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Auf der Hochzeitsfeier von Sylvia und Eckhart kommen illustre Leute zu Wort: Fausto, der Kinder für die Wurzel allen Übels hält und der die Menschheit in Megastädten zusammenpferchen möchte, um die Umwelt zu schonen; die Trauzeugin, die Seemannsgarn über ein Piratenschiff spinnt, auf dem Todgeweihte feiern, bis sie über Bord gehen; die Braut, die mit ihrem Bräutigam nach Emmaus gepilgert ist und dort ein unerklärliches Glück erlebt hat; der Tenor, der am liebsten den tragischen Helden singt; ein Alpinist, der ein Teleskop und eine eigene Sicht der Dinge hat; Naama, die sich fragt, warum Gott so stur ist; ein Tango erklingt ... Eine faszinierende Sammlung schillernder Bilder im Spannungsfeld des Lebens!
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Seitenzahl: 57
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Der Toast des Trauzeugen
Der Trauzeuge und der Pater
Wie der Bräutigam die Trauzeugin kennengelernt hat
Die Hochzeitsreise
Das Teleskop
Der Tenor und die Organistin
Eine Freundin versteht die Welt nicht
Der Bräutigam berichtet über den Tod eines Freundes
Der Trauzeuge erzählt eine wahre Begebenheit
Der Bräutigam erinnert sich an einen seltsamen Traum
Berausch dich, Freund, sei immer trunken!
Denn hier ist er verborgen, deines Lebens Sinn.
Um nicht die Zeit vergehen zu sehen,
die leise dir die Knochen bricht,
dein kleines Ich unmerklich fast zu Boden drängt,
sollst du im Rausche leben, pausenlos.
Woran berauschen doch, am Wein, der Liebe,
folgsam an der Pflicht?
Du hast die Wahl, doch such den Rausch!
Denn liegst du grau im Staub der Gosse,
weinst Tränen kalt im Garten vor dem Schloss,
kniest du auf Stufen unter’m Kreuz erschüttert,
und stierst du sinnlos aus der Nacht ins Nichts,
dann frag den Wind, den Stern, die Welle, frag den Fisch,
die Uhr, den Vogel, frag, was flieht, was rollt, was weht,
frag laut, was singt, was spricht, was seufzt, was ruft,
doch! – frag sie alle, was die Stunde schlägt,
und Vogel, Welle, Fisch, Uhr, Wind und Stern,
sie alle werden dir bedeuten:
»Die Zeit des Rausches ist gekommen!
Willst du nicht Sklave des Verrinnens sein,
auf blutzerschundener Haut die Geißel schmecken,
so such ohn’ Unterlass den Rausch,
am Leben, Sterben, oder einfach bloß am Glück,
du hast die Wahl!«
(Einer Vorlage von Baudelaire sehr frei nachempfunden)
Da habe ich ja einen echten Ehrenplatz. Freut mich, Pater! Faust ist mein Name, wir haben uns ja soeben schon die Hand geschüttelt. Und hier liegt ja auch das Namenskärtchen der Trauzeugin, wo steckt die eigentlich, ach, da ist ihre Tasche.«
Der Geistliche murmelte etwas vor sich hin.
»Sie haben sehr eindringlich gepredigt. Ich höre so etwas nicht gerade oft. Hat mir gut gefallen!«
»…« Man verstand den Pater schlecht.
»Zugegeben, eher selten! Doch auch die Sache mit dem Froschkönig fand ich sehr gut! Sie küsst den unbekannten Frosch, und es verändert sich nichts. Dann klatscht sie ihn an die Wand, und da erst wird er zu ihrem Prinzen! Nicht schlecht! Das ist echte Beziehungskultur! Aber warum haben Sie auf das Märchen vom Fischer und seiner Frau Bezug genommen? Will die Braut unsterblich sein? Reicht ewig jung und schön nicht?« Er lachte kurz.
»…«
»Also gut, Sie sprechen von Vertrauen. Die beiden Eheleute tun gut daran, und Sie bestärken sie auch darin, dass sie sich gegenseitig vertrauen, das ist Grundlage. Bis dahin konnte ich Ihnen folgen.«
»…«
»Dachte ich es mir! Da, wo Sie eine Vertrauensschwäche beim Menschen feststellen, predigen Sie Gottvertrauen. Das ist für mich schwer zu verstehen. Die beiden müssen es doch jetzt miteinander ritzen, miteinander, und sich nicht einer dritten Person, und dann auch noch einer so fernen, zuwenden.«
»…«
»Davon ganz abgesehen! Ich befürchte doch eher, dass wir allein auf der Welt sind, ohne Schutz, aber auch ohne liebgewonnene Vorschriften. Wir müssen mit unseren eigenen Fähigkeiten und unvorhergesehen Chancen klarkommen und sind verantwortlich nur uns selbst gegenüber.«
»…«
»Nein, nicht als Egotrip, ich meine, was die Frage nach Gut und Böse angeht, ist doch jeder selbst seine einzige Instanz, wenn wir bloß den Mut dazu haben, und das ist, wenn man nicht nur die Ansichten vorangegangener Geschlechter zu Grunde legen, sondern selbst abwägen möchte, durchaus viel Aufwand.«
»…«
»Ihr Allbarmherziger wird mir meine kleinen Verstrickungen nachsehen, wenn es doch einmal notwendig werden sollte, Sie haben mir doch vorhin Vertrauen empfohlen.«
»…«
»Na ja, Pater, Schuld, allein weil wir auf der Welt sind? Das habe ich mir doch nicht ausgesucht.«
»…«
»Meinen Sie wirklich, dass es im endlosen Strom der Kausalitäten ein Scheitern überhaupt gibt? Sind es nicht nur enttäuschte Erwartungen?«
»…«
»Moral ist freiwillig!«
»…«
»Das eröffnet die verschiedensten Möglichkeiten! Man kann sich immer wieder bemühen, das Gute möglichst anzustreben, ohne dass man enttäuscht sein muss oder gar bestraft wird, wenn man es nicht erreicht. Meistens verursacht man dabei ungewollt Nebenwirkungen. Ich habe mich darüber schon oft mit dem Bräutigam unterhalten. Er führt in diesem Zusammenhang das Bild der mathematischen Asymptote vor Augen. Ein Ideal zu erreichen ist schwierig auf Erden, Abweichungen einzuplanen und ihre Wirkungen zu beherrschen hingegen ist die höhere Kunst. Jeder Ingenieur weiß das, und wir Ärzte müssen leider auch so arbeiten.«
»…«
»Ja, natürlich, die Freiheit! Meistens ist es eher eine ungerufene Notwendigkeit, das eigene Leben in die Hand zu nehmen. Und selbstverständlich dürfen wir sehr gerne Verantwortung übernehmen, für einzelne Menschen wie auch insgesamt für die Beschaffenheit der Erde. – Wo bleibt eigentlich die Trauzeugin?«, fragte er sich selbst.
»…«
»Aber Sie wissen doch, dass manche Eltern mit der Verantwortung sogar für ihre eigenen Kinder recht halbherzig umgehen. Das tut den Kindern in der Regel nicht gut, ist angesichts der Größe der Aufgabe allerdings oft nachvollziehbar. Vermutlich haben Sie wie ich keine eigenen. Mir ist die Verantwortung – ehrlich gesagt – zu groß! Kein Vater kann garantieren, dass sein Kind keine Qualen erleidet. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, dass mein eigenes Kind unter Todesangst leidet, auch nicht im hohen Alter, wenn der Vater ja wünschenswerterweise selbst nicht mehr dabei ist.«
»Haben Sie Angst vor der ewigen Verdammnis für Ihr Kind?«, konnte Fausto den Pater raunen hören.
»Daran hatte ich bislang noch nicht gedacht. Unendliche Barmherzigkeit, wenn es sie denn gibt, kommt jedem zu Gute, letztendlich ist jede Seele auserwählt. Mir geht es eher um die Verantwortung, die eben Ausdruck der Freiheit ist! Niemand zwingt uns, Verantwortung zu übernehmen. Manchmal muss man selbst die Folgen dessen tragen, was man tut, manchmal trifft es andere. Daher lautet meine These von soeben, dass Moral zumindest weitgehend auf Freiwilligkeit fußt.«
»…«
»Doch, ich kann behaupten, dass die Maxime meines Verhaltens, hier also meines Unterlassens, als allgemeines Gesetz für jedermann in einer menschenwürdigen Weise zur Heilung dieses Planeten führen würde. Für die Umwelt wäre das bei weitem das Allerbeste, und es bräuchte keiner Hand an sich selbst zu legen!«
»…«
»Ja, ich bin da auch nicht für, das macht mich auf eine seltsame Weise traurig, sogar, wenn ich von jemandem höre, den ich gar nicht kenne! Es wirkt auf mich wie der Vorwurf, dass es bei uns nicht schön wäre oder wir jemanden im Stich gelassen hätten.«
»…«