Die kleine Madonna - Petra Oelker - E-Book

Die kleine Madonna E-Book

Petra Oelker

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Beschreibung

Tatort Klostergarten: Äbtissin Felicitas Stern ermittelt wieder. Der Archivar liegt tot im Brunnenschacht. Ein Unfall? Oder hatte der scheinbar so harmlose Hobbymaler Feinde? Die «Neue» geistert nachts durch den Kreuzgang. Warum schweigt sie über ihre Vergangenheit? Ein Mädchen hat beunruhigende Träume. Sie glaubt, sie haben etwas mit dem Kloster zu tun. Überspannte Phantasien? Oder der Hinweis auf ein Verbrechen?

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Petra Oelker

Die kleine Madonna

Roman

Für Maike Kristin

In der Tat werden wir durch Zweifeln

zur Suche angeregt;

durch Suchen erfassen wir die Wahrheit.

Abaelardus, Philosoph, 1079–1142

Ein Tag sagt es dem andern,

und eine Nacht tut es der andern kund –

ohne Sprache, ohne Worte,

mit unhörbarer Stimme.

Psalm 19, 3.4

PROLOG

1852

Als sie Kälte der alten Steine ihren wollnen Umhang durchdrang, löste sie sich aus der Mauernische, trat ans Fenster und sah hinaus in die Nacht. Immer noch lag der Hof verlassen; der Holzschuppen und das alte Backhaus standen unter den noch kahlen Eichen, bizarr gemustert von den Schatten des knorrigen Geästs der Kronen. Bei der Weißdornhecke, die den Hof notdürftig vor dem Wind aus der Heide schützte, schien sich etwas zu bewegen. Der Fuchs, dachte sie und freute sich, ihn noch einmal zu sehen. Aber wenn er es wirklich war, wagte er sich in dieser Nacht nicht auf den Hof. Vielleicht spürte das Tier näher kommende Schritte. Sie tastete nach der Uhr, die rundlich und schwer wie ein Ei aus Stein in ihrer Rocktasche lag. Doch es war überflüssig, auf den Stand der Zeiger zu sehen. Er würde die verabredete Zeit nicht versäumen.

Und wenn er nicht kam? Wenn er aus ihrem gemeinsamen Traum aufgewacht war und sein Versprechen bereute? Hatte er überhaupt etwas versprochen? War es schon ein Versprechen, wenn man einen Plan machte?

Er würde kommen. Und sie würden schnell genug sein.

Der Mond stand hoch am tiefschwarzen, von Sternen kalt glitzernden Himmel, er war nur eine Sichel, doch sein schwaches Licht gab ihr Zuversicht. Sie hatte ihn immer gemocht, den Mond. Als sie noch zu Hause lebte, hatte sie sich manchmal, sobald alle schliefen, in den Garten geschlichen, die Pelzdecke um die Schultern, und die Geborgenheit des Dunkels gefühlt und zugleich eine befremdliche Sehnsucht nach jener Freiheit, die in der Unendlichkeit unter dem Himmel lag. Weil sich niemand gefunden hatte, ihr die Karten des Sternenatlasses zu erläutern, hatte sie den Sternbildern eigene Namen gegeben, damit sie mehr waren als ein fernes Geglitzer, mit dem sich nicht sprechen ließ. So gab es an ihrem Himmel Sternbilder mit den Namen Ruth, Jonas oder David. Eines nannte sie Kain, obwohl sie nicht sicher war, ob das ein guter, ein passender Name war.

Sie hätte gerne das Fenster gegenüber der Nische geöffnet und die frische Nachtluft geatmet, doch es war so alt, dass es noch keinen Riegel hatte. Und in diesem Flur, unbewohnt und kaum betreten, lohnte es kaum, ein neues einzubauen. Wie viele Stunden hatte sie in den letzten zwei Jahren hier verbracht? Sie begann zu rechnen, das ließ die Zeit schneller vergehen. An fast jedem Tag hatte sie die kleine Madonna in ihrer staubigen Verbannung besucht; noch nicht während ihres ersten Klosterjahres, sie hatte den Gang und seinen Schatz erst später entdeckt. Ostern, ja, es war kurz vor Ostern gewesen, zu Beginn des zweiten Jahres. Das wusste sie genau.

Nun würde wieder bald Ostern sein, das Fest, das sie am meisten liebte. Die Äbtissin hatte zufrieden genickt, als sie es erzählte, damals, bald nach ihrer Ankunft während ihrer ersten Ostertage an diesem Ort; und sie war klug genug gewesen, nicht darauf hinzuweisen, dass der Grund ihrer Vorliebe weniger die Heiligkeit dieser Tage und Nächte war als viel mehr das Ende des Winters, die Gewissheit, dass Gras und Bäume wieder grünten, die Wiesen blühten und der Himmel hoch wurde. Dass der Gesang der Vögel…

Sie lachte leise. An diesen Ostertagen würde sie dem Gras und den Bäumen, dem weiten Himmel so nah sein wie nie zuvor. Und sie würde glücklich sein wie nie zuvor.

Sie ließ die Fingerspitzen prüfend über ihre Wangen gleiten, ertastete jede Vertiefung, berührte flüchtig die Stirn, verharrte einen Augenblick bei der hässlichsten Narbe am Kinn. Sie sollte dankbar sein, dass die Gebete ihrer Eltern und Schwestern erhört worden waren, die meisten starben doch an den Blattern. Und an die Narben, so hatten sie versichert, werde sie sich gewöhnen, mit der gebotenen christlichen Demut. Niemals, hatte sie gedacht, die Augen fest geschlossen und sich trotzig gewünscht, alles sei wieder wie früher, bevor sich die Blattern durch ihre Haut fraßen.

Du bist immer noch schön, auch das hatte sie oft gehört; doch die hastige Lüge konnte weder trösten, noch half sie ihr, den nötigen Dank zu empfinden. Sie war nur voller Zorn gewesen.

Nun war alles anders. Seit seine Hände über ihr Gesicht geglitten waren, seit er sie mit diesen Augen angesehen hatte, war es, als seien die Narben endlich verschwunden. Das waren sie nicht, natürlich nicht, Ulrica war mit ihren sechzehn Jahren kein dummes Kind mehr, das so einfach an Wunder glaubte. Besonders nicht, wenn es um törichte Anlässe wie Eitelkeit ging. Doch jetzt hatten sie keine Bedeutung mehr, nur darauf kam es an.

Sie sah die kleine Madonna an, die, von einem schmalen Streifen Mondlicht sanft beschienen, auf ihrem Sockel saß und mit dem ewig jungen Gesicht lächelte. Die Gebete ihrer Familie mochten Ulricas Leben, ihren Körper gerettet haben; ihre Seele jedoch, die Rückkehr der Freude und der Zuversicht und das Gefühl, wieder lebendig zu sein und eine Zukunft zu haben, verdankte sie einzig der kleinen Madonna. Das wusste sie so sicher, wie sie von der Richtigkeit ihrer Entscheidung überzeugt war.

Ihr Platz im Kloster war eine große Ehre für ihre Familie. Und eine große Erleichterung. Die meisten der adeligen und der Patrizierfamilien – davon gab es viele – hofften, dass der Landesherr eine ihrer Töchter mit diesem Privileg bedachte. Als Mitglied eines Konvents wären sie nicht nur bis an ihr Lebensende versorgt, sondern waren in der Gesellschaft sogar den verheirateten Frauen gleichgestellt. Manche, so hieß es, zogen das von dem Wohlwollen eines Mannes unabhängige Leben einer Konventualin sogar der Ehe vor.

Darüber hatte Ulrica nicht nachgedacht, als sie ihr gesagt hatten, sie werde im Kloster leben. Sie hatte nur gewusst, dass sie nicht fort wollte, nicht allein sein mit lauter fremden Damen in diesem alten Gemäuer einige Tagesreisen weit von ihrer Stadt, von allen, die sie kannte und liebte. Selbst als sie versichert hatten, ihr Hanne mitzugeben, ihre vertraute Jungfer, dazu den kleinen Wagen und ein Pferd, Möbel, Geschirr, Wäsche, alles, was sie für einen bescheidenen, doch würdigen Hausstand brauchte, konnte sie in ihrer neuen Bestimmung nichts als eine Verbannung sehen.

Sie schickten sie fort in diese öde Heide, die selbst im Sommer nur aus Sand, Gestrüpp und Einsamkeit bestand. Sie wollten sie nicht mehr in ihrem Haus haben, sie nicht mehr anschauen und nicht mehr verstecken müssen, wenn Gäste kamen. Besonders wenn junge Herren darunter waren. Es machte genug Mühe, für drei Töchter passende Ehemänner zu finden, Männer von passendem Stand, die sich zudem mit einer bescheidenen Mitgift zufrieden gaben. Die Gegenwart einer vierten Schwester mit dem Gesicht voller Narben, für die sich keinesfalls ein Ehemann finden würde, bedeutete einen dunklen Schatten auf den Hoffnungen ihrer Schwestern. Schlimmer noch: Die Bewerber mussten befürchten, eines Tages eine unnütze Schwägerin aufnehmen und versorgen zu müssen.

Ulrica schlang die Arme fest um ihren dünnen Körper und schmiegte sich tiefer in ihren schwarzen Umhang. Sie fror und fragte sich, wie die kleine Madonna das ausgehalten hatte, während sich die Jahrzehnte zu Jahrhunderten fügten. Die Kälte und die Einsamkeit. Früher, als im Kloster noch die katholischen Zisterzienserinnen lebten, hatte die Madonna einen Ehrenplatz in der Kirche gehabt. Nun stand sie schon lange in der muffigen Nische in diesem verlassenen Gang. Die Statue war ihr so vertraut und lieb, manchmal vergaß sie, dass sie eigentlich nur ein Stück Holz mit abblätternden Farben war. Die Goldverbrämung ihres azurblauen Mantels war kaum noch zu erkennen, auch von seiner Farbe fehlte das meiste. Ihre rechte Hand war leer, wo die linke gewesen war, ragte nur mehr der Stumpf des Armes unter ihrem Umhang hervor.

Die Zeitläufte hatten viele Narben auf der kleinen Madonna hinterlassen, aber ihr Lächeln nicht zerstören können. Vielleicht hatte sie sie deshalb gleich geliebt, vom ersten Moment an, seit sie diesen Gang und diese Nische gefunden hatte. Die kleine Madonna hatte sie gerettet, nun war es an ihr, zu helfen.

Ein Kiesel schlug gegen die Scheibe, sie blickte in den Hof hinunter und sah niemanden. Aber sie wusste, dass er da war, im Schatten der Mauer, gleich neben der schmalen Tür zum Hof. So wie er es versprochen hatte. Rasch zog sie ihren Mantel von den Schultern, schlang ihn um die Madonna und hob sie von ihrem Sockel. Sie war schwer, viel schwerer, als sie gedacht hatte, und es war auch nicht leicht, mit dieser Last leise Schritte zu machen und die enge, dunkle Treppe hinunterzueilen. Doch just als Ulrica glaubte, die Madonna werde ihr entgleiten, wurde sie leicht, der Mantel rutschte und gab das lächelnde Gesicht frei. Es leuchtete in der Dunkelheit. Da öffnete sich vor ihr schon die Tür zum Hof, und Ulrica trat, die kleine Madonna fest in den Armen, hinaus in die Nacht.

KAPITEL 1

Das Haus der Eisners in der Rosenstraße war eine kleine Stadtvilla aus jener Zeit, als zu einem honorigen Haus ein Erker, ein der Straße zugewandter Schmuckgiebel und ein von Glyzinien überwuchertes Spitzdach über der Vordertür gehörten. Selbst in dem an gepflegten Häusern reichen Blumenviertel galt es als besonders schön. Da die fast zwei Meter hohe, altersstruppige Lebensbaumhecke vor einigen Jahren gerodet und durch ein Reihe zierlicher Hainbuchen ersetzt worden war, konnte das nun auch jeder sehen, der die Rosenstraße passierte. Auch die vorderen Fenster waren erneuert und auf eine Weise vergrößert worden, die den so charmanten wie würdigen Stil des Hauses unbeeinträchtigt ließ.

Vor dem Haus beschattete eine Blutbuche den Garten, der sich selbst in diesen letzten Märztagen, da die Gärten doch noch ein wenig gerupft und unfertig aussehen, makellos zeigte. Kurz und gut, wer fremd in Möldenburg war und sich in diese Straße verirrte, blieb unweigerlich stehen, betrachtete die großen, jedoch nicht zu großen Fenster, nahm dahinter die Schemen einer geschmackvoll und teuer eingerichteten, bis zur hinteren Terrasse reichenden Zimmerflucht wahr und mochte einen Anflug von Neid fühlen: In einem solchen Haus konnte eine Familie glücklich sein.

An diesem Tag bestand das Glück vor allem darin, dass die Fenster gut schlossen. Auch die der Küche.

«Nein», schrie Jessi, «auf gar keinen Fall. Auf gar! keinen!» Zornig schubste sie den blassblauen Pullover von der Stuhllehne und verschränkte die Arme vor der Brust. «So was zieh ich nicht an. Das weißt du ganz genau. Wenn die Klostertante meine Klamotten nicht mag, ist das ihr Problem. Himmelblau! Warum nicht schweinchenrosa?»

Ina Eisners Gesicht versteinerte. Sie hob den Pullover auf, legte ihn akkurat zusammen und schob ihn zurück in die Tüte.

«Die Farbe würde dir ausgezeichnet stehen», sagte sie, während sie ein imaginäres Stäubchen vom Ärmel ihrer rosafarbenen Bluse schnippte. «Im Übrigen höre ich gut, du brauchst also nicht zu schreien. Wenn du glaubst, diese schäbige Lederjacke würde der…»

«Wirklich, Jessi», unterbrach Roland Eisner seine Frau hastig. Einer Diskussion um die fatale Jacke war er heute nicht gewachsen. «Der Pulli ist bildschön, und es ist doch richtig nett von Ina, dass sie sich die Mühe gemacht hat. Gerade heute Morgen, wo samstags so viel im Haus zu tun ist. Sie ist extra für dich in die Stadt gefahren.»

«Ich hab nicht drum gebeten», patzte Jessi, nur um eine Nuance leiser. «Es wär total verlogen, wenn ich so was anziehe, nur weil ich mit ’ner Äbtissin spreche. Die hat bestimmt was gegen Lügen. Anders als andere Leute.»

«Sicher hat sie das.» Ina Eisner überhörte den Nachsatz und strich sanft über die elegante Einkaufstüte. «Hier geht es nicht um Lügen, Jessica, sondern um den richtigen Weg zum Ziel. Du willst deine Strafe im Kloster abarbeiten, weiß der Himmel, warum. Ich glaube nicht, dass es der sehnlichste Herzenswunsch einer Äbtissin ist, eine vom Jugendgericht verurteilte Schülerin zu beschäftigen. Also wäre es nur klug, wenn du dir ein bisschen Mühe gäbst. Du bestehst doch immer darauf, wie eine Erwachsene behandelt zu werden. Warum benimmst du dich dann nicht so? Klosterdamen legen Wert auf gute Manieren, dazu gehört auch die entsprechende Kleidung. Zumindest ein netter, sauberer Pullover wäre…»

«Das ist doch nur wieder dein Marketing-Scheiß. Und woher willst du das überhaupt wissen? Du kennst die doch gar nicht. Warum glaubst du immer, dass alle so spießig sind wie du?»

«Jetzt reicht es, Jessi.» Roland Eisner schob energisch seinen Stuhl zurück und stand auf. Für einen Moment schwankte die Küche vor seinen Augen. Sein Blick klammerte sich an dem billig gerahmten Bild von den Kitzbüheler Bergen fest, der einzige Stilbruch, den Ina in der ganz in Rot, Grau und Edelstahl gehaltenen Küche erlaubt hatte; ein Beweis ihrer zahlreichen Versuche, das Kind ihres Mannes zu erobern.

Es waren glückliche Sommerferien gewesen, damals, das Ende einer schweren Zeit. Jedenfalls hatte er das gedacht. Ein halbes Jahr später war Marion verschwunden. Ohne ihn. Und ohne Jessi. ‹Warum glaubst du immer, dass alle so spießig sind wie du.› Genau das hatte sie auch gesagt, nicht so laut wie Jessi, geschrien hatte sie nie; trotzdem hatten ihre Worte in seinen Ohren wie Peitschenhiebe geklungen.

Er sah seine Tochter in dieser alten Lederjacke, die sie vor ein paar Monaten auf dem Dachboden gefunden hatte, und fühlte wieder diese kalte Steife in seinem Nacken wie einen Krampf. Warum nur war er nicht in der Lage gewesen, die Jacke wegzuwerfen, in den Müll, wie alles andere, was Marion gehört hatte. Und warum war Ina so dumm gewesen zu behaupten, es sei ihre? Sie passte ihr nicht mal. Marion war genauso zierlich gewesen wie Jessi, und die hatte gleich gewusst, wem die Jacke einmal gehört hatte. Schon wegen der Photos. Diese verdammte Jacke. Für Ina musste sie Tag für Tag wie ein Schlag ins Gesicht sein. Er hatte sich so viel Mühe gegeben und doch alles falsch gemacht.

«Das reicht jetzt, Fräulein», wiederholte er, und diesmal war seine Stimme fast so laut wie die seiner Tochter. «Ina rackert sich für dich ab, und du benimmst dich wie eine aus der Russensiedlung. Damit ist jetzt Schluss…»

«Und du bist ein Rassist», brüllte Jessi zurück, die zwar die Statur ihrer Mutter, nicht aber Marions sanfte Stimme geerbt hatte.

«O nein! Nicht wieder diese Arie. Jeder, der nicht deiner Meinung ist, ist gleich ein Rassist, ein Faschist, ein Ich-weiß-nicht-was. Du musst noch verdammt viel lernen, Fräulein Neunmalklug, so einfach ist die Welt nämlich nicht. Geh doch zu deiner Klostertante, wie du willst. Du wirst sehen, was du davon hast. Und, verdammt», schrie er seiner Türen schlagend davonrennenden Tochter nach, «wasch dir wenigstens die Hände!»

Die plötzliche Stille dröhnte lauter als die Worte zuvor. Ina stand immer noch kerzengrade neben dem Tisch, strich immer noch über die Tüte mit dem teuren Pullover, und es kostete ihn alle Selbstbeherrschung, nicht auch einfach davonzulaufen. Oder Inas gerade Schultern zu fassen und zu schütteln, bis sie die Fassung verlor, einmal nur, einmal wollte er erleben, dass sie etwas Unvernünftiges tat. So wie Marion, schoss es ihm durch den Kopf, und wieder spürte er diesen Schwindel. Warum dachte er in den letzten Wochen so oft an seine erste Frau? Öfter als während all der Jahre seit ihrem Verschwinden. Nein, das stimmte nicht, im ersten Jahr hatte er ständig an sie gedacht, doch dann, als Ina zu ihm und Jessi zog, als sie bald darauf heirateten, hatte er es geschafft, nur noch selten und immer seltener an sie zu denken. Es lag an der Lederjacke. Jessi sah ihrer Mutter darin noch ähnlicher als sonst, manchmal so sehr, dass es schmerzte. Und ihn bis in seine Träume verfolgte.

«Es tut mir Leid», murmelte er und steckte die Fäuste tief in seine Jackentaschen.

Ina nickte. «Die Pubertät», sagte sie. «Man muss das nicht so ernst nehmen. Sie sind alle so in diesem Alter.»

«Du etwa auch?», fragte er und sah gleich, dass sein bemühter Scherz das falsche Mittel zur Wiederherstellung des Wochenendfriedens war.

Sie lächelte, ohne ihn anzusehen, und legte die Tüte in den Einkaufskorb zurück. «Ein bisschen verschieden sind die Menschen wohl doch. Deckst du bitte den Tisch, Roland? Wir können gleich essen.»

«Essen. Ach, Ina, es tut mir Leid, ich müsste längst weg sein. Ich bin nur noch hier, weil Max mich heute abholt, er will sich unser Training ansehen.» Er reckte demonstrativ den Arm und warf einen sorgenvollen Blick auf seine Uhr. «Er ist schon zehn Minuten zu spät.»

«Er kann mit uns essen. Es geht ganz schnell, die Suppe ist heiß. Max mit seiner ewigen Junggesellenwirtschaft, sicher hat er noch nichts Vernünftiges in den Bauch bekommen.»

«Sicher nicht. Aber ich darf die Jungs nicht warten lassen. Die müssen Disziplin lernen, sonst können sie nicht gewinnen. Gutes Vorbild ist alles, das sagst du selbst immer. Sei nicht böse, Liebes, du weißt doch, dass wir heute das Sondertraining haben.»

«Natürlich. Das Training. Ich habe nur nicht auf die Uhr geachtet.» Um nichts in der Welt hätte Ina Eisner zugegeben, dass sie dieses verdammte Sondertraining, die ganze verdammte Hockeyjugendmannschaft vergessen hatte.

Von der Straße hupte es dreimal kurz, einmal lang. Es klang übermütig. Roland hatte sich immer eine Familie gewünscht. In den letzten Jahren jedoch beneidete er Max, seinen Freund und Kompagnon im Architektenbüro Eisner & Kleve, immer öfter um dessen ‹langweiliges Single-Leben›, wie der es selbst gerne nannte, wenn er wieder einmal von den Eisner’schen Turbulenzen hörte. Weniger wegen der Freundinnen, die ab und zu in Max’ Leben auftauchten, auch nicht wegen der spontanen Kurzurlaube oder der Ungebundenheit, sondern einzig wegen der Ruhe, der äußeren wie der inneren. Wer allein lebte, mochte vieles versäumen und manches entbehren – aber er konnte auch nicht so viel falsch machen.

Max war ein Mann von wenig mehr als mittlerer Größe und einer geschäftigen Fröhlichkeit, die sanftere Gemüter leicht ermüdet. Er brachte einen Schwall frischer Luft mit in die Küche, rief: «Hallo, ihr Lieben», küsste Ina auf beide Wangen und boxte Roland gegen die Brust. «Heizt ihr die Straße? Die Haustür steht sperrangelweit offen.»

«Nein», sagte Ina, «Jessi hat sich nur eilig verabschiedet. Es hörte sich allerdings an, als sei keine einzige Tür auf ihrem Weg aus dem Haus offen geblieben.»

Max lachte. «Jessi hat Temperament, was? Tut mir Leid, dass ich so spät komme, Roland, ich musste Irene noch ein paar Kübel für ihre Terrasse besorgen, Pflanzzeit, das weißt du ja, bleischwere Dinge aus feinstem italienischen Terrakotta. Die Entscheidung für rund oder eckig fiel schwer, deshalb hat es ein bisschen länger gedauert. Aber ich konnte sie die schweren Dinger wirklich nicht selbst tragen lassen, oder? Geht’s jetzt los?»

«Klar», sagte Roland, gab seiner Frau einen flüchtigen Kuss und schob seinen Freund aus der Küche.

Ina hörte ihren Mann im Flur lachen, es klang befreit, fand sie, hörte die Haustür ins Schloss fallen und erinnerte sich daran, dass ihr am vergangenen Samstag niemand geholfen hatte, die Stiefmütterchen und Aurikel vom Auto in den Hof zu schleppen, drei volle Steigen, die auch nicht leicht gewesen waren.

Müde starrte sie in den hinteren Garten hinaus. Schon wieder hatte der Wind eine ganze Fuhre Laub von dem ungepflegten Nachbargrundstück durch die Tannenhecke auf ihren Rasen geweht. Sie würde es liegen lassen, wenigstens bis morgen. Vielleicht überzeugte das Roland endlich, dass sie einen dichten Zaun brauchten. Der kleine alte Mann hinter der Hecke würde kaum ordentlicher werden.

Sosehr sie sich auf das ärgerliche Laub zu konzentrieren versuchte, sosehr sie sich bemühte, nicht darüber nachzudenken, ob sie sich damals, als sie Roland heiratete, richtig entschieden hatte – immer wieder schob sich Jessicas Gesicht, ihre zornig-verächtliche Miene in den Vordergrund. Sie wollte kein schlechtes Gewissen haben. Jessis Spleen, im Kloster arbeiten zu wollen, beunruhigte sie, um es milde auszudrücken. Sie würde sich dort kaum besser betragen als zu Hause; allein ihr Anblick musste die Damen schockieren. Es wäre ein schlechter Witz, wenn ausgerechnet ihre Stieftochter den Vertrag mit dem Kloster verhinderte. Einfach nur durch ihr schlechtes Benehmen. Die Sache mit dem Kloster-Likör war ihre Idee gewesen und hatte ihr großes Lob eingebracht, sie musste ein Erfolg werden. Es war klug gewesen, Jessi nichts davon zu erzählen. In diesem wirren Kindergemüt wäre das womöglich reinster Sprengstoff.

Sie presste die kalten Fingerspitzen an die klopfenden Schläfen, nur einen Moment lang, dann straffte sie die Schultern. Sie war Marketingleiterin der Firma Gröhne, eines Brennerei-Betriebes, der seine Produkte in die halbe Welt exportierte, seit einem Jahr hatte sie Prokura, sie war auf dem direkten Weg zum Ziel. Dass ihr wohl geordnetes Leben an einem störrischen Teenager mit chronisch schmutzigen Händen und der öden Hockey-Leidenschaft ihres Ehemannes zerbrach, würde sie nicht erlauben.

Mit entschlossenen Schritten stieg sie die Treppe zum Bügelzimmer im Souterrain hinab, die Blusen überließ sie nie der Haushaltshilfe. Frau Jung war tüchtig und zuverlässig, aber die Blusen… Vielleicht, wenn sie Jessi die neue weiße frisch gebügelt ins Zimmer hängte, würde sie sie doch anziehen. Unter der Lederjacke zwar, aber es wäre immerhin ein Anfang.

In dem kleinen Haus, nicht weit hinter der Tannenhecke, legte Hans Jolnow den Hörer auf, bedächtig und akkurat, als lege er das letzte Teil auf ein Kartenhaus, dann rieb er in einem plötzlichen Anflug glücklicher Erregung die Hände aneinander und löste die Spannung mit einen heftigen Pfiff. Er betrachtete das schmutzig graue Plastik, klopfte mit der Spitze seines Zeigefingers dagegen und dachte, dass es nun bald so weit sei: ein moderner Apparat, auch wenn er nicht viel telefonierte. Zuerst kam der muffige Teppichboden dran. Raus, raus, raus damit. Dafür schönes Parkett, am besten Kirsche. Die Spitzengardinen – raus. Das Bad mit seinen rostfleckigen grünen Fliesen – raus.

Er könnte das Haus mit seinen winzigen Räumen auch verkaufen und sich ein anderes suchen. Zum Beispiel im Blumenviertel. Das grenzte direkt an die Apfelwiesensiedlung, dennoch war es eine ganz andere Welt.

Aber er lebte gern in der Apfelwiesensiedlung. In deren Gärten, so auch in seinem, gab es zwischen den Gemüsebeeten noch eine ganze Menge der alten Bäume von den verschwundenen Wiesen, die der Siedlung ihren Namen gegeben hatten. Blühende Apfelbäume – dagegen waren die steifen Rhododendren in den Blumenviertel-Gärten gar nichts. Und die Nachbarn waren nett, alte Leute zumeist und junge Familien, die alle zu viel mit sich selbst zu tun hatten, um sich neugierig aufzudrängen. Alle, bis auf Evchen Lenau.

Sein Blick wanderte durch das Wohnzimmer, rasch und routiniert, er hatte schon oft hier gesessen und sich vorgestellt, wie er den Raum, das ganze Haus mit seinem muffigen Inventar verändern würde. Die Wand, die die beiden Zimmer des Erdgeschosses trennte, musste verschwinden. Er brauchte Raum. Und Licht. Vor allem im Obergeschoss, für seine Staffelei. Mit einem ordentlichen Atelier könnte er mehr und bessere Schüler finden. Wenn er überhaupt noch versuchen würde, aus der talentlosen Kleckserei gelangweilter Damen und Pensionäre wenigstens solides Handwerk zu machen.

Den Esstisch und den Bauernschrank, auch die Biedermeiervitrine und einige der Bilder würde er behalten. Sie hatten seinem Großonkel gehört, der im Gegensatz zu seiner Mutter ein Mensch von Geschmack gewesen war.

Er erinnerte sich kaum an den alten Mann, der damals aus Berlin gekommen war und sich in einer Kate vor der Stadt eingemietet hatte. Als er starb, wenige Jahre nach dem Ende des Krieges, war Jolnow noch ein Kind in kurzen Hosen gewesen. Traurig war er damals nicht gewesen, der Mann mit dem schneeweißen Bart war ihm stets unheimlich erschienen, vielleicht, weil er so wenig sprach und sich nur für seine Farben und Pinsel interessierte. Immerhin hatte er dem Jungen ab und zu ein paar Bögen Papier und Wachskreiden überlassen und manchmal, wenn er einen besonders guten Tag hatte, alte Geschichten erzählt.

Reines Glück, dass er sich jetzt, nach all den Jahren, wieder an einige erinnert hatte. Damals hatte er sie langweilig gefunden.

«Schwerer Irrtum», murmelte Jolnow, schlug die Hände auf die Knie und erhob sich schwungvoll aus dem Sessel (auch der würde bald samt dem in müden Brauntönen bestickten Kissen auf dem Müll landen). Er verstaute den Zettel mit der Telefonnummer tief und sicher in der Innentasche seines Tweedjacketts und trug den Kaffeebecher in die Küche.

«Aber ihr zwei», sagte er munter, «bekommt das Gnadenbrot. Wegen besonderer Verdienste. Lange könnt ihr’s ja nicht mehr machen.»

Die beiden Wellensittiche, einer apfelgrün, der andere blassgelb, krächzten hektisch, als er den Fingernagel über das Gitter ihres Bauers rattern ließ, und der apfelgrüne, stets der mutigere, hackte mit seinem krummen Schnabel nach Jolnows Fingerspitzen.

«Pass bloß auf, Romeo», mahnte Jolnow mit breitem Grinsen, «sonst wird’s doch nichts mit dem Gnadenbrot.»

Er klemmte einen Strang Kolbenhirse am Gitter fest und sah zu, wie sich die beiden Vögel der Extraration widmeten. Er hatte nie verstanden, warum seine Mutter ihre Käfigvögel so geliebt hatte. Seit er allein in diesem Haus lebte, verstand er es. Ihm wäre ein Hund lieber gewesen, aber es stimmte, die Vögel machten wenig Arbeit, kaum Schmutz und waren doch ‹was Lebendiges im Haus›. So hatte sie immer gesagt, auch noch nachdem er nach Möldenburg zurückgekehrt und zu ihr gezogen war und sie keinen Grund mehr für den ewigen Vorwurf in der Stimme gehabt hätte. Trotzdem waren sie gut miteinander ausgekommen, besonders in diesem letzten Jahr bis zu ihrem Tod.

Die Wanduhr im Flur begann zu schlagen. Rasch gab er den Sittichen frisches Wasser, griff nach Schal und Windjacke und verließ das Haus. Der Vorgarten, stellte er wieder einmal fest, brauchte dringend einige Stunden Arbeit, an den hinteren wollte er heute nicht denken. Zumindest das Laub des Birnbaumes gleich neben der Haustür hätte er zusammenharken müssen. Den Osterglocken und den ersten, noch knospigen Tulpen bereitete der Kampf ums Licht sichtlich Mühe, nur die Märzbecher hatten es geschafft, die waren zäh.

Er warf einen verstohlenen Blick zum Nachbarhaus auf der Rechten, bemerkte eine Bewegung der Gardine und verschwand mit langen Schritten um die Hausecke. Er war viel zu gut gelaunt, um sich den Tag von Evchen Lenaus Geschwätz verderben zu lassen und hatte absolut keine Lust, sich wieder etwas halbwegs Höfliches einfallen zu lassen, um ihre unermüdlichen Hilfsangebote abzuwehren. War sie erst in seinem Garten, war sie bald auch in seinem Haus. Vielleicht sollte er doch einen Hund anschaffen, ein Tier mit großen Zähnen und struppigem, flohverdächtigem Fell.

Hans Jolnow war ein stiller, freundlicher Mann, er hielt auf gute Nachbarschaft, doch alles hatte Grenzen.

Der Tag war verhangen und frisch. ‹Prickelnd›, dachte er, als er auf sein Fahrrad stieg, ‹geradezu prickelnd.› Er trat, leise vor sich hin summend, kräftig in die Pedale und hielt die Nase in den Fahrtwind. Was war das nur für eine Melodie, die sich in seinem Kopf festgesetzt hatte? Er bog in die Stadtgrabenstraße ein, winkte der jungen Frau mit dem Kinderwagen, seiner Nachbarin zur Linken, einen Gruß zu und radelte rasch weiter. Immer noch überraschten ihn die breite Umgehungsstraße und die hoch gewachsenen Linden. Natürlich war er in all den Jahren, die er in Hamburg gelebt hatte, oft hier gewesen, doch in seiner Erinnerung hielt sich beharrlich das Bild der alten Allee entlang dem längst zugeschütteten Graben. Dumme Nostalgie, dachte er und bog schwungvoll ab.

In der Straße Beim Kloster, so schien es ihm, hatte sich in den letzten vierzig Jahren nichts verändert. Er wusste, dass das nicht stimmte. Die schon damals mächtigen Kastanien waren weiter gewachsen, und anstelle des hoppeligen Kopfsteinpflasters schlängelte sich nun ein glattes Asphaltband durch den Park und über die Brücke des Mühlbachs bis zum Platz vor dem Kloster. Für das letzte Stück nahm er einen anderen Weg. Gleich hinter der Brücke bog er ab, umrundete das Klostergelände und radelte durch den Park zum Eingang über den hinteren Hof. Er sprang vom Rad, schob es durch die Pforte und betrachtete mit Stolz die behäbigen alten Backsteinmauern der Klostergebäude. Diese Regung hatte er sich erst kürzlich eingestanden, denn die stand ihm nicht zu. Er war dem Kloster und seinen Bewohnerinnen erst seit kurzem und nur durch seine Unterstützung im Archiv verbunden. Trotzdem empfand er diesen Stolz auf die herbe Schönheit der Klosteranlage, die schon da gewesen war, als Möldenburg aus nichts als ein paar einsamen hungerarmen Heidehöfen bestanden hatte und niemand hier je von einer Frucht namens Kartoffel gehört hatte. Offensichtlich war er trotz der vielen Jahre seiner Abwesenheit ein echter Möldenburger geblieben.

Er lehnte das Rad gegen den Schuppen und hielt wohlig aufatmend sein Gesicht in die Sonne. Sie wärmte schon, und an diesem Tag, der ihn seinem Ziel ein so großes Stück näher gebracht hatte, empfand er ihr Licht als doppelt freundlich. Zwei Kohlmeisen hüpften aufgeregt tschilpend in der Weißdornhecke herum, ihre gelben Bäuche mit dem schwarzen Mittelstreifen waren deutlich zu erkennen. Bis vor wenigen Monaten hätte er die kleinen Sänger kaum bemerkt und erst recht nicht sagen können, was für Vögel da herumhüpften. Erst seit die Priorin ihm ab und zu zeigte und erläuterte, was im Garten und Park des Klosters wuchs und lebte, fand er es reizvoll, sich mit der heimischen Flora und Fauna zu befassen. Vor allem, auch das hatte er sich erst kürzlich eingestanden, um Elisabeth Möller zu beeindrucken, denn er hielt die Priorin für eine außerordentlich interessante Dame. Von ihr würde er sich gerne in seinem Garten helfen lassen.

Er stellte den Jackenkragen auf, lockerte den Schal und ging die wenigen Schritte bis zum hinteren Garten. Am Holzgatter verlangsamte er seinen Schritt, um gemächlich schlendernd, die Hände lässig in den Hosentaschen, den Blick sinnend auf die schon erblühende Magnolie gerichtet, den Garten zu betreten. Er hatte sich umsonst bemüht. Niemand war da. Nicht einmal Barbarossa, der dicke rote Kater der Priorin.

Enttäuscht musterte er das rechteckig abgesteckte Areal mit der aufgewühlten Erde, auf dem die Priorin einen Kräutergarten anlegte, und entschied, dass es keinen Zweck habe, müßig herumzustehen.

Sein Blick fiel auf die kleinen gelben Blüten bei der Hecke, die waren ihm gestern noch nicht aufgefallen. Was war das nur? Huflattich? Scharbockskraut? Er kannte nur den Löwenzahn genau, der war unverwechselbar, aber diese hier? Er musste in seinem neuen Buch nachsehen, am besten steckte er es sich immer in die Tasche, wenn er zum Kloster fuhr.

«Guten Tag, Herr Jolnow. Hübsch, der Huflattich, nicht?»

Jolnow fuhr erschreckt herum und starrte in Viktor Altings Gesicht. Genau genommen auf dessen Kinn, denn der Mann im grünen Overall, der plötzlich vor ihm stand, eine mächtige Astschere in der rechten Hand, überragte ihn fast um Haupteslänge.

«Ja, sehr hübsch. Huflattich, natürlich. Erkennt man ja leicht, immer unter den ersten. Echter Frühblüher.»

Hans Jolnow ärgerte sich über sein eifriges Gestotter. Warum, zum Teufel, machte er diesem jungen Mann, der ohne Zweifel nicht einmal das Abitur hatte, etwas vor? Wozu musste er überhaupt vorgeben zu wissen, wie dieses gelbe Unkraut hieß?

«Frühblüher, ja», sagte Viktor Alting, «tapfere kleine Dinger. Schönes Wochenende», fügte er mit einem Kopfnicken hinzu und ging, vorbei am alten Backhaus, davon.

Jolnow sah dem Mann nach und reckte unbehaglich die Schultern. Er musste sich diese Schreckhaftigkeit abgewöhnen. Sie war nicht angemessen und absolut überflüssig. Der neue Hausmeister und Gärtner war ein netter Mensch, vorbildlich, wie er die Priorin bei ihrem Kräuterkram unterstützte. Trotzdem, auf irgendeine Weise fühlte er sich von Alting eingeschüchtert. Es musste an der Größe liegen. Oder an den Augen. Die waren von seltsam hellem Grau und schienen alles zu beobachten. Er zuckte die Achseln, murmelte: ‹Na und?›, und machte sich endlich auf den Weg zum Archiv im Parterre des Seitenflügels.

Als er den Klang seiner Schritte auf den jahrhundertealten Steinplatten hörte, fiel ihm endlich ein, welche Melodie er schon den ganzen Morgen vor sich hin summte: ‹Wenn ich einmal reich wär, didel-didel-didel…›

‹Jolnow›, dachte Felicitas Stern. Sie blickte vom Fenster ihres Wohnzimmers in den Hof hinunter und auf den Mann, der mit seinen stets ein wenig steifen Schritten zur hinteren Tür eilte, und fühlte leisen Triumph. Obwohl er schon seit einem Vierteljahr half, das Klosterarchiv zu ordnen, vergaß sie ständig seinen Namen. Sie glaubte, man vergesse vor allem Unangenehmes. Doch gegen Jolnow, diesen kleinen Mann mit dem unaufdringlichen Lächeln und dem absurden grauen Pferdeschwänzchen im Nacken, gab es nicht das Geringste einzuwenden. Alle mochten ihn, sogar Lieselotte von Rudenhof, die Langhaarigkeit bei Männern jeglichen Alters als sicheres Zeichen für einen fragwürdigen Charakter deutete.

Sie selbst war ihm vor allem dankbar. Wo sonst fand sich ein erfahrener Archivar, der sich mit so offensichtlichem Vergnügen als professioneller, gleichwohl unbezahlter Helfer zur Verfügung stellte? Eine Schande, dass ihr Kopf seinen Namen verweigerte. Wahrscheinlich wurde sie alt. Begann die Vergesslichkeit, dieses erste untrügliche Zeichen, schon mit kaum Mitte fünfzig? Aber heute hatte sie sich gleich an seinen Namen erinnert – vielleicht ließ die Demenz ja doch noch etwas auf sich warten.

Doch womöglich, so versuchte sie sich selbst auf die Spur zu kommen, fiel ihrem Gehirn gerade jetzt ein sonst leicht vergessener Name ein, wich es eilig auf einen belanglosen Nebenschauplatz aus. Nur ein Vorgespräch, das hatte Henry nun schon dreimal gesagt, aber Vorgespräch hin oder her, sie hätte sich nicht darauf einlassen sollen. Es war viel besser, gleich nein zu sagen, wenn man nein meinte. Wie sollte sie so einem Kind später erklären, warum sie es nicht im Haus haben wollte? Das war unangenehm und peinlich, egal, wie nett man es verpackte. Und immer verletzend.

Wenn sie Glück hatte, war das Ganze überhaupt nur ein schlaues Spiel, eine Farce, und die Kleine hatte eigentlich gar nicht vor, ihre Nachmittage im Kloster zu verbringen. Vielleicht hatte sie sich das nur ausgedacht, weil sie hoffte, abgelehnt zu werden. Um freie Nachmittage zu verbringen. Irgendwo anders, wo sie nicht unter wachsamer Aufsicht stand, sondern weiter ihrem ärgerlichen Hobby nachgehen konnte – bis sie das nächste Mal geschnappt wurde. Allerdings erschien diese Überlegung nicht ganz logisch. Die Äbtissin seufzte, und Henry Lukas feixte.

«Du solltest dein Gesicht sehen, Felicitas», spottete er vergnügt. «Du siehst aus, als erwartetest du nicht eine harmlose Sechzehnjährige, sondern den Steuerprüfer.»

«Der Steuerprüfer, mein Lieber, schreckt mich weniger. Unsere Buchführung ist immer tadellos und auf dem letzten Stand. Aber ich fürchte tatsächlich um unsere weißen Wände. Es sind viele, manche hoch, alle sehr lang. Wenn ich allein an den Kreuzgang denke! Der muss die reinste Einladung für ein solches Mädchen sein.»

«Ach was! Jessi ist prima. Manchmal ein bisschen brummig, das wohl, aber nur, weil sie so schüchtern ist. Ihre Eltern sind nette Leute, ‹ordentlich› würde meine Mutter sagen, für sie das höchste Lob. Weiß der Teufel, warum Jessi solche Sperenzien macht. Glaub mir, wenn ihr euch erst besser kennt, wirst du sie richtig mögen. Garantiert. Hätte ich mich sonst für sie eingesetzt?»

Felicitas Stern seufzte ein zweites Mal. «Keine Ahnung, warum ich immer wieder auf dich reinfalle. Ich sollte es besser wissen, Henry, du hast mich schon um den Finger gewickelt, als du gerade über die Tischkante sehen konntest, und das ist ziemlich lange her.»

«Das macht mein angeborener Charme.» Henry grinste breit und legte allen verfügbaren Schmelz in seine Stimme. «Außerdem bin ich nun mal Anwalt, das übt. Im Übrigen hast du schon immer eine Schwäche für flügellahme Exemplare gehabt. Aber mal im Ernst, ich finde es auch erstaunlich, dass Jessi ihre Strafe ausgerechnet hinter euren Mauern abbüßen will, wirklich erstaunlich. Ich könnte mir nämlich was Lustigeres denken.»

«Vielen Dank!»

«Du verstehst schon, wie ich es meine, Felicitas. Ich weiß, dass es sich hier gut lebt und dass du und deine Damen nicht gerade Trauerklöße seid. Aber hättest du dir mit sechzehn ausgerechnet das Kloster ausgesucht? Ich jedenfalls…»

Felicitas Stern, Äbtissin des evangelischen Damenstifts im Möldenburger Kloster, sah Henry, der, wenn man die verzweigten Linien der Familie sehr genau zurückverfolgte, so etwas wie ihr Neffe oder Cousin irgendeines entfernten Grades war, aufmerksam an. Allerdings hörte sie ihm nicht mehr zu. Eine Fähigkeit, die sie sich in ihrem früheren Leben, zuerst als Mutter zweier temperamentvoller Kinder, später als Dozentin und Abteilungsleiterin einer Volkshochschule auf endlosen Sitzungen mit oft nur wenig fruchtbaren Debatten, angeeignet hatte und perfekt beherrschte. Ihre Gedanken wanderten zurück zu jener Zeit, als sie selbst sechzehn gewesen war. Oder zehn oder zwölf oder neunzehn. Wie schon oft in den letzten beiden Jahren.

Sie war in Möldenburg geboren und aufgewachsen, sie hatte hier das Gymnasium besucht, ihre erste große Liebe durchlitten – und war so bald wie möglich geflohen. Weg aus der erdrückenden Behaglichkeit in der Kleinstadt an der Mölde nach Heidelberg. Nicht gerade in eine berauschende Metropole, aber doch mitten hinein in das trubelige Studentenleben. Hätte ihr damals jemand prophezeit, sie werde drei Jahrzehnte später zurückkehren, zudem um ausgerechnet das Amt der Äbtissin zu übernehmen – sie hätte schallend gelacht.

Nun war sie wieder hier, und selbst die letzten Zweifel, die sie während der ersten Monate noch geplagt hatten, waren vergessen. Sie hatte sich wieder in das Leben der Stadt eingefügt und staunte nicht einmal mehr darüber, wie leicht es gewesen war.

«Hallo!! Felicitas!» Henrys Stimme holte sie in die Gegenwart zurück. «Du hörst mir überhaupt nicht zu. Was ist los?»

«Gar nichts, Henry, es tut mir Leid. Ich bin…»

Ein vorsichtiges Klopfen ersparte ihr Erklärungen, die Tür öffnete sich, und eine füllige Frau, etwa in Felicitas’ Alter und mit einem glatten, seltsam ausdruckslosen Gesicht, trat einen halben Schritt in das Zimmer. Die graue Strickjacke über einer weißen Bluse, der schwarze Rock, der dunkle Lippenstift betonten ihre Blässe; der Farbton ihrer Haut unterschied sich kaum von dem Weißblond ihres Haares, einige Strähnen waren aus den Aufsteckkämmen gerutscht und lagen in malerischer Unordnung auf ihren Schultern.

Henry betrachtete sie mit unverhohlener Neugier. Sie musste einmal eine bildschöne Frau gewesen sein. Wer genau hinsah, und das tat Henry stets, empfand sie trotz der verschwimmenden Konturen ihres Gesichtes immer noch als schön. Wenn sie vorsichtig lächelte, so wie jetzt, wurde der schmale, etwas müde Mund lebendig und ließ die alte Energie ahnen.

«Entschuldige, Felicitas», sagte sie, blieb in der Tür stehen und ließ einen rasch prüfenden Blick über Henry Lukas gleiten. «Frau Möller sagte, ich fände dich in deiner Wohnung, sie wusste wohl nicht, dass du Besuch hast. Kann ich später wiederkommen? Geht das? Es wird nicht lange dauern.»

«Natürlich geht das, Benedikte, in etwa zwei Stunden. Aber ich komme in deine Wohnung, sonst musst du womöglich noch einmal warten. Ist dir das Recht?»

«Wann immer du Zeit hast. Ich werde da sein.» Sie trat zurück und zog die Tür geräuschlos ins Schloss.

«Wie macht sie das?», fragt Henry.

«Was?»

«Deine Tür so leise schließen. Bei mir macht das alte Ding immer ziemlichen Lärm. Ist sie das?»

«Wer?»

«Eure Neue. Als letzter Hort der feinen Sitten pflegt ihr doch das Sie mit dem Vornamen kombiniert als Form inniger Vertrautheit. Sie hat dich geduzt, da das bei euch nicht üblich ist, kann sie nur die Neue sein. Die, die du von früher kennst, aus deiner Studienzeit. Damals werdet ihr euch kaum gesiezt haben.»

Felicitas brauchte sich nicht zu fragen, woher Henry so genau Bescheid wusste. Möldenburg war eine kleine Stadt, Henry der neugierigste Mensch unter der Sonne – mehr Erklärung brauchte sie nicht. Im Übrigen war die neue Bewerberin für den letzten freien Platz im Konvent kein Geheimnis. Auch nicht, dass sie ausgerechnet die Äbtissin in deren (leider gar nicht so) wilden Studentenjahren gekannt hatte. Die Anfänge des Klosters reichten um nahezu 800Jahre zurück, und schon genauso lange interessierten sich die Möldenburger brennend für alles, was hinter dessen Mauern geschah. Auch heute noch, in Zeiten leerer Kirchen, gehörte die jeweilige Äbtissin zu den Honoratioren der Stadt und wurde auch so behandelt. Dass nun eine geborene Möldenburgerin das Amt innehatte, laut der Chronik zum ersten Mal seit 367Jahren, verstärkte das Interesse nur. Felicitas war es ein Rätsel, warum. So war es eben.

«Ja. Das war Benedikte.» Ihr Ton schloss selbst für ein so dickfälliges Gemüt wie Henry Lukas jede weitere Frage aus. «Und nun lass uns deinen Vertragsentwurf für diesen Klosterbitter durchsehen.» Sie griff seufzend in die Keksschale, fand eine Schokoladenwaffel und steckte sie sich in den Mund. «Ich weiß immer noch nicht, ob es eine gute Idee ist, ausgerechnet mit Schnaps für unser Kloster zu werben.»

«Seit wann bist du puritanisch, Äbtissin? Spirituosen jeglicher Art waren doch seit jeher Klosterspezialitäten, selbst den Champagner hat ein Mönch erfunden. Glaube mir, der gute alte Dom Perignon hat dafür einen Fensterplatz im Himmel bekommen. Außerdem, das muss ich dir als euer Rechtsberater sagen, verkennst du die Realitäten. Vielleicht wirbt der Schnaps, der im Übrigen ein delikater ‹Liqueur› werden soll, ganz gediegen in der alten Schreibweise, für das Kloster. Zuallererst aber wirbt der seriöse Name des Klosters für den Schnaps, Pardon, ‹Liqueur›, und damit für die Firma Gröhne. Dass die ihrem neuen Produkt auch noch eure alte Rezeptur zugrunde legen wollen, solltet ihr euch teuer bezahlen lassen, es trifft keine Armen. Außerdem haben diese bitter-süßen Gesöffe zurzeit schwer Konjunktur.»

Besonders bei Jugendlichen, hätte er beinahe hinzugefügt, doch Felicitas, sonst für ihre nie erlahmende Energie und gute Laune berüchtigt, war heute schon muffig genug. Die Vorstellung von sich am Klosterliqueur labenden Minderjährigen würde sie kaum stärker für das Projekt begeistern.

«Im Übrigen», fuhr er stattdessen fort, «steht in eurer Klosterordnung, was deine Pflicht ist, nämlich das Kloster nicht nur zu verwalten, sondern auch wirtschaftlich zu fördern, den ganzen Kram zu wahren und zu mehren. So ähnlich, jedenfalls hast du für das Wohl des Konvents zu sorgen. Genau das tun wir gerade, oder?»

Eine halbe Stunde später schob Henry die Papiere zusammen und legte sie in die Mappe zurück. Mit Felicitas Geschäfte zu machen war ein Vergnügen. Sie arbeitete konzentriert, stellte fast keine überflüssigen Fragen und ließ sich nicht über den Tisch ziehen. Es machte ihm mehr Spaß, mit ebenbürtigen Partnern zu arbeiten. Die Firma Gröhne, in der Stadt nur die Schnapsfabrik genannt, war bis zum Verkauf durch den letzten Gröhne an einen dänischen Konzern ein kleiner Betrieb gewesen, der mit regionalen Spezialitäten aus Korn und Kartoffeln erstaunliche Umsätze erwirtschaftet hatte. Lønstrup, der neue dänische Geschäftsführer, führte klebrig-süße Liköre mit poppigen Namen für junge Konsumenten ein, und inzwischen wurden die bunten Flaschen in alle Welt exportiert. Der Klosterliqueur sollte als Verneigung vor der Tradition verkauft werden und galt als viel versprechendes Werbemittel für das 100-jährige Gröhne-Jubiläum im nächsten Jahr. Henry hätte Felicitas nicht erst erklären müssen, dass das zugleich Werbung für das Kloster bedeutete. Die Zahl der Besucher, so hatte er trotzdem versichert, werde sich verdoppeln – was Felicitas nicht wirklich begeisterte, auch wenn sie wusste, dass viele Touristen die Existenz der Heideklöster sicherten.

Wieder klopfte es, und Elisabeth Möller öffnete schwungvoll die Tür.

«Ich dachte», begann die Priorin gleich, «hier bei Ihnen sei es für unser Gespräch netter als im Besuchersalon. Finden Sie nicht auch, Frau Äbtissin? Guten Tag, Dr.Lukas.» Das runde Gesicht unter dem glatten, mit einer grünen Spange zur Seite gehaltenen grauen Haar lächelte erwartungsvoll; nur ein sehr kalter Mensch hätte da widersprechen mögen.

«Sicher», sagte Felicitas und dachte nur ganz kurz daran, dass sie sich erst gestern wieder vorgenommen hatte, ihre privaten Räume mit einem absoluten Tabu für Klosterangelegenheiten zu belegen. «Sicher. Setzen Sie sich, die junge Dame muss auch gleich kommen.»

«Oh», die Priorin lächelte noch breiter, «sie ist schon da. Ich habe sie vor dem Portal gefunden, eine viertel Stunde vor der Zeit. Pünktlichkeit ist etwas Feines. Komm rein, Jessica. Hier beißt niemand.»

Die Äbtissin hatte nicht darüber nachgedacht, wie eine Sechzehnjährige aussehen mochte, die vom Jugendgericht wegen wiederholten Graffiti-Sprayens an Hauswände zu siebzig Arbeitsstunden in einer gemeinnützigen Einrichtung verurteilt worden war. Selbst wenn sie es getan hätte, hätte das Mädchen, das nun zögernd eintrat, alle düsteren Erwartungen übertroffen. Das eleganteste an ihr war die abgewetzte Lederjacke, die Felicitas flüchtig an jene erinnerte, die ihre Tochter vor vielen Jahren auf einem Flohmarkt erstanden und gegen allen mütterlichen Protest einen ganzen Winter lang getragen hatte. Die schwarz-nicht-mehr-ganz-weiß gestreifte hautenge Hose, die Schnürstiefel, die tiefblau gefärbten Haare – immerhin hatte sie ihr Sammelsurium von Silberringen auf die beiden Ohrmuscheln konzentriert, Lippen und Nase waren frei. Felicitas verstand es, sich an kleinen Dingen zu freuen.

«Guten Tag, Jessica», sagte sie und war mit dem neutralen Klang ihrer Stimme sehr zufrieden, «du willst also in unserem Kloster arbeiten.»

Sie reichte dem Mädchen die Hand, sah trotzige Augen, eine zitternde Unterlippe, spürte eiskalte Kinderfinger und wusste, dass sie es nicht schaffen würde. Ein Nein kam nicht infrage. Und genau genommen – der Kreuzgang musste sowieso mal wieder frisch geweißelt werden.

Erst als Felicitas am Abend über die Möldebrücke fuhr und in die Landstraße nach Lüneburg einbog, fiel es ihr siedend heiß ein: Sie hatte Benedikte vergessen.

Bei der nächsten Haltebucht für den Überlandbus hielt sie und suchte in den Tiefen ihrer Handtasche (zum Glück war es nur die kleine schwarze) nach dem Handy, konzentrierte sich auf die Telefonnummern der Konventualinnen und tippte, in der Hoffnung, es möge die richtige sein, die von Benediktes Wohnung ein.

Es war die richtige, doch Benedikte war nicht da. Die Stimme auf dem Anrufbeantworter nannte keinen Namen, sondern nur die Nummer und bat um eine Nachricht, doch sie war unverkennbar. Jedenfalls für Felicitas. Wenn sie nicht gewusst hätte, dass auch für Benedikte dreißig Jahre vergangen waren, hätte sie gedacht, sie sei alterslos. Ihre Stimme klang noch wie damals. Nur ein wenig schleppender, müder vielleicht.

Dass sie den versprochenen Besuch vergessen hatte, war unverzeihlich. Benedikte lebte erst seit einer Woche im Kloster, zur Probe, so wie es bei neuen Bewerberinnen üblich war. Für Benedikte, die auf diesem Platz stärker als viele andere angewiesen war, musste das eine unsichere, angestrengte Zeit bedeuten. Auf Probe klang hart, doch es war eine Probe für beide Seiten. Der Konvent und die Aspirantin lernten einander kennen und konnten prüfen, ob sie zueinander passten. Und die Bewerberin konnte prüfen, ob der Möldenburger Klosteralltag ihrem Lebensplan entsprach.

Benedikte war die zweite Bewerberin für den letzten freien Platz im Konvent. Gegen ihre Vorgängerin hatte niemand etwas einzuwenden gehabt, sie war eine angenehme unauffällige Frau. Ein wenig zu unauffällig womöglich, hatte Frau Hofmann gefunden, aber gleich hinzugefügt, das sei ja kein Makel und besser als zu laut. Sehr richtig, hatte Frau von Rudenhof mit gekräuselter Oberlippe bemerkt. Und alle, auch Dorothea Hofmann, hatten gewusst, dass Frau von Rudenhof mal wieder von den Gesangsübungen ihrer Wohnungsnachbarin gestört worden war, was sie jedoch niemals zugeben würde, da Frau Hofmann sich strikt an die im letzten Herbst vereinbarten zur Übung erlaubten Stunden hielt.

Bevor Felicitas der Bewerberin die frohe Kunde überbringen konnte, der Konvent freue sich, sie als eine der ihren aufzunehmen, kam die ihr zuvor. Das Kloster, so erklärte sie mit sanftem Lächeln, entspreche nicht ihren Vorstellungen, leider. Sie suche ein ruhiges, zurückgezogenes Leben, und das, davon sei sie nach diesen vier Wochen überzeugt, werde sie hier nicht finden. Felicitas hatte ihr nicht widersprechen können.

Sie hinterließ auf dem Band eine Entschuldigung und fuhr weiter. Es waren nicht nur die täglichen Führungen, die das Kloster während des Sommerhalbjahres der Beschaulichkeit beraubten. Die neun Konventualinnen, jede für sich auf den ersten Blick eine honorige Dame gesetzten Alters, waren alle außerordentlich aktiv, inner- und außerhalb des Klosters, und jede hatte – bei genauem Hinsehen – ihren kleinen Spleen. Was das Klosterleben anregender machte, als sie erwartet hatte, nur manchmal auch anstrengender.

In dieser Hinsicht würde Benedikte gut zu ihnen passen. Sehr gut sogar. Wenn sie auch die letzten achtzehn Jahre – oder waren es zwanzig? – ihre Tage in dem Gemeindebüro einer niederrheinischen Kleinstadt verbracht hatte und auch so aussah, hatte sie davor bewegte Jahre erlebt. Ohne diese so wenig veränderte Stimme wäre es Felicitas noch schwerer gefallen, in der behäbigen Frau das strahlende, vor Energie und Lebenslust vibrierende Mädchen von einst wieder zu erkennen.

Benedikte, die damals alle nur als Nora kannten, traf man weniger in den Hörsälen als auf den Wiesen am Neckarufer und in den Kneipen. Jeder kannte Nora, sie war schön, frech, unabhängig und immer da, wo was los war. Einen Winter lang versuchte sie sich als Sängerin einer dieser Bands, die in jenen Jahren von allen, die eine Gitarre halten konnten, gegründet wurden und ebenso schnell wieder verschwanden. Und dann war auch Nora verschwunden. Sie sei einem reichen Kerl nachgelaufen, sagten die, die sie nicht mochten. Sie habe sich in einen tollen Typ verliebt, und der habe sie mit nach Spanien genommen, sagten die, die sie bewunderten und auch vom Märchenprinzen träumten. Beneidet wurde sie von beiden Parteien gleichermaßen. Beinahe auch von Felicitas, doch die hatte sich gerade selbst verliebt und darüber Nora vergessen.

Gemeinsam hatten sie nur eines: Beide brachen ihr Studium der Liebe wegen ab. Und nun waren beide Witwen.

Aber Felicitas hatte mehr Glück gehabt. Viel mehr.

Es war ein seltsamer Zufall, dass Nora, die sich längst wieder Benedikte nannte, wie sie getauft war, ausgerechnet in dem Stift Aufnahme suchte, das Felicitas als Äbtissin leitete. Als Benedikte sich vorstellte, im Januar, und das Probewohnen vereinbart wurde, hatte Felicitas sie nicht gesehen. Sie war verreist gewesen und von der Priorin vertreten worden. Die Fremde, die vor einer Woche mit ihren beiden Koffern im Besuchersalon saß, hatte sie erst auf den zweiten Blick erkannt. Damals, vor mehr als dreißig Jahren, hatten sie nicht zur gleichen Clique gehört, hatten nicht viel miteinander zu tun gehabt, eine wie Nora konnte mit der braven Felicitas wenig anfangen.

Benedikte hingegen hatte sie gleich erkannt und war nicht minder verblüfft gewesen. ‹Lissi?›, hatte sie gefragt. ‹Du bist hier die Äbtissin?› Mit der gleichen Stimme wie vor drei Jahrzehnten.

Benedikte hatte ebenso wenig wissen können, dass die Äbtissin Felicitas Stern einmal die Studentin Lissi van Dorting gewesen war, wie Felicitas hatte erkennen können, dass die neue Bewerberin, die ihre Korrespondenz mit Benedikte Jindrich unterzeichnete, die einst bewunderte und längst vergessene Nora war.

Wahrscheinlich war eine solche Wiederbegegnung doch Anlass zur Freude. So gab sich Felicitas alle Mühe, das Unbehagen zu bekämpfen, das ihr Benediktes Anwesenheit aus unerfindlichem Grund bereitete.

«Quatsch», sagte sie laut, «totaler Quatsch», und trat aufs Gaspedal. Auch wenn sie heute die Verabredung mit Benedikte vergessen hatte (Wie war das gewesen? Man vergaß nur Unangenehmes?) und sich schuldig fühlte, war es höchste Zeit für die Vorfreude auf einen ganz privaten Abend. Und wenn sie sich nicht beeilte, reichte es bis zum Beginn des Konzertes kaum noch für das verabredete Essen mit ihrer Freundin. Schon jetzt würde sie eine viertel Stunde später als versprochen ankommen.

Das Motorengeräusch kam näher, und als es die Garagenauffahrt erreichte, löschte Jessi schnell das Licht. Sonst kam noch jemand auf die Idee, bei ihr anzuklopfen (das immerhin taten sie) und sie daran zu erinnern, dass es längst Schlafenszeit war. Womöglich mit einem Glas warmer Milch bewaffnet. Nein, das war ungerecht. Das Ding mit der warmen Milch hatte Ina sich längst abgewöhnt, vor etwa vier Jahren. Das war nur gut. Warme Milch! Manchmal war es auch Kakao gewesen. Nicht so ein Einfach-in-warme-oder-kalte-Milch-rühren-und-schon-fertig-Zeug, sondern richtiger Kakao. Er schmeckte immer ein bisschen nach Vanille, keine Ahnung, wie Ina das machte. Ihr selbst war es nie gelungen.

Eigentlich kamen sie auch nicht mehr in ihr Zimmer, selbst wenn ein Gewitter über dem Haus tobte, so wie früher. Das hatte sie ihnen ein für alle Mal abgewöhnt. War ja auch höchste Zeit gewesen. Nur einmal waren sie noch gekommen, sogar ohne anzuklopfen, als sie die Spraydosen suchten. Die lagen sicher verwahrt hinter dem Kaminholz im Schuppen. Da hatten sie nicht gesucht.

Sie zog sich die Decke bis zum Kinn, verschränkte die Arme im Nacken und lauschte auf die Geräusche. Jetzt schlossen sie die Tür ab, zogen die Mäntel aus und hängten sie in die Garderobe. Ina lachte leise, sie redeten auch leise. Früher, als Jessi noch klein war, hatte sie vor dem Einschlafen ihre Tür aufgelassen, einen Spalt nur. Es war so schön gewesen, von unten gedämpft die Stimmen zu hören, Musik, manchmal auch nur das Murmeln aus dem Fernsehapparat oder behutsame Schritte. Obwohl sie dann lieber noch eine Weile wach geblieben wäre und auf die warmen Geräusche gehört hätte, war sie stets schnell eingeschlafen. Und hatte nie so wirres Zeug geträumt wie jetzt.

Nun kamen sie die Treppe herauf. Sie waren guter Laune, natürlich, sie hatten sie ja einen ganzen Abend nicht sehen müssen. Und nicht hören. Sicher hatten sie einen Schwips. Bei Bassani, dem besten Italiener der Stadt, gab es auch die besten Weine. Das sagte Ina jedes Mal, wenn sie dort gewesen waren. Heute hatten sie mit Max den Geburtstag der neuen Apothekerin aus der Brunnen-Apotheke gefeiert. Das könnte was werden, hatte Papa gesagt, Irene ist smart und lässt sich nicht rumschubsen. Wenn Max schlau ist, greift er endlich zu. Ina hatte dazu nichts gesagt.

Die Tür zum Bad im ersten Stock klappte, Schritte im Schlafzimmer, Wasser rauschte, und wie immer, wenn unten ein Hahn aufgedreht wurde, hörte sie ein sanftes Knacken in der Wasserleitung, die bis zu ihrem eigenen kleinen Bad heraufreichte. Noch ein paar hin und her gehende Schritte auf den alten Dielen, dann wurde es still.

Jessi hasste Samstagabende. Alle unternahmen etwas, Kino, Party, Essengehen, irgendwas. Wer nichts vorhatte, machte was falsch. Jessi hatte selten was vor.

Sie knipste die Nachttischlampe wieder an und zog ihr Buch unter dem Kopfkissen hervor, doch sie schlug es nicht auf. Sie starrte weiter zur Zimmerdecke hinauf, an der noch die weißen Sterne klebten, die im Dunklen matt leuchteten. Wie die Ziffern und Zeiger auf Papas Uhr.

Es war knapp gewesen, aber sie hatte es geschafft. Die Äbtissin war ganz anders, als Jessie sie sich vorgestellt hatte. Sie hatte noch nicht mal graue Haare, bis auf die eine Strähne über der Stirn. Sie war auch nicht klein und fett, was Jessi ohne besonderen Grund angenommen hatte. Auch dass sie Hosen und einen Rollkragenpullover trug, war nicht das, was man von einer Stiftsdame dachte. Streng war sie schon, und da hatte Ina Recht gehabt: Es war sicher nicht ihr Herzenswunsch, eine Schülerin mit blauen Haaren bei sich arbeiten zu lassen. Und sei’s nur für die paar Stunden.

«Was willst du bei uns tun?», hatte sie gefragt. «Was kannst du denn?»

Darauf war Jessi vorbereitet. «Ich dachte», sagte sie brav, «wo das Kloster doch so groß ist und bald wieder die ganzen Touristen kommen, brauchen Sie jemanden zum Putzen. Ich kann das gut, wirklich. Sie machen doch sicher einen Frühjahrsputz.»

Da hatte die Äbtissin ein bisschen gelächelt. «Doch, das machen wir in jedem Jahr, leider kommst du zu spät, der ist schon vorbei.»

Darauf wiederum war Jessi nicht vorbereitet. Mit dem Putzen, so hatte sie gedacht, läge sie total richtig. Das war immer nötig, und die Bereitschaft zu niedrigster Arbeit zeigte Bußfertigkeit. Und Demut. Kloster und Demut, das gehörte doch zusammen.

Die Äbtissin sah sie an, Frau Möller, die Priorin, sah sie an, Dr.Lukas, auf den sie große Hoffnungen gesetzt hatte, weil er doch ein Freund ihres Vaters war, grinste nur blöd. Und ihr fiel nichts mehr ein. Sie sah ihre Hände an, zum Glück hatte sie die am Brunnen auf dem Marktplatz noch schnell gewaschen, und wusste nicht weiter.

«Laub harken», sagte sie plötzlich, «sicher gibt es Laub zu harken. In unserem Garten immer, und der Klostergarten ist viel größer als unserer, und die vielen Bäume, die Sie hier haben…»

«Keine schlechte Idee», gestand die Äbtissin zu, «nur fürchte ich, auch dazu kommst du zu spät.»

«Na ja», sagte Henry Lukas endlich und zwinkerte Jessi auf diese alberne Weise zu, wie es Erwachsene tun, wenn sie sich bei Kleinkindern einschleimen wollen, «irgendwas wird sich doch finden lassen. Hast du nicht gestern erst gesagt, der Holzschuppen müsste aufgeräumt werden, Felicitas?!»

Bevor die Äbtissin antworten konnte (tatsächlich war ihre erstaunte Miene Antwort genug), hatte die Priorin die rettende Idee.

«Wenn sie sich ein bisschen mit Gartenarbeit auskennt», wandte sich Frau Möller an die Äbtissin, «könnte ich ihre Hilfe brauchen, tatsächlich reicht es schon, wenn sie sich dafür interessiert. Ich lege nämlich gerade einen Kräutergarten an, Jessica», fuhr sie fort. «So einen, wie ihn die Konventualinnen früher hier hatten, bis vor etwa 250Jahren, glaube ich, als ihre eigene Apotheke. Jede der Stiftsdamen bekam ein eigenes Stück Garten für ihr Gemüse, aber einen Garten für Küchen- und Medizinkräuter für alle gemeinsam gab es über lange Zeit auch. Da brauche ich dringend Unterstützung. Die Erde vorbereiten, Beete und Wege anlegen, pflanzen, solche Dinge. Hast du dazu Lust?»

Jessi hatte nicht die geringste Ahnung von Gartenarbeit und bisher alle elterlichen Versuche, sie dazu abzuordnen, mit Missmut der Stufe Rot beantwortet, doch plötzlich erschien ihr die Vorstellung, in der Erde zu buddeln und kleine Pflänzchen zu setzen, als das reinste Vergnügen.

«Klar», sagte sie, «das mach ich gern, echt. Wenn Sie mir sagen, was ich tun muss», fügte sie getreu ihrem Vorsatz, nicht zu lügen, hinzu. «So richtig viel verstehe ich davon nämlich nicht. Eigentlich.»

Auf dem Heimweg machte sie einen Umweg zu Hellmanns Buchhandlung in der Marktstraße. Sie fand gleich, was sie suchte. Der Umschlag zeigte irgendwelche gesunden Blüten, die trotzdem sehr hübsch aussahen, und darüber stand in grüner Schrift ‹Kräutermedizin– Gesundheit aus dem eigenen Garten›. Das Inhaltsverzeichnis versprach ausführliche Anleitungen von der Anlage der Beete über die Wahl der Pflanzen bis zur Ernte beim richtigen Stand des Mondes.

«Ist das der neue Geheimtipp?», fragte Frau Hellmann an der Kasse. «Du bist schon die Dritte in dieser Woche, die das Buch kauft.»

«Ich will’s nur verschenken», murmelte Jessi und spürte ihr Erröten.

Sie klappte das Buch auf, in dem sie fast den ganzen Abend gelesen und festgestellt hatte, dass die Gärtnerei viel komplizierter war, als sie gedacht hatte. Wenn sie sich zu dumm anstellte, schickten sie sie sicher wieder weg. Bis zum Beginn ihrer Arbeit nach Ostern waren es noch zwei Wochen, genug Zeit, das ganze Buch durchzuackern. Bald würde sie sogar Ina Ratschläge geben können. Papa würde sich freuen. Aber das verkniff sie sich besser, sonst müsste sie nur wieder den Gartenarbeitstreit ausfechten. Es war ein totaler Unterschied, im Kloster einen neuen Garten anzulegen oder zu Hause Unkraut zu zupfen und den Komposthaufen umzuschichten.

Der Garten war nicht ihr Ziel im Kloster, aber sie würde es schon weiter schaffen. Sie musste nur ‹Interesse zeigen›, darauf fielen Erwachsene immer rein. Als die Äbtissin sie fragte, warum sie ausgerechnet im Kloster arbeiten wolle, hatte sie artig von der Besichtigung mit ihrer Schulklasse im letzten Herbst erzählt und wie schön sie alles gefunden habe, besonders die alten Glasfenster und die Wandmalerei im Refektorium. (An der Stelle hoben sich die Augenbrauen der Äbtissin, aber vielleicht hatte sie sich das nur eingebildet.) Es war nicht mal gelogen gewesen. Nicht ein bisschen.

Bevor sie über ihrer Lektüre endlich einschlief, versprach sie sich noch einmal, niemandem, wirklich niemandem, selbst der netten Priorin nicht, zu verraten, was sie tatsächlich im Kloster suchte. Sonst würden alle sie für verrückt halten. Konnte sein, dass sie damit Recht hätten.

KAPITEL 2

Die Nacht war trübe und schwarz wie der Himmel über dem Park. An der schmalen, keine hundert Schritte entfernt nach Norden führenden Straße standen Laternen, doch ihr mattes Licht versickerte schnell in der Dunkelheit, den Teich hinter den hohen Rhododendren erreichte es nicht.

Das war gut.

Und die beiden Laternen am Kloster? Die konnten zum Problem werden. Wie die Tatsache, dass es von einigen Fenstern im ersten Stock des Klosters möglich sein musste, den Teich zu beobachten. Jedenfalls einen Teil des Teiches – wenn alles nach Plan lief, den falschen. Die Gardinen waren geschlossen, nur hinter einem der beiden Fenster, das von dieser Stelle aus zu sehen war, brannte Licht. Es war zu früh als dass schon alle in ihren Betten lagen oder gar schliefen.

Das war schlecht.

Wenigstens war es kalt und nieselig, mit etwas Glück würde es bald richtig regnen. Wer immer seinen Hund oder schwere Gedanken ausführen wollte, würde das in einer solchen Nacht kaum im Park tun, und wenn, dann möglichst kurz und eilig und sicher nicht in der Dunkelheit hinter dem Kloster, sondern auf der besser beleuchteten Allee entlang dem Mühlbach.

Wenn aber doch – egal. Man musste das Ganze als ein Spiel mit hohem Einsatz betrachten, als ein Unternehmen ohne Alternative. Genau das war es.

Hastig geplant, doch so gut durchdacht, wie es die Situation ermöglichte. Wenn es hier und heute nicht gelang, gelang es nirgends.

Die Entfernung zwischen Weg und Teich, etwa zwei Schritte, war genau richtig, das abfallende schilfige Ufer ideal, die Hecken gaben einigen Schutz. Das musste reichen. Die Handschuhe – wo waren die? Keine Panik! Die Handschuhe steckten in der rechten Jackentasche.

Es konnte nicht mehr lange dauern. Und immer noch regte sich nichts im Park, kein Mensch weit und breit. Vielleicht war der Einsatz doch nicht so hoch. Und wer sollte später Verdacht schöpfen? Warum?