein?«, fragt er sofort und er mustert mich überrascht. »Nein danke, Sir.«, murmle ich verschreckt und wie von selbst senkt sich mein Blick wieder.

Mein Folterknecht wäre stolz auf mich, denke ich ironisch, als mir im nächsten Moment ein Glas Cola unter die Nase gehalten wird. Die Kohlensäure kitzelt an meiner Nase. Er bringt mir eine Cola? Echt jetzt?

»Hier. Du kannst mir nicht erzählen, dass du nicht durstig bist. Trink.«, fordert er mich auf. Ungläubig starre ich ihn an und greife nach dem Glas.

Ja, ich habe Durst, wie immer, wenn sie mir ihr Blut gegeben haben, um mich zu heilen, nicht immer habe ich von Jay etwas zu trinken danach bekommen und wenn überhaupt war es meistens Wasser. Ich trinke aus und stelle das Glas auf den Schreibtisch.

»Danke, Sir.«, sage ich und versuche seinem Blick auszuweichen. »Gerne.«, antwortet er mir und verschränkt die Arme vor der Brust. Nervös schaue ich weg, sehe mich in dem Zimmer um, nur um ihn nicht ansehen zu müssen und verstehe nicht, wo mein Hass auf diesen bleichen Arsch hin verschwunden ist. Das kann ja nicht nur an einem Glas Cola liegen?

Ok, er ist der erste hier in den letzten Jahren, der mich wie ein Mensch behandelt und nicht wie ein ungeliebtes Tier und das verunsichert mich gerade ungemein. »Was sie heute mit dir gemacht haben, war nicht nett, stimmts?«, fragt er.

Scheiße, er weiß natürlich davon. »Ja, Sir.«, antworte ich, aber zucke mit den Achseln, um zu zeigen, wie gleichgültig mir das ist. Ist ja nicht so, dass ich zum ersten Mal Prügel bezogen habe. Ihm ist das doch ohnehin völlig egal. Unruhig rutsche ich auf dem Sessel hin und her und er lacht leise. Die Situation überfordert mich.

Mein Hirn setzt aus und ich mustere ihn giftig. »Was soll daran lustig sein, Sir?«, zische ich. »Dass du versuchst mir zu zeigen, wie gleichgültig dir das ist, zum Beispiel.« Sein Blick wird ernst. »Aber das ist es dir nicht, Philomena. Du verachtest sie für das, was sie mit dir anstellen. Du verachtest uns alle.«, sagt er beiläufig. »Ja.«, entkommt es mir schlicht und er nickt zufrieden.

»Gut.«

»Gut?«

»Du bist ehrlich. Das ist ein wichtiger Charakterzug. Außerdem glaube ich kaum, dass wir diesen Eindruck in einer Nacht ändern werden.« Welchen Eindruck will er denn da noch ändern!? Der Zug ist definitiv abgefahren, du untoter Sack.

Ich schnaube missbilligend. »Was möchtest du sagen, Philomena?« »Nichts, Sir.« »Das stimmt nicht.« »Ich kann gut auf ihr Lob verzichten, Sir.«, presse ich hervor. Ja, er schüchtert mich ein, aber irgendwie scheint er mich auch herausfordern zu wollen. Er spielt mit mir und so langsam will ich wissen, was das alles hier soll, verdammt.

»Na also. Du musst dich vor mir nicht zurückhalten.«, antwortet er selbstgerecht, lehnt sich gegen den Schreibtisch und überkreuzt die Beine. So machtvoll, so überheblich.

»Hör zu, ich weiß, dass du mich hasst, Philomena. Ich bin der Grund dafür, dass du hier gelandet bist und nicht in einem Waisenhaus. Ich bin der Grund für sieben Jahre Qual. Ich an deiner Stelle würde mich abgrundtief hassen. Also los, zeig mir ruhig deine Verachtung.«, verlangt er.

Weil es ihn ohnehin nicht interessiert? Fuck! Was soll das? Warum weckt er meinen Kampfgeist? »Du musst doch wenigstens Fragen haben an mich!«, stellt er auffordernd fest und ich nehme mein verwirrtes Herz in die Hand, denn die habe ich.

»Warum bin ich hier?«, frage ich zaghaft. »Um zu trainieren und weil du hier sicher bist.«, antwortet er umgehend. Sicher, Schwachsinn. »Bin ich deswegen im Keller eingesperrt?«, entgegne ich schnippisch und gewinne langsam mein Selbstvertrauen zurück.

»Nein, das ist Jays Entscheidung. Er behandelt dich, wie er es für richtig hält, ich habe dich ihm anvertraut.« Jay, du Wichser, denke ich mir sofort.

»Kann ich gehen?«

»Nein!«

Ich schlucke. »Warum bin ich hier sicher?« »Um das zu beantworten ist es zu früh. Du bist nicht soweit.« Das lässt mich stutzen. »Soweit für was?« »Wir können uns jetzt eine Weile im Kreis drehen oder du nutzt weiter deine Chance, Antworten zu erhalten, Philomena.«, weicht er mir mit eisiger Ruhe aus.

»Was wollen sie von mir?« »Unter anderem? Bedingungslosen Gehorsam.« »Also wollen sie mich zu ihrer Puella sanguinis machen?« Sein Gesicht glättet sich und ich erkenne zum ersten Mal wie ebenmäßig es ist.

Wie markant seine Wangen und sein Kinn sind und wie voll seine Lippen. Keine Falte, keine Narbe, die ihn zeichnet. Makellos und schön, ein junger Mann, dem der Schalk im Nacken sitzt. Spöttisch zuckt es um seine Mundwinkel.

»Wenn du dich nicht benimmst.« Weiß er denn nicht, dass ich mich grundsätzlich nicht benehmen kann? Hofft er vielleicht darauf, um mich dann demütigen und verletzen zu können? Er ist ein Vampir, wie alle anderen. Warum also sollte er sich anders verhalten?

»Warum wollten sie mich sehen?« »Du wohnst seit sieben Jahren unter meinem Dach. Ich will mich versichern, dass es dir gut geht.«, antwortet er ruhig. Das fällt ihm gerade heute ein? Seine Antworten wirken so ehrlich und das regt mich auf.

»Geht es dir gut?«, hakt er dann nach. Verständnislos mustere ich ihn. »Was? Nein! Mir geht es nicht gut! Ich weiß nicht, welcher Tag ist, welche Uhrzeit. Ich bin hier eingesperrt, in diesem Scheißkeller, mein Wächter ist ein kalter Drecksack…«

Zu spät bemerke ich, wem ich da gerade so unverblümt meine Meinung sage, doch Rope Langley lacht nur. Das ist zu viel für mich. Ich will hier raus, ich will weg von diesem seltsamen Vampir und diesem Verhör - sofort! Ich springe auf und will aus dem Zimmer rennen, wenn ich es schaffe, vielleicht sogar aus diesem Haus, doch ich komme nicht mal bis zur Tür.

Er fängt mich mühelos ab und fixiert mich nur einen Atemzug später zwischen der Wand und seinem Körper. Nonchalant hält er mit einer Hand meine Handgelenke in meinem Rücken zusammen, doch als ich versuche mich loszureißen wird sein Griff fest und seine freie Hand greift an meinen Kehlkopf.

Rope

Die Situation überfordert sie, das sehe ich. Das ist wohl auch der Grund, warum sie aufspringt und versucht zu fliehen, obwohl ich ihr nichts getan habe.

Eigentlich ist es nicht meine Art sie so zu behandeln, wie Jay es tut, aber ich weiß auch, dass sie nur diese Sprache versteht, denn schließlich hat sie von ihm nie etwas anderes gelernt, und so packe ich sie und halte sie fest.

Ich kann ihr keinen Vorwurf machen. Sie versucht zu reagieren, wie sie es von Jay vorgelebt bekommt. Wie ein Vampir. Kalt und abweisend und hart. Aber sie ist kein Vampir, sie ist ein Mensch, sie hat eine Seele und die verleiht ihren Emotionen Leidenschaft und Tiefe und die blitzt genau in diesem Moment in ihren grauen Augen auf.

»Was willst du von mir, Vampir?«, zischt sie abfällig. Sie hat Angst, das rieche ich. Ihr warmer Körper zittert an meinem. »Eigentlich nur, dass du mir vertraust, Philomena.« »Fick dich!«, schnappt sie und versucht ihre Hände aus meinem Griff zu befreien. Sie ist wirklich wie eine weibliche Version von Jay. Störrisch und frech. Eine Kämpferin.

Ich drücke fester zu, einfach, weil ich es kann und mein Monster genießt es etwas, dass sie aufstöhnt. Ich bringe meine Lippen ganz nah an ihr Ohr, kann sehen, wie ihr Blut in ihrer Halsschlagader pocht, kann ihr angestrengtes Schlucken unter meiner Hand fühlen und ihren zarten Duft nach einfacher Seife und ihr selbst riechen.

»Hör‘ zu, Philomena, ich habe dir nie einen Grund gegeben, mir nicht zu trauen, daher denke ich, dass du es zumindest versuchen solltest. Was hast du denn zu verlieren?«

»Du hast meine Eltern ermordet! Niemals werde ich dir vertrauen, Arschloch! Niemals!«, keucht sie. Jetzt überrascht sie mich. Wie kommt sie darauf? Ohne sie loszulassen, drehe ich sie zu mir, damit ich ihr in die Augen sehen kann.

Endlich steht der glühende Hass in ihnen, den ich an ihr kenne, den ich bewundere. Obwohl sie weiß, dass ich ein Vampir bin, dass ich sie auch jetzt, mit einem kleinen Ruck an ihrem Kehlkopf töten könnte, tritt sie mir stolz und ungebrochen entgegen.

»Woher willst du das wissen, Philomena?«

»Weil ich es gehört habe!«, faucht sie mir ins Gesicht. Ihr drahtiger Körper presst sich gegen den meinen, ihr Atem bricht sich in meinem Gesicht. »Und wer behauptet das von mir?«, frage ich ruhig. Ungläubig kneift sie ihre Augen zusammen.

»Ich! Ich habe es damals gehört! Meinen Vater, wie er aufschrie. Meine Mutter, der ihr das Genick gebrochen habt! Ich habe alles gehört, bevor ihr mich aus meinem Versteck gezerrt und mitgenommen habt.«, zischt sie und blickt mich wütend an. Lehnt sich zurück gegen meine Arme, um so möglichst viel Abstand zwischen uns zu bringen. Abstand, den ich ihr nicht geben werde.

»Ich kann dir versichern, Philomena, dass keiner der Patroni sanguini nefastus mit dem Mord an deinen Eltern zu tun hat.«, versichere ich ihr. Ich sehe den Unglauben, den Zweifel in ihrem Blick. »Patroni sang…was? Ich glaube dir kein Wort, Drecksvampir!«, faucht sie und windet sich in meinem Griff.

Es kostet mich kaum Mühe sie zu halten. »Das sehe ich! Aber dennoch verlange ich von dir, mir zu vertrauen. Nochmals: was hast du zu verlieren? Dein Leben? Du hast kein Leben hier. Deinen Stolz? Den will ich dir nicht nehmen.«

Zuviel stürzt gerade auf sie ein, das kann ich ihr ansehen. Sie versteht die Welt nicht und das will sie gerade auch gar nicht. Ich ziehe sie mit mir zurück ins Zimmer und rufe Jay, der nur Sekunden später da ist und uns beide mit einem wissenden Grinsen mustert, was mich etwas ärgert.

»Was kann ich tun für dich, Rope?«, fragt er. Ich entlasse sie aus meiner groben Umarmung und ziehe sie an ihrem Oberarm neben mich. »Ich will, dass du Philomenas Sachen nach oben bringen lässt. Sie schläft ab heute neben meiner Suite im Gästezimmer.«

Jay klappt der Kiefer nach unten und Philomena wird ganz still, nicht mal mehr zu Atmen wagt sie sich. »Das ist nicht dein Ernst!« »Sehe ich aus, als würde ich Witze machen?«, frage ich meinen Freund.

»Aber, Rope, sie wird versuchen zu verschwinden.« »Dann sorge dafür, dass das nicht passiert. Das schaffst du doch, oder?« »Ja – sicher, aber…« »Gut. Jetzt lass ihre Sachen holen, ich bringe Philomena selbst hinüber.«, nicke ich und warte, dass er verschwindet.

######

»Schaffst du es mir freiwillig zu folgen, oder muss ich dich hinter mir herziehen, so wie Jay es tut?«, frage ich sie, nachdem er gegangen ist und ich ihren verunsicherten Blick auffange. Zumindest denkt sie scheinbar über das nach, was ich ihr gesagt habe- vielleicht ist sie nicht ganz so stur wie Jason.

»Nein, Sir, ich kann ihnen folgen.«, antwortet sie ein bisschen irritiert und sieht dabei irgendwie süß aus, mit ihren unordentlichen, großen Locken, die ihr ovales Gesicht rahmen, die ihre grauen Augen silbern schimmern lassen wie einen Spiegel und ihren vollen, roten Lippen.

»Dann los.«, sage ich, lasse sie los und gehe voran. Flink tappen ihre Füße neben mir über den Teppichboden und ich kann sehen, wie es in ihr arbeitet.

Ehrlicherweise war ich mir nicht sicher, wie unser erstes Aufeinandertreffen laufen würde, aber ich bin zufrieden. Ich habe sie überrascht, das weiß ich und ich weiß auch, dass sie nicht weiß, wie sie sich jetzt verhalten soll, denn eigentlich müsste sie mich ja hassen.

Gemeinsam gehen wir den Flur entlang und biegen schließlich ab, in den Flügel, in dem sich meine Suite befindet. Ich öffne eine Durchgangstüre und lasse ihr den Vortritt. »Das hier ist der Eingangsbereich meiner Suite. Diese Tür bringt dich in mein Wohnzimmer und diese hier…«, sage ich und öffne sie. »…gehört zu deinem Zimmer.«

Zögernd folgt sie mir hinein und sie blickt sich vorsichtig um. Ihr Atem beschleunigt synchron zu ihrem Herzschlag. »Neben dem Bett hast du ein eigenes Bad zur Verfügung. Wenn du etwas brauchst, dann sag es Jason.« Sie schnaubt abwesend. »Was ist Philomena?« »Es ist ihm gleich, was ich brauche.«, murmelt sie. »Wir ändern das.«, verspreche ich ihr und ein Leuchten stiehlt sich in ihre Augen – zaghafte Freude.

Die Tür fliegt auf und Jay kommt mit einer Kiste in ihr neues Zimmer, die er auf den Boden wirft. »Hier. Die Sachen der Mistkröte.« Philomena zuckt neben mir zusammen und funkelt ihn böse an. »Danke, Jay. Wir werden dich jetzt allein lassen, es ist spät, ruh dich aus, Philomena.« Sie nickt. »Danke, Sir.«, sagt sie leise und schüchtern und meinem Jay klappt die Kinnlade nach unten.

Dann gehen wir und Jason schließt die Tür von außen ab. Damit wird sie sich leider noch eine Weile abfinden müssen.

Auch sie muss sich bewähren.

Philomena

Der Schlüssel dreht sich im Schloss dann wird es still.

Was war das denn? Er hat mir eine Cola gebracht! Rope Langley, der große Boss bringt mir, dem hässlichen Ding, dem Scheißmenschen, eine Cola. Jay, der Scheißer, ist so gut wie nie nett gewesen in den letzten Jahren.

Vorsichtig sehe ich mich um. Ein Zimmer direkt neben dem vom Boss! Wahnsinn! Ich kann immer noch nicht glauben, was soeben passiert ist. Das soll wirklich mein neues Zimmer sein! Glücklich presse ich mir die Fäuste auf den Mund. »Scheiße…«, murmle ich leise.

Echt, die Situation eben in dem Arbeitszimmer, diese sanfte Stimme, die er hat, diese überlegene Ruhe, die er ausstrahlt, hat mich völlig überfordert. Natürlich konnte ich mir denken, dass er weiß, wie sehr ich ihn hasse. War ja auch nicht so schwer zu erraten, bei der Vorgeschichte, die diese elenden Blutsauger und ich haben. Aber, warum zum Henker will er das ändern?

Ich blicke mich um, eigentlich hat er ja schon was geändert. Mein neues Zimmer ist sicher dreimal so groß wie mein Kellerverließ, in einem freundlichen Gelbton gestrichen mit weißen, schlichten Möbeln. Der helle Teppichboden fühlt sich so weich unter meinen Füßen an, dass ich mich am liebsten drauflegen würde und dann sehe ich sie. Zwei große Fenster mit geschlossenen Vorhängen davor. Es würde mich nicht wundern, wenn sie zugemauert wären.

Zaghaft durchquere ich den Raum. Gehe zu den schweren dunklen Stoffbahnen und öffne einen kleinen Spalt. Das erste Mal seit sieben Jahren kann ich den Himmel sehen, die Sterne und die beginnende Morgenröte. Es wird bald Tag.

Es wirkt wie Balsam auf meiner verstörten dunklen Seele. Meine Hände greifen fester in den schweren Stoff und ziehen ihn zu beiden Seiten weg. Ob er davon auch wusste? Also wie sehr ich das vermisst habe. Das mit dem Hass ok, aber was weiß Rope Langley noch von mir? Er hat ja ziemlich schnell festgestellt, dass ich hierbleiben muss. Und warum bin ich ausgerechnet hier sicher? Ich bin nicht soweit.

Wie weit?

Für was?

Um seine Blutkonserve zu werden? Sollte ich ihm deswegen vertrauen? Darauf, dass er mich nicht umbringt? Soweit werde ich auch niemals sein. Nein, echt nicht.

Weil mir bei dem Gedanken ein Schauer durch den Körper jagt, lege ich das zweite Fenster auch noch frei. Kippe es sogar und genieße die frische Luft, die durch den Spalt um meine Nase weht.

Rope Langley hat mich nicht gepackt, weil ich mich scheiße über meinen Peiniger geäußert habe, sondern weil ich davonlaufen wollte. Doch es war ganz anders als in den Momenten, in denen mein Lieblingsdrecksack mich grob anfasst.

Jason Allingson bereitet dir mit jedem Angriff sofort maximalen Schmerz, er geht immer voller Elan und Wut auf einen los, doch Langleys Griff war ganz anders, kontrolliert und doch endgültig. So fucking überlegen, so machtvoll.

Welche Jahreszeit wohl ist frage ich mich, um mich abzulenken, doch meine Gedanken machen mir einen Strich durch die Rechnung, als ich mich erinnere, was er über meine Eltern gesagt hat. Es kann nur gelogen sein! Ich weiß schließlich – naja – was ich weiß.

Die verzweifelte Stimme meines Vaters.

Der Aufschrei meiner Mutter.

Die Stille die folgte und dann die Tür zu meinem Versteck. Sie wird aufgerissen, er packt mich am Genick und ich sehe ein blutverschmiertes Kinn und Jason Allingsons Augen. Ein tiefer Schluchzer entringt sich meiner Kehle und ich bemerke, dass ich weine. Schnell wische ich mir das verräterische Nass von den Wangen, aus Angst davor, mein Peiniger könnte jeden Moment wieder hier auftauchen und mich dafür schelten oder mich auslachen.

Ich habe das seit dem Abend an dem es damals geschehen ist, unzählige Male durchlebt und war mir immer sicher, dass sie dafür verantwortlich sind. Das Rope Langley dafür verantwortlich ist, aber, scheiße man, seine blauen Augen haben mich so überrascht, so fucking ehrlich erstaunt gemustert, als ich ihm das an den Kopf geknallt habe. So, als ob er sich eben echt fragt, wie ich draufkomme und das ist seltsam.

Nachdenklich tappe ich zu dem Pappkarton, der mein ganzes Leben enthält und kümmere mich um meine Sachen, bringe sie zu dem weiß lackierten Kleiderschrank, um das wenige, das ich habe darin zu verteilen.

Die Patroni sanguini nefastus – wer auch immer die sind, aber er hat mir ziemlich glaubhaft versichern wollen, dass die nichts mit dem Tod meiner Eltern zu tun haben. Ich habe Arschloch Jays Lateinlektionen gehasst, weil ich immer den Rohrstock abbekam. Ein paar Jahre hat er mich neben dem Training nämlich auch unterrichtet.

Patroni, Beschützer, das bekomme ich hin. Sanguini, Blut. Auch klar. Nefastus – hier gingen mir die Ideen aus. Ne war ein nicht, wenn ich mich richtig erinnere, aber fastus – bedeutete Hochmut oder auch Stolz. Schützer des nicht stolzen Blutes? Beschützer des demütigen Blutes? Das ergibt keinen Sinn, nicht nur, weil ich mir einfach nicht vorstellen kann, dass ein scheiß Vampir überhaupt irgendetwas beschützt.

Ich schließe die Schranktüren, gehe hinüber zu dem großen Bett und lasse mich langsam darauf nieder. Die hohe Matratze gibt kaum unter meinem Gewicht nach und die Bettwäsche ist nicht nur weich, sondern duftet auch frisch. Ich muss im Himmel sein, denke ich mir, als ich mich zusammenrolle und die aufgehende Sonne beobachte, wie sie den neuen Tag bringt und erinnere mich an die Geschichte von Lucifer, dem Lichtbringer, die meine Mutter mir oft erzählt hat, als ich noch klein war.

######

Ein lauter Rumms lässt mich aufschrecken. Im ersten Moment weiß ich gar nicht wo ich bin, dann erinnere ich mich. In meinem Zimmer. Ich kuschle mich etwas tiefer in das warme Weich der Daunen. Die Sonne steht schon tief, ist aber noch nicht untergegangen. Spätnachmittag? Abend?

»Fuck, du dumme Kuh! Mach sofort die Vorhänge zu!«, höre ich meinen Peiniger vor der geschlossenen Tür fluchen und kann mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Ups, denke ich mir ironisch, das tut mir jetzt aber leid, Arschloch.

Ich habe wirklich gut geschlafen, das erste Mal, seitdem ich an diesem furchtbaren Ort bin, deswegen schäle ich mich etwas wehmütig aus dem bequemen Bett, knipse die Nachtischlampe an und gehe, um zu tun, was mein Lieblingsdrecksack von mir verlangt.

»Was, wenn nicht, Sir?«, ziehe ich ihn währenddessen auf. Kurz Stille. Dann erzittert die Tür begleitet von dumpfem Krachen, weil er wohl seine Fäuste gegen das dicke Holz schnellen lässt, dennoch nähere ich mich ihr.

»Wird die Sonne auch heute untergehen, Mistkröte, und dann gehört dein sterblicher Arsch mir. Dann begrüßt erst mein Gürtel deinen Arsch und danach verabschiedest du dich wieder von diesem Zimmer.« Keinesfalls! Den Gürtel würde ich vielleicht in Kauf nehmen, aber dieses Zimmer will ich nicht aufgeben! Ich öffne die Tür.

»Guten Morgen, Sir. Bitte entschuldigen sie, dass ich nicht an die Vorhänge gedacht habe, Mr. Allingson.«, sage ich artig, um ihm möglichst keine Angriffsfläche zu bieten. Seine Faust fliegt ungebremst auf meine Nase. Gerade festgenug, um mir die Tränen in die Augen zu treiben, aber nicht hart genug, um sie zum Bluten zu bringen und ich höre mich leise stöhnen.

»Wir wollen ja nicht, dass du übermütig wirst, Mistkröte. Zieh dich an, Essen - dann Training.« Fuck - war es trotzdem wert, entscheide ich.

######

Klasse, auf meiner Nasenwurzel prangt ein kleiner Cut, das wird beim Training später seine Lieblingsstelle, wette ich und greife zur Zahnbürste, beim Ausspucken bekomme ich kaum Luft. Ich möchte nicht, dass sie mir das Zimmer, diese neugewonnene Freiheit, wieder nehmen, deswegen beeile ich mich, öffne schon fünf Minuten später die Tür und trete neben meinen Peiniger. Der schnalzt abfällig mit der Zunge.

»Glück gehabt, nur ein paar Sekunden länger und ich hätte dich geholt, du langsames Ding.« Das war mir klar. Es wäre auch nicht das erste Mal, dass er mich aus der Dusche gezogen hätte und, nackt und triefend nass wie ich bin, zum Speisesaal geschleift hätte. Gut ist ewig her, aber die Demütigung sitzt tief.

Meine verschissene Nase pocht. Jason geht neben mir her. Wir gehen hinunter ins Erdgeschoss, durchqueren die Halle mit den vielen Türen, von denen mir keine verrät, welche mich zum Ausgang bringen würde, weil sie wie immer alle geschlossen sind und öffnet die Tür zum Speisesaal.

»Nach dir, Mistkröte.«, sagt er und gibt mir einen Schubs, damit ich vor gehe. Wütend starre ich ihn an, doch er hebt nur auffordernd sein Kinn. Trotzdem muss ich mich kurz anspannen, bevor ich weitergehen kann.

Fast hätte ich geglaubt, dass alles wie immer ist, bis zu dem Moment, in dem ich ihn am oberen Kopfende des langen Tisches sitzen sehe. Sein nachtschwarzes Haar ist noch feucht und zurückgekämmt. Ein paar Strähnen fallen nach vorne und wippen leise im Takt seiner Bewegungen. Er trägt ein weißes Hemd, dessen Ärmel zurückgeschlagen sind und dunkle Hosen.

Seine starken Unterarme liegen leger auf den Unterlagen, von denen mehrere vor ihm auf dem Tisch liegen und er starrt konzentriert in ein komisches viereckiges Kästchen, mit einem beleuchteten Bildschirm und einer Tastatur davor. Es sieht aus wie dieses Notebook, das mein Papa manchmal von der Arbeit mit nach Hause gebracht hat, nur viel schlanker und schmaler. Ungeniert mustere ich Rope Langley und vergesse dabei völlig an die scheiß Regeln zu denken.

»Kopf nach unten!«, grob wie immer behebt mein Peiniger selbstverständlich umgehend diesen Missstand meines Benehmens und schlägt mir mit der flachen Hand auf den Hinterkopf. Shit, so sammle ich sicher keine Pluspunkte.

»Jason, bitte.«, höre ich aber den Boss tadelnd und ja, ich wundere mich etwas und noch mehr, als er fortfährt. »Ich habe Philomena gestern erlaubt den Blick oben zu halten, sie muss ihn nicht senken, wenn ich es nicht ausdrücklich von ihr verlange.«

Mein Peiniger schnaubt und ich halte meinen Kopf lieber unten. »Klar, soll ich deinem Blutmädchen vielleicht den Stuhl zurechtrücken, Rope?« Seinem Blutmädchen, ich unterdrücke eine Gänsehaut.

Niemals!

»Ist das überhaupt deine Art? So viel Charme hast du doch gar nicht.« Hat er Jay gerade verarscht?! Ich kann nicht verhindern, dass meine Mundwinkel zucken und sich mein Puls kurz beschleunigt. Leider weiß ich auch, dass beide Vampire das mitbekommen.

Toll. Ich werde später mein Frühstück auf dem Boden der Trainingshalle verteilen, das weiß ich jetzt schon. Aber jetzt gerade überholt mich Jason Allingson und als ich nach oben schiele, zieht er tatsächlich den Stuhl neben dem Boss zurück.

Für mich.

What the fuck?

Ich muss schlucken. Zum einen, weil das gerade wirklich passiert ist, zum anderen, weil ich neben ihm sitzen soll. Unbehagen kriecht meine Wirbelsäule nach oben, als mir Jay den Holzstuhl mit einem schnellen Ruck in die Kniekehlen drückt und ich sitze.

Au! Dieser kleine Sack! Die nächsten zwei blauen Flecken -super, Arschloch.

»Guten Morgen, Philomena. Hast du gut geschlafen?«, spricht mich Langley im Plauderton an, aber als ich aufblicke liegt sein Blick mahnend auf meinem Peiniger.

»Danke, Sir. So gut, wie in den letzten sieben Jahren nicht.«, antworte ich ehrlich. Meine Stimme klingt nervös und näselnd. Angespannt halte ich die Luft an. Ich will dieses Zimmer behalten! Nehmt es mir nicht weg!

Jay, der Wichser, würde es allein schon deswegen tun, weil ich es unbedingt will, da bin ich mir sicher. Deswegen ärgert er mich doch auch so, damit ich wieder ausraste und dann hat er mich am Arsch. Der verlässt übrigens gerade den Speisesaal, wie ich am Rande mitbekomme.

»Gut.«, antwortet Rope Langley knapp und er sieht - zufrieden aus. »Was möchtest du frühstücken?« Ich habe mich wohl verhört? Das bin ich noch nie gefragt worden seit ich hier bin. »Ich weiß nicht, Mr. Langley?«, sage ich vorsichtig. Seine Mundwinkel zucken.

»Na, mit einem Glas Blut wirst du kaum zufrieden sein oder, Philomena?« Er zuckt wissend die Augenbrauen. Ein scheues Lächeln findet den Weg auf mein Gesicht. Lasse ich mich gerade wirklich von ihm einwickeln?! Aber er wirkt so echt, als ob er eben echt nett wäre.

»Nein, Sir.« Ebenmäßige weiße Zähne blitzen mich im nächsten Moment an, als er grinst. Scheiße! Lässt ihn das schön aussehen! »Dachte ich mir schon.«, antwortet er schleppend.

Die Türen fliegen auf und ein fluchender Jay kommt mit x verschiedenen Plastiktüten auf den Armen in den Saal gestolpert. Erschrocken sinke ich in mich zusammen und nachdem ich gesehen habe, was los ist, senke ich vorsichtshalber wieder meinen Blick.

»Verdammte Scheiße, Rope! Musstest du wirklich alles bestellen?« Mein Peiniger schmeißt die Beutel vor mich auf den Tisch und befreit sich von den Trageschlaufen. »Es hält sich sicher ein paar Tage, Jay. Sieh‘s positiv. So musst du weniger kochen.«, erwidert der Boss ungerührt und fasst mir an den Arm.

Die Berührung ist sanft, aber als ich seine kalte Hand an meinem Handgelenk fühle, zucke ich zusammen. »Nimm dir was du willst, Philomena.«, sagt er unbeirrt, lässt mich los und widmet sich wieder den Unterlagen vor sich.

»Aber friss nicht zu viel, hässliche Mistkröte! Nicht, dass ich dich später wie einen scheiß Medizinball durch die Halle werfen kann.«, ranzt mich mein Peiniger an und wirft mir einen Blick zu, der mir sagt, dass ich beim Training gleich leiden werde.

»Hau ab, Jay! Geh selbst was essen. Ich bringe sie dann zu dir.«, brummt der Boss. Seine Stimme klingt so kalt und ruhig, dass ich eine fucking Gänsehaut kriege. Ohne aufzusehen schmeißt der Vampir neben mir meinen Folterknecht einfach so aus dem Speisesaal.

Rope

Mir gefällt, was ich sehe. Sie sieht erholt aus und ihre Augen strahlen vor Hoffnung. Was Jay so richtig abfuckt, wie ich unschwer an dem kleinen Cut auf ihrem rotgeschwollenen Nasenrücken erkennen kann.

Wenn es nach ihm ginge, würde er vermutlich bald dazu übergehen sie zwischen den Trainingseinheiten auch noch zu foltern, damit sie endlich ihre Kräfte entfaltet. Was ich für sinnlos halte, da sie sich nur immer weiter abkapselt. Würde das Amulett dann aktiviert, wären wir vermutlich alle dran und sie unkontrollierbar.

Er war eben schon immer der ungeduldige Haudrauf von uns beiden. Aber das bin ich nicht, das ist nicht mein Plan. Man erreicht nicht immer mit der Peitsche sein Ziel, wenn man kein Zuckerbrot dabei hat.

Ihr Haar hat sie am Hinterkopf zusammengebunden und es wippt aufmüpfig mit jeder ihrer Bewegungen und ihren wohlgeformten Hals ziert wie immer das Amulett. Der in silberne Reliefs gefasste Gemma Veritatis – der Stein der Wahrheit. Der schwarze Opal, der laut Prophezeiung das unheilige Blut sowohl offenbart, als auch das Zentrum seiner Macht ist.

Die schlichte Trainingskleidung betont ihre weiblichen Formen und ich frage mich, ob Jay eigentlich noch Augen im Kopf hat, denn auch wenn sie ein Mensch ist, ist sie richtig gut gebaut. Drahtig und weiblich. Lange Beine, runder Arsch. Schmale Taille, einladende Brüste. Irgendwie sexy eben, sterblich oder nicht, das hat weder ihn noch mich je gestört.

Es dauert eine Weile, bis sie sich entschließt den Inhalt der Plastiktüten in Augenschein zu nehmen. Schließlich entscheidet sie sich für Pancakes und Rührei, dazu Saft und Kakao. Zufrieden kauend schielt sie auf die Zeitung, die auf dem Tisch liegt und kneift die Augen zusammen. Ich sehe es aus dem Augenwinkel, denn ich muss diese beschissene Analyse zu Ende lesen und dann entscheiden, wie wir weitermachen, wo die Investition hinläuft.

»Wenn du lesen willst, dann nimm dir die Zeitung, Philomena.«, brumme ich. Ich fühle ihren Blick auf meinem schwarzen Schopf, aber sehe nicht auf, damit sie sich entspannen kann. Ich will, dass es sich normal für sie anfühlt. Sie sich befreit von ihrer Angst und ihren Aggressionen. Sie spült das Essen in ihrem Mund mit einem Schluck Kakao hinunter.

»Ich wüsste nur gerne, was für ein Datum heute ist, Sir.«, verklingt ihre Stimme höflich und leicht nasal. »Es ist der 23. Juni 2015.« Sie seufzt zufrieden auf und schiebt sich einen ganzen Pfannkuchen auf einmal in den Mund, wie ich sehe, als ich die verkackte Analyse mit den zum Gähnen langweiligen Prognosen auf meinem Laptop vergleiche.

»Iss‘ nicht so schnell! Niemand wird dir etwas wegnehmen, das ist nicht gesund, Philomena. Jay kann warten.«, sage ich leicht tadelnd und fühle ihren Unglauben, aber sie macht langsamer. »Das mag er aber nicht, Sir.«, antwortet sie zwischen zwei Bissen Rührei, die ihr ein Augenrollen und ein genussvolles tiefes Stöhnen entlocken. Jetzt muss ich sie ansehen und kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.

»Sind wohl besser als die von Jay.« Ein bitteres Grinsen huscht über ihr sonst so schönes Gesicht. »Ich kann mich nicht erinnern, dass der Pisser mir jemals Rührei gemacht hätte.« Ihre grauen Augen weiten sich. »Sir.«, fügt sie schnell hinzu und ihr Herz schlägt schneller. Ich lehne mich etwas in ihre Richtung und zwinkere ihr verschwörerisch zu.

»Ich denke nicht, dass du da was verpasst hast, Phil.« Immerhin ernte ich ein scheues Lächeln von ihr. Ich hoffe, dass ich wenigstens teilweise schnell gut machen kann, was Jay hier in all den Jahren verkackt hat, denn wenn der Foedus von ihrer Anwesenheit Wind bekommt und ihre Kräfte nicht aktiviert sind, sind wir am Arsch.

»Du meinst, er schlägt dir lieber auf die Nase?« Ihre grauen Augen mustern mich leer. »Ich war frech, das geht schon klar, Sir. Hab die Vorhänge offen gehabt, als er reinkam und ihn dann ein bisschen aufgezogen. Wird eben ein scheiß Training heute. Nicht das erste, in der Art.«, erzählt sie und greift sich den nächsten Pfannkuchen, zupft daran herum und ich widme mich wieder den verkackten Prognosen, einfach, weil ich grad nicht weiß, was ich darauf erwidern soll.

Was soll ich auch sagen, denn sie hat mir gerade klar gemacht, dass es ihr nicht nur fuckegal ist, was Jay mit ihr anstellt, nein, sie fordert ihn sogar heraus und das ist – mutig. Dumm natürlich, aber mutig. Will sie etwa sterben? Macht irgendwie Sinn, wenn man sieben Jahre seines endlichen Lebens bei Vampiren im Keller hausen muss, unter Jays Bedingungen, der sich völlig verrennt.

»Werden sie mir das Zimmer wieder wegnehmen, Sir?« »Was?«, zucke ich überrascht auf und sie weicht zurück. »Nein. Das werde ich nicht. Das ist dein Zimmer, Philomena.«, verspreche ich ihr nochmal.

»Diese Blutmädchen - Sache…muss ich ihnen deswegen vertrauen, Sir?«, fragt sie betont nebenher und ich kann mir ein leises Grunzen nicht verkneifen, da ihr kleines Herz mir ihre Aufregung verrät. »Nein. Dazu wäre dein Vertrauen zwar von Vorteil, aber keine Notwendigkeit.« »Weil ich ihnen sowieso widerstandslos gehorchen müsste?«

»Jap.«, antworte ich ihr knapp und sie hält sich an ihrem Saftglas fest. Ich sehe ihr an, dass das noch nicht alles war, widme mich aber weiter meiner Arbeit. »Warum ist es ihnen dann wichtig, dass ich ihnen vertraue, Sir?« Ihre grauen Augen blicken mich fragend und fordernd an. »Weil es unser Zusammenleben erleichtern wird, denkst du nicht?«

»Weil ich hier nicht wegdarf, weil ich hier sicher bin?« »Jap.«, grinse ich knapp. Da musst du schon mehr auffahren, kleines Mädchen. Sie schnieft kurz, will sich an ihre Nase fassen, lässt es dann aber und stochert in ihrem Rührei.

»Sie sind echt nett zu mir, danke, Sir.« Schnell schiebt sie sich die volle Gabel in den Mund, weil sie wohl nicht beabsichtigt hatte das zu sagen. »Und es fällt mir gar nicht schwer.«, raune ich und sehe, wie sich ihre Wangen kurz unschuldig röten. Ein bisschen niedlich.

Sie schluckt runter und spült mit Kakao nach. Ich höre einen tiefen, zufriedenen Seufzer von ihr, bevor sie mich eindringlich mustert. »Sir, sie haben gesagt, dass sie nichts mit dem – mit dem…« Sie stockt. »Meine Eltern. Wenn sie nichts damit zu tun haben, was ist dann passiert?«, fragt sie zögerlich. Das muss ich ihr möglichst behutsam und einfach erklären. Denn alles würde sie ohnehin noch nicht verstehen.

»Jay und meine Leute wussten, dass eine Gruppe feindlicher Vampire euer Haus in dieser Nacht als Ziel ausgewählt haben. Wir kamen leider zu spät. Deine Eltern waren schon tot, wir konnten nur noch dich retten. Und ja: ich weiß, dass du dir unter retten etwas anderes vorstellst, Philomena.«, nehme ich ihr den Wind aus den Segeln.

Ihr Blick ist undurchsichtig, aber ihre Gedanken bringen das Grau darin zum Wirbeln. »Bedanken werde ich mich für die sieben Jahre aber auch nicht, Sir.«, erwidert sie ruhig, aber fasst verunsichert ihre Oberarme.

»Das verstehe ich, Phil. Ich darf dich doch Phil nennen?« Sie nickt zufrieden und stellt noch nicht die richtigen Fragen, da sie sich mir noch nicht öffnen will. Aber gerade dieses Thema forcieren will ich auch noch nicht. Sie soll sich in Sicherheit fühlen, sich bestätigt fühlen, erst dann werde ich sie mit dem Sinn ihres Daseins konfrontieren.

Philomena

Das vorerst wichtigste ist wohl geklärt! Ich darf das Zimmer behalten, aber: Sie sind echt nett zu mir?! Habe ich das echt zum Boss gesagt? Alter – Fuck! Wie komm ich denn auf sowas? Glaube ich ihm etwa schon, dass er nichts mit dem Tod meiner Eltern zu tun hat?

Ich hätte viel mehr Fragen stellen sollen, aber wenn er in meiner Nähe ist dann fühle ich mich irgendwie so fucking wohl. Es ist so, als würde er mich in sein Selbstbewusstsein, seine Überlegenheit einhüllen. Als würde ich nicht weit unter ihm stehen, sondern neben ihm.

Wenn er grinst, dann verwirrt mich das jedes Mal und dann vergesse ich wieder, worauf ich eigentlich hinaus will. Das kann doch nicht gut sein! Er ist ein scheiß Vampir, ich muss den Typ doch schließlich hassen, oder?