Die Heimkehr 2 - Meister der Intrige - R.A. Salvatore - E-Book

Die Heimkehr 2 - Meister der Intrige E-Book

R.A. Salvatore

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Beschreibung

Er wählte ein Leben im Licht, doch sein Weg führt zurück in die Dunkelheit.

Ein Dämonenfürst hat sich Zugang zur Stadt der Dunkelelfen verschafft und hinterlässt Tod und Zerstörung. Sollten die Dunkelelfen fallen, wäre sein nächstes Ziel die Zwergenstadt Mithril-Halle, die neue Heimat des Dunkelelfen Drizzt. Also bricht er mit seinen Gefährten und einer Zwergenarmee auf, um die Dämonengeißel zu bekämpfen. Doch die Stadt der Dunkelelfen könnte schon an die Unholde und ihren bösen Prinzen fallen, bevor Drizzt und die Zwerge eintreffen – und ohne die Dunkelelfen hätten sie keine Chance, den Dämonen zu widerstehen.

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Buch

Ein Dämonenfürst hat sich Zugang zur Stadt der Dunkelelfen verschafft und hinterlässt Tod und Zerstörung. Sollten die Dunkelelfen fallen, wäre sein nächstes Ziel die Zwergenstadt Mithril-Halle, die neue Heimat des Dunkelelfen Drizzt. Also bricht er mit seinen Gefährten und einer Zwergenarmee auf, um die Dämonengeißel zu bekämpfen. Doch die Stadt der Dunkelelfen könnte schon an die Unholde und ihren bösen Prinzen fallen, bevor Drizzt und die Zwerge eintreffen – und ohne die Dunkelelfen hätten sie keine Chance, den Dämonen zu widerstehen.

Autor

R. A. Salvatore wurde 1959 in Massachusetts geboren, wo er auch heute noch lebt. Bereits sein erster Roman »Der gesprungene Kristall« machte ihn bekannt und legte den Grundstein zu seiner weltweit beliebten Romanserie um den Dunkelelf Drizzt Do’Urden. Die Fans lieben Salvatores Bücher vor allem wegen seiner plastischen Schilderungen von Kampfhandlungen und seiner farbigen Erzählweise.

Die Legende von Drizzt bei Blanvalet:

Menzoberranzan

Die Dunkelelfen · Die Rache der Dunkelelfen · Der Fluch der ­Dunkelelfen

Das Eiswindtal

Der gesprungene Kristall · Die silbernen Ströme · Der magische Stein

Das Vermächtnis des Dunkelelfen

Das Vermächtnis · Nacht ohne Sterne · Brüder des Dunkels · Die Küste der Schwerter

Pfade der Dunkelheit

Kristall der Finsternis · Schattenzeit · Die Rückkehr der Hoffnung

Die Söldner

Der schwarze Zauber · Der Hexenkönig · Die Drachen der Blutsteinlande

Die Klingen des Jägers

Die Invasion der Orks · Kampf der Kreaturen · Die zwei Schwerter

Übergänge

Der König der Orks · Der Piratenkönig · Der König der Geister

Niewinter

Gauntlgrym · Niewinter · Charons Klaue · Die letzte Grenze

The Sundering – Die Gefährten

Das Buch der Gefährten

Die Nacht des Jägers · Der Aufstieg des Königs · Die Vergeltung des Eisernen Zwerges

Die Heimkehr

Meister der Magie · Meister der Intrige · Meister des Kampfes

Außerdem: Erzählungen vom Dunkelelf

R.A. SALVATORE

MEISTERDER INTRIGE

Die Heimkehr

II

Roman

Aus dem Englischen von Imke Brodersen

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel »Maestro (Legend of Drizzt 29, Homecoming 2)« bei Wizards of the Coast, Renton, USA. Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2017 by Wizards of the Coast LLC 2014 FORGOTTEN REALMS, NEVERWINTER, DUNGEONS & DRAGONS, D&D, WIZARDS OF THE COAST and their respective logos are trademarks of Wizards of the Coast LLC in the U.S.A. and other countries. © 2017 Wizards of the Coast LLC. Licensed by Hasbro. Published in the Federal Republic of Germany by Blanvalet Verlag, München Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2019 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München Redaktion: Alexander Groß Umschlaggestaltung: Isabelle Hirtz, Inkcraft nach einer Originalvorlage von Wizards of the Coast LLC Umschlagillustration: Aleksi Briclot HK · Herstellung: sam Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN: 978-3-641-23692-2V001 www.blanvalet.de

Prolog

»Bei Lolths haarigen Beinen!«, rief Braelin Janquay fassungslos aus. Kopfschüttelnd betrachtete er das Abschlachten, das sich vor seinen Augen abspielte.

In Schwärmen waren Hunderte oder gar Tausende von Dämonen in eine runde Höhle der Herrenstraßen eingefallen, jenen breiten Gängen, die das Haupteinfallstor nach Menzoberranzan darstellten. Sie standen also unmittelbar vor der Stadt.

Entlang der Höhlenwände hatten Zauberer und Priesterinnen der Dunkelelfen Position bezogen, welche die Armada aus dem Abgrund mit einem Bombardement eindeckten, das alles überstieg, was Braelin sich je hätte vorstellen können. Hundert Blitze durchzuckten dieselbe Anzahl herabregnender Feuerbälle. Magische Stürme hagelten auf die eintreffenden Dämonen – zombiegleiche Manen und Balgura – ein, schlugen sie nieder oder ließen sie auf dem eisglatten Boden ausrutschen, bis sie in den Dampfschwaden der explodierenden Feuerbälle umkamen.

Die Falle der Drow hatte vernichtend zugeschnappt, aber der Zustrom der Dämonen ließ nicht nach.

»Können sie die alle töten?«, fragte Braelin staunend.

»Macht Euch bereit«, fuhr Tiago ihn an. »Ein paar werden durchkommen, und wenn Ihr mir nicht die Flanke deckt, kenne ich keine Gnade.«

Braelin starrte den Emporkömmling der Baenre-Familie kurz an, wobei er seine grenzenlose Verachtung gut zu verbergen wusste. Jarlaxle und Beniago hatten ihn vor Tiagos aufbrausendem Temperament und dessen Hochmut gewarnt. Jarlaxle kannte die inneren Beweggründe der Adligen aus dem Haus Baenre besser als jeder andere, und Beniago war immerhin Tiagos Cousin. Doch Braelin hatte die letzten Jahrzehnte Bregan D’aerthe gedient. Über die Hälfte seiner fünfundneunzig Jahre gehörte er bereits Jarlaxles Söldnerbande an, und die meiste Zeit davon hatte er außerhalb von Menzoberranzan gelebt. Jetzt, nachdem er in die Enge seiner Herkunftsstadt zurückgekehrt war, widerte ihn Tiagos Arroganz ebenso an wie das Gift, das aus jedem seiner Worte – und den Worten vieler anderer Drow, besonders der Adligen aus Haus Do’Urden, wo Braelin gegenwärtig stationiert war – triefte.

Dabei hatte sich die affektierte Gesellschaft von Menzoberranzan in nichts verändert. Doch Braelin war ihr zwischenzeitlich entronnen, und nun nahm er sie anders wahr. In seiner Jugend war er daran gewöhnt gewesen, völlig abgestumpft, doch jetzt regten solche Bemerkungen ihn auf, und er brauchte all seine Selbstbeherrschung, um nicht zu zeigen, wie sehr er das intrigante Wesen seines eigenen Volkes verabscheute.

Noch immer erzitterten die Höhlenwände unter dem magischen Gewitter, das auf die angreifenden Dämonenhorden in der großen Höhle im Westen niederging. Ein gleißender Blitz ließ Tiago und Braelin zurückfahren.

»Ravel und sein Blitznetz«, stellte Tiago fest und rang sich verstimmt ein Nicken ab. Der Zauberer Ravel, der von Haus Xorlarrin nach Haus Do’Urden versetzt worden war, war für dieses Ritual berühmt, welches normale Blitzschläge verstärkte. Die beiden Drow an der Spitze der Verteidiger im Gang hatten dessen Wirkung schon mehrfach miterlebt. Sie konnten nur erahnen, wie gerade scharenweise Dämonen unter diesem vernichtenden Angriff zerschmolzen.

Kaum hatte Tiago zu Ende gesprochen, folgte auch schon eine unglaubliche Geräuschkaskade, die den Boden erbeben ließ und deren Explosionen die Wände des Gangs vermutlich bis nach Menzoberranzan erschütterten. Noch in dieser Entfernung – einige Hundert Schritte vom Kampf entfernt – spürte Braelin die Hitze der magischen Feuersbrunst. Er lockerte den Griff um seine Schwerter ein wenig, denn momentan konnte er sich kaum vorstellen, dass irgendein Dämon an diesem Ende aus dem Schlachtfeld stürmen würde.

»Der Magieangriff neigt sich also dem Ende zu«, fügte Tiago hinzu, als das Rütteln schließlich verebbte. So wie Zauberer bei einer Feier gern auf das grandiose Finale setzten, hielten sie es auch im realen Kampf.

Braelin nickte. Ravel hatte ihnen vorab erzählt, dass das Blitznetz zuschlagen würde, sobald das Gemetzel in der Höhle nachließ, und das nun wachsende Getöse bestätigte dies. Aller Wahrscheinlichkeit nach war die Verstärkung der Dämonen zu einem Rinnsal geschrumpft. Deshalb hatten die Zauberer und Priesterinnen ihren letzten großen Trumpf gezückt.

»Die Schlacht in der Höhle geht zu Ende!«, rief Tiago.

Sein Schrei wurde wie ein unumstrittener Befehl in alle Reihen seines Regiments weitergegeben. Als Waffenmeister, der an diesem Tag den Haupttrupp anführte, hatte Tiago die Befehlsgewalt über alle Krieger in seiner Nähe, in diesem Fall knapp hundert Drow-Soldaten sowie die zehnfache Menge Sklaven: Orks, Goblins, Grottenschrate und Kobolde.

Braelin hörte genau zu, als Tiago Anordnungen brüllte, Gruppen platzierte und die Trupps organisierte, die vorrücken und den Rückzug derjenigen Zauberer oder Priesterinnen decken sollten, die nicht durch Magie aus der Höhle fliehen konnten. Natürlich gab es Dimensionstore, über die viele in die Stadt zurückkehren konnten, aber die waren den zusätzlichen Zauberkundigen vorbehalten, die für den Hinterhalt hierherbeordert worden waren. Viele andere, darunter die aus Haus Do’Urden, waren den Kampftruppen zugeteilt worden und würden daher bald zurückkehren, um sich ebenfalls Tiago zu unterstellen.

Was Braelin an Tiagos Befehlsschwall am meisten irritierte, war der Tonfall des Waffenmeisters. Offenbar war Tiago mit dem Verlauf der Ereignisse ganz und gar nicht zufrieden. Diese Kombination aus Herrschsucht und Frustration war Braelin von Anfang an aufgefallen. Vor einigen Stunden hatte Braelins Partner Valas Hune sie kontaktiert, einer der besten Späher von Bregan D’aerthe. Er hatte berichtet, welch gewaltige Dämonenstreitkraft auf sie zurollte. Nach dieser Information waren die Ereignisse des Tages wichtiger gewesen als Tiago und hatten magische Beratungen mit den Herrscherinnen der Stadt verlangt. Sorcere hatte sämtliche Zauberer geschickt. Aus Arach-Tinilith waren alle angehenden Priesterinnen gekommen, und viele führende Häuser, auch Baenre und Barrison Del’Armgo, hatten eine Abordnung ihrer besten Zauberkundigen bereitgestellt.

Deshalb saß Tiago jetzt hier hinten in seinem friedlichen Gang und umklammerte sein blitzblankes Schwert, während dank des Überfalls in der Höhle dort vorne ein bahnbrechender Sieg errungen wurde. Es verblüffte Braelin, wie verzweifelt dieser Waffenmeister sich nach dem Kampf sehnte. Einem Kampf gegen Dämonen!

Er kochte vor Zorn, und Braelin wusste, dass all dies darauf zurückging, dass es Tiago nicht gelungen war, den Kopf von Drizzt Do’Urden zu präsentieren.

Im Gang vor ihnen wurde es unruhig. Die Zauberkundigen kehrten zurück. Zuerst kamen die Priesterinnen, die wenig Eile an den Tag legten und so bestätigten, dass die Schlacht in der Höhle praktisch gewonnen war – was Tiagos Miene nur noch finsterer werden ließ. Unter ihnen befand sich auch Tiagos Frau, Saribel Do’Urden. Die Priesterinnen liefen an Tiago, Braelin und den anderen Befehlshabern vorbei und bezogen in dritter Reihe Position, wo sie nahe genug waren, um die Verwundeten zu heilen.

Nach ihnen folgten mit schnellem Schritt die Zauberer, von denen die hinteren sich immer wieder nervös umsahen. Sie wurden von Ravel und von Jaemas Xorlarrin angeführt, der angeblich der jüngste Zuwachs des Hofes Do’Urden war. Beide blieben stehen, als sie Tiago erreichten. Jaemas wies die anderen mit einem Zeichen an, in der zweiten Reihe hinter den Kriegern aufzumarschieren.

»Eine solche Horde habe ich noch nie gesehen«, sagte Ravel zu Tiago. »Wir haben sie zu Hunderten niedergemäht, aber es kamen immer wieder neue.«

»Einfach immer mehr!«, rief Jaemas ähnlich erschüttert. »Sie marschierten blindlings über die Körper von Dutzenden, ach was, Hunderten anderer Abgrundbewohner, bis auch sie vernichtet wurden. Die ganze Höhle ist von stapelweise leeren Hüllen heimgeschickter Dämonen übersät.«

Ravel wollte etwas hinzufügen, konnte aber nur noch den Kopf schütteln.

»Aber es sind noch welche übrig?«, fragte Tiago. Für Braelin und jeden anderen, der seine Worte hörte, war offensichtlich, dass er sich ein Ja erhoffte.

»In den Herrenstraßen jenseits der Höhle wurden Balgura gesichtet«, antwortete Ravel. »Sie hetzten ihren Gefährten in den Untergang nach.«

Braelin versuchte noch schnell, seinen Seufzer in ein Husten umzuwandeln, doch als Tiago ihn böse ansah, wusste er, dass dies misslungen war. Wie jeder Drow, der in Menzoberranzan aufgewachsen war, hatte er natürlich schon mit Dämonen gekämpft. Balgura zählten allerdings zu den Gegnern, die er am wenigsten mochte. Wie eine Art Scherz der Götter glichen sie großen Menschenaffen mit orangefarbenem Fell und dicken Gliedmaßen. Trotz ihrer imponierenden Größe und der damit einhergehenden Kraft waren Balgura überraschend beweglich und schnell.

Schon einer allein war ein gefährlicher Gegner, doch die heulenden Ungetüme jagten im Rudel und kämpften in koordinierter Raserei.

Rasend, das war für Braelin das passende Wort für diese speziellen Dämonen.

Kreischende Laute, die von den Tunnelwänden widerhallten, rissen den Drow aus seinen Gedanken.

»Sie haben das Blutbad in der Höhle entdeckt«, sagte Ravel. »Erstaunlich, dass sie nicht zurückscheuen, wenn sie über stapelweise tote Kameraden klettern müssen.«

»Perfekte Soldaten«, erwiderte Tiago. »Ein Jammer, dass unsere eigenen Leute kaum mal vergleichbare Raserei an den Tag legen.«

»Sind Euch gegen diese Gruppe die Tricks ausgegangen?«, wagte Braelin zu fragen. »Balgura erledigt man besser durch Magie als durch das Schwert.«

Tiago funkelte ihn erneut wütend an.

»Alles ist durch Magie besser zu erledigen«, erwiderte Ravel wegwerfend und ging mit einem dramatischen Seufzer davon.

Mit finsterer Miene sah Tiago dem Zauberer nach. »Ihr seid nur wegen Jarlaxles Zusicherungen mein Kampfpartner«, sagte er zu Braelin. »Und sind diese Zusicherungen etwa wertlos? Wäre es für uns beide womöglich besser, wenn ich Euch einem anderen Krieger zuweisen würde?«

Braelin starrte den Sprössling von Haus Baenre lange an. Am liebsten hätte er Tiago beim Wort genommen, obwohl er wusste, dass das keine echte Frage war, sondern vielmehr eine Drohung. Dennoch wäre es in so vielerlei Hinsicht eine Erleichterung, Tiago los zu sein.

Doch leider konnte der Bregan-D’aerthe-Krieger die Tatsachen nicht ignorieren: Es gab in Haus Do’Urden keinen besseren Krieger. Nicht einmal annähernd. Tatsächlich war kaum jemand in Menzoberranzan Tiagos Kampfkunst gewachsen. Vielleicht noch Malagdorl oder Jarlaxle, wenn dieser in der Stadt weilte. Aber das war selten der Fall. Gab es davon abgesehen überhaupt Krieger oder auch Waffenmeister, die sich in der Schlacht besser schlagen würden als dieser junge ehrgeizige Adlige an seiner Seite?

»Selbstverständlich nicht«, antwortete Braelin und neigte höflich den Kopf. »Ich werde Euch beweisen, was ich wert bin, wenn die Steine blutig werden.«

Das war sein Ernst, und er wusste, dass ihm keine andere Wahl blieb. Tiago hatte ihn nicht bei sich, weil er Jarlaxle einen Gefallen tun wollte – soweit Braelin das beurteilen konnte, war der Söldnerführer dem Krieger ziemlich gleichgültig. Er hatte Braelin nur deshalb als Rückendeckung akzeptiert, weil Jarlaxle ihm versichert hatte, dass er keinen würdigeren Kampfgefährten finden könnte. Jetzt stand Braelin in der Pflicht, dieser Einschätzung gerecht zu werden.

Es konnte im Übrigen durchaus sein, dass Tiago ihn als Kampfpartner akzeptiert hatte, weil er Jarlaxles Augen und Ohren in Haus Do’Urden genau beaufsichtigen wollte.

Dieser beunruhigende Gedanke erinnerte Braelin deutlich daran, dass Tiago vermutlich einen Weg finden würde, ihn im Kampf umkommen zu lassen, wenn er sich nicht wacker schlug. Womöglich würde der Krieger diese Aufgabe sogar selbst übernehmen, wenn ein Balgura es nicht schaffte.

Braelin zweifelte nicht daran, als er Tiago noch einmal ins Gesicht sah.

Die Schreie der anrückenden Dämonen wurden lauter, und Braelin verdrängte den beunruhigenden Gedankengang. Jetzt, wo die Schlacht bevorstand und sein Leben davon abhing, wie gut er mit Tiago zusammenarbeitete, war kein Raum für derartige Zweifel.

»Frau!« Tiago drehte sich um und winkte Saribel nach vorne. Er fuhr gerade rechtzeitig zurück, um sich hinter seinen Schild zu ducken und einen vorschnellenden Balgura damit abzufangen. Das Gewicht des Angriffs ließ ihn zurückweichen, wobei der Dämon mit ihm an Braelins rechter Flanke vorbeirutschte.

Braelin stach mit dem Schwert in seiner rechten Hand zu und kämpfte gleichzeitig gegen den Ansturm eines zweiten, tobenden Dämons mit orangefarbenem Pelz an.

Der Balgura rechts von ihm zischte und fauchte wütend, als das Schwert tief in seinen Leib fuhr, aber der scheinbar tödliche Streich brachte die Kreatur nicht zu Fall. Sie schien den Treffer nicht einmal zu bemerken, als sie sich jetzt gegen Braelin wandte.

Dann jedoch kam Tiago hinter seinem ungewöhnlichen, prächtigen Schild hervor, um dem verletzten Dämon mit seinem herrlichen Schwert mit einem Schlag den Kopf zu spalten.

Braelin gelang es irgendwie, die Klauen des Dämons vor ihm abzuwehren und dabei sein Schwert aus den Rippen des fallenden Balgura zu ziehen. Nachdem er wieder beide Waffen bereithielt, konnte er seinen wilden Angreifer rasch in die Defensive drängen.

Tiago schoss an ihm vorbei. »Vorwärts!«, schrie er.

Braelin wollte widersprechen, denn er konnte gerade nirgendwohin, aber da blitzte Tiagos Schwert unter seinem Schild hervor und stach Braelins Gegner in die Seite. Seine Klinge, Vidrinath, war so scharf, dass Tiago nur einmal ausholen musste, um den Leib des dicken Dämons mit einem Schlag beinahe in zwei Hälften zu teilen.

Braelin keuchte verblüfft auf und konnte nicht Schritt halten, als Tiago sich dem nahenden Dämonenschwarm entgegenwarf, die sich ihrerseits auf ihn stürzten.

Er trat die Klauen seines Gegners beiseite, die noch nach ihm schlugen, und ging auf ein Knie, um einen Balgura, der nach ihm sprang, mit beiden Schwertern einen Stoß von unten zu versetzen. Beim Landen auf seinen zerfetzten Füßen geriet der Dämon ins Straucheln und war damit leichte Beute für die Drow-Krieger der nächsten Reihe.

Zufrieden über dieses schlaue Manöver rückte Braelin erneut vor. Seine Selbstzufriedenheit verflog, und er vergaß beinahe, dass er im Kampf stand, als er die Bewegungen von Tiago Baenre Do’Urden bemerkte. Denn dieser Adlige war seinen wilden Gegnern mehr als gewachsen. Er schnellte in jedwede Richtung, schlug mit seinem wundersamen Schild nach Klauen und schnappenden Mäulern und nahm dabei einem Dämon nach dem anderen mit Vidrinath das Leben.

Da Braelin sich einem weiteren Dämon stellen musste, verlor er Tiagos Vorrücken aus den Augen. Erst als sein Balgura endlich tot war, konnte Braelin wieder nach dem umherwirbelnden Tiago Ausschau halten. Ungläubig schüttelte er den Kopf, denn für jeden Angriff, den Tiago abwehrte, nahm der Krieger einen oder zwei Treffer in Kauf.

An Tiagos Arm klaffte eine Wunde auf, die ihn beinahe Vidrinath gekostet hätte, sich aber fast im selben Moment wieder schloss.

Braelin warf einen Blick nach hinten, von wo aus Tiagos Frau, Hohepriesterin Saribel, ihren Mann unablässig mit Heilsprüchen eindeckte. Sie konzentrierte sich einzig und allein auf den edlen Sohn des Hauses Baenre, dem ganze Wogen von Lolths Heilmagie zuflossen.

Und Tiago schien ganz auf sie zu vertrauen. Er hatte seinen Kampfpartner zurückgelassen und sich todesmutig auf die gefährlichen Feinde gestürzt. Falls Saribel ihn sterben ließ, würde Oberinmutter Quenthel Baenre keine Gnade kennen.

Diese Erkenntnis und das Begreifen, dass Tiago dies von langer Hand geplant hatte, brachte Braelin auf einen bestürzenden Gedanken. Tiago schien ihn als Schutz für seine Flanke nicht zu brauchen. Aber konnte er von sich dasselbe behaupten? Er hatte keine persönliche Priesterin zur Verfügung, die ihm unbegrenzte Heilung spendete.

Und selbst wenn er jetzt zu Haus Do’Urden gehörte – stimmte das auch wirklich? Braelin Janquay war ein Vertreter von Bregan D’aerthe, der Jarlaxle unterstand und ihm gegenüber loyal war.

Das dürfte Tiago wissen.

Damit war es Tiago gleichgültig, ob Braelin in diesem Gang vor Menzoberranzan umkam.

Vielleicht wäre es ihm sogar ganz recht. Womöglich hoffte er, dass sein Vorstoß Braelin das Leben kostete.

Jeder Gedanke daran, den Baenre-Anführer einzuholen, verflog. Braelin rüstete sich zur Verteidigung und ließ die Monster kommen.

Tiago rollte seitlich über einen der geduckten, affenartigen Dämonen hinweg und fühlte den scharfen Schmerz, als der Balgura ihm fest in die Hüfte biss. Seine kostbare Rüstung aus Adamant verhinderte ein tieferes Eindringen der Zähne, doch der Schmerz war brutal.

Dem heißen Schmerz folge sofort die Ekstase heilender Wärme dank der Umarmung der Göttin.

Nachdem der Krieger über den Kopf des Balgura gerollt war, drehte er sich um, und als der Affendämon ihm folgen wollte, schnitt Tiagos Schwert ihn vom Bauch bis zur Kehle auf. Ein hoher Querschlag von Vidrinath kostete den nächsten Dämon in der Reihe den Kopf.

Tiago lachte laut, während sich drei weitere Balgura auf ihn warfen, um ihn unter ihrem Gewicht zu begraben, denn nun hatte er seinerseits Braelin Janquay bemerkt.

Braelin war bewusst, dass Tiago ihn als entbehrlich einstufte, und genau diese Botschaft wollte der ehrgeizige junge Waffenmeister Jarlaxle übermitteln.

»Bregan D’aerthe«, zischte er unter dem Ansturm der Klauen und Zähne hervor, die sein jetzt voll ausgefahrener magischer Schild weitgehend von ihm fernhielt, während sein Schwertarm durch die Blößen hindurchschoss und die Dämonen immer wieder erwischte.

Und der Schmerz ließ nicht nach, denn auch die Krallen und Mäuler fanden immer wieder ihr Ziel. Und der junge Drow, der in Saribels wohltuenden Heilsprüchen schwelgte, erlebte wahre Ekstase.

Saribel konnte nur darauf hoffen, dass ihre verzweifelten, unermüdlichen Anstrengungen ausreichten, um Tiago vor echtem Schaden oder gar dem Tod zu bewahren. Wenn er hier starb, würde die Priesterin sich lieber selbst das Leben nehmen, als sich dem Zorn der Oberinmutter zu stellen.

Das tat Tiago ihr absichtlich an – er zwang sie in seinen Dienst. Was sie hier für ihn tat, würde ihr später keine Dankbarkeit einbringen, kein Lob, nicht einmal zärtliche Anerkennung. Sie würde stets nur seine Verachtung kennen. Für immer.

»Bis ich Oberinmutter von Haus Do’Urden bin«, sprach sie sich zwischen ihren Sprüchen selbst Mut zu, und während sie den nächsten Heilzauber herauspresste, nickte sie entschlossen. Mit Geduld und Stärke würde sie die Oberhand gewinnen.

Oder sollte sie ihn vielleicht einfach da draußen umkommen lassen? Es war nur ein kurzer Gedanke. Wie leicht könnte sie ihre Heilzauber unterbrechen und ihn von den Dämonen in Fetzen reißen lassen!

Doch diese Anwandlung war sogleich vorüber, und das nicht nur, weil sein Tod ihr eigenes Leben in Gefahr brächte. Seit Saribel Tiago geheiratet hatte, gehörte sie nicht nur Haus Do’Urden, sondern auch Haus Baenre an, und das wollte sie keinesfalls gefährden.

Einen Augenblick darauf war der Gedanke ganz verflogen, denn jetzt sprach sich herum, dass die Oberinmutter persönlich nahte.

Saribel verdoppelte ihre Bemühungen. Mit jedem Atemzug arbeitete sie am jeweils nächsten Heilspruch und erfüllte Tiago mit dem Segen von Lolth.

»Was macht dieser Narr?«, hörte sie hinter sich die Stimme der gefährlichen Quenthel Baenre.

In der Luft erschienen Feuerkugeln. Glorreiche Flammen, heißer als das Höllenfeuer, die in tödlicher Folge herabrasten und rund um den jungen Waffenmeister Dämonen einäscherten.

Mit einem Schlag mähte Vidrinath den letzten nieder, den Tiago erreichen konnte. Er fuhr herum. Auf seinem Gesicht zeichnete sich wütende Empörung ab, doch seine Miene veränderte sich, als er Oberinmutter Quenthel wahrnahm.

Höchstpersönlich.

Quenthel winkte Braelin nach vorn.

»Er ist sehr waghalsig«, flüsterte sie Saribel zu, während sie sich zum Gehen wandte. »Und ehrgeizig.« Sie blieb stehen, weil sie Saribels Blick wahrnahm. »Er ist genial«, sagte Quenthel. »Und Ihr bringt ihn mir unversehrt zurück.«

Saribel war klug genug, sich lieber auf ihre Heilzauber zu konzentrieren, als die Oberinmutter auch nur offiziell zur Kenntnis zu nehmen.

Quenthel Baenre zog sich nicht durch Magie vom Schauplatz zurück, wie man es von einer so mächtigen und wichtigen Persönlichkeit hätte erwarten können. Vielmehr marschierte sie offen durch die Gänge der Herrenwege nach Menzoberranzan zurück, links der Klauenspalt und rechts die riesige seitliche Höhle mit dem Tier Breche. Der glorreiche Sieg in den Tunneln hatte sich natürlich schon herumgesprochen, daher wollte sie, dass alle sehen konnten, wie sie demütig und ruhmreich zugleich von diesem Triumph zurückkehrte.

Im hinteren Bereich der Haupthöhle erwartete sie wie befohlen ihre Schwester, die Hohepriesterin Sos’Umptu Baenre, mit einem Teil der Garnison des Hauses Baenre. Das Kontingent war stark genug, um eine rivalisierende Oberinmutter von jeglichen Hoffnungen auf einen schnellen Mord abzuschrecken.

Auf dem gesamten Rückweg wurde den Baenres zugejubelt. Oberinmutter Quenthel badete in diesem Jubel, denn ihr war bewusst, dass diese Parade keineswegs überflüssig, sondern für den Ruhm ihres Hauses erforderlich war. Und dabei wurde sie die ganze Zeit an den Schaden erinnert, der ihrer geliebten Stadt widerfahren war.

Eine Zerstörung, die sie der Idiotie ihres verschwundenen Bruders verdankten.

Quenthel wusste, dass Gromph den Dämonenfürsten unangekündigt nach Menzoberranzan gerufen hatte.

Inzwischen war der monströse Riese abgezogen, aber er hatte einen Pfad absoluter Verwüstung hinterlassen. Demogorgons peitschender Schwanz hatte sich so tief in die Wände von Sorcere gegraben, dass wichtige Teile des Gebäudes einsturzgefährdet waren. Er hatte die Tore und Wände etlicher Häuser niedergerissen, darunter zwei führende Häuser, deren Oberinmütter einen Platz im Herrschenden Konzil hatten.

Zudem hatte Demogorgon ohne ersichtlichen Grund – nur weil er es konnte – einen Graben durch die halbe Stadt und zurück gezogen, der bis zu diesem Ausgang ins ungezähmte Unterreich führte.

Sein Durchmarsch hatte viele Drow das Leben gekostet, denn Demogorgons peitschende Tentakel hatten unglückselige Dunkelelfen gepackt, die der Dämonenfürst gefressen oder durch die halbe Stadt geschleudert hatte, um sie an einem Stalakmiten oder Stalaktiten zu zerschmettern. Viele andere hatten sich selbst die Augen ausgerissen, weil der Blick des gottgleichen Dämons sie in den Wahnsinn getrieben hatte.

Und das alles wegen Gromph.

Quenthel konnte ihr Knurren kaum unterdrücken.

»Draußen in den Höhlen gab es noch stärkere Dämonen als die Manen und Balgura«, teilte Sos’Umptu ihr mit. Damit hatte Quenthel bereits gerechnet.

»Haben Eure Priesterinnen sie gesichtet?«

»Ja. Sie lauern hinter der runden Höhle.«

»Kennen wir ihre Namen?«

Sos’Umptu nickte. »Ja, sie sind bekannt.«

»Und?«

»Die Bannsprüche versagen«, gestand Sos’Umptu.

Quenthel blieb stehen und starrte die Priesterin an.

Sos’Umptu konnte nur mit den Schultern zucken.

»Ihr hättet draußen bei den Priesterinnen sein sollen«, sagte Quenthel. Ihr Tonfall verriet echte Besorgnis.

»Es waren viele hochrangige Priesterinnen in der Höhle«, erwiderte Sos’Umptu, die wie üblich keine eigenen Gefühle preisgab. »Ihre Sprüche sind ebenso mächtig wie meine. Sie kennen die Namen der Dämonen, konnten die Ungeheuer jedoch nicht verbannen.«

»Sie haben sie nicht richtig identifiziert …«

»Nein«, unterbrach Sos’Umptu mutig. »Es ist das eingetreten, was wir befürchtet hatten, Oberinmutter. Die Schranke des Faerzress ist in sich geschädigt. Die Dämonen lassen sich nicht mehr verbannen.«

Quenthel wandte sich ab und starrte lieber auf den Wohnsitz von Haus Baenre, der sie erwartete. Ihrer Miene nach versuchte sie noch, diese ebenso überraschenden wie gefährlichen Neuigkeiten zu verarbeiten.

»Aber wir können sie töten«, bot Sos’Umptu an. »Wenn wir in Eure Gemächer zurückkehren, werde ich die runde Höhle, in der die Schlacht begann, über einen Hellsichtigkeitszauber aufrufen. Ihr werdet sehen, Oberinmutter, dort liegen die Ungeheuer stapelweise, lauter leere, zerstörte Hüllen.«

Quenthel starrte sie ungläubig an.

»Wir haben gesiegt!«, betonte Sos’Umptu und bemühte sich glaubhaft darum, so zu tun, als wäre ihr dies wichtig. »Ein glorreicher Sieg! Kaum eines unserer Kinder aus Menzoberranzan wurde verwundet, noch weniger wurden getötet, und die Dämonen sind in Scharen gestorben.«

Quenthels Gesicht wurde noch ungläubiger. »Das heißt, tausend Kreaturen aus dem Abgrund sind tot?«, vergewisserte sie sich.

»Eher doppelt so viele«, erwiderte Sos’Umptu.

»Meine liebe Sos’Umptu, das sind Dämonen. Glaubt Ihr, dem Abgrund könnten die Dämonen ausgehen?«

Erschöpft betrat Minolin Fey das Kinderzimmer in ihrem Privatbereich in Haus Baenre. Sie blieb wie angewurzelt stehen, als sie sah, dass eine junge Frau an Yvonnels Bettchen stand.

»Wer …?«, hob sie an, brach jedoch ab und riss die Augen auf, als die Frau, die nicht einmal zwanzig Jahre zählen mochte, sich umdrehte und sie mit einem bösen, selbstzufriedenen Lächeln bedachte.

»Ist Euch das nicht genehm, Mutter?«, fragte das Mädchen. Es war wirklich Yvonnel.

»Wie …?«

»Ein einfacher Zauber, wenn auch schon ziemlich alt«, erklärte Yvonnel. »Eine Version eines kleinen Hast-Tricks von Zauberern aus der Zeit vor der Zauberpest, ja sogar vor der Zeit der Unruhen. Er ist wunderbar, weil er die Bewegungen und Angriffe dessen, auf den er gelegt wird, beschleunigt. Eine bedauernswerte – in meinem Fall begrüßenswerte – Nebenwirkung ist allerdings, dass der Empfänger jedes Mal um ein Jahr altert.«

Minolin Fey hörte ihrer Erklärung nur mit halbem Ohr zu, so bezaubert war sie von der Schönheit und Anmut der jungen Frau. Wahre Schönheit, die über alles hinausging, was sie sich je hätte vorstellen können. Yvonnel war geradezu schmerzhaft schön. Wer sie ansah, musste verzweifeln, denn niemand konnte so schön sein wie sie. Ihre Haut glänzte so hinreißend, als wären darin Satin und Stahl verwoben – zart und doch unglaublich stark. Ihre sanfte Berührung würde bei dem, den sie verführen wollte, jeden Nerv ansprechen, selbst wenn sich dabei ihre Finger um den Hals des stöhnenden Opfers schlossen.

»Hast«, sagte Yvonnel plötzlich und nachdrücklicher, was Minolin Fey aus ihrer Fassungslosigkeit riss.

»Ihr … Ihr seid in der arkanen Kunst bewandert?«, stammelte Minolin Fey.

Die junge Frau lachte ihr ins Gesicht. »Ich bin eins mit der Spinnenkönigin, die danach strebte, das Gewebe für sich zu erobern. Oder habt Ihr das vergessen?«

»N…nein«, stotterte Minolin Fey, während sie versuchte, diese Aussage zu begreifen. Yvonnel behauptete, eins mit der Spinnenkönigin zu sein? Kannte ihr Ehrgeiz denn keinerlei Grenzen?

»Ihr seid häufig überwältigt«, stellte Yvonnel mit einem boshaften Lachen fest. »Aber das macht nichts. Eure wichtigsten Pflichten habt Ihr bereits hinter Euch.«

Minolin Fey merkte, dass sie verwundert dreinblickte.

»Ich bin geboren. Und offensichtlich entwöhnt«, erklärte Yvonnel. »Ich brauche nicht mehr an Eurer Brust zu liegen und habe kein Bedürfnis mehr danach. Zumindest nicht um der Nahrung willen.«

Bei diesen Worten bekam die Hohepriesterin weiche Knie. So abstoßend ihr der Gedanke auch erschien – sie wusste, dass sie Yvonnel unmöglich etwas abschlagen konnte, was es auch sein mochte. In diesem Augenblick musste Minolin Fey ihre gesamte Willenskraft aufbieten, um sich nicht vor Yvonnel niederzuwerfen und sie anzuflehen, sie zu nehmen, sie zu töten oder mit ihr zu tun, was immer ihr beliebte.

In diesem Moment des Entsetzens – nicht nur vor Yvonnel, sondern auch vor ihrer eigenen Schwäche angesichts dieses mächtigen Geschöpfes – erkannte Minolin Fey vollauf an, dass dieses Mädchen tatsächlich eins mit der Spinnenkönigin war.

Denn das war sie. Es war so offensichtlich. Vor der Priesterin stand kein Kind, auch nicht ein Kind, dem die Erinnerungen von Yvonnel der Ewigen eingeflößt worden waren. Nein, das hier war mehr.

Mit täuschend kindlichem Lachen vollführte Yvonnel verschiedene Bewegungen, zu denen sie leise Worte anstimmte. Ein sanftes Leuchten legte sich über sie, und ihr Haar, das schon jetzt dicht über den halben Rücken wallte, wurde etwas länger und lockte sich an den Spitzen.

»Jetzt bin ich volle zwanzig Jahre alt«, sagte sie. »Meint Ihr, die jungen Krieger finden mich attraktiv?«

Minolin hätte am liebsten geantwortet, dass jedes lebende Wesen sie anbeten würde. Kein Drow von Menzoberranzan oder in der ganzen Welt würde ihr länger als einen Herzschlag widerstehen können.

»Fünfundzwanzig, würde ich sagen«, bemerkte Yvonnel.

Minolin Fey sah sie verwirrt an.

»Fünfundzwanzig Jahre«, erklärte das Mädchen. »Ich brauche ein Alter, das mir den nötigen Respekt verschafft, aber auch perfekte Schönheit und Sinnlichkeit ausstrahlt.«

»Gibt es denn ein Alter, in dem Ihr nicht beides verkörpern würdet?«, hörte Minolin Fey sich sagen.

Yvonnels Grinsen verriet der Hohepriesterin, dass sie ganz offensichtlich im Netz ihrer Tochter gefangen saß.

»Ihr werdet Euch gut schlagen, wenn ich Oberinmutter bin«, sagte Yvonnel.

»Ich bin …« Minolin Fey kam sich vor, als hätte sie gerade eine Gnadenfrist bekommen. »Ich bin Eure Mutter«, nickte sie eifrig und stammelte: »Mein Stolz …«

Das Mädchen bewegte die Hand, und obwohl es auf der anderen Seite des Raumes stand, traf die magische Ohrfeige Minolin Fey so hart, dass sie zur Seite taumelte.

»Schluss damit«, sagte Yvonnel. »Diese Pflicht liegt hinter Euch. Sie ist vorbei. Ihr werdet überleben, und es wird Euch gut gehen. Oder Ihr werdet scheitern. Je nachdem, wie treu Ihr mir dient. Nichts hält mich davon ab, Euch zu vernichten.«

Minolin Fey schlug die Augen nieder und starrte auf den Boden, während sie nach einem Ausweg suchte.

Doch dann fühlte sie zärtliche Berührung am Kinn – und was für eine Berührung! Tausend Flammen des Entzückens loderten in ihr auf, als Yvonnel ihr Gesicht mit Leichtigkeit anhob, um ihr in die Augen zu blicken. Angesichts dieser strahlenden Schönheit fürchtete Minolin Fey zu erblinden.

»Aber einen Vorteil habt Ihr, Priesterin«, sagte das Mädchen. »Ich weiß, dass ich Euch trauen kann. Zeigt mir, dass ich auch Eure Dienste respektieren sollte, und Ihr werdet in Haus Baenre ein wunderbares Leben haben. Ein Leben in Genuss und Luxus.«

Minolin Fey rüstete sich für den nächsten Schlag, die nächste brutale Erinnerung daran, wie schnell es mit der Gunst vorbei sein konnte.

Doch er kam nicht. Stattdessen strich Yvonnel mit den Fingerspitzen sanft über Minolin Feys Wange, und diese unglaublich sanfte Berührung, die jeden Nerv zum Schwingen brachte und die reine Wonne war, vermittelte Minolin Fey ein Gefühl reiner Ekstase.

»Kommt«, sagte Yvonnel. »Es wird Zeit, dass Quenthel die Wahrheit über ihre Nichte erfährt.«

»Ihr wünscht eine Audienz bei der Oberinmutter?«

»Ihr werdet mir sofort zu diesem Treffen verhelfen«, antwortete das Mädchen. »Ich gebe Euch diesen einen Auftrag. Enttäuscht mich nicht.«

Minolin Fey hielt den Atem an. Jetzt saß sie in der Falle. Yvonnels Wortwahl verriet deutlich, dass es zwar momentan nur dieseneinenAuftrag gab, doch auf die Dauer würde ein endloser Strom weiterer Aufgaben folgen. Und der sehr deutliche Nachsatz warnte Minolin Fey nicht nur vor einem Versagen, sondern zeigte der Hohepriesterin unverblümt, dass dieses gefährliche Kind ein Versagen nicht akzeptierte.

Die ungewöhnliche kleine Tochter, die sie zur Welt gebracht hatte, versprach großen Lohn und perfekten Schmerz, was ebenso verlockend wie erschreckend war.

Schlimm genug für Minolin Fey, dass sie nun, da Gromph verschwunden war, völlig von der Duldung durch Oberinmutter Quenthel abhängig war. Noch schlimmer aber war die Vorstellung, dass sie in Zukunft womöglich ganz auf dieses gefährliche Kind setzen musste, ob es nun eine Reinkarnation von Yvonnel der Ewigen oder ein Avatar der Herrin Lolth oder eine spezielle Mischung aus beidem war.

Gefährlich. Unglaublich gefährlich.

»Wen führt Ihr einfach so in meine Privatgemächer?«, fragte Quenthel, als Minolin Fey unangekündigt ihre Räume in Haus Baenre betrat.

»Seht genau hin«, verlangte die junge Drow-Frau und hob die Hand, um der Hohepriesterin das Wort abzuschneiden. Diese Geste stieß Quenthel deutlicher auf die Wahrheit als ihre unglaubliche Schönheit, und Yvonnel genoss den Gesichtsausdruck der Oberinmutter.

»Wie … wie ist das möglich?«, stammelte Quenthel.

»Ihr wurdet von einem abtrünnigen Drow erschlagen, der noch am Leben ist, und dennoch lebt auch Ihr noch immer«, erwiderte die junge Frau. »Und da fragt Ihr mich, wie es möglich sein soll, ein paar Jahre Alterung zu beschleunigen? Haltet Ihr das etwa für unmöglich, Tante?«

Ihre Unverschämtheit, sie als »Tante« zu titulieren, ließ Quenthels Augen wütend aufflackern. Sie war die Oberinmutter von Menzoberranzan!

»Ist Euer Verständnis für die heilige und profane Magie so begrenzt, dass Euch ein so einfaches Unterfangen unmöglich erscheint?«, bohrte Yvonnel weiter und konnte ein böses Lächeln nicht unterdrücken, als Minolin Fey bei dieser Beleidigung nach Luft schnappte.

»Lasst uns allein«, befahl Yvonnel der Hohepriesterin.

»Bleibt!«, brüllte Oberinmutter Quenthel, schon allein, um dieser dreisten jungen Frau zu widersprechen.

Yvonnel warf der verunsicherten Minolin Fey einen Blick zu, die erkennbar eingeschüchtert zu zittern begann. »Geht«, sagte sie leise. »Ich werde hier siegen, und ich versichere Euch, wenn Ihr bleibt, werde ich Euer Zögern nicht vergessen.«

»Ihr bleibt hier«, befahl Quenthel mit fester Stimme. »Oder Ihr bekommt die Geißel der Oberinmutter zu spüren!«

Minolin Fey schluchzte bebend auf und schien kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen.

»Oh, ja, die fünfköpfige Geißel von Quenthel Baenre«, gurrte Yvonnel. »Eine hübschte Waffe für eine Hohepriesterin, aber einer Oberinmutter nicht angemessen. Ich bin sicher, da finde ich etwas Besseres.«

Aufbrausend zückte Quenthel ihre Geißel, deren fünf Schlangenköpfe, in denen jeweils die Essenz eines Teufelchens steckte, sich begierig wiegten.

Yvonnel lachte nur und schickte Minolin Fey hinaus.

Da Quenthel noch mehrere Dutzend Schritt von der Hohepriesterin entfernt stand, griff sie erbost nach ihrer zweiten Waffe, einem magischen Hammer, und holte damit aus.

Als Minolin Fey sich umdrehte, tauchte hinter ihr ein Abbild dieses Hammers auf, der ihre Schulter traf und sie zu Boden warf. Auf allen vieren sah sie sich nach Quenthel um.

Auch Yvonnel starrte Quenthel an. »Ich habe Euch nicht die Erlaubnis gegeben, sie zu bestrafen«, stellte das Mädchen ungerührt fest.

Knurrend holte Quenthel wieder aus, diesmal mit mehr Kraft. Yvonnel kreuzte die Arme vor ihrem Körper und zog sie dann weit auseinander. Wieder tauchte der Hammer auf, aber dieses Mal zielte er auf Yvonnels Gesicht. Doch als das Spektralbild herabkam, traf es auf ein schimmerndes Feld, welches das Mädchen gewirkt hatte. Nach dem Hindurchtauchen kam das Abbild des Hammers vor Quenthel wieder heraus, die aufschrie, als sie von ihrem eigenen harten Schlag ins Gesicht getroffen wurde und zu Boden ging.

Noch immer auf allen vieren, machte Minolin Fey, dass sie fortkam, und gab auf dem Weg zur Tür merkwürdig wimmernde Laute von sich. Nachdem sie draußen war, schlug sie die Tür hinter sich zu.

»Wie könnt Ihr es wagen!«, schrie Quenthel, während sie sich schwankend aufrappelte. Aus einem Nasenloch und über eine Seite ihres Gesichts lief Blut.

»Wagen? Ihr haltet das für einen simplen Trick?«

»Eine Art räumliche Dimensionsumkehr«, fauchte Quenthel, obwohl jedes Wort mit mehr Blut einherging.

»Gegen einen Spektralhammer?«, fragte das Mädchen ungläubig. »Versteht Ihr nicht, wer ich bin?«

Inzwischen hatte Quenthel wieder einen festen Stand und nahm die Schlangenpeitsche zur Hand. Den Hammer hatte sie weggesteckt. Sie näherte sich Yvonnel und knurrte bei jedem Schritt.

Das Mädchen stemmte so frech wie irgend möglich beide Hände in die Hüften und schüttelte seufzend den Kopf. »Muss es denn wirklich so weit kommen?«

»Ihr seid eine Missgeburt!«, schimpfte Quenthel.

»Habt Ihr das Gründungsfest in Haus Byrtyn Fey so schnell vergessen?«

Diesmal blieb die Oberinmutter stehen. Unschlüssig verharrte sie, während ihr Blick den Raum absuchte.

»Erwartet Ihr etwa eine Yochlol?«, spottete Yvonnel.

Jetzt kannten sie beide die Wahrheit.

»Habt nicht Ihr Eurem Bruder aufgetragen, Minolin Fey zur Frau zu nehmen, damit ich als Angehörige von Haus Baenre geboren werde?«, fragte das Mädchen. »Ihr habt mir sogar meinen Namen gegeben, richtig? In der Tat, nur wurdet Ihr entsprechend instruiert. Yvonnel die Ewige, wiedergeboren, um Eure Nachfolge anzutreten, stimmt’s?«

Diesmal sah sich Quenthel nach einem Fluchtweg um.

»Und hier bin ich.«

»Ihr seid ein Kind!«

»Nur körperlich.«

»Nein!«, begehrte Quenthel auf. »Nicht jetzt. Noch nicht! Ihr seid noch nicht alt genug. Selbst wenn Ihr durch Magie körperlich schneller gewachsen seid, seid Ihr noch lange nicht alt genug, um Eure Ausbildung in Arach-Tinilith anzutreten.«

»Ausbildung?«, wiederholte Yvonnel ungläubig lachend. »Meine liebe Quenthel, wer in dieser Stadt sollte mich ausbilden?«

»Welch eine Anmaßung!«, fuhr Quenthel auf, doch ihre Worte klangen wenig überzeugend.

»Yngoth ist die weiseste Schlange aus Eurer Geißel«, stellte Yvonnel fest. »Nur zu, Hohepriesterin. Fragt sie.«

»Hohepriesterin?«, rief Quenthel protestierend. Sie kam näher und holte mit der Peitsche aus.

»Hohepriesterin Quenthel«, lautete die Antwort – aber sie kam nicht von Yvonnel. Sie stammte von einem der Schlangenköpfe, und zwar von Yngoth.

Fassungslos starrte Quenthel die Schlange an.

»Sie hält sich für die Oberinmutter«, sagte Yvonnel zu der Schlange. »Verrate ihr die Wahrheit.«

Yngoth biss Quenthel ins Gesicht.

Quenthel taumelte rückwärts und versuchte, diese Wendung der Ereignisse zu verstehen, war aber nicht schnell genug, die furchtbare Gefahr zu erkennen, in der sie schwebte. Yngoth biss noch einmal zu, aber diesmal senkten auch die anderen vier Köpfe der Peitsche ihre Zähne in Quenthels zartes Fleisch. Brennend raste das Gift durch ihren Körper. Sie hätte die Peitsche wegwerfen müssen, doch in diesem entsetzlichen Moment konnte sie nicht mehr klar denken.

Die Schlangen schlugen wieder zu und dann noch einmal, und jeder Biss enthielt genug Gift, um eine ganze Schwadron Drow zu töten.

Quenthel stolperte. Noch immer hielt sie die Geißel fest, sodass die Schlangen wieder und wieder zubeißen konnten.

Sie fiel nach hinten, die Waffe landete neben ihr, und während sie sich in höchsten Qualen wand, schnappten die Schlangen weiter nach ihr.

Wieder und wieder.

Solche Schmerzen hatte Quenthel noch nie erlebt. Sie flehte um den Tod.

Und durch ihre blutunterlaufenen, verschleierten Augen sah sie das Kind, Yvonnel, das über ihr stand, auf sie herabschaute und sie belächelte.

Von den Rändern ihres Gesichtsfelds aus wurde ihr schwarz vor Augen. Sie sah gerade noch, wie Yvonnel sich herunterbeugte, und fühlte, wie das Mädchen nach den Falten ihres Gewands griff. Als die Dunkelheit sie umfing, fühlte sie sich ganz leicht. Sie musste leicht sein, dachte sie, denn Yvonnel hob sie mit einer Hand einfach vom Boden auf.

In der Schwärze leuchtete ein heller Punkt auf, vielleicht der Tunnel zu den Dämonennetzhöllen. Zur Ewigkeit.

Aber der Punkt wurde größer, und Quenthel hatte das Gefühl, als ob kaltes Wasser über das brennende Gift in ihren Adern gegossen würde. Das war unmöglich! Kein Heilspruch konnte die Wirkung von so viel tödlichem Gift so rasch besiegen.

Dennoch wurde das Licht größer. Quenthel registrierte, dass sie wieder auf ihrem Sessel saß, ihrem Thron. Dem Thron der Oberinmutter. Und dort stand die junge Frau, Yvonnel, die sie anlächelte.

»Versteht Ihr jetzt?«, fragte das Mädchen.

Quenthels Verstand überschlug sich, denn sie befürchtete, Yvonnel könne ihre Gedanken lesen. Sie müsste tot sein. Das Gift jeder ihrer Schlangen hätte einen Dunkelelf getötet. Wiederholte Bisse von allen fünfen hätten einen Dunkelelf binnen Augenblicken umgebracht.

»Ihr lebt«, beantwortete Yvonnel die offensichtlichste Frage. »Aber keine Priesterin hätte Euch ausreichend Heilkraft spenden können, weder heilige noch arkane Magie, um Euch vor dem Gift Eurer Schlangen zu retten.«

Quenthel staunte nur und senkte den Blick, bis ihre Augen an der Geißel – ihrer Geißel – hängen blieben, die jetzt Yvonnel in der Hand hielt. Liebevoll hatten sich die fünf Schlangen um Yvonnels schöne schwarze Arme gewickelt.

»Keine Sorge, ich mache mir eine eigene Geißel«, erklärte Yvonnel. »Darauf freue ich mich sogar schon.«

»Wer seid Ihr?«

»Ihr wisst es.«

Hilflos schüttelte Quenthel den Kopf.

»Ihr fragt Euch, warum Ihr noch am Leben seid«, stellte Yvonnel fest. »Natürlich. Warum auch nicht? Hätte ich Euch nicht lieber sterben lassen sollen? Ah, ich verstehe«, sagte sie mit einem überaus gemeinen Lächeln. »Ihr fürchtet, ich hätte Euch nur vor dem Schlangengift gerettet, damit ich Euch einen noch qualvolleren Tod bescheren kann!«

Unwillkürlich begann Quenthel zu zittern. Sie schnappte nach Luft.

»Vielleicht kommt es irgendwann so weit, aber nötig ist das nicht«, erklärte Yvonnel. »Ihr habt Glück, denn noch möchte ich mich dem Herrschenden Konzil und der Stadt nicht offenbaren. Deshalb wünsche ich Eure Dienste. Seht Ihr, nach außen hin bleibt Ihr in aller Augen die Oberinmutter von Haus Baenre. Nur wir beide wissen es besser.« Bei diesen Worten hielt sie inne und grinste Quenthel an. »Ihr wisst es besser«, stellte sie fest.

Quenthel schluckte hörbar.

»Wer bin ich?« Bei Yvonnels Frage wickelten sich die fünf Schlangenköpfe von Quenthels Peitsche vom Arm des Mädchens und reckten sich bedrohlich zischend in Quenthels Richtung.

»Die Toch…«, begann Quenthel, brach aber ab, als sie sah, dass Qorra, die dritte und giftigste Viper, sich spannte.

»Denkt gründlich nach«, warnte Yvonnel. »Beweist mir, dass Ihr nicht zu dumm seid, meinen Bedürfnissen ernsthaft zu Diensten zu sein.«

Quenthel zwang sich, die Augen zu schließen, um auf die Erinnerungen und die Weisheit von Yvonnel der Ewigen zurückzugreifen.

»Nehmt Euch Zeit, meine Tante, meine Schwester, meine Tochter. Wer bin ich?«

Quenthel schlug die Augen auf. »Ihr seid die Oberinmutter von Menzoberranzan.«

Das Lächeln des Mädchens ließ tausend warme Wogen durch Quenthels Körper laufen, und die Schlangen zogen sich wieder zurück, um sich zärtlich um Yvonnels Arm zu schlingen.

»Das wissen nur wir beide«, betonte Yvonnel. »Beweist mir Euren Wert. Ich werde natürlich mächtige Hohepriesterinnen brauchen, vielleicht auch eine neue Leiterin für Arach-Tinilith. Seid Ihr einer solchen Position würdig?«

Quenthel hätte gern empört entgegnet, dass sie bereits die Oberinmutter war. Wie könnte sie da unwürdig sein?

Doch sie sagte nichts dergleichen. Stattdessen nickte sie lediglich und nahm es hin, dass diese junge Frau – dieses Kind – ihr die Geißel zurückgab.

»Die anderen Häuser verachten Euch«, erklärte Yvonnel, die zur Seite trat, während Quenthel sich zusammenriss und auf ihrem Thron aufrichtete. »Sie verachten den Namen Baenre. Das darf natürlich nicht so bleiben. Sie werden sich verschwören, und wenn die Verschwörung Früchte trägt, werdet Ihr das Ziel sein. Zumindest vorläufig.« Anmutig drehte sie sich um und lächelte breit. »Vielleicht töten sie Euch«, strahlte sie. »Vielleicht aber auch nicht. In diesem Fall – und wenn Ihr mir in den kommenden Zehntagen gut dient – werdet Ihr es überleben. Ihr werdet in meinem Haus Baenre dienen, in meiner Akademie, und Ihr werdet Ehre, Ruhm und große Macht ernten. Ihr seht, ich fürchte Euch nicht, denn jetzt wisst Ihr es, nicht wahr?«

Quenthel nickte.

»Ihr werdet Euch niemals gegen mich stellen, denn nichts, was eine von ihnen Euch antun könnte, wäre so furchtbar wie das, was ich Euch mit Freuden antun würde.«

Yvonnel beugte sich vor und küsste Quenthel auf die Wange. Als sie sich zurückzog, reckten sich die fünf Schlangen aus Quenthels Peitsche an ihre andere Wange und kitzelten sie mit ihren schnellen Zungen.

»Und nun spielt weiter die Oberinmutter«, sagte Yvonnel und zog sich unbeschwert zurück. »Ich werde Euch wissen lassen, wann ich Euch brauche und wofür.«

Und damit war sie verschwunden.

Teil 1

Der Puppenspieler

In jedem gut genutzten Leben kommt der Punkt, an dem der Blick über den nächsten Horizont schweift und sich dem unvermeidlichen Zeitpunkt zuwendet, an dem die eigene sterbliche Hülle Futter für die Würmer wird. Das Leben ist eine Reise, ein wunderbarer Weg inmitten eines solchen Ausmaßes an Zeit und Raum, dass wir es nicht wirklich begreifen können. Darum versuchen wir, wenigstens das zu verstehen, was uns möglich ist. Wir bestellen unsere Ecke der Welt, gestalten sie sicher, wenn wir Glück haben, gründen vielleicht sogar eine Familie als Teil einer größeren Gemeinschaft.

Die unmittelbaren Bedürfnisse und die täglichen Anforderungen, die zu bewältigen sind, verschlingen so viel von unserer Zeit. Jeder kleine Sieg, jede selbst verdiente Mahlzeit und auch die warme Hütte in einer kalten Winternacht vermitteln ein gewisses Maß an Befriedigung.

Das ist der lange Anstieg, doch für diejenigen, die wirklich Glück haben, folgt ein Ort, an dem der Berg bezwungen ist, die Bedürfnisse gestillt sind und der Blick sich weitet. Hier verändert sich die allgegenwärtige Frage eines rationalen Wesens unmerklich von »Was kann ich aufbauen?« zu »Was werde ich hinterlassen?«.

Was ist das Erbe von Drizzt Do’Urden? Was werden diejenigen von mir denken, die sich an meinen Namen erinnern, wenn ich einmal nicht mehr bin? Wie viel besser kann das Leben derer verlaufen, die mir nachfolgen – meiner Kinder vielleicht, wenn Catti-brie und ich wirklich diesen Weg wählen –, weil ich hier war? Ich habe zugesehen, wie Bruenor die Sarkophage von König Connerad und König Emerus aufgestellt hat, deren Körper in ihrer Lavahülle jetzt den Thron von Gauntlgrym flankieren. In Mithril-Halle und Zitadelle Felbarr, ja, in den ganzen Silbermarken, wird man sich noch viele Jahrhunderte an sie erinnern.

Bin ich dazu bestimmt, eine solche Statue zu werden?

Rein praktisch bezweifle ich das, denn ich gehe davon aus, dass ich mein restliches Leben eher außerhalb von Bruenors Reich verbringen werde. Ich werde ihn nie vergessen und er mich auch nicht, natürlich, aber ich spüre, dass meine Zeit an seiner Seite zu Ende geht. Trotz aller Liebe und allem Respekt für König Bruenor möchte ich meine Kinder nicht in einer Zwergenmine aufwachsen lassen. Und auch Catti-brie will das sicher nicht.

Uns stehen alle Wege offen. Zuerst natürlich nach Langsattel, aber das ist nur vorläufig. Was ich in den zweihundert Jahren auf dieser Welt gelernt habe, ist, dass ein paar Jahre keine lange Zeit sind. Dennoch sind sie oft ereignisreich und voller unerwarteter Wendungen. Aber wohin dieser mäandernde Weg mich auch führen mag, mich begleitet inzwischen das Verständnis, dass es bei dieser Reise weit seltener um das geht, was ich tun muss, als um das, was ich tun will.

So viele Möglichkeiten ohne die Ketten, die so viele mit sich herumschleppen. Ich bin ein glücklicher Mann, keine Frage! Heute habe ich die nötigen finanziellen Mittel und meinen Frieden. Ich bin von Liebe umgeben und brauche nur mir selbst Rechenschaft abzulegen – und meiner Frau, weil ich es so möchte.

Was also soll ich tun? Welchen Weg soll ich wählen? Welches Erbe möchte ich hinterlassen?

Das sind gute Fragen, in denen das Versprechen einer ganz speziellen Belohnung steckt, und ich wünschte, jeder Mann und jede Frau jeglicher Abstammung könnte diesen Moment erreichen – einen Zeitpunkt voller Chancen und Wahlmöglichkeiten. Dass ich an diesem luxuriösen Platz bin, ist wahrlich bemerkenswert. Wie hoch war die Chance, dass es einem heimatlosen Drow, einem Abtrünnigen, der durch das wilde Unterreich gejagt wurde, so gut ergeht? Ich wette, sie war nicht groß. Auf meiner Reise habe ich so viele glückliche Wendungen erlebt, Begegnungen mit wunderbaren Freunden und fantastischen Lehrmeistern. Da war mein Vater, Zaknafein, aber auch Montolio deBrouchee. Und Catti-brie, die mir half, mein Herz zu finden und einen Mut ganz anderer Art, den Mut, hartnäckig an einem Ort zu leben, wo meinesgleichen nicht willkommen ist.

Und Bruenor, ja, Bruenor. Vor allem womöglich Bruenor. Es ist unfassbar, dass ich mich mit einem Zwergenkönig anfreunden durfte und wie ein Bruder aufgenommen wurde. Ja, die Freundschaft war gegenseitig. Ich habe Bruenor geholfen, seinen Thron wiederzugewinnen, und ihn bei der Lebensaufgabe begleitet, sein Volk in der uralten Heimat Gauntlgrym neu zu einen. Wir sind sozusagen der Inbegriff der Freundschaft.

Und mit all dem sitze ich nun hier. Ich habe so viele Kämpfe ausgefochten, so viele Hindernisse überwunden, und dennoch kann ich nicht bestreiten, dass das gnädige Schicksal einen gewaltigen Anteil daran hatte, dass ich jetzt hier stehe. Jeder Mann, jede Frau muss eigene Kämpfe bestehen und Dingen die Stirn bieten, ob Goblins oder anderem. Da ist das kranke Kind, aber auch die Wunde, die niemals heilt, zu wenig zu essen, der kalte Winter, unerwiderte Liebe, fehlende Freunde. Das Leben ist eine Reise, von Liebe zu Hass, von Freundschaft zu Trauer. Jeder von uns muss mit Verunsicherungen fertigwerden, und wir alle marschieren weiter, immer weiter auf dem Weg, der irgendwann an unseren Gräbern endet.

Was können wir auf diesem Weg Großartiges bewirken? Welche neuen Pfade können wir anlegen, auf denen unsere Kinder vielleicht einst ihren eigenen Weg beginnen?

Und so wechselt wieder einmal meine Perspektive. Ich habe den Gipfel erklommen und einen wunderbaren Ausblick vor mir. Ich darf einer Frau danken, deren warme Umarmung mir Frieden schenkt. Ich darf den besten Freunden danken, die ein Mann je haben könnte. Und ich darf einem Zwergenkönig danken, der an der Flanke eines einsamen Berges in einem trostlosen Land einen Heimatlosen fand und ihn aufnahm.

Aber ich bin ein Elf, und siehe, da türmt sich der nächste Berg auf, wie ich fürchte. Oft denke ich an Innovindil, die mir riet, mein Leben in kürzere Abschnitte aufzuteilen, die der Lebenserwartung der kurzlebigeren Völker entsprechen, unter denen ich mich bewege. Sollten Catti-brie und ich Kinder bekommen, so werde ich diese vermutlich überleben, so wie ich fast sicher Catti-brie überleben werde. Das ist ein verwirrender Gedanke, ein Paradox, das die größte Freude mit vernichtender Qual verknüpft.

Und deshalb wird mir hier auf diesem Gipfel, wo ich das große Bild überschaue, schmerzlich bewusst, dass ich womöglich noch in einigen Jahrhunderten den Morgen dämmern sehe. Aus Elfensicht habe ich erst einen Bruchteil meines Lebens hinter mir, doch in diesem noch so frühen Moment fühlt es sich so erfüllt an!

Ich bin ein glücklicher Mann.

Sollte ich jene fernen Morgen dämmern sehen, stehen mir sicher dunkle Täler bevor. Werde ich nach solchen schlimmen Verlusten die Kraft finden, den nächsten Berg zu erklimmen und danach den nächsten und wieder den nächsten?

Oh ja, das werde ich. Ich weiß es, weil ich während meiner ersten Trauerzeit um die vermeintlich verlorenen Freunde, die verlorene Liebe, mein verlorenes, altes Leben die Wahrheit verstehen lernte: dass der Weg unter deinen Füßen verrinnt, egal, ob du leichtfüßig und voller Hoffnung, schnell und entschlossen gehst oder ob du dich mühsam dahinschleppst und schwermütig durch den Staub stapfst.

Denn welche Perspektive wir auf dieser Reise einnehmen, ist unsere Wahl, und ich entscheide mich, glücklich zu sein und auf den nächsten Berg zu steigen.

Drizzt Do’Urden

Kapitel 1

Aufräumen

Der Wagen rumpelte über die Weststraße, und obwohl der Sarg darauf festgebunden war, polterte er dennoch vor sich hin, ganz ähnlich wie der Schlachtenwüter, der darin lag. Sie hatten Thibbledorf Pwent für seine letzte Reise abgeholt.

Penelope Harpell und Catti-brie lenkten den Wagen, während Drizzt auf seinem magischen Einhorn Andahar neben ihnen herritt. Nach vier Zehntagen in Langsattel, wo sie den alten Kipper und die anderen Harpells abgeliefert hatten, die König Bruenor bei der Rückeroberung und Sicherung der Zwergenheimat unterstützt hatten, waren die drei nun wieder auf dem Weg nach Gauntlgrym.

Sie hätten den Körper des Schlachtenwüters natürlich auch nach Gauntlgrym teleportieren können, aber der Winter war im Jahr der triumphierenden Runenlords (in der Zeitrechnung der Täler 1487) so früh auf dem Rückzug, dass sie sich stattdessen zu der langen Fahrt entschlossen hatten. Im Norden schien sich ohnehin so manches zu verändern. Sie hatten von Aufständen in Tiefwasser gehört, und es hieß, Fürst Nieglut hätte mit seinen Drohgebärden nicht nur König Bruenor verärgert.

»Ich vermisse ihn«, sagte Catti-brie am zweiten Morgen nach ihrem Aufbruch aus Langsattel zu Penelope. Drizzt war auf Kundschaft ausgeritten, sodass die beiden Frauen unter sich waren. Die rothaarige Catti-brie warf einen wehmütigen Blick nach hinten. »Damals, als er schon älter war, kannte ich ihn nicht besonders gut. Und in den Jahren seit meiner Wiedergeburt habe ich ihn gar nicht mehr erlebt, zumindest nicht lebend. Aber wenn er dahinten in seiner Kiste liegt, habe ich trotzdem das Gefühl, ich hätte etwas verloren.«

»Es gab keinen treueren Freund als Thibbledorf Pwent, meint König Bruenor«, sagte Penelope und legte Catti-brie tröstend eine Hand auf den Arm.

»Womit er recht hat«, erwiderte Catti-brie. »Pwent hätte sich für jeden von uns vor einen fliegenden Speer geworfen. Er lebte, um zu dienen.«

»Wenn sein Tod euch nach all diesen Jahren immer noch wehtut, war es ein gutes Leben.«

»Das stimmt.« Catti-brie lachte hilflos auf. »Es ist schon merkwürdig, dieses zweite Leben von mir. Viele von denen, die mir am nächsten standen, sind wieder da. Mein geliebter Mann, die Gefährten der Halle – und dennoch fühle ich mich mitunter fehl am Platz, so als hätte ich die Welt, die ich kannte, hinter mir gelassen und als wäre diese neue Welt nicht für mich gemacht, sondern für all diejenigen, deren Geschichten noch nicht geschrieben sind.«

»Du bist halb so alt wie ich«, erinnerte Penelope die junge Frau. »Du hast noch ein dickes Buch vor dir, liebe Catti-brie, und eine Hälfte der Seiten ist noch leer.«

Da lachte Catti-brie wieder und nickte. »Es fühlt sich nur manchmal seltsam an. Irgendwie verkehrt.«

»Das verstehe ich.«

»Was ist verkehrt?«, fragte Drizzt, der gerade zurückkam.

»Die Welt«, sagte Penelope.

»Besonders du«, neckte Catti-brie.

»Offenbar habe ich etwas Wichtiges verpasst«, folgerte Drizzt, während er Andahar neben den Wagen lenkte. »Sollte ich etwas wissen?«

»Ach was«, wehrte Catti-brie ab. »Nur das Gejammer einer albernen jungen Frau.«

»So jung nun auch wieder nicht«, zog Drizzt sie auf, was ihm einen gespielt bösen Blick von Catti-brie einbrachte.

»Wir haben über die Bücher gesprochen, die wir mit unserem Leben schreiben«, erklärte Penelope. »Catti-brie hat da wohl noch ein paar Kapitel hinzuzufügen.«

Drizzt nickte. »Ich verstehe«, sagte er, denn so war es. »Wir haben mit der Wiedereroberung von Gauntlgrym gerade einen hohen Gipfel erreicht. Das Ausmaß dieses Erfolgs ist schwer abzuschätzen. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, auszuatmen und uns zu fragen, was wohl das nächste große Abenteuer sein mag.«

Der Blick, den Catti-brie und Penelope wechselten, brachte den Drow auf die richtige Spur.

»Ihr heckt also bereits etwas aus«, stellte er fest.

»Wir wissen, was wir zu tun haben«, erklärte Penelope in festem Ton.

»Der Hauptturm?«

»Er muss repariert werden. Sonst bleibt Gauntlgrym ein kurzlebiger Sieg«, sagte Catti-brie. »Ohne die Macht der alten Magie, die die Wasserelementare für das Gefängnis liefern, wird der Urelementar des Feuers schon bald ausbrechen. Diese Eruption würde Bruenors Königreich – und wer weiß, was noch alles – vernichten. Wird Niewinter erneut unter einem Ascheregen begraben werden? Vielleicht auch Tiefwasser?«

»Du bist dir sicher?«

»Das bin ich.« Catti-brie hielt den Ring der Elementarkontrolle hoch, den Drizzt dem toten Drow-Zauberer Brack’thal Xorlarrin abgenommen und ihr geschenkt hatte.

»Wie viel Zeit bleibt uns noch?«

»Zehn Jahre?« Wirklich sicher schien sie sich nicht zu sein.

»Und wie lange braucht ihr, um den Hauptturm neu zu errichten?«, fragte Drizzt. »Besteht überhaupt Hoffnung, dass diese Aufgabe zu bewältigen ist? Versteht noch jemand diese Magie? Sind die Zaubersprüche heute noch anwendbar? Soweit ich weiß, wurde der Turm vor vielen Zeitaltern errichtet. Seitdem haben wir die Zeit der Unruhen durchlebt, die Zauberpest, die Rückkehr von Abeir …«

»Ich weiß es nicht«, gab Catti-brie unumwunden zu.

»Das können wir nicht wissen, ehe wir damit anfangen«, fügte Penelope hinzu. »Aber das gesamte Efeu-Herrenhaus wird nach Kräften behilflich sein. Wir öffnen unsere Bibliothek und zaubern bei Bedarf auch selbst mit.«

»Wie es tatsächlich geht, wissen wir erst, wenn die ersten Steine wieder stehen«, stimmte Catti-brie zu.

Sie betraten hier völliges Neuland und setzten sich mit Magie auseinander, die in ihrer Welt seit Jahrtausenden nicht mehr angewendet worden war.

»Wir werden von vielerorts Unterstützung bekommen«, sagte Penelope. »Dein Freund Jarlaxle herrscht über Luskan. Er weiß, wie wichtig die Sache ist. Und er glaubt, dass die Wiedererrichtung des Hauptturms ihm nützlich sein wird.«

»Die Harpells verbünden sich mit Bregan D’aerthe?«

»Jarlaxle hat sich mit Bruenor verbündet«, erinnerte ihn Catti-brie.

Drizzt wollte etwas entgegnen, verkniff es sich jedoch und seufzte stattdessen verwirrt. Was außer einem verwirrten Seufzer sollte man zu Jarlaxle auch sonst sagen? Er hatte Drizzt gerade wieder einmal das Leben gerettet, nachdem ihn Doum’wielle mit Khazid’hea tödlich verwundet hatte. Offenbar war Jarlaxle in die Sicherung der Schmiede und der unteren Ebenen von Gauntlgrym weit mehr verwickelt, als die Freunde gesehen geschweige denn verstanden hatten. Der Söldnerführer hatte Haus Xorlarrin klargemacht, dass ein Krieg gegen Bruenors Legionen nicht in seinem Interesse war, und wie viele Zwerge wären ohne ihn wohl dem Beschuss der Xorlarrin-Magie zum Opfer gefallen?

»Ich gehe davon aus, dass Jarlaxle viel beisteuern kann«, musste Drizzt zugeben. »Er hat auf ganz Faerûn und darüber hinaus seine Kontakte. Sogar mit Drachen ist er befreundet! Wahrscheinlich entpuppt er sich auf diesem Weg als unser bestes Ass im Ärmel.«

Wieder sahen die beiden Frauen einander an, und Drizzt fragte sich, was jetzt noch kommen konnte.

»Er wird wertvoll sein. Aber Erzmagier Gromph Baenre ist vermutlich noch wertvoller«, sagte Catti-brie.

Der Dunkelelf fürchtete, einfach von Andahar zu rutschen und im Boden zu versinken. »Gromph Baenre?«, sagte er tonlos.

»Er ist über achthundert Jahre auf dieser Welt und hat Zugang zu und genaue Kenntnis von Zaubern, die selbst vor der Zeit der Unruhen lange vergessen waren. Gibt es einen anderen – abgesehen vielleicht von Elminster persönlich, wo auch immer er sein mag –, der besser für solch eine Aufgabe geeignet wäre als er?«

»Er ist ein Baenre«, stellte Drizzt ungerührt fest, als müsse das ausreichen. Normalerweise reichte das tatsächlich.

»Er steht in Jarlaxles Schuld und kann nicht nach Menzoberranzan zurück. Das jedenfalls behauptet Jarlaxle, auch wenn ich den Grund nicht kenne.«

Drizzt hatte davon gehört. Er versuchte, sich auf die Fakten zu konzentrieren und seine tieferen Ängste zu verdrängen. Die Angst vor dem Haus Baenre war jedem Dunkelelfen, der kein Baenre war, von Kindesbeinen an gründlich eingeprügelt worden. »Du willst das wirklich durchziehen?«, vergewisserte er sich schließlich.

»Ich habe keine Wahl.«

»Natürlich hast du die Wahl!«, beharrte Drizzt. »Er ist ein Baenre. Und ein Zauberer, dessen Macht kaum jemand gewachsen ist. Selbst Elminster wäre bei einem wie Erzmagier Gromph Baenre äußerst vorsichtig! Er ist durch und durch ein Drow und durch und durch ein Baenre. Deshalb kann man ihm nicht trauen.«

»Er braucht Jarlaxle.«

»Vorläufig. Aber das kann sich ändern, und wenn es so weit ist, was sollte Gromph dann davon abhalten, dich zu töten – euch alle zu töten –, um den Turm für sich zu beanspruchen?«

»Den Turm kann er ruhig haben!«, entgegnete Catti-brie. »Solange nur die Magie nach Gauntlgrym fließt und das Ungeheuer in seiner Grube hält.«

»Und was würde Gromph von König Bruenor verlangen, wenn er eine solche Macht über ihn hätte?«, fragte Drizzt.

Die besorgten Blicke der beiden, die betreten das Gesicht verzogen, verrieten ihm, dass ihnen die Möglichkeit durchaus bewusst war.

»Das wird Jarlaxle zu verhindern wissen«, sagte Catti-brie.

»Über den Erzmagier von Menzoberranzan hat Jarlaxle wenig Macht!«

»Haben wir denn eine andere Wahl?«, schrie Catti-brie ihren Mann an. »Welche Wahl haben wir, Liebster? Sollen wir alles abbrechen und Gauntlgrym aufgeben und den Urelementar noch einmal die Schwertküste verwüsten lassen?«

Darauf wusste Drizzt keine Antwort.

»Jarlaxle hat uns versichert, dass Gromphs Position derzeit stark angeschlagen ist«, fügte Penelope hinzu. »Er profitiert selbst davon, und er denkt in erster Linie pragmatisch. Zudem hat Jarlaxle Luskan fest in der Hand, was nicht einmal Gromph bestreitet. Würde der Erzmagier sich wirklich freiwillig mit Jarlaxles gesamter Bande anlegen?«

Drizzt hörte kaum zu, denn er lieferte sich ein Blickduell mit Catti-brie, die ihn schweigend bat, ihr in Bezug auf diese Entscheidung zu vertrauen. Er wusste, dass sie recht hatte. Catti-brie verstand weitaus besser als er, was getan werden musste, und ihr Wissen ging über seine Bedenken hinaus.

Doch er befürchtete, dass sie die Netze der Drow weniger gut verstand. Wie leicht konnte sie in diesen unglaublich klebrigen Fäden hängen bleiben, und wie schwer war es, ihnen wieder zu entkommen …

»Schuldgefühle sind hier fehl am Platz. Wärt Ihr es nicht gewesen, dann eben ein anderer«, sagte Jarlaxle zu Gromph, als er den Erzmagier in den Räumen aufsuchte, die Gromph in Illusk, der alten Unterstadt unter dem Friedhof von Luskan, für sich beansprucht hatte.

Gromph wölbte eine Augenbraue und bedachte den Söldner mit einem undurchschaubaren, aber nicht gerade anerkennenden Blick.

»Wir haben erfahren, dass auch andere Dämonenlords durch das Unterreich ziehen«, erklärte Jarlaxle. »Gerüchten zufolge hält Zuggtmoy, die Herrin der Pilze, inmitten einer großen Schar Mykoniden Hof. Orcus soll dort sein, Graz’zt ebenfalls. Das Unterreich ist offenbar ungastlicher als früher, und das ist eine ziemliche Leistung.«

»Gerüchte«, murmelte Gromph, um diese Worte zu verwerfen.

Für Jarlaxle war das nachvollziehbar und bestätigte viele seiner Vermutungen. Gromph wusste, was er getan hatte. Der Erzmagier begriff, dass sein mächtiger Zauber Demogorgon aus dem Abgrund herbeigezerrt und er dabei wahrscheinlich die schützende Sperre zwischen den Ebenen durchbrochen hatte, die sich innerhalb der Magie des Faerzress befand.

»Offenbar war Eure Beschwörung Teil einer größeren Invasion durch die Herren des Abgrunds«, fuhr Jarlaxle fort.

»Gerüchte!«, brüllte Gromph mit Nachdruck. »Habt Ihr in Betracht gezogen, dass Demogorgon sie geholt haben könnte?«

»Das würde er nicht tun«, erwiderte Jarlaxle kopfschüttelnd. »Nein, hier ist etwas Größeres im Gange.«