Die Interstellaren Freihändler - Hanns Kneifel - E-Book

Die Interstellaren Freihändler E-Book

Hanns Kneifel

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Beschreibung

»Umsatz!« und »Perzente!« – das sind die Ziele der interstellaren Freihändler um Fürst Pompeo Davyd Ral Roborghs. Fürst Davyd lädt zehn seiner alten Studienfreunde, die sogenannten Lancers, ein und beschließt mit ihnen, das ungenutzte, kapitalistische Handelspotenzial des Universums zu nutzen. Dabei zeigen sie zu Beginn wenig Skrupel und arbeiten mit Potentaten genauso freimütig zusammen wie mit Militärs, solange es dient, den Umsatz zu steigern. Und beweisen Kreativität, wenn es darum geht, sich neue Märkte zu erschließen und denen, die über ausreichend Kapitel verfügen, etwas teuer zu verkaufen. Und selbst Autoren werden eingespannt, um sie auf einem eigens für sie eingerichteten Planeten Bestseller abliefern zu lassen. Ausufernden Kapitalismus, selbstgerechtes Militär, gelangweilte Oberklasse – Hanns Kneifel nutzt die ihm eigene Überzeichnung, um die Exkursionen der Freihändler mit einem ernsten und augenzwinkernden Blick zu beschreiben. Der zehnteilige Zyklus über die interstellaren Händler erschien zuerst 1967 und 1968 in den Reihen »TERRA – utopische Romane« und »TERRA NOVA Science Fiction« im Moewig-Verlag und wurden für die vorliegende Fassung vom Autor gründlich be- und überarbeitet, erneuert und mit gebührender nostalgischer Anhänglichkeit an den Originaltext neu eingerichtet und erweitert.

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DIE

INTERSTELLAREN

FREIHÄNDLER

© Copyright Erben Hanns Kneifel

© Copyright 2016 der eBook-Ausgabe bei Verlag Peter Hopf, Petershagen

www.verlag-peter-hopf.de

Cover: © Andrii Muzyka – Fotolia.com

ISBN ePub 978-3-86305-232-4

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Alle Rechte vorbehalten

Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

Der Roman

»Umsatz!« und »Perzente!« – das sind die Ziele der interstellaren Freihändler um Fürst Pompeo Davyd Ral Roborghs.

Fürst Davyd lädt zehn seiner alten Studienfreunde, die sogenannten Lancers, ein und beschließt mit ihnen, das ungenutzte, kapitalistische Handelspotenzial des Universums zu nutzen.

Dabei zeigen sie zu Beginn wenig Skrupel und arbeiten mit Potentaten genauso freimütig zusammen wie mit Militärs, solange es dient, den Umsatz zu steigern. Und beweisen Kreativität, wenn es darum geht, sich neue Märkte zu erschließen und denen, die über ausreichend Kapitel verfügen, etwas teuer zu verkaufen. Und selbst Autoren werden eingespannt, um sie auf einem eigens für sie eingerichteten Planeten Bestseller abliefern zu lassen.

Ausufernden Kapitalismus, selbstgerechtes Militär, gelangweilte Oberklasse – Hanns Kneifel nutzt die ihm eigene Überzeichnung, um die Exkursionen der Freihändler mit einem ernsten und augenzwinkernden Blick zu beschreiben.

Der zehnteilige Zyklus über die interstellaren Händler erschien zuerst 1967 und 1968 in den Reihen »TERRA – utopische Romane« und »TERRA NOVA Science Fiction« im Moewig-Verlag und wurden für die vorliegende Fassung vom Autor gründlich be- und überarbeitet, erneuert und mit gebührender nostalgischer Anhänglichkeit an den Originaltext neu eingerichtet und erweitert.

Der Autor

HANNS KNEIFEL

Dieser Band beinhaltet die Romane:

Freihändler der Galaxis

Die Milliarden von Aikmon

Die Jäger der goldenen Pelze

Wettlauf in der Galaxis

Geheimauftrag für Ronrico

Der Kampf um das Vulcan-System

Die unheimlichen Feinde

Das Syndikat der Mächtigen

Die Welt der Genies

Inhaltsverzeichnis
Der Roman
Der Autor
Die Interstellaren Freihändler
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
42. Kapitel
43. Kapitel
44. Kapitel
45. Kapitel
46. Kapitel
47. Kapitel
48. Kapitel
49. Kapitel
50. Kapitel
51. Kapitel
52. Kapitel
53. Kapitel
Epilog

1. Kapitel

Fürst Pompeo Davyd ral Roborghs großes Fest

Pompeo Davyd, ein hochgewachsener, braunäugiger Mann von rund dreißig Jahren, besaß den kühnen Ausdruck des Steppenadlers von Kestrel; sein harter, zielender Blick und der schlanke Körper zeigten, dass der Mann ein leidlich guter Jäger sein musste, ein ausdauernder Sportler. Pompeo wirkte unruhig, wohl wegen seines festlichen Aufzugs, und er heftete den Adlerblick scheinbar gelassen auf das bunte Bild unter ihm. Er wirkte weder dekadent noch gelangweilt, sein beträchtlicher Reichtum schien ihn noch nicht verdorben zu haben. Das Stimmengewirr schwoll an und nahm ab, wurde aufgeregter, leiser und wieder lauter; aus Serien zusammengeschalteter Lautsprecher drang fröhliche Musik.

Pompeo Davyd ral Roborgh, Edler von Tupakanpoltho Kielletty – Herrscher über fünfzigtausend Quadratmeilen kargen Steppenbodens des Planeten Kestrel, des vierten Planeten der Sonne 16 im Sternbild Coma Berenices auf irdischen Sternkarten – hatte ein Fest ausgerichtet. In den Erinnerungen seiner Händler-Freunde fand sich nichts Vergleichbares.

Die riesige Halle des Schlosses Kielletty war mit uralten Fahnen, einem Meer von Blumen, grünen Girlanden und Zierbäumchen dekoriert worden. Inca Didiar, eine junge Schönheit mit klugen Augen und einer schimmernden Echsenhaut, flüsterte in Pompeos Ohr.

»Wann ist das Happening eingeplant worden, Liebling?«

Pompeo schüttelte leicht irritiert den Kopf.

»Erst später. Ich warte auf meine wichtigsten Gäste.«

Die schuppenhäutige Frau von Corsair II deutete mit der überlangen Zigarettenspitze auf die Menge, die zwischen den Mauern der Halle wogte.

»Sind noch immer nicht genug Gäste hier?«, fragte sie. Der Edle lächelte abwesend und zog sie spielerisch an einer Strähne des gekräuselten grünen Haares, das sie wie unendlich feine Farnlianen schmückte.

»Es gibt viele Arten Gäste, Inca. Ich warte auf neun Männer, die ich angeschrieben habe. Meine Freunde. Ich habe sie für heute Abend eingeladen. Nur für sie habe ich diesen Rahmen geschaffen. Neun gute Männer, aber ebenso unterschiedlich wie die Planeten, von denen sie gestartet sind.«

Inca nickte. »Ich verstehe, Pompeo«, sagte sie leise.

Er war sicher, dass es sich anders verhielt. Nur wenige Männer waren imstande, ein Fest mit der gleichen Menge Geldes derartig verschwenderisch und dennoch geheimnisvoll zu gestalten. Pompeo, ein Mann von altem Reichtum, war ihrer aller Lehrmeister. Viele Gäste zählten zu den Angehörigen seiner Firma, die seinen Reichtum sicherte.

Unter dem staubigen Gras der Ebenen Kestrels, die der Familie Tupakanpoltho Kielletty gehörten, floss Öl. Nicht etwa teures und banales Erdöl, sondern jene komplizierte Mischung von polyzyklischen Kohlenwasserstoffen und ätherischen Duftstoffen, Kestrels Fragrance, die den Planeten zu einem begehrten und in einigen Landesteilen reichen Planeten gemacht hatte.

Das buchstäblich einzigartige Öl dieser Welt – die Bakterien starben in jeder anderen Umgebung binnen 36 Stunden ab – roch betäubend und stellte den Grundstoff für eine ausgedehnte Industrie dar, die sich intensiv damit beschäftigte, unter Erzielung höchster Gewinnspannen Duftwässer, Cremes und Salben herzustellen.

Mit Kestrels wohlriechenden Erzeugnissen parfümierten sich ebenso die echsenhäutigen Bewohner der Planeten des Corsair-Systems, die pelzhäutigen Frauen und Männer des Planeten Vigilant und die Muskelmänner von Citabria aus einem Sonnensystem von Canis maior. Unter dem kalkbestaubten Gras der Ebenen um den Schlosspark Kielletty strömte der Reichtum Pompeo Davids durch kupferne Rohrleitungen und unbestechliche Uhren in die Tankräume zahlreicher Lastschiffe.

»Wann werden die Männer, angeblich deine besten Freunde, landen, Pompeo?«, fragte Inca träge und beobachtete einen der vielen livrierten Pagen, die mit schwerbeladenen Tabletts durch die Menge schritten und Getränke servierten.

»Ihre Schiffe müssten nacheinander eintreffen«, antwortete Pompeo und zuckte mit den Schultern. »Aber sie werden vermutlich nicht allzu pünktlich sein können; schließlich strömen sie aus allen Teilen der Galaxis hier zusammen.«

»Wirst du trotzdem Zeit haben, mit mir zu tanzen?«, fragte die Echsenhäutige und rieb die weichen, opalisierenden Schuppen ihrer Schulter an seinem muskulösen Arm.

»Vielleicht – vielleicht nicht«, gab Pompeo bewusst mehrdeutig zur Antwort und lehnte sich im gepolsterten Thronsessel zurück. Das Fest, so hatte er mit seiner unechten dramatischen Geste verkündigt, solle drei Tage dauern. Wer Pompeos Feste kannte, zweifelte nicht eine Sekunde daran. Es waren erst wenige Stunden vergangen, und das Fest schien noch lange keinem hektischen Höhepunkt entgegenzustreben.

Dreitausend Jahre nach dem Aufbruch des Homo sapiens in die Milchstraße war das Bild des entdeckten Kosmos unvergleichlich bunt und schön. Und sehr fremdartig – wie die Halle des Schlosses Kielletty. Sie war kreisrund und besaß zehn nischenartige Ausbuchtungen. Entlang sämtlicher Wände, vor dichten, kostbaren Vorhängen aus Glasfasergeweben, zogen sich Sitzbänke hin. Auf ihnen lagen unzählige rechteckige Kissen mit schmutzabweisenden Überzugsstoffen. Davor standen niedrige, schwere Holztische, in den Werkstätten Tupakanpolthos entstanden.

Batterien von Gläsern, leeren und gefüllten, standen auf jenen Tischen. Fürst Pompeo, der vorläufig letzte Spross der Familie, hatte dreihundert Personen geladen, und viel mehr waren gekommen. Die Halle wurde durch eine riesige Bartheke fast in zwei Teile geschnitten; rund zweihundert Quadratmeter maß jede Hälfte. Dicke Kerzen brannten neben den Gläsern und steckten in den schweren Kronleuchtern. Entlang der Wand zog sich ein einziges, dreihundertsechzig Grad umspannendes Gemälde, das die Sternbilder in rund vierhundert Lichtjahren Entfernung zeigte und die Vortrefflichsten ihrer Bewohner; die ältesten Darstellungen waren drei Jahrhunderte alt.

Pompeo blickte in leichter Unruhe auf seine Uhr: ein viereckiges Instrument, in dessen Mechanismus sich kleine Dreiecke bewegten und Sekunden, Minuten und Stunden zeigten. Der dreißigstündige Tag Kestrels befand sich in der neunzehnten Stunde; es begann zu dunkeln. Die Tieftrahler rings um das viereckige Landefeld wurden angeschaltet.

Die Kerzen waren in Wirklichkeit stählerne Patronen, aus denen in einem feinen Strahl Kestrel-Gas ausströmte und mit stetiger, hellroter Flamme brannte. Über allem schwebten die Klänge alter, irdischer Musik. Sie quoll an jedem Platz aus versteckten Lautsprechern.

»Der Saal birst förmlich vor Spannung, Pompeo.« Inca nippte an ihrem Glas. »Sie alle warten auf das Happening.«

Der Edle grinste jetzt wie ein Junge. »Sie sollen warten. Umso mehr wird sie das, was sie miterleben, in Erstaunen setzen.«

Unbeschwert tanzten die Paare. Fröhliches Gelächter erklang von den lockeren Gruppen an der Bar. Inmitten der Pracht unzähliger Kostüme, Kleider und Haartrachten schien sich erwartungsvolle Spannung auch im Saal auszubreiten. Niemand konnte sagen, was diesen Eindruck hervorrief – es war unbewusst. Die Kerzenflammen wiegten sich sacht, und ab und an winkte jemand zu Pompeo und seiner Schönheit hinauf. In willkürlicher Trägheit bewegte der Edle die Hand und lächelte dazu.

»Ist dieses Fest nicht eine ständige Herausforderung an dich, mein Fürst?«, fragte Inca scheinbar unbekümmert. Überrascht zog Pompeo eine Braue steil hoch.

»Aus welchem Grund?«, sagte er.

»Hier bewegen sich überaus grazil rund zweihundert heiratsfähige Töchter, humanoid oder faszinierend mutiert, von Kestrel und mindestens fünfzehn umliegenden Planeten«, erläuterte Inca mit blitzenden Augen. »Führt dich diese Überlegung nicht in Versuchung?«

»Keineswegs«, antwortete Pompeo artig, »solange du neben mir sitzest!«

»Schmeichler!« Eine zierliche Faust bohrte sich in seinen Rücken.

»Die Wahrheit, Kind, ist selten ohne gleißenden Rahmen.«

Selbstverständlich war Pompeo Junggeselle; sein Leben war zu reichhaltig für die ruhigen Geleise der Ehe.

Nein, dachte er. Noch nicht. Zuerst die Aufgabe, an der ich seit Jahren herumstudiere.

Die schönsten Töchter einiger Planetensysteme waren hinter ihm her wie die Schiffe der Raumgarde hinter einem rotbärtigen Piraten, aber er hatte sich bisher erfolgreich jeden Angriffs erwehren können.

»Hast du jetzt Lust zu einem Tanz, mein Fürst?« Inca schien inzwischen merklich ungeduldig. Pompeo schüttelte den Kopf.

»Horch!«, sagte er und deutete zur Decke des Saales. »Ein Schiff! Das erste von heute Nacht!«

Seine Gäste waren stets pünktlich gewesen. Die Tugend – sofern einer dieser neun Männer auch nur eine einzige seiner Eigenschaften als Tugend definierte – seiner Freunde bestand aus Pünktlichkeit, gesundem Erwerbsstreben und logischer Exaktheit im Denken und Schnelligkeit im Handeln. Das erste Sternenschiff heulte durch die kalte Lufthülle des Planeten. Die Geräusche der gegenfeuernden Triebwerke hallten über die Ebene.

Wer würde zuerst landen?

Inmitten staubiger Ebenen, mürber Gebirge und bewaldeter Hügel stand Schloss Kielletty in Roborgh-Woods. Pompeos Ahnen hatten in unermüdlicher Arbeit einen gewaltigen Park geschaffen; eine ausgedehnte Oase in der Landschaft. Ein Fluss durchströmte den Park in zahlreichen Mäandern und mit künstlich angelegten Nebenarmen und Aufstauungen. Im topographischen Mittelpunkt des Gartens lag der helle Würfel des Schlosses mit einem weißen, schlanken Minarett daneben: Tupakanpoltho-Kieletty.

Darüber schwangen sich die kalten Sterne des Ringes, der die Äußeren Welten bildete. Zwischen den Sonnen erschien ein winziger Lichtpunkt, stürzte unglaublich schnell heran, wurde größer und änderte seine Farbe. Ein fahler, langer Flammenstreifen huschte über den Nachthimmel, wurde vom Aufbrüllen der Retrotriebwerke überholt, zog einen Kreis und entpuppte sich schließlich als die Heckdüsenflamme einer mittelgroßen Yacht. Der Donner tobte durch den stillen Park. Es war eine der kühlen Mittherbstnächte des Planeten. Die schmalen Lippen des Edlen verzogen sich zu einem erwartungsvollen Lächeln; er wandte sich an die grünhaarige Inca.

»Warum lächelst du, Pompeo?« Sie zog die spitzen, hornigen Augenbrauen steil in die Stirn.

»Mein erster Gast ...«, sagte er bedächtig. »Wer wird es sein?«

Das kreisende Dreieck wies genau auf die Ziffer, die eine bestimmte Stunde ausmachte. Es war die Fünf: Zwanzig Uhr.

»Der erste meiner neun Gäste könnte Blois sein«, murmelte Pompeo. »Warten und sehen wir.«

Conradth deBlois saß angeschnallt im Sitz des Kopiloten und sah zu, wie die AI, die Artifizielle Intelligenz im Körper eines silberglänzenden Androiden, eine klassische Punktlandung vorbereitete. Conradth klappte ein schweres, großformatiges Buch auf, entnahm mit einem faustgroßen Greifer einen Würfel aus einem der vielen Fächer und legte ihn, mit der hochglänzenden Kontaktfläche voraus, in das holografische Abspielgerät.

Auf dem Buch waren vier dreidimensional flimmernde Buchstaben eingeprägt. A.L.A.R. Conradth las:

Baron Achill Hylobatos jr., Prof. Yves-Alain Khalil-Mandjaossi & Capitána Sonaidia Sharçais: A.L.A.R. Atlas, Lexikon und Astronomischer Ratgeber zu allen bewohnten, bewohnbaren und unwirtlichen Welten sowie deren Muttergestirnen.

In der klassischen, terrageprägten Terminologie liegt das Sternbild Coma Berenices eingebettet in den galaktischen Bereich zwischen den Bildern Löwe, Bootes und Virgo. Es enthält zahlreiche kleine Sterne, von denen besonders die Sonnen XII bis XIV, XVI und XXI eine lockere Sternengruppe in ca. 265 Lichtjahren Entfernung vom Zentralen Blickpunkt Terra bilden. XII Coma ist ein Doppelstern mit zwei Komponenten, XXXV Coma ist dreifach.

XVI Coma, von den ersten Siedlern Clarity genannt, besitzt sieben Planeten, von denen nur die vierte Aphel-Welt, Kestrel, bewohnt ist und eingeschränkt terrageformt wurde. Auch diese Welt wurde von Sir Austin Haley Farthingale (Terra, 3936 bis 4028) während der sog. ›Mythologischen Expedition‹ A.D. 3985 entdeckt. Die Sippe der ral Roborgh nahm die Große Steppe in Besitz und nannte sie nach einer der Ehefrauen des Raumfahrers Kielletty. In winzigen Hohlräumen der planetaren Kruste, ausschließlich in der Großen Steppe, verwandeln einzigartige Bodenbakterien gewisse Kleinstlebewesen in eine ölähnliche, stark aromatische Substanz, die hitze- und kältefest ist und als Oil of Kestrel zu den teuersten Essenzen und Fragrancen der Galaxis zählt. Der gute, alte Reichtum derer von Roborgh wird als kolossal bezeichnet.

Conradth betrachtete das Bild des Planeten auf dem Vorausschirm und knurrte:

»Für mich sieht Kestrel aus wie eine Seite aus Miltons Verlorenem Paradies, umgesetzt in Steppe, Staub und Sanddünen.«

»Eine zutreffende Bemerkung, Sir«, antwortete die KI beflissen und leitete das nächste Bremsmanöver ein. Die Yacht, eine gedrungene kupferglänzende Lancer-Konstruktion, vibrierte nur kurz; sie trug den kryptischen Namen Blindes Mastodon. Bis kurz vor der Landung betrachtete Conradth die Bilder der Informationsblöcke, dann verwahrte er den Datenspeicher wieder im Standardwerk aller Raumfahrer aus dem Verlag DIE GALAXIS, Terra/Mars, (c) 3021, XIV. Auflage; jederzeit Ergänzungsinformationen.

Conradth löste den virtuellen Gurt, ging in seine Kabinenflucht und begann sich für die Landung und das Treffen mit seinen Freunden umzuziehen.

Der Triebwerkslärm wurde lauter und brach ab, nachdem sich das schlanke Schiff auf die hellerleuchtete Fläche des Raumhafens gesenkt hatte. Pompeo wartete vier Minuten lang, dann hob er den rechten Arm und deutete auf einen der Diener, die schweigend neben den mächtigen Bronzeflügeln des Tores warteten. Der Diener blickte ihn erstaunt an und verbeugte sich tief.

Ein langhallendes, kompliziertes Fanfarensignal ertönte; aus altterranischen Barockmusikstücken und etlichen archaischen Hornrufen anderer Planeten komponiert.

Lichtbahnen ergossen sich aus großen Tiefstrahlern und erhellten ein Viereck unmittelbar vor dem Portal. Die Torflügel schwangen langsam nach innen. Das Signal riss ab. Eine Gestalt erschien zwischen den Flügeln. Der Diener blickte auf ein Hologramm, das er in der Hand hielt, dann sprach er in sein Kragen-Mikrophon. Seine Bassstimme übertönte mühelos den Lärm des Festes. Hunderte Augenpaare richteten sich auf den Ankömmling.

»Sir Conradth deBlois. Freund des Edlen Pompeo. Sein Schiff kam vom vierten Planeten, dem Corsair der fünften Sonne Omega im stellaren Gebiet der Großen Bärin. Sehr willkommen, edler Gast, auf Kestrel und Schloss Tupakanpoltho!«

Alle Gäste starrten Conradth an. deBlois blieb scheinbar linkisch auf der Stelle stehen, während sich hinter ihm die Türflügel schlossen. Dann machte er einige Schritte vorwärts und blinzelte verwirrt. Er war von Kopf bis Fuß in dünnes, schwarzes Leder gehüllt, fast unvorstellbar kostbar in jener Zeit der allgegenwärtigen Kunststoffe. Die Erscheinung wurde durch einen imposanten Kahlkopf gekrönt, der im Licht schimmerte. Eine schwere Hornbrille verdeckte den Blick großer schwarzer Augen.

Hinter einem breiten Gurt aus eisenbeschlagenen Lederbuckeln steckte eine große Steinschleuder aus weißem Edelholz; nur wenige Menschen dieser Galaxis kannten deren vernichtende Wirkung. Pompeo wusste, dass im linken Stiefelschaft seines knapp vierzigjährigen Freundes ein extrem flacher Strahler mit einem Acht-Ecum-Magazin steckte – eine Beyssier-Automatikwaffe mit einer Mündungsenergie von achtzehntausend Kilopond.

Pompeo nahm den Arm seiner Freundin. Er schritt mit ihr feierlich die Stufen hinunter und näherte sich dem schwarzgekleideten Freund. Die Beiden durchquerten den Saal und bemerkten, dass Blois zögernd einen gefüllten Champagnerkelch aus der Hand eines Edelpagen entgegennahm.

»Conradth!«, rief Pompeo leise.

Blois fuhr herum.

»Pompeo!«, antwortete er grinsend, »du größenwahnsinniger Duodezfürst. Ich dachte, du lägest im Sterben; dem Inhalt deiner Einladung zufolge fürchtete ich das Schlimmste. Und nun dieser kapitalistische Trubel hier.«

Sie schüttelten einander lange und herzlich die Hände.

»Deine Dame, mein Freund?«, erkundigte sich Blois und verneigte sich steif, aber formvollendet. Pompeo Davyd ral Roborgh nickte zerstreut.

»Im Augenblick ja. Ich freue mich, dass die Furie des Raumes dich freigegeben hat.«

Zögernd sagte Conradth mit kaum merklichem Lächeln: »Ein unproblematischer Flug. Ich bin weder verheiratet noch ...«

Lauthallender Donner unterbrach sie. Das zweite Schiff lärmte im Landeanflug.

»Bin ich der erste Gast?«, fragte Conradth. Pompeo nickte ernst und sagte: »Der erste von euch neun, wie ich hoffe, Freunden. Das Fest wird drei Tage dauern, und deshalb ist nichts, was wir beabsichtigen, wirklich eilig.«

»Neunzig Stunden also«, sagte Blois. »Ich hoffe, niemand wird überfordert.«

Pompeo legte den Arm um Sir Conradths Schultern und zog ihn in eine der Nischen, wo ein gedeckter Tisch und eine wohl ausgestattete Bar auf ihn und seine Gäste warteten.

Drei Namen kannte jeder humanoide Bewohner dieser Milchstraße. Er kannte sie, weil sie drei Machtbegriffe verkörperten.

RONRICO ... KOBENAH ... AIKMON ... Drei Machtblöcke, die innerhalb genau festgelegter und weit ausgedehnte Grenzen einen großen Teil der Milchstraße umfassten. Sie herrschten nicht, sondern verwalteten. Angesichts von Millionen bekannter Welten – etwa 5000 bewohnte Planeten, Monden, Planetoiden, Satelliten, Asteroiden und künstlich geschaffenen Stationen – war herrschen so gut wie unmöglich. Ungehinderter, schneller Austausch möglichst vieler Informationen hatte bisher jeden ernsthaften Konflikt beziehungsweise dessen Ausbruch verhindert.

Ronrico war der wichtigste Planet der Sterne des Zentrums – eines Bereichs von rund 20 000 Lichtjahren Durchmesser, über dem Mittelpunkt der Milchstraße gemessen.

Kobenah bildete die Verwaltungswelt der Äußeren Sonnen, deren Einzugsgebiet sich in Form eines Kreisringes um den inneren, linsenförmigen Bezirk schwang. Jener Kreisring, dessen Durchmesser etwa 10 000 Lichtjahre betrug, grenzte an der Innenfläche an das Reich des Zentrums, mit der Außenkante an die Liga der Randbezirke.

Aikmon war die Zentralwelt der Liga, in der sich sämtliche Sonnen des Randes und deren bewohnte Planeten scharten. Die Liga befand sich zwischen der Außengrenze der Äußeren Sonnen und dem sternenarmen Raum zwischen den Galaxien. Das war, grob geschildert, die politische Situation in der Milchstraße seit dem Jahr 4500.

Es gab unvorstellbar viele unerforschte Welten. Ihre Zahl nahm unendlich langsam ab, denn die Neugierde der Menschen konnte mit ihrer Anzahl nicht mehr mithalten. Zwar reiste man in schnellen Schiffen binnen kurzer Zeit von einem Rand der Milchstraße zum anderen, aber eine Galaxis von etlichen Milliarden Sonnen blieb zu unübersichtlich, zu verwirrend und letzten Endes auch astronomisch unerschlossen. Die Bestrebungen kleiner Planetennester, autark zu werden und sich aus dem Verwaltungsbereich der drei Planeten zu lösen, mehrten sich. Andere wieder versuchten, sich in bestehende Machtblöcke hineinzudrängen. Forscher und Wissenschaftler waren bisher nur auf die Spuren fremder Sternvölker gestoßen; nur gewiefte Fachleute vermochten noch die Neuentdeckungen unbewohnter Welten aufzuzählen. Der Katalog der virtuellen Aliens und das Bild dieser Jahrzehnte blieb exotisch und verwirrend.

Die gegenwärtige Ruhe in der Galaxis war segensreich; Die drei Planeten standen zufällig in einer Linie – zog man vom Mittelpunkt der Galaxis eine Gerade, so traf sie zuerst auf Ronrico, dann auf Kobenah, lief schließlich nur ein Lichtjahr seitlich von Aikmon vorbei und wies hinaus in den Leerraum – bekämpften sich ihre rund 5000 besiedelten Welten nicht. Sie handelten miteinander und untereinander, und sie teilten fast alle technischen Errungenschaften. Schließlich stammten sämtliche humanoiden Wesen von der gleichen Erde ab; einem kleinen, ehrwürdig-unwichtigen Planeten im Bereich der Äußeren Sonnen.

Kleine Scharmützel zwischen einzelnen Planeten oder Sonnensystemen waren nicht gerade selten, aber meist schon vorüber, wenn die schwergepanzerten, ultraschnellen Phantomschiffe der Raumgarde eintrafen. Die Garde war überpolitisch und wurde von den drei Mächten finanziert. Ronrico, Aikmon und Kobenah hatten sich vor einem Jahrzehnt auch darauf geeinigt, eine einzige Verrechnungseinheit zu schaffen: Das Ecum. Energiticum, oder Energicum.

Die Menschheit, über einen Teil der Galaxis verstreut, redete in einem Idiom mit wenigen Dialekten, teilten miteinander die Wissenschaft, Kunst und Kultur; dennoch gab es große Unterschiede zwischen vielen Dutzenden humanoider Planetarier, die sich, groß oder klein, gelb oder schwarz, ihrer neuen Umgebung angepasst hatten. Im Großen und Ganzen verliefen die Jahrhunderte aufregend, aber ohne Kämpfe, ohne Kriege. Pompeo beabsichtigte, die Ruhe der Selbstzufriedenheit bis zu einem bestimmten Punkt aufzubrechen.

Irgendwo zwischen den Sonnen-Machtblöcken rotierte eine große Welt von landschaftlich einzigartiger Schönheit: Lancer, der Universitätsplanet, Konstruktionswelt hervorragender Raumschiffe. Millionen junger Studenten kannten ihn, kamen Jahr um Jahr, studierten und lernten Raumschiffstechnologie, Kosmologie und eine Vielzahl anderer ›galaktischer‹ Fächer, verließen Lancer mit Diplomen in ihren Händen. Die Heimatplaneten jener Studenten lagen über einen großen Teil der Galaxis verstreut.

Vor mehr als fünf Jahren, Anno Domini 6053 also, war Pompeo dort neun Freundschaften eingegangen, die bis auf den heutigen Tag Bestand hatten. Damals hatten sie sich die Hände geschüttelt, die die Andrucksessel ihrer Schiffe aufgesucht und waren zu ihren Heimatwelten geflogen; jeder besaß die Adressen aller Freunde.

Conradth und Pompeo zählten zu dieser Gruppe; als sie den harten Lärm der Triebwerke des nächsten Schiffes hörten, wussten sie, dass Peet Malinowski auf dem Weg zum Schloss war und möglicherweise Wilyam Iove Siccines Yacht zur Landung ansetzte.

»Du hast offensichtlich wieder einmal einen Plan, Pompi«, sagte Conradth leise und lächelte eine junge Frau an, die vor der Nische zu warten schien. »Ein Vorhaben, zu dem du einige von uns brauchst? Lass hören.«

Pompeo nickte selbstzufrieden, bedeutete aber Conradth trotzdem, zu warten. »Nicht nur einige«, sagte er dann entschlossen. »Alle!«

Conradth zuckte zusammen. »Alle zehn Lancer-Männer?«

»Richtig. Ich will nichts anderes als mit euch zusammen die Milchstraße in schnellere Rotation versetzen!«

»Eine Kleinigkeit für zehn Lancer-Studenten.« Conradths Lächeln war unübersehbar halb sarkastisch, halb ungläubig. »Etwas Geringeres genügt Euch nicht, mein Fürst?«

»Ich bin nicht für Halbheiten.«

»Verständlich. Habe nichts anderes erwartet.« Blois begann seine Brillengläser zu putzen; dass er dieses archaische Instrument trug, schien bestenfalls sentimentale Gründe zu haben. Ringsherum tobte das Fest; vor einer Nische öffnete sich ein schwerer Vorhang und enthüllte in düsterem Licht ein Konstrukt aus tausend kleinen Schrottfetzen, in dessen Mitte ein Rotationsmotor arbeitete. Daneben stand ein Maag von GNI’Buarts II. Gleichzeitig hallten die Fanfaren und erstickten jede Konversation; wieder schwangen die Torflügel auf. Der Bass dröhnte:

»Peet Malinowski, Freund des Edlen Pompeo! Seine Heimat ist Victa im zweiten entdeckten System von Delta Pegasi. Willkommen, edler Gast.«

Peet schien nicht im Mindesten überrascht. Sein hallendes Lachen war ansteckend, während er auf Pompeo und Conradth zuging, die Männer stürmisch umarmte und nach einem Glas griff. Conradth lehnte sich zurück und versuchte, Veränderungen oder Altersspuren an der hünenhaften Gestalt des Freundes zu entdecken. Peets kupferfarbene Haut und sein schulterlanges Haar, das sich wie Fäden reinen Goldes über die spitzen Wolfsohren in den Nacken wellte, kontrastierten mit den rotglühenden, großen Augen. Peet strahlte Pompeo, Inca und Blois an; im wechselnden Licht wirkte er in der Kleidung aus selbstleuchtendem Gewebe wie ein brennender Riese, wie eine erstarrte Kupferflamme.

»Wohin geht der Flug, Fürst? Gestehe – du planst etwas Unvergessliches?«

»Noch kein Flug. Lange Beratungen hier – als meine Gäste.«

»Sind alle neun Freunde eingeladen?«

»Selbstverständlich. Ich denke, wir sind noch heute Nacht vollzählig.«

Peet nickte Conradth und Pompeo zu. »Ich habe viel zu tun gehabt und bin im letztmöglichen Augenblick gestartet. Hab meine Triebwerke fast überfordert; geflogen wie ein Irrer. Hierher, Schönste!«

Er griff nach einer Frau, die ihn seit einiger Zeit hingerissen beobachtete, zog sie an sich und nahm ein volles Glas. »Mein Arm ist stark genug für ein halbes Dutzend deiner schönen Gäste, Pompi!«

»Und dein Verstand?«, fragte Blois mit schräggelegtem Kopf.

»Erinnere dich an die Abschlussexamina!«

Peets Einwand ließ Conradth verstummen.

Pompeo meinte: »Ich hoffe, dass alle Freunde meiner Einladung so zuverlässig nachkommen wie ihr beide. Ich habe ein wahrhaft funkelndes Projekt im Kopf und hoffe, dass alle mitmachen. Oder irre ich?«

»Meinetwegen.« Peet deutete auf die Schrottansammlung und den reglosen Maag. »Gehört dieses Zeug zu deiner Idee?«

»Ein kleiner Teil meiner Vorbereitungen«, antwortete Pompeo. »Eine Art Happening.«

»Greift diese kapitalistische Unsitte schon nach den glücklichen Arbeitern, Bauern und Ölsammlern deines verruchten Planeten-Paradieses?«

»Nur nach dem degenerierten Fürsten dieser Welt«, sagte Pompeo und heftete seinen Blick auf Peets kurze Waffe; sie sah aus wie ein großer Dolch oder ein Schwert. Wieder verhallte der Lärm von Non-Ecum-Bremstriebwerken.

»Wilyam Iove Siccine, Freund des Edlen Pompeo«, verkündete der Herold. »Sein Heimatplanet ist die unvergessliche Erde; Terra im System Sol der Äußeren Welten. Willkommen auf Kestrel, Meister.«

Siccine empfand sich als Künstler; welche Kunst er repräsentierte, blieb unklar. Die Kunst, sich wirkungsvoll in Szene zu setzen, beherrschte er indes: Er trug weiße Lackleder-Stulpen-Reiterstiefel zu einer anliegenden weißen Hose, dazu eine schimmernde Litevka, auf deren Brust ein Raumhelm-Hologramm mit den Initialen W.S. langsam zwei prachtvolle Adlerflügel bewegte. Ein wenig affektiert sah sich Siccine um, tänzelte auf Pompeo zu und rief:

»Hach! Welche Massen hochillustrer Gäste! Und die vulgären Ex-Studenten von Lancer haben sich schon versammelt.« Er starrte die kleine Versammlung an, als wolle er sie in Öl malen. »Kommen etwa die anderen Abscheulichen auch noch ...?«

Peet schüttelte Siccines Hand, griff nach dem Schwert und knurrte: »Du bist nicht auf Terra, Kleiner! Halt den Mund, benimm dich und trink einen Schluck.«

In plötzlich ausbrechender Herzlichkeit umarmte Siccine die Mitglieder der Gruppe und sagte: »Wozu diese Massenversammlung, o Fürst?«

»Warte und sieh selbst«, sagte Pompeo. »Überdies verbreitest du penetrant einen unpassenden Duft!«

»Teures Argent de Kestrel«, erklärte Siccine schulterzuckend. »Ein Glas Wein!« Er trank es in drei Schlucken leer. »Euer kümmerliches Gewächs ist zu spät gelesen, aber fruchtig und chemikalienfrei; jedenfalls genießbar.«

»Immerhin.« Pompeo schmatzte. »Wir wollen niemanden vergiften.«

Das vierte Schiff brachte Howard Yulsman von Vigilant, dessen weißer, seidiger Pelz intensiv nach einem Kestrel-Pflegemittel roch. Er maß 160 terranische Zentimeter, trug wildlederne Jägerstiefel und einen großen ledernen Lendenschutz. Zwischen den gekreuzten Gurten voller Ecum-Patronen über der bepelzten Brust steckte ein doppelläufiger Strahler. Die blauschimmernden Klauen seiner Finger glitten zurück, als er die Freunde begrüßte.

»Ich dachte, ich wäre der letzte«, rief er. »Aber noch fehlen unser Fünf. Ich würde besonders Karasingh vermissen, den letzten fetten Würgfalken der ungastlichen Warak-Gebirge.«

»Zusätzlich fehlen noch Nadoor, Strongfort, Spitfire und Tajiri«, sagte Pompeo und stand auf. »Wahrscheinlich haben sie sich unterwegs getroffen, ein großes Fass angeschlagen und driften jetzt auf wirren Kursen durchs All. Oder die Raumgarde bringt sie in Handschellen.«

»Beides ist möglich.« Siccine folgte dem Fürsten und dem Tross aus weiblichen Begleitern und Pagen, die Getränke schleppten. Sie gruppierten sich um Pompeo, der in der Mitte des Saales auf den Stufen des Throns seiner Vorfahren die Arme ausbreitete und wartete, bis Ruhe einkehrte.

»Lasst das Happening beginnen!«, schrie er. Ohrenbetäubender Jubel, in dem der Lärm vom Raumhafen unterging, antwortete ihm. In der darauf folgenden Stille erklang leise Musik. Die Beleuchtung in der Nische änderte sich. Ein unsichtbarer Erzähler begann seine Geschichte; der Maag bewegte sich vor der Metallplastik.

Maagar, der Maag, liebte alles willkürlich Verformte. So begann die Sage von den ersten Robotern auf Kestrel. Unbeschreibliches Entzücken überkam Magaar, wenn er zufällig auf seinem täglichen Weg ein verdrehtes, gewundenes oder verformtes Metallstück fand. Wird es passen? Er rätselte versonnen. Wird es sich einpassen lassen? Seine Maschine wuchs und wuchs; seit Jahren baute er an ihr, sammelte wahnhaft Teil um Teil und gliederte es ein. Der Maag auf der rot beleuchteten Bühne interpretierte den Text des Erzählers. Nicht jedes Metallstück ließ sich verwenden, und nur Magaar verstand es wie sonst niemand, die Stücke zu sortieren. Er nannte seine Sammelwut die »Mutter aller Wissenschaften«, die Königin aller Kunst, weil sie der absoluten Sinnlosigkeit aller unnützen und wertlosen Gegenstände einen realen Sinn gab: den deutbaren, plastischen Gehalt an Verwendbarkeit. Gebannt starrten die Gäste auf die Bühne. Kreischende Geräusche ertönten, während Magaar schraubte und einpasste.

Er stocherte nicht nur in Abfallhalden herum, auch der Zufall war ausschlaggebend – wenn es Schrott regnete, nachdem ein Schiff in der Lufthülle verglüht war oder ein Wohngebäude detonierte. Magaar untersuchte seine Funde und lächelte dabei verzückt. Am Abend trat Sinam, seine Braut, zu Magaars Kunstwerk. Er sah sie lange an und sagte:

»Du kommst spät heute!«

Aus den Falten des Vorhangs schälte sich eine schöne junge Maag. Als sie auf Maagar zuging, huschten Reflexe über die metallenen Schuppen ihres anliegenden Kleides. In ihren Augen lag freudiger Schimmer, als sie mit ungewohnt heller Stimme antwortete:

»Ich war im Tempel der Zusammenkunft.«

Gebannt hielten die Gäste den Atem an. Irgendwo klirrte ein Glas. Der Maag schlurfte ins Zentrum der Bühne, blickte in die grünen Augen des weiblichen Maag und sagte:

»Wie viele waren dort?«

»Nur drei. Aber Zoog war einer von ihnen.«

Der Künstler freute sich für sie; seine Aufgaben hatten nichts mit dem Tempel zu tun. Mit schlecht verhohlener Neugierde sagte er:

»Was hältst du in der Tasche versteckt?«

Ihre Finger mit der buntschillernden Schlangenhaut griffen in den Beutel auf ihrem linken Schenkel und brachten ein bizarr geformtes Metallstück zum Vorschein. Maagar erstarrte, dann stürzte er sich mit seinen verkrümmten Beinen auf Sinam und entriss ihr den Gegenstand. Aus der Backentasche holte er ein Werkzeug und untersuchte das seltsame Stück, um es irgendwo unterzubringen. Sinam nahm ihren Kopfputz ab und stellte sich unter das weiße Feuer der Konstruktion, wie um sich zu wärmen. Die Maschine umfing sie mit metallenen Gliedern. Der rote Schein wurde intensiver. Der Maag fügte den Gegenstand in sein Konstrukt ein, schraubte ihn fest und rief:

»Freue dich mit mir, Sinam! Mein Kunstwerk ist vollendet!«

Er hielt Abstand und betrachtete die Konstellation: Das Weib und die Maschine. Die Gäste glaubten Teile der ersten Maschinen auf Kestrel zu sehen und dachten an die echsenartigen Lenker der terraformenden Geräte. Der Maag rief keuchend:

»Welch ein Gegensatz! Welche Feindschaft der Formen!« Der Rotationsmotor kreischte auf, das Pleuel bewegte sich zitternd. »Hier glatte Form aus Haut und Knochen – dort sinnvoll zusammengefügte Fetzen geborstenen Metalls!«

Sinam begann, während sich die Maschine bewegte, ein altes Revolutionslied der Maag zu singen. Ächzen und Knirschen erfüllten die Halle. Magaar sprang wie ein Rasender durch den Raum. Voll Entsetzen versuchte Sinam zu entweichen, aber die Maschine ergriff die Maag mit scharfen Haken und metallenen Klauen und veränderte die Formen; Stück um Stück wurde die Frau zerschnitten und zerfetzt. Maagars Schöpfung hatte erkannt, dass Sinam im Gegensatz zur Maschine makellos gewesen war. Die Gäste erstarrten, als sich die Maschine mit einer Menge blutiger Fetzen dekorierte. Aber als das rote Licht verging, verwandelten sich die Blutstropfen am Metall an kristallene Tautropfen, die an Blättern, Blüten und Ranken einer schillernden Riesenpflanze hingen. Ein wildes Spiel der Farben und Formen entfaltete sich. Magaar, der Maag, deutete zur Decke, und mehr und mehr Blüten begannen zu schweben und zu flattern und ließen sich wie zauberhafte Schmetterlinge auf den Schultern der weiblichen Gäste nieder. Der Maag zauberte sich aus seinem Fell, stand plötzlich als Sinam da und fragte:

»Möchte jemand von den Gästen sternenstaubübersäte Technoorchideen?«

Er begann die Reste der traurig dahingegangenen Maag einzusammeln und warf sie ins Publikum, das sie auffing und begeistert Beifall spendeten; in den Blattadern und Blütengefäßen der Orchideen befand sich ein Spitzenprodukt des Roborghschen Parfümindustrie.

Verwirrt schüttelte Wilyam Siccine den Kopf.

»Dies könnte, der Genialität des Einfalls nach, von mir sein. Woher, Hochedler Fürst, beziehst du deine Einfälle?«

»Diesen hier nicht von Terra«, antwortete Pompeo. »Aber ... ich hörte ein Schiff.«

»Ganz recht«, bekräftigte Howard Yulsman. »Die schrottreifen Triebwerke der Desert Queen von Abu el-Haul, dem Vater des Schreckens.«

Karasing Gargir, der Würgfalke der Warak Kabiine, trat ins Licht der Halle. Pompeo hatte auf einem Monitor beobachtet, dass Gargirs Robots in einem Teil des Parks ein Zelt aufgeschlagen und sechs Kamelstuten angepflockt hatten. Gargirs weibliche Leibwache begann, Lieder der Wüstennomaden summend, die Kamele zu melken. Als sich die Hallentore langsam schlossen, sah man hinter Karasingh vier hellblau gekleidete, verschleierte Gestalten, die trotzdem unverkennbar weibliche Formen zeigten. Siccine riss die Augen auf, fasste sich ans Herz und wich Schritt um Schritt zurück.

»Gargirs eiserne Leibwache!«, ächzte er. »Vier verschleierte Amazonen, beim Buch der Palimpseste!«

Der Würgfalke breitete die Arme aus, raffte seinen goldbestickten Burnus und schritt auf Pompeo zu. Im Gleichschritt folgten ihm die Verhüllten. Er schnalzte mit den Fingern; die erste Gestalt trat vor. »Begrüßung!«

Die Gestalt, deren Augen aus dem Schlitz des Schleiers funkelten, reichte den Männern schweigend eine zierliche Hand mit drei kostbaren Ringen. Karasingh erläuterte:

»Meine Lieblingsfrau Aaleh Fazhal-Ajmer. Sie begleitet mich auf allen Reisen.«

Er schüttelte seinerseits die Hände seiner Freunde, umarmte die Männer, deutete Wangenküsse an und murmelte: »Aus welchem Grund hast du uns eingeladen, Herrscher der Düfte?«

»Wahrscheinlich will er dir die Amazonen abkaufen«, antwortete Conradth mürrisch. »Oder etwas ähnlich Bizarres. Die drei da scheinen die Zofen deiner Gemahlin zu sein?«

Karasingh bedeutete ihm zu schweigen und schnippte abermals mit den kurzen, muskulösen Fingern.

»Dies ist meine Lieblingsfrau Belea Fazhal-Ajmer. Ihr wisst, dass ich Anhänger des Mijje tamantaschar bin, der 118 Seiten. Kein Alkohol, aber mindestens vier Frauen. Alles legal.«

Auch der Händedruck Beleas war fraulich, aber kurz und kräftig. Karasingh ließ den Blick seiner Raubvogelaugen durch den Raum gleiten. »Und das sind Ceyna und Danayd Fazhal-Ajmer. Schwestern.«

Gehorsam begrüßten die Frauen Pompeo und dessen verblüffte Gäste, dann gruppierten sie sich um ihren Gatten, der die Arme hob, anwinkelte und zu deklamieren begann.

»Nicht umsonst nennt man mich den Falken der schroffen Warak-Berge. Denn es steht geschrieben im Caputh des Raumschiffs, dass sich niemand mehr auf die Schultern lädt, als er tragen kann, ohne zu schwitzen.«

Synchron stimmten seine Gattinnen zu: »So steht es geschrieben.«

Die Freunde standen und saßen verwundert schweigend da; Peet sah grinsend zu, wie Pompeos Diener die Frauen zu den Zimmern des Gästetrakts führten. Unvermittelt fragte Pompeo:

»Ohne Scherz: Ist einer von euch an seinem Arbeitsplatz unglücklich? Oder unterbezahlt? Oder gar arbeitslos?«

»Zugunsten der Kunst«, entgegnete Wilyam Siccine, »hängt mir zwar jede normale Arbeit zum Hals heraus, aber arbeitslos scheint keiner aus unserem Kreis zu sein.«

»Wer würde, böte man ihm eine einzigartig interessante Arbeit mit unbeschränkter Verdienstmöglichkeit an, seinen augenblicklichen Job kündigen?«, fragte Pompeo lauernd, mit kaum unterdrücktem Drängen in seiner Stimme.

Die Gesichter der Freunde ließen erkennen, dass sie ernsthaft darüber nachdachten. Die anbrechende Diskussion wurde durch die Landungsgeräusche eines weiteren Schiffs unterbrochen.

»Anson Nadoor d’Artagnano und Jupiter Mars Strongfort«, meldete das Team des Raumhafentowers. Peets Spitzohren zuckten in die Richtung des Portals.

»Vermutlich liefern sich Don Spitfire und Fancisco Tajiri wieder ein Privatrennen. Immerhin scheint die Schar deiner Gäste vollzählig zu landen, Pompi.«

»Wohlfeile Äußerlichkeiten!«, bemerkte Pompeo ral Roborgh, als die verwunderten Reaktionen der letzten Ankömmlinge auf die aufwendige Gestaltung des Fests vergangen waren. Nach den Begrüßungen und den ersten Drinks führte er sie über eine spiralige Gleitrampe und andere hochmoderne Einbauten seines festungsartigen Schlosses durch einige Gänge. An den Wänden hingen Ahnenportraits jeglichen Alters, aller Stilrichtungen und in mehr als einem Dutzend hochkünstlerischer Ausführungen; die letzten waren leuchtende Hologramme. Schließlich standen die Zehn an einem runden Tisch in einem kreisrunden Gemach, dem Basisraum des Schlossturms.

»In der nächsten Zeit bleiben wir hier völlig ungestört«, sagte Pompeo. »Nehmt Platz, bitte.«

Anson Nadoor D’Artagnano, geboren und aufgewachsen auf dem Planeten Temco VI, der Welt der 5000 Inseln, im System der Sonne Tumpanon des Spica-Systems, setzte sich. Man unterschätzte den kleinen, agilen Temconier meist, denn er war kein Mann gepflegter Äußerlichkeiten wie der Venusier Jupiter Mars Strongfort. Aber wenn er von der Richtigkeit seiner Ideen überzeugt war, entwickelte er eine erstaunliche Energie; er arbeitete verbissen alle Stunden des Tages und der Nacht und nahm dabei intellektuelle und geschäftliche Entbehrungen in Kauf wie kein anderer.

Eine halbrobotische Bar, ein monströser Schreibtisch und etliche andere Einrichtungsgegenstände bestanden aus hellem Holz. Durch große Fenster sah man den Park, dessen schönste Teile indirekt beleuchtet waren. Unter der Decke rotierte langsam ein holografisches Drehbild: Die Zerstörung des Schiffes Albatros durch Eingeborene von Kestrel Vier.

»Getränke, Tabakwaren, leichte Rauschmittel, Zahnstocher und dienliche Informationen können durch die Wählapparatur in den Sessellehnen geordert werden«, sagte Pompeo und blieb hinter seinem Sessel stehen. Seine Freunde spürten, wie gegenseitiges Vertrauen und zuverlässiges Gemeinschaftsgefühl zurückkehrten; es war wie damals während der Ausbildung auf Lancer. Die Attitüde des prunksüchtigen Fürsten fiel von Pompeo ab, als er zu reden begann.

»Abermals willkommen – nun in einem der ersten Räume, die meine Ahnen auf dieser Welt gemauert haben. Wir haben einander wieder erkannt, schätzen und vertrauen einander wie in alten Zeiten, und ich bin sicher, offen und frei reden zu können. Ist es so?«

»Selbstverständlich«, murmelten die Freunde durcheinander.

»Eine gute Stunde für einen guten Plan: ‘s ist Mitternacht. Ist etwa einer inzwischen Ministerpräsident von Aikmon oder Ronrico geworden?«

»Ja. McWhitemount, einer unserer Staatsrecht-Dozenten. Keine lange Vorrede, Davyd«, sagte Karasingh. »Du musst uns keine Kinder-Einschlaf-Märchen erzählen. Etwas liegt dir auf dem Herzen. Heraus damit!«

Pompeo nickte, grinste grimmig und sagte eindringlich:

»Männer! Freunde! Wir haben die Universität mit ausgezeichneten Resultaten verlassen, kennen und vertrauen einander und sind, statt zusammenzubleiben, in alle Richtungen der Galaxis auseinandergeschwirrt. Tausende Lichtjahre trennen unsere Heimatwelten. Das sollten wir ändern.«

»Verkaufst du seit neuestem Eigenheime auf deinem Hinterwäldlerplaneten?«, sagte Siccine spöttisch.

Peets drohende Handbewegung ließ ihn schweigen. Pompeo fuhr fort:

»Wir sind ausgesuchte und begehrte Spezialisten. Unser echsenhäutiger Kahlkopf deBlois ist Fachmann für Handel mit wenig entwickelten Welten, Wolfsohr Malinowski hat exotische und einzigartige Einfälle und verschleudert sie an windige Werbeagenturen. Siccine, der Schüchterne, ein As angewandter Werbepsychologie ...«

»Nichts weniger als das ...«, brummte Wyliam scheinbar gekränkt. Davyd ral Roborgh donnerte:

»Ich meine es ernst, Terranier! Yulsman forscht und entdeckt neue Materialien, der Geier der Werweißich-Berge ist unerreichter Meister geschäftlicher Verknüpfungen vulgo Bestechung. Nadoor kennt jedes schmierige Geschäft der Milchstraße und dessen Drahtzieher.«

Die Freunde musterten einander, als sähen sie sich zum ersten Mal, und jeder versuchte, den Sinn von Pompeos Ausführungen zu entdecken.

»Für Projekte und Analysen der reinen Wissenschaft ist Jupiter Mars Strongfort zuständig; Spitfire ist ein Organisationsgenie und verrichtet schwerste Arbeiten, ohne zu ermüden. Tajiri ist der Meister delikater Verhandlungen zwischen Einzelpersonen, Wirtschaftsgruppen oder Planetenregierungen. Ich bin ein geiziger, daher ausgezeichneter Buchhalter – außerdem bin ich der Reichste von uns Zehn. Alles genau recherchiert.«

Karasingh Gargir hob seine Hand, an der sieben oder acht Ringe funkelten, und stoppte den Redefluss.

»Und die Folgerungen aus dieser langweiligen Aufzählung?«

»Anstatt einzeln zu arbeiten, sollten wir zusammenlegen. Unsere Verstandesleistungen, zehn Hirne richtig eingesetzt, sind ein brachliegendes Potential, das die Rotation der Milchstraße aufhalten könnte.«

»Er besaß schon immer dieses Denken in kosmischen Dimensionen!« Yulsman berührte einige Tastenfelder der Wählapparatur. Pompeo ignorierte auch diesen Einwurf.

»Wenn wir, statt weiter dieses unausgefüllte Arbeitsleben weiter zu betreiben, unsere Ideen zusammenlegen, klug abwägen, lange nachdenken, schließlich alle unsere Fähigkeiten einsetzen, ist uns nichts und niemand gewachsen; einschließlich der Raumgarde.«

»Der Vorschlag überzeugt mich fast«, sagte Tajiri. »Sollten wir deiner Meinung nach Obst, Nägel oder Didaktik-Chips verkaufen? Ich hätte, aus Kaytown, einen günstigen Posten ...«

»Verkaufen! Jawohl!« Pompeo schmetterte die Faust auf das Babysaurierleder der Tischplatte. »Ihr habt richtig gehört! Immer gibt es in der Galaxis jemanden, der etwas Bestimmtes braucht. Riesige Mengen. Ganze Schiffs-Konvois! Wir suchen und finden einen Hersteller, kaufen die Produktion billig und verkaufen sie teuer. Nur wir. Mit entsprechender Gewinnspanne! Nicht in Kilogramm, sondern in planetaren Quantitäten. Gleichgültig, um welche Ware es sich handelt – an allem, mit dem wir handeln, verdienen wir.«

»Beim beschriebenen Palimpsest«, sagte Gargir. »Das ist eine kühne Idee. Ich habe, dünkt mir, zu früh und zu oft geheiratet. Ich lasse mich sofort viermal scheiden. Dein Rücken, werde ich rufen, o Weib, ist mir wie dein Gesicht. Oder umgekehrt?«

»Wie viel Perzente gibst du mir, wenn ich deine Damen verkaufe?« Nadoor sprang auf und streckte die Hände aus.

»Blödsinn!«, schrie Gargir unter dem Gelächter der anderen. »Ich denke nicht daran. Es steht geschrieben, dass ein schöner Sattel das Kamel, rennt es durch die Wüste, nicht drücket.«

Peet Malinowski redete ruhig weiter: »Ich beginne mich für deine Vorschläge zu erwärmen, Pompeo. Und wer finanziert den Start unserer Gruppe?«

»Ich«, sagte Pompeo gleichmütig. »Ich lege ein MegaEcum ein, eine Million zu achtperzentiger Verzinsung. Ab jetzt und heute, am 15. Januar Anno Darkness 5079.«

Blois heulte auf und schrie: »Bist du durchgeknallt, Mann? Wir können höchstens geben fünf Perzent! Nicht mehr, keinesfalls.«

»Anfänger.« Pompeo hob die Hand. »Siebeneinhalb.«

»Wenn du auf sechs heruntergehst, ral Roborgh«, meinte Gargir scheinbar versöhnlich, »gehe ich mit.«

Tajiri lehnte sich zurück, spielte mit seinem Glas und sah dem Fürsten in die Augen. Als er das Funkeln bemerkte, lächelte er und wartete gelassen auf den Ausgang des Feilschens; er glaubte ihn bereits zu kennen.

Allein schon sein Name verurteilte Jupiter Mars Strongfort zur Zielscheibe aufkommenden Spotts. Seine Eltern, hochqualifizierte Wissenschaftler, wünschten sich nichts dringlicher als einen sportlich erfolgreichen Sohn. Das Experiment schien fehlgeschlagen; Jupiter, hochgewachsen, fast knochig und trotzdem unsportlich, besaß braune Haut, im Venusorbit gedunkelt, und langes, schwarzes Haar. Aus dem schmalen Gesicht Strongforts, eines der besten Verwaltungswissenschaftler des Solaren Systems, brannten große Augen wie Sonnen, die sich selbst verzehren.

Er wählte ein hochprozentiges Getränk, Djinnfaddich, nickte Tajiri zu und lehnte sich zurück. Strongfort besaß kaum mehr als seinen glänzenden Verstand und ein kleines, schnelles Raumschiff, die Venus Mainframe, und er kalkulierte schweigend Pompeos Vorschläge und die Reaktion seiner Freunde.

»Sieben Perzent Zins.« Eigensinnig beharrte Pompeo auf dieser Zahl.

Nadoor warf den abgewetzten Kreditchip einer galaktischen Großbank auf den Tisch und knurrte: »Bei Fünfeinhalb wäre ich mit einer Viertelmillion Ecum eingestiegen. Nicht aber bei sieben.«

»Sieben sind zu viel.« Yulsmans Krallen fuhren erregt hervor und zurück. Pompeo schränkte nach einer Weile ein.

»Sechseinhalb?«

Lebendige Gestaltung eines Problems besteht aus Abweichungen, dachte Fancisco ›El Cid‹ Tajiri. Flexible Interpretation unserer Ideen und deren Durchführung sichert uns die Einmaligkeit, die Exklusivität oder gar das Monopol. Er beugte sich vor und sagte in einem Tonfall, der offensichtlich alle beeindruckte:

»Fünfeinhalb Perzent pro Galaktisches Normjahr. Unsere Allianz, galaxisweit, muss nicht an den einzelnen Mitgliedern verdienen. Der Muskelmann Don Spitfire soll die verdammte Buchführung übernehmen. Einverstanden?«

»Wir sollten uns Die Galaktischen Händler nennen. Oder Freihändler der Galaxis. Oder Stellare, besser Interstellare Freihändler. Einverstanden?«

»Alles schon vorausbedacht«, sagte Pompeo und holte aus einem Schreibtischfach eine Kassette. Er entnahm ihr zehn Sets, die aus digitalen Siegeln, in Nanotechnik gefertigten Visitenkarten, solchen in antiker Drucktechnik, aus Credibriefen, Kontenkarten, verschiedenen Geschäftsunterlagen, Briefköpfen und anderen Utensilien bestanden. Er legte die Bündel seinen Freunden vor und sagte: »Interstellare Freihändler. Zufrieden, Partner?«

»Dieser Hochstapler-Fürst!« Yulsman fauchte wie ein rachsüchtiger Gepard. »Er hat fest damit gerechnet, dass wir einwilligen. Der gerissene Hund hat selbst Geschäftskarten drucken lassen!«

»Garantiert fälschungssicher«, bekannte Pompeo. »Dafür biete ich euch auch die Chance, so viel Geld zu verdienen, dass sich ein Schwerkraftschacht krümmt. Auch ein Herrscher Kestrels verfügt über rudimentäre psychologische Kenntnisse.«

»Interstellare Freihändler. Klingt gut«, sagte Strongfort. »Wann fangen wir mit dem Freihandel an? Soll er stellarpolitisch korrekt sein?«

»In magis et voluisse sat est«, antwortete Pompeo ungerührt.

»Wie?«

»Lateinisch«, sagte Siccine, der Terranier, mit erhobenem Zeigefinger. »In großen Dingen genügt es schon, gewollt zu haben. Wir haben verstanden.«

Pompeo erklärte, dass mittlerweile an jedes Raumschiff ein hochmodernes Bildfunkgerät geliefert worden war und eingebaut werden konnte. Es arbeitete selbstverständlich mit hochverschlüsselten Frequenzen und mit neu definierter Reichweite; nur mit den Zugangschips, die vor ihnen lagen, war Kommunikation möglich. Pompeo schloss:

»Diese Geräte waren nicht billig. Es sind meine fürstlichen Geschenke an unsere neuentstandene Gruppe.«

»Zu viel der Güte!«, stöhnte Blois. »Wir müssen also nur noch unsere Jobs kündigen, unsere Geliebten ein letztes Mal umarmen und dann mit weißglühenden Düsen durch den Kosmos zu unserem ersten Wirkungsort rasen?«

»Wenn das eingezahlte Startkapital mit Zins zurückgezahlt worden ist, und wenn sich herausstellt, dass Davyd Pompeos galaxisbewegender Einfall tragfähig war – dann arbeiten wir alle für einen virtuellen Trust namens Freihändler. Richtig?«

»Einer für alle, alle für einen«, bekräftigte Pompeo. »Später jedenfalls. Du übernimmst die Buchführung, Mann von Citabria?«

»Ich werde jedes Ecum einzeln in die Finger nehmen, drehen und wenden.« Don Spitfire nickte schwer. »Wir beziehen die ersten Jahre lediglich ein schmales Gehalt und lassen alle Einnahmen zunächst auf unserem gemeinsamen Konto. Einsprüche?«

Es gab keine.

Noch einmal flammte die Diskussion auf, dann schwiegen die Männer hinreichend erschöpft. Die pseudoandroide, übertrieben weiblich gestylte Robot in der Tischmitte bediente sie unablässig mit Getränken und Erfrischungen. Tajiri schien das Bedürfnis zu haben, das Besprechungsergebnis zusammenzufassen. Im Tonfall des geschulten Verhandlungsprofis sagte er:

»Wir haben also nur noch – das mag das Schwerste sein – die Aufgabe, zu suchen, zu finden und zu verkaufen. Wir sollten einen Teil der Milchstraße mit einem Netz aus Handelsverbindungen überziehen, mit uns an den Knotenpunkten. Unsere Anstrengungen müssen gewaltig sein, unsere Gewinne sollten möglichst hoch ausfallen. Wir kennen nur einen Götzen: Umsatz! Und dessen Gesetz heißt: Perzente! Wir sollten rasch damit anfangen, unser Tun den Völkern der Galaxis bekanntzumachen. Klar?«

»Nichts anderes haben wir vor.« Die Händler nickten; Peet Malinowskij, der Riese von Victa, hob seine Pranke.

»Ich habe eine Idee, die viel in sich birgt. Noch habe ich zu wenige Informationen. Zu viele Vermutungen und Unwägbarkeiten, meine ich. Wollt ihr hören, woran ich denke?«

»Nur zu!«

Peet sagte: »Holt den A.L.A.R. in eure Holos. Stichwort Buccaneer.«

Der betreffende Eintrag aus: Hylobatos, Khalil-Mandjaossi, Sharçais: A.L.A.R. aller Welten und deren (...) Muttergestirnen erschien:

Das Sternbild Fuhrmann (Auriga), reich an offenen Sternhaufen vor allem (in klassisch-terranischer astronomischer Terminologie) im südlichen Teil. Das Objekt M 36, rund 4109 Lichtjahre von der Erde entfernt, enthält ca. 70 Sonnen. Krungthep Mahanakhon 61.15 besitzt 10 Planeten. Buccaneer, der vierte Planet, erdähnlich und wenig terrageformt, bindet vier künstliche Satelliten und drei natürliche Monde: Burirom, Piman und Awatan. Die Schwerkraft Buccaneers beträgt 109,5 % Erdnorm; seit der Erstbesiedlung ständig wechselnde Regierungsformen. Derzeit durchlebt B. eine gesetzlich gerade noch duldbare Diktatur.

2. Kapitel

Der Diktator von Buccaneer

»Die Währung, der Para, ist an das Ecum gekoppelt; 10 000 pr sind etwa ein FivEcum. Das Volk ist nicht arm, aber künstlich dumm gehalten. Keine Erfahrung in demokratischen Techniken«, sagte Peet dozierend. »Angeblich besteht eine Untergrundbewegung. In absehbarer Zeit will der Diktator Olympische Spiele für den Raumsektor M 36 durchführen. Nähere Auskünfte darüber und eine dürftige Namensliste habe ich in meinem Schiff.«

»Was dir fehlt, Peet, finden wir in den Speichern meiner Starwynd«, sagte Tajiri und lehnte sich behaglich grinsend zurück. »Schließlich war ich ein Jahr lang im Diplomatischen Dienst der Raumgarde. Sie wird jeden unterstützen, natürlich verdeckt, der die Diktatur abschafft.«

Pompeo überlegte laut. »Olympische Sektorenspiele? Wir könnten die Regie der Spiele übernehmen. Millionen Sportgeräte und Einrichtungen verkaufen. Sportlehrer einstellen, an den Leistungen von Subunternehmern verdienen, den Regierungstruppen untaugliche oder manipulierte Waffen verkaufen, mit denen sie sich gegen den von uns gesteuerten Aufstand der Bevölkerung zu wehren gedenken, dem flüchtenden Diktator einen unbewohnten Mond als Ruhesitz verkaufen – ein weites Feld, meine geschätzten Partner! Überlegt ein wenig!«

Nach einiger Zeit schweigenden Nachdenkens meldete sich Conradth deBlois zu Wort.

»Ich schlage vor, die Aufgaben klug zu verteilen: Fancisco Tajiri beschafft uns sämtliche Unterlagen und verständigt die Garde von unserem Vorhaben. Dann besticht der Würgefalke der Warak-Gebirge die maßgeblichen Männer, und Tajiri verhandelt mit beiden Parteien. Wie heißt der geliebte Diktator?«

»Daniel Amun Clemmert«, warf Tajiri ein.

»Wir bemühen uns zwischenzeitlich um die Infrastruktur, heuern Fachleute für Riesenbauten an, planen Sportstätten und bauen den Beherbergungssektor auf. Ich schlage vor, wir treffen uns wieder in der schäbigsten Bar am Raumhafen Buccaneers. Wann? Bleibt abzuwarten.«

»Mein Fest dauert mindestens noch zweieinhalb Tage«, sagte Pompeo. Blois lächelte genießerisch.

»Stürzen wir uns in den Trubel aus erlesener Musik, schönen Frauen, kostenlosen Getränken und Pompeos faszinierender Gastfreundschaft. Bei Tanz und in leidenschaftlichen Nächten mit planetaren Möchtegern-Kurtisanen entwickelt sich vermutlich die eine oder andere Idee von stellarer Brauchbarkeit. Wir sollten unser erstes Abenteuer ausgeruht, bestgelaunt und hervorragend vorbereitet angehen.«

Die Geräusche und das Gelächter der Festgesellschaft begleiteten die Freihändler auf ihrem Weg durch den alten Teil der Anlage zu den Festsälen. Peet Malinowski lehnte schließlich an einer Säule, drehte einen halbvollen Pokal in den Fingern und überdachte das Geschehen der vergangenen Stunden. Die erste Aufgabe, die sich die Freihändler gestellt hatten, war von gigantischem Ausmaß; würden sie ihre kühnen Vorhaben durchführen können? Peet zuckte mit den breiten Schultern.

Der kleine Raumhafen Buccaneer-Central lag als ovaler Fleck aus schmutzigem Weiß zwischen zwei Bergrücken. Die Schiffe der Händler standen neben den Hangars am Rand des Feldes und warfen kurze Schatten. Neben einem kleinen, rostenden Ecum-Silo war eine Kugel aus stockfleckigem Silber zu sehen; dass es auf Buccaneer einen, wenn auch uralten, Achmad-Cleefalt-Generator gab, hatte die Händler überrascht. Es war Mittag; die Männer saßen an einem niedrigen Holztisch in einer ärmlichen, schmutzigen Bar, die sich Zum Imperator nannte. Pompeo Davyd ral Roborgh wischte mit dem Ärmel seiner blütenweißen Jacke über den Rand des halbleeren Glases, verzog angewidert das Gesicht und trank vorsichtig.

»Ausgerechnet hier beginnt unsere Aufgabe – der erste Zug liegt bei Gargir.«

Gargir schien zu bedauern, dass er weder seine Zelte aufschlagen noch die Kamele melken konnte. Er winkte dem Kellner. Der mürrisch dreinblickende Mann von fünfzig Jahren schlurfte näher, blieb schweigend neben dem Tisch stehen und fragte nicht einmal nach den Wünschen der Gäste.

»Sicherlich ist es den werktätigen Angestellten dieses staatlich betriebenen Ausschanks verboten, Trinkgelder anzunehmen. Stimmt’s?«, sagte deBlois leise. Der Keller nickte. Mit spitzen Fingern nahm Karasingh aus der Brieftasche einen zusammengefalteten Schein. Gleichzeitig zog Malinowskij aus seinem Gürtel ein Sechsermagazin Ecum hervor, löste die Patronen vom Haftstreifen und stellte sie in einer Reihe auf den schmutzigen Tisch.

»Gibt es auf Buccaneer-Central ein Gesetz, das die Annahme von Geschenken verbietet?«

Die Augen des Kellners leuchteten auf. »Nein. Haben Sie die Absicht, jemanden zu beschenken, oder wollen Sie etwa mich bestechen?«

Karasingh lachte schnarrend und sagte schamlos: »Junger Mann! Wir sind nette Leute, die nicht zusehen können, wenn jemand hungert und eine böse Miene macht. Wir wollen Ihnen für die höfliche Bedienung und für gewisse Auskünfte ein Geschenk machen. Ziehen Sie 10 000 Para oder sechs Ecum vor?«

Der Kellner zögerte, aber sein Blick löste sich nicht von den Ecum-Patronen. Er sah sich hastig um und bemerkte, dass alle Gäste außer den Händlern gegangen waren. Ein grüner Hund, oder etwas, das einem grünen Hund ähnelte, lungerte an der Tür herum und trollte sich. Über dem schrundigen Vergnügungsviertel am Raumhafen lastete mittägliche Totenstille. Gargir steckte den Geldschein ein; Peet raffte die Patronen zusammen und steckte sie in die Brusttasche des Kellners, der weder dankte noch protestierte.

»Die Herren haben mich in der Hand«, murmelte er. »Was wollen Sie wissen?«

»Gibt es auf Buccaneer eine Untergrundorganisation?«, sagte Tajiri. Der Keller nickte abermals stumm.

»Mit einem kompetenten konspirativen Ansprechpartner?«

Der Kellner nickte ein drittes Mal.

»Sorgen Sie dafür, dass sich ein prominenter Vertreter dieser Organisation bei einem von uns meldet. Dort: Das sind unsere Schiffe. Es ist gleichgültig, bei welchem von uns zehn er vorspricht. Die nächste Frage ...«

»Bitte, der Herr.« Schweißtropfen traten auf die faltige Stirn des Kellners.

»Wer aus der nahen Umgebung Daniel Amun Clemmerts ist bestechlich?«

Der Kellner lächelte ungläubig und flüsterte: »Jeder.«

»Es steht geschrieben im Caputh der flinken Börse«, knurrte Gargir, »dass ein Jeder zu kaufen sei. Nur der Preis ist unterschiedlich hoch. Wie teuer sind diese Kreaturen?«

»Nicht billig«, antwortete der Kellner. »Von einem ZentEcum aufwärts. Für eintausend kriegen Sie eine Audienz bei Clemmert, jede Minute mehr kostet einen DEcum. Darf ich Ihnen noch etwas bringen?«

Das Bier war passabel, aber zu warm gewesen. Blois saß neben der Tür und winkte einem Polizisten, der den Raum betrat.

»Das Gleiche noch einmal. Bitte kälter und in sauberen Gläsern – he, Scherge! Setzen Sie sich zu zehn armen Händlern und trinken Sie etwas mit uns!«

»Keine Zeit«, sagte der Polizist mürrisch. »Bin im Dienst.«

»Bleiben Sie’s.« Tajiri winkte ab. Der Kellner brachte die Getränke. Die Händler warteten, bis der Polizist nach einigen misstrauischen Blicken das Lokal verließ, tranken aus und verabschiedeten sich vom Kellner, nicht ohne einen 200-Para-Schein auf dem Tisch liegengelassen zu haben. Peet sagte:

»Wir besichtigen nunmehr das Umland. Spitfire bleibt empfangsbereit im Schiff, Karasingh schließt seine ersten Kontakte. Sei bitte nicht zu freigebig mit unserem Geld, Freund.«

»Keine Sorge.« Der Warak-Falke grinste. »Nichts hasse ich so sehr, wie mein eigenes Geld auszugeben.«

Er stieg unweit der Bar in ein klappriges Gleitertaxi und ließ sich zu den Regierungsgebäuden bringen. Don Spitfire schwebte zu seinem Schiff und klinkte sich in die planetaren Informationsnetze ein. Was immer man der Diktatur dieser Welt nachsagen konnte – man war korrekt, was stellare Besucher betraf: Nur eine einzige Passkontrolle, und keiner der Beamten hatte gefordert, bestochen zu werden. Die acht Freunde mieteten einen großen Gleiter und starteten zu einem ausgiebigen Rundflug.

Am Rand eines großen, baumumkränzten Platzes hielt Gargirs Taxi an. Der Fahrer sah schlechtgelaunt einem graubraunen Staubwirbel nach und sagte: »Vier zwölf.«

Karasingh zahlte 5000 Para und stieg aus. Der Fahrer gab das Restgeld nicht zurück und blieb sitzen, bis sein Gast genügend weit vom Gleiter entfernt war, dann schoss das schlangengrüne Gefährt knatternd davon. Der Platz der zwei Gewalten war gepflegt und leidlich kühl, denn die Baumkronen warfen große Schatten. Die Wege aus weißem Kies waren durch Posten und viele Absperrungen gesichert. Langsam ging Karasingh auf die Posten am Rand der Freitreppe zu, die zur Front eines weißen Gebäudes führte.

Gargir, den nicht nur seine Freunde mitunter ›Vater des Schreckens‹ nannten, strahlte Gesundheit, Zufriedenheit und äußerstes Wohlwollen aus. Sein gerötetes Gesicht, Inbegriff der Unschuld, zeigte den Ausdruck harmloser Vergnügungssucht. Karasingh hoffte, weiterhin mit seinem Aussehen bluffen zu können und wartete, bis ihn der Posten ansprach.

»Sonne, Fremdling. Was wünschen Sie?«

»Ich bin ein dicker, dummer Händler und möchte den Herrscher sprechen. Vielleicht hat er ein paar Minuten Zeit für einen Gast, der ihm überaus nützliche Vorschläge macht.«

»Dort hinauf.« Der Posten zeigte auf das obere Ende der Treppe. »Man wird Sie weiterreichen.«

»Danke, Soldat.« Karasingh wischte imaginären Schweiß von der Stirn und begann den Aufstieg über rund einhundert Marmorstufen. »Sonne über dem Herrscher!«

»Sonne!«

Oben geleitete ihn ein Soldat in den Schatten eines pompösen Vordachs und fragte: »Wohin des Weges, Fremdling?«

»Zu Clemmert, dem Herrn des Planeten. Ist er da? Hat er Zeit? Er versäumt das Geschäft seines Lebens, wenn er mich nicht anhört.«

Zwei Ecum wechselten den Besitzer. Die Trägheit provinzieller Abgeschiedenheit erfüllte den Prunkbau, trotz der fünfzehn Doppelposten im langen Korridor, durch den der Wächter Karasingh am Ellbogen führte. Karasingh überlegte: Mindestens dreißig Ecum gespart. Der Soldat nickte dem Kopf auf einem zweidimensionalen Bildschirm zu und betätigte einen Rufkontakt. Eine weißlackierte Stahlplatte glitt zur Seite.

»Hier hinein.«

Gargir machte einige Schritte in die Richtung eines Schreibtisches aus verziertem Formstein. Dahinter sah ein älterer Mann mit ungewöhnlich ernstem Gesichtsausdruck dem Gast entgegen und deutete auf einen Polstersessel.

»Sonne über dem Herrscher. Ich spreche mit Shlerph, dem Sekretär des Ersten Adjutanten?«

»Sonne. Sie tun es, Fremder. Ihr Name?«

Gargir setzte sich, schlug die Beine übereinander und betrachtete, während er tief im Ärmel seiner Dschellaba suchte, die staubigen Spitzen seiner Gazellenlederstiefel. Er warf mit elegantem Schwung ein leuchtendes Kunststoffkärtchen auf die Schreibunterlage vor Shlerph.

»Ich bin hier, um Clemmert – Ruhm sei ihm und seinen illegalen Nachkommen! – zu helfen.«

Sekretär Shlerph studierte den Text der Holografie und sagte: »Interstellare Händler ... womit handeln Sie, Fremder?«

»Wir handeln mit allem Vorstellbarem, einschließlich des vielen, das hier gebraucht wird!«

Shlerph nickte höflich, aber mit steinernem Gesicht.

»Sie glauben zu wissen, was wir brauchen?«

»So ist es.« Gargir machte eine vieldeutige Geste. »Es steht geschrieben, dass stets ein Wissender zwischen den Fremden weilt. Sie brauchen ein großes Team, das Ihre Sektorenspiele ausrichtet und Ihnen alles liefert, einschließlich galaktischen Ruhms, was Sie dazu brauchen. Sie verstehen?«

»Die Zeit des Adjutanten ist kostbar, Fremder.«

»Was kostet die Minute? Und wer kassiert?« Gargir zog die Brieftasche aus dem Ärmel.

»Minute: Eintausend Para, und ich kassiere.«

»Ich kaufe zehn Minuten und zahle halb-halb. Fünftausend Para jetzt und fünfhundert, nachdem ich Clemmert gesprochen habe. Einverstanden?«

Shlerph nickte. Ein 5000-Para-Schein erschien zwischen Gargirs Fingern und verschwand blitzschnell aus Shlerphs Hand in dessen Tasche. »Sie gehen durch diese Tür. Der Adjutant wird Ihnen, denke ich, weiter behilflich sein – umso mehr, weil er mit angesehen hat, wie viel Sie zahlen.«

Gargir deutete auf die gläserne Statue auf der Tischplatte. »Ich war so kühn, die TriâViso-Linse zu bemerken.«

Sein Gegenüber neigte höflich den Kopf. »Sie sind, scheint mir, ein vollendeter Gentleman.«

»Mit gefüllter Geldkatze.«

Gargir stand auf, verbeugte sich und wartete, bis sich die Panzertür geöffnet hatte. Im angrenzenden Raum sah er auf einem ähnlich großen Schreibtisch eine noch größere Zahl Kommunikationsgeräte und eine Glas-Skulptur. Mit einem Fächer aus Paranoten großer Stückelung fächelte er sich Luft zu und setzte sich nach einer entsprechenden Geste des Adjutanten vor den Schreibtisch.

»Segnende Sonne über dem Herrscher«, sagte Gargir und bemerkte beim Adjutanten die gleiche verbissene Humorlosigkeit wie bei allen anderen der Bevölkerung. Er berührte kurz die Agraffe an den Säumen seiner Dschellaba. »Sie sehen die Eintrittskarten, die mir Zugang zum Ohr des beliebten Diktators sichern sollen. Gelten die Karten noch?«

Der magere Uniformierte brachte ein karges Lächeln zustande; er schien das leidende Volk zu verkörpern und machte den Eindruck, samt seiner Familie und sämtlicher Ahnen von kosmischer Armut befallen zu sein. Er blickte Gargir hungrig an und stellte fest:

»Sie haben noch neun Minuten. Nutzen Sie die Zeit.«

»Eine Stunde mit Clemmert – was kostet sie?«

»Zehntausend Para in bar.«

»Ich nehme an, dass Clemmert nicht mithört?«

»Sie sind klug, Fremder.«

»Wäre ich sonst schon in des Herrschers edlem Vorzimmer?«

Zehn 1000-Para-Scheine mit dem Bild Clemmerts vor der Galaxis legten sich hintereinander auf die Tischplatte. Gargir schaltete, während der Blick des Uniformierten auf dem Geld ruhte, den Knopf am Fuß der Glasfigur ein, sank in den Sessel zurück und steckte die Brieftasche zurück in die Falten seines unergründlichen Gewandes.

»Ich nehme an, mit unzählbar vielen Para die Stunde gekauft zu haben, die unmittelbar an meine Bemerkung anschließt, General Nopharat-Voogt?«

Der General lächelte humorlos.

»Sie liegen durchaus richtig. Zufällig hat unser verehrter Staatslenker – wolkenloser Himmel über seinem Haupt – im Moment etwas Zeit. Sie sind waffenlos, sonst hätten die Geräte Alarm gegeben. Diese Tür, bitte.«

Gargir nickte und wartete, bis sich die intarsienverzierte Stahltür geöffnet hatte. Er trat in einen wenig prunkvollen, großen Raum, an dessen Rückwand ein Hologramm des galaktischen Außenasts prangte. Buccaneer und seine sieben Satelliten blinkten in stechendem Rot. Der Herrscher stand hinter seinem Tisch auf; ein kleiner, gedrungener Mann mit finsterem Blick und ungewöhnlich schmallippigem Mund.

»Sie wollen eine Audienz bei mir, dem Herrscher dieser Welt am Rand der Bedeutungslosigkeit. Nun – hier bin ich. Reden Sie, Fremder.«

Gargir legte die Hand auf die Brust, schloss auf dem Schmuckstück einen Kontakt und deutete auf einen Bildschirm, den sein winziges Gerät aktiviert hatte. Dort waren der erste Posten und zuletzt der General zu sehen und zu hören. Gargir sagte liebenswürdig grinsend:

»Ich hoffe, dass Sie richtiggehend darüber empört sind, wie Ihre engsten Vertrauten Ihre kostbare Zeit verkaufen. Ich schlage vor, Sie machen Shlerph und Voogt ernsthafte Vorhaltungen – die viel zu vielen Para teilen wir uns. Guter Vorschlag?«

Daniel Amun Clemmert, der trotz seiner weißen Uniform unscheinbar und wenig bedrohlich wirkte, betätigte verschiedene Sensorfelder seiner Tischgeräte und rief die Wache. Sechs Schwergepanzerte mit Waffen aus dem vierten Handelskrieg der Ronrico-Gruppe, der vor vierzig Jahren stattgefunden hatte, stürzten durch getarnte Türen herein.

»Voogt und Shlerph festnehmen und sofort hierher bringen!«, brüllte Clemmert. Die Wachen polterten davon. Clemmert grinste in Gargirs Gesicht und sagte:

»Wir werden uns gut verstehen, Fremder. Was immer Sie kaufen oder verkaufen wollen – Sie haben meine ungeteilte Aufmerksamkeit.«

Ohne aufzustehen verbeugte sich der Händler und bemühte sich, die wichtigen Eindrücke aufzunehmen und sie richtig zu interpretieren. »Das Ohr des Mächtigen ist mehr als das Hirn des Kleinen. So steht’s geschrieben im Caputh des Weißen Zwerges. Mögen Ihre Vorhaben stets unter günstigen Konstellationen stehen, Hoheit.«

Die Wachen zerrten Shlerph und Voogt in den Raum, zogen die Waffen und blieben hinter ihnen stehen. Clemmert warf ihnen vernichtende Blicke zu. Seine Stimme war leise, gefährlich, und troff vor Hohn.

»Männer! Ich schäme mich. Darüber, dass die Bestechlichkeit schon auf meine Vorzimmer übergegriffen hat. Meine besten Leute, mit denen ich jahrzehntelang einen Partisanenkrieg durchfocht, lassen sich meine Zeit bezahlen! Der Fremde, unschuldiges Opfer, bat mich sogar, euch nicht zu bestrafen. Über meine Geheimverbindung habe ich den äußerst schmählichen Vorgang miterleben müssen!« Er begann zu schreien. »Her mit dem Geld, ihr Schufte. Gebt es dem Edelmann zurück! Wenn das noch einmal passiert, lass ich euch hinrichten!«